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Inhalt Vorträge am 11.10.2016 Klaus Selle, RTWH AACHEN 4 Jale Tosun, Universität Heidelberg 12 Vorträge am 12.10.2016 Kurt Hofstetter, IBA_Wien 2022 18 Daniela Riedel, Zebralog Berlin 24 Hans Drexler, Jadehochschule Oldenburg 30 Alexander Hagner, TU WIEN und ARCHITEKTURBÜRO gaupenraub+/- 32 Herwig Spiegl, AllesWirdGut Wien 36 Tobias Armborst, Interboro Partners, New YorK 40 GESA Ziemer, HCU Hamburg 46 Sabine Steger, Leitende Baudirektorin, Stadt MüncheN 52 IBA_LAB N°4 | ▸2 IBA_LAB N°4 | Inhalt ▸ 3
Was heißt Koproduktion? Vortrag von Klaus Selle, RTWH AACHEN beim IBA_LAB N°4 Am 11. Oktober 2016 in Heidelberg Das Thema „Koproduktion von Stadt“ ist ein Wirklichkeit wird, entscheidet nicht die Wirklichkeiten, wie es gesellschaftli- weites Feld. Nimmt man es insgesamt in den kommunale Planung, sondern der Grund- che Formationen gibt.“ Es ist also Blick – mit allen ökonomischen, sozialen, stückseigentümer. Womit deutlich wird, dass die Gesellschaft, die ihre Stadt nicht © IBA Heidelberg/ Christian Buck kulturellen und politischen Dimensionen der hier eine »Interdependenz« zwischen Bauwil- nur prägt, sondern – wie Siebel Stadtentwicklung – dann wird deutlich, dass es ligen und kommunaler Planung besteht. betont – „schafft“: Pluralität und hier letztlich um das Wesen von Stadt selbst Beide können in der Regel die bauliche Koproduktion a priori. Um sich zu geht. Und so verstanden ist Stadtentwicklung Entwicklung der Stadt nicht allein betreiben, verdeutlichen, was das heißen immer und a priori Koproduktion. sondern sind jeweils auf den anderen ange- könnte, ist es hilfreich, zu fragen, wiesen. Oder, wie es der Baudezernent einer auf welche Weise wir – wir alle als Klaus Selle beim IBA_LAB N°4 Wenn wir über das Thema reden, müssen wir deutschen Großstadt kürzlich formulierte: Bewohnerinnen und Bewohner der also einige Denkgewohnheiten ändern: Im „Am Ende des Tages sind nicht wir es, die Städte – an deren Entwicklung mitwirken. In dene Formen des Ehrenamtes wahrnehmen, ob Zusammenhang mit der Frage: „Wer entwi- bauen“. Halten wir fest: Schon mit dem diesen Tagen wird „Mitwirkung“ zumeist mit wir nachbarschaftliche Selbsthilfe praktizieren, ckelt die Stadt?“ kommen uns zuerst Pla- Grundgesetz wird die Ko-Produktion von Bürgerbeteiligung gleichgesetzt, also als mäzenatisch wirken, dem urban gardening nungs- und Bauvorhaben in den Sinn und mit Stadt – hier verstanden als bauliche Entwick- „Mitwirkung an der Meinungsbildung und nachgehen oder eine Baugruppe mitformen ihnen Planer, Developer, Investoren. Schon lung – begründet. Wer immer Luftbilder von Entscheidungsfindung öffentlicher Akteure“ – alle diese und viele weitere Aktivitäten prägen das aber greift zu kurz. Ein Blick in Kataster- Städten und Regionen unter diesem Gesichts- verstanden. Lange Zeit wurde bei der Frage das Stadtleben, ja die Lebensqualität einer Stadt pläne und Grundbücher lässt unschwer die punkt betrachtet, wird dieses Zusammenspiel nach der Mitwirkung an der Stadtentwicklung ganz ungemein. Ein Zitat aus Musils „Mann Vielfalt von Einzeleigentümern erkennen, die öffentlicher und privater Akteure im Raum „übersehen“, dass wir – als Gesamtheit – politi- ohne Eigenschaften“ erscheint mir an dieser alle auf ihre Weise zur baulichen Entwick- ebenso erkennen können, wie derjenige, der scher Souverän sind. Seitdem sich dieser Stelle daher sehr treffend: „Und also setzen lung und zum Bild der Stadt beitragen. Es die Medienberichterstattung zu strittigen Souverän nicht nur bei Wahlen zu Wort meldet, wohl auch die kleinen Alltagsleistungen in ihrer sind also auch viele Einzelakteure, die auf Bauvorhaben verfolgt. sondern selbst initiativ wird und etwa das gesellschaftlichen Summe und durch ihre ihren Parzellen wirtschaften, (re-)investieren, Instrumentarium der direkten Demokratie Eignung für diese Summierung viel mehr planen und entscheiden. Mit dem Planen und » Schon mit dem Grundge- intensiv und kundig nutzt, hat sich das geändert. Energie in die Welt, als die heroischen Taten“. Bauen als einer Dimension der Stadtentwick- Nun besteht gelegentlich sogar Anlass zu der lung erhalten wir mit Blick auf deren rechtli- setz wird Koproduktion besorgten Frage, wie sich denn die direkte zur Wir sind viertens auch Marktakteure – und das che Basis einen wichtigen Hinweis zum von Stadt begründet. « repräsentativen Demokratie verhält und in ist für die Stadtentwicklung ebenfalls von Thema „Koproduktion“: Artikel 14 GG welchem Verhältnis beide zur partizipativen großer Bedeutung. Nicht wenige sind unterneh- gewährleistet das Eigentum, auch an Grund Nun gilt es aber den Blick zu weiten. Denn: Demokratie stehen. merisch tätig –und haben so einen nicht zu und Boden, setzt ihm aber zugleich Grenzen. „Stadt ist eine soziale Tatsache“, wie Walter überschätzenden Einfluss auf das Wohl und Die Bauleitplanung ist eine solche Grenzzie- Siebel schreibt, „eine Tatsache, die sich Kommen wir zu unserer dritten „Rolle“: Sehr Wehe der Stadtentwicklung. Auch die vielen hung. Mit ihr werden parzellenscharf Art und räumlich geformt hat, anders gesagt: Jede viele von uns sind über den eigenen familiären Millionen Kleineigentümer im Gebäudebestand Maß der möglichen Grundstücksnutzung Gesellschaft schafft sich ihre eigene Stadt. Verbund hinaus in der Gesellschaft aktiv. Ob und beim Neubau prägen mit ihren Investitio- definiert. Ob aus der Möglichkeit aber Unter dem Wort „Stadt“ verbergen sich so viele wir nun in Vereinen tätig sind, ob wir verschie- nen das Stadtbild, die Umweltbilanzen etc. IBA_LAB N°4 | Klaus Selle ▸ 4 IBA_LAB N°4 | Klaus Selle ▸ 5
Von besonderer Bedeutung für die Stadtentwick- Unglücklicherweise konzentrieren sich Fachdis- Stadtentwicklungskonzept für eine größere Vielmehr ist der „Government“-Teil von lung sind wir als schiere Masse: Neben unserem kussion und politische Aufmerksamkeit stets auf Stadt unter Beteiligung aller wichtigen „Governance“ ein Teil der zahlreichen Wege Mobilitätsverhalten sind hier u.a. unsere Ausschnitte. So standen in den „Nullerjahren“ Akteure erarbeiten wollen, erreicht Ihre Liste der Regelung gemeinsamer Angelegenheiten. Standortpräferenzen, Freizeitgewohnheiten und die Potenziale der Zivilgesellschaft ganz oben schnell 60, 80 – wenn nicht mehr – Positionen: Allerdings zeigt sich bei der Betrachtung der vor allem unser Konsumverhalten – denken Sie auf der Agenda – nach den Stuttgarter Ereignis- Alle diese Akteure aus den Verwaltungen, aus städtischen Wirklichkeiten, dass hoheitliche nur an die Folgen des Online-Handels für die sen steht vor allen Dingen wieder die Frage der der Politik, aus Verbänden, Institutionen und Regulierung nur in einigen Handlungsfeldern Entwicklung der Innenstädte - anzuführen. Bürgerbeteiligung, die ihrerseits schon verschie- natürlich aus der Zivilgesellschaft wollen greift, viele andere aber kooperativer Ansätze dene „Renaissancen“ hinter sich hat, im eingebunden werden. Die Wirklichkeit der bedürfen oder weitgehend unabhängig von Vordergrund. Akteure in der Stadt ist sehr unterschiedlich öffentlicher Steuerung verlaufen. Selbstver- » Die Welt zwischen Ehren- gewichtig, sehr unterschiedlich interessiert an ständlich sind auch hier öffentliche Akteure amt und Marktaktivitäten Als Zwischenresümee lässt sich festhalten, dass dem, um was es da gehen soll und jeder dieser Mitwirkende, aber eben nicht leitend/steuernd die Stadtgesellschaft auf vielfältige Weise an Akteure folgt seinen eigenen Absichten, ver- („public leadership“), sondern initiierend, gewinnt an Bedeutung. « der Stadtentwicklung mitwirkt und dass eine fügt über spezifische Optionen und orientiert fördernd, stützend oder moderierend. Reduktion auf die Rolle der Beteiligten in sein Handeln an Logiken, die nicht die der Wie immer sind solche Unterscheidungen, Planungsprozessen den Wirklichkeiten nicht anderen sind. Dieses Gemenge erhält nicht wie ich sie hier mit den vier Rollen vornehme, gerecht wird. Allerdings sind die Chancen, auf dadurch eine Struktur, dass es einen Akteur » Selbstverständlich sind nicht trennscharf. Ich will lediglich auf einen die Gestaltung des eigenen Lebensumfeldes gibt, der das Gemeinwohl vertritt, dem dann auch hier öffentliche Ak- solchen Bereich hinweisen, der mir zunehmend Einfluss zu nehmen in der Stadtgesellschaft alle anderen vermeintlichen „Partikularinteres- an Bedeutung zu gewinnen scheint: Die Welt ungleich verteilt. Diese Asymmetrien erzeugen sen“ untergeordnet werden könnten. „Gemein- teure dabei, aber eben zwischen Ehrenamt und Marktaktivitäten. Etwa fortdauernde Aufgaben, die über das Anbieten wohl“ kann man nicht „haben“. Es muss nicht leitend, sondern initi- wenn Unternehmen Verantwortung übernehmen von Beteiligungsmöglichkeiten „für alle“ vielmehr hergestellt, definiert werden – und für ihr gesellschaftliches Umfeld in der Stadt. deutlich hinausgehen müssen. Das ist eine zwar als Bestimmungsleistung aller in einem ierend, fördernd, stützend Oder wenn Bürgeraktivitäten professionalisiert Daueraufgabe ohne Dauerlösung, die sich auf gemeinsamen Prozess. oder moderierend. « werden – wie es etwa bei den so genannten viele Handlungsfelder bezieht, von der Einwan- „Raumpionieren“ zu beobachten ist. Schon bei derungspolitik bis zum Mindestlohn, von der Wie solche Prozesse laufen können, wie sich Es ist, theoretisch und programmatisch, schon früheren Forschungsarbeiten zu intermediären Mietentwicklung bis zur Bildungspolitik, um Handlungsfähigkeit zwischen und mit verschie- lange klar, dass Stadtentwicklung die Integrati- Organisationen in benachteiligten Stadtquartie- nur Beispiele zu nennen. denen Akteuren herstellen lässt, kann aus der on der Akteure voraussetzt, dass man nur in ren hat man uns – zumal in den USA – darauf Governance-Perspektive gut beschrieben und mit dieser Vielfalt Handlungsmacht ge- hingewiesen, dass man nicht als „non-profit“- werden. Wer diese Perspektive einnimmt und winnt. Das steht in jedem Papier zur europäi- Organisation verstanden werden wollte. Man sei » Gemeinwohl kann man den Blick auf Stadtentwicklung richtet, erkennt schen Städtepolitik, ist in der praktischen viel mehr„not for-profit“ ausgerichtet. Das kann nicht haben. Es muss viel- – um eine gängige Governance-Definition zu Umsetzung aber durchaus umstritten und voller in der Tat ein wesentlicher Unterschied sein! zitieren – „die Gesamtheit der zahlreichen Herausforderungen. Womit wir zum gemeinsa- Uns in Deutschland ist das durchaus geläufig. mehr hergestellt, definiert Wege, auf denen Individuen, so wie öffentliche men Planen und Handeln, also zur „Koproduk- Das Genossenschaftswesen wird man mögli- werden. « und private Institutionen ihre gemeinsamen tion aus der Governanceperspektive“ kommen. cherweise hier ebenso einordnen wie viele der Angelegenheiten regeln“. Diese Betrachtungs- neueren gemeinwesen- und gemeinwohlorien- Es wird Zeit, über „Governance“ zu reden. weise erlaubt es also, von der Aufgabe her zu Wenn ich mit unseren Studierenden über tierten Wohn- und Immobilienprojekte – etwa Auch dies ist ein Begriff, der zum Umdenken denken, z.B. die Integration von Wissenschafts- Planungsprozesse diskutiere, gehen die meisten die des Mietshäuser Syndikats oder die „Immo- anregt. Er ist zudem wie kein anderer geeignet, und Stadtentwicklung – und zu fragen, welche davon aus, dass es sich da um drei Schritte vilien“ der Montagstiftung. die Art und Weise, wie „koproduziert“ wird, Akteure zur Bewältigung dieser Aufgabe handelt: Aufgabenstellung, Entwurf, Umset- abzubilden. Wir denken häufig, wenn wir über vonnöten sind und auf welchen Wegen sie ihre zung. So sieht das aber in der Wirklichkeit nicht Diese „Rollenvierfalt“ muss als Zusammenhang Öffentlichkeitsbeteiligung etc. reden, an ein „gemeinsame Angelegenheit“ regeln können. aus. Der Prozess ist sehr viel länger, umfasst begriffen werden, wenn man die Entwicklung duales, bipolares Bild: „die Stadt“ gegen „die Das alles ist, um einem häufigen Missverständ- sehr viel mehr Schritte und Phasen – und in der Städte und die Rolle, die Bewohnerinnen Bürger“. Das trifft allerdings die Wirklichkei- nis vorzubeugen, kein Gegenentwurf zur jeder dieser Etappen bedarf es der Verständi- und Bewohner dabei spielen, verstehen will. ten nicht. Wenn Sie etwa ein Integriertes traditionellen hoheitlichen Regulierung. gung unter und mit verschiedenen Akteuren. IBA_LAB N°4 | Klaus Selle ▸ 6 IBA_LAB N°4 | Klaus Selle ▸ 7
Daraus folgt auch, dass das Denken in so lassen, um was es hier geht, möchte ich einige Tatsächlich kann man solche Verhandlungen genannte „finalen Kausalitäten“ unrealistisch Beispiele aus der Praxis kurz beleuchten. Im nicht „auf dem Marktplatz“ führen. Aber es war ist. Vieles wird sich im Zeitablauf ändern: Kontext einer Internationalen Bauausstellung ausdrücklich vorgesehen, dass von den Eck- Akteure, Konstellationen, Rahmenbedingungen liegt es nahe, übers Planen und Bauen zu reden. punkten ausgehend Wettbewerbe durchgeführt etc. Um da nicht völlig ins Trudeln zu geraten, Und zwar zugespitzt auf die Frage, wie innova- und öffentlich begleitet werden sollten. Und wo bedarf es eines Werte- bzw. Zielsystems, tive Lösungen bzw. besondere Qualitäten in war hier das Problem? Die Investorengruppe innerhalb dessen man sich flexibel bewegen Prozessen der Koproduktion angestrebt und strukturierte sich nach den Gesprächen um, kann: Karl Ganser, ehemaliger Direktor der IBA erreicht werden können. neue Interessenten traten auf den Plan – aber Emscher Park, hat das auf die griffige Formu- wie es aussieht, wird auch diesen gegenüber auf lierung gebracht: „Man muss Prozesse gestal- der einmal erarbeiteten Grundlage verhandelt. ten, deren Ausgang man nicht kennt.“ Das heißt » Tatsächlich kann man ausdrücklich nicht, dass sie beliebig sind. Sie solche Verhandlungen Im Zuge vieler Internationaler Bauausstellun- Mühsam, weil für alle sehr zeitintensiv. Womit müssen einen Rahmen haben, indem etwa gen werden auf ähnliche Weise Qualitätsver- schon auf ein Problem verwiesen wird: Die Qualitätsziele definiert werden. Aber sie sind nicht auf dem Marktplatz einbarungen getroffen – zwischen Planungs- Veranstaltungen waren zwar durchweg gut nicht final programmierbar. Um sich in solchen führen. « gesellschaft, Grundeigentümern, Investitions- besucht, aber lediglich eine vergleichsweise dynamischen Prozessen mit vielen Akteuren willigen und möglicherweise Nutzern. So kleine Gruppe aus der lokalen Öffentlichkeit bewegen zu können, ist Kommunikation Der erste Fall: In höchst sensibler Innenstadtla- sollen die Projekte über die gesamte Entwick- war kontinuierlich dabei. Solche Bedingungen zentral. Es nimmt daher nicht wunder, dass ge hat eine Investorengruppe mehrere Grund- lungszeit an Zielen ausgerichtet werden, die können nicht nur sozial selektiv wirken, Ganser im Rückblick – befragt nach den stücke aufgekauft und will sie entwickeln. aber – ganz im Sinne der bereits beschriebe- sondern auch Verhärtungen, gar „Radikalisie- Voraussetzungen des Erfolges der IBA – ant- Allerdings fehlt ihr noch ein Grundstück, das nen „offenen Prozesse“ ausreichend Flexibili- rung“ begünstigen. Letztlich, auch das ist klar, wortete: „Ich glaube, die wichtigste Methode ist sich derzeit im kommunalen Eigentum befindet. tät für die Art der Umsetzung belassen. wird man es nicht allen recht machen können das Gespräch, auch wenn es aufwändig ist.“ Und natürlich bedarf es kommunaler Bauleit- und muss auch einmal politische Beschlüsse planung, um die rechtlichen Voraussetzungen Ein nächster Fall: Inmitten bester städtischer gegen einige laute Stimmen fassen. Im für die Entwicklung zu schaffen. Die Kommu- Wohnlagen soll ein vierzehn Hektar großes Ergebnis ist in diesem Fall aber ein sehr » Warum will man gemein- ne hingegen steht unter Handlungsdruck, weil Grundstück entwickelt werden. Die öffentli- anspruchsvolles Konzept entstanden, in das sam planen und handeln? der lange Zeit vernachlässigte Standort öffent- che Aufmerksamkeit – geprägt von Skepsis viele Anregungen aus der öffentlichen Arbeit lich als „Schandfleck“ angesehen wird und er und Misstrauen – war sehr groß. Daher einflossen und das sich auf einen breiten, Die Antwort ist einfach: zugleich Bestandteil von Rahmenplanungen für wurden in diesen Prozess von Anfang an wenn auch nicht vollständigen Konsens Weil man es muss! « diesen Bereich der Innenstadt ist, in denen er administrative und politische Akteure, private stützen kann. eine prominente Rolle spielt. Hier haben wir es Interessenten, verschiedene Gruppierungen Man sollte sich hier vor romantisierenden also mit einer Situation zu tun, die exempla- aus der Bürgerschaft und die allgemeine Während in diesen Fällen vorhandene Vorstellungen etwa in der Kategorie „bottom risch die eingangs beschriebene, aus dem in Art Öffentlichkeit intensiv eingebunden. Es Akteure ein „Stück Stadtentwicklung“ mit up“ statt „top down“ hüten. Es geht immer um 14 GG angelegten Spannungsverhältnis dauerte über fünf Jahre bis – nach Wettbewer- besonderem Anspruch angehen, wurden und Interessen, Nutzenerwartungen etc. Wo zwei resultierende „Interdependenz“ deutlich macht. ben, Rahmenplänen etc. ein Bebauungsplan werden in anderen Situationen Kooperanden oder mehr Akteure aufeinander angewiesen Öffentliche und private Akteure sind wechsel- verabschiedet werden konnte. Während des auf der Basis vorher erarbeiteter Qualitätszie- sind, kann Kooperation, kann die Suche nach seitig aufeinander angewiesen. Ein Fall für gesamten Prozesses wurden nahezu alle le und -konzepte erst „eingeworben“. So Wegen zur Regelung einer gemeinsamen Blockaden (wie vielerorts) – oder Kooperation. wichtigen Fachfragen intensiv und öffentlich geschehen beim Quartier Vauban in Freiburg. Angelegenheit beginnen. Ist dies nicht der Fall, In der hier beschriebenen Situation suchte man erörtert: Vom Mobilitätskonzept bis zu den Dort entstanden die Ziele für ein nachhaltiges meint man, allein handeln zu können oder sieht die Kooperation: In zwei Workshopsitzungen Möglichkeiten vorhandene Bäume zu erhalten, Quartier in enger, durchaus spannungsreicher man die Aufgabe nicht als gemeinsame An- wurden von Vertreterinnen und Vertretern der vom Wohnungsgemenge bis zu den Dachfor- Kooperation von öffentlichen Akteuren und gelegenheit an, die einen auch selbst betrifft, lokalen Politik, der Stadtverwaltung, der men etc. Das ist zugleich spannend und einer Initiative (ForumVauban). Um sie zu kurzum: erwartet man keinen Nutzen, wird es Investorengruppe unter Beteiligung externer mühsam. Spannend, weil man geradezu realisieren, warb man in einem „Wohnfrüh- nicht zur Kooperation kommen. Warum sollte Fachleute Ziele und Eckpunkte der weiteren lehrbuchhaft ein „Making of…“ städtebauli- ling“ Interessierte ein, die als Baugruppen, es auch? Um etwas plastischer werden zu Entwicklung erarbeitet. cher Planung erleben konnte. Genossenschaften oder auch als Einzelbau- IBA_LAB N°4 | Klaus Selle ▸ 8 IBA_LAB N°4 | Klaus Selle ▸ 9
herren im Rahmen eines solchen Konzeptes Bei der Entstehung von Kooperationsbereit- Diese Tatsache an sich und das, was dort hier Blockaden oder Frustrationen auf allen und mit Blick auf die angestrebten Qualitäten schaft kommte es also sowohl auf „push“- wie bewirkt werden soll oder erreicht werden Seiten zu vermeiden. am zukünftigen Quartier mitbauten. Ganz auf „pull“-Faktoren an: Der bereits erwähnte konnte, muss aber auch zur interessierten ähnlich auch Tübingen: Das dortige Mi- Karl Ganser wies darauf hin, dass eine gewisse Öffentlichkeit hin vermittelt werden. Das ist Bleibt der Hinweis, dass mit „Öffentlichkeits- schungskonzept war in seinen Grundzügen Ratlosigkeit bei wichtigen Akteuren eine eine nicht ganz gefahrlose Gratwanderung. beteiligung“ wiederum nur über eine der vier vorgegeben und mit dem Slogan „Mischen Sie wesentliche Voraussetzung sein könne. Wenn Damit wird schon auf den zweiten Aspekt Rollen gesprochen wird, die wir alle in Prozes- mit!“ gewann man dann Investitions- und sich zeigt, dass Probleme auf gewohnten verwiesen: sen der Stadtentwicklung einnehmen können. Nutzungswillige, die ausdrücklich unter Wegen nicht zu lösen sind, entsteht offensicht- In der Tat ist es bedauerlich, dass etwa die Fra- solchen Bedingungen ihre Vorhaben realisie- lich Bereitschaft, sich auf neue Lösungswege Kommunale Vertreter können weder einem ge nach den Potenzialen bürgerschaftlichen ren wollten. In wissenschaftlichen Nach-Un- gemeinsam mit anderen einzulassen. Prob- Unternehmen vorschreiben, wo es wie zu inves- Engagements in der Stadtentwicklung heute tersuchungen wurde inzwischen auch deutlich, lemdruck dieser Art wäre ein typischer „push“- tieren hat, noch kann man eine Wissenschafts- eine so nachgeordnete Rolle in der kommuna- dass insbesondere das „Funktionieren“ der Faktor. Zu den „pull“-Faktoren zählen besonde- einrichtung von internationalem Rang kommu- len Programmatik und Praxis zu spielen Nutzungsmischung von einem solchen aktiven re Vergünstigungen, ein Sonder-Nutzen, der auf nal „steuern“. Selbst eine Kulturinitiative oder scheint. Dabei können Bürgerinnen und Mitwirkungsinteresse abhängt. In beiden anderen Wegen nicht zu erreichen ist: etwa ein Kreis von „urban-gardening“-Aktivisten Bürger wichtige Projekte anstoßen und oft Fällen wurden die Quartiere weitestgehend Grundstücke und Baurechte, die für „übliche“ lässt sich nur dann auf Kooperationen ein, auch umsetzen. Vor allem aber sind sie es, die ohne die traditionellen Developer, Bauträger Projekte nicht zur Verfügung stehen, Fördervor- wenn das eigene Handeln weiterhin selbst einem neuen „Stück Stadt“ erst Leben geben. und Wohnungsunternehmen entwickelt. Das rang, wie das bei vielen Bauausstellungen der bestimmt werden kann. Traditionelle Bürgerbe- Denn: Ein Quartier ist nicht dann fertig, wenn hatte Gründe, denn diese Akteure sind übli- Fall ist, besondere Publizität und deren Beitrag teiligung ist jedoch auf Angelegenheiten es gebaut ist. Es muss erst zum Leben ge- cherweise vor allem an der Marktgängigkeit zur Imagebildung eines Unternehmens. bezogen, die eine Gemeinde in eigener Verant- bracht werden. Dabei spielt Nachbarschafts- ihrer „Produkte“ interessiert – und die scheint wortung regeln kann. Sie ist an einem hierarchi- aufbau, spielen zivilgesellschaftliche Organi- zu weite Abweichungen vom Gewohnten nicht schen, auf umfassende Steuerbarkeit ausgerich- sationen und Initiativen eine wichtige Rolle. zu erlauben. Dass es aber – unter bestimmten » Geschützte Räume sind tetem Planungsmodell orientiert. Kooperatio- Deswegen denkt man bei vielen Projekten Bedingungen – auch gelingen kann, eher am notwendig. « nen mit und zwischen vielen Akteuren passen schon sehr früh darüber nach, wie diese Üblichen orientierte Akteure für Unübliches nicht so recht zu diesem „alten“ Planungsver- soziale Quartiersentwicklung initiiert und zu gewinnen, zeigen viele Bauausstellungen, Ich komme zum Schluss – und muss feststellen, ständnis. Man muss schon sehr klar bei der gefördert werden könnte – lange bevor das zeigt aber insbesondere die Stadt Wien, die dass ich bislang sehr wenig über Öffentlich- Benennung der eigenen Grenzen und erfin- letzte Haus fertig gebaut ist. Da gibt es gute mit ihren Bauträgerwettbewerben auf der keitsbeteiligung gesprochen habe. Dabei ist das dungsreich in der Prozessgestaltung sein, um Beispiele: vom K.I.O.S.K.-Projekt seinerzeit Basis sehr klarer Qualitätsvorgaben auch hier in Heidelberg nicht nur ein wichtiges im Freiburger Rieselfeld über den immer wieder neue Vorhaben initiiert. Thema, sondern es finden sich in den „Leitlini- Nachbarschaftsaufbau in Münchner en zur mitgestaltenden Bürgerbeteiligung“ auch Konversionsprojekten bis hin zur Das Wiener Verfahren hat Voraussetzungen Regelungen, die die klassische „Planungsbetei- „Ersten Adresse“ für die Elisabeth besonderer Art: Die Stadt Wien verfügt über ligung“ über die Erörterung von Planentwürfen aue in Berlin – ich könnte noch vie- die zur Bebauung vorgesehenen Grundstücke hinaus erweitern. Den oft langjährigen Prozes- le nennen. Ich ende – statt eines und lässt dort nur dann bauen, wenn sich die sen der Stadtentwicklung kann durch Bildung Resümees – mit einem erneuten Investitionswilligen dem zweistufigen verschiedener Beteiligungsphasen entsprochen Zitat von Walter Siebel: „Die Auswahlverfahren stellen. In einem derart werden und Koordinationsbeiräte wirken bis in moderne Stadtgesellschaft fügt sich umfassenden Sinne ist das andernorts nicht die Umsetzungsschritte hinein. Mit Blick auf nicht mehr in die vereinfachenden nachzuahmen. Aber für einzelne Projekte gilt „Ko-Produktion“ von Stadt gibt es mindestens Schemata eines städtebaulichen sehr wohl, dass die Verhandlungssituation der drei Punkte, die weitere Überlegungen wert wä- Entwurfs“ und – so möchte ich öffentlichen Akteure dann besser ist, wenn ren: Der erste Aspekt ist eher methodischer Art. ergänzen – „...die alten Vorstel sie nicht nur planungsrechtliche Argumente In kooperativen Prozessen mit verschiedenen lungen von Stadt-Entwicklungs haben, sondern über Bauland und/oder Akteuren lassen sich nicht alle Erörterungen prozessen.“. Förderung verfügen und damit steuern und Abstimmungsprozesse öffentlich gestalten. können. „Geschützte Räume“ sind notwendig. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. IBA_LAB N°4 | Klaus Selle ▸ 10 IBA_LAB N°4 | Klaus Selle ▸ 11
Koproduktion aus politik- davon gibt es eine ganze Menge. Aber der systematische Einbezug von Bürgerinnen und Bürgern, das ist durchaus neu und das sehen wissenschaftlicher Sicht wir in der Forschung. Wir sehen das daran, dass wir eine Literatur haben, die sich entwi- ckelt, und wir sehen es eben auch rein empi- risch dahingehend, dass wir tatsächlich auch Vortrag von Jale tosun, Universität Heidelberg im Bereich der Umweltgovernance bzw. der beim IBA_LAB N°4 Am 11. Oktober 2016 in Heidelberg Klimagovernance auf die sogenannten „Public- Private-Partnerships“ angewiesen sind. Wir sprechen zunehmend von poly-zentrischer Ich möchte zu diesem IBA_LAB ein paar menarbeite, die sich mit Klimapolitik befas- „Governance“, also von einer Fülle von Interessen haben und die innerhalb eines sehr analytische Konzepte beisteuern, die in erster sen. Wir haben auch eine Vernetzungsaktion, Arenen, in der verschiedene Akteure miteinan- langen Zeitraums miteinander zusammenar- Linie aus der Politikwissenschaft kommen, die von der Europäischen Union gefördert der zusammenarbeiten, um ein großes Prob- beiten müssen, da haben wir zwar schon um dadurch eine Diskussion zu stimulieren. wird, in der man sich für Projekte bewirbt. lem zu lösen. Das ist die aktuelle Stoßrichtung theoretische Ansätze, verstehen dieses neue Anfang dieses Jahres haben wir uns für ein der Forschung, sodass ich von „Government“, Konzept aber noch nicht ganz. In der Regel Vielleicht darf ich kurz etwas vorwegnehmen, Projekt beworben. Auf die administrativen einer eher staatszentrierten Perspektive, über- geht es um konkrete Probleme, es geht um um zu erklären, warum ich mich hier engagie- Details gehe ich an dieser Stelle nicht ein. An gegangen bin zu einer Perspektive, die mehr einen städtischen Raum und es geht auch um re: Ich untersuche unter anderem Verteilungs- dieser Stelle ist es mir wichtig, zu zeigen, dass horizontale Kooperationsformen anschaut. Bei Verteilungskonflikte. konflikte, inhaltlich beschäftige ich mich aber wir mittlerweile einen Punkt erreicht haben, an der Koproduktion, kann man ganz allgemein mit drei Politikfeldern, die im Zusammenhang dem die Europäische Union tatsächlich auch sagen, geht es um die gemeinsame Erfüllung mit Koproduktion sehr relevant sind. Ur- diesen Begriff der Koproduktion benutzt. » Dieses Konzept, das hier von Aufgaben. Man kann das auch mit einer sprünglich komme ich aus der Analyse der Wenn man sich für europäische Projekte im europäischen Raum als Situation gleichsetzen, in der es um die Bereit- Umweltpolitik. Dann bin ich übergegangen bewirbt, muss man einen Ausschreibungstext stellung öffentlicher Güter geht. Es geht im zur Energiepolitik und mittlerweile bei der befolgen und genau darlegen, wie man die Codesign diskutiert wird, Kern um diesen Zusammenarbeitsprozess, es Klimapolitik gelandet. In diesem Zusammen- Anforderungen erfüllt. Da wurde von „Code- ist durchaus etwas, was in kann aber eben auch bürgerliches Engagement hang forsche ich auch gerne mit europäischen sign“ gesprochen und zwar bei nichts geringe- und Partizipation im weiteren Sinne bedeuten. Partnern. Ich komme tatsächlich ursprünglich rem als der Entwicklung von Pfaden und der wissenschaftlichen Es muss also nicht immer zielgerichtet sein, aus der klassischen „Government“-Perspekti- Szenarien, die damit einhergehen, dass man Realität angekommen ist. « sondern, und das wäre Beteiligung im weites- ve: Für mich gibt es den Staat und der Staat eine Dekarbonisierung der europäischen ten Sinne, dass man an Konsultationen teil- reguliert. Er hat eine gewisse Informationsba- Wirtschaft herbeiführt. Dieses Konzept, das Für mich ist Koproduktion, wenn ich es nimmt und ähnliches. sis und wenn das Ergebnis bei diesen Regulie- als Koproduktion diskutiert wird, im europäi- grundlegend betrachte, zuerst ein Arrange- rungsanstrengungen, nicht optimal ist, liegt es schen Raum auch als „Codesign“, ist durchaus ment, bei dem Bürgerinnen und Bürger eine Was sind die Vorteile von Koproduktion? – aus dieser klassischen Perspektive gesehen –, etwas, was in der wissenschaftlichen Realität aktivere Rolle einnehmen. Wir kennen die Koproduktion kann sicher dazu beitragen, dass in erster Linie daran, dass es nicht richtig angekommen ist. Insbesondere von Seiten der Beteiligung von privaten Akteuren, also ein breites Spektrum an Interessen bei der umgesetzt wurde. Das ist schon ein erster Europäischen Union wird es zunehmend insbesondere von Unternehmen schon relativ Stadtplanung und -entwicklung artikuliert Anknüpfungspunkt. eingefordert und zu diesem Zeitpunkt vor lange, wir haben das bestimmt die letzten 40, wird. Das ist ungewöhnlich, dass man so viele allem auf wissenschaftlicher Ebene. Tatsäch- 50 Jahre so praktiziert. Tatsächlich gibt es eine Interessen berücksichtigt. Wenn wir ein ein- Jetzt habe ich mich aber weiterentwickelt, was lich ist es so, dass wir die Koproduktion noch Reihe von öffentlichen Aufgaben, die gar nicht fach umzusetzendes Verfahren haben wollen, schön ist, und ich wünsche es jedem anderen nicht ganz verstehen. Es gibt aber Anknüp- allein durch öffentliche Träger wahrgenom- dann ist es sicher in der Planungsphase schon auch. Das hat unter anderem damit zu tun, fungspunkte: Wir kennen uns mit Deliberation men werden können. Hier müssen private angebracht, dass man den Beteiligtenkreis dass ich mit Partnern im Rahmen des siebten im lokalen Kontext aus. Aber wie genau das Akteure einspringen und die Dienstleistung im gering hält, aber wenn man dann in die Um- Rahmenprogramms, aber jetzt eben auch im eben in einem Rahmen mit einer Vielzahl von Auftrag des Staates erbringen, das sind die setzungsphase übergeht und die Personen, die Zusammenhang mit „Horizon 2020“ zusam- Akteuren stattfindet, die unterschiedliche sogenannten „Public-Private-Partnerships“, dann betroffen sind, nicht in die Projektformu- IBA_LAB N°4 | Jale Tosun ▸ 12 IBA_LAB N°4 | Jale Tosun ▸ 13
lierungsphase eingebunden sind, dann führt es ist ein neuer Steuerungsansatz, der politisch Aber den Bürgerinnen und Bürgern ist das Wenn wir uns anschauen, was die Wahlbeteili- in der Regel zu Implementationsproblemen. gelebt wird, sehr stark unterstützt wird und nicht immer klar, wenn sie sich einbringen, gung bedingt, dann sehen wir immer, dass es Das kann auch dann passieren, wenn der jetzt auch entsprechend in der Wissenschaft dass ihre Vorstellungen am Schluss vielleicht der sozioökonomische Status ist. Der Bil- Zeitraum zwischen Entscheidungsfindung und rezipiert wird. Mittlerweile gibt es in Europa nicht gehört werden. Das muss man vorneweg dungsgrad ist nach wie vor der beste Prädiktor, -umsetzung sehr lange ist. Ich glaube, das mehrere Hundert solcher Klimaexperimente klar kommunizieren, denn man engagiert sich nicht mehr für die Partei, die man wählt, aber geläufigste Beispiel hierfür ist Stuttgart 21, wo und diese sind schon eine Form von Kopro- nicht nur, sondern nimmt auch Kosten auf für die Wahlbeteiligung. Wir sehen ähnliche einfach die Personen, die ursprünglich an der duktion. Sie können aus Energiegenossen- sich. Bei diesen Initiativen hat man immer das Tendenzen auch bei der Koproduktion, dass Formulierung teilgenommen haben, bei der schaften bestehen, mit oder ohne Beteiligung Gefühl, dass sich jeder maximal einbringen damit Interessen formuliert und vielleicht Umsetzungsphase gar nicht mehr aktiv waren, der Gemeinden. Für Koproduktion spricht kann und gehört wird. Aber so ist es eben durchgesetzt werden, die an anderer Stelle sodass der Eindruck entsteht, dass es keine schlichtweg das Innovationspotential, das man nicht, es ist trotz allem ein demokratischer wiederum Probleme verursachen. Folglich ist Bürgerbeteiligung gegeben hätte. Tatsächlich dadurch nutzen kann. Prozess und das bedeutet, dass man sich einer es in dem Sinne nicht immer unbedingt hat es die aber 15 Jahre vorher tatsächlich Mehrheitsmeinung geschlagen geben muss. demokratisch, nur weil wir einen partizipati- gegeben – es war einfach keine personelle » Wenn man diejenigen, ven Prozess haben. Es ist schon demokratisch, Kontinuität mehr da. Es ist auch kein homogener Prozess. Wir aber es ist von den Verteilungseffekten her die später von einer Maß- haben Selbstselektionstendenzen, es gibt ein nicht immer optimal. Das muss man ganz klar Mit ein Grund, warum die Europäische Union nahme betroffen sind, Segment in der Bevölkerung, das die Bereit- so sehen, und das fehlt in der Diskussion sehr stark auf Koproduktion setzt, ist, weil sie schaft und die Fähigkeit hat, sich in Kopro- meines Erachtens bislang. Dies hat weitrei- sich häufiger dem Vorwurf ausgesetzt sieht, frühzeitig einbindet, wird duktion einzubringen, andere Bevölkerungs- chende Konsequenzen, auch was den zukünf- dass sie unter einem Demokratiedefizit leidet, die Akzeptanz bei der teile können oder wollen das nicht. Das stellt tigen Einsatz dieser Instrumente angeht. deswegen setzt sie zunehmend auf partizipati- dahingehend ein Problem dar, weil es etwas ve Instrumente. Es spricht auch einiges dafür, Maßnahme in der Regel fortsetzt, was wir aus formalen Beteiligungs- Ich will ganz kurz auf ein Beispiel eingehen, dass man das partizipative Instrument einsetzt, größer sein. « formen sehen. mein Mann und ich sind 2012 von Konstanz weil man bessere Ergebnisse erzielt – besser nach Mannheim gezogen in eine in dem Sinne, dass man sie besser umsetzen Jetzt kommen wir zu den Nachteilen. Kopro- Stadt, die sich damals intensiv mit kann. Wenn man diejenigen, die später von duktion bedeutet auch, dass Bürgerinnen und der Bundesgartenschau, die im einer Maßnahme betroffen sind, frühzeitig Bürgern Verantwortung zugewiesen wird. Das Jahr 2023 stattfinden soll, beschäf- einbindet, dann wird auch die Akzeptanz bei möchte nicht jeder. Zum einen muss man sich tigte. Emotionen kochten hoch, die der Maßnahme in der Regel größer sein, weil dem auch entziehen können, sodass man nicht Zeitung hatte viel zu berichten und man sich gestalterisch einbringen kann. Immer gezwungen ist, sich einzubringen. Es ist aber die Emotionen mündeten in einen öfter haben Bürgerinnen und Bürger richtig wichtig, dass die Aufgabenverteilung sich Bürgerentscheid, der 2013 abge- gute Ideen. Diese Ressource wird zunehmend mittel- und langfristig nicht so verändert, dass halten wurde. Das Ergebnis lautete, als solche erkannt und soll auch in den gar keine Initiativen mehr stattfinden, wenn dass nur knapp 51 Prozent der politischen Prozess Eingang finden. sie eben nicht „bottom-up“ eingebracht Bürgerinnen und Bürger Mann- werden. Es muss immer noch ein Stimulus heims für die BUGA waren. Der Was wir zunehmend in der Klimaforschung von oben gesetzt werden – also Regulierung, Eklat für diejenigen, die den beobachten, sind Klimaexperimente. Das sind sodass Koproduktion flankierend hierzu Bürgerentscheid organisiert hatten, Maßnahmen, die in einzelnen Städten stattfin- stattfindet. war, dass der Bürgermeister dieses den: Städte vernetzen sich und tauschen sich Ergebnis akzeptiert hat, sich © IBA Heidelberg/Christian Buck über Erfahrungen aus. Die Idee ist, dass von Politikwissenschaftlich sehr interessant ist, dahinter gestellt und gesagt hat: der untersten Ebene die Innovationen, die dass Mitwirkung nicht immer bedeutet, dass „Es ist egal, wie knapp ein Mehr- Ideen, die erfolgreichen Experimente nach man sich durchsetzen kann. Das ist politischen heitsentscheid ausgeht, Mehrheit oben diffundieren und Eingang finden können Akteuren bewusst. Sie wissen, dass sie sich ist Mehrheit und ich respektiere in Gesetzgebung bzw. in transnationale Aktivi- auseinandersetzen müssen mit andersartigen das.“ Er wurde dafür heftig täten oder internationale Arrangements. Das Ideen, mit anderen Akteuren. kritisiert. Jale Tosun beim IBA_LAB N°4 IBA_LAB N°4 | Jale Tosun ▸ 14 IBA_LAB N°4 | Jale Tosun ▸ 15
Es soll kein Eindruck der Kausalität erweckt Ich komme zum Schluss: Lektionen. Kopro- werden, aber wenn wir betrachten, wie duktion ist sinnvoll, aber die Regeln hierfür abgestimmt wurde (Feudenheim, Wallstatt und müssen klar kommuniziert sein. Zum einen Neuostheim – Stadtteile, die bei der BUGA- braucht man einen formalen Kontext, aber Abstimmung wegen abzusehender Verkehrs- man muss auch denjenigen, die sich einbrin- probleme mehrheitlich mit „Nein“ stimmten), gen, sagen, dass es keine Garantie gibt, dass wird deutlich, dass „betroffene“ Stadtteile man das Ergebnis auch tatsächlich beeinflus- besonders mobilisiert und mehrheitlich gegen sen kann. Man muss die Regeln auch deswe- den Bürgermeister gestimmt haben, was im gen definieren, um keine Selbstselektion im Vergleich zu der vorherigen Wahl eine signifi- Koproduktionsprozess zu haben, um unter- kante Abnahme der Zustimmungsquote schiedliche Bevölkerungsgruppen zu repräsen- bedeutet. Ein anderer guter Prädiktor für die tieren, etc. Was für mich wichtig ist, ist, dass Beteiligung an regulären Wahlen ist der Koproduktion eben als „kann“-Option formu- sozioökonomische Status. In gesellschaftlich- liert wird, flankierend zu den üblichen Instru- problematischen Stadtteilen Mannheims lag menten, die man in der Lokalpolitik anwendet. die Beteiligung bei der OB-Wahl und auch bei Spannende Ideen sollten von den gewählten der BUGA-Wahl bei gerade mal 15 Prozent. Repräsentanten einer Stadt vorgebracht werden. Und es sollte nicht immer eines Drucks von unten bedürfen, neue Prozesse » Koproduktion ist sinnvoll, zu realisieren. Das wären meine Gedanken, aber die Regeln müssen inspiriert von den Stichworten, die mir geliefert wurden. klar kommuniziert sein. « Dankeschön! Zwei Dinge will ich hiermit aufzeigen: Zum einen kann ein Prozess als Koproduktion beginnen, aber man verwendet ein reguläres politisches Instrument wie Wahlen, um das Ergebnis dieses Prozesses abzustrafen. Man bestraft den offiziellen politischen Entschei- dungsträger dafür, dass Mitbürgerinnen und Mitbürger sich nicht für das Vorhaben erwär- men konnten – da geht es um die Frage, wem weist man Verantwortung zu. Wenn dieser Mechanismus greift, haben wir Ungleichheiten, was den sozioökonomischen Status angeht. Koproduktion kommt recht modern daher, aber wir haben Standardkategorien, wem wir Ver- antwortung zuweisen, wenn man nicht gehört wird, und dann werden möglicherweise eben Politiker bestraft, die vielleicht hier auch eine differenzierte Position in dem Prozess einge- nommen hatten und das wirft dann wieder neue Fragen.auf. IBA_LAB N°4 | Jale Tosun ▸ 16 IBA_LAB N°4 | Jale Tosun ▸ 17
Komplexe sollte. Dieses Büchlein kann als Wiege der Markenentwicklung „aspern Die Seestadt Wiens“ betrachtet werden und kann nach wie „Gründe eine Entwicklungsgesellschaft“ In einer der ersten Projektbesprechungen im Jahr 2003 – ich war zu dieser Zeit als Mitar- Akteurskonstellationen vor als Anker dienen, wenn in der Fülle der Geschehnisse einmal der Blick auf die we- sentlichen Dingen verloren zu gehen droht. beiter der Wiener Stadtplanung damit beauftragt, ein Team für die Entwicklung dieses ehemaligen Flughafengeländes zu Ein Satz daraus lautet: entwickeln – haben wir sehr früh die Grund- Vortrag von Kurt Hofstetter, IBA_Wien 2022 eigentümer_innen eingeladen, und man beim IBA_LAB N°4 Am 12. Oktober 2016 in Heidelberg „Verbinde dich auf vielen Wegen mit der begann schon bald zu diskutieren, was gehört Welt“ mir, was gehört dir. Angesichts der Lage der Ich beginne bei den Koproduzenten mit der Grundstücksgrenzen und deren Eigentümer Ich bin eingeladen worden, im Zusammenhang werden musste und als Grundwassersee Entwicklungsgesellschaft „Wien 3420 Aspern wurde rasch deutlich, dass sich die Gedanken mit komplexen Akteurskonstellationen über funktioniert. Um diesen herum wird kontinu- Development AG“. Der Begriff „3420“ steht über die künftige Entwicklung sofort an die Seestadt Aspern zu sprechen und möchte ierlich weitergebaut, in einer nächsten für die Sekundenanteile eines GPS-Codes, der diesen Grenzen ausrichten würden. Deshalb daher darlegen, wer die Hauptkoproduzenten Teil-Etappe wird derzeit der Bereich westlich einen Punkt im öffentlichen Raum nahe am haben wir sehr früh die Entscheidung getrof- und -koproduzentinnen dieser Entwicklung der U-Bahn-Station „Seestadt“ entwickelt. See markiert. Damit bringt die Entwicklungs- fen, die ersten Planungsschritte nicht den bisher waren und wie der Prozess im Wesentli- gesellschaft zum Ausdruck: es ist zwar unsere Grundstücksgrenzen zu überlassen, sondern chen zustande gekommen ist. zentrale Aufgabe, die Grundstücke zu verkau- eine Lösung anzustreben, die einen Mehrwert » Wenn wir einen ganzen fen und das ist es auch, was unsere Eigentü- Wir hatten in der Entwicklung der Seestadt das Stadtteil produzieren, mer von uns erwarten. Aber wenn wir einen große Glück, bei Projektstart eine sehr kom- ganzen Stadtteil mit mehreren Quartieren pakte Struktur der Grundeigentumsverhältnisse dann übernehmen wir produzieren, dann übernehmen wir eine große und damit der Akteurskonstellation vorzufin- eine große Verantwortung Verantwortung – und diese Verantwortung den. Damit war ein wesentlicher Grundstein nehmen wir u.a. wahr, indem wir den öffentli- gelegt, um eine gut koordinierte Entwicklung – und diese nehmen wir chen Raum in den Mittelpunkt der Entwick- in Gang zu setzen. Die Seestadt ist mit etwa wahr, indem wir den öf- lung stellen. Daher hat sich die Entwicklungs- 240 Hektar das größte Stadtentwicklungsgebiet gesellschaft einen Namen gegeben, der mit in Wien und eines der größten in Europa. Da- fentlichen Raum in den dem öffentlichen Raum der Seestadt verbun- von sind 105 Hektar Nettobauland, etwa 2,4 Mittelpunkt der Entwick- den ist und zu dem sie eine Geschichte Millionen Quadratmeter Bruttogeschossfläche. erzählen kann und auch muss, weil „3420“ Am Ende werden sich dort ca. 10.500 Wohn- lung stellen. « dazu einlädt nachzufragen. Eine Geschichte zu einheiten und etwa 15.000 - 20.000 Arbeits- erzählen war für die Entwicklung der Seestadt plätze befinden – das ist das Ziel, an dem Einige ausgewählte Gruppen von Koprodu- von Beginn an von großer Bedeutung und das kontinuierlich gearbeitet wird. zenten und ihre Rollen in Wien stelle ich wird zu den verschiedensten Themen ange- Ihnen jetzt vor und möchte das jeweils mit wendet. Damit kann man nicht nur informie- Die erste Phase ist bereits abgeschlossen; einem kurzen Zitat aus einem Büchlein ren, sondern ins Gespräch kommen, gemein- derzeit leben etwa 6.500 Menschen dort, einleiten, das wir etwas keck ganz am Anfang sam Bilder erzeugen und Vereinbarungen außerdem sind rund 1.800 Arbeitsplätze bereits gemacht haben. Das Büchlein heißt „Wie baut eingehen, die eine wesentliche Grundlage für © IBA Heidelberg / Christian Buck tatsächlich vorhanden, das funktioniert also für man eine Stadt?“ und es enthält wenige Multiplikationseffekte darstellen, wenn es den Anfang einmal ganz gut, zumal der Handlungsanweisungen, die sich vor allem an darum geht, für eine Umsetzung besondere Großteil der Büroarbeitsplätze erst in einer die Akteurinnen und Akteure der Entwicklung Kräfte zu mobilisieren. Dies ist für ein großes späten Entwicklungsphase erwartet wird. in der Seestadt richten. Außerdem enthält es urbanes Vorhaben in einer Nachbarschaft, die Bereits 2009 gab es erste Bauführungen für sehr viele unbeschriebene Blätter, deren seit jeher von teilweise zerstreuten Einfamili- den namensgebenden See, der erst geschaffen Inhalt sich im Laufe der Entwicklung ergeben enhäusern geprägt ist, besonders wichtig. Kurt Hofstetter beim IBA_LAB N°4 IBA_LAB N°4 | Kurt Hofstetter ▸ 18 IBA_LAB N°4 | Kurt Hofstetter ▸ 19
darstellt, der unabhängig ist von Nutzung oder „Suche ein Team, das aufgrund seiner Im Gegenzug lebten sie in einer ruhigen und gearbeitet, was in dem neu zu entwickelnden Eigentum: Wenn der neue Stadtteil funktionie- Persönlichkeiten und Qualifikationen der durchgrünten Umgebung, und dafür hatten sie Gebiet vorhanden sein müsste. Am Ende des ren soll, dann muss der Eigentümer der Gewer- Aufgabe gewachsen ist“ sich einmal ganz bewusst entschieden. Um in Prozesses wurden aus den drei unmittelbar beliegenschaften auch von der Entwicklung der Hinter jeder Eigentümerstruktur steht ein Team, diesem Umfeld eine wirklich urbane Entwick- angrenzenden Siedlungen für jeweils eine Wohnquartiere profitieren und umgekehrt. Da- und wie immer hängt es enorm stark von diesen lung einleiten zu können, war es erforderlich, Person die Position einer „Expertin vor Ort“ her wurde sehr früh die Entwicklungsgesell- Teams ab, wie die Prozesse und deren Ergeb- mit den Menschen auf Augenhöhe zu sprechen. bzw. eines „Experten vor Ort“ angeboten, die schaft gegründet, die vorerst nur aus zwei nisse aussehen. Auch hier ein Glücksfall: Nicht analog zu den Experten für Verkehr, Architek- Eigentümern bestand: der Wirtschaftsagentur nur das hohe Engagement und die Kreativität Ich habe den darauf folgenden Prozess eine tur, Landschaftsplanung oder Soziologie ihre Wien mit mehr als 70 Prozent Anteilen (darun- im Team, sondern auch der Umstand, dass man „aufsuchende Stadtplanung“ genannt: wir haben lokale Expertise und Ortskenntnis einbringen ter auch Anteile des Wohnfonds Wien und der sehr lange „unter dem Radar fliegen“ konnte. uns entschieden, die Menschen nicht zu In- sollten. Diese drei Personen haben den ganzen Stadt Wien) und der Bundesimmobiliengesell- Eine Entwicklung, die nicht sofort von Anfang formationsveranstaltungen in ein Haus der Masterplanprozess begleitet, hatten immer schaft. Die Wirtschaftsagentur ist innerhalb der an im Rampenlicht steht und der man eher mit Begegnung oder ins Rathaus einzuladen, Zugang zu den Planungssitzungen, konnten die Stadt u.a. für die Beschaffung von Grund skeptischer Distanz begegnet, hat die Chance sondern zu ihnen hinzugehen und uns selbst zu Protokolle lesen und wurden schließlich auch stücken für wirtschaftliche Entwicklungen sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und lokalen Versammlungen einzuladen. Auf diese eingeladen, aus Sicht der angrenzenden Be- zuständig, aber auch für Wirtschaftsförderung. auch uneingefahrene Wege zu versuchen. In Weise absolvierten wir als kleines Team von 2 völkerung ein eigenes Kapitel in der Ausschrei- Der Wohnfonds ist zuständig für die Beschaf- dieser Konstellation konnte etwas geschaffen bis 3 Personen mehr als 20 Besuche in Klein- bung für die Masterplanung zu schreiben. fung von Grundstücken für sozialen Wohnbau, werden, das in der Anfangsphase nicht sehr viel gartengebieten, Siedlervereinen und Bürgerini- Konsequenterweise waren sie dann auch aber auch für Bauträgerwettbewerbe und vorsichtig korrigierendes Augenmerk auf sich tiativen. Dort haben wir erzählt, dass das stimmberechtigt in der Jury vertreten. Qualitätssicherung.Aus dieser ersten Gesell- gezogen hat und daher eine gewisse Kraft ehemalige „Flugfeld Aspern“ schaft wurde etwas später die „Wien 3420 entwickeln konnte. Ich halte das für einen ganz künftig entwickelt werden wird. Es Aspern Development AG“ Gesellschaft, die in wesentlichen Erfolgsfaktor für Entwicklungen wurde auch klar gesagt, dass der Vorbereitung auf die bauliche Umsetzung der in gut funktionierenden Systemen mit gut Besuch nicht der Frage dient, ob das ersten Etappe mit einer Bank und einer Versi- eingefahrenen Schienen. Es braucht in der gewünscht würde, weil die Zustän- cherungsgesellschaft zusätzliche Partner geholt Anfangsphase die Chance auf diesen Tiefflug, digkeit für diese Frage in einer hat, die ersten erforderlichen Infrastrukturmaß- wenn man etwas Neues machen will. wachsenden Stadt eindeutig bei der nahmen zu finanzieren. Man könnte das politisch verantwortlichen Stadtre- Konstrukt als „PPP-Modell“ bezeichnen: „Stelle den Menschen in den Mittelpunkt gierung liegen muss. Es wurde und gehe von seinen Wünschen und Bedürf- jedoch gefragt, was im Zuge dieser » Deshalb haben wir eine nissen aus“ Entwicklung eintreten müsse bzw. Nach den ersten Arbeitssitzungen im Jahr nicht eintreten dürfe, damit die Lösung angestrebt, die 2003 wurde rasch festgestellt, dass die Menschen in der Umgebung das einen Mehrwert darstellt, Dimension des gesamten Entwicklungsvor Vorhaben akzeptieren können. habens in einem Umfeld, das seit den 1960er Diese Art der Auseinandersetzung der unabhängig ist von Jahren überwiegend als Einfamilienhaus- und auf Augenhöhe und ohne den Nutzung oder Eigentum. « Kleingartengebiet von den wesentlichen Versuch, Dinge im Vorhinein zu infrastrukturellen Versorgungsmaßnahmen schönen, wurde überaus positiv Im Jahr 2007 hat die Stadt Wien auf Basis einer verschont geblieben ist, die dort lebenden aufgenommen. Kostenschätzung 50% der Investitionskosten Menschen vollkommen überfordern und in zugesagt, der Rest musste erwirtschaftet Protesthaltungen drängen würde. Diese Daraus entstand in der Folge ein werden. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an Menschen waren daran gewöhnt, dass sie Prozess der „Ideensuche mit Kooperations- und Qualitätsvereinbarungen teilweise mehr als eine Stunde lang zur Arbeit BürgerInnen“. Nach einer Umfrage zwischen Abteilungen der Stadt Wien und der fahren müssen, dass ihre Kinder ebenso lange unter 6.000 Haushalten wurde in © Phil Kerber Wien 3420 AG, was man mittlerweile auch als Schulwege in Kauf nehmen und dass für jede mehreren Workshops mit den „Städtebauliche Verträge“ bezeichnen würde. Packung Milch mit dem Auto gefahren wird. interessierten Nachbarn daran Die Seestadt in Bau: Kräne und Infopoint IBA_LAB N°4 | Kurt Hofstetter ▸ 20 IBA_LAB N°4 | Kurt Hofstetter ▸ 21
„Suche nach Partnern, die mit dir eine Stadt „Entwickle eine Vision, deren Strahlkraft bauen wollen und hohe Ansprüche lieben“ und Attraktivität jedes Hindernis über- Auch dieser Satz hat mit dem „Plus“ zu tun. Es windbar machen“ gibt erste Beispiele für Betriebsansiedelungen, Kunstprojekte haben von Beginn an wesent- etwa die Firma Hörbiger, die sich als erster lich dazu beigetragen, den Ort zu attraktivie- großer Gewerbebetrieb mit 500 Arbeitsplätzen ren und Menschen dafür zu interessieren, die angesiedelt hat, oder „Wien Work“ mit 770 Energie mitgebracht und so wiederum Strahl- © FilmSpektakel Arbeitsplätzen, davon rund 70 Prozent Men- kraft entwickelt haben. Ich nenne als Beispiel schen, die aufgrund von Beeinträchtigungen im „Kranensee“, das zum Höhepunkt der Bauzeit ersten Arbeitsmarkt keine Chance haben, im veranstaltete Ballett mit 44 Kränen, das im Blick auf aspern mit Badesee geschützten Rahmen jedoch sehr wohl normale klirrend kalten Februar und mitten auf der Ein Effekt dieser Vorgangsweise war, dass es Baustelle abgeschlossen? Wo befinden sich die Produktions- und Dienstleistungen erbringen. Baustelle zu Choreografie, eindrucksvoller in der Planungs- und Bauphase für die erste nächsten Geschäfte/Kindergärten/Schulen/ Lichtshow und zu eigens komponierter Musik Etappe der Seestadt Aspern keine schwerwie- Arztpraxen? Wann kann ich vor Ort einkaufen? „Prüfe den Wind, schaue in alle Richtungen 14.000 Menschen angelockt und mit einem genden Einwände gegeben hat. Zur Lösung ein- etc. Es funktioniert üblicherweise nicht, in und lege das Fundament“ Lächeln wieder nach Hause entlassen hat. zelner Beschwerden wurden kurzfristig ge- einem Neubaugebiet die Erdgeschosszone zu Aus den Gesprächen mit anderen Entwicklun- eignete Formate eingerichtet, ein „Seestadtfo- füllen – hier hat es funktioniert, weil Einkaufs- gen in Europa entstand die Erkenntnis, dass ein Abschließend möchte ich feststellen, dass rum“, ein „CityLab“. Im Rahmen der Besiede- zentrumbetreiber eingeladen wurden, anstelle früher Einsatz von Marketinginstrumenten Koproduktion nicht nur Konzept sein darf, lung kamen auch zunehmend neue Bewohne- eines Einkaufszentrums, das definitiv nicht nicht nur für die Vermarktung selbst sondern sondern immer einer Haltung entspringen rinnen und Bewohner hinzu, für die über eine angeboten wurde, einen Teil der Erdgeschoß- für die Stärkung des eigenen Rückgrats von muss, um zu positiven Ergebnissen zu führen. selbst gegründete Facebook-Gruppe immer zone in verschiedenen Gebäuden entlang eines großer Bedeutung ist. Dies wird dann verständ- dann, wenn sich Diskussionen oder Missver- definierten Straßenabschnitts und gemäß eines lich, wenn der Wind etwas schärfer wird und ständnisse zu verhärten drohten, sehr rasch ein vorgegebenen Branchenmixes zu übernehmen. man daher nach einem öffentlich gegebenen Angebot zur Problemlösung gemacht werden Qualitätsversprechen nicht einfach die Rich- konnte. Diese Interaktion über soziale Medien Der aspern Beirat ist ein wesentlicher Koprodu- tung ändern kann, auch wenn sich der Markt macht es auch möglich, Menschen zu erreichen, zent, den die Entwicklungsgesellschaft sich nicht ganz so entwickelt, wie man sich das die auf eine Einladung zum Seestadtforum z.B. selbst als Korrektiv und als beratendes Gremi- vorgestellt hätte. Die Wirkung des Marketings nicht reagieren würden oder eine große Be- um Ende 2010 gegeben hat. Er wird alle zwei kann zu einer Art künstlich erzeugtem Leidens- reitschaft aufweisen, Gerüchte für real zu Jahre jeweils zur Hälfte personell erneuert und druck führen, der zur Suche nach neuen halten und damit die Stimmung im Quartier setzt sich intensiv damit auseinander, worin bei Lösungen anspornt und sich als Innovations- zu beeinflussen. Projekten in der Seestadt das „Plus“, die kraft manifestiert. Für die Entwicklung der innovative Kraft liegt. Der Beirat ist keine Seestadt war es wichtig, den Ort von Beginn an Das „Stadtteilmanagement“ bildet den Über- Hürde, die es zu überwinden gilt, sondern aufzuladen. So wurden die künftigen Baufelder gang zur dritten Akteursgruppe, der Stadtver- vielmehr eine Art Sparring-Partner, der Projekt- sofort nach Beschluss des Masterplans mit waltung. Es wurde bereits vor der Besiedelung entwickler dabei unterstützt, innovative diversen Getreidesorten, Mais oder Sonnenblu- eingerichtet und konnte sich so zuerst mit der Potenziale zu heben und den entscheidenden men bepflanzt. Die künftigen Straßen wurden Nachbarschaft auseinandersetzen, dann mit Schritt zu tun. Das „Plus“ im Logo der Seestadt freigehalten, und so konnten die Menschen den Akteuren der Baustelle und schließlich die steht dafür, dass jedes Projekt, jeder Investor vorerst ein paar Jahre lang spielerisch ein Besiedelung vorbereiten. Dabei wurden die danach gefragt wird: „Was kannst du dir vor- Gefühl bekommen für die Distanzen, für die Besiedelungstermine mit Bauträgern abge- stellen, das du besonders machst? Was willst Größe, für das was später einmal bebaut stimmt, sodass bei der feierlichen Schlüssel- du hier zeigen?“ Die beratende Funktion wird werden würde. Der Infopoint wurde in die übergabe auch das Stadtteilmanagement sich sehr gut angenommen, weil verstanden wurde, Mitte gelegt, um dieses ehemalige gesperrte vorstellen konnte und die Menschen mit Erst- dass dies eine Möglichkeit ist, sein Projekt Flughafengelände wieder begehbar zu machen informationen ausstatten konnte: Wann ist die noch zu verbessern. und zur Rückeroberung des Raums einzuladen. IBA_LAB N°4 | Kurt Hofstetter ▸ 22 IBA_LAB N°4 | Kurt Hofstetter ▸ 23
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