De:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys - Amadeu Antonio Stiftung
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de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys
Herausgeber: Amadeu Antonio Stiftung Novalisstraße 12 10115 Berlin Telefon + 49 (0)30. 240 886 10 info@amadeu-antonio-stiftung.de www.amadeu-antonio-stiftung.de Autor:innen: Eva Kappl, Theresa Lehmann, Thilo Manemann, Mareike Stürenburg, Una Titz Redaktion und Lektorat: Lukas Jäger, Britta Kollberg, Simone Rafael Titelbild: Rodion Kutsaev on Unsplash Gestaltung: Wigwam eG, Berlin Satz: Anne Prinz, Münster Druck: Druckzone, Cottbus Gedruckt auf Envirotop Recycling 100 % Altpapier ISBN 978-3-940878-69-4 © Amadeu Antonio Stiftung, 2021 Wir möchten uns bei all unseren Spender:innen bedanken, die die Arbeit der Stiftung ermög- lichen, vor allem auch in noch wenig öffentlich wahrgenommenen und nicht geförderten aktuellen und neuen Themenfeldern. de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 2
Inhalt 4 Warum dieser Report? 5 tl;dr: Zusammenfassung der Ergebnisse 6 Was ist israelbezogener Antisemitismus? 9 Gängige Narrative im israelbezogenen Antisemitismus 11 Instagram – Die Gefahr unwissender Positionierung 17 TikTok – Antisemitismus im neuen Gewand TikTok-Videoanalyse: Desinformationsnarrative am Beispiel von trtdeutsch 26 Israelbezogener Antisemitismus in Gaming-Communitys 29 Handlungsempfehlungen 32 Weiterführende Literatur 33 Informationen und Anlaufstellen 35 Anmerkungen und Quellen de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 3
Warum dieser Report? Antisemitismus tritt in verschiedenen Formen auf, doch dürfte dies einer der ersten Kontakte mit israelbezogenem gemein ist ihnen allen, dass sie früher oder später Jüdin- Antisemitismus gewesen sein. Und das auf Plattformen, nen:Juden zum Zielobjekt von Hass und Gewalt machen. auf denen die Aufklärung zu diesen Phänomenen oft noch Eine Form, die immerzu präsent ist, allerdings oft nicht auf selten zu finden ist. den ersten Blick erkannt wird, ist der israelbezogene Anti- semitismus. Der de:hate report #03 zeigt deshalb nicht Die Entwicklung von Gegenstrategien zum Antisemitis- nur, wie israelbezogener Antisemitismus erkannt werden mus online wollen wir anregen. kann. Vor allem widmet er sich der Frage, wie und warum er sich auf Sozialen Medien wie Instagram und TikTok verbreitet, die an sich für Popkultur und Unterhaltung ste- hen. Ausgehend von diesem Selbstanspruch verfügen die Deshalb zeigt dieser Report: Plattformen allesamt über Mechanismen, die Hate Speech im Allgemeinen und Antisemitismus im Konkreten ver- • wie sich israelbezogener Antisemitismus äußert, hindern sollen. Und die Nutzer:innen reagieren: So wer- • wie er von Influencer:innen verbreitet wird, den entsprechende Äußerungen codiert, um trotzdem eine große Reichweite zu erzielen. Wie sehen diese Codierun- • wie er auf den Plattformen Instagram und TikTok gen aus? Wie wird der antisemitische Hass geteilt? Was in Erscheinung tritt, spricht die Nutzer:innen daran an? • was wir dagegen tun können. Im Mai 2021 diente die erneute Eskalation im Nahost-Kon- flikt als Anlass, um vermehrt Antisemitismus auf Sozialen Medien zu verbreiten. Influencer:innen und Meinungs- führer:innen auf unterschiedlichen Plattformen brachten dabei antisemitische Narrative für ein internationales Publikum in Umlauf. Für viele, vor allem junge Nutzer:innen de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 4
tl;dr: Zusammenfassung der Ergebnisse ■ Antisemitismus gibt es in allen Sozialen Netzwerken, abzusprechen – auch mit Hashtags oder Emoji-Veran- von rechtsextremen oder islamistischen Vernich- schaulichungen der Forderung, auf Israel einzutreten. tungsfantasien bis hin zu diskriminierendem „Humor“. Eine Ausprägung ist der israelbezogene Antisemitis- ■ Die globale Onlinewelt der Sozialen Netzwerke zeigt mus, der sich als Teil einer digitalen Popkultur auch auf deutlich, dass Debatten rund um den Nahost-Konflikt Instagram, TikTok und in Gaming Communitys wieder- und in diesem Zuge ebenfalls der israelbezogene Anti- findet und dort vor allem junge Menschen beeinflusst. semitismus international beeinflusst und geprägt wer- den. Wo immer Antisemitismus in Sozialen Medien von ■ Während der Eskalation des Nahost-Konflikts im Mai einflussreichen Persönlichkeiten verbreitet wird, hat er 2021 ließ sich dieses Phänomen eindrücklich beobach- auch eine Wirkung auf Nutzer:innen in Deutschland. ten. Vor allem Influencer:innen kam eine wichtige Rolle zu. Viele sahen sich durch ihre Follower:innen einem ■ Nutzer:innen, die mit israelbezogenem Antisemitis- hohen Positionierungsdruck ausgesetzt oder teilten mus unterschwellig in Kontakt kommen, reproduzieren ohne hinreichende Kenntnis über den Nahost-Kon- ihn oft versehentlich, bisweilen aber auch bewusst. flikt Inhalte, die antisemitische Narrative bedienten. ■ Um der Verbreitung und Festigung von antisemitischen ■ Während klassischer Antisemitismus hauptsächlich in Narrativen entgegenzutreten, braucht es Gegenstrategien: rechtsextremen und islamistischen Szenen anzutreffen ist, Von einer digitalen Zivilgesellschaft, die aufklärt und bei wird israelbezogenem Antisemitismus größtenteils in einer Hass gegensteuert bis zu einer konsequenten Moderation links-liberalen Debatte ein Platz eingeräumt. Der Nahost- der Plattformen, wenn es um Vernichtungsfantasien geht. Konflikt wird verkürzt oder falsch dargestellt, dazu kommt die Behauptung, es gäbe – analog zum antirassistischen ■ Der antisemitische Hass in der Onlinewelt hat reale Protest der „Black Lives Matter“-Bewegung - eine eindeu- Konsequenzen für diejenigen, die als Feindbilder mar- tige Schuldzuschreibung. Bei den Positionierungen geht es kiert werden. Er trifft früher oder später Jüdinnen:Ju- oft nicht um Kritik, sondern darum, Israel das Existenzrecht den – virtuell und real. de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 5
Was ist israelbezogener Antisemitismus? Am 26. Mai 2016 formulierte die International Holocaust Diese Definition wird von zahlreichen Staaten und deren Remembrance Alliance (IHRA) in Budapest eine Grundlage Behörden, aber auch von Sport- und Kulturvereinen aner- der Arbeitsdefinition von Antisemitismus. Sie lautet: kannt und als Grundlage zur Erkennung und Bekämpfung von Antisemitismus betrachtet, denn sie hat sich als sehr praxistauglich für Justiz, Strafverfolgung, Bildungsein- richtungen, Regierungsorganisationen und Zivilgesell- „Antisemitismus ist eine schaft erwiesen. Als Hilfestellung hat die EU-Kommission daher auch eine Handreichung2 zur Anwendung der Defi- bestimmte Wahrnehmung von nition veröffentlicht. Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen Auch der israelbezogene Antisemitismus ist ein aus Ste- reotypen gespeister, projizierter Hass auf Jüdinnen:Ju- und Juden ausdrücken kann. den. Israel ist der Staat, der wie kein anderer für jüdi- Der Antisemitismus richtet sich sches Leben und Überleben steht. Diese Symbolkraft wird in Wort oder Tat gegen jüdische benutzt, um Antisemitismus zu äußern, ihn aber als ver- meintlich legitime Kritik an staatlichem Handeln zu ver- oder nichtjüdische Einzelperso- schleiern. Kritik muss immer möglich sein. Doch im israel- nen und/oder deren Eigentum bezogenen Antisemitismus geht es nicht um Kritik. Israel sowie gegen jüdische Gemein- rückt hier vielmehr an die Stelle „der Juden“3, wird als Syn- onym verwendet. Deshalb werden dieselben antisemiti- deinstitutionen oder religiöse schen Erzählungen, die zuvor „den Juden“ zugeschrieben Einrichtungen.“ 1 wurden, nun mit Israel verknüpft. In Deutschland erfüllt israelbezogener Antisemitismus seit Jahrzehnten die Funktion einer sogenannten Schuld- abwehr4. Angesichts der deutschen Geschichte und des de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 6
Holocausts, der einer positiven nationalen Identität im Grenze zu antisemitischen Erzählungen überschreitet Weg steht, kommt es dabei zu einer Täter-Opfer-Umkehr, – was besonders bei denjenigen verfängt, die sich mit indem Israels Verteidigungspolitik mit den Vernichtungs- Antisemitismus noch nicht befasst haben. So kann der taten der Nationalsozialist:innen verglichen oder gar der israelbezogene Antisemitismus unbemerkt Menschen Vorwurf geäußert wird, Israel habe aus der Vernichtung mit antisemitischen Erzählungen in Kontakt bringen, die der europäischen Jüdinnen:Juden nicht gelernt. Während lediglich staatliche Konflikte zu kritisieren glauben. Weil der klassische Antisemitismus weitestgehend als tabui- dies regelmäßig, etwa bei Debatten zum Nahost-Konflikt, siert gilt, bietet der israelbezogene Antisemitismus so vorkommt, hat der israelische Politiker und Wissenschaft- eine Möglichkeit, tradierte Vorurteile aufrecht zu erhal- ler Natan Sharansky eine Hilfestellung entwickelt: den ten und zu äußern. Eine gängige Übertragung tradierter sogenannten „3D-Test“5, der auch in die IHRA-Definition antisemitischer Narrative zeigt sich in dem Ausspruch aufgenommen wurde. Wenn eines der drei „D‘s“, die der „Kindermörder Israel“, der an die bekannte Erzählung von Test benennt, bei einer Aussage aufzufinden ist, liegt es „Juden als Babymördern“ anknüpft. Ein deutliches und oft zumindest nahe, dass es sich um israelbezogenen Anti- aufzufindendes Indiz für israelbezogenen Antisemitismus semitismus handelt: findet sich generell dort, wo der Begriff des „Zionisten“ entgegen seiner wirklichen Bedeutung als Umschreibung für „Jude“ benutzt wird. ■ Dämonisierung: Juden werden im klassischen Anti- semitismus als das Böse schlechthin dargestellt. An Auch wenn der vorliegende Bericht vor allem die junge deren Stelle rückt in seiner modernen Erscheinungs- Generation betrachtet, ist nicht zu verkennen, dass diese form oft der Staat Israel. Gängige Formulierungen fin- Form von Antisemitismus in Deutschland seit Jahrzehn- den sich z.B. in Bezügen zum Nationalsozialismus oder ten verbreitet ist. Denn sie ist überall in der Gesellschaft in Holocaust-Relativierungen („Israel macht jetzt mit und in sämtlichen politischen Strömungen anschluss- den Palästinenser:innen das gleiche, was damals die fähig und macht es möglich, Stereotype und Feindbilder Nationalsozialisten mit den Juden gemacht haben“). zu äußern, ohne sich damit auseinandersetzen zu müs- sen oder sie als antisemitisch zu begreifen. Diese Form ■ Doppelstandards: An Israel werden andere Maß- des Antisemitismus ist schwerer erkennbar, weil sie als stäbe angelegt als an andere Länder. Einsei- scheinbar legitime Staatskritik geäußert wird, aber die tige Kritik findet sich verdichtet bei Israel wieder, de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 7
während zu ähnlichen Problematiken anderer Länder geschwiegen wird oder sie vor dem Hintergrund israelischer Politik relativiert werden. Dies manifestiert sich alleine schon im Begriff der „Israelkritik“; von einer gleichnamigen Staatskritik anderer Länder (z.B. „Irankritik“ oder „Deutschlandkritik“) liest man nämlich vergleichsweise selten.6 ■ Delegitimierung: Das Existenzrecht Israels wird angezweifelt bis hin zur geforderten endgültigen Vernichtung. Oft geht diese Forderung nach Aus- löschung Israels mit einem feindlichen Geschichtsverständnis einher, das jüdische Siedler:innen pauschal als Besatzer:innen darstellt, unabhängig von der britischen Besatzung und der bereits Jahrhunderte langen Anwe- senheit jüdischer Menschen vor Ort. Gängige Parolen, die Israel das Exis- tenzrecht absprechen, sind etwa „Nie wieder Israel“ oder „From the river to the sea, Palestine will be free“ (deutsch: Vom Fluss bis ans Meer wird Palästina frei sein). Letztere meint einen palästinensischen Staat vom Jor- dan bis ans Mittelmeer. Dies impliziert die Auslöschung Israels und spricht gleichermaßen Jüdinnen:Juden das Selbstbestimmungsrecht ab. Die Antwort auf die Frage „Darf ich denn hier nicht einmal mehr Israel kritisie- ren?“ lautet also: Natürlich darfst du das, solange du nicht die 3 D‘s Dämoni- sierung, Doppelstandards und Delegitimierung verwendest. de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 8
Gängige Narrative im israelbezogenen Antisemitismus „Israel ist ein Apartheidstaat!“ „Kindermörder Israel“ Wer Israel als „Apartheidstaat“ bezeichnet, vergleicht Im israelbezogenen Antisemitismus wird der Staat Israel die Situation in Israel in der Regel mit der des damali- stellvertretend für Jüdinnen:Juden mit antisemitischen gen Apartheidstaates Südafrika, in dem es eine staatlich Stereotypen bedacht (siehe S.6). Der Ausruf „Kinder- festgesetzte Trennung zwischen Schwarzen und Weißen mörder Israel“, der oft auf antisemitischen Demonst- Menschen gab. Das ist in Israel keineswegs der Fall: Israel rationen zu hören ist, zeigt dies besonders deutlich: Es ist ein Rechtsstaat, und nicht-jüdische israelische Staats- handelt sich dabei um eine Reaktivierung der „Ritual- angehörige können gleichermaßen Teil des öffentlichen mordlegende“, einer jahrhundertealten antisemitischen Lebens und staatlicher Politik sein wie jüdische Menschen. Erzählung, wonach Jüdinnen: Juden Kinder entführen und Zwar gibt es auch in Israel wie in anderen Nationalstaaten töten würden. Immer wieder war dieses Narrativ Anlass soziale Missstände, von denen überproportional arabische mörderischer Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung. Israelis betroffen sind, aber ein Vergleich mit dem dama- Der Ausruf „Kindermörder Israel“ suggeriert, dass Israels ligen Apartheidstaat Südafrika ist geschichtsrelativierend erklärte Absicht die Tötung von Kindern sei.8 Zudem wird und verharmlost den dort staatlich verankerten Rassismus. kein anderes Land und keine andere Gruppe, die an Kriegs- handlungen beteiligt ist, mit einer derartigen Zuschrei- Bei der Behauptung, Israel sei ein „Apartheidstaat“, han- bung bedacht – obwohl in allen Kriegen auch Kinder unter delt es sich nach der Antisemitismusforscherin Monika den Opfern sind9. Dieses Narrativ fällt im 3D-Test unter Schwarz-Friesel7 um eine bewusste De-Realisierung und die Kategorie Doppelstandards, aber auch unter die Kate- eine Dekontextualisierung: Israel wird als das Phanta- gorie der Dämonisierung, denn der Begriff des „Kinder- siegebilde eines Staates dargestellt, der ausschließlich mörders“ hat eine stark emotionalisierende Wirkung: Wer für Jüdinnen:Juden da sei, und gleichzeitig wird ihm das Kinder tötet, muss besonders grausam sein. demokratische Staatswesen aberkannt. de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 9
„Ethnic Cleansing“ (deutsch: ethnische Säuberungen) Der Ausdruck des „Ethnic Cleansing“ findet oft Verwendung in Kombination mit Israel als imaginiertem „Apartheidstaat“ und Vergleichen mit der Vernich- tungsdiktatur der Nationalsozialist:innen. In der Folge wird Israel oft vorgewor- fen, „dasselbe mit den Palästinenser:innen zu machen, was die Nationalsozia- listen mit jüdischen Menschen getan haben“. So wird die aktuelle israelische Politik mit einem systematischen Massenmord gleichgesetzt. Hierbei handelt es sich sowohl um eine Relativierung des Nationalsozialismus als auch nach dem 3D-Test um eine Dämonisierung Israels als Staat, der angeblich nicht- jüdische Menschen auslöschen will. de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 10
Instagram – Die Gefahr unwissender Positionierung Mehr als 1,3 Milliarden Nutzer:in- Die Plattform ist dadurch auch für Sogar Neonazi-Gruppen verbreiten nen verzeichnet Instagram weltweit. Aktivist:innen ein zentrales Kommu- über die Plattform zu Gewalt aufru- Damit zählt das Soziale Netzwerk nikationsmittel. Dazu gehören Bewe- fende Inhalte.12 neben Facebook, TikTok und You- gungen, die von jungen Menschen Tube zu den am meisten genutzten. ausgehen, sich für ein gerechteres Dabei zeigen die Aktivitäten unter- Vor allem unter Jugendlichen erfreut Zusammenleben starkmachen und schiedlicher Bewegungen auf Insta- sich Instagram neben WhatsApp in sich in erster Linie an ein junges Pub- gram vor allem eines: Die Plattform Deutschland steigender Beliebtheit. likum richten – von Klimagerechtig- ist ein Raum, in dem kontinuierlich Laut der ARD/ZDF-Onlinestudie von keitsgruppen wie Fridays For Future um die Aufmerksamkeit derjenigen 202010 benutzen 65 % der 14- bis bis zu antirassistischen Aktivist:in- gebuhlt wird, die bisher wenig poli- 29-Jährigen die Plattform. nen von „Black Lives Matter“ (BLM). tisch interessiert oder gefestigt sind. Instagram ist mittlerweile mehr als Auch antidemokratische Akteur:innen Die Politisierung des eine reine Unterhaltungsplattform. versuchen sich dort Raum zu ver- Mainstreams Die geteilten Beiträge dienen dem schaffen und die Plattform für ihre Austausch, der Aufklärung und der Zwecke zu instrumentalisieren. Sie Waren auch auf Instagram politische Informationsbeschaffung. Mit seiner wollen dadurch neue Anhänger:innen Statements und Beiträge größtenteils hohen Popularität verschafft Insta- finden und ihre Ideologie verbreiten. politischen Akteur:innen vorbehalten, gram seinen Nutzer:innen eine breite So zeigte die Rechercheplattform zeichnete sich 2020 eine deutliche Öffentlichkeit und ist stärker als Mes- Correctiv in einer Datenanalyse, wie Änderung ab. Nach der Tötung des sengerdienste wie WhatsApp oder extreme Rechte die Funktionsweise Schwarzen13 US-Amerikaners George Telegram auf sichtbare Reichweiten von Instagram nutzen, um unter- Floyd durch einen Polizisten gewann und Bekanntheit ausgelegt. schwellig ihr Weltbild zu verbreiten.11 die antirassistische „Black Lives de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 11
Matter (BLM)“-Bewegung an Auf- schwung und tauchte weltweit in den Instagram-Feeds reichweitenstarker Influencer:innen auf, die ansonsten nicht gezielt politische Beiträge ver- fassten. Die Debatte um Rassismus traf den Nerv der Zeit, und die deutli- chen Worte zahlreicher Influencer:in- nen stießen auf positive Reaktionen. Der Wunsch, sich klar und explizit gegen rassistische Diskriminierung zu wenden, fand dadurch auch bei Menschen ein Zuhause, die sich mit dem Thema noch nicht befasst hatten und so das erste Mal mit antirassisti- schen Diskursen in Kontakt kamen – sowohl aufseiten der Influencer:innen als auch bei den Follower:innen. Die Politisierung von Instagram hat Die feministische Künstlerin und Boxerin Ischraa ruft in einem Instagram-Post andere Vor- und Nachteile. Zum einen ver- Influencer:innen auf, ihre Reichweite für eine eindeutige Positionierung zu nutzen. schafft sie wichtigen gesellschafts- Quelle: Instagram. politischen Themen Öffentlichkeit durch alle Lebensbereiche und Inte- ressengruppen hindurch. Zum ande- ren kommen auf Influencer:innen, die sich erstmals positionieren, neue Erwartungen zu: Neben der Kritik von de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 12
Aktivist:innen, dass beispielsweise von dem sie tagtäglich betroffen ist. Narrative oder Aufrufe ungewollt Engagement gegen Rassismus über „Alles, was aus meinem Kopf und zu verbreiten. Passieren kann das eine schwarze Kachel als Profilbild Mund kommt, wird daran gemessen, bereits bei der Benutzung eindeuti- (eine Instagram-Aktion im Zuge von wie ich aussehe und woher meine ger Hashtags wie #freepalestine oder BLM) hinausgehen muss, wird auch Eltern kommen“, schreibt sie16. Des- #bds17. Die Konsequenz für politisch in weiteren gegenwärtigen Konflikten halb wendet sie sich vor allem an unerfahrene Influencer:innen kann immer öfter eine Positionierung der privilegierte Influencer:innen mit der Kritik sein oder gar der Vorwurf, Anti- Influencer:innen gefordert. So war es Forderung, sich im Nahost-Konflikt semit:in zu sein. Dadurch könnten sie vermehrt im eskalierten Nahost-Kon- eindeutig zu positionierten, „weil sich aus dem gesellschaftlichen Dis- flikt im Mai 202114. Die feministische ihnen Menschen zuhören“. Die Stim- kurs voreilig wieder zurückziehen – Autorin Sophie Passmann nimmt den men dieser Influencer:innen seien ohne ihre Äußerungen zu reflektieren Positionierungsdruck durch die Fol- deshalb so wichtig, weil die Sozia- und daraus lernen zu können. lower:innen wahr und schreibt dazu len Medien ein wichtiges Gegenge- im Mai 2021 im ZEITmagazin, man wicht zur deutschen Presse seien, die Eine Positionierung findet vor allem müsse im „Zweifel auch mal aus- „sich im Vergleich zum Rest der Welt dann statt, wenn sie alltagstauglich halten, dass Follower einen gerne zu ganz klar auf Seiten der Israelischen ist. Das bedeutet, dass das politische einem politischen Statement drängen Regierung stellt und jede sachliche Thema den Zeitgeist aufgreifen und wollen, entweder weil sie selbst eine Kritik [...] abschmettert und unter zu den sonstigen Unterhaltungsin- Ausrichtung brauchen oder weil sie ‚Antisemitismus‘ einordnet“. halten der Influencer:innen passen ihre Vorbilder ideologisch überprü- muss, wenn beispielsweise Klimage- fen wollen“.15 Das sehen nicht alle so: Keineswegs muss diese Positio- rechtigkeit auf die Bewerbung nach- Die deutschsprachige feministische nierung immer mit antisemitischen haltiger Mode stößt.18 Gleichzeitig ist Künstlerin und Boxerin Ischraa mit Äußerungen einhergehen. Wer sich die Positionierung aber auch immer mehr als zehntausend Follower:innen jedoch mit dem Nahost-Konflikt mit der Funktionsweise von Insta- kritisiert, „dass viele Menschen einem wenig bis gar nicht befasst hat und gram zusammenzudenken. Dies zeigt erst zuhören, wenn mind. eine weiße dem gefühlten Druck, sich positionie- sich in der Darstellung der politi- Person mit am Tisch sitzt“, und macht ren zu müssen, nachgibt, kann Gefahr schen Statements, die in Instagram- auf den Rassismus aufmerksam, laufen, in dem Kontext antisemitische typischer Weise an die Vermarktung de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 13
von Produkten erinnern. Das ist nicht verwunderlich, denn auch Firmen bekennen sich mittlerweile zu poli- tisch größtenteils akzeptierten und demokratischen Positionen (z.B. gegen Rassismus).19 Sogenannte Karussell-Slides ermöglichen es, die Aufmerksamkeit von Nutzer:innen zu binden. Ein sonst für Instagram sehr langer und die Aufmerksamkeits- spanne der Nutzer:innen womöglich übersteigender Text kann dadurch in einzelne Bausteine aufgeteilt und in Instagram-typische Bilder, die aufei- nander folgen, verpackt werden. In Auszügen dieses Comics, das als Karussell aufgebaut ist, wird Israel das demokratische Staatswesen aberkannt, das Existenzrecht abgesprochen, es wird als „Apartheidstaat“ bezeichnet und der bewussten Fehlinformation bezüglich seiner Geschichte bezichtigt. Quelle: Instagram. de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 14
Komplexitätsreduktion durch Instagram-Ästhetik Der Account „key48return“ ist für israelfeindlichen Inhalt bekannt. Das impliziert bereits der Name, der auf das Gründungsjahr Israels anspielt und als Forderung verstanden wer- den kann, diese Gründung rück- gängig zu machen. An über 70.000 Follower:innen spielen darüber Stu- dierende der Palestine Society an der Universität Westminster (UK) ihren Content aus. Eine von vielen Influen- Der Rapper Massiv vergleicht Gaza mit dem Warschauer Ghetto und zieht einen Vergleich cer:innen geteilte Slide-Show ist als zum Nationalsozialismus, der die Vernichtungstaten der Nazis relativiert und verharmlost. Comic dargestellt, das in sechs Spra- Quelle: Instagram. chen übersetzt und insgesamt über 600.000 Mal geliket wurde. In einem von Israel als das eines dämonischen Besatzers, der sich zu Unrecht ein Terri- der am meisten verbreiteten Karus- torium erschlossen und kolonialisiert habe. Auch andere Influencer:innen teil- sell-Slides erklärt eine Tee trinkende ten die Inhalte von „key48return“, so das Top-Model Bella Hadid, das sie aber Frau ihrem Gegenüber, was es mit der nach scharfer Kritik wieder löschte. Ein Großteil des Contents von „key48re- vermeintlichen Geschichte Israels auf turn“ lässt sich mithilfe des 3D-Tests als Delegitimierung und Dämonisierung sich hat. Allein der Fakt, dass Israel des israelischen Staates einordnen. dabei in Anführungszeichen gesetzt wird, suggeriert, dass es sich mehr Eine reine Politisierung zu betreiben, ohne die ästhetischen Spielregeln von um ein Fantasiegebilde als um einen Instagram einzuhalten, ist kaum möglich. Eine dieser Spielregeln ist die Reduk- Staat handele. Die verkürzte und fal- tion von Komplexität. Was nicht in ein 10-Seiten-Karussell passt, wird kaum sche Beschreibung zeichnet ein Bild gelesen. Das ist besonders dann gefährlich, wenn Konflikte kompliziert sind de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 15
und sich nicht mal eben so auf einfache Formeln herun- Kartographie […] immer auch eine Geschichte von Mani- terbrechen lassen. Was dann passiert und welche Folgen pulationsversuchen“ ist.21 Einen besonderen Stellenwert es hat, zeigen die Eskalation im Nahost-Konflikt und die nimmt hier die Karte als vereinfachtes Modell eines jahr- damit einhergehende Positionierung verschiedener Influ- zehntelangen Konfliktes ein, das eine klare Trennung in encer:innen, die immer öfter dem Druck ausgesetzt sind, Freund und Feind vorgibt. Die Anwendung dieser manipu- sich zu äußern.20 lativen Grafik auf das Bundesland Berlin rückt vor allem letzteres in den Vordergrund. Dadurch wird nicht nur ein Ein weiteres Beispiel für die Dämonisierung von Israel fin- falsches Geschichtsverständnis verbreitet, sondern auch det sich in einem Post des deutschsprachigen Rappers Israel wieder mit dem Vorwurf der „ethnischen Säuberun- Massiv, der ein großes Publikum erreicht. Auf Instagram, gen“ angefeindet. wo er über 600.000 Abonnent:innen hat, vergleicht er die Situation der Menschen in Gaza mit dem Warschauer Ghetto und betreibt damit aktiv Holocaust-Relativierung. Neben Kommentaren von Fans, in denen Israel ebenfalls dämo- nisiert wird, finden sich auch zustimmende Kommentare anderer Rapper oder reichweitenstarker Influencer:innen. Ein anderer Account verbreitete eine eigene Zeichnung, die eine Kolonialisierung Berlins durch Israel veran- schaulichen soll, um eine „Idee über die Proportionen des palästinensischen Landes“ zu bekommen. Die Abbildung knüpft an eine hunderttausendfach geteilte Grafik mit dem Namen „Palestinian Land Loss“ an, die zeigt, wie Israel sich in seiner Geschichte angeblich immer weiter ausgebreitet und ein bereits zuvor existierendes Palästina verdrängt Versuch eines Berliner Instagram-Accounts, symbolisch eine Ver- hat. Das Katapult-Magazin verdeutlicht, wie manipula- einnahmung Berlins durch Israel darzustellen, um eine „Idee“ von tiv und verfälscht diese Grafik die israelische Geschichte der vermeintlichen israelischen Praxis in Nahost zu bekommen. darstellt, und gibt zu bedenken, dass „die Geschichte der Quelle: Instagram. de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 16
TikTok – Antisemitismus im neuen Gewand Über ein Viertel der deutschen Social Media-User:innen nutzt die Plattform TikTok.22 Es handelt sich um die am meisten heruntergeladene App für mobile Endgeräte, mit Antisemitismus in Emojis steigender Tendenz. Die Nutzer:innen sind im Vergleich zu anderen Sozialen Medien sehr jung – 69 % von ihnen welt- weit sind 2020 zwischen 16 und 24 Jahren alt –, und die Plattform ist besonders auf diese Zielgruppe zugeschnit- ten. Die für TikTok typischen kurzen Videos erreichen millionenfach Menschen rund um die Welt. Dabei spielen Quelle: TikTok verschiedene Sprachen mitunter nur eine untergeordnete Rolle. Größtenteils wird die Botschaft über Mimik und Gestik im Zusammenspiel mit einem Song und/oder Emo- Der Hashtag Israelfahne und Schuh wurde bis Okto- jis vermittelt. Inhalte auch politischer Art werden dabei mit ber allein in dieser Kombination 1,8 Millionen Mal kurzen Clips, Filtern, Songs und schauspielerischen Ele- aufgerufen (in anderer Anordnung mit ca. 350.000 menten kommuniziert. Sucheingaben). In Videos treten junge Menschen auf das israelische Flaggen-Emoji und verknüpfen Die erneute Eskalation des Nahost-Konflikts im Mai 2021 damit zwei Bildebenen, um ihrem Antisemitismus wurde auch auf TikTok zu einem zentralen Thema. Die Ausdruck zu verleihen: Denn in der arabischen Welt eigene Position dazu wurde von Creator:innen weltweit gilt der Schuh zudem als Symbol äußerster Verach- in zahlreichen Memes, Liedern, Sketchen und anderen tung und Erniedrigung.23 Die israelische Fahne darf typischen Artikulationsformen der Plattform verarbeitet. in Deutschland seit Mai 2020 nicht mehr verbrannt Angelehnt an antiimperialistische, postkoloniale oder aber werden. Das Pendant, bei dem es in Sozialen Medien auch islamistische Argumentationsmuster entstand eine zu einer symbolischen Beschmutzung oder Verbren- antiisraelische Grundstimmung, die ebenfalls von jungen nung der Fahne kommt, bleibt hingegen ohne Konse- User:innen aufgegriffen wurde. Israelbezogener Antise- quenzen. Dies mildert den Standpunkt der Nutzer:in- mitismus fand in Gestalt angeblicher „Israelkritik“ oder nen allerdings in keiner Weise ab. de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 17
durch die bewusste Codierung von „Juden“ als „Zionisten“ Nutzung durch ihre User:innen entscheidend. Dies zeigt Ausdruck. sich beim Antisemitismus besonders eindrücklich. Bereits mit dem Profilbild und den Hashtags wird die Die Algorithmen von TikTok spielen in einem ohnehin eigene „Palästinasolidarität” zum Ausdruck gebracht. schon aufgeheizten Konflikt eine bedeutende Rolle bei Besonders auffällig ist hier der Hashtag #PLM (Palesti- der digitalen Verbreitung von Antisemitismus. Die Platt- nian Lives Matter), mit dem versucht wird, an das Mobi- form gibt selbst ein paar Einblicke in ihren Algorithmus. lisierungspotential von #BlackLivesMatter anzudocken. Ein wichtiges Kriterium dafür, dass ein Video viral geht, ist Israel und seine Bevölkerung werden als „Weiß“ imaginiert neben verwendeten Filtern, Trends und Songs die Interak- und in die Rolle des rassistischen Unterdrückers versetzt. tion der Nutzer:innen mit dem Video24. Interaktionen finden Auch mit der Verwendung des „Harriet”-Soundtracks, vor allem dann statt, wenn der Inhalt besonders emotional einer Verfilmung des Lebens von Harriet Tubman, die im ist. In diesem Fall ist es egal, ob die Emotion eher negativ 19. Jahrhundert zahlreichen Sklaven bei der Flucht aus oder positiv ist. Aber vor allem negative Emotionen wie Wut den Südstaaten half, versucht man auf TikTok Analogien und aufwühlende Inhalte sorgen für eine hohe Reaktions- zu antirassistischen Kämpfen herzustellen und sich selbst quote.25 Auch antisemitische Videos lassen sich dieser als Freiheitskämpfer:in zu inszenieren. Doch diese ein- Kategorie zuordnen, denn es ist wesentlicher Teil antise- deutige Rollenverteilung geht bei dem komplexen Konflikt mitischer Narrative, besonders stark zu emotionalisieren – im Nahen Osten genauso wenig auf wie die postkoloniale wie die Erzählung vom angeblichen „Kindermörder Israel“ Lesart, dass die Israelis lediglich Kolonisator:innen sind zeigt. und die palästinensische Bevölkerung das indigene Volk. Hinzu kommt eine starke Personalisierung. Creator:innen, die bereits viele Follower:innen haben, genießen ein hohes Maß an Vertrauen, wodurch Fakten in den Hintergrund Antisemitismus unbewusst erlernen geraten können.26 Durch eine regelmäßige und persönliche Ansprache entsteht eine sogenannte parasoziale Beziehung: Für die Verbreitung menschenfeindlicher Herabsetzungen, Influencer:innen vermarkten sich über einen persönlichen, Beleidigungen und anderer Formen von Hate Speech sind freundschaftlichen Zugang. Obwohl oft eine große Distanz vor allem die Funktionsweise der Plattform wie auch die zwischen ihnen und ihren Follower:innen liegt, vermitteln sie de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 18
den Eindruck, nah und greifbar zu sein, indem sie ihren Alltag Ein Beispiel dafür, wie sich ein Zusammenspiel unter- teilen oder auf Wünsche von Follower:innen eingehen. Die so schiedlicher Bild- und Tonebenen entfalten kann, zeigt der aufgebaute Beziehung verleiht Botschaften und Erzählungen „Marie Antoinette“-Trend. Der Virtual Reality-Filter heißt eine weitaus größere Wirkung. Das gilt auch für antisemiti- „Versailles Run“, ein Trendfilter, der im Mai 2021 auf Tik- sche Narrative, die von Influencer:innen verbreitet werden. Tok anlässlich des Internationalen Tags des Museums hinzugefügt worden war. Antisemitische Erzählungen kommen im Nahost-Konflikt oft dann ins Spiel, wenn eine verkürzte Darstellung der Wer den Filter verwendet, wird zu einer Comicversion von Situation allzu schnell in eindeutigen Zuschreibungen von Marie Antoinette, die durch das Schloss Versailles läuft. Gut und Böse endet. Es wäre allerdings ein Fehlschluss zu Während ursprünglich angedacht war, einen Spaziergang vermuten, dass die Kürze des Formats bei TikTok-Videos durch den Palast zu zeigen, interpretierten die User:innen Schuld an undifferenzierten und gefährlich vereinfachten diesen Filter als Flucht. Die Prinzessin wirkt gehetzt, und Inhalten habe. Vielmehr eignet sich die Plattform, um ver- es scheint, als würde sie um ihr Leben rennen. Diese Impli- kürzte antisemitisch gefärbte Darstellungen auf spieleri- kation wurde von den Nutzer:innen des Filters bemerkt sche Weise an eine Nachwuchsgeneration zu vermitteln. und spielt eine wichtige Rolle in dessen Verwendung. Wie bei einer Fotowand kann der eigene Kopf in den Filter ein- gefügt werden. Selbst-Memefizierung als antisemitische Das macht sich auch eine deutsche Creatorin zunutze und Karikatur adressiert mit ihrem englischsprachigen Video ein inter- nationales Publikum. In der Rolle als königliche Herrsche- Die Botschaft eines Videos wird oft erst durch das Zusam- rin setzt sie sich mit „den Zionisten“ gleich. Diese Bezeich- menspiel mehrerer Ebenen erkennbar. Video-Filter, die nung dient in ihren Memes der Feindmarkierung. Die an sich der Unterhaltung dienen, werden im entspre- Chiffre „Zionisten“ wird entgegen der eigentlichen Bedeu- chenden Kontext zu einer Verkörperung antisemitischer tung des Begriffs27 vor allem im antisemitischen Kontext Bildsprache. oftmals als Synonym für „Juden“ genutzt, um Antisemitis- mus-Vorwürfen zu entgehen.28 Während die Creatorin als de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 19
„Marie Antoinette“ mit verengten Augen böse umherschaut, läuft im Hintergrund eine abgewandelte Version des Songs „LoveGame“ von Lady Gaga. Das Gesamtbild des Videos aus Mimik, Text und Filter lässt den Eindruck von Dreistig- keit und Willkür entstehen. Der Text setzt diese Darstellung in den Kontext des Nahost-Konfliktes. „Zionisten auf dem Weg, ihr ‚Aber Hamas‘-Argument unter jeden propalästi- nensischen Instagrampost zu platzieren“, ist die Beschrif- tung. Sie delegitimiert auf der einen Seite die Thematisie- rung der Hamas im Nahost-Konflikt, auf der anderen Seite suggeriert die Darstellung, dass die Frage nach der Hamas lediglich eine Strategie der „Zionisten“ sei, sich jeglicher Anschuldigungen zu entledigen. Zugleich weist die Crea- torin den Vorwurf des Antisemitismus von sich. Der Vor- wurf würde lediglich verwendet, um propalästinensische Positionen zu delegitimieren. Durch die Verwendung von zum eigentlichen Filter gehörigen Hashtags wie #MuseumMoment wird diese antisemitische Selbstkarikierung anderen User:innen zugänglich gemacht, Das Chiffre der „Zionisten“ wird oft verwendet, um den Vorwurf die dies nicht erwarten – in der Hoffnung, dass die Botschaft des Antisemitismus abzuwehren. Das memetische Gesamtbild hängen bleibt. der verwendeten Hashtags wie #freepalestine und #zionism, des Textes und der selbstgewählten Interpretation des Filters bedient antisemitische Erzählungen. Quelle: TikTok. de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 20
Sketche: Mit Stereotypen Medien als Feindbild aufbauen Ein Trend auf TikTok sind „Berufssketche“. Berufe werden scheinen, die es möglich macht, Israel als Opfer darzu- hier in satirischer Form dargestellt und Auftreten, Flos- stellen. Auf diese Weise unterstellen die Creator:innen Zei- keln und Eigenheiten einzelner Berufsgruppen überspitzt. tungsredaktionen, mit Vorsatz nur proisraelische Schlag- Dabei wird immer wieder auch auf Klischees und Stereo- zeilen zu veröffentlichen – sei es aus fremdgesteuerten type zurückgegriffen. Einzelne Creator:innen richten sogar oder eigennützigen Motiven. ihren gesamten Content auf eine spezielle Rolle bzw. Rol- lenspiele allgemein aus. Die Forschungsprofessorin für Die Beiträge bestehen in der Regel aus plumpen Behaup- digitale und vernetzte Medien in der Sozialen Arbeit, Judith tungen ohne jegliche Recherche. Schon das Gefühl, es mit Ackermann, sieht darin ein Hauptmerkmal der Plattform: (von geheimen Mächten) gesteuerten Medienredaktionen „Einerseits ist die Plattform von allen sozialen Plattfor- zu tun zu haben, wird dadurch vermittelt und macht die men am meisten auf Fiktion und Darstellung konzentriert. antisemitische Verschwörungsideologie der „von Juden Es geht nicht nur darum, Momente aus seinem Leben zu kontrollierten“ Medien anschlussfähig. Diese Erzählung teilen, sondern man wird dezidiert dazu aufgefordert, zu ist keineswegs neu, sondern wurde bereits im 19. Jahr- bestimmten Themen darstellerisch aktiv zu werden.“29 hundert verbreitet, um „die Juden“ für das Unrecht der Welt verantwortlich zu machen. Ihnen wurde damals bereits Immer wieder gibt es in Sozialen Netzwerken Erzählungen unterstellt, Einfluss auf deutsche Zeitungen auszuüben.30 von vermeintlichen Sympathien der deutschen Medien mit Israel, sodass der Eindruck manipulativer Berichterstat- Journalist:innen werden auch in anderen Formaten dis- tung erzeugt wird oder werden soll. Auf TikTok werden kreditiert. Ein weiterer Sketch greift Reporter:innen an, die diese Narrative in Berufsrollenspielen aufgegriffen. Junge von Demonstrationen berichten. Hierfür wurde unter ande- Creator:innen stellen sich im Wechsel als kritische:r Jour- rem ein neuer Kanal mit dem Titel „Blindzeitung“ erstellt. nalist:in und Redakteur:in dar. Die Sympathien werden Hier wird eine Live-Schalte von einer „Anti-Israel-Demons- klar verteilt: Die kritischen Journalist:innen machen auf tration“ nachgespielt, in der die Reporterin als „Chantal die missliche Lage im Gazastreifen aufmerksam, während Flunkermaul“ und die Dolmetscherin als „Liar Pantsonfire“ die Redakteur:innen nur auf eine Schlagzeile zu warten vorgestellt werden. Der Sketch soll zeigen, wie absichtlich de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 21
falsch übersetzt wird und propalästinensische Demonstrant:innen kriminalisiert werden. Zudem wurde das Video mit dem bei Rechtsextremen beliebten Hash- tag #Lügenpresse versehen. Der Sketch soll eine überspitzte Darstellung jour- nalistischer Arbeit auf propalästinensischen Demonstrationen abbilden – aller- dings ohne Belege für ein solches Vorgehen in der Realität. Auch die Angriffe auf Pressevertreter:innen bei diesen Demonstrationen im Mai 2021 in Berlin31 spie- len keine Rolle. Es wird also nicht nur ein falsches Bild von Journalist:innen auf Demonstrationen gezeichnet, sondern die teilweise Gefahr dieser Arbeit zugleich ins Lächerliche gezogen. TikTok-Videoanalyse: Desinformationsnarrative am Beispiel von trtdeutsch Auch andere politische Akteur:innen haben diese Möglichkeit der eigenen Inter- pretation des Weltgeschehens für sich entdeckt und genutzt. Es gibt jedoch Hil- festellungen, um solche Formate besser einschätzen und einordnen zu können. 1 Video: Was ist zu sehen und zu hören? Zu sehen ist ein Videoausschnitt, in dem eine Frau während eines Bomben- alarms in Panik gerät. Der Ton besteht aus dem dazugehörigen Kommentator Quelle: TikTok. eines deutschen Nachrichtensenders. Er kontextualisiert die Szene mit: „… geht der Fliegeralarm los. Eine gerade noch befragte Interviewpartnerin bricht in de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 22
Panik zusammen.“ Dazu kommen der Analyseebenen bei TikTok-Videos eingefügte Text in der Kopfzeile des Videos und die Videobeschreibung. Gerade weil Botschaften in TikToks nur im Zusammenspiel vieler unter- schiedlicher Ebenen vermittelt werden, ist eine detaillierte Analyse der 2 Analyse: Über welche einzelnen Ebenen oft unumgänglich. Bei der Analyse können folgende Fragen hilfreich sein: Ebenen verfügt das Video? 1. Warum wurde dieser Hintergrund oder dieses Setting für das Video gewählt? Das Video zeigt einen Ausschnitt ei- nes deutschsprachigen Nachrichten- 2. Welcher Account hat das Video verbreitet, und für welche Inhalte ist formats. Der Kanal @trtdeutsch ist er bekannt? ein deutscher Account der türkischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkge- 3. Warum dreht diese Person ein Video zu diesem Thema? sellschaft TRT, der nach dem Vorbild 4. Spielen die gewählte Kleidung oder die Accessoires eine wichtige des russischen Staatssenders RT DE Rolle? aufgebaut ist.32 Sowohl die Bildunter- schrift als auch der Text im Video de- 5. Welchen Rahmen sollen der Text im Video oder die Bildunterschrift setzen? finieren den Kontext des Videos und beeinflussen die Wirkung auf die Nut- 6. Sollen die Emojis eine bestimmte Aussage versinnbildlichen? zer:innen (siehe 4. Wirkung). Mit den 7. Warum wurde genau dieser Filter verwendet? genutzten Hashtags #Palästina und #Israel wird das Video zudem in der 8. Weshalb ist dieser Song oder Sound genutzt worden? entsprechenden politischen Debatte des Nahost-Konflikts platziert – und 9. Welcher Trend wird aufgegriffen oder welche Hashtags sind gesetzt das mit Erfolg: Über 340.000 Aufrufe worden, um das Video in Umlauf zu bringen? hat das Video in der Zeit vom 12. Mai 10. Welche Viewzahlen zeigt das Video auf, und wie viral ist es gegangen? 2021 bis Oktober 2021 zu verzeichnen. de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 23
3 Interpretation: Welches Narrativ soll zu ergänzen. Durch die bewusste Ironie der Bildunter- erzählt werden? schrift „Diese Frau hat einen Oscar verdient“ wird eine weitere Emotion, nämlich Belustigung über die Situation, Während ihrer Panikattacke beginnt die Frau unkontrolliert ins Spiel gebracht. Der Text oberhalb des Videos erweitert zu schreien und zu zucken. Sowohl die Bildbeschreibung all diese Impulse um die negative Emotion der Wut, wenn als auch der eingefügte Text im Video vermitteln von der sich der Eindruck manifestiert hat, dass es sich um eine gezeigten Situation allerdings einen vollkommen anderen Inszenierung handle, um auf keinen Fall getötete Kinder Eindruck: Mit der ironischen Andeutung auf eine schau- im Gazastreifen zu thematisieren. Emotional aufgeladen spielerische Auszeichnung suggeriert die Bildunterschrift ist diese Erzählung vor allem durch das Narrativ vom „Kin- „Diese Frau hat einen Oscar verdient“, dass es sich nicht dermörder Israel“ (siehe Seite 9), welches unter Doppel- um eine Panikattacke handle. Mit dem Vorwurf der Thea- standards zu verorten ist und an antisemitische Narrative tralik oder Schauspielerei soll der Ernst der Lage für die anknüpft. Zudem wird trtdeutsch als vermeintlich objekti- Frau heruntergespielt und ins Lächerliche gezogen wer- ver Gegenentwurf zu angeblich manipulierten deutschen den. In Verbindung mit dem Text im Video wird deutschen Medien dargestellt. Im Video wird das durch die Bildbe- Medien unterstellt, alles in ihrer Macht Stehende zu unter- schreibung „Folgt uns für faire Nachrichten“ deutlich. nehmen, um das Leid der israelischen Bevölkerung unter den Luftangriffen der Hamas zu thematisieren – notfalls mit inszenierten Situationen. Alles sei darauf ausgelegt, Militär- schläge von israelischer Seite und deren Opfer zu ignorieren. 5 Faktencheck: Ist die Botschaft glaub- würdig? Das Video wurde sichtbar aus einer Nachrichtenquelle 4 Wirkung: Was macht das Video mit mir? übernommen und in einen anderen Kontext eingebettet. Den meisten Nutzer:innen in Deutschland dürfte ein Bom- Mit einer simplen Google-Suche (beispielsweise durch benalarm nicht bekannt sein, und die Panikreaktion der die Stichworte „panik + interview + israel + fliegeralarm“) Frau im Video kann vor diesem Hintergrund überzogen findet sich das Originalvideo, das am 11. Mai 2021 von wirken. Diese erste Skepsis greifen der Text und die Bild- BILD veröffentlicht wurde. An diesem Tag erreichte die beschreibung auf, um sie um eine inhaltliche Einordnung Eskalation im Nahost-Konflikt 2021 einen weiteren Hö- de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 24
hepunkt. Hunderte Raketen wurden von militanten Paläs- und ihrer starken Emotionalisierung und Personalisierung tinenser:innen auf Israel abgeschossen, Israel reagierte konnten (junge) TikToker:innen so für eine vermeintlich mit Vergeltungsschlägen.33 Das Video zeigt die Situation, einfache Positionierung gewonnen werden. Größtenteils in der ein Reporter eine Passantin zur Lage interview- undifferenzierte Inhalte zum Nahost-Konflikt sollten das en will, während der Bombenalarm ertönt. Wie ernst die Gefühl vermitteln, genau zu wissen, wer auf der guten oder Situation an dem Tag ist, wird ebenfalls in dem Video auf der schlechten Seite steht. deutlich: So wird von mindestens zwei Toten in Israel berichtet und mindestens 26 Toten im Gazastreifen. Die Diese Inhalte erreichten vor allem jugendliche Communi- mögliche Interpretation und Botschaft des Videos, dass tys, die bereits zu Diskriminierungen von gesellschaftli- es sich um eine Inszenierung beziehungsweise überspitz- chen Minderheiten sensibilisiert oder Teil davon sind. Sol- te Szene im Sinne deutscher Medien handle, verharm- che Sympathien wurden aufgegriffen und haben vor allem lost die lebensbedrohliche Situation, in der sich Reporter in der links-liberalen Community zu einer teils unreflektier- und Passantin befinden, und instrumentalisiert das Leid. ten und uninformierten Positionierung geführt, über die auch antisemitische Narrative Verbreitung fanden. In der sehr jun- gen Zielgruppe von TikTok dürften sich dadurch einige sol- Antisemitismus kann sich auf TikTok zumeist cher Narrative festgesetzt haben, sind die Videos doch für ungestört entfalten viele der erste Kontakt mit dem Nahost-Konflikt gewesen. Dass der Hashtag „#Antisemitismus“ auf TikTok gesperrt Dass die Videos vor allem über Emotionen ihre Wirkung entfal- ist, verhindert antisemitische Inhalte jedoch nicht. Zu ten, bedeutet, dass es zukünftig wichtig sein wird, Gegenstra- oft wird Antisemitismus mit sprachlichen und bildlichen tegien zu entwickeln, die nicht nur auf Fact Checking setzen. Codes, in Form von Sketchen, aktuellen Meme-Trends Vielmehr gilt es, auch die Funktionsweise von Sozialen Medien und Filtern kommuniziert. Junge Menschen erkennen wie TikTok und sozialpsychologische Aspekte in den Fokus zu diese antisemitischen Codes oftmals nicht und reprodu- rücken und anhand dessen die Verbreitung von Falschinfor- zieren sie unbewusst weiter. Antisemitische Akteur:innen mationen und Antisemitismus auf der jeweiligen Plattform machten sich dies zunutze – auch, um junge Menschen zu analysieren. Nur so lassen sich Lösungen finden, um auch zu mobilisieren und Anhänger:innen zu gewinnen. Mithilfe den bereits entstandenen Haltungen mit Tendenz zu antise- der spielerischen Formen und Möglichkeiten der Plattform mitischem Gedankengut entgegengewirkt werden kann. de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 25
Israelbezogener Antisemitismus in Gaming-Communitys Der im Mai 2021 wieder aufgeflammte Konflikt im Nahen Steigerung der „borderline genocidal“ (deutsch: an Völ- Osten hat auch die Welt des Online-Gaming beeinflusst. kermord grenzenden) Behandlung der Palästinenser:in- Gaming-Magazine und Spielehersteller:innen sorgten für nen durch Israel. Damit schließt er sich auch dem Wunsch Debatten, indem sie sich eindeutig zu einem palästinensi- des Managing Editors vom Gaming-Magazin GameSpot, schen Staatsgebiet bekannten und sich mit der Forderung Tamoor Hussain, an. Dieser rief in einem Video-Appell danach solidarisierten. So ruderte das Gaming-Magazin vom 14. Mai 2021 die Gaming-Szene dazu auf, sich ein- „IGN“ in einer Stellungnahme von einer Aktion zurück, bei deutig zum Nahost-Konflikt zu positionieren und mit den der es einen Tag lang die palästinensische Flagge gut palästinensischen Gebieten zu solidarisieren. Dass diese sichtbar neben dem eigenen Logo auf der Website plat- Positionierung durchaus im israelbezogenen Antisemitis- ziert und einen Spendenaufruf für palästinensische Zivi- mus enden kann, zeigt ein Artikel vom 18. Mai 2021 auf list:innen beworben hatte. Sie hätten nicht den Eindruck kotaku. Darin kommt eine Streamerin unkommentiert zu erwecken wollen, politisch mit einer Seite des Konflikts Wort und bezichtigt Israel eines „straightforward ethnic verbündet zu sein. Als Reaktion veröffentlichten IGN-Mit- cleansing“ (deutsch: der schlichten/eindeutigen ethni- arbeiter:innen einen offenen Brief, der diese Distanzierung schen Säuberung). scharf kritisierte. Gleichzeitig zeigte die Gaming-Community eine massive Dass der Nahost-Konflikt aber auch innerhalb der Spendenbereitschaft. Streamer:innen riefen in ihren Lives- Gaming-Szene als Anlass genommen wird, um israelbe- treams ihre Follower:innen dazu auf, Geld an Projekte zu zogenen Antisemitismus zu verbreiten, zeigt das Gaming- spenden, die sich größtenteils auf Gaza konzentrieren. Magazin kotaku. Ian Walker ist dort Autor. In einem Text- So spielte der amerikanische Streamer „Vaush“ innerhalb beitrag vom 15. Mai 2021 bringt er das Narrativ „Israel eines 27-Stunden-Livestreams über eine Viertelmillion als Apartheidstaat“ (siehe S.9) ins Spiel, weil palästinen- Dollar ein. Der Erlös ging an die Hilfsorganisation „Pales- sische Gebiete ein „open-air prison“ (deutsch: offenes tine Children‘s Relief Fund“ (PCRF), deren Büro im Zuge Gefängnis) seien. Er bezeichnet die Eskalation in Gaza als der erneuten Auseinandersetzungen von israelischen de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 26
Luftschlägen getroffen worden war. Auch deutsche Influencer:innen der Gaming-Community sammelten Spenden für die Organisation oder verbreiteten das Video von Tamoor Hussain. Auch wenn der PCRF vor Ort unverzichtbare medizinische Hilfe leistet, steht er zugleich immer wie- der in der Kritik. So soll die Organisa- tion israelfeindlichen Positionen eine Bühne bieten und eine verzerrte Sicht des Nahost-Konflikts wiedergeben.34 Das zeigt sich auch in den Tweets Quelle: Twitter, 19. Juli 2021 des Gründers Steve Sosebee, der im Zuge der Affäre um eine israelische beträchtliche Spendensumme ein. Fast 900.000 Dollar kamen für das Hilfs- Sicherheitsfirma und ihre Spionage- werk der Vereinten Nationen für Flüchtlinge aus palästinensischen Gebieten software Pegasus Antisemitismus im Nahen Osten (UNRWA) zusammen. Die Plattform für Indie-Spiele sprach relativiert. Sosebee wirft hypothe- in ihrem Aufruf von einer israelischen Praxis, die „Palästinenser:innen bis zum tisch die Frage in den Raum, ob die Punkt der Verfolgung und Apartheid unterdrückt und diskriminiert, nur weil sie Spionage „rassistisch oder politisch“ Palästinenser:innen sind“. Der Aufruf nahm zudem Bezug auf das Spiel „Liyla sei, und behauptet, Spionage sei eine and The Shadows Of War“ des Spieleentwicklers Rasheed Abueideh von 2016, von Israels größten Industrien. Die in dem man ein kleines Mädchen spielt, das versucht, den Krieg in Gaza 2014 Aussage kann als „Dog Whistle“35 ver- zu überleben. Das Spiel hatte viel Kritik ausgelöst, weil es den Konflikt nur ein- standen werden, die die Behauptung seitig betrachtete und der Erzählstrang des Spiels in das antisemitische Narra- von Israel als „Apartheidstaat“ stützt. tiv vom „Kindermörder Israel“ (siehe S. 9) eingebettet werden konnte. Auch ein Spendenaufruf auf der Han- Auch Influencer:innen, die eine internationale Reichweite in der Gaming-Szene delsplattform itch.io brachte eine genießen, äußerten sich zum wieder aufgekommenen Konflikt und brachten de:hate report #3 Antisemitismus in der Popkultur: Israelfeindschaft auf Instagram, TikTok und in Gaming-Communitys 27
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