Neue Zeiten? - Deutsche Telekom Stiftung
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nr. Diesmal ausgelotet : Digitales Lernen Neue Zeiten? Zwischen Fortbestand und Fortschritt: Bildung in Deutschland nach der Krise Das Bildungsmagazin der Deutsche Telekom Stiftung INEM MIT E AG BEITR N GAST E D IA OM VON C DER“ R R S CHRÖ „HE
B i l d u ng s w e l t 3 Der kleine Eric Text: ALEXANDRA TRUDSLEV „Herr Lehrer, heute kommt mein Avatar für mich zum Unterricht.“ Was wie aus einem Science-Fiction-Film klingt, war für Eric Schrödel aus Hessen eine Zeit lang ganz real. Weil der 18-Jährige an einer chronischen Erkrankung leidet, musste er in der Pandemie als Risiko-Patient länger zu Hause bleiben als seine Mitschüler. Aber dank eines kleinen Roboters, der ihm im Rahmen einer Testphase zur Verfügung gestellt wurde, konnte Eric trotzdem ganz nah bei seiner Klasse am beruflichen Gymnasium der Johann-Philipp-Reis-Schule in Friedberg sein. „Der kleine Eric“, wie seine Mitschüler den armlosen weißen Avatar AV1 nannten, wurde einfach in die erste Reihe gesetzt und übertrug die Geschehnisse fortan zum großen Eric nach Hause. Dieser steuerte den Avatar, der mit Kamera und Mikrofon ausge- stattet ist, über einen Tablet-PC. So konnte er jederzeit live mit der Klasse interagieren. „Ich war gefühlt mittendrin“, sagt Eric. Sogar Gruppenarbeit war möglich. Und die Lehrer? „Die haben sich alle darauf eingelassen. Dafür bin ich dankbar.“ Sein Fazit: „Die persönliche Begegnung ist immer noch am schönsten. Aber wenn innovative Technik soziale Teilhabe ermöglicht, ist das ein großer Gewinn.“ FOTO: MARTIN LEISSL
4 Di e sm al au sg e l o t e t : D i g i t a l e s L e rn e n » Gerade ist ein 02 Der kleine Eric Ein Avatar nimmt für Roboter in die einen kranken Schüler am Unterricht teil. Bibliothek 06 „Es reicht nicht aus, nur nachzubessern.“ eingezogen. « Fünf Experten und ihre Meinung: Was läuft gut beim digitalen Lernen – und was muss Bildungskoordinator Ronny Lehmann besser werden? aus Gotha hat einen neuen Arbeitskollegen. Seite 20 12 Spiel doch! Sieben Dinge, bei denen Gamer besser abschneiden als Nicht gamer. 14 Zukunftsberuf Educational » KI hat das Technologist Die eine ist es, die andere Zeug, Schule zu will es werden: zwei Frauen, verändern. « die als Bildungstechnologinnen das digitale Lehren und Lernen an Schulen voranbringen. Birgit Schröder von der Sine- Cura-Schule in Quedlinburg testet 16 Smarte Schule? künstliche Intelligenz im Unterricht. Über das Für und Wider künstlicher Intelligenz im Seite 16 Unterricht. »Lernen zu Hause ist Impressum sonar Nr. 10 (Jg. 2021) Herausgeber Deutsche Telekom Stiftung, Stress. « Friedrich-Ebert-Allee 71–77 (Haus 3), 53113 Bonn, Tel. 0228 181-92021, kontakt@telekom-stiftung.de Verantwortlich für den Inhalt Dr. Ekkehard Winter Redaktionsleitung Andrea Servaty, Daniel Schwitzer Redaktion, Grafik und Layout SeitenPlan GmbH Corporate Publishing, www.seitenplan.com Druck Schmidt, Ley + Wiegandt GmbH + Co. KG Deshalb fordert Sozialpsychologin Im Sinne der besseren Lesbarkeit verzichten wir in unseren Texten Catarina Katzer neue Regeln, damit Kinder weitgehend auf geschlechtsdifferenzierende Formulierungen. Die und Jugendliche psychisch gesund bleiben. Begriffe gelten im Sinne der Gleichberechtigung grundsätzlich für alle Geschlechter. Wir verfolgen generell einen diskriminierungs Seite 6 freien Ansatz. Die verkürzte Sprachform hat daher rein redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung. Titelfoto: Wolfram Scheible
nr. 5 20 „Eine große Aufgabe“ Drei Vertreter außerschulischer Lernorte sprechen über ihre Bildungsarbeit und die Chancen der Digitalisierung. 26 „Es gibt keinen QR-Code für Wertschätzung.“ Johannes Schröder ist Deutsch- lehrer und als Comedian „Herr Schröder“ bekannt. Ein Ed i t o r i a l humorvoller Blick darauf, wie Schulen immer digitaler werden. 30 Aus der Stiftung Krisenerprobt? Über uns und unsere Projekte. Krisen seien Innovationstreiber, heißt 32 Bildungslücke es ja immer. Aber offenbart sich das auch Was ist Mikrolernen? in der Schule, einer Institution, die über die Zeit vergleichsweise resistent gegenüber dem Wandel war? Die Pandemie, so viel steht fest, hat den Schulen in puncto Veränderungs bereitschaft einiges abverlangt. Und nicht nur ihnen. Auch Lernorte wie Bibliotheken, Jugendhäuser und Museen mussten ihre Angebote für junge Menschen quasi über Nacht von analog auf digital ummodeln. Wie weit fortgeschritten wir in Deutschland nach fast zwei Jahren Corona beim digitalen Lehren und Lernen sind und welche Schlüsse sich aus der Krise für die Bildung der Zukunft ziehen lassen – diesen Fragen geht die vorliegende Ausgabe unseres Magazins sonar auf den Grund. Lesen Sie doch direkt mal rein! »Niemand mag Ich hoffe, der Themenmix gefällt Ihnen. den Geruch von Excel-Tabellen.« Ihre Andrea Servaty Leiterin Kommunikation Es riecht nach Digitalisierung in deutschen Klassenzimmern. Eine Bestandsaufnahme von Comedian „Herr Schröder“. Seite 26
6 L e r ne n »Es reicht nicht aus, nur nachzubessern.« Was läuft aktuell gut beim digitalen Lernen und was muss besser werden? Wir haben fünf Experten aus Schule und Forschung gefragt. In einem Punkt sind sich alle einig: Wenn wir vorankommen wollen, braucht es nicht nur gute Technologie, sondern auch neue pädagogische Visionen und Konzepte. Protokollier t von: FENJA MENS
7 Catarina Katzer Sozialpsychologin Ich finde erschreckend, wie schlecht das digitale Lernen wäh rend der Corona-Zeit vielerorts um- gesetzt wurde. Zum einen fehlte ein einheitliches Konzept für den Unterricht. Jede Lehrkraft hat es anders gehandhabt: Von der einen bekamen die Kinder Mails, mit der anderen durften sie chatten, dann wurde eine Stunde online gestreamt … Dieses digitale Durcheinander überforderte viele Schüler. Auch erhöhte das Ler- nen zu Hause die Stressfaktoren, denn die fehlende räumliche Trennung von Privatheit, Freizeit und schulischem Lernen ist eine kognitive Herausforderung. Auch hat sich gezeigt, dass rein digitales Kommunizieren negative Auswir- kungen auf Psyche, Gesundheit und Verhalten haben kann. Darum ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche lernen, mit ihrem digitalen Leben umzugehen. Wir FOTO: PRIVAT brauchen deshalb neue Lerninhal- te und Fächerkombinationen. Und wir müssen uns stärker mit den psychischen Auswirkungen von digitalen Tools auseinandersetzen Catarina Katzer ist promovierte Volkswirtin, Soziologin und die Ergebnisse in die Pädago- und Cyberpsychologin. Sie gilt als internationale Expertin gik hineintragen. Welche Regeln für die fortschreitende Vernetzung von Internettechno- braucht es, um wirklich gut digital logie und künstlicher Intelligenz mit Individuum und lernen und arbeiten zu können Gesellschaft sowie deren Auswirkungen. Sie ist Mitglied und dabei psychisch gesund zu im Kuratorium der Telekom-Stiftung, lebt und arbeitet bleiben? Auf diese Fragen müssen in Köln. wir Antworten finden.
8 L e r ne n Gut ist, dass der digitale Unterricht inzwischen an vielen Schulen funk- tioniert. In NRW läuft das über die landeseigene Plattform Logineo. An meiner Schule laden wir dort auch weiterhin Unterrichtsmaterial hoch. Außerdem kann man die Lehrkräfte darüber erreichen, was echt super ist. Früher hatten wir außerhalb der Schule keine Möglichkeit, sie zu kontaktieren. Ganz viele Schüler benutzen bei uns nur noch digitale Geräte wie Tablets und Laptops, das spart Papier. Was besser werden muss? Zum einen sind noch immer nicht alle Schulen ausreichend mit Geräten und WLAN ausgestattet. Zum anderen muss man, wenn man neue Technologien einführt, natür- lich auch die Lehrkräfte mitnehmen. Oft wird etwas angeschafft, aber dann doch nicht eingesetzt, weil sie nicht wissen, wie es funktioniert. FOTO: CARSTEN BEHLER Wichtig finde ich auch, dass man die Ergebnisse des digitalen Unterrichts nicht so bewertet wie den Präsenz- unterricht, denn der Erfolg hängt von vielen Faktoren ab: Jemand, der zu Hause kein eigenes Endgerät und Ilayda Dogan keine stabile WLAN-Verbindung hat oder sich ein Zimmer teilen muss, Vorstandsmitglied der kann nicht so effektiv am Online- Landesschülervertretung in unterricht teilnehmen. Das muss berücksichtigt werden. Und auch Nordrhein-Westfalen die seelische Gesundheit ist wichtig. Nach dem letzten Lockdown ist dar- auf in den Schulen zu wenig Rück- sicht genommen worden. Als alle wieder im Präsenzunterricht waren, wurde versucht, möglichst schnell Ilayda Dogan aus Werdohl im Sauerland ist 19 Jahre alt noch den restlichen Stoff zu vermit- und Mitglied des zehnköpfigen Vorstandes der Landes- teln, und dann ging es auch schon in schülervertretung Nordrhein-Westfalen. Das Gremium die ersten Klausuren. vertritt die Interessen der rund 2,3 Millionen Schüler im Bundesland. Ilayda Dogan besucht ein Gymnasium und macht 2022 ihr Abitur. Danach möchte sie Jura oder Medizin studieren.
9 Sven Gábor Jánszky Zukunftsforscher FOTO: JÖRG GLÄSCHER Das digitale Lernen steckt noch in den Kinderschuhen. Mit einem Mausklick könnten wir zum Beispiel die besten Spezialisten für jedes Thema vor Augen haben, das ist ein Schatz, den keine Generation vor uns hatte. Der Status quo ist jedoch, dass wir unsere klassischen Bildungsfor- Sven Gábor Jánszky ist Chairman mate weiternutzen und ab und zu mal ein Tablet in die des größten wissenschaftlichen Hand nehmen. Die Zukunft wird anders aussehen, denn Zukunftsforschungsinstituts Euro- der Wandel, den wir schon aus der Wirtschaft kennen, pas. Als Zukunftsforscher berät er wird auch den Bildungsbereich erfassen. So wie Online- Unternehmen und Einzelpersonen, händler prognostizieren, was ich in zwei Tagen kaufen gibt Workshops und tritt als Speaker will, kann man mit ein bisschen Datenanalyse messen, auf Zukunftsevents und Strategieta- welche Kompetenzen ich in zwei Monaten oder zwei gungen der deutschen Wirtschaft auf. Jahren brauchen werde, und mir auf dieser Basis ein indi- Jánszky lebt in der Nähe von Leipzig. viduelles Bildungsangebot machen. Und in den Schulen werden digitale Technologien den Unterricht nachhaltig verändern. Es ist zum Beispiel denkbar, dass jeder Schüler eine individuelle App auf dem eigenen Gerät hat, die analysiert, wo dieses Kind gut mitkommt, wo es Aufgaben abbricht oder langsamer schreibt. Das wird zu einer indi- viduelleren Begleitung von Lernprozessen führen, denn die Lehrkräfte werden in Echtzeit Informationen über die Bedürfnisse ihrer Schüler erhalten.
10 L e r ne n Birgit Eickelmann ist seit 2012 Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn. Aus dem Schuldienst wechselte sie 2003 zu- rück an die Universität und erforscht seitdem die Entwicklung von Schulen und Schulsystemen. In Deutschland kennt man sie vor allem als Leiterin der Studie ICILS, die die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Schülern misst. In jüngster Zeit sind viele Investitionsprogram me angelaufen. Das ist sehr erfreulich, denn eine moderne Ausstattung der Schulen ist auf dem Weg in die Zukunft zentral. Sie allein reicht aber für wirklich nachhaltige Entwicklun- FOTO: HIER STEHT DER FOTOGRAF gen längst nicht aus. Mir sind hier drei Punkte wichtig: Erstens müssen wir lernen, stärker die Perspektiven der Kinder und Jugendlichen auf FOTO: UNIVERSITÄT PADERBORN eine zukunftsfähige Bildung in unsere Planun- gen einzubeziehen. Zweitens: Wenn wir über digitales Lernen sprechen, müssen wir sowohl auf Schulsystemebene als auch auf Einzelschul ebene einen dynamischen Konsens darüber finden, was guten Unterricht in einer Kultur der Birgit Eickelmann Digitalität ausmacht. Als Rahmenbedingung Schulforscherin gehört hierzu übrigens auch ein moderner „Arbeitsplatz Schule“. Und drittens: Es reicht nicht mehr aus, immer nur nachzubessern und an einzelnen Stellschrauben zu drehen. Es ist nun an der Zeit, den Blick konsequent und ganzheitlich in die Zukunft zu richten: Wo sehen wir Schule in fünf oder in zehn Jahren – und was wollen wir überhaupt er reichen? Anstehende Entwicklungen sollten dabei nicht nur von technologischen Inno vationen, sondern vor allem auch von päda gogischen Visionen getragen werden.
11 Nina Toller Lehrerin und Bildungsbloggerin Es gibt einiges, was aktuell beim digitalen Lernen schon gut läuft: Da ist die Offenheit der Beteiligten zu nennen und vor allem die Lernmotivation, die durch den Einsatz von digitalen Medien bei den Schülern erreicht werden kann. Wenn ich Workshops für Lehrkräfte oder Lehramtsstudierende gebe, höre ich leider oft, dass es vielen Schulen noch immer an der Ausstattung fehlt. Ein anderes Problem: Viele Lehrkräfte scheuen den Einsatz von digitaler Technik, weil sie Nina Toller ist Lehrerin für Englisch, Angst haben, etwas falsch zu machen. Hinzu kommt eine große Geschichte, Informatik und Latein Unsicherheit hinsichtlich des Datenschutzes. Hier brauchen wir an einem Gymnasium in Duisburg mehr Weiterbildungen. Und auch in der Ausbildung, sei es während und setzt in ihrem Unterricht schon des Studiums oder des Referendariats, kommt das Thema leider lange digitale Formate ein. Auf noch immer viel zu kurz. Im Moment sind es vor allem Schulbuch- tollerunterricht.com bloggt sie über verlage und private Initiativen, die Seminarangebote machen. Viele digitales Lernen und Lehren, außer- motivierte Lehrkräfte vernetzen sich auch bei Twitter oder Instagram dem gibt sie ihr Wissen in Workshops unter den Hashtags #twitterlehrerzimmer und #instalehrerzimmer an andere Lehrkräfte weiter. und coachen sich in Mikrofortbildungen gegenseitig. Wie man die Technik richtig benutzt, kann jeder für sich selbst herausfinden. Viel wichtiger sind aus meiner Sicht die richtigen didaktischen und pädagogischen Konzepte. Leider passiert da an den Hochschulen noch viel zu wenig. FOTO: PRIVAT
12 G a m i ng Versierte Daddler haben ihre 1 W HRNEHM NG so getrimmt, dass sie W I C H T I G E S von U N W I C H T I G E M unterscheiden können. Was ablenkt, blenden sie weg. So sind sie konzentrierter und besser in der Lage, schnell von einer Aufgabe zu einer anderen zu wechseln. Spiel doch! Zocken macht dumm und aggressiv. Dachte man. Inzwischen hat die Forschung mit vielen Vorurteilen über Videospiele aufgeräumt: sieben Dinge, bei denen Gamer besser abschneiden als Nichtgamer. Die meisten Computerspiele wirken auf unser Gehirn wie tatsächliche Bewegung: 2 Sie trainieren unser RÄUMLICHES Gute Feinmotorik und die Koordination von UND VORSTELLUNGS - A H U A VERMÖGEN. E G sind die N D Grundlage Wer regelmäßig spielt, kann sich daher oft jedes Videospiels. besser orientieren und vorstellen, Beides ist bei Gamern wie selbst kmp|3x3 Objekte nach einer besser ausgeprägt Drehung aussehen würden. als bei Altersgenossen, die nicht regelmäßig einen Controller 3 in der Hand halten.
13 4 Viele erfolgreiche Spiele sind Mehrspieler-Games. 5 Die Spieler müssen Gewalttätige Videospiele können aggressive Reaktionen miteinander kommunizieren, verstärken. Wer hingegen prosoziale Games spielt, in eine gemeinsame denen es inhaltlich ums Retten oder Helfen geht, verhält sich auch im Alltag fürsorglicher, zeigt mehr C HAFT ZIVIL CO ITS URA R E G E E B S -- L F entwickeln, zusammenhalten und - I sich gegenseitig unterstützen. - H - So lernen sie, wie ein Team mit unterschiedlichen Fähigkeiten am besten ans Z I E L kommt. Wer Zeit am Computer oder 7 an der Konsole verbringt, kann oft gut Englisch. Zum einen wird in Onlinespielen vornehmlich auf Zocken über Computer, Konsole oder Smartphone kann frustrierend sein. Immer wieder sc he it er t man. ENGLISCH Oft reichen die Fähigkeiten noch nicht aus, manchmal ist es noch nicht die richtige Taktik. Das spornt echte Gamer an . Sie wollen kommuniziert. Zum anderen stellen viele 6 Gamer Englisch als Spielsprache ein, weil es auf Englisch mehr Tipps und Tricks im Internet gibt. lösen, nicht ihnen ausweichen. Auch die Telekom-Stiftung hat ein Game entwickelt. Mit „Facts & Fakes“ können Jugendliche lernen, Desinfor- mation im Netz zu entlarven. Quellen: Association for Educational Communications & Technology, Association for Psychological Science, Bundeszentrale für politische Bildung, National Library of Medicine, Wolf Stertkamp („Sprache und Kommu- www.factsandfakes.de nikation in Online-Computerspielen“), University of Toronto, www.sciencedirect.com
14 Berufswelt F BERU NFTS ZUKU al at ion E duc log ist n o Te c h »Wenn es keinen Weg gibt, schaffe ich einen.« Protokolle: MAX GEHRY alle Werkzeuge, Methoden und Verfahren ansehen sollen. Analoge, digitale. Und wenn sich aus dem Verfügbaren Ellen Hannah Schmidt, 25 Jahre, ist Studie kein Weg ergibt, dann schaffe ich einen. Aber es muss um rende im Masterstudiengang Educational die Frage gehen, was nützt – nicht darum, im Jubel über Technology an der Universität des Saarlandes. die digitalen Möglichkeiten irgendwas zu machen, nur weil es geht. Das habe ich in den Vorlesungen schnell be- griffen. Smartboards in der Schule sind toll; aber sie sind Was ich studiere, muss ich immer erklären, „Educational nicht automatisch besser als Kreidetafeln. Durch Smart- Technology“ kennt ja kaum jemand. Ich sage dann: Stellen boards ändert sich erst mal nur die Darbietungsform, noch Sie sich viele Kreise vor, die sich teilweise überlappen. An nicht der Inhalt. Lasse ich damit reproduzierbares, planba- einem steht Informatik, an einem Pädagogik, an den an- res, wiederholbares Wissen pauken, sind sie schlicht eine deren: Anthropologie, Linguistik, Soziologie, Psychologie, sehr teure digitale Kopie von etwas Analogem. Wem, abge- Semiotik, Neurobiologie, Ökonomie, Philosophie. Die Flä- sehen von denjenigen, die die Geräte verkaufen, nützt das? che, in der sich das alles überschneidet, das ist Educational Technology, kurz EdTech, manche sagen auch EduTech. Es hilft also nichts, Schulen mit Tablets, Robotern und 3-D-Druckern aufzurüsten, im Übrigen aber alles beim Als Bildungstechnologin frage ich mich, vereinfacht Alten zu belassen. Darin liegt für mich die transformato- gesagt: Wie kann ich dafür sorgen, dass Lernende besser rische Kraft der Digitalisierung: dass sie Anlass ist, das lernen und Lehrende besser lehren. Besser – das heißt Bildungssystem für eine zeitgemäße Bildung umzukrem- besser als bisher. Allerdings geht es dabei, das wird einem peln. Wenn ich mir anschaue, wie das in anderen Ländern beim Studium in Saarbrücken schnell klar, nicht nur um läuft, habe ich den Eindruck, dass wir uns in Deutschland den Einsatz von Technologie. Wenn mich eine Schule sehr davor scheuen, Fehler zu machen. Wer Neues will, anheuern würde, um ein Format zu entwickeln, damit muss jedoch experimentieren, probieren. Auch wenn mal eine bestimmte Gruppe von Schülern etwas Bestimmtes was danebengeht. Aus Fehlern werden Fragen, aus Fragen lernt, dann kommen da sicher nicht drei Wochen Frontal wird Veränderung. So geht Lernen. Dazu müssen auch unterricht heraus. Aber auch nicht, dass das nur mit einem Ministerialbeamte, Schulleiter oder Lehrer bereit sein. eigens dafür programmierten Computerspiel und VR- Brillen geht. Im Studium wird uns vermittelt, dass wir uns
15 »Ich muss eine Art Digital- Influencerin sein.« Illustrationen: JAN STEINS Estnisch heißt: technologiebasierte Formen des Lernens zu entwickeln, zu nutzen, zu verwalten und zu bewerten. Riina Leppmaa, Jahrgang 1979, ist Mathe- Dafür habe ich neben meiner Arbeit hier an der Schule matiklehrerin und Bildungstechnologin am zwei Jahre lang an der Universität Tallinn Bildungstech- Tallinna Saksa Gümnaasium in Estland. nologie studiert. Dabei ging es immer um die Frage, was Kinder lernen sollen und wie das am besten geht: das Lernen und das Lehren. Technologie ist zwar nicht gleich- Jede Fliege hat sechs Beine, jede Spinne acht. Zusammen bedeutend mit Digitalem. Tatsächlich geht es in meiner haben zwei Fliegen und zwei Spinnen so viele Beine wie Arbeit aber ausschließlich um Geräte, Plattformen, Tools, x Katzen. Das ist eine Aufgabe zum Kopfrechnen, wie ich Apps. Was nützlich scheint, probieren wir aus. Was sich sie in meiner siebten Klasse manchmal am Anfang einer nicht bewährt, fliegt wieder raus. Was etwas bringt, führen Mathestunde stelle – als Aufwärmübung. Dann gebe ich wir ein. Antworten vor: „Wer denkt, es sind sechs Katzen? Sieben? Und wer sagt, es sind neun?“ Dazwischen mache ich kur- Dabei muss ich für andere Lehrkräfte fast so eine Art ze Pausen. Wer meint, das war die richtige Antwort, hält Digital-Influencerin sein. Denn die Digitalisierung ver- ein Kärtchen mit seinem persönlichen QR-Code hoch. schafft uns zwar mehr Möglichkeiten. Und die verbreiten Währenddessen schwenke ich mit der Kamera meines sich ziemlich schnell, weil in Estland jede Schule einen Smartphones durch das Klassenzimmer. Hinter mir, auf „Haridustehnoloog“ hat. Aber klar ist auch, dass nicht einer Leinwand, wird dann angezeigt, wer falsch oder alle Lehrkräfte von den neuen Möglichkeiten immer nur richtig lag. Wenn ich später die Stunde auswerte, sehe ich begeistert sind. Da komme ich ins Spiel. Ich höre zu. anhand der Statistik, wen ich mehr fördern und wen ich Gehe auf Unsicherheiten ein. Räume Bedenken aus. Zei- stärker fordern muss. ge. Erkläre. Dafür ist es gut, dass ich selbst Lehrerin bin, auch wenn der Mathematikunterricht nur noch ungefähr Spielerei, sagen jetzt vielleicht einige. Aber das ist ja nur 15 Prozent meiner Arbeit ausmacht. ein Beispiel dafür, wie selbstverständlich wir in Estland digitale Instrumente quer durch alle Fächer in den Un- terricht eingebaut haben. Denn das ist meine Aufgabe als Bildungstechnologin oder „Haridustehnoloog“, wie es auf
16 Kü ns t l i che Int e l l i g e nz Smarte Schule?
17 Künstliche Intelligenz könnte Schülern das Lernen erleichtern und Lehrkräfte entlasten. Doch es gibt auch Zweifel an der Technologie. Text: DANIEL SCHWITZER Fotos: MICHAEL BADER Irgendwann, kurz vor Ende der Stunde, hat Vanessa ge- nug von der triezenden Maschine. „Frau Schröder, das Tablet ärgert mich“, ruft die 15-Jährige leicht genervt und Rhapsode stammt vom dänisch-amerikanischen Unter- blickt von ihrem Tisch auf. „Ich krieg’ die gleiche Frage nehmen Area9. Der Clou an der Software: Dank künst- jetzt schon zum fünften Mal!“ Das iPad vor ihr zeigt drei licher Intelligenz (KI) passt sie sich automatisch an altmodische Ziffernblätter an. Auf jedem ist ein anderes Lernstand und -tempo der Nutzer an. Anwendungen wie Tortenstück rot hervorgehoben: von fünf nach bis viertel diese werden in Fachkreisen adaptive tutorielle Systeme nach, von halb bis zwanzig vor, von zehn vor bis halb. genannt. Sie imitieren gewissermaßen das menschli- Und Vanessa soll die Stücke nun in Minuten übersetzen. che Gehirn, indem sie die Eingaben von Lernenden mit Leonie neben ihr hat unterdessen schon alle Aufgaben einem hinterlegten Regelwerk abgleichen und daraus gelöst und weiß nicht so recht, wohin mit ihrer Energie. Schlüsse ziehen. Stellt Rhapsode wie gerade bei Vanessa Genauso wie Yannik, zwei Reihen dahinter. „Gönn dir fest, dass ein Thema noch nicht verstanden wurde, bietet eine kurze Pause! Pausen sind wichtig, um Gelerntes zu das Programm ihr so lange Hilfestellung und vergleich- festigen“, liest ihm sein iPad über Kopfhörer vor. Doch bare Aufgaben dazu an, bis sie das Lernziel erreicht hat. der Schlaks schaut lieber seiner Sitznachbarin Angelina Umgekehrt dürfen Schüler, die schneller begreifen, auch über die Schulter, die schon mit dem nächsten Lernziel mal ein paar Aufgaben auslassen. So wandelt am Ende begonnen hat. jedes Kind auf seinem ganz eigenen Lernpfad, den die Lehrkraft in Echtzeit in einem Diagnose-Tool nachvoll- Die Oberstufenklasse 3 der Sine-Cura-Schule in Quedlin- ziehen kann. Schulleiterin Birgit Schröder überzeugt das. burg übt heute Vormittag, die Uhr zu lesen und Zeiträume „Das System motiviert die Kinder mit viel positivem Feed- zu bestimmen. Lektionen wie diese gehören hier, wo back. Und mir hilft es, weil ich immer genau im Blick ausschließlich Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf habe, wer gerade wo steht.“ Schröder ist sich sicher: in der geistigen Entwicklung lernen, mit dazu. Wer die „KI hat das Zeug, Schule zu verändern.“ Schule irgendwann verlässt, soll seinen Alltag möglichst selbstbestimmt meistern können. Die größte Herausfor- derung: Weil die Schüler kognitiv unterschiedlich stark beeinträchtigt sind, braucht eigentlich jedes Kind seinen eigenen Unterricht. „Lernen im Gleichschritt macht hier keinen Sinn, das wissen wir schon ganz lange“, sagt Birgit Schröder, die die Schule seit 2007 leitet. Umso wichtiger, dass Schröders Kollegium viel Mühe darauf verwendet, den Schulstoff zu individualisieren. Dabei unterstützt das Team seit Kurzem auch ein neuer Kollege, ein ziemlich smarter sogar. Gestatten: Rhapsode, der digitale Tutor. Individuelle Förderung per Tablet: Lernen im Gleich- schritt macht an der Sine-Cura-Schule keinen Sinn.
18 Kü ns t l i che Int e l l i g e nz Das sieht auch der Informatik-Professor Niels Pinkwart so, der am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche » KI hat das Intelligenz (DFKI) in Berlin das Labor für Bildungstech- nologie leitet. Ob das Navi im Auto, die Sprachassistentin im Handy oder der Empfehlungs-Algorithmus auf Shop- pingportalen – KI habe längst Einzug in sämtliche Berei- che unseres Lebens gehalten. „Da wird Schule langfristig Zeug, Schule zu keine Ausnahme bleiben“, so Pinkwart. Noch allerdings überwiegt im Bildungsbereich die Skepsis, wie eine Studie des mmb-Instituts für die Telekom-Stiftung ergeben hat, verändern.« an der auch Pinkwart beteiligt war. So haben sich hier- Birgit Schröder zulande bislang erst wenige KI-gestützte Anwendungen in Schulen etabliert. Und das, obwohl die Technologie auch die Lehrer massiv entlasten könnte. Man stelle sich vor, Klassenarbeiten würden künftig in Windeseile von einer KI korrigiert und benotet – natürlich zu 100 Prozent rina Zweig. Die Informatikprofessorin erforscht an der objektiv. Wobei: Bräuchte es dann überhaupt noch Lehr Technischen Universität Kaiserslautern, wie Digitalität kräfte aus Fleisch und Blut? unsere Gesellschaft verändert. Vieles im Bereich der KI sei noch Grundlagenforschung. „Künstliche Intelligenz ist „An den meisten Schulen gibt es heute nicht mal schnelles heute jedenfalls nicht in der Lage, einen Deutschaufsatz WLAN. Trotzdem beschäftigen wir uns immerzu mit den anhand der Kriterien zu beurteilen, die ein Mensch anle- tollsten technologischen Visionen“, wundert sich Katha- gen würde: Sprachbeherrschung, argumentative Konsis- tenz, kreative Ideen“, so Zweig. Stattdessen stütze sich die Maschine auf Hilfsmaße, untersuche den Text zum Beispiel auf bestimmte wünschenswerte Schlüsselbegriffe Diagnose in Echtzeit: Schulleiterin Birgit und Wortarten. „Damit schafft sie es vielleicht tatsächlich, Schröder überprüft den Lernstand der Klasse. die Note relativ gut vorherzusagen; sie misst aber nicht das, was sie eigentlich messen sollte.“ Hinzu komme bei lernenden KI-Verfahren im Unterschied zu regelbasierten Systemen das Problem der „algorith- mischen Voreingenommenheit“, erklärt Niels Pinkwart vom DFKI. Werde solch eine lernende KI mit massenhaft Trainingsdaten gefüttert, in denen jedoch eine bestimm- te Personengruppe unterrepräsentiert sei, zum Beispiel Schüler mit Rechtschreibschwäche, so sei das System für diese Gruppe später ungeeignet. Informatikerin Kathari- na Zweig plädiert dafür, Anwendungen erst dann für den Unterricht zuzulassen, wenn deren Nutzen hinreichend wissenschaftlich belegt ist. Einstweilen solle Schule auf etablierte KI aus anderen Lebensbereichen zurückgrei- fen, zum Beispiel Sprachassistenten oder Übersetzungs software: „Damit könnten wir im Unterricht heute schon jede Menge Inklusion schaffen, insbesondere für Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.“ Fragt man Christophe Speroni, ob er Lehrerjobs ver nichten will, zeigt der EdTech-Unternehmer nur ein müdes Lächeln. Speroni ist Mitgründer des adaptiven Mathematik-Lernsystems Bettermarks, das inzwischen an über 3.000 Schulen bundesweit läuft und mehr als
19 Schülerinnen Vanessa (l.) und Leonie: Das System motiviert mit viel positivem Feedback. erfassten Lerndaten der Schülerinnen und Schüler jeden Tag ein bisschen schlauer wird, bestreitet der Wirtschafts- informatiker aber nicht. Daten, die das Unternehmen gezielt nutzt, um die Software weiterzuentwickeln: „Wir 300.000 Schülern hilft, ihre Ängste vor dem Problemfach können zum Beispiel anhand von KI-gestützten Analysen zu überwinden. „Die Lehrkraft bleibt trotzdem die zen- erkennen, warum manche Schulklassen mit Bettermarks trale Figur im Unterricht. Lernen ist ja auch ein sozialer erfolgreicher lernen als andere.“ Datenschutzrechtliche Prozess“, betont Speroni. Bettermarks fungiere dabei eher oder ethische Bedenken, die in Deutschland beim Thema als digitaler Co-Trainer, der seine Augen überall habe, KI gerne angeführt werden, verneint Speroni. Schließlich dadurch mathematische Fehlvorstellungen bei Schülern speichere sein System keine personenbezogenen Daten viel schneller erkennen und mit didaktisch sinnvollen der Lernenden. Der viel zitierte gläserne Schüler – hierzu- Rückmeldungen auflösen könne. „Der Lehrer bemerkt lande scheint er also vorerst noch weit weg. Fehlvorstellungen oft erst, wenn er Klassenarbeiten korri- giert. Dann ist es aber zu spät.“ Anderswo hingegen ist er längst Realität. In China beispielsweise wird bereits mit intelligenten Systemen Von KI spricht Christophe Speroni im Zusammenhang experimentiert, die die Mimik der Schüler analysieren, um mit Bettermarks trotz dessen smarten Fähigkeiten eher festzustellen, ob diese dem Unterrichtsgeschehen auch ungern. Schließlich beruhten die 2.800 hinterlegten Fehl- aufmerksam folgen. Unkonzentriertheiten oder Störun- konzepte auf didaktischer Expertise, sprich: auf menschli- gen werden sofort ans Lehrerpult gemeldet. – So weit cher Intelligenz. Dass das System durch die Unmengen an wird es bei uns nicht kommen, da sind sich Experten wie Speroni, Niels Pinkwart und Katharina Zweig einig. Auch an der Sine-Cura-Schule will man von solchen Dystopien nichts wissen. Im Gegenteil, Leiterin Birgit Schröder ist stolz darauf, dass ihre Schule zur digitalen Avantgarde zählt. Zwar wird Rhapsode dort bislang nur im Rahmen Die Studie „KI@Bildung“, an der Niels Pinkwart eines Testlaufs eingesetzt. Schröder hofft indes, dass sie mitgearbeitet hat, findet sich im Netz unter das System bald auch regulär wird nutzen können. „Das www.telekom-stiftung.de/ki Tolle ist: Die Kinder merken nicht mal, dass sie lernen, wenn sie damit arbeiten.“ Etwas Besseres lässt sich über einen digitalen Tutor doch wohl kaum sagen.
20 Au ßer s chu l i s che L e r no r t e »Eine Ronny Lehmann, Stadtbibliothek Gotha große Prof. Dr. Sabiha Ghellal, Hochschule der Medien, Stuttgart
21 Jonas Bücker, Kinder- und Jugendzentrum GOT, Köln FOTOS: MICHAEL BADER, MARCEL KUSCH, WOLFRAM SCHEIBLE Aufgabe« Virtuelle Tierwelten erforschen, an Robotern tüfteln oder Videos produzieren: Außerschulische Lernorte leisten wichtige digitale Bildungsarbeit. Wie klappt es? Wir haben mit drei Vertretern der Szene gesprochen. Inter view: DANIELA ALBAT
22 Au ßer s chu l i s che L e r no r t e Bei den Museen hat sich in dieser Zeit ebenfalls etwas getan, Frau Ghellal. »Wir haben Sabiha Ghellal: Genau. Dadurch, dass sie geschlossen waren, muss- stark auf ten sich die Museen Gedanken über Ronny Lehmann: Wir bemerken bei alternative Zugänge machen. Viele uns in der Tat, dass solche Angebote haben das auch erfolgreich getan: Da eine gewisse Klientel-Wanderung be- Interaktion gab es virtuelle Führungen, span- nende Videos – oder Spiele-Apps wie wirken. Unabhängig von Corona ist das Bedeutendste in diesem Zusam- gesetzt.« NatureWorld. NatureWorld? menhang die im September eröffnete Robothek. Dort können Interessierte zu Robotik-Themen forschen, mit Jonas Bücker Robotern spielen und programmie- Sabiha Ghellal: Das ist eine Smart- ren lernen. Dass Bibliotheken ver- phone-App des Naturkundemuseums mehrt MINT-Themen aufgreifen und Stuttgart, die vom Land Baden-Würt- zum Beispiel MakerSpaces aufbauen, temberg im Rahmen des Programms ist ein Trend. Zu den Büchern kommt Corona hat vieles verändert. Auch die „Digitale Wege ins Museum“ geför- Neues hinzu, das gesellschaftlich digitale Bildungsarbeit im Jugend dert wurde: Kinder können mit der relevant ist. zentrum, Herr Bücker? App eine Entdeckungsreise durchs Museum und den angrenzenden Wie erleben Sie das, Herr Bücker? Jonas Bücker: Wir haben bereits vor Rosensteinpark unternehmen. Dabei der Pandemie einen starken Fokus gibt es Elemente, die vor, während Jonas Bücker: Über unsere Aktivitä- auf digitale Medienarbeit gelegt. und nach dem Museumsbesuch spiel- ten im Netz haben uns Kinder und Dabei ging es viel darum, mit jungen bar sind – in Corona-Zeiten war das Jugendliche gefunden, die sonst nicht Menschen gemeinsam etwas zu natürlich ein Gewinn. Wir von der zu uns kommen. Das waren aber vor gestalten – sei es im Tonstudio oder Hochschule der Medien haben die allem sozial Privilegierte. Denn wir in der Schneidewerkstatt. Während Entwicklung der App wissenschaft- haben sehr ungleiche Teilhabemög- Corona hat sich das gewandelt. Auf lich begleitet. In diesem Prozess lichkeiten im Digitalen. Ungefähr einmal konnten wir nicht mehr im haben wir sie immer wieder von 40 Prozent unserer Besucher leben direkten Kontakt mit den Jugendli- Kindern testen lassen und mithilfe in Unterkünften für junge Geflüch- chen arbeiten. Wir haben versucht, ihres Feedbacks angepasst. tete. Dort gibt es in der Regel kein das zu kompensieren, indem wir WLAN und oft keine Rückzugsmög- stark auf Interaktion gesetzt haben: Ist das Digitale eine Chance, neue lichkeiten. Sprich: Die Jugendlichen Zum Beispiel haben wir zusammen Zielgruppen zu erreichen? hatten während des Lockdowns online gespielt oder digital Graffitis kaum Gelegenheit, unsere Ange- skizziert. Sabiha Ghellal: Digitale Angebote bote zu nutzen. Sie haben ganz oft sollen die Auseinandersetzung mit gefragt: Wann macht ihr wieder Ronny Lehmann: Auch bei uns in den Exponaten vor Ort nicht ersetzen. auf ? der Stadtbibliothek Gotha gab es Sie bieten aber einen zusätzlichen, schon vor Corona eine Vielzahl von anderen Zugang. Und dieser Zugang Die Leute digital abzuholen, ist also an Angeboten rund ums Digitale – von kann zum Beispiel eine jüngere Ziel- der Infrastruktur gescheitert? der OnLeihe, über die man digita- gruppe natürlich neugieriger machen le Bücher ausleihen kann, bis hin und ihr helfen, den Weg ins Museum Jonas Bücker: Genau. Da geht es zur Cybermobbing-Prävention, die zu finden. nicht unbedingt um Medienkompe- wir für Schulklassen veranstalten. tenz: Selbst wenn die Jugendlichen Dennoch haben sich einige Bereiche diese Kompetenzen gehabt hätten, durch die Pandemie noch mal stärker hätte sie das nicht ins Internet ge- digitalisiert. bracht. Das Hauptproblem ist meiner Meinung nach eine strukturelle Ungleichheit.
23 In welcher Rolle sehen Sie hier die Museen, Frau Ghellal? Ronny Lehmann: Das kann ich Sabiha Ghellal: Auch Museen bieten bestätigen. Schon vor Corona haben die Chance, mit bestimmten Tech- viele bei uns das kostenlose WLAN nologien in Berührung zu kommen. genutzt, weil die Strukturen woan- Die Hauptaufgabe von zum Beispiel ders, etwa zu Hause, nicht vorhanden einem Naturkundemuseum bleibt es waren. Was das angeht, so ist meiner aber, naturwissenschaftliche Infor- Erfahrung nach auch nicht wirklich mationen zu vermitteln. Digitale viel passiert im letzten Jahr. Es gibt Kompetenzen auszubilden, sehe noch immer viele Defizite bei der ich eher als Nebeneffekt an. Es gibt Digitalisierung. tolle Beispiele wie das Badische Landesmuseum Karlsruhe oder das Auch Schulen wird hier Nachholbedarf Humboldt-Forum Berlin, die machen nachgesagt. Wie wichtig sind daher extrem viel, was Digitalisierung und außerschulische Lernorte, um Kinder die Vermittlung digitaler Fähigkeiten und Jugendliche ans Digitale heranzu- angeht. Aber für viele Häuser ist es führen? auch schon eine Herausforderung, Jonas Bücker sich zu digitalisieren, ohne dass Ronny Lehmann: Wir haben durch- dieser Bildungsauftrag hinzukommt. arbeitet im Kinder- und Jugendzentrum GOT aus den Anspruch, Kinder fit für die Schulen haben da ein ähnliches Elsaßstraße in Köln, das im Rahmen der Zukunft zu machen – digitale und Problem: Die Deutschlehrerin kennt Initiative „Ich kann was!“ auch schon von technische Inhalte spielen hierbei sich nicht unbedingt mit digitalen der Telekom-Stiftung unterstützt worden ist. natürlich eine Rolle. Unser Vorteil als Endgeräten aus. Als pädagogische Fachkraft will er für junge außerschulischer Lernort ist, dass Menschen aus dem Viertel Räume schaffen, in wir spielerischer an Dinge herange- Was muss sich an außerschulischen denen sie sich sicher fühlen, neue Dinge aus- hen können, ohne Notendruck im Lernorten ändern, um das Potenzial probieren und sich weiterentwickeln können. Hinterkopf. Bei uns geht es darum, digitaler Angebote noch stärker zu Digitales gehört da ganz selbstverständlich etwas auszuprobieren oder einfach nutzen? dazu, aber am liebsten vor Ort – zum Beispiel Spaß zu haben. Zudem öffnen sich beim gemeinsamen Videodreh oder Spiele- Jugendliche im außerschulischen Sabiha Ghellal: Aus der Initiative „Di- abend. Seine Erfahrung aus der Corona-Zeit: Kontext oft mehr. Das ist zum Bei- gitale Wege ins Museum“ sind bereits Rein digitale Angebote erreichen vor allem spiel wichtig, wenn wir über Themen Digital-Manager hervorgegangen, viele sozial benachteiligte Kinder und Jugend wie Cybermobbing sprechen. die in Museen eingestellt wurden. liche gar nicht. Viele Häuser sind gerade dabei, sich Jonas Bücker: Unser Auftrag ist es, darüber Gedanken zu machen, was die Identitätsentwicklung und die alles digital erlebbar sein soll – und demokratische Bildung zu fördern. wie. Dafür in Zukunft neue Stellen Dafür schaffen wir Räume, in denen auszuschreiben, ist aus meiner Sicht Kinder und Jugendliche neue Erfah- eine gute Idee. rungen sammeln. Digitale Angebote können selbstverständlich ein Raum Unter dem Motto „Kompetenzen für für diese Bildungsprozesse sein. Und die digitale Welt“ fördert die Telekom- wie Herr Lehmann bereits richtig Stiftung im Projekt „Ich kann was!“ gesagt hat: Oft ist der Umgang dann Vorhaben, die einen kreativen und zu- freier und ungezwungener als in der gleich kritischen Umgang mit Medien Schule. und der digitalen Welt fördern. www.telekom-stiftung.de/ikw
24 Au ßer s chu l i s che L e r no r t e Haben Sie schon konkrete Pläne für neue Digital-Projekte? Jonas Bücker: Ja, einen digitalen Bus. Der soll dahin kommen, wo Ronny Lehmann: Die Qualifizierung kein Jugendzentrum ist, und jungen der Mitarbeiter ist wirklich wichtig. Menschen einen niedrigschwelligen Wir sind ein sehr gemischtes Team Zugang bieten: unter anderem mit und verjüngen uns gerade. Man WLAN-Hotspot, mobilem Tonstudio merkt, dass viele der neuen Ange- und Spielekonsolen. Hierfür hoffen stellten ganz anders mit digitalen wir auf Fördergelder. Ansonsten Medien umgehen – und digitale The- möchten wir gerne die Projekte wei- men besser vermitteln können. ter ausbauen, mit denen wir schon gute Erfahrungen gesammelt haben. Jonas Bücker: Wir haben das Glück, Selber etwas mit Medien und Technik dass wir ein relativ junges Team sind. zu schaffen, wird dabei weiterhin im Alle bringen eine Affinität für das Di- Fokus stehen. Die Jugendlichen sol- gitale mit. Das war in der Vergangen- len nicht nur konsumieren, sondern heit schon immer hilfreich und wäh- die Rolle des Produzierenden ein- rend Corona erst recht. Allerdings nehmen, sich aktiv mit dem Thema wird uns zunehmend klar: Digitales auseinandersetzen. Arbeiten ist ein Prozess, in dem ich Sabiha Ghellal mich ständig fortbilden muss. Ge- Ronny Lehmann: Eigenständig und fühlt haben wir beispielsweise jedes kompetent mit Technik umzugehen, ist Professorin für Experience und Game De- Jahr neue relevante Plattformen, die das wollen wir Kindern und Jugend- sign an der Hochschule der Medien Stuttgart. wir kennen müssen – um auf dem lichen auch mit unserer Robothek Im Rahmen der Initiative „Digitale Wege ins Laufenden zu bleiben und mit der ermöglichen. Damit werden wir in Museum“ hat sie digitale Museumserlebnisse Jugend mitreden zu können. der nächsten Zeit hoffentlich richtig mitgestaltet und getestet. Dabei entstanden durchstarten. Gerade ist ein huma- unter anderem die App NatureWorld in Zu- noider Roboter in der Bibliothek sammenarbeit mit dem Naturkundemuseum eingezogen: der Nao. Stuttgart sowie der „Raum 14“ der Staatsga- lerie Stuttgart. Dort können Besucher mithilfe Holen Sie sich für Ihre Zukunftspläne künstlicher Intelligenz ihre Lieblingskunst auch mal Inspiration aus dem Ausland? finden oder sich mit dem Virtual-Reality-Spiel „Art Hunters“ auf eine spannende Spuren suche im Kunstarchiv begeben. »Jedes Ronny Lehmann: Auf jeden Fall. Es ist immer hilfreich zu schauen, was Museum andere machen. Meine Chefin war zuletzt zum Beispiel in der Biblio- muss seinen thek Aarhus in Dänemark. Die ist ein Bürgertreffpunkt für alle, mit 3-D- Druckern, Tonstudios, Spielflächen eigenen Weg und innovativen Veranstaltungskon- zepten. Doch Austausch ist auch er- finden.« strebenswert im eigenen Bundesland, man muss nicht immer weit reisen. Sabiha Ghellal
25 »Wir Jonas Bücker: Ich habe gar nicht so einen intensiven Blick ins Ausland. müssen Ich interessiere mich aber für die Her- kunftsländer unserer Besucher. Dort langfristig haben wir leider oft eine noch viel schlechtere technische Ausstattung als in Deutschland. Der Anspruch denken.« muss aber natürlich sein, sich an de- Ronny Lehmann nen zu orientieren, die weiter sind. Sabiha Ghellal: Sich Anregung aus dem Ausland zu holen, ist auch für Museen immer gut – ob durch Vor-Ort-Besuche oder im Rahmen von Konferenzen. Es gibt spannende Ronny Lehmann: Auch wir als Ansätze, zum Beispiel in Frank- Bibliothek müssen uns fragen, was reich, Australien oder den Nieder- kann Digitalisierung leisten und was landen, wo künstliche Intelligenz nicht? Wir haben längst den Schritt oder Projection Mapping – also die vom reinen Ausleihgeschäft zum Ort Projizierung von Bildern auf dreidi- der Begegnung vollzogen. Unsere Ronny Lehmann mensionale Objekte – zum Einsatz Besucher fordern den persönlichen kommen. Nicht immer lassen sich Kontakt vor Ort ein und fragen neben ist Bildungskoordinator in der Stadtbibliothek solche Konzepte jedoch eins zu eins digitalen auch analoge Angebote Gotha und kümmert sich auch um Angebote woanders umsetzen. Letztendlich nach. Da, wo wir Digitalisierung für Kinder und Jugendliche – von der Kinder- muss jedes Museum seinen eigenen einsetzen, wollen wir sie richtig Uni bis zur Gaming-Zone mit Playstation. Denn Weg finden. machen. Das heißt: Wir müssen Geld Bibliotheken sind längst nicht mehr nur zum in die Hand nehmen und langfristig Bücherausleihen da. Für den erfolgreichen Das ist gar nicht so leicht, oder? denken. Einsatz digitaler Bildungsangebote wurde die Stadtbibliothek Gotha als „Bibliothek des Jah- Sabiha Ghellal: Sowohl Museen als Jonas Bücker: Begegnung ist ein res 2020 in kleinen Kommunen und Regionen“ auch Schulen haben mit der Digi- gutes Stichwort: Digitale Angebote ausgezeichnet. Die Telekom-Stiftung vergibt talisierung eine große Aufgabe vor werden künftig eine immer größere diese Auszeichnung zusammen mit dem sich. Für Museen ist hier die An- Rolle spielen – und einen Rahmen Deutschen Bibliotheksverband. Mithilfe des wendungsforschung ganz wichtig. bieten, in dem wir uns begegnen Preisgeldes entstand die Robothek, ein ganz Sie müssen testen, was funktioniert können. So viel ist klar. Entscheidend neuer Bereich rund um das Thema Robotik. und bei den Besuchern ankommt. ist aber die Begegnung. Entscheidend Manches ist auch eine konzeptionelle ist, dass wir zusammen in eine Inter- Frage: Möchte ich zum Beispiel als aktion kommen. Und dafür brauchen Kunstmuseum, dass Besucher digital wir – zumindest in der Jugendarbeit – durch ein Bild laufen und damit Teil einen gemeinsamen Treffpunkt in des Kunstwerks werden? Oder ist das der realen Welt. Die Telekom-Stiftung unterstützt die eine Trivialisierung, die ich an dieser Auszeichnung „Bibliothek des Jahres“ Stelle nicht will? All das herauszufin- seit 2017. Zum zweiten Mal wurde in den, ist ein spannender Prozess. Zum diesem Jahr auch die Auszeichnung Glück gibt es immer mehr Förde- „Bibliothek des Jahres in kleinen rungen, um Museen finanziell auf Kommunen und Regionen“ verliehen. diesem Weg zu unterstützen. www.telekom-stiftung.de/bibliothek
26 Gastbeitrag
27 »Es gibt keinen QR-Code für Wertschätzung.« Im Klassenzimmer hat das digitale Zeitalter begonnen. Wie läuft’s? Eine Bestandsaufnahme von Comedian und Deutschlehrer Johannes Schröder alias „Herr Schröder“. Illustrationen: DIANA KÖHNE Aber auch für die Schülerinnen und Schüler hat das alles ja nicht aus- Wissen Sie, wie spät es ist? Der Zei- schließlich Vorteile. Je perfekter ein hin ist. Erasmus in Chile? Ein freiwil- ger der Smartwatch steht auf „digita- System wird, desto weniger Schlupf- liges soziales Jahr? Verwickelt in den les Zeitalter“. Kreidezeit vorbei. Das löcher gibt es auch. Wenn sich das Wirecard-Skandal? klassische Kästner-Klassenzimmer Unterrichtsmaterial in der Cloud hat ausgedient. G8 wurde durch 5G befindet, ist zwar dein Ranzen leich- Das haptische Klassenbuch war auf links gedreht und der Overhead- ter, aber du kannst nicht mehr sagen: stets ein unverfälschter Spiegel der projektor steht mit gesenktem Kopf „Ich hab mein Buch nicht dabei.“ Klassengemeinschaft. Das digitale in der Besenkammer. Der Medien- Ein Rechenalgorithmus kann nicht Klassenbuch hingegen ist gläsern, wagen hat Netflix, Disney plus und mal eben Fünfe gerade sein lassen. unromantisch und ohne Rätsel. DAZN. Induktions-Ladestationen im Und wo der Mensch zu einem Avatar 1 oder 0. Kein Zwischen-den-Zeilen- Oberstufenraum. Ein E-Roller-Park- wird, ist der Humanismus nur noch Lesen. Kein Spielraum für ästheti- platz neben den Tischtennisplatten. eine geistige Strömung aus dem sches Lustwandeln. Niemand mag 18. Jahrhundert (Quelle: Wikipedia). den Geruch von Excel-Tabellen. Im Die Schulbücher gibt es als Podcast analogen Urzustand passte sich das und Tausende externe Nachhilfeleh- Lange Zeit konntest du als Lehrer Klassenbuch seiner Umgebung stets rer graben uns Lehrern auf YouTube abwägen: Soll ich jetzt wirklich einen an und erfand sich unter erheblichem das Wasser ab. Videotutorials wie: Klassenbucheintrag darüber vor- Wachstumsschmerz immer wieder „Der Dreisatz in zwei Sätzen“, „Effi nehmen, dass Torben-Manuel sich neu: Eselsohren, Kaffeeflecken und Briest effizient erklärt“ oder „Epic weigert, seinen Helm abzunehmen, Rotwein-Kränze verschmolzen zu Fails of History: Von Issos Keilerei oder dass Jeremy mit Döner-Resten einem impressionistischen Gemälde. bis Prager Fenstersturz“. Da wirkt wirft? Alles im Ermessensbereich Dazu kamen die kosmetischen unsereiner mit seiner Doppelstunde meiner künstlerischen Freiheit. So Eingriffe von Jeremy und Torben- Deutsch natürlich wie ein Waffelei- ein handelsübliches Klassenbuch, Manuel, die versuchten, die dokumen- sen auf einer Thermomix-Party. das war gerne auch mal zwei, drei tierten Verfehlungen zu kaschieren. Wochen verschwunden. Teilweise wusste man über Monate nicht, wo es
28 Gastbeitrag » Die Schule muss der Kratzbaum des FOTOS: ROBERT MASCHKE Lebens sein. « Tipp-Ex-Korrekturen zogen sich wie Kondensstreifen durch den Erwar tungshorizont. Ein erhabener, im- pliziter Metatext, physisch erlebbar Johannes Schröder (47) wie Brailleschrift. Dreidimensional, öffentlich einräumten: „Das Feuer hat zwölf Jahre lang aromatisch und ehrlich. ist für uns alle Neuland.“ Und nun selbst unterrichtet. Als ist das Internet wie ein zweites Feuer „Herr Schröder“ bringt Mir ist bewusst, dass das etwas in unserem Dachstuhl ausgebrochen er seine Schulerfahrung gestrig klingen mag. Immerhin und wir kriegen es kaum gebändigt. auf die Comedy-Bühne – stehen wir gerade an der Schwelle Jetzt heißt es: Stockbrot reinhängen eine humoristische zu einer Zeitenwende. Aber keine und die Garzeit beachten. Form der Selbstvertei Sorge: Bei der Erfindung des Feuers digung, wie er sagt. haben damals auch viele geflucht Und das Unterrichtsfach „Glück“ und sich die Pfoten verbrannt. Der kann da auch nicht die Lösung sein. Topflappen wurde ja erst Jahre später Nebenbei bemerkt, sind die meisten erfunden. Als dann das Feuer-Update Lehrkräfte da ohnehin fachfremd. in Umlauf gebracht werden sollte, Und was kommt als Nächstes? Leis- haben die meisten bestimmt erst mal tungskurs Achtsamkeit? Glück ist, auf „später erinnern“ geklickt. Die was außerhalb der Schule passiert. damaligen sogenannten Quer-Zünd- „Sorry, ich kann heute nicht mit an ler versuchten auch lange, das Feuer den Badesee, ich hab’ noch eine mit Fackeln aus der Stadt zu verjagen. Doppelstunde Glück.“ „Unsere Jugend verblödet! Die Kinder gucken den ganzen Tag nur ins Feuer. Lückentext zum Thema Glück: Heute Danke, Merkel!“ ist ein _ _ _ _ _ _ Tag. Die _ _ _ _ _ scheint. Ich _ _ _ _ _ mein Leben. Irgendwann dämmerte aber auch Was ist dann klausurrelevant? „Nee, dem letzten Höhlenmenschen, dass Justin, du warst heute nicht mit dir im Stockbrot warm einfach besser Reinen, deshalb leider ungenügend.“ schmeckt. Wahrscheinlich war es da- mals auch eher die junge Generation, Reformen dieser Art sind der Ver- die die Chancen des Feuers erkannt such einer Imagekampagne der hat. Mit 280 Rauchzeichen konnten Kultusministerien. Pädagogisches sie untereinander kommunizieren. Greenwashing. „Hey Kids, Goethe ist „Später treffen am Wasserloch. Bring lit!“ Aber: Schule darf niemals cool Shisha mit. CU Sven.“ Gut, dass es werden. Schule darf sich nicht anbie- damals besonnene Politiker gab, die dern. Schule muss der Kratzbaum des Lebens sein und bleiben. Gegenspie- lerprinzip. Wer Rückenschmerzen
29 Eine Gesamtschule in Siegen hat dieses Jahr ihren Schülern zwei Zeugnisse ausgestellt. Ein ganz her- kömmliches mit den Noten 1 bis 6. Das andere befasst sich damit, wie die Corona-Krise individuell gemeistert wurde. Denn das dürfen wir niemals vergessen: Diese Kinder haben eine Ausnahmesituation bewältigt, für die es kein Protokoll gab. Wenn jetzt also öffentlich besprochen wird, ob es sich bei diesen Jahrgängen um eine „verlorene Generation“ handelt und ob der Unterricht nachgeholt werden muss, missachten wir alles, was wäh- hat, muss die Bauchmuskeln trainie- rend Corona gelernt wurde. ren. Ich sage: Raus mit den Glasfa- Instagrammatik serkabeln, rein mit dem Asbest. Je Diese Kinder haben ein Survival- rückschrittlicher die Schule, desto Training bestanden. Mit Machete und Sie wollen mehr von Johannes Schröder größer der Befreiungs-Impuls, der Maus haben sie eine Schneise durch lesen? Auch in seinem neuen Buch die Kinder schließlich ins Leben das dichte Gestrüpp der Corona- „Instagrammatik“ widmet sich der studierte katapultiert. Maßnahmen geschlagen und sich Deutschlehrer und Comedian den Heraus- neue Wege erschlossen. Ohne dass forderungen der Schule von morgen: Was Es ist doch so: Wir sind bemüht, die sie es so nennen würden, haben sie passiert, wenn G8 auf 5G trifft? Warum gibt curriculare Infrastruktur zu optimie- ihr Soft-Skills-Repertoire um zahlrei- es den Link in Bio und nicht in Geschichte? ren, weil es diese eine Stellschraube che Learnings erweitert. Allen voran Und können YouTube-Tutorials wirklich den ist, für die wir das geeignete Werkzeug Selbstorganisation, Durchhaltever- Lehrermangel ausgleichen? Fragen wie zu haben meinen. Aber keine Bil- mögen und ein ungefähres Gefühl diese stellt sich „Herr Schröder“, nachdem dungsreform dieser Welt ersetzt das für globale Zusammenhänge. Gerne die neue Rektorin an seiner Schule ein digi- Gefühl, beim Sport als Erster respek- würde ich ihnen dafür ein eisernes tales Update installiert hat. Schon bald wird tive Letzter gewählt zu werden. Die Verdienstkreuz an den Rucksack er die Vor- und Nachteile des streamenden Corona-Krise und die damit einherge- hängen. Klassenzimmers am eigenen Leib erfahren. henden Schulschließungen haben ver- deutlicht: Der Unterricht – vor allem Aber all den warmen Worten zum digital – ist nur ein homöopathischer Trotz: Wirklich nichts ersetzt das Teilaspekt schulischen Lernens. menschliche Miteinander. Da mag die Datenverbindung noch so gut Das Wesentliche passiert außerhalb sein. Es soll sogar Schüler gegeben des Stundenplans. In den sozialen haben, die nach einer Doppelstunde Lehrstunden des Lebens. Der Weg digitalen Fernunterrichts aus lauter zum Schulbus, das Zettelchen, das Heimweh nach dem Klassenzimmer einem unter der Bank zugesteckt bei sich zu Hause den Stuhl hoch wird, die heimliche Zigarette in der gestellt haben. Fünfminutenpause, die Lehrerin, die ein Auge zudrückt. Diese Erfahrungen sind viel entscheidender als 45 Minu- ten Hybrid-Unterricht. Was nutzt mir Der Text entstand in Zusammenarbeit der Satz des Pythagoras, wenn nie- mit Simon Slomma. mand mit mir spricht? Es gibt keinen QR-Code für Wertschätzung.
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