Neue Zeiten? - Deutsche Telekom Stiftung

Die Seite wird erstellt Hellfried Lorenz
 
WEITER LESEN
Neue Zeiten? - Deutsche Telekom Stiftung
nr.
                                                                                   Diesmal ausgelotet :
                                                                                    Digitales Lernen

                                                     Neue
                                                    Zeiten?
                                                     Zwischen Fortbestand
                                                    und Fortschritt: Bildung
                                                      in Deutschland nach
                                                           der Krise
Das Bildungsmagazin der Deutsche Telekom Stiftung

                                                                    INEM
                                                             MIT E        AG
                                                                   BEITR N
                                                            GAST       E D IA
                                                                    OM
                                                            VON C           DER“
                                                               R R S CHRÖ
                                                           „HE
Neue Zeiten? - Deutsche Telekom Stiftung
Neue Zeiten? - Deutsche Telekom Stiftung
B i l d u ng s w e l t                     3

                            Der kleine Eric
                                              Text: ALEXANDRA TRUDSLEV

                            „Herr Lehrer, heute kommt mein Avatar für mich zum
                         Unterricht.“ Was wie aus einem Science-Fiction-Film klingt,
                      war für Eric Schrödel aus Hessen eine Zeit lang ganz real. Weil der
                       18-Jährige an einer chronischen Erkrankung leidet, musste er in
                      der Pandemie als Risiko-Patient länger zu Hause bleiben als seine
                          Mitschüler. Aber dank eines kleinen Roboters, der ihm im
                        Rahmen einer Testphase zur Verfügung gestellt wurde, konnte
                           Eric trotzdem ganz nah bei seiner Klasse am beruflichen
                        Gymnasium der Johann-Philipp-Reis-Schule in Friedberg sein.
                        „Der kleine Eric“, wie seine Mitschüler den armlosen weißen
                      Avatar AV1 nannten, wurde einfach in die erste Reihe gesetzt und
                       übertrug die Geschehnisse fortan zum großen Eric nach Hause.
                      Dieser steuerte den Avatar, der mit Kamera und Mikrofon ausge-
                          stattet ist, über einen Tablet-PC. So konnte er jederzeit live
                        mit der Klasse interagieren. „Ich war gefühlt mittendrin“, sagt
                           Eric. Sogar Gruppenarbeit war möglich. Und die Lehrer?
                       „Die haben sich alle darauf eingelassen. Dafür bin ich dankbar.“
                           Sein Fazit: „Die persönliche Begegnung ist immer noch
                        am schönsten. Aber wenn innovative Technik soziale Teilhabe
                                     ermöglicht, ist das ein großer Gewinn.“
FOTO: MARTIN LEISSL
Neue Zeiten? - Deutsche Telekom Stiftung
4                                  Di e sm al au sg e l o t e t :   D i g i t a l e s L e rn e n

                » Gerade ist ein                                                         02        Der kleine Eric
                                                                                                   Ein Avatar nimmt für

                Roboter in die                                                                     einen kranken Schüler am
                                                                                                   Unterricht teil.

                   Bibliothek                                                            06        „Es reicht nicht aus, nur
                                                                                                   nachzubessern.“
                 eingezogen. «                                                                     Fünf Experten und ihre
                                                                                                   Meinung: Was läuft gut beim
                                                                                                   digitalen Lernen – und was muss
                     Bildungskoordinator Ronny Lehmann
                                                                                                   besser werden?
                   aus Gotha hat einen neuen Arbeitskollegen.
                                    Seite 20                                             12 Spiel doch!
                                                                                         	Sieben Dinge, bei denen Gamer
                                                                                                   besser abschneiden als Nicht­
                                                                                                   gamer.

                                                                                         14        Zukunftsberuf Educational
      » KI hat das                                                                                 Technologist
                                                                                                   Die eine ist es, die andere
    Zeug, Schule zu                                                                                will es werden: zwei Frauen,

     verändern. «
                                                                                                   die als Bildungstechnologinnen
                                                                                                   das digitale Lehren und Lernen
                                                                                                   an Schulen voranbringen.
       Birgit Schröder von der Sine-
     Cura-Schule in Quedlinburg testet                                                   16        Smarte Schule?
    künstliche Intelligenz im Unterricht.                                                          Über das Für und Wider
                                                                                                   künstlicher Intelligenz im
                 Seite 16
                                                                                                   Unterricht.

                                         »Lernen
                                       zu Hause ist                                                Impressum
                                                                                                   sonar Nr. 10 (Jg. 2021) Herausgeber Deutsche Telekom Stiftung,

                                         Stress. «
                                                                                                   Friedrich-Ebert-Allee 71–77 (Haus 3), 53113 Bonn, Tel. 0228
                                                                                                   181-92021, kontakt@telekom-stiftung.de Verantwortlich für den
                                                                                                   Inhalt Dr. Ekkehard Winter Redaktions­leitung Andrea Servaty,
                                                                                                   Daniel Schwitzer Redaktion, Grafik und Layout SeitenPlan GmbH
                                                                                                   Corporate Publishing, www.seitenplan.com Druck Schmidt, Ley +
                                                                                                   Wiegandt GmbH + Co. KG
                                          Deshalb fordert Sozialpsychologin
                                                                                                   Im Sinne der besseren Lesbarkeit verzichten wir in unseren Texten
                                      Catarina Katzer neue Regeln, damit Kinder                    weitgehend auf geschlechtsdifferenzierende Formulierungen. Die
                                      und Jugendliche psychisch gesund bleiben.                    Begriffe gelten im Sinne der Gleichberechtigung grundsätzlich für
                                                                                                   alle Geschlechter. Wir verfolgen generell einen diskriminierungs­
                                                          Seite 6                                  freien Ansatz. Die verkürzte Sprachform hat daher rein redaktionelle
                                                                                                   Gründe und beinhaltet keine Wertung.

                                                                                                   Titelfoto: Wolfram Scheible
Neue Zeiten? - Deutsche Telekom Stiftung
nr.                                                     5

20     „Eine große Aufgabe“
       Drei Vertreter außerschulischer
       Lernorte sprechen über ihre
       Bildungsarbeit und die Chancen
       der Digitalisierung.

26     „Es gibt keinen QR-Code für
       Wertschätzung.“
       Johannes Schröder ist Deutsch-
       lehrer und als Comedian
       „Herr Schröder“ bekannt. Ein
                                                                           Ed i t o r i a l
       humorvoller Blick darauf, wie
       Schulen immer digitaler werden.

30 	Aus der Stiftung                                     Krisenerprobt?
       Über uns und unsere Projekte.
                                                              Krisen seien Innovationstreiber, heißt
32 	Bildungslücke                                          es ja immer. Aber offenbart sich das auch
       Was ist Mikrolernen?                                in der Schule, einer Institution, die über die
                                                          Zeit vergleichsweise resistent gegenüber dem
                                                          Wandel war? Die Pandemie, so viel steht fest,
                                                            hat den Schulen in puncto Veränderungs­
                                                            bereitschaft einiges abverlangt. Und nicht
                                                           nur ihnen. Auch Lernorte wie ­Bibliotheken,
                                                             Jugendhäuser und Museen mussten ihre
                                                            ­Angebote für junge Menschen quasi über
                                                             Nacht von analog auf digital ummodeln.

                                                                 Wie weit fortgeschritten wir in
                                                            Deutschland nach fast zwei Jahren Corona
                                                             beim digitalen Lehren und Lernen sind
                                                             und welche Schlüsse sich aus der Krise
                                                               für die Bildung der Zukunft ziehen
                                                           lassen – diesen Fragen geht die vorliegende
                                                              Ausgabe unseres Magazins sonar auf
                                                                           den Grund.

                                                                 Lesen Sie doch direkt mal rein!
        »Niemand mag                                        Ich hoffe, der Themenmix gefällt Ihnen.

        den Geruch von
        Excel-Tabellen.«                                                      Ihre
                                                                         Andrea Servaty
                                                                    Leiterin Kommunikation
      Es riecht nach Digitalisierung in deutschen
     Klassenzimmern. Eine Bestandsaufnahme von
              Comedian „Herr Schröder“.
                      Seite 26
Neue Zeiten? - Deutsche Telekom Stiftung
6                               L e r ne n

       »Es reicht
     nicht aus, nur
    nachzubessern.«
     Was läuft aktuell gut beim digitalen Lernen und was
      muss besser werden? Wir haben fünf Experten aus
     Schule und Forschung gefragt. In einem Punkt sind
       sich alle einig: Wenn wir vorankommen wollen,
     braucht es nicht nur gute Technologie, sondern auch
         neue pädagogische Visionen und Konzepte.

                       Protokollier t von: FENJA MENS
Neue Zeiten? - Deutsche Telekom Stiftung
7

                                                              Catarina Katzer
                                                             Sozialpsychologin

                                                                                   Ich finde erschreckend, wie
                                                                                   schlecht das digitale Lernen wäh­
                                                                                   rend der Corona-Zeit vielerorts um-
                                                                                   gesetzt wurde. Zum einen fehlte
                                                                                   ein einheitliches Konzept für den
                                                                                   Unterricht. Jede Lehrkraft hat es
                                                                                   anders gehandhabt: Von der einen
                                                                                   bekamen die Kinder Mails, mit
                                                                                   der anderen durften sie chatten,
                                                                                   dann wurde eine Stunde online
                                                                                   ge­streamt … Dieses digitale
                                                                                   Durch­einander überforderte viele
                                                                                   Schüler. Auch erhöhte das Ler-
                                                                                   nen zu Hause die Stressfaktoren,
                                                                                   denn die fehlende räumliche
                                                                                   Trennung von Privatheit, Freizeit
                                                                                   und schulischem Lernen ist eine
                                                                                   kognitive Herausforderung. Auch
                                                                                   hat sich gezeigt, dass rein digitales
                                                                                   Kommunizieren negative Auswir-
                                                                                   kungen auf Psyche, Gesundheit
                                                                                   und Verhalten haben kann. Darum
                                                                                   ist es wichtig, dass Kinder und
                                                                                   Jugendliche lernen, mit ihrem
                                                                                   digitalen Leben umzugehen. Wir
                                                                    FOTO: PRIVAT

                                                                                   brauchen deshalb neue Lerninhal-
                                                                                   te und Fächerkombinationen. Und
                                                                                   wir müssen uns stärker mit den
                                                                                   psychischen Auswirkungen von
                                                                                   digitalen Tools auseinandersetzen
Catarina Katzer ist promovierte Volkswirtin, Soziologin                            und die Ergebnisse in die Pädago-
und Cyberpsychologin. Sie gilt als internationale Expertin                         gik hineintragen. Welche Regeln
für die fortschreitende Vernetzung von Internettechno-                             braucht es, um wirklich gut digital
logie und künstlicher Intelligenz mit Individuum und                               lernen und arbeiten zu können
Gesellschaft sowie deren Auswirkungen. Sie ist Mitglied                            und dabei psychisch gesund zu
im Kuratorium der Telekom-Stiftung, lebt und arbeitet                              bleiben? Auf diese Fragen müssen
in Köln.                                                                           wir Antworten finden.
Neue Zeiten? - Deutsche Telekom Stiftung
8                                            L e r ne n

    Gut ist, dass der digitale Unterricht
    inzwischen an vielen Schulen funk-
    tioniert. In NRW läuft das über die
    landeseigene Plattform Logineo. An
    meiner Schule laden wir dort auch
    weiterhin Unterrichtsmaterial hoch.
    Außerdem kann man die Lehrkräfte
    darüber erreichen, was echt super
    ist. Früher hatten wir außerhalb
    der Schule keine Möglichkeit, sie
    zu kontaktieren. Ganz viele Schüler
    benutzen bei uns nur noch digitale
    Geräte wie Tablets und Laptops, das
    spart Papier. Was besser werden
    muss? Zum einen sind noch immer
    nicht alle Schulen ausreichend mit
    Geräten und WLAN ausgestattet.
    Zum anderen muss man, wenn man
    neue Technologien einführt, natür-
    lich auch die Lehrkräfte mitnehmen.
    Oft wird etwas angeschafft, aber
    dann doch nicht eingesetzt, weil sie
    nicht wissen, wie es funktioniert.

                                                                                                     FOTO: CARSTEN BEHLER
    Wichtig finde ich auch, dass man die
    Ergebnisse des digitalen Unterrichts
    nicht so bewertet wie den Präsenz-
    unterricht, denn der Erfolg hängt
    von vielen Faktoren ab: Jemand, der
    zu Hause kein eigenes Endgerät und                 Ilayda Dogan
    keine stabile WLAN-Verbindung hat
    oder sich ein Zimmer teilen muss,
                                                   Vorstandsmitglied der
    kann nicht so effektiv am Online-            Landesschülervertretung in
    unterricht teilnehmen. Das muss
    berücksichtigt werden. Und auch
                                                    Nordrhein-Westfalen
    die seelische Gesundheit ist wichtig.
    Nach dem letzten Lockdown ist dar-
    auf in den Schulen zu wenig Rück-
    sicht genommen worden. Als alle
    wieder im Präsenzunterricht waren,
    wurde versucht, möglichst schnell       Ilayda Dogan aus Werdohl im Sauerland ist 19 Jahre alt
    noch den restlichen Stoff zu vermit-    und Mitglied des zehnköpfigen Vorstandes der Landes-
    teln, und dann ging es auch schon in    schülervertretung Nordrhein-Westfalen. Das Gremium
    die ersten Klausuren.                   vertritt die Interessen der rund 2,3 Millionen Schüler
                                            im Bundesland. Ilayda Dogan besucht ein Gymnasium
                                            und macht 2022 ihr Abitur. Danach möchte sie Jura oder
                                            Medizin studieren.
Neue Zeiten? - Deutsche Telekom Stiftung
9

                                                                                    Sven Gábor Jánszky
                                                                                     Zukunftsforscher
FOTO: JÖRG GLÄSCHER

                                                              Das digitale Lernen steckt noch in den Kinderschuhen.
                                                              Mit einem Mausklick könnten wir zum Beispiel die besten
                                                              Spezialisten für jedes Thema vor Augen haben, das ist ein
                                                              Schatz, den keine Generation vor uns hatte. Der Status
                                                              quo ist jedoch, dass wir unsere klassischen Bildungsfor-
                      Sven Gábor Jánszky ist Chairman         mate weiternutzen und ab und zu mal ein Tablet in die
                      des größten wissenschaftlichen          Hand nehmen. Die Zukunft wird anders aussehen, denn
                      Zukunftsforschungsinstituts Euro-       der Wandel, den wir schon aus der Wirtschaft kennen,
                      pas. Als Zukunftsforscher berät er      wird auch den Bildungsbereich erfassen. So wie Online-
                      Unternehmen und Einzelpersonen,         händler prognostizieren, was ich in zwei Tagen kaufen
                      gibt Workshops und tritt als Speaker    will, kann man mit ein bisschen Datenanalyse messen,
                      auf Zukunftsevents und Strategieta-     welche Kompetenzen ich in zwei Monaten oder zwei
                      gungen der deutschen Wirtschaft auf.    Jahren brauchen werde, und mir auf dieser Basis ein indi-
                      Jánszky lebt in der Nähe von Leipzig.   viduelles Bildungsangebot machen. Und in den Schulen
                                                              werden digitale Technologien den Unterricht nachhaltig
                                                              verändern. Es ist zum Beispiel denkbar, dass jeder Schüler
                                                              eine individuelle App auf dem eigenen Gerät hat, die
                                                              analysiert, wo dieses Kind gut mitkommt, wo es Aufgaben
                                                              abbricht oder langsamer schreibt. Das wird zu einer indi-
                                                              viduelleren Begleitung von Lernprozessen führen, denn
                                                              die Lehrkräfte werden in Echtzeit Informationen über die
                                                              Bedürfnisse ihrer Schüler erhalten.
Neue Zeiten? - Deutsche Telekom Stiftung
10                       L e r ne n

                                                                                                  Birgit Eickelmann ist seit 2012
                                                                                                  Professorin für Schulpädagogik an
                                                                                                  der Universität Paderborn. Aus dem
                                                                                                  Schuldienst wechselte sie 2003 zu-
                                                                                                  rück an die Universität und erforscht
                                                                                                  seitdem die Entwicklung von Schulen
                                                                                                  und Schulsystemen. In Deutschland
                                                                                                  kennt man sie vor allem als Leiterin
                                                                                                  der Studie ICILS, die die computer-
                                                                                                  und informationsbezogenen
                                                                                                  ­Kom­petenzen von Schülern misst.

                                                                                           In jüngster Zeit sind viele Investitionsprogram­
                                                                                           me angelaufen. Das ist sehr erfreulich, denn
                                                                                           eine moderne Ausstattung der Schulen ist auf
                                                                                           dem Weg in die Zukunft zentral. Sie allein
                                                                                           reicht aber für wirklich nachhaltige Entwicklun-
                             FOTO: HIER STEHT DER FOTOGRAF

                                                                                           gen längst nicht aus. Mir sind hier drei Punkte
                                                                                           wichtig: Erstens müssen wir lernen, stärker die
                                                                                           Perspektiven der Kinder und Jugendlichen auf
                                                             FOTO: UNIVERSITÄT PADERBORN

                                                                                           eine zukunftsfähige Bildung in unsere Planun-
                                                                                           gen einzubeziehen. Zweitens: Wenn wir über
                                                                                           digitales Lernen sprechen, müssen wir sowohl
                                                                                           auf Schulsystemebene als auch auf Einzelschul­
                                                                                           ebene einen dynamischen Konsens darüber
                                                                                           finden, was guten Unterricht in einer Kultur der
     Birgit Eickelmann                                                                     Digitalität ausmacht. Als Rahmenbedingung
      Schulforscherin                                                                      gehört hierzu übrigens auch ein moderner
                                                                                           ­„Arbeitsplatz Schule“. Und drittens: Es reicht
                                                                                            nicht mehr aus, immer nur nachzubessern
                                                                                            und an einzelnen Stellschrauben zu drehen.
                                                                                            Es ist nun an der Zeit, den Blick konsequent
                                                                                            und ganzheitlich in die Zukunft zu richten:
                                                                                            Wo sehen wir Schule in fünf oder in zehn
                                                                                            ­Jahren – und was wollen wir überhaupt er­
                                                                                             reichen? Anstehende Entwicklungen sollten
                                                                                             dabei nicht nur von technologischen Inno­
                                                                                             vationen, sondern vor allem auch von päda­
                                                                                             gogischen Visionen getragen werden.
11

                                             Nina Toller
                                            Lehrerin und
                                         Bildungsbloggerin

Es gibt einiges, was aktuell beim digitalen Lernen schon gut läuft:
Da ist die Offenheit der Beteiligten zu nennen und vor allem die
Lernmotivation, die durch den Einsatz von digitalen Medien bei den
Schülern erreicht werden kann. Wenn ich Workshops für Lehrkräfte
oder Lehramtsstudierende gebe, höre ich leider oft, dass es vielen
Schulen noch immer an der Ausstattung fehlt. Ein anderes Problem:
Viele Lehrkräfte scheuen den Einsatz von digitaler Technik, weil sie
                                                                       Nina Toller ist Lehrerin für Englisch,
Angst haben, etwas falsch zu machen. Hinzu kommt eine große
                                                                       Geschichte, Informatik und Latein
Unsicherheit hinsichtlich des Datenschutzes. Hier brauchen wir
                                                                       an einem Gymnasium in Duisburg
mehr Weiterbildungen. Und auch in der Ausbildung, sei es während
                                                                       und setzt in ihrem Unterricht schon
des Studiums oder des Referendariats, kommt das Thema leider
                                                                       lange digitale Formate ein. Auf
noch immer viel zu kurz. Im ­Moment sind es vor allem Schulbuch-
                                                                       tollerunterricht.com bloggt sie über
verlage und private Initiativen, die Seminarangebote machen. Viele
                                                                       digitales Lernen und Lehren, außer-
motivierte Lehrkräfte vernetzen sich auch bei Twitter oder Instagram
                                                                       dem gibt sie ihr Wissen in Workshops
unter den Hashtags #twitterlehrerzimmer und #instalehrerzimmer
                                                                       an andere Lehrkräfte weiter.
und coachen sich in Mikrofortbildungen gegenseitig. Wie man die
Technik richtig benutzt, kann jeder für sich selbst herausfinden.
Viel wichtiger sind aus meiner Sicht die richtigen didaktischen und
pädagogischen Konzepte. Leider passiert da an den Hochschulen
noch viel zu wenig.
        FOTO: PRIVAT
12                                                G a m i ng

                                    Versierte Daddler haben ihre
                                                                              1
                  W             HRNEHM                                      NG
                    so getrimmt, dass sie W I C H T I G E S von U N W I C H T I G E M
                       unterscheiden können. Was ablenkt, blenden sie weg.
                   So sind sie konzentrierter und besser in der Lage, schnell von
                            einer Aufgabe zu einer anderen zu wechseln.

     Spiel doch!
         Zocken macht dumm und aggressiv. Dachte man.
     Inzwischen hat die Forschung mit vielen Vorurteilen über
      Videospiele aufgeräumt: sieben Dinge, bei denen Gamer
                besser abschneiden als Nichtgamer.

        Die meisten Computerspiele wirken auf
       unser Gehirn wie tatsächliche Bewegung:

 2
                 Sie trainieren unser

              RÄUMLICHES                                                Gute Feinmotorik und
                                                                        die Koordination von

                                                                                 UND
       VORSTELLUNGS -                                                   A                  H
                                                                       U                    A
         VERMÖGEN.                                                   E
                                                                      G
                                                                               sind die
                                                                                             N
                                                                                              D
                                                                              Grundlage
       Wer regelmäßig spielt, kann sich daher oft                         jedes Videospiels.
           besser orientieren und vorstellen,                           Beides ist bei Gamern
       wie selbst kmp|3x3 Objekte nach einer                            besser ausgeprägt
              Drehung aussehen würden.                                 als bei Altersgenossen,
                                                                        die nicht regelmäßig
                                                                           einen Controller

                                                                                             3
                                                                         in der Hand halten.
13

                                                         4                                           Viele erfolgreiche Spiele
                                                                                                    sind Mehrspieler-Games.

                                                                                                                                                                5
                                                                                                        Die Spieler müssen
           Gewalttätige Videospiele können aggressive Reaktionen
                                                                                                   miteinander kommunizieren,
            verstärken. Wer hingegen prosoziale Games spielt, in
                                                                                                         eine gemeinsame
           denen es inhaltlich ums Retten oder Helfen geht, verhält
                sich auch im Alltag fürsorglicher, zeigt mehr

                             C
                                 HAFT        ZIVIL

                                                     CO
                       ITS

                                                     URA
                          R E

                                                         G
                        E

                                                    E
                              B

                                      S        --
                                  L F                                                          entwickeln, zusammenhalten und
                                            -
                                       I

                                                                                                 sich gegenseitig unterstützen.
                                              -
                                       H
                                                -

                                                                                                So lernen sie, wie ein Team mit
                                                                                                 unterschiedlichen Fähigkeiten
                                                                                                am besten ans Z I E L kommt.

              Wer Zeit am Computer oder

                                                                                                                                                             7
               an der Konsole verbringt,
              kann oft gut Englisch. Zum
              einen wird in Onlinespielen
                   vornehmlich auf                          Zocken über Computer, Konsole oder Smartphone
                                                           kann frustrierend sein. Immer wieder sc he it er t man.
        ENGLISCH                                               Oft reichen die Fähigkeiten noch nicht aus,
                                                              manchmal ist es noch nicht die richtige Taktik.
                                                                 Das spornt echte Gamer an . Sie wollen
                   kommuniziert.
               Zum anderen stellen viele

6
                 Gamer Englisch als
               Spiel­sprache ein, weil es
                  auf Englisch mehr
                 Tipps und Tricks im
                      Internet gibt.

                                                                               lösen, nicht ihnen ausweichen.

Auch die Telekom-Stiftung hat ein
Game entwickelt. Mit „Facts & Fakes“
können Jugendliche lernen, Desinfor-
mation im Netz zu entlarven.                               Quellen: Association for Educational Communications & Technology, Association for Psychological Science,
                                                           Bundeszentrale für politische Bildung, National Library of Medicine, Wolf Stertkamp („Sprache und Kommu-
www.factsandfakes.de                                       nikation in Online-Computerspielen“), University of Toronto, www.sciencedirect.com
14                                                            Berufswelt

                      F
               BERU
        NFTS
 ZUKU              al
            at ion
     E duc log ist
            n o
     Te c h

                                                                   »Wenn es keinen
                                                                   Weg gibt, schaffe
                                                                     ich einen.«
                                                                                            Protokolle: MAX GEHRY

                                                                       alle Werkzeuge, Methoden und Verfahren ansehen sollen.
                                                                       Analoge, digitale. Und wenn sich aus dem Verfügbaren
       Ellen Hannah Schmidt, 25 Jahre, ist Studie­
                                                                       kein Weg ergibt, dann schaffe ich einen. Aber es muss um
       rende im Masterstudiengang Educational
                                                                       die Frage gehen, was nützt – nicht darum, im Jubel über
       ­Technology an der Universität des Saarlandes.
                                                                       die digitalen Möglichkeiten irgendwas zu machen, nur
                                                                       weil es geht. Das habe ich in den Vorlesungen schnell be-
                                                                       griffen. Smartboards in der Schule sind toll; aber sie sind
       Was ich studiere, muss ich immer erklären, „Educational         nicht automatisch besser als Kreidetafeln. Durch Smart-
       Technology“ kennt ja kaum jemand. Ich sage dann: Stellen        boards ändert sich erst mal nur die Darbietungsform, noch
       Sie sich viele Kreise vor, die sich teilweise überlappen. An    nicht der Inhalt. Lasse ich damit reproduzierbares, planba-
       einem steht Informatik, an einem Pädagogik, an den an-          res, wiederholbares Wissen pauken, sind sie schlicht eine
       deren: Anthropologie, Linguistik, Soziologie, Psychologie,      sehr teure digitale Kopie von etwas Analogem. Wem, abge-
       Semiotik, Neurobiologie, Ökonomie, Philosophie. Die Flä-        sehen von denjenigen, die die Geräte verkaufen, nützt das?
       che, in der sich das alles überschneidet, das ist Educational
       Technology, kurz EdTech, manche sagen auch EduTech.             Es hilft also nichts, Schulen mit Tablets, Robotern und
                                                                       3-D-Druckern aufzurüsten, im Übrigen aber alles beim
       Als Bildungstechnologin frage ich mich, vereinfacht             Alten zu belassen. Darin liegt für mich die transformato-
       gesagt: Wie kann ich dafür sorgen, dass Lernende besser         rische Kraft der Digitalisierung: dass sie Anlass ist, das
       lernen und Lehrende besser lehren. Besser – das heißt           Bildungssystem für eine zeitgemäße Bildung umzukrem-
       besser als bisher. Allerdings geht es dabei, das wird einem     peln. Wenn ich mir anschaue, wie das in anderen Ländern
       beim Studium in Saarbrücken schnell klar, nicht nur um          läuft, habe ich den Eindruck, dass wir uns in Deutschland
       den Einsatz von Technologie. Wenn mich eine Schule              sehr davor scheuen, Fehler zu machen. Wer Neues will,
       anheuern würde, um ein Format zu entwickeln, damit              muss jedoch experimentieren, probieren. Auch wenn mal
       eine bestimmte Gruppe von Schülern etwas Bestimmtes             was danebengeht. Aus Fehlern werden Fragen, aus Fragen
       lernt, dann kommen da sicher nicht drei Wochen Frontal­         wird Veränderung. So geht Lernen. Dazu müssen auch
       unterricht heraus. Aber auch nicht, dass das nur mit einem      Ministerialbeamte, Schulleiter oder Lehrer bereit sein.
       eigens dafür programmierten Computerspiel und VR-­
       Brillen geht. Im Studium wird uns vermittelt, dass wir uns
15

                                                           »Ich muss eine
                                                             Art Digital-
                                                         Influencerin sein.«
                                                                                   Illustrationen: JAN STEINS

                                                                Estnisch heißt: technologiebasierte Formen des Lernens
                                                                zu entwickeln, zu nutzen, zu verwalten und zu bewerten.
Riina Leppmaa, Jahrgang 1979, ist Mathe-
                                                                Dafür habe ich neben meiner Arbeit hier an der Schule
matiklehrerin und Bildungstechnologin am
                                                                zwei Jahre lang an der Universität Tallinn Bildungstech-
Tallinna Saksa Gümnaasium in Estland.
                                                                nologie studiert. Dabei ging es immer um die Frage, was
                                                                Kinder lernen sollen und wie das am besten geht: das
                                                                Lernen und das Lehren. Technologie ist zwar nicht gleich-
Jede Fliege hat sechs Beine, jede Spinne acht. Zusammen         bedeutend mit Digitalem. Tatsächlich geht es in meiner
haben zwei Fliegen und zwei Spinnen so viele Beine wie          Arbeit aber ausschließlich um Geräte, Plattformen, Tools,
x Katzen. Das ist eine Aufgabe zum Kopfrechnen, wie ich         Apps. Was nützlich scheint, probieren wir aus. Was sich
sie in meiner siebten Klasse manchmal am Anfang einer           nicht bewährt, fliegt wieder raus. Was etwas bringt, führen
Mathestunde stelle – als Aufwärmübung. Dann gebe ich            wir ein.
Antworten vor: „Wer denkt, es sind sechs Katzen? Sieben?
Und wer sagt, es sind neun?“ Dazwischen mache ich kur-          Dabei muss ich für andere Lehrkräfte fast so eine Art
ze Pausen. Wer meint, das war die richtige Antwort, hält        Digital-Influencerin sein. Denn die Digitalisierung ver-
ein Kärtchen mit seinem persönlichen QR-Code hoch.              schafft uns zwar mehr Möglichkeiten. Und die verbreiten
Währenddessen schwenke ich mit der Kamera meines                sich ziemlich schnell, weil in Estland jede Schule einen
Smartphones durch das Klassenzimmer. Hinter mir, auf            „Haridustehnoloog“ hat. Aber klar ist auch, dass nicht
einer Leinwand, wird dann angezeigt, wer falsch oder            alle Lehrkräfte von den neuen Möglichkeiten immer nur
richtig lag. Wenn ich später die Stunde auswerte, sehe ich      begeistert sind. Da komme ich ins Spiel. Ich höre zu.
anhand der Statistik, wen ich mehr fördern und wen ich          Gehe auf Unsicherheiten ein. Räume Bedenken aus. Zei-
stärker fordern muss.                                           ge. Erkläre. Dafür ist es gut, dass ich selbst Lehrerin bin,
                                                                auch wenn der Mathematikunterricht nur noch ungefähr
Spielerei, sagen jetzt vielleicht einige. Aber das ist ja nur   15 Prozent meiner Arbeit ausmacht.
ein Beispiel dafür, wie selbstverständlich wir in Estland
digitale Instrumente quer durch alle Fächer in den Un-
terricht eingebaut haben. Denn das ist meine Aufgabe als
Bildungstechnologin oder „Haridustehnoloog“, wie es auf
16    Kü ns t l i che Int e l l i g e nz

 Smarte Schule?
17

                            Künstliche Intelligenz könnte Schülern das
                            Lernen erleichtern und Lehrkräfte entlasten.
                           Doch es gibt auch Zweifel an der Technologie.
                                                         Text: DANIEL SCHWITZER
                                                          Fotos: MICHAEL BADER

       Irgendwann, kurz vor Ende der Stunde, hat Vanessa ge-
       nug von der triezenden Maschine. „Frau Schröder, das
       Tablet ärgert mich“, ruft die 15-Jährige leicht genervt und   Rhapsode stammt vom dänisch-amerikanischen Unter-
       blickt von ihrem Tisch auf. „Ich krieg’ die gleiche Frage     nehmen Area9. Der Clou an der Software: Dank künst-
       jetzt schon zum fünften Mal!“ Das iPad vor ihr zeigt drei     licher Intelligenz (KI) passt sie sich automatisch an
       altmodische Ziffernblätter an. Auf jedem ist ein anderes      Lernstand und -tempo der Nutzer an. Anwendungen wie
       Tortenstück rot hervorgehoben: von fünf nach bis viertel      diese werden in Fachkreisen adaptive tutorielle Systeme
       nach, von halb bis zwanzig vor, von zehn vor bis halb.        genannt. Sie imitieren gewissermaßen das menschli-
       Und ­Vanessa soll die Stücke nun in Minuten übersetzen.       che Gehirn, indem sie die Eingaben von Lernenden mit
       Leonie neben ihr hat unterdessen schon alle Aufgaben          einem hinterlegten Regelwerk abgleichen und daraus
       gelöst und weiß nicht so recht, wohin mit ihrer Energie.      Schlüsse ziehen. Stellt Rhapsode wie gerade bei Vanessa
       Genauso wie ­Yannik, zwei Reihen dahinter. „Gönn dir          fest, dass ein Thema noch nicht verstanden wurde, bietet
       eine kurze Pause! Pausen sind wichtig, um Gelerntes zu        das Programm ihr so lange Hilfestellung und vergleich-
       festigen“, liest ihm sein iPad über Kopfhörer vor. Doch       bare Aufgaben dazu an, bis sie das Lernziel erreicht hat.
       der Schlaks schaut lieber seiner ­Sitznachbarin Angelina      Umgekehrt dürfen Schüler, die schneller begreifen, auch
       über die Schulter, die schon mit dem nächsten Lernziel        mal ein paar Aufgaben auslassen. So wandelt am Ende
       begonnen hat.                                                 jedes Kind auf seinem ganz eigenen Lernpfad, den die
                                                                     Lehrkraft in Echtzeit in einem Diagnose-Tool nachvoll-
       Die Oberstufenklasse 3 der Sine-Cura-Schule in Quedlin-       ziehen kann. Schulleiterin Birgit Schröder überzeugt das.
       burg übt heute Vormittag, die Uhr zu lesen und Zeiträume      „Das System motiviert die Kinder mit viel positivem Feed-
       zu bestimmen. Lektionen wie diese gehören hier, wo            back. Und mir hilft es, weil ich immer genau im Blick
       ausschließlich Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf        habe, wer gerade wo steht.“ Schröder ist sich sicher:
       in der geistigen Entwicklung lernen, mit dazu. Wer die        „KI hat das Zeug, Schule zu verändern.“
       Schule irgendwann verlässt, soll seinen Alltag möglichst
       selbstbestimmt meistern können. Die größte Herausfor-
       derung: Weil die Schüler kognitiv unterschiedlich stark
       beeinträchtigt sind, braucht eigentlich jedes Kind seinen
       eigenen Unterricht. „Lernen im Gleichschritt macht hier
       keinen Sinn, das wissen wir schon ganz lange“, sagt
       Birgit Schröder, die die Schule seit 2007 leitet. Umso
       wichtiger, dass Schröders Kollegium viel Mühe darauf
       verwendet, den Schulstoff zu individualisieren. Dabei
       unterstützt das Team seit Kurzem auch ein neuer Kollege,
       ein ziemlich smarter sogar. Gestatten: Rhapsode, der
       digitale Tutor.

Individuelle Förderung per Tablet: Lernen im Gleich-
schritt macht an der Sine-Cura-Schule keinen Sinn.
18                                                  Kü ns t l i che Int e l l i g e nz

     Das sieht auch der Informatik-Professor Niels Pinkwart
     so, der am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche

                                                                             » KI hat das
     Intelligenz (DFKI) in Berlin das Labor für Bildungstech-
     nologie leitet. Ob das Navi im Auto, die Sprachassistentin
     im Handy oder der Empfehlungs-Algorithmus auf Shop-
     pingportalen – KI habe längst Einzug in sämtliche Berei-
     che unseres Lebens gehalten. „Da wird Schule langfristig              Zeug, Schule zu
     keine Ausnahme bleiben“, so Pinkwart. Noch allerdings
     überwiegt im Bildungsbereich die Skepsis, wie eine Studie
     des mmb-Instituts für die Telekom-Stiftung ergeben hat,
                                                                             verändern.«
     an der auch Pinkwart beteiligt war. So haben sich hier-                                Birgit Schröder
     zulande bislang erst wenige KI-gestützte Anwendungen
     in Schulen etabliert. Und das, obwohl die Technologie
     auch die Lehrer massiv entlasten könnte. Man stelle sich
     vor, Klassenarbeiten würden künftig in Windeseile von
     einer KI korrigiert und benotet – natürlich zu 100 Prozent       rina Zweig. Die Informatikprofessorin erforscht an der
     objektiv. Wobei: Bräuchte es dann überhaupt noch Lehr­           Technischen Universität Kaiserslautern, wie Digitalität
     kräfte aus Fleisch und Blut?                                     unsere Gesellschaft verändert. Vieles im Bereich der KI sei
                                                                      noch Grundlagenforschung. „Künstliche Intelligenz ist
     „An den meisten Schulen gibt es heute nicht mal schnelles        heute jedenfalls nicht in der Lage, einen Deutschaufsatz
     WLAN. Trotzdem beschäftigen wir uns immerzu mit den              anhand der Kriterien zu beurteilen, die ein Mensch anle-
     tollsten technologischen Visionen“, wundert sich Katha-          gen würde: Sprachbeherrschung, argumentative Konsis-
                                                                      tenz, kreative Ideen“, so Zweig. Stattdessen stütze sich
                                                                      die Maschine auf Hilfsmaße, untersuche den Text zum
                                                                      Beispiel auf bestimmte wünschenswerte Schlüsselbegriffe
     Diagnose in Echtzeit: Schulleiterin Birgit
                                                                      und Wortarten. „Damit schafft sie es vielleicht tatsächlich,
     Schröder überprüft den Lernstand der Klasse.
                                                                      die Note relativ gut vorherzusagen; sie misst aber nicht
                                                                      das, was sie eigentlich messen sollte.“

                                                                      Hinzu komme bei lernenden KI-Verfahren im Unterschied
                                                                      zu regelbasierten Systemen das Problem der „algorith-
                                                                      mischen Voreingenommenheit“, erklärt Niels Pinkwart
                                                                      vom DFKI. Werde solch eine lernende KI mit massenhaft
                                                                      Trainingsdaten gefüttert, in denen jedoch eine bestimm-
                                                                      te Personengruppe unterrepräsentiert sei, zum Beispiel
                                                                      Schüler mit Rechtschreibschwäche, so sei das System für
                                                                      diese Gruppe später ungeeignet. Informatikerin Kathari-
                                                                      na Zweig plädiert dafür, Anwendungen erst dann für den
                                                                      Unterricht zuzulassen, wenn deren Nutzen hinreichend
                                                                      wissenschaftlich belegt ist. Einstweilen solle Schule auf
                                                                      etablierte KI aus anderen Lebensbereichen zurückgrei-
                                                                      fen, zum Beispiel Sprachassistenten oder Übersetzungs­
                                                                      software: „Damit könnten wir im Unterricht heute schon
                                                                      jede Menge Inklusion schaffen, insbesondere für Kinder,
                                                                      deren Muttersprache nicht Deutsch ist.“

                                                                      Fragt man Christophe Speroni, ob er Lehrerjobs ver­
                                                                      nichten will, zeigt der EdTech-Unternehmer nur ein
                                                                      müdes Lächeln. Speroni ist Mitgründer des adaptiven
                                                                      Mathematik-Lernsystems Bettermarks, das inzwischen
                                                                      an über 3.000 Schulen bundesweit läuft und mehr als
19

Schülerinnen Vanessa (l.) und Leonie: Das System
motiviert mit viel positivem Feedback.
                                                             erfassten Lerndaten der Schülerinnen und Schüler jeden
                                                             Tag ein bisschen schlauer wird, bestreitet der Wirtschafts-
                                                             informatiker aber nicht. Daten, die das Unternehmen
                                                             gezielt nutzt, um die Software weiterzuentwickeln: „Wir
300.000 Schülern hilft, ihre Ängste vor dem Problemfach      können zum Beispiel anhand von KI-gestützten Analysen
zu überwinden. „Die Lehrkraft bleibt trotzdem die zen-       erkennen, warum manche Schulklassen mit Bettermarks
trale Figur im Unterricht. Lernen ist ja auch ein sozialer   erfolgreicher lernen als andere.“ Datenschutzrechtliche
Prozess“, betont Speroni. Bettermarks fungiere dabei eher    oder ethische Bedenken, die in Deutschland beim Thema
als digitaler Co-Trainer, der seine Augen überall habe,      KI gerne angeführt werden, verneint Speroni. Schließlich
dadurch mathematische Fehlvorstellungen bei Schülern         speichere sein System keine personenbezogenen Daten
viel schneller erkennen und mit didaktisch sinnvollen        der Lernenden. Der viel zitierte gläserne Schüler – hierzu-
Rückmeldungen auflösen könne. „Der Lehrer bemerkt            lande scheint er also vorerst noch weit weg.
Fehlvorstellungen oft erst, wenn er Klassenarbeiten korri-
giert. Dann ist es aber zu spät.“                            Anderswo hingegen ist er längst Realität. In China
                                                             beispielsweise wird bereits mit intelligenten Systemen
Von KI spricht Christophe Speroni im Zusammenhang            experimentiert, die die Mimik der Schüler analysieren, um
mit Bettermarks trotz dessen smarten Fähigkeiten eher        festzustellen, ob diese dem Unterrichtsgeschehen auch
ungern. Schließlich beruhten die 2.800 hinterlegten Fehl-    aufmerksam folgen. Unkonzentriertheiten oder Störun-
konzepte auf didaktischer Expertise, sprich: auf menschli-   gen werden sofort ans Lehrerpult gemeldet. – So weit
cher Intelligenz. Dass das System durch die Unmengen an      wird es bei uns nicht kommen, da sind sich Experten wie
                                                             Speroni, Niels Pinkwart und Katharina Zweig einig. Auch
                                                             an der Sine-Cura-Schule will man von solchen Dystopien
                                                             nichts wissen. Im Gegenteil, Leiterin Birgit Schröder ist
                                                             stolz darauf, dass ihre Schule zur digitalen Avantgarde
                                                             zählt. Zwar wird Rhapsode dort bislang nur im Rahmen
       Die Studie „KI@Bildung“, an der Niels Pinkwart        eines Testlaufs eingesetzt. Schröder hofft indes, dass sie
       mitgearbeitet hat, findet sich im Netz unter          das System bald auch regulär wird nutzen können. „Das
       www.telekom-stiftung.de/ki                            Tolle ist: Die Kinder merken nicht mal, dass sie lernen,
                                                             wenn sie damit arbeiten.“ Etwas Besseres lässt sich über
                                                             einen digitalen Tutor doch wohl kaum sagen.
20                                     Au ßer s chu l i s che L e r no r t e

                                            »Eine

Ronny Lehmann, Stadtbibliothek Gotha

                   große
                                                                   Prof. Dr. Sabiha Ghellal, Hochschule der Medien, Stuttgart
21

                                                                                                        Jonas Bücker, Kinder- und
                                                                                                        Jugendzentrum GOT, Köln
FOTOS: MICHAEL BADER, MARCEL KUSCH, WOLFRAM SCHEIBLE

                                                         Aufgabe«
                                                         Virtuelle Tierwelten erforschen, an Robotern tüfteln
                                                         oder Videos produzieren: Außerschulische Lernorte
                                                       leisten wichtige digitale Bildungsarbeit. Wie klappt es?
                                                        Wir haben mit drei Vertretern der Szene gesprochen.
                                                                            Inter view: DANIELA ALBAT
22                                              Au ßer s chu l i s che L e r no r t e

                                              Bei den Museen hat sich in dieser Zeit
                                              ebenfalls etwas getan, Frau Ghellal.

     »Wir haben                               Sabiha Ghellal: Genau. Dadurch,
                                              dass sie geschlossen waren, muss-

      stark auf
                                              ten sich die Museen Gedanken über         Ronny Lehmann: Wir bemerken bei
                                              alternative Zugänge machen. Viele         uns in der Tat, dass solche Angebote
                                              haben das auch erfolgreich getan: Da      eine gewisse Klientel-Wanderung be-

     Interaktion                              gab es virtuelle Führungen, span-
                                              nende Videos – oder Spiele-Apps wie
                                                                                        wirken. Unabhängig von Corona ist
                                                                                        das Bedeutendste in diesem Zusam-

      gesetzt.«                               NatureWorld.

                                              NatureWorld?
                                                                                        menhang die im September eröffnete
                                                                                        Robothek. Dort können Interessierte
                                                                                        zu Robotik-Themen forschen, mit
              Jonas Bücker                                                              Robotern spielen und programmie-
                                              Sabiha Ghellal: Das ist eine Smart-       ren lernen. Dass Bibliotheken ver-
                                              phone-App des Naturkundemuseums           mehrt MINT-Themen aufgreifen und
                                              Stuttgart, die vom Land Baden-Würt-       zum Beispiel MakerSpaces aufbauen,
                                              temberg im Rahmen des Programms           ist ein Trend. Zu den Büchern kommt
     Corona hat vieles verändert. Auch die    „Digitale Wege ins Museum“ geför-         Neues hinzu, das gesellschaftlich
     digitale Bildungsarbeit im Jugend­       dert wurde: Kinder können mit der         relevant ist.
     zentrum, Herr Bücker?                    App eine Entdeckungsreise durchs
                                              Museum und den angrenzenden               Wie erleben Sie das, Herr Bücker?
     Jonas Bücker: Wir haben bereits vor      Rosensteinpark unternehmen. Dabei
     der Pandemie einen starken Fokus         gibt es Elemente, die vor, während        Jonas Bücker: Über unsere Aktivitä-
     auf digitale Medienarbeit gelegt.        und nach dem Museumsbesuch spiel-         ten im Netz haben uns Kinder und
     Dabei ging es viel darum, mit jungen     bar sind – in Corona-Zeiten war das       Jugendliche gefunden, die sonst nicht
     Menschen gemeinsam etwas zu              natürlich ein Gewinn. Wir von der         zu uns kommen. Das waren aber vor
     gestalten – sei es im Tonstudio oder     Hochschule der Medien haben die           allem sozial Privilegierte. Denn wir
     in der Schneidewerkstatt. Während        Entwicklung der App wissenschaft-         haben sehr ungleiche Teilhabemög-
     Corona hat sich das gewandelt. Auf       lich begleitet. In diesem Prozess         lichkeiten im Digitalen. Ungefähr
     einmal konnten wir nicht mehr im         haben wir sie immer wieder von            40 Prozent unserer Besucher leben
     direkten Kontakt mit den Jugendli-       ­Kindern testen lassen und mithilfe       in Unterkünften für junge Geflüch-
     chen arbeiten. Wir haben versucht,        ihres Feedbacks angepasst.               tete. Dort gibt es in der Regel kein
     das zu kompensieren, indem wir                                                     WLAN und oft keine Rückzugsmög-
     stark auf Interaktion gesetzt haben:     Ist das Digitale eine Chance, neue        lichkeiten. Sprich: Die Jugendlichen
     Zum Beispiel haben wir zusammen          Zielgruppen zu erreichen?                 hatten während des Lockdowns
     online gespielt oder digital Graffitis                                             kaum Gelegenheit, unsere Ange-
     skizziert.                               Sabiha Ghellal: Digitale Angebote         bote zu nutzen. Sie haben ganz oft
                                              sollen die Auseinandersetzung mit         ­gefragt: Wann macht ihr wieder
     Ronny Lehmann: Auch bei uns in           den Exponaten vor Ort nicht ersetzen.      auf ?
     der Stadtbibliothek Gotha gab es         Sie bieten aber einen zusätzlichen,
     schon vor Corona eine Vielzahl von       anderen Zugang. Und dieser Zugang         Die Leute digital abzuholen, ist also an
     Angeboten rund ums Digitale – von        kann zum Beispiel eine jüngere Ziel-      der Infrastruktur gescheitert?
     der OnLeihe, über die man digita-        gruppe natürlich neugieriger machen
     le Bücher ausleihen kann, bis hin        und ihr helfen, den Weg ins Museum        Jonas Bücker: Genau. Da geht es
     zur Cybermobbing-Prävention, die         zu finden.                                nicht unbedingt um Medienkompe-
     wir für Schulklassen veranstalten.                                                 tenz: Selbst wenn die Jugendlichen
     Dennoch haben sich einige Bereiche                                                 diese Kompetenzen gehabt hätten,
     durch die Pandemie noch mal stärker                                                hätte sie das nicht ins Internet ge-
     digitalisiert.                                                                     bracht. Das Hauptproblem ist meiner
                                                                                        Meinung nach eine strukturelle
                                                                                        Ungleichheit.
23

                                                                                            In welcher Rolle sehen Sie hier die
                                                                                            Museen, Frau Ghellal?

                                                  Ronny Lehmann: Das kann ich               Sabiha Ghellal: Auch Museen bieten
                                                  bestätigen. Schon vor Corona haben        die Chance, mit bestimmten Tech-
                                                  viele bei uns das kostenlose WLAN         nologien in Berührung zu kommen.
                                                  genutzt, weil die Strukturen woan-        Die Hauptaufgabe von zum Beispiel
                                                  ders, etwa zu Hause, nicht vorhanden      einem Naturkundemuseum bleibt es
                                                  waren. Was das angeht, so ist meiner      aber, naturwissenschaftliche Infor-
                                                  Erfahrung nach auch nicht wirklich        mationen zu vermitteln. Digitale
                                                  viel passiert im letzten Jahr. Es gibt    Kompetenzen auszubilden, sehe
                                                  noch immer viele Defizite bei der         ich eher als Nebeneffekt an. Es gibt
                                                  Digitalisierung.                          tolle Beispiele wie das Badische
                                                                                            Landesmuseum Karlsruhe oder das
                                                  Auch Schulen wird hier Nachholbedarf      Humboldt-Forum Berlin, die machen
                                                  nachgesagt. Wie wichtig sind daher        extrem viel, was Digitalisierung und
                                                  außerschulische Lernorte, um Kinder       die Vermittlung digitaler Fähigkeiten
                                                  und Jugendliche ans Digitale heranzu-     angeht. Aber für viele Häuser ist es
                                                  führen?                                   auch schon eine Herausforderung,
Jonas Bücker                                                                                sich zu digitalisieren, ohne dass
                                                  Ronny Lehmann: Wir haben durch-           dieser Bildungsauftrag hinzukommt.
arbeitet im Kinder- und Jugendzentrum GOT         aus den Anspruch, Kinder fit für die      Schulen haben da ein ähnliches
Elsaßstraße in Köln, das im Rahmen der            Zukunft zu machen – digitale und          Problem: Die Deutschlehrerin kennt
Initiative „Ich kann was!“ auch schon von         technische Inhalte spielen hierbei        sich nicht unbedingt mit digitalen
der Telekom-Stiftung unterstützt worden ist.      natürlich eine Rolle. Unser Vorteil als   Endgeräten aus.
Als pädagogische Fachkraft will er für junge      außerschulischer Lernort ist, dass
­Menschen aus dem Viertel Räume schaffen, in      wir spielerischer an Dinge herange-       Was muss sich an außerschulischen
 denen sie sich sicher fühlen, neue Dinge aus-    hen können, ohne Notendruck im            Lernorten ändern, um das Potenzial
 probieren und sich weiterentwickeln können.      Hinterkopf. Bei uns geht es darum,        digitaler Angebote noch stärker zu
 Digitales gehört da ganz selbstverständlich      etwas auszuprobieren oder einfach         nutzen?
 dazu, aber am liebsten vor Ort – zum Beispiel    Spaß zu haben. Zudem öffnen sich
 beim gemeinsamen Videodreh oder Spiele-          Jugendliche im außerschulischen           Sabiha Ghellal: Aus der Initiative „Di-
 abend. Seine Erfahrung aus der Corona-Zeit:      Kontext oft mehr. Das ist zum Bei-        gitale Wege ins Museum“ sind bereits
 Rein digitale Angebote erreichen vor allem       spiel wichtig, wenn wir über Themen       Digital-Manager hervorgegangen,
 viele sozial benachteiligte Kinder und Jugend­   wie Cybermobbing sprechen.                die in Museen eingestellt wurden.
 liche gar nicht.                                                                           Viele Häuser sind gerade dabei, sich
                                                  Jonas Bücker: Unser Auftrag ist es,       darüber Gedanken zu machen, was
                                                  die Identitätsentwicklung und die         alles digital erlebbar sein soll – und
                                                  demokratische Bildung zu fördern.         wie. Dafür in Zukunft neue Stellen
                                                  Dafür schaffen wir Räume, in denen        auszuschreiben, ist aus meiner Sicht
                                                  Kinder und Jugendliche neue Erfah-        eine gute Idee.
                                                  rungen sammeln. Digitale Angebote
                                                  können selbstverständlich ein Raum
Unter dem Motto „Kompetenzen für                  für diese Bildungsprozesse sein. Und
die digitale Welt“ fördert die Telekom-           wie Herr Lehmann bereits richtig
Stiftung im Projekt „Ich kann was!“               gesagt hat: Oft ist der Umgang dann
Vorhaben, die einen kreativen und zu-             freier und ungezwungener als in der
gleich kritischen Umgang mit Medien               Schule.
und der digitalen Welt fördern.
www.telekom-stiftung.de/ikw
24                                                  Au ßer s chu l i s che L e r no r t e

                                                                                            Haben Sie schon konkrete Pläne für
                                                                                            neue Digital-Projekte?

                                                                                            Jonas Bücker: Ja, einen digitalen
                                                                                            Bus. Der soll dahin kommen, wo
                                                  Ronny Lehmann: Die Qualifizierung         kein Jugendzentrum ist, und jungen
                                                  der Mitarbeiter ist wirklich wichtig.     Menschen einen niedrigschwelligen
                                                  Wir sind ein sehr gemischtes Team         Zugang bieten: unter anderem mit
                                                  und verjüngen uns gerade. Man             WLAN-Hotspot, mobilem Tonstudio
                                                  merkt, dass viele der neuen Ange-         und Spielekonsolen. Hierfür hoffen
                                                  stellten ganz anders mit digitalen        wir auf Fördergelder. Ansonsten
                                                  Medien umgehen – und digitale The-        möchten wir gerne die Projekte wei-
                                                  men besser vermitteln können.             ter ausbauen, mit denen wir schon
                                                                                            gute Erfahrungen gesammelt haben.
                                                  Jonas Bücker: Wir haben das Glück,        Selber etwas mit Medien und Technik
                                                  dass wir ein relativ junges Team sind.    zu schaffen, wird dabei weiterhin im
                                                  Alle bringen eine Affinität für das Di-   Fokus stehen. Die Jugendlichen sol-
                                                  gitale mit. Das war in der Vergangen-     len nicht nur konsumieren, sondern
                                                  heit schon immer hilfreich und wäh-       die Rolle des Produzierenden ein-
                                                  rend Corona erst recht. Allerdings        nehmen, sich aktiv mit dem Thema
                                                  wird uns zunehmend klar: Digitales        auseinandersetzen.
                                                  Arbeiten ist ein Prozess, in dem ich
Sabiha Ghellal                                    mich ständig fortbilden muss. Ge-         Ronny Lehmann: Eigenständig und
                                                  fühlt haben wir beispielsweise jedes      kompetent mit Technik umzugehen,
ist Professorin für Experience und Game De-       Jahr neue relevante Plattformen, die      das wollen wir Kindern und Jugend-
sign an der Hochschule der Medien Stuttgart.      wir kennen müssen – um auf dem            lichen auch mit unserer Robothek
Im Rahmen der Initiative „Digitale Wege ins       Laufenden zu bleiben und mit der          ermöglichen. Damit werden wir in
Museum“ hat sie digitale Museumserlebnisse        Jugend mitreden zu können.                der nächsten Zeit hoffentlich richtig
mitgestaltet und getestet. Dabei entstanden                                                 durchstarten. Gerade ist ein huma-
unter anderem die App NatureWorld in Zu-                                                    noider Roboter in der Bibliothek
sammenarbeit mit dem Naturkundemu­seum                                                      eingezogen: der Nao.
Stuttgart sowie der „Raum 14“ der Staatsga-
lerie Stuttgart. Dort können Besucher mithilfe                                              Holen Sie sich für Ihre Zukunftspläne
künstlicher Intelligenz ihre Lieblingskunst                                                 auch mal Inspiration aus dem Ausland?
finden oder sich mit dem Virtual-Reality-Spiel
„Art Hunters“ auf eine spannende Spuren­
suche im Kunstarchiv begeben.
                                                    »Jedes                                  Ronny Lehmann: Auf jeden Fall. Es
                                                                                            ist immer hilfreich zu schauen, was

                                                   Museum                                   andere machen. Meine Chefin war
                                                                                            zuletzt zum Beispiel in der Biblio-

                                                 muss seinen
                                                                                            thek Aarhus in Dänemark. Die ist ein
                                                                                            Bürgertreffpunkt für alle, mit 3-D-
                                                                                            Druckern, Tonstudios, Spielflächen

                                                 eigenen Weg                                und innovativen Veranstaltungskon-
                                                                                            zepten. Doch Austausch ist auch er-

                                                   finden.«                                 strebenswert im eigenen Bundesland,
                                                                                            man muss nicht immer weit reisen.

                                                          Sabiha Ghellal
25

                                              »Wir
Jonas Bücker: Ich habe gar nicht so
einen intensiven Blick ins Ausland.
                                             müssen
Ich interessiere mich aber für die Her-
kunftsländer unserer Besucher. Dort
                                           langfristig
haben wir leider oft eine noch viel
schlechtere technische Ausstattung
als in Deutschland. Der Anspruch
                                            denken.«
muss aber natürlich sein, sich an de-                Ronny Lehmann
nen zu orientieren, die weiter sind.

Sabiha Ghellal: Sich Anregung aus
dem Ausland zu holen, ist auch
für Museen immer gut – ob durch
Vor-Ort-Besuche oder im Rahmen
von Konferenzen. Es gibt spannende        Ronny Lehmann: Auch wir als
Ansätze, zum Beispiel in Frank-           Bibliothek müssen uns fragen, was
reich, Australien oder den Nieder-        kann Digitalisierung leisten und was
landen, wo künstliche Intelligenz         nicht? Wir haben längst den Schritt
oder Projection Mapping – also die        vom reinen Ausleihgeschäft zum Ort
Projizierung von Bildern auf dreidi-      der Begegnung vollzogen. Unsere          Ronny Lehmann
mensionale Objekte – zum Einsatz          Besucher fordern den persönlichen
kommen. Nicht immer lassen sich           Kontakt vor Ort ein und fragen neben     ist Bildungskoordinator in der Stadtbibliothek
solche Konzepte jedoch eins zu eins       digitalen auch analoge Angebote          Gotha und kümmert sich auch um Angebote
woanders umsetzen. Letztendlich           nach. Da, wo wir Digitalisierung         für Kinder und Jugendliche – von der Kinder-
muss jedes Museum seinen eigenen          einsetzen, wollen wir sie richtig        Uni bis zur Gaming-Zone mit Playstation. Denn
Weg finden.                               machen. Das heißt: Wir müssen Geld       Bibliotheken sind längst nicht mehr nur zum
                                          in die Hand nehmen und langfristig       Bücherausleihen da. Für den erfolgreichen
Das ist gar nicht so leicht, oder?        denken.                                  Einsatz digitaler Bildungsangebote wurde die
                                                                                   Stadtbibliothek Gotha als „Bibliothek des Jah-
Sabiha Ghellal: Sowohl Museen als         Jonas Bücker: Begegnung ist ein          res 2020 in kleinen Kommunen und Regionen“
auch Schulen haben mit der Digi-          gutes Stichwort: Digitale Angebote       ausgezeichnet. Die Telekom-Stiftung vergibt
talisierung eine große Aufgabe vor        werden künftig eine immer größere        diese Auszeichnung zusammen mit dem
sich. Für Museen ist hier die An-         Rolle spielen – und einen Rahmen         Deutschen Bibliotheksverband. Mithilfe des
wendungsforschung ganz wichtig.           bieten, in dem wir uns begegnen          Preisgeldes entstand die Robothek, ein ganz
Sie müssen testen, was funktioniert       können. So viel ist klar. Entscheidend   neuer Bereich rund um das Thema Robotik.
und bei den Besuchern ankommt.            ist aber die Begegnung. Entscheidend
Manches ist auch eine konzeptionelle      ist, dass wir zusammen in eine Inter-
Frage: Möchte ich zum Beispiel als        aktion kommen. Und dafür brauchen
Kunstmuseum, dass Besucher digital        wir – zumindest in der Jugendarbeit –
durch ein Bild laufen und damit Teil      ­einen gemeinsamen Treffpunkt in
des Kunstwerks werden? Oder ist das        der realen Welt.                        Die Telekom-Stiftung unterstützt die
eine Trivialisierung, die ich an dieser                                            Auszeichnung „Bibliothek des Jahres“
Stelle nicht will? All das herauszufin-                                            seit 2017. Zum zweiten Mal wurde in
den, ist ein spannender Prozess. Zum                                               diesem Jahr auch die Auszeichnung
Glück gibt es immer mehr Förde-                                                    „Bibliothek des Jahres in kleinen
rungen, um Museen finanziell auf                                                   Kommunen und Regionen“ verliehen.
diesem Weg zu unterstützen.                                                        www.telekom-stiftung.de/bibliothek
26   Gastbeitrag
27

»Es gibt keinen QR-Code
  für Wertschätzung.«
         Im Klassenzimmer hat das digitale Zeitalter begonnen.
         Wie läuft’s? Eine Bestandsaufnahme von Comedian und
         Deutschlehrer Johannes Schröder alias „Herr Schröder“.
                                               Illustrationen: DIANA KÖHNE

                                         Aber auch für die Schülerinnen und
                                         Schüler hat das alles ja nicht aus-
Wissen Sie, wie spät es ist? Der Zei-    schließlich Vorteile. Je perfekter ein   hin ist. Erasmus in Chile? Ein freiwil-
ger der Smartwatch steht auf „digita-    System wird, desto weniger Schlupf-      liges soziales Jahr? Verwickelt in den
les Zeitalter“. Kreidezeit vorbei. Das   löcher gibt es auch. Wenn sich das       Wirecard-Skandal?
klassische Kästner-Klassenzimmer         Unterrichtsmaterial in der Cloud
hat ausgedient. G8 wurde durch 5G        befindet, ist zwar dein Ranzen leich-    Das haptische Klassenbuch war
auf links gedreht und der Overhead-      ter, aber du kannst nicht mehr sagen:    stets ein unverfälschter Spiegel der
projektor steht mit gesenktem Kopf       „Ich hab mein Buch nicht dabei.“         Klassengemeinschaft. Das digitale
in der Besenkammer. Der Medien-          Ein Rechenalgorithmus kann nicht         Klassenbuch hingegen ist gläsern,
wagen hat Netflix, Disney plus und       mal eben Fünfe gerade sein lassen.       unromantisch und ohne Rätsel.
DAZN. Induktions-Ladestationen im        Und wo der Mensch zu einem Avatar        1 oder 0. Kein Zwischen-den-Zeilen-
Oberstufenraum. Ein E-Roller-Park-       wird, ist der Humanismus nur noch        Lesen. Kein Spielraum für ästheti-
platz neben den Tischtennisplatten.      eine geistige Strömung aus dem           sches Lustwandeln. Niemand mag
                                         18. Jahrhundert (Quelle: Wikipedia).     den Geruch von Excel-Tabellen. Im
Die Schulbücher gibt es als Podcast                                               analogen Urzustand passte sich das
und Tausende externe Nachhilfeleh-       Lange Zeit konntest du als Lehrer        Klassenbuch seiner Umgebung stets
rer graben uns Lehrern auf YouTube       abwägen: Soll ich jetzt wirklich einen   an und erfand sich unter erheblichem
das Wasser ab. Videotutorials wie:       Klassenbucheintrag darüber vor-          Wachstumsschmerz immer wieder
„Der Dreisatz in zwei Sätzen“, „Effi     nehmen, dass Torben-Manuel sich          neu: Eselsohren, Kaffeeflecken und
Briest effizient erklärt“ oder „Epic     weigert, seinen Helm abzunehmen,         Rotwein-Kränze verschmolzen zu
Fails of History: Von Issos Keilerei     oder dass Jeremy mit Döner-Resten        einem impressionistischen Gemälde.
bis Prager Fenstersturz“. Da wirkt       wirft? Alles im Ermessensbereich         Dazu kamen die kosmetischen
unsereiner mit seiner Doppelstunde       meiner künstlerischen Freiheit. So       Eingriffe von Jeremy und Torben-
Deutsch natürlich wie ein Waffelei-      ein handelsübliches Klassenbuch,         Manuel, die versuchten, die dokumen-
sen auf einer Thermomix-Party.           das war gerne auch mal zwei, drei        tierten Verfehlungen zu kaschieren.
                                         Wochen verschwunden. Teilweise
                                         wusste man über Monate nicht, wo es
28                                                                 Gastbeitrag

                                                               » Die Schule muss
                                                               der Kratzbaum des
                                FOTOS: ROBERT MASCHKE
                                                                 Lebens sein. «

                                                        Tipp-Ex-Korrekturen zogen sich wie
                                                        Kondensstreifen durch den Erwar­
                                                        tungshorizont. Ein erhabener, im-
                                                        pliziter Metatext, physisch erlebbar
     Johannes Schröder (47)                             wie Brailleschrift. Dreidimensional,      öffentlich einräumten: „Das Feuer
     hat zwölf Jahre lang                               aromatisch und ehrlich.                   ist für uns alle Neuland.“ Und nun
     selbst unterrichtet. Als                                                                     ist das Internet wie ein zweites Feuer
     „Herr Schröder“ bringt                             Mir ist bewusst, dass das etwas           in unserem Dachstuhl ausgebrochen
     er seine Schulerfahrung                            ­gestrig klingen mag. Immerhin            und wir kriegen es kaum gebändigt.
     auf die Comedy-Bühne –                              stehen wir gerade an der Schwelle        Jetzt heißt es: Stockbrot reinhängen
     eine humoristische                                  zu einer Zeitenwende. Aber keine         und die Garzeit beachten.
     Form der Selbstvertei­                              Sorge: Bei der Erfindung des Feuers
     digung, wie er sagt.                                haben damals auch viele geflucht         Und das Unterrichtsfach „Glück“
                                                         und sich die Pfoten verbrannt. Der       kann da auch nicht die Lösung sein.
                                                         Topflappen wurde ja erst Jahre später    Nebenbei bemerkt, sind die meisten
                                                         erfunden. Als dann das Feuer-Update      Lehrkräfte da ohnehin fachfremd.
                                                         in Umlauf gebracht werden sollte,        Und was kommt als Nächstes? Leis-
                                                         haben die meisten bestimmt erst mal      tungskurs Achtsamkeit? Glück ist,
                                                         auf „später erinnern“ geklickt. Die      was außerhalb der Schule passiert.
                                                         damaligen sogenannten Quer-Zünd-         „Sorry, ich kann heute nicht mit an
                                                         ler versuchten auch lange, das Feuer     den Badesee, ich hab’ noch eine
                                                         mit Fackeln aus der Stadt zu verjagen.   ­Doppelstunde Glück.“
                                                         „Unsere Jugend verblödet! Die Kinder
                                                         gucken den ganzen Tag nur ins Feuer.     Lückentext zum Thema Glück: Heute
                                                         Danke, Merkel!“                          ist ein _ _ _ _ _ _ Tag. Die _ _ _ _ _
                                                                                                  scheint. Ich _ _ _ _ _ mein Leben.
                                                        Irgendwann dämmerte aber auch             Was ist dann klausurrelevant? „Nee,
                                                        dem letzten Höhlenmenschen, dass          Justin, du warst heute nicht mit dir im
                                                        Stockbrot warm einfach besser             Reinen, deshalb leider ungenügend.“
                                                        schmeckt. Wahrscheinlich war es da-
                                                        mals auch eher die junge Generation,      Reformen dieser Art sind der Ver-
                                                        die die Chancen des Feuers erkannt        such einer Imagekampagne der
                                                        hat. Mit 280 Rauchzeichen konnten         Kultusministerien. Pädagogisches
                                                        sie untereinander kommunizieren.          Greenwashing. „Hey Kids, Goethe ist
                                                        „Später treffen am Wasserloch. Bring      lit!“ Aber: Schule darf niemals cool
                                                        Shisha mit. CU Sven.“ Gut, dass es        werden. Schule darf sich nicht anbie-
                                                        damals besonnene Politiker gab, die       dern. Schule muss der Kratzbaum des
                                                                                                  Lebens sein und bleiben. Gegenspie-
                                                                                                  lerprinzip. Wer Rückenschmerzen
29

                                          Eine Gesamtschule in Siegen hat
                                          dieses Jahr ihren Schülern zwei
                                          Zeugnisse ausgestellt. Ein ganz her-
                                          kömmliches mit den Noten 1 bis 6.
                                          Das andere befasst sich damit, wie die
                                          Corona-Krise individuell gemeistert
                                          wurde. Denn das dürfen wir niemals
                                          vergessen: Diese Kinder haben eine
                                          Ausnahmesituation bewältigt, für
                                          die es kein Protokoll gab. Wenn jetzt
                                          also öffentlich besprochen wird, ob
                                          es sich bei diesen Jahrgängen um eine
                                          „verlorene Generation“ handelt und
                                          ob der Unterricht nachgeholt werden
                                          muss, missachten wir alles, was wäh-
hat, muss die Bauchmuskeln trainie-       rend Corona gelernt wurde.
ren. Ich sage: Raus mit den Glasfa-                                                Instagrammatik
serkabeln, rein mit dem Asbest. Je        Diese Kinder haben ein Survival-
rückschrittlicher die Schule, desto       Training bestanden. Mit Machete und      Sie wollen mehr von Johannes Schröder
größer der Befreiungs-Impuls, der         Maus haben sie eine Schneise durch       lesen? Auch in seinem neuen Buch
die Kinder schließlich ins Leben          das dichte Gestrüpp der Corona-          „Instagrammatik“ widmet sich der studierte
katapultiert.                             Maßnahmen geschlagen und sich            Deutschlehrer und Comedian den Heraus-
                                          neue Wege erschlossen. Ohne dass         forderungen der Schule von morgen: Was
Es ist doch so: Wir sind bemüht, die      sie es so nennen würden, haben sie       passiert, wenn G8 auf 5G trifft? Warum gibt
curriculare Infrastruktur zu optimie-     ihr Soft-Skills-Repertoire um zahlrei-   es den Link in Bio und nicht in Geschichte?
ren, weil es diese eine Stellschraube     che Learnings erweitert. Allen voran     Und können YouTube-Tutorials wirklich den
ist, für die wir das geeignete Werkzeug   Selbstorganisation, Durchhaltever-       Lehrermangel ausgleichen? Fragen wie
zu haben meinen. Aber keine Bil-          mögen und ein ungefähres Gefühl          diese stellt sich „Herr Schröder“, nachdem
dungsreform dieser Welt ersetzt das       für globale Zusammenhänge. Gerne         die neue Rektorin an seiner Schule ein digi-
Gefühl, beim Sport als Erster respek-     würde ich ihnen dafür ein eisernes       tales Update installiert hat. Schon bald wird
tive Letzter gewählt zu werden. Die       Verdienstkreuz an den Rucksack           er die Vor- und Nachteile des streamenden
Corona-Krise und die damit einherge-      hängen.                                  Klassenzimmers am eigenen Leib erfahren.
henden Schulschließungen haben ver-
deutlicht: Der Unterricht – vor allem     Aber all den warmen Worten zum
digital – ist nur ein homöopathischer     Trotz: Wirklich nichts ersetzt das
Teilaspekt schulischen Lernens.           menschliche Miteinander. Da mag
                                          die Datenverbindung noch so gut
Das Wesentliche passiert außerhalb        sein. Es soll sogar Schüler gegeben
des Stundenplans. In den sozialen         haben, die nach einer Doppelstunde
Lehrstunden des Lebens. Der Weg           digitalen Fernunterrichts aus lauter
zum Schulbus, das Zettelchen, das         Heimweh nach dem Klassenzimmer
einem unter der Bank zugesteckt           bei sich zu Hause den Stuhl hoch­
wird, die heimliche Zigarette in der      gestellt haben.
Fünfminutenpause, die Lehrerin, die
ein Auge zudrückt. Diese Erfahrungen
sind viel entscheidender als 45 Minu-
ten Hybrid-Unterricht. Was nutzt mir        Der Text entstand in Zusammenarbeit
der Satz des Pythagoras, wenn nie-          mit Simon Slomma.
mand mit mir spricht? Es gibt keinen
QR-Code für Wertschätzung.
Sie können auch lesen