Neurofunktionelle Integration 2020 Kurs 1 - Grundlagen - Neurolog Akademie
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Neurofunktionelle Integration Grundlagen Inhaltsverzeichnis Hinweise zur Arbeit mit dem Skript 6 Videos 6 Theorie und Hintergründe 6 Praktische Übungen und Vorgehensweisen 6 Abkürzungen 7 I. Einleitung 8 Was ist Neurofunktionelle Integration? 8 Grundbegriffe der funktionellen Neurologie 9 II. Allgemeine funktionelle Anatomie des ZNS 11 Die klassische anatomische Einteilung des ZNS 11 Unterteilung in sechs Funktionssysteme 12 Sensorik, Motorik und mentale Funktion 12 Die sechs großen Systeme 12 Hierarchische Gliederung des ZNS 13 Die Rechts-links-Asymmetrie der Gehirns 14 III. Diagnostik und Behandlung 16 Allgemeine Diagnostik 16 Neurologische Untersuchung 17 1. Gehen 17 2. Stabilität 19 3. Einbeinstand 19 4. Visus 19 5. Muskelfunktionsdiagnostik (MFD) 19 Neurologische Untersuchung 22 Neurofunktionelle Testung und Integration 23 Testung der Interaktion des Nervensystems (Leitungsbahn-Test) 23 © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 2
Einfache Neurofunktionelle Integration 25 Erweiterte Integration in der physiologischen Funktion 26 Integration von Einzelkontakten 27 Feedbacks 28 Neurofunktionelle Integration - Schritt für Schritt 28 1. Schritt - Indikatormuskel testen 28 2. Schritt - Kontakte einzeln testen 28 3. Schritt - Kontaktkombination testen 30 4. Schritt - Integration der Kontaktkombination 30 5. Schritt - Nachtesten 30 6. Schritt - Indikatormuskel tauschen 31 7. Schritt - Kontext ändern 31 Zusammenfassung: Schritt für Schritt 31 IV. Rückenmark (RM) und Hirnstamm 32 Anatomie und Funktion des Rückenmarks (RM) 32 Anatomie und Funktion der Medulla oblongata (MOG) 34 Neurofunktionelle Integration - MOG und RM 35 Anatomie und Funktion der Pons 36 Anatomie und Funktion der pontomedullären Formatio ret. (PMFR) 37 Anatomie und Funktion des Mesencephalon (MES) 38 Anatomie und Funktion des Cerebellums (CEREB) 39 Neurofunktionelle Integration - Hirnstamm und RM 41 V. Zwischenhirn 42 Anatomie und Funktion des Hypothalamus (HT) 43 Anatomie und Funktion der Hypophyse (HYPO) 45 Anatomie und Funktion des Bed nucleus der stria terminalis (BNST) 47 Anatomie und Funktion der Amygdala (AMYG) 48 Anatomie und Funktion des Hippocampus (HIPPO) 49 Anatomie und Funktion der Basalganglien (BASAL) 50 Neurofunktionelle Integration - Rückenmark und Zwischenhirn 51 VI. Cortex 52 © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 3
Anatomie und Funktion des Thalamus (THAL) 52 Anatomie und Funktion des orbitofrontalen Cortex (OFC) 54 Anatomie und Funktion des präfrontalen Cortex (PFC) 55 Anatomie und Funktion des prämotorischen Cortex (PMC) und des supplementärmotorischen Areals (SMA) 56 Anatomie und Funktion des motorischen Cortex (MOT) 57 Anatomie und Funktion des somatosensorischen Cortex (SENS) 58 Anatomie und Funktion des posterioren Parietalcortex (PPC) 59 Anatomie und Funktion des visuellen Cortex (VIS) 60 Anatomie und Funktion des auditiven Cortex (AUD) 61 Anatomie und Funktion des temporalen Cortex (TEMP) 62 Anatomie und Funktion der Insula (INS) 63 Anatomie und Funktion des Gyrus cinguli (GC) 64 Übersicht Schädelkontakte ZNS 65 Funktionelle Netzwerke 66 Die sieben Hauptnetzwerke und die beteiligten Cortex-Areale 66 Neurofunktionelle Integration in der physiologischen Funktion 68 Neurofunktionelle Integration - Cortex 69 Übersicht ZNS-Areale 70 VII. Peripheres Nervesystem 72 Funktion der Hirnnerven 72 Anatomie und Funktion des N. olfactorius (HN 1) 73 Anatomie und Funktion des N. opticus (HN 2) 74 Anatomie und Funktion der HN 3, 4 und 6 75 Anatomie und Funktion des N. oculomotorius (HN 3) 75 Anatomie und Funktion des N. trochlearis (HN 4) 76 Anatomie und Funktion des N. abducens (HN 6) 77 Anatomie und Funktion der HN 5 und 7 79 Anatomie und Funktion des N. trigeminus (HN 5) 79 Anatomie und Funktion des N. facialis (HN 7) 80 Anatomie und Funktion des N. vestibulocochlearis (HN 8) 81 Anatomie und Funktion der HN 9 und 10 82 © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 4
Anatomie und Funktion des N. glossopharyngeus (HN 9) 82 Anatomie und Funktion des N. vagus (HN 10) 83 Anatomie und Funktion des HN 11 und 12 85 Anatomie und Funktion des N. accessorius (HN 11) 85 Anatomie und Funktion des N. hypoglossus (HN 12) 86 Übersicht der Hirnnerven und der Vernetzung 87 Spinalnerven 88 Neurofunktionelle Integration des peripheren Nervensystems 89 Vorgehensweisen 91 VIII. Zusammenfassung Kurs 1 93 Neurologische Untersuchung 93 Neurofunktionelle Integration 93 IX. Literaturempfehlungen 95 Fachbücher 95 Populärwissenschaft 95 © Copyright 2020 - Urheberrechtshinweis Alle Inhalte dieser Kursunterlagen, insbesondere Texte, Fotografien und Grafiken, sind urheberrechtlich geschützt. Das Urheberrecht liegt, soweit nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet, bei Dr. med. Philip Eckardt. © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 5
Hinweise zur Arbeit mit dem Skript Videos Wenn es Videomaterial gibt ist dieses mit einem Hinweis am Anfang eines Abschnitts gekennzeichnet z.B. ! Videoclip 1: Einführung Neurofunktionelle Integration. Diese findet man ebenfalls in der Online-Akademie unter „Schulungsvideos“. Theorie und Hintergründe Abschnitte mit theoretischen Hintergründen und grundsätzlichen Erklärungen sind in der Regel mit blau hinterlegter Überschrift versehen, als… Überschrift Kapitel …und… Überschrift Abschnitt Praktische Übungen und Vorgehensweisen Die praktischen Übungen oder praktischen Vorgehensweisen erkennt man an den grünen Überschriften wie… Neurofunktionelle Integration Wir empfehlen die Videos anzuschauen und anschließend das Skript zu studieren um dann nochmal mit etwas mehr theoretischen Hintergründen die Videos erneut anzuschauen. Bei eine zunächst reinen Online.Schulung sollte man sich jemand schnappen, mit dem man das ganze direkt ausprobieren und üben kann. Viel Spaß und viel Erfolg! Hinweis: Neurofunktionelle Integration ist ein wissenschaftlich basiertes Konzept. Es gibt aber bisher keinen wissenschaftlichen Beweis für dieses Konzept im Sinne der Kontakte, der Wirkweise oder der Wirkungen. Was es aber gibt sind 30 Jahre Erfahrung in der klinischen Anwendung am Patienten. © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 6
Abkürzungen Abkürzung englisch deutsch ACC anterior cingulate cortex anteriorer Gyrus cinguli AMYG amygdala Amygdala AUD auditory cortex auditiver Cortex BASAL basal ganglia Basalganglien BNST bed nucleus of the stria terminals „bed nucleus“ der Stria terminals CLR cerebellar locomotor region cerebelläre Bewegungsregion CPG central pattern generator zentraler Mustergenerator GC cingulate cortex Gyrus cinguli HIPPO hippocampus Hippocampus HN cranial nerve Hirnnerv HT hypothalamus Hypothalamus MCC middle cingulate cortex mittlerer Gyrus cinguli MES mesencephalon Mesencephalon MLR mesencephalic locomotor region mesencephale Bewegungsregion MOG medulla oblongata Medulla oblongata MOT motor cortex motorischer Cortex OFC orbitofrontal cortex orbitofrontaler Cortex PFC prefrontal cortex präfrontaler Cortex, m=med., l=lat. PMC premotor cortex prämotorischer Cortex PMFR pontomedullary reticular formation pontomedulläre Formation reticularis PNS peripheral nervous system peripheres Nervensystem PPC posterior parietal cortex posteriorer Parietalcortex PCC posterior cingulate cortex posteriorer Gyrus cinguli PVN paraventricular nucleus Ncl. paraventricularis SENS somatosensory cortex somatosensorischer Cortex SLR subthalamic locomotor region subthalamische Bewegungsregion SMA supplementary motor area supplementär-motorisches Areal THAL thalamus Thalamus TEMP temporal cortex temporaler Cortex VIS visual cortex visueller Cortex ZNS central nervous system zentrales Nervensystem © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 7
I. Einleitung ! Videoclip 1: Einführung Neurofunktionelle Integration Was ist Neurofunktionelle Integration? Neurofunktionelle Integration Der Fokus der Untersuchung und Behandlung liegt bei der Eurofunktionellen Integration auf dem Nervensystem, weil das Nervensystem alle Körperfunktionen reguliert. Aus diesem Grund ist es aus unserer Sicht unabdingbar, in Bezug auf Gesundheit, dem Nervensystem einen genaueren Blick zu gönnen. Neurofunktionelle Integration Bei der Untersuchung und Behandlung wird, wenn möglich, eine reale Funktion der spezifischen sensorischen und motorischen Systeme getestet. Das ist für die Exterozeption (Sehen, Hören, Riechen), die Propriozeption und Motorik, die Kognition und Emotion, und in begrenztem Umfang auch für die Interozeption und Viszeromotorik möglich. In der spezifischen Funktion arbeitet man immer in komplexen Netzwerken. Zudem kann eine spezifische Funktion auch zur Integration eingesetzt werden, dadurch erhöht sich die Komplexität der Integration. Neurofunktionelle Integration Das Nervensystem muss aus vielen einzelnen sensorischen Informationen und vielen einzelnen motorischen Systemen eine Funktionseinheit bilden, welche auf interne und externe Veränderungen optimal reagieren kann. Ein anderer Begriff, der diesen Vorgang spiegelt, ist der Begriff der Interaktion, also wie Systeme untereinander kommunizieren und interagieren. Zusammengefasst ergibt sich folgendes Konzept Neurofunktionelle Integration ist ein Diagnostik- und Behandlungskonzept, bei dem man davon ausgeht, dass Störungen der Körperfunktion durch eine fehlerhafte Funktion oder Interaktion der Körpersysteme bedingt sind. Neben mechanischen und biochemischen Interaktionen, welche meistens eher lokale Phänomene sind, werden vor allem die langstreckigen Interaktionen über das Nervensystem vermittelt. Deshalb liegt der Fokus bei diesem Konzept auf die Funktion des Nervensystems, die der Störung zugrunde liegt. Ziel der Behandlung ist es, eine optimale Funktion und Interaktion der Systeme durch eine verbesserte Funktion des Nervensystems zu erreichen. © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 8
Grundbegriffe der funktionellen Neurologie Ein weiterer Begriff, der in diesem Zusammenhang auftaucht, ist die funktionelle Neurologie. Sie beschreibt die Funktion der verschiedenen neurologischen Systeme und bildet die Wissensbasis für die Neurofunktionelle Integration. Einige Begriffe tauchen im Rahmen der funktionellen Neurologie immer wieder auf. Hier ist eine kurze Erläuterung der wichtigsten Begriffe: • Kohärenz: Als Kohärenz (lat. zusammenhängen) wird in Bezug auf Teilchen, Moleküle, Zellen und Zellsysteme ein Zustand bezeichnet, in dem strukturell getrennte Systeme durch Angleichung der mechanischen oder elektromagnetischen Schwingung ein Zustand der Synchronisation erreicht wird. Dieser Zustand ermöglicht einen stabilen und schwer störbaren Informationsaustausch, auch über lange Strecken. • Funktionelle Konnektivität: Aus der Kohärenz ergibt sich die funktionelle Konnektivität, d.h. das bedarfsweise Zusammenschalten von Nervenzellen oder Gehirnarealen, welche für eine bestimmte Funktion gebraucht werden. Die meisten Veränderungen der Funktion, die man durch eine Integration erreicht, geht vermutlich auf dieses Phänomen zurück. • Neuroplastizität: Unter dem Begriff der Neuroplastizität werden verschiedene Phänomene der strukturellen Veränderungen am Nervensystem zusammengefasst. Dazu gehören: 1. die Neurogenese, also die Neubildung von Neuronen, 2. die Myelinisierung, also die Veränderung der Nervenleitgeschwindigkeit, 3. die Veränderungen bestehender Synapsen oder 4. die Ausbildung neuer Synapsen. Das Gehirn bleibt ein Leben lang neuroplastisch als Voraussetzung für ein lebenslanges Lernen. Die Neuroplastizität ist aber begrenzt, bei größeren Schäden kommt es nicht zu einer vollständigen Regeneration. • Sensorik: Das Nervensystem sammelt Informationen aus der Umwelt und dem Körper. Dafür besitzt das Nervensystem in der Peripherie und im Körperinneren spezielle Sensoren, welche elektromagnetische, chemische und mechanische Informationen in elektrische Signale im Nervensystem umwandeln. Diese Informationen bilden im Laufe des Lebens die Basis für gelernte Konzepte durch Integration. • Integration: Im ZNS werden die sensorischen Informationen zusammengeführt (integriert). So entsteht ein komplexes Bild, welchem eine Bedeutung zugewiesen wird und dadurch die situationsangemessene Regulation (Verhalten und Homöostase) ermöglicht. So kann der Organismus durch Erfahrung die Auswirkung vorhersagen und damit die Regulation weitestgehend automatisieren. • Koordination: Das Nervensystem koordiniert alle Körperfunktionen so, dass die Regulation eines Körpersystems zur Regulation anderer Systeme oder Systemteile passt. Beispiel: Das Anheben des Armes verändert den Schwerpunkt, was durch eine © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 9
Anpassung der Haltung aufgefangen wird. Koordination ist ein weiterer Begriff für Integration, bezogen mehr auf die integrierte motorische Funktion. • Motorik (Regulation): Das Nervensystem steuert alle Körperfunktionen und sorgt für eine situationsangemessene, integrierte, optimale Funktion. Die einfachen Regulationen erfolgen durch zentrale und periphere Mustergeneratoren und entsprechende Reflexe bei Veränderungen der sensorischen Information. Komplexere Regulationsvorgänge beziehen vergangene Erfahrungen und zukünftige Auswirkungen mit ein. Wenn ich in der Wüste plötzlich Durst bekomme, wäre es ganz gut, wenn ich daran gedacht hätte, einen Wasservorrat dabei zu haben. • Mustergeneratoren: Zentrale und periphere Mustergeneratoren (engl. central pattern generators cpg´s) liefern die Grundmuster für Körperfunktionen, wie Atmung, Herzschlag, Gehen, etc. Diese werden wiederum durch übergeordnete Zentren und durch komplexe Netzwerke nach Bedarf moduliert und koordiniert/integriert. • Netzwerke: Die meisten Funktionen werden nicht durch einzelne Hirnareale gesteuert, sondern durch Netzwerke, welche sich dynamisch, je nach Aufgabe, zusammenschließen. Dabei wird zwischen einem Ruhezustand und einem aktiven Zustand unterschieden. Netzwerke werden vor allem dort gebraucht, wo es eine komplexe Anpassung der Körperfunktion auf die speziellen Gegebenheiten der Umwelt erfordert und vergangene Erfahrungen, aktuelle Erfordernisse und zukünftige Auswirkungen berücksichtigt werden müssen. • Lernen: Das Nervensystem lernt. Es speichert Informationen, um die Handlungen/ Reaktionen ständig anzupassen, zu verfeinern und schnellere Antworten auf bekannte Reize zu haben und eine möglichst genaue Vorhersage auch bei unbekannten Reizen generieren zu können. Neuroplastizität und Neurogenese ermöglichen den Lernvorgang, damit sich das Gehirn optimal an die Umgebung anpassen kann. Es adaptiert seine Struktur in Abhängigkeit von den Anforderungen. Eine Schlüsselkomponente für die Neuroplastizität und Neurogenese ist Belohnung und Bestrafung. • Alles ist mit Allem verbunden: Alle Teile des Nervensystems, und damit auch alle Teile des Körpers, sind über eine begrenzte Anzahl von Neuronen miteinander verbunden. Das ermöglicht eine komplex integrierte Funktion, hat aber auch zum Nachteil, dass sich Störungen im System ausbreiten können. Ein gravierendes Beispiel hierfür ist ein Grand-Mal-Anfall, ein anderes Beispiel die Schmerzprojektion z.B., von Herzerkrankungen in den linken Arm. © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 10
II. Allgemeine funktionelle Anatomie des ZNS ! Videoclip 2: Allgemeine funktionelle Anatomie des ZNS Die klassische anatomische Einteilung des ZNS Die klassische Einteilung orientiert sich mehr an der Anatomie als an der Funktion: • Rückenmark: Anteile des ZNS unterhalb der Medulla oblongata • Truncus encephali: Medulla oblongata (MOG) und Pons • Rhombencephalon: MOG und Pons + Cerebellum • Mesencephalon: Mittelhirn • Diencephalon: Hypophyse, Hypothalamus, Thalamus, Epithalamus, Subthalamus, Corpora mammillaria, Habenula • Telencephalon: Hippocampus, Amygdala, Basalganglien, Cortex Die vereinfachte anatomische Einteilung des ZNS Eine vereinfachte Unterteilung teilt das ZNS in vier Teile: Rückenmark, Hirnstamm, Zwischenhirn und Cortex. Hirnstamm Zwischenhirn Cortex © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 11
Unterteilung in sechs Funktionssysteme Sensorik, Motorik und mentale Funktion Eine weitere Unterteilungsmöglichkeit ist die Unterteilung des Gehirns in sensorische und motorische Anteile. Grob gesprochen ist der hintere Teil des Gehirns (hinter dem Gyrus centralis, also Lobus parietalis, Lobus occipitalis und Lobus temporalis) für die Verarbeitung sensorischer Informationen zuständig. Der Lobus frontalis mit motorischem, prämotorischem und präfrontalem Cortex ist für die Motorik, also die Ausführung einer adäquaten Handlung zuständig. Eine besondere Stellung nimmt dabei der präfrontale Cortex ein, da er für die bewusste Kontrolle der Motorik, aber auch der Sensorik durch Lenkung der Aufmerksamkeit und sogar der Physiologie ist, da er als einziger Cortex einen direkten Draht zum Hypothalamus hat. Die sechs großen Systeme Anhand der Leitungsbahnen werden die sensorischen und motorischen Systeme für die neurologische Untersuchung und Behandlung in die folgenden 6 großen Systeme eingeteilt: 1. Exterozeption (EZ): Die Exterozeption umfasst alle sensorischen Systeme, sowie deren zentralen Areale und Netzwerke, welche externe Informationen aufnehmen und übertragen. Dazu gehören das Sehen, das Hören und das Riechen. 2. Propriozeption (PZ): Die Propriozeption umfasst alle sensorischen Systeme und deren zentrale Areale und Netzwerke, welche Informationen über die Position und Bewegung des Körpers im Raum verarbeiten. 3. Interozeption (IZ): In den peripheren und zentralen interozeptiven Systemen werden alle Informationen verarbeitet, welche aus dem Inneren des Körpers kommen. Diese umfassen nicht nur die viszeralen Organe, sondern auch die Organe des Bewegungssystems, insbesondere der Muskeln und Faszien. Zu den Informationen gehören chemische, thermische, mechanische und elektromagnetische Informationen. 4. Somatomotorik (SM): Dieses System umfasst alle zentralen und peripheren Steuerungssysteme für die Bewegung des Körpers. Dazu gehört das über den motorischen Cortex laufende kognitive motorische System und das über den Hypothalamus laufende emotionale motorische System. 5. Viszeromotorik (VM): Das viszeromotorische System umfasst alle Steuerungssysteme für die Regulation der Biochemie. Dazu gehören auch das Hormonsystem und das Immunsystem, sowie die Steuerung des stomatognathen Systems und der Atmung. 6. Mentale Systeme (MS): Die mentalen Funktionen umfassen Aspekte, wie Bewusstsein, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Emotion und Kognition (BWAEK). Hier finden sich auch die Konzepte, die ein Mensch bezüglich sich selber und seiner Umwelt aufgrund von Erfahrungen gebildet hat. Diese Funktionen sind in großen © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 12
Netzwerken verankert und haben starke Überlappungen zu den sensorischen und motorischen Systemen. Hierarchische Gliederung des ZNS Das ZNS unterteilt sich in verschiedene Verarbeitungsebenen. Diese spiegelt auch die evolutionäre Entwicklung des Gehirns wider. Rückenmark Die primäre Verarbeitungsebene ist das Rückenmark. Hier werden bereits Informationen aus verschiedenen Systemen auf segmentaler Ebene verarbeitet, integriert und entsprechende Regulationsvorgänge eingeleitet. Hirnstamm Die nächste Verarbeitungsebene ist der Hirnstamm (Rhombencephalon und Mesencephalon). Hier erfolgt die primäre Auswertung des sensorischen Inputs und es werden primäre Verhaltensvorschläge gemacht (bottom-up Impulse, Verhaltensreflexe, Instinkte). Der Hirnstamm arbeitet keineswegs nur unbewusst, da uns die Impulse durchaus sehr bewusst sind. Dieser Teil des Gehirns wird auch gerne als Reptiliengehirn bezeichnet. Zwischenhirn Eine weitere Verarbeitungsebene ist das Zwischenhirn (Diencephalon und der tieferliegende Teil des Telencephalon mit Hippocampus und Amygdala), der Ort, der für die Speicherung von Erfahrungen zuständig ist. Beispiel hierfür ist die Amygdala. Sie speichert gefährliche Erfahrungen, damit man diese bei einer erneuten Begegnung wiedererkennt. Dieser Teil des Gehirns wird auch gerne als Katzengehirn bezeichnet. Cortex Darüber liegt die Verarbeitungsebene des Cortex. Er steht für bewusste und gelenkte Wahrnehmung und kognitive Prozesse. Der Cortex ist nur bei Säugetieren zu finden. Der menschliche Cortex ist ca. 2-3 mm dick und hat in etwa die Größe von 0,25 m2. Diese Ebene ist in der Lage, die darunter liegenden Ebenen zu steuern (top-down- Kontrolle). Es ist insbesondere der Cortex, der im Verlauf des Lebens ausreift. Auch innerhalb des Cortex gibt es eine hierarchische Gliederung. So gibt es primäre Projektionsfelder, wie den visuellen oder den auditiven Cortex. Diese sind in der Regel eine Abbildung der Informationen aus Auge/Ohr, was Farbe, Form, bzw. Tonhöhe angeht. Die Entschlüsselung der Informationen, also Objekterkennung, räumliche Orientierung, bzw. Melodie und Rhythmik, erfolgt in hierarchisch dahinter geschalteten Cortexarealen (diese wurden früher Assoziationsareale genannt). Die in der Hierarchie weiter hinten liegenden Areale sind auch die, die bei der bewussten Wahrnehmung von sensorischen Informationen eine wesentliche Rolle spielen. © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 13
Zudem kann man den sensorischen Cortex, der ja eine Repräsentation der Umwelt ist, auch in räumlich zugeordnete Bereiche unterteilen. Die Aufteilung der Räume gliedert sich in den extrapersonalen, perupersonalen und personalen Raum. Wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, sind die hinteren Areale aber eng mit vorderen Arealen verknüpft. Zudem muss die klassische Unterteilung mit Bedacht formuliert werden, da jedes Neuron in der Lage ist, Daten zu verarbeiten und Daten zu generieren. Man denke an Träume oder Visualisationen, die vom visuellen Cortex ausgehen, ohne dass die Neuronen Daten empfangen. Die Rechts-links-Asymmetrie der Gehirns Als Erstes soll an dieser Stelle betont werden, dass das Corpus callosum keineswegs die Aufgabe hat, die beiden Hemisphären nur miteinander zu verbinden. Natürlich werden exterozeptive, interozeptive und propriozeptive Daten ausgetauscht, aber aufgrund der sehr unterschiedlichen Funktionen der Hemisphären besteht die Notwendigkeit der Inhibition. Heute weiß man, dass das Corpus callosum eine überwiegend inhibitorische Funktion hat, damit die Hemisphären zu jedem gegebenen Zeitpunkt ungestört ihre spezielle Funktion erfüllen können. Anatomische Asymmetrie Zunächst gibt es anatomische Unterschiede zwischen rechter und linker Hemisphäre. Insgesamt ist die linke Hemisphäre größer als die rechte, das liegt aber nicht nur an dem Sprachzentrum, welches sich meistens links befindet. Dabei ist die linke Hemisphäre zudem nach hinten größer als die rechte, die rechte ist wiederum vorne größer. So erscheint das Gehirn etwas verdreht (Yakovlevian Torque). Auch in der Zusammensetzung zwischen grauer und weißer Substanz gibt es Unterschiede. So hat die rechte Hemisphäre im Verhältnis mehr weiße Substanz. Das passt auch zu der Tatsache, dass die rechte Hemisphäre eine stärkere Verbindung zur linken Hemisphäre hat als umgekehrt. Die linke Hemisphäre ist wiederum stärker mit sich selbst vernetzt als die rechte Hemisphäre. Funktionelle Asymmetrie Eine Asymmetrie des Gehirns besteht auch darin, dass die linke und die rechte Hemisphäre unterschiedliche Aufgaben haben. Dabei ist die etwas antiquierte Betrachtung in rechts-emotional und links-rational etwas differenzierter zu betrachten. Die Auffassung, dass die rechte Hirnhälfte die emotionale ist, entspringt der Tatsache, dass es die rechte Hemisphäre ist, die bei der Interaktion mit anderen Menschen, besonders aktiv ist. Dies könnte daran liegen, dass hier die räumliche Wahrnehmung, insbesondere die Erkennung von Gesichtern besser gelingt. Sollen aber andere Dinge emotional bewertet werden, kann diese Aufgabe auch durch die linke Gehirnhälfte © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 14
erfolgen, wie Studien an Split-Brain-Patienten (durchtrenntes Corpus callosum) zeigen. Heute weiß man, dass das daran liegt, dass die emotionale Färbung u.a. durch das Stammhirn erfolgt. Die rechte Hemisphäre ist dabei auch eher für einen Überblick zuständig (aber nicht ausschließlich, sie kann das 1,2 mal besser als die linke). Der rechten Hemisphäre wird auch die räumlich-visuelle Schleife zugeordnet. Der linken Hemisphäre wird die phonologische Schleife zugeordnet, da sie in der Regel für die Sprache zuständig ist. Nur in 2-6 % der Fälle liegt das Sprachsystem in der rechten Hemisphäre. So wird die linke auch die geschichtenerzählende Hemisphäre genannt. Bekommt die linke Hemisphäre, z.B. bei Split-Brain-Patienten, nicht mit, was die rechte Hemisphäre gesehen hat, empfängt aber über den Hirnstamm die damit verbundene Emotion, so reimt sich die linke Hemisphäre etwas zusammen, was diese Emotion verursacht haben könnte. Im Gegensatz zur rechten Hemisphäre kann die linke Hemisphäre Details besser erkennen (1,5 mal besser als die rechte Hemisphäre). Entsprechend liegt links auch eher die Objekterkennung (was ja wiederum mit Benennung zu tun hat). Während in der rechten Hemisphäre, durch ihre Aktivierung bei der Interaktion mit anderen Menschen, eher die Repräsentationen anderer Menschen hinterlegt sind, findet man die Repräsentation des Selbst eher in der linken Hemisphäre. Dies spiegelt sich auch in der aufschlussreichen Schilderung der Hirnforscherin Jill Bolte Taylor in ihrem Buch „Mit einem Schlag“ wider, als sie selber eine Gehirnblutung in der linken Hemisphäre erlitt. Auch die negativen Erfahrungen scheinen nicht gleichmäßig in den Hemisphären verteilt zu sein (engl. hemispheric emotional valence HEV). So haben Untersuchungen ergeben, dass bei 40 % der Probanden negative Erfahrungen eher in der linken Hemisphäre und entsprechend bei 60 % in der rechten Hemisphäre hinterlegt sind. Diese Untersuchungen widerlegen erneut die Annahme, die rechte Hemisphäre sei die emotionale Hemisphäre. Ein weiterer Aspekt der Hirnasymmetrie ist die Aufgabenverteilung der Aufmerksamkeit (geteilte Aufmerksamkeit). Dabei spielen zwei sehr unterschiedliche Funktionen eine Rolle. Die eine Funktion (linke Hemisphäre) ist ein enger Fokus, um mit etwas in der unmittelbaren Umgebung (peripersonaler Raum) zu interagieren und es zu manipulieren. Das könnte eine Nahrungsquelle sein. Dafür braucht es auch Wissen/Routine im Umgang mit dem zu manipulierenden Gegenstand. Dem gegenüber steht die Achtsamkeit, die es für die größere Umgebung braucht, um z.B. Gefahren oder auch positive Interaktionen mit anderen Menschen zu erkennen (rechte Hemisphäre). Dabei verarbeiten die Hemisphären auch die Informationen sehr unterschiedlich. Während die rechte Hemisphäre die Gesamtheit direkt erfasst, arbeitet die linke Hemisphäre abstrakter, indem sie Einzelheiten erfasst, und daraus wiederum eine Gesamtheit konstruiert. So können auch Veränderung des Erfassten konstruiert und dann umgesetzt werden. © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 15
Neurofunktionelle Testung und Integration ! Videoclip 4: Neurofunktionelle Untersuchung Die neurofunktionelle Diagnostik beschreibt Tests, bei denen das integrative Zusammenwirken der unterschiedlichen Systeme nach Anwendung eines sensorischen oder motorischen Reizes evaluiert werden. Das einfachste und wichtigste Werkzeug ist die indirekte/systemische Muskelfunktionsdiagnostik. In der Regel ist die Indikation zur Behandlung (Integration) dann gegeben, wenn eine Reizkombination (im weiteren Verlauf der Kurse auch ein spezifischer Reiz) zu einer nicht-physiologischen Inhibition eines gewählten Indiaktormuskels führt. Die Inhibition kann als Schutzreflex des Gehirns gesehen werden. Für die Testung wird in der Regel ein Muskel/eine Muskelgruppe der oberen Extremitäten gewählt. Die Muskeln der unteren Extremitäten sind enger an Bewegungsmuster gekoppelt sind und können mit einer physiologischen Inhibition auf einen Reiz reagieren können (Kurs 4 - Bewegungssysteme 1). • Testung der Interaktion des Nervensystems: Diese Form der Testung erfolgt über zwei Kontakte an verschiedenen Stellen des Nervensystems, gekoppelt mit einer Muskelfunktionsdiagnostik und ist die primäre Testmethode von Kurs 1. Sie eignet sich dann gut, wenn die Testung der Funktion nicht möglich ist, wie z.B. bei Kleinkindern oder bei starker geistiger oder körperlicher Behinderung. Diese Form der Testung involviert keine dem Gehirnareal zugeordneten spezifischen Sensoren, sondern entsteht am ehesten durch eine Interferenz zwischen dem Nervengewebe und dem elektromagnetischen Feld (EMF) der berührenden Hand. • Testung der spezifischen Funktion des Nervensystems: Diese Form der Testung nutzt spezifische Funktionen von Sensoren oder motorischen Nerven, wie z.B. das Hören verschiedener Geräusche/Frequenzen, das Sehen von Farben oder Formen oder das Bewegen verschiedener Muskeln/Gelenke, gekoppelt mit einer Muskelfunktion. Diese Form der Testung ist die bevorzugte Testung der Kurse 2 bis 6. Dabei werden primär die Störungen gesucht, welche alleine durch eine spezifische Funktion eine unphysiologische Reaktion bei der Muskelfunktionsdiagnostik verursachen. Testung der Interaktion des Nervensystems (Leitungsbahn-Test) Für die Testung der Interaktion des Nervensystems wird eine einfache mittelfeste Berührung genutzt. Diese Berührung beinhaltet drei Aspekte: • Mechanischer Reiz: u.a. übertragen durch Merkel-Rezeptoren, Meißner-, Paccini- und Ruffini-Körperchen • Thermischer Reiz: übertragen durch freie Nervenenden • Elektromagnetischer Reiz: vermutlich auch durch freie Nervenden übertragen. Dieser Reiz ist auch nicht nur an oberflächliche Rezeptoren gebunden, sondern betrifft auch tieferliegende Schichten. © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 23
Vermutlich spielt bei der Testung des ZNS der mechanische Reiz an der berührten Stelle keine Rolle, da er mit dem darunter liegenden ZNS Areal meist nur bedingt etwas zu tun hat. Berührt man beispielsweise die Stirn, dann werden Mechanosensoren des N. trigeminus aktiviert. Die Verarbeitung dieses Reizes ist aber nicht primäre Aufgabe des präfrontalen Cortex. Zudem kann die Berührung mit der Hand meistens nicht einfach durch eine Berührung mit einem leblosen Objekt, wie einem Stift, ersetzt werden. Auch die thermische Wirkung ist im Falle der ZNS Testung am Schädel nur bedingt fähig, die Interaktion zu erklären. Oft läßt sich aber die Berührung am Kopf durch einen Magneten ersetzten, was für eine Wechselwirkung über elektromagnetische Felder spricht. Die Unterscheidung, welche Struktur betroffen ist, wird im Rahmen der Neurofunktionellen Integration als Testung einer Struktur (z.B. präfrontaler Cortex) oder Testung einer Funktion (z.B. Berührung der Stirn als Funktion den N. trigeminus) genannt. Für die „einfache“ Testung des Nervensystems im Sinne der Testung der Strukturen wird eine Reizkombination genutzt (Leitungsbahn-Test). Durch die Reizkombination wird die Interaktion der Strukturen des Nervensystems getestet. Für die Testung wird nach oder während einer Reizkombination/Berührungskombination ein Indikatormuskel getestet. Wenn dieser inhibiert liegt die Indikation für eine Integration vor. Bleibt der Muskel fazilitiert ist die getestete Leitungsbahn unauffällig. Unauffälliger Leitungs-Test: Indikatormuskel verändert seine Funktion nicht. + Auffälliger Leitungs-Test: Indikatormuskel inhibiert. + © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 24
Einfache Neurofunktionelle Integration ! Videoclip 5: Neurofunktionelle Integration Die Behandlung erfolgt rein manuell durch Berührung zweier Punkte und zeitgleicher Integration durch einen leichten Klopfreiz über beide Hemisphären auf der Schädelkalotte parietal auf Höhe der Ohren. Die Indikation zur Integration ist eine, im Rahmen der neurofunktionellen Diagnostik, gefundene Berührungskombination, welche zu einer nicht-physiologischen Inhibition eines Indikatormuskels führt. Wenn der Indikatormuskel inhibiert….. + …..dann kann die Kontaktkombination integriert werden. + Die Integration findet beidseits am Schädel oberhalb der Ohren durch leichtes beklopfen der Schädelkalotte statt. in der Regel reichen einige Sekunden, um eine Verknüpfung der getesteten Strukturen zu erreichen. Im weiteren Verlauf der Ausbildung wird diese Vorgehensweise durch eine differenziertere Diagnostik über die spezifischen sensorischen und motorischen Funktionen, sowie durch andere Integrationsoptionen erweitert. MERKE: Es werden grundsätzlich immer nur Kontaktkombinationen und keine Einzelkontakte integriert. © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 25
Erweiterte Integration in der physiologischen Funktion Letztendlich wollen wir, wenn möglich, in der physiologischen Funktion integrieren. Dafür brauchen wir aber erst alle Kontakte des Nervensystems. Deshalb ist der erste Schritt zwei Kontakte zu testen und zu integrieren. Dies ist sozusagen die Lern- und Trainingsphase. Die hier beschrieben Variante, ist die Variante, welche dann in der Praxis angewandt wird. Dafür wird die Kontaktkombination, welche zu einer Inhibition eines Indikatormuskels führt, um einen Kontakt erweitert, welcher zu eine Fazilitation führt. Dadurch wird die Integration komplexer und „physiologischer“. Wenn MOG und das Rückenmark inhibiert…. + ….dann wird erst ein ZNS-Areal gesucht, welches den Indikatormuskel wieder fazilitiert,… und dann erst integriert: + z.B. Diese Variante der Testung/Integration mit 3 Kontakten ist bezüglich der + Testung von Kontakten des Nervensystems die häufigere Variante. Es kommt aber auch vor, dass bereits ein einzelner Kontakt zur Inhibition eines Muskels führt. © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 26
Integration von Einzelkontakten Wenn bei einer Testung bereits ein einzelner Kontakt inhibiert, bringt die Integration des einzelnen Kontakts meistens nichts. Analog zur Vorgehensweise oben (Integration in der physiologischen Funktion) wird für die Integration auch hier ein weiterer Kontakt gesucht, welcher die Inhibition des Indikatormuskles aufhebt. Wenn ein einzelner Kontakt bereits inhibiert… …dann wird auch erst ein ZNS Areal gesucht, welches den Indikatormuskel fazilitiert… + z.B. …und dann folgt die Integration. + © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 27
IV. Rückenmark (RM) und Hirnstamm ! Videoclip 7: Rückenmark und Hirnstamm Teil 1 Auch auf der Ebene des Rückenmarks (RM) finden bereits integrierende und regulierende Funktionen statt. Im RM befinden sich, sowohl Reflexbögen des Bewegungsapparates und der Organe, als auch die Steuerung der Bewegungsmuster durch zentrale Mustergeneratoren (engl. central pattern generator - CPG). Deshalb kann durch die Integration des Hirnstamms mit dem RM schon ein Menge an peripheren Störungen behoben werden. Zur Vereinfachung fassen wir hier das Rhombencephalon (Medulla oblongata, Pons und Cerebellum) und das Mesencephalon unter dem Begriff des Hirnstamms zusammen. Die meisten afferenten und efferenten Leitungsbahnen haben ihren Ursprung oder enden im Hirnstamm. Der Hirnstamm bildet das zentrale System zur Regulation der Physiologie (auch des ZNS). Anatomie und Funktion des Rückenmarks (RM) Das RM befindet sich anatomisch auf folgenden Höhen der Wirbelsäule (WS): • cervikales Rückenmark: C1-7 • thorakales Rückenmark: T1-10 • lumbales Rückenmark: T10-12 • sacrales Rückenmark: L1 Anatomie der grauen Substanz Ähnlich wie im Gehirn sind die sensorischen Systeme im dorsalen Bereich angelegt und die motorischen Systeme im ventralen Bereich. © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 32
Anatomie der weißen Substanz Die aufsteigenden Leitungen befinden sich eher außen, die absteigenden eher innen, zwischen den aufsteigenden Bahnen und und der grauen Substanz. Kontakt Mittelfeste Berührung über dem Dornfortsatz. Getestet werden die Kontakte vom Okkziput bis zum Os coccygis, auch wenn das nicht der eigentlichen anatomischen Lage des RM entspricht. © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 33
Anatomie und Funktion der Medulla oblongata (MOG) In der Medulla oblongata (MOG) finden sich Kerngebiete für propriozeptive und interozeptive Afferenzen, sowie somatomotorische und viszeromotorische Efferenzen. Afferenzen Rückenmark, Hirnstamm, Cerebellum, Hypothalamus, Cortex, HN 5, 8, 9, 10 Efferenzen Rückenmark, Hirnstamm, Cerebellum, Hypothalamus, Amygdala, Hippocampus, Thalamus, HN 9, 10, 11, 12 Funktion Vegetative Steuerung, motorische Grundsteuerung, Schutz • Exterozeption: Ncl. cochlearis - vertikale Geräuschlokalisation, Frequenzanalyse, Ncl. olivarius sup. - horizontale Geräuschlokalisation • Propriozeption: Ncl. cuneatus/gracilis - propriozeptive Informationsverarbeitung • Interozeption: Ncl. tractus solitarius (NTS) - afferente interozeptive Informationen aus den HN 9 und 10, Ncl. spinalis n. trig. - interozeptive Informationen aus dem Gesicht und dem Schädel (Gefäße, Meningen) (HN 5) • Somatomotorik: Antigravitationssystem, eher inhibitorisch, ermöglicht Flexion • Viszeromotorik: - Sympathikus: ventrolaterale Medulla (VLM) - kardiopulmonale Regulation, Vasomotorik - Parasympathikus: Ncl. dorsalis n. vagi - Verdauung, Starre; Ncl. ambiguus - Herz, Sozialverhalten • Mentale Systeme: Modulation der sensorischen Wahrnehmung (Berührung, Geräusche) Kontakt Daumen und Zeigefinger jeweils (L) und (R) direkt unterhalb des Kieferwinkels Masterpunkt: Viszeromotorik (VM) Leitungsbahnpunkt: VM, PZ und SM © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 34
Neurofunktionelle Integration - MOG und RM ! Videoclip 8: Neurofunktionelle Integration - MOG und RM Als erste Übungsrunde nehmen wir uns die Verbindung zwischen Medulla oblongata und Rückenmark vor. Medulla oblongata Rückenmark MOG HWS/BWS/LWS 1. Testung und Differenzierung + 2. Integration + z.B. Leitungsbahnen Die folgenden Leitungsbahnen können hier direkt betroffen sein: Leitungsbahn Funktion Tr. bulboreticulospinalis Somatomotroik, Viszeromotorik und Regulation des Aktivitätsniveaus Tr. spinobulbaris Propriozeption © Neurolog Akademie 2020 Dr. med. Philip Eckardt 35
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