Transformation als Chance - Pharma 2030
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Inhalt 2 Wertschöpfung im Wandel 6 Innovationen sind der Wohlstand von morgen 11 Erfolgsfaktor Digitalisierung 16 Eine neue Gründerzeit 19 Attraktive Arbeitswelten 23 I nvestition in die Zukunft 28 Sustainable Pharmacy 33 Standort Europa 38 Aus Krisen lernen 41 Impressum
Pharma 2030 Europa steht vor einer historisch beispiellosen Transformation. Klimawandel, Digitalisierung und demografischer Wandel entziehen dem tradierten Wirtschaftsmodell des Kontinents seine Grundlagen – mit weitreichenden Folgen für die historisch gewachsenen Wert- schöpfungsstrukturen. Um als zukunftsfähiger und nachhaltiger Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig zu bleiben, haben sich Deutschland und Europa ambitionierte Ziele für den Umbau ihrer industriellen Basis gesetzt. Dieses wohl ambitionierteste industrie- politische Vorhaben seit 100 Jahren ist eine große Chance – für die pharmazeutische Industrie und den Standort Deutschland.
Wertschöpfung im Wandel Die Pharmaindustrie zählt zu den Zukunftsbranchen der globalen Ökono- mie. Sie trägt durch ihre Innovationskraft nicht nur zu Wachstum und damit zu gesellschaftlichem Wohlstand bei, sondern steht auch in Verantwortung für die Qualität der Gesundheitsversorgung. Die Unternehmen der pharma- zeutischen Industrie können diesen Aufgaben auch in Zukunft nur dann gerecht werden, wenn die Politik das große Potenzial der Industrie für den technologischen und gesellschaftlichen Wandel erkennt und für Rahmen bedingungen einer neuen, nachhaltigen Wertschöpfung sorgt. Die Ampel-Koalition ist mit dem Versprechen Gleichzeitig muss der Kontinent die Konsequen- eines Aufbruchs für Deutschland und Europa ange zen einer wachsenden demografischen Unwucht treten. Im kommenden Jahrzehnt soll die deutsche bewältigen. Das Niveau des wirtschaftlichen Wirtschaft auf die Grundlage einer nachhaltigen, Wachstums und damit der soziale Wohlstand digitalen und wissensintensiven Wertschöpfung lässt sich künftig nur halten, wenn der steigende gestellt werden. Den Unternehmen kommt dabei Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung durch nicht nur die Rolle als Anwender nachhaltiger und Zuwanderung und eine höhere Produktivität der moderner Technologien zu – sie sollen zu global Erwerbstätigen ausgeglichen wird.2 führenden Innovationstreibern werden und Markt- anteile in den jeweiligen Zukunftstechnologien erobern.1 1 Vgl. Industriepolitische Strategie der Europäischen Kommission, ↗ online verfügbar. Mehr Fortschritt wagen, Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP, ↗ online verfügbar. 2 Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2021), Pandemie verzögert Aufschwung – Demografie bremst Wachstum, ↗ online verfügbar.
3 Gerade das Gesundheitswesen steht angesichts Die Demografie führt in den kommenden Jahren dieser demografischen Entwicklung vor einer gro- zu einer deutlich sinkenden Zahl Erwerbstätiger ßen Aufgabe. Es gilt, die Versorgungsleistungen für und einem weiteren Anstieg des durchschnitt eine alternde Bevölkerung erheblich auszubauen lichen Alters der Belegschaften. Der Umbau der und Verteilungskonflikte mithilfe einer weitsich deutschen Wirtschaft muss daher darauf abzielen, tigen Politik zu entschärfen. Den komplexen Her- die Produktivität deutlich zu erhöhen 4, also ausforderungen lässt sich grundsätzlich mit einer vorhandene Belegschaften im Rahmen von Weiter- wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik begeg- bildung zu qualifizieren, innovative Produktions- nen. Denn nur so öffnen sich größere Verteilungs- verfahren einzusetzen sowie junge Arbeitneh spielräume, die auch helfen, die Leistungen der mer:innen zu gewinnen und auszubilden. Die Sozialversicherungssysteme abzusichern. Koalition aus SPD, Grünen und FDP setzt dabei auf qualifizierte Zuwanderung und die breite Unterstützung von Wissenschaft und Forschung, Industriepolitische insbesondere bei Schlüsseltechnologien wie der Ausgangsbedingungen Biotechnologie. Weniger Augenmerk wird indes auf die Bedeutung des medizinisch-technischen Die Transformation ist gerade für Deutschland Fortschritts gelegt, der den Menschen ein poten mit tiefgreifenden strukturellen Umbrüchen ver- ziell längeres und produktiveres Erwerbsleben bunden. Die deutsche Wirtschaft ist von Energie- ermöglichen kann und damit auch einen eigenen und Rohstoffvorkommen abhängig, über die das Finanzierungsbeitrag leistet5. Unabhängig davon Land selbst nicht verfügt. Die Dekarbonisierung wird die Demografie einen strukturellen Wandel in sowie veränderte geopolitische Rahmenbeding Deutschland anschieben, der vor allem den Wirt- ungen führen dazu, dass bislang profitable, auf schaftszweigen mit hoher Produktivität Chancen fossilen Energien beruhende Geschäftsmodelle eröffnet und die Potenziale für große Produktivi- nicht länger zukunftsfähig sind, dadurch nicht täts- und Innovationssprünge ausschöpft. unerhebliche Teile des Kapitalstocks vorzeitig abgeschrieben und durch umfangreiche Investiti- Die Digitalisierung spielt dabei eine Schlüssel onen ersetzt werden müssen 3. Gleichzeitig werden rolle 6. In den vergangenen Jahren haben immer über die steigenden Preise für die Emission klima- größere Rechnerkapazitäten, Methoden der künst- schädlicher Gase vor allem energieintensive Tech- lichen Intelligenz und die Nutzung von großen nologien sukzessive aus dem Markt gedrängt, Datenmengen sowohl zu Produktivitäts- als was Wachstumspotenziale für emissionsarm und auch Innovationssprüngen geführt. Die in vielen klimaschonend produzierende Wirtschaftszweige Bereichen des Lebens generierten Daten sind eine eröffnet. Gefragt sind alternative Technologien Ressource, die andere Volkswirtschaften bereits und Wirtschaftszweige, mit denen der Kern der intensiver und besser zu nutzen wissen. Dass deutschen Industrie erhalten und zukunftsfähig datenbasierte und digitale Geschäftsmodelle umgebaut werden kann. Industriepolitisch ver- derzeit vorzugsweise außerhalb Deutschlands folgt die Bundesregierung das Ziel, notwendige entwickelt werden, wirkt sich auf das Gründungs- Investitionsgüter in Deutschland zu produzieren geschehen hierzulande nachteilig aus. Während und das Land als einen international führenden politische Entscheidungsträger:innen die Poten Standort für die Herstellung „grüner“ Maschinen- ziale der Digitalisierung, insbesondere in Bezug und Anlagentechnik zu etablieren. auf die Nutzung von Gesundheitsdaten, mittler- 3 Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2022), Von der Pandemie zur Energiekrise – Wirtschaft und Politik im Dauerstress, ↗ online verfügbar. 4 Vgl.Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2019), Produktivität: Wachstumsbedingungen verbessern, Nationaler Produktivitätsbericht 2019, ↗ online verfügbar. 5 Karmann, A., Rösel, F., & Schneider, M. (2016). Produktivitätsmotor Gesundheitswirtschaft: Finanziert sich der medizinisch-technische Fortschritt selbst?, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 17(1), S. 54–67. 6 Vgl.Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2020), Produktivitätswachstum durch Innovation: Digitalisierung vorantreiben, Nationaler Produktivitätsbericht 2020, ↗ online verfügbar.
weile erkannt haben, werden ihre Chancen bei schnell genug agiert und das Feld dann anderen weitem noch nicht ausgeschöpft 7. Doch Wirt- Ländern überlässt. Auch dafür bedarf es einer schaftsräume, die sich dieser Nutzung verschlie- gezielten wirtschaftspolitischen Antwort. Ein ßen, werden im globalen Standortwettbewerb „Important Project of Common European Interest“ an Boden verlieren. (IPCEI) wäre ein Instrument, das die internatio nale Wettbewerbsfähigkeit Europas im Bereich Zu den Lehren aus der Pandemie und dem Krieg wichtiger Technologien sichern helfen könnte. in der Ukraine gehört die Einsicht, dass Wirtschaft und Gesellschaft in Krisen nur mit größerer Resi lienz bestehen können. Das heißt zum einen, die Die pharmazeutische Industrie kritische Infrastruktur auf Krisen vorzubereiten, als Partner im Wandel zum anderen bedeutet es auch, Schlüsseltechno- logien am Standort zu halten, um – wie im Fall der Diese industriepolitischen Ziele und die spezifi- schnellen Entwicklung von Corona-Impfstoffen – schen Qualitäten der pharmazeutischen Industrie rasch auf veränderte Situationen reagieren zu ergänzen sich auf gleich mehreren Ebenen. Die können. Nicht zuletzt muss auch die internatio Branche bietet sich schon aufgrund ihrer Innova nale Arbeitsteilung dahingehend geprüft werden, tionskraft als wichtiger Partner in der Transforma- ob die vorhandenen Produktions- und Liefer tion an und leistet als Schlüsselindustrie einen strukturen auch im Falle einer globalen Krise großen Beitrag für den Wohlstand hierzulande. zuverlässig funktionieren. Gleichzeitig sorgen die entwickelten Therapien dafür, dass Menschen gesünder und älter werden All diese Herausforderungen erfordern eine und damit länger und produktiver am Erwerbsle- gezielte industriepolitische Flankierung. Viele der ben teilnehmen können. genannten Aufgaben können Märkte allein nicht lösen. So sind beispielsweise Unternehmen nicht Die Forschungserfolge sorgen bereits heute für ohne Weiteres in der Lage, eine allgemeine und ein kräftiges gesamtwirtschaftliches Wachstum: gesellschaftlich akzeptierte Infrastruktur für die Die Herstellung der auf der neuen mRNA-Techno- zentrale Speicherung und Nutzung personen logie basierenden Impfstoffe sorgte im Jahr 2021 bezogener Daten bereitzustellen. Wenn es um für mindestens 0,5 Prozent zusätzlicher Wirt- den Aufbau strategischer Produktionskapazitäten schaftsleistung. Die Anwendung dieser Technolo- und die Entwicklung innovativer Produkte geht, gie in anderen Bereichen oder der breite Ausbau spielen für Unternehmen die gesellschaftlichen biotechnologischer Verfahren versprechen in den Vorteile einer schnellen Reaktionsfähigkeit im kommenden Jahren ähnliche Innovationssprünge Krisenfall eine eher untergeordnete Rolle. Auch von vergleichbarer gesamtwirtschaftlicher Bedeu- geopolitische Verwerfungen können auf Unter tung. Damit ist die pharmazeutische Industrie nehmensebene nicht in ausreichendem Umfang nicht nur innovativer Motor der Gesundheitswirt- eingepreist werden. schaft, sondern auch für andere Wirtschaftsberei- che wie dem Maschinen- und Anlagenbau ein Doch für eine prosperierende Zukunft des Stand- relevanter Akteur. Mit dem Wachstum der Branche orts bedarf es auch einer gezielten Förderung von entstehen weit überdurchschnittlich bezahlte Forschung und Entwicklung, von Innovationen Jobs – selbst in Krisenzeiten, wie die vergangenen und Gründungen, um den Anschluss an andere zwei Jahren gezeigt haben. Volkswirtschaftlich Regionen nicht zu verlieren. Technologieoffenheit spiegelt sich diese Entwicklung in steigenden und Wettbewerb sind Prinzipien, die in anderen Durchschnittseinkommen sowie einer Entspan- Wirtschaftsräumen nicht vollumfänglich geteilt nung demografisch bedingter Verteilungskonflikte werden. Dabei kann eine Volkswirtschaft schon wider. Mittlerweile sind mehr als 160.000 Men- dadurch ins Hintertreffen geraten, dass sie bei schen direkt in der Entwicklung und Herstellung der Verbreitung technologischer Standards nicht von Pharmazeutika beschäftigt. 7 Vgl. Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) (2022), Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands, ↗ online verfügbar.
5 Die pharmazeutische Industrie emittiert weitaus Die Digitalisierung bietet in kaum einem anderen weniger klimaschädliche Gase als das verarbeiten- Bereich größere Wachstumschancen als im Gesund- de Gewerbe insgesamt. Ihr Ausstoß beläuft sich heitssektor: In keiner anderen Branche werden auf etwa 28 Prozent der durchschnittlichen Indus- mehr Daten und Informationen erzeugt. Wie der trieemissionen in Deutschland. Zur Veranschauli- internationale Vergleich zeigt, eröffnet sich mit chung: Während die pharmazeutische Industrie der Nutzung dieser Daten ein großes wirtschaftli- 73 Gramm C0₂ je Euro Wertschöpfung emittiert, ches Potenzial mit enormen Innovationschancen. stößt das verarbeitende Gewerbe im Durchschnitt Nicht zuletzt helfen digitale Anwendungen bei 255 Gramm pro Euro Wertschöpfung aus. der Entwicklung neuer Wirkstoffe und Verfahren, die nicht länger im Labor, sondern mithilfe künst- Die pharmazeutische Industrie ist bereits jetzt licher Intelligenz überwiegend am Rechner designt die mit Abstand wissensintensivste Branche: Sie werden können. wendet knapp ein Fünftel ihres Umsatzes direkt für Forschung und Entwicklung auf. Dies ent- Und schließlich zeigt das Beispiel der Impfstoff- spricht etwa einem Zehntel aller privaten For- entwicklung, dass sich auch die mit öffentlichen schungsausgaben. Grundlage dafür ist ein um Mitteln angestoßene Forschung und Entwicklung fassender Schutz geistigen Eigentums. Dessen langfristig auszahlen: Vom Erfolg eines Unter Bedeutung zeigt sich in der Zahl angemeldeter nehmens wie BioNTech profitieren am Ende auch Patente. Europaweit werden die meisten Patente die öffentlichen Haushalte. Allein die Stadt Mainz, im Bereich der Pharmazie und Biotechnologie Standort von BioNTech, erzielte im Jahr 2021 angemeldet. anstelle eines Millionendefizits einen Haushalts- überschuss von mehr als einer Milliarde Euro. Die pharmazeutische Industrie generiert Wissen – Das gibt der Stadt nicht nur die Mittel für umfang- und Wissen braucht fähigen Nachwuchs. Die reiche Investitionen in die öffentliche Infrastruk- Branche bietet exzellent ausgebildeten Arbeit tur; damit werden auch die Spielräume für eine nehmer:innen hervorragende Beschäftigungs Stärkungen des Wirtschaftsstandorts größer, perspektiven. Qualifikationsniveau und Produk beispielsweise durch eine Absenkung der Gewerbe- tivität sind weit überdurchschnittlich, ebenso steuer und eine dadurch höhere Investitions die branchenüblichen Löhne und Gehälter. Mit neigung von Unternehmen. einem Frauen-Anteil von 49 Prozent liegt die pharmazeutische Industrie vor allen anderen Wirtschaftsbereichen.
Innovationen sind der Wohlstand von morgen Innovationen sind von jeher die Wachstumstreiber entwickelter Volkswirt- schaften. Sie tragen als wissensbasierte Grundlage maßgeblich zur Wert- schöpfung bei und damit auch zur Lösung demografischer Probleme. Der pharmazeutischen Industrie als forschungsintensivster Branche Deutsch- lands fällt mit Blick auf die zu steigernde Produktivität eine bedeutende Rolle zu. Sie sorgt auch dafür, dass die Beschäftigten länger und gesünder am Arbeitsleben teilnehmen können. Schon seit längerem verfolgt Deutschland das der Quantität auch die Qualität der Innovations Ziel, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung aktivitäten in den Fokus. Die Expert:innenkom (FuE) auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts mission Forschung und Innovation (EFI) betont zu steigern. Dahinter steht die Erkenntnis, dass in ihrem jüngsten Gutachten die Bedeutung von nur eine innovative Wirtschaft im internationalen Schlüsseltechnologien und technologischer Wettbewerb bestehen kann und sich die demo Souveränität 8 als neuem Element der Forschungs- grafische Entwicklung allein durch eine höhere und Innovationspolitik. Der Stifterverband ver- Wissensintensität kompensieren lässt. Mittler weist jedoch darauf, dass der Anteil der FuE-Aus- weile werden deutschlandweit mehr als drei Pro- gaben in den Bereichen der Spitzentechnologie zent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr für FuE insgesamt unter dem internationalen Durchschnitt aufgewendet. Der Anteil der pharmazeutischen liegt. Zur Spitzentechnologie (>9 Prozent der Industrie, bezogen auf ihre Produktionsleistung, FuE-Aufwendungen am Umsatz) zählen allein die ist dabei überproportional groß. Rund zehn Pro- pharmazeutische Industrie und die Herstellung zent aller industriellen FuE-Aufwendungen gehen elektronischer Datenverarbeitungsgeräte.9 auf die Pharmabranche zurück. Dabei rückt neben 8 Vgl.Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) (2022), Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands, ↗ online verfügbar. 9 Vgl. Stifterverband (2021), Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft, ↗ online verfügbar.
7 Interne FuE-Aufwendungen je Beschäftigtem in 1.000 Euro (2020) Pharma 38,62 KFZ EDV Luft- und Raumfahrt Mineralölverarbeitung Sonstiger Fahrzeugbau Industrie insgesamt 17,45 Chemie Elektronische Ausrüstungen Maschinenbau Gummi Glas Metallerzeugnisse Papierindustrie Metallerzeugung Nahrungsmittel Textil 0 5 10 15 20 25 30 35 40 50 Quelle: Stifterverband Wissenschaftsstatistik Patentschriften im Bereich der CAR-T-Zelltherapie Anzahl 1.000 847 800 600 400 200 0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Quelle: Europäisches Patentamt
Dabei stiegen die FuE-Aufwendungen der pharma- Individualisierte Medizin zeutischen Industrie in den letzten Jahren deut- lich. „Man spürt ein langsames Erwachen“, schrieb Einer der wichtigsten Trends der modernen Medi- der deutsche Medizin-Nobelpreisträger Harald zin und der sie begleitenden Pharmaforschung ist zu Hausen vor 10 Jahren auf die Frage nach einer die „personalisierte“ oder auch „individualisierte neuen Vision angesichts der medizinischen Her- Medizin“.16 Sie zielt darauf ab, „durch gezielte ausforderungen.10 Das war kurz nach der globalen Prävention, systematische Diagnostik und den Erschütterung durch die Finanzkrise 2008/09. Einsatz maßgeschneiderter, auf die Bedürfnisse Die forschende Pharmaindustrie vollzog seinerzeit einzelner Patient:innen oder Patient:innen einen tiefgreifenden Wandel. Denn die wachsende gruppen ausgerichteter Therapieverfahren die Zahl auslaufender Patente erforderte größere Wirksamkeit und Qualität der Behandlung zu Anstrengungen bei Forschung und Entwicklung.11 verbessern, dabei die Nebenwirkungen zu redu- Die Industrie erlag indes nicht dem Sparzwang zieren und langfristig die Kosteneffektivität zu jener Jahre, sondern setzte auf Innovationen.12 steigern.“ 17 Während in Branchen wie der Metallindustrie, Wegbereiter dieser innovativen Form von Medizin der Kunststoffverarbeitung oder auch im Maschi- ist die erstmals 2001 gelungene Genomanalyse nenbau der Fortschritt eher durch „inkrementelle durch DNA-Sequenzierung, also die Entschlüsse- Innovationen“ bestimmt war,13 begann die for- lung des menschlichen Erbguts. Eng damit verbun- schende Pharma-Industrie ab Mitte der 2010er den ist der immer stärkere Einsatz von Molekular- Jahre mit der Entwicklung grundlegend neuer diagnostik und Bioinformatik mit dem Ziel, auf Technologien. Beispielhaft stehen dafür die Grundlage der Erkennung spezifischer Gensequen- Patentanmeldungen im Bereich hochinnovativer zen und Mutationen, Krankheitsursachen so kon- CAR-T-Zelltherapien. So verzeichnete das Euro kret wie möglich zu identifizieren und damit auf päische Patentamt ab 2013/2014 einen fast den Patient:innen zugeschnittene Therapien ein- sprunghaften Zuwachs an Patentanmeldungen setzen zu können. in diesem Bereich 14. Wissenschaft und Industrie wollen in diesem hoch- Die Grundlage dafür lieferten wissenschaftliche innovativen Forschungsfeld die Therapieoptionen Arbeiten, die bis in die Zeit um 1989 zurückrei- auf immer mehr Patient:innengruppen und Indi chen.15 Dass diese Grundlagenforschung auch kationsgebiete erweitern. Denn nach wie vor gibt heute in hochinnovativen Therapien mündet, es beispielsweise im Bereich der Onkologie einen ist das Ergebnis mehrerer Faktoren, die auch in hohen, bislang nur schwer behandelbaren medi anderen Technologiebereichen der pharmazeu zinischen Bedarf. Ebenso groß sind die Heraus tischen Industrie zum Tragen kommen. forderungen bei Volkskrankheiten wie Diabetes II und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Für Letztere werden derzeit ambitionierte RNA-Technologien entwickelt. 10 Harald zu Hausen: Medizin mit Vision, Deutsche Welle vom 22.01.2012: ↗ online verfügbar. 11 Vgl. „Der Pharmasektor im Stresstest“, NZZ vom 18.07.2012; „Pharma-Forschung im Rückwärtsgang“, FAZ vom 11.01.2013; „Eine Industrie orientiert sich neu“, Deutsches Ärzt:innenblatt vom 26.04.2013. 12 ZEW-Branchenreport Pharmaindustrie, Nr. 10/Januar 2021. 13 Vgl. Innovationen den Weg ebnen. Eine Studie von IW Consult u. SANTIAGO für den VCI, Frankfurt/Main 2015, S. 20; Rammer, Christian et.al.: INNOVATIONEN IN DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT. Indikatorenbericht zur Innovationserhebung 2021, Mannheim 2021, S. 5: mip_2021.pdf (zew.de). 14 Clarke, Nigel/Jürgens, Björn: Landscape study on patent filing – Chimeric Antigen Receptor T-cell Immunotherapy, hrsg. vom Europäischen Patentamt, München 2019, S. 6. 15 Vgl. Beiträge zum Workshop der Paul-Martini-Stiftung (PMS): „Immuntherapie von Tumoren: Erfolg für die Wissenschaft, Erfolg für den Patient:innen – und der wichtige Weg dazwischen“, Berlin, 18. März 2015: ↗ online verfügbar. 16 Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (Hrsg): Individualisierte Medizin – Voraussetzungen und Konsequenzen, Halle (Saale) 2014 17 Ebd., S. 16.
9 Renaissance der Impfstoffe Mit diesen technologischen Innovationen verbinden sich nicht nur die Hoffnungen von Patient:innen Gefragt nach den Zukunftstrends der medizini- mit bislang nur schwer oder gar nicht behandel schen Biotechnologie, prognostizierte der 10. vfa- baren Krankheiten auf mögliche Heilung oder Biotechreport 2015 eine „Renaissance der Impf zumindest spürbare therapeutische Hilfe, sondern stoffe“.18 Im Jahr 2016 waren 25 Prozent aller bis auch eine Vielzahl von darauf aufbauenden medi- dahin zugelassener Biopharmazeutika Impfstof- zinischen Weiterentwicklungen und neuen Ansät- fe.19 Die Corona-Krise hat diese Prognose vollum- zen der Gesundheitsforschung, beispielsweise fänglich bestätigt und mit Blick auf die Entwick- im Bereich Demenz/Alzheimer, vieler Seltener lung mRNA-basierter Impfstoffe für gleich mehre- Erkrankungen oder der Behandlung von Kinder re Innovationssprünge in der modernen Medizin erkrankungen.22 und in der pharmazeutischen Industrie gesorgt. Ebenso zielt die forschende Pharmaindustrie auf Grund dafür war eine für die pharmazeutische die Verbesserung von Therapieoptionen in jenen Industrie typische Kombination aus Gründergeist, Bereichen, die aufgrund kleiner Patient:innen wissenschaftlicher Expertise, langjähriger Vorar- gruppen nicht marktfähig sind und von Forschung beit und der Verfügbarkeit des notwendigen tech- und Innovation deshalb nur unzureichend berück- nischen Know-hows, nicht nur für die Impfstoff- sichtig werden. Zudem gibt es mit den zu bekämp- entwicklung, sondern auch für die in historisch fenden Antibiotika-Resistenzen eine weitere einmalig kurzer Zeit zu skalierende Produktion. Herausforderung, der die Industrie mit der „AMR Künftig wird es darauf ankommen, diese Erkennt- Industry Alliance“ begegnet.23 nisse und Erfahrungen aus der Impfstoffentwick- lung auch in anderen medizinische Bereichen Schließlich muss sich der Blick auf hochinnovative zu nutzen. Entwicklungen in den Wirtschaftsbranchen ent- lang der gesamten pharmazeutischen Wertschöp- fungskette richten, wie z. B. im Pharmamaschinen- Neue Technologien bau, der allein in Deutschland ein Produktions volumen von etwa 2,5 Milliarden Euro aufweist. Mit dem Thema „Produktion“ verbunden sind Auch hier ergeben sich große Chancen in der komplexe Prozesstechnologien, neue Wirkstoff- Entwicklung sowohl von skalierbaren Produktions- Träger-Systeme wie die Nanotechnologie oder techniken für personalisierte Arzneimittelthera neue Therapieansätze wie die sogenannten pien und ATMP,24 wie auch von nachhaltigen, „Advanced Therapy Medicinal Products“ (ATMP), rohstoff- und energieeffizienteren Produktions- das Technologiefeld der Gen- und Zelltherapien, techniken. die 2020 mit dem Nobelpreis prämierte Genom- editing-Technik CRISPR/Cas9 („Genschere“) 20 oder auch der bislang noch wenig diskutierte, aber überaus vielversprechende Ansatz onko lytischer Viren.21 18 Lücke, Jürgen/Bädeker, Mathias/Hildinger, Markus: Medizinische Biotechnologie in Deutschland. 2005 – 2015 – 2025, München 2015, S. 28ff. – ↗ online verfügbar. 19 Lücke, Jürgen/Bädeker, Mathias/Hildinger, Markus: Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2016. Nutzen für von Impfstoffen für Menschen und Gesellschaft, München 2016, S. 12. – ↗ online verfügbar. 20 Vgl. ↗ https://www.nobelprize.org/prizes/chemistry/2020/summary/; EFI-Jahresgutachen 2021, Schwerpunktkapitel B.3: ↗ online verfügbar. 21 vgl. ↗ Erstmals onkolytische Viren zum gezielten Angriff auf Krebsstammzellen erzeugt (dkfz.de); ↗ Forscher lizenzieren ein neuartiges Virotherapeutikum Gemeinsam mit Biotech-Unternehmen Themis Bioscience wird ein wirkungsverstärktes onkolytisches Virus klinisch entwickelt | Universitätsklinikum Tübingen (uni-tuebingen.de). 22 Vgl.Steffen Albrecht/Harald König/Arnold Sauter: Genome Editing am Menschen, hrsg. vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Berlin 2021. – ↗ online verfügbar. 23 vgl. ↗ Home – AMR Industry Alliance. 24 VDMA (Hrsg.): Brancheportrait Pharmamaschinen, Frankfurt/Main 31.01.2022: ↗ online verfügbar.
Wie Innovationen gedeihen So wichtig wie der Austausch von Wissen, so zentral ist auch der Schutz geistigen Eigentums, Die Chancen, als Gesellschaft von grundlegenden wenn die Forschung in innovativen Therapien Innovationen im Bereich der Pharmazie zu profi- mündet. Nur ein umfassender Patentschutz stellt tieren, sind beträchtlich. Allerdings müssen dafür sicher, dass wissenschaftliche Erkenntnisse geteilt die Grundlagen und Rahmenbedingungen stim- werden und Anreize für Innovationstätigkeit men. bestehen. Für eine erfolgreiche pharmazeutische Industrie Auch die steuerliche Forschungsförderung sollte ist eine exzellente universitäre und außeruniver weiterentwickelt werden, sodass die bis Juli 2026 sitäre Grundlagenforschung von herausragender befristete Erhöhung der maximalen Förderhöhe Bedeutung. Spitzenforschung in Exzellenzclustern auf 1 Million Euro pro Jahr und pro Unternehmen kann in zentralen Bereichen wie Gen- und Zell über diesen Zeitraum hinaus beibehalten, oder, therapien weltweit führend werden – voraus besser noch, weiter ausgebaut wird. Zu bedenken gesetzt, die Grundlagenforschung ist auskömmlich wäre darüber hinaus eine Erhöhung des Förder- und verlässlich finanziert. satzes, die Erweiterung der Bemessungsgrund lage sowie eine Anpassung der Eingrenzung über Eine zukunftsfähige Wissenschaftspolitik muss „Verbundene Unternehmen“. Sämtliche Abläufe für den Transfer der Erkenntnisse der Spitzenfor- und Verfahren müssen außerdem endlich ent schung in die kommerzielle Anwendung sorgen, bürokratisiert und die Beantragung vereinfacht die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen werden 25. öffentlich und privat finanzierter Forschung fördern und die bestehenden Hürden beim per Innovationen im Gesundheitssystem brauchen sonellen Austausch zwischen beiden Sphären eine angemessene Honorierung. Standorte sind abbauen. für Forschende attraktiv, wenn dort Innovationen nach ihrer Zulassung schnell in der Praxis zur Ferner ist der sichere, aber unkomplizierte Verfügung stehen und die Vergütung den Fort- Zugang zu wissenschaftlichen Ressourcen wichtig. schritt gegenüber bestehenden Therapien hono- So bleiben beispielsweise die Potenziale der riert. Die wenigsten Therapien sind dabei grund Digitalisierung bislang weitgehend ungenutzt. legende Durchbrüche: Vielmehr setzen sich die Berechtigte Interessen des Datenschutzes oder meisten Erfolge in der Behandlung beispiels ethische Grundsätze sind hohe Güter – wissen- weise von Krebs aus vielen kleinen Innovationen schaftliche Vorhaben scheitern hierzulande aber zusammen. nicht selten an höchst unterschiedlichen Aus legungen der Standards. Damit riskiert Deutsch- land, wissenschaftlich ins Hintertreffen zu geraten. 25 Vgl. BDI, Strategie für die industrielle Gesundheitswirtschaft, März 2021, S. 73, ↗ online verfügbar.
11 Erfolgsfaktor Digitalisierung Auch wenn nirgendwo sonst so viele Daten erhoben werden wie im Gesundheitswesen, liegen die damit verbundenen Erkenntnis potenziale weitgehend brach. Gemessen an den schon vorhandenen technischen Möglichkeiten, fehlt es an einer integrierten digitalen Gesundheitspolitik mit einheitlichen Prozessen sowie leistungs fähigen Infrastrukturen. Um die Chancen der Digitalisierung für Forschung und Entwicklung zu nutzen, brauchen wir klare Regeln, entsprechend gerüstete öffentliche Institutionen sowie Beteili- gungsmöglichkeiten für die private Forschung. Die Erhebung, Aufbereitung und Verwertung von Zentrale Orte der Gewinnung und Verarbeitung Gesundheits- bzw. Krankheitsdaten ist wesent von Gesundheitsdaten haben in den letzten Jahr- licher Bestandteil moderner Medizin und ins zehnten, vor allem durch die Gründung von über- besondere Arbeitsgrundlage der forschenden regional agierenden Gesundheitszentren, wie Pharma-Unternehmen.26 Dabei war die Entstehung die US-amerikanischen „National Institutes of neuer, großer Krankenhäuser, sogenannter „Klini- Health“ oder die „Deutschen Zentren für Gesund- ken“, um das Jahr 1800 herum die entscheidende heitsforschung“, weiter an Bedeutung gewonnen. Voraussetzung für die bahnbrechenden Erkennt- Über die Systematisierung und langfristige Siche- nisse herausragender Gesundheitswissenschaftler rung von Daten, die zunächst nur zum Zweck und wie Louis Pasteur, Rudolf von Virchow, Robert im engen Rahmen klinischer Studien erhoben Koch oder Paul Ehrlich. Nahezu alle großen wurden, entwickelten sich große „medizinische Erfolge dieser „Klinischen Medizin“ in den letzten Bibliotheken“ wie die US National Library of Medi- 150 Jahren sind Erfolge eines neuen, systema cine eingerichtet, wo auch das weltweit führende tischen Umgangs mit Daten. ↗ Register für Klinische Studien geführt wird. 26 Leven, Karl-Heinz: Geschichte der Medizin. Von der Antike bis zur Gegenwart, München 2008, S. 50ff; Röthlein, Brigitte: Mare Tranquillitatis. 20. Juli 1969. Die wissenschaftlich-technische Revolution, München 1997, S. 184ff.
Health-Tech-Unicorns Anzahl nach Ländern und Regionen (2021) USA 51 China 8 übrige Länder 7 EU 6 UK 4 0 10 20 30 40 50 60 Quelle: Expertenkommission Forschung und Innovation 2022 Mit dem Siegeszug des Internets, der Entschlüsse- len dabei große Datenmengen sowie deren Ver lung des menschlichen Genoms und der ökono- arbeitung und Auswertung mithilfe von Big Data- misch-technische Globalisierung eröffnen sich Technologien. der modernen Medizin neue Chancen, aber auch Herausforderungen, die es im Interesse von Jeden Tag erscheinen bis zu 10.000 neue wissen- Patient:innen, Gesellschaft, Wissenschaft und schaftliche Publikationen – Tendenz steigend. Wirtschaft zu meistern gilt.27 Für die einzelnen Wissenschaftler:innen wird es immer schwerer, auch nur in einem Fachgebiet den Überblick zu behalten. Mit speziell entwickel- Digitalisierung in F&E 28 ten Algorithmen lassen sich die für die medizi nische Forschung relevanten Publikationen ziel Die Aufschlüsselung der Genome (Genomsequen- gerichtet identifizieren. So entstehen maßge- zierung) und der Einsatz von diagnostischen Tests schneiderte Fachliteratur-Kollektionen, die neue (Biomarker Identifikation; Molekulardiagnostik) Erkenntnisse sowohl innerhalb einer Disziplin durch Big Data-Anwendungen ermöglichen bislang als auch assoziierter Wissensbereiche zusammen- ungekannte Fortschritte in der Forschung und fassen und Hinweise auf neue Entwicklungs damit auch bessere klinische Studien. Zu deren ansätze und -linien erlauben. Das erleichtert Ergebnissen gehören neue, personalisierte Thera- den Austausch über Fachgrenzen hinweg und piemöglichkeiten und Behandlungsansätze, dar- gibt Impulse für neue Ideen und FuE-Ansätze. unter Tumorvakzine, die in kürzester Zeit, basie- rend auf genomischer Information, Patient:innen Klinische Studien sind aufwändig, langwierig, spezifisch hergestellt und als therapeutische und teuer. Zudem lassen sich in der personalisier- Impfung verabreicht werden können. Innovative ten Medizin die Studiengruppen dank einer sen- Unternehmen entwickeln diese Vakzine auf Basis sibleren Diagnostik immer präziser definieren. der mRNA-Technologie. Eine zentrale Rolle spie- Doch weil sie dadurch auch kleiner werden, wird EFI-Jahresgutachten 2022, Kernthema B.4 Digitale Transformation im Gesundheitswesen, S. 94–105, ↗ online verfügbar; 27 Vgl. SVR Gesundheit: Gutachten 2021 „Digitalisierung für Gesundheit. Ziele und Rahmenbedingungen eines dynamisch lernenden Gesundheits systems“, ↗ online verfügbar. 28 Vgl. Rainer Thiel/Lucas Deimel/Charlotte Fabricius: Stand und Perspektiven der Gesundheitsdatennutzung in der Forschung. Eine europäische Übersicht, Studie im Auftrag des vfa, Bonn 2021, ↗ online verfügbar.
13 die Generierung medizinscher Evidenz erschwert. her einen potenziellen Wirkstoff nach dem ande- Deutliche Verbesserungen können sogenannte ren zu untersuchen, ist es dank Digitalisierung virtuelle Kontrollarme bringen. Zur Erläuterung: möglich, mehrere zehntausend Substanzen paral- In klinischen Studien erhält eine Gruppe von lel zu untersuchen. Mithilfe künstlicher Intelligenz Patient:innen zusätzlich zur Standardtherapie können Spezialist:innen in kürzerer Zeit weitaus die zu prüfende neue Therapie. Die Kontrollgrup- mehr Stoffeigenschaften erfassen als bisher. pe bekommt zusätzlich zur Standardtherapie Neue Data-Lab-Teams sind in der Lage, vielver- ein Scheinmedikament. Ein Vergleich der beiden sprechende Moleküle für eine Therapie umfassen- Gruppen belegt die gegebenenfalls bessere Wirk- der, schneller und mit weniger Aufwand zu identi- samkeit des neuen Arzneimittels. Da sich die Kon- fizieren, die dann im nächsten Schritt punktuell trollgruppe mithilfe vorhandener Patient:innen weiter verändert werden, um Krankheiten geziel- daten in manchen Fällen schon virtuell simulieren ter und mit weniger Nebenwirkungen zu bekämp- lässt, sind perspektivisch kleinere, zeit- und fen – auch dabei kann KI von Nutzen sein. kostensparende Studien möglich, bei denen Patient:innen nur die neue und womöglich bessere Therapie erhalten. Dafür werden Daten Digitalisierung in der Produktion vergleichbarer Patient:innen herangezogen, die außerhalb von klinischen Studien die übliche Im Hinblick auf die erfolgreiche Transformation Behandlung erhalten haben. hin zu einer wissensbasierten Ökonomie und Hightech-Medizin ist Deutschland gut aufgestellt. Für die Entwicklung innovativer Arzneimittel Der Wertschöpfungsanteil der wissensbasierten sind forschende Pharma-Unternehmen stets auf Produktion hat sich trotz eines starken inter der Suche nach neuen Wirkstoffen. Statt wie bis- nationalen Wettbewerbers positiv entwickelt 29. 29 SVR Wirtschaft Jahresgutachten 2019/2020, S. 155, ↗ online verfügbar. Entwicklung der Berufe in der Industrie Index 2012 = 100 140 Informatik/IKT 136,5 130 120 Entwicklung 113,4 110 Organisation 107,1 Kaufm. Dienstleist. 102,5 Produktion 101,9 100 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Quelle: SVR Wirtschaft 2019
Allerdings zeigt der Blick auf sog. „Unicorns“, personalisierte Medizin geeigneten Biomarker also die mit über 1 Milliarde Euro bewerteten zu identifizieren und zu validieren, ist ein beson- Start-ups im Bereich von Health-Tech-Innovatio- derer Forschungsaufwand nötig. In Biodatenban- nen, dass die Potenziale der Digitalisierung für ken werden die Patient:innendaten aus klinischen Wertschöpfung und Gesundheitsversorgung in Studien mit genetischen Daten (Sequenzierungs- Deutschland bei weitem noch nicht ausgereizt daten) verknüpft. Ziel ist die Entwicklung neuer sind. Von insgesamt 76 Healthtech-Unternehmen, Biomarker, um den Patient:innen schneller zu die von 2019 bis 2021 mit über 1 Milliarde Euro einer für sie geeigneten Therapie zu verhelfen. bewertet wurden, stammen nur zwei Unterneh- men aus Deutschland, dagegen 51 aus den USA.30 Angesicht dieser zunehmenden Komplexität im Das schränkt die Möglichkeiten für eine innova medizinischen Alltag können ergänzende digitale tive Weiterentwicklung des Gesundheitswesens Angebote zusätzliche Information beispielsweise und der forschenden Pharma-Unternehmen deut- für den behandelnden Arzt bereitstellen. Dafür lich ein, was auch ganz konkrete Nachteile in sind qualitätsgesicherte, leistungsfähige digitale der Produktion von Arzneimitteln haben kann. Plattformen für medizinische Daten nötig, die beispielsweise dann helfen können, wenn für Denn in der Produktion von Arzneimitteln wird Patient:innen mit schwerwiegenden Erkrankungen die Ergebnisqualität mithilfe digitaler Überwa- keine Therapiemöglichkeiten vorhanden ist. Dann chung und intelligenter Vernetzung von Produk lässt sich mithilfe dieser Instrumente eine passen- tionseinheiten gesichert. Ein weiterer Schritt zur de klinische Studie finden. Außerdem unterstüt- Verbesserung der Sicherheit von Arzneimitteln zen sie Ärzt:innen bei der Nutzung und Kontrolle in der Versorgung sind digitale Produkt- und von personalisierten Therapieansätzen, indem sie Gebrauchsinformationen. Beispiel hierfür sind einen schnellen und zuverlässigen Abgleich der die Pilotprojekte „Gebrauchsinformation 4.0“ Patient:innenprofile mit deren genetischen Daten und „Securpharm“. Entlang des gesamten Ver- ermöglichen und verfügbare Medikationen und triebswegs und in der Anwendung soll damit Therapiemöglichkeiten aufzeigen. die Sicherheit von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch adressatengerechte elektro nische Gebrauchs- und Fachinformationen weiter Digitalisierung und Versorgung erhöht werden. Die Patient:innen sind dank der lückenlosen Rückverfolgbarkeit einzelner Packun- Sammlung (Tracking und Register) und Auswer- gen wirksam vor Arzneimittelfälschungen in tung von (Echtzeit-)Daten aus dem Versorgungs- der legalen Lieferkette geschützt. Der pharma alltag können zusätzliche Nachweise (Evidenz) zeutischen Industrie ist es im Zuge der Corona- zum Nutzen von Arzneimitteln erbringen. Digitale Krise schon gelungen, die Versorgungswege durch Angebote unterstützen Patient:innen aktiv dabei, eine umfassende Digitalisierung der Lieferketten ihre Therapietreue zu erhöhen und die Sicherheit krisenfester zu machen.31 und Qualität der Arzneimitteltherapie durch ein medizinisches Monitoring der Behandlungsdaten, zum Teil in Echtzeit, weiter zu verbessern. Ergän- Digitalisierung in Zulassung zende digitale Angebote bieten Patient:innen und Diagnose persönliche Schulungsprogramme zu ihrer Erkran- kung, zu alltagsrelevanten Therapiehinweisen Die Kombination von moderner Diagnostik und (Disease Awareness und Patient Support Program- innovativem Arzneimittel ermöglicht eine per me) oder zur Prävention. Dazu zählen auch per sonalisierte Medizin, die die Wirkungsprofile der sonalisierte Krankheits-Management-Programme Arzneimittel weiter schärft und den Patient:innen und gezielte Lifestyle-Coachings, die den Einsatz eine an die jeweilige Erkrankung bestmöglich von Apps, Web-Portalen und persönlichen Schu- angepasste Therapie bietet. Um die für eine lungsprogrammen kombinieren. 30 EFI-Jahresgutachten 2022 (siehe Anm. 2), S. 101. 31 Vgl. Rammer, Christian et.al.: INNOVATIONSINDIKATOREN CHEMIE UND PHARMA 2021. Schwerpunktthema: Corona-Pandemie und Innovationen in Chemie und Pharma, Studie im Auftrag des Verbandes der Chemischen Industrie e. V., Mannheim/Hannover 2021, ↗ online verfügbar; Kirchhoff, Jasmina/Francas, David/Fritsch, Manuel: Resilienz pharmazeutischer Lieferketten, Studie im Auftrag des vfa, Köln/Heilbronn 2022, ↗ online verfügbar.
15 Gerade bei aufwendigen und kostenintensiven Datenschatz der Gesellschaft Therapien, wie zum Beispiel bei Krebserkrankun- gen, ist es grundsätzlich vielversprechend, die Die Digitalisierung bietet enorme Chancen. Doch individuelle Situation mit möglichst vielen gleich- um diese umfänglich auszunutzen, bedarf es zent- artigen Krankheitsbildern zu vergleichen, um die raler Weichenstellungen. Bund und Länder spielen bestmögliche Therapie zu identifizieren. Das bei der Bereitstellung zentraler Infrastrukturen wird mithilfe eines intelligenten Systems erheb- eine wichtige Rolle. Deren Finanzierung sollte zu- lich erleichtert. mindest dem internationalen Niveau entsprechen. Die Industrie setzt sich mit Krankenkassen sowie Erst unter diesen Voraussetzungen sind Daten Informations- und Kommunikationstechnologie- verfügbar und können sowohl in der öffentlich als Unternehmen dafür ein, dass Ärzt:innen und auch privat finanzierten Forschung genutzt wer- medizinisches Fachpersonal die Behandlung den. Modelle eines Datentreuhänders und einer von Patient:innen stärker personalisieren, orts öffentlich vorgehaltenen Dateninfrastruktur für unabhängiger gestalten und damit besser in den Gesundheitsdaten können helfen, die Anforderun- Patient:innenalltag integrieren können. Dafür gen des Datenschutzes einerseits und Forschungs- wurden konkrete Projekte angestoßen. So unter- interessen andererseits in Einklang zu bringen. stützen zum Beispiel elektronische Patient:innen tagebücher und elektronische Fallakten die fach- In der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen ärztliche Versorgung bei komplexen Herausforde- und wissenschaftlichen Einrichtungen aus unter- rungen und vorhandenen Ressourcenproblemen. schiedlichen Disziplinen liegen erhebliche Syner- Insbesondere bei chronischen oder seltenen giepotenziale. Die aktive Förderung eines inter Erkrankungen mit hohem Dokumentationsauf- disziplinären Ökosystems in der digitalen Gesund- wand und dem Bedarf an einem schnellen Fach- heitsforschung kann diese Potenziale heben, austausch zwischen den unterschiedlichen beispielsweise über Anschubfinanzierungen Bereichen der Versorgung schaffen diese tele für Leuchtturmprojekte oder eine gezielte Unter- medizinischen Projekte einen Mehrwert für den stützung von Start-ups im Bereich der digitalen Patient:innen und für die Versorgungsqualität. Gesundheitsforschung. Ein anderes Beispiel ist die intelligente Ver knüpfung von Arzneimittel und Medizinprodukt Letztlich erfordern neue wissenschaftliche Metho- durch Smart Devices in der Versorgung von den und veränderte Gegebenheiten eine Anpas- Patient:innen mit chronischen Erkrankungen. sung der Zulassungsverfahren. Auch müssen die Diese Smart Devices können die medizinischen mit neuen Methoden gewonnen Erkenntnisse in Daten digital messen, aufzeichnen und dann zur der Nutzenbewertung Anerkennung finden. Beobachtung in Echtzeit mit dem zuständigen medizinischen Fachpersonal sicher teilen. Abgesehen davon, werden Digitale Gesundheits- anwendungen (DiGA), also zertifizierte Medizin- produkte niedriger Risikoklassen, deren Haupt- funktion auf digitalen Technologien beruhen, für die innovative Arzneimittelversorgung und Therapieentwicklung erheblich an Bedeutung zunehmen. Sie zeichnen sich durch eine hohe Nutzerfreundlichkeit aus und können deshalb nachweislich die Versorgung und Lebensqualität von Patient:innen verbessern.
Eine neue Gründerzeit Unternehmensgründungen bahnen neuen Ideen den Weg in die Anwendung. Start-ups erweisen sich mit ihren Ideen und Produkten als Motor der Innovationsdynamik, die in entwickelten Volkswirt schaften neue Wertschöpfungsprozesse in Gang setzt. Dieser Geist beseelt die vielfältigen Kooperationen zwischen jungen Gründer:innen und etablierten Traditionsunternehmen. So entstehen nicht nur neue Arbeitsplätze, auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wird gestärkt. Deutschland ist ein rohstoffarmes Land, dessen solche Zunahme an Produktivitätsunterschieden Wohlstand auf der innovativen Leistungsfähig- zwischen einzelnen Unternehmen nicht festzu keit seiner Volkswirtschaft, mithin der deutschen stellen.33 Unternehmen gründet. Dabei kommt es auf die richtige Mischung aus sowohl Groß- und Parallel zur Abnahme des Produktivitätswachs- mittelständischen Unternehmen wie auch tums der deutschen Unternehmen ist eine Stagna- aus Traditionsbetrieben und Start-ups an. Die tion bei Unternehmensneugründen zu beobach- Unternehmenslandschaft hat sich in den letzten ten. Verzeichnete die Statistik für das Jahr 2000 Jahren schrittweise verändert: Die nach inlän noch 276 Neugründungen auf 10.000 Einwohner, discher Wertschöpfung bemessenen 50 größten fiel diese Gründerrate in den letzten zwei Jahr- Akteure waren zwar allesamt Traditionsunter zehnten kontinuierlich: 2020 gab es nur noch nehmen 32 – ihr Anteil an der gesamten Wert 104 Existenzgründungen pro 10.000 Einwohner 34. schöpfung ist in den letzten 20 Jahren aber Für den Bereich der Biotechnologie ist ein solcher stetig gesunken. Rückgang der Neugründungen zwar nicht zu ver- zeichnen, doch auch in diesem Sektor bleibt die Gleichzeitig hat sich auch das Produktivitäts- Zahl an Neugründungen seit Jahren hinter den wachstum der Unternehmen in Deutschland Erwartungen zurück. Insgesamt beschreiben diese seit 2000 kontinuierlich abgeschwächt. Die Pro Daten das Bild einer zwar innovativen Volkswirt- duktivitätsunterschiede sind hingegen in manchen schaft, deren Unternehmen jedoch deutlich stär- Branchen wie der Chemie oder im Maschinenbau ker auf inkrementelle und weniger auf disruptive gestiegen; dagegen ist im Fahrzeugbau eine Innovationen setzen. 32 Vgl. „Wettbewerb 2020“. XIII. Hauptgutachten der Monopolkommission, 2020, S. 80–81. 33 Vgl. Abnehmendes Produktivitätswachstum – zunehmende Produktivitätsunterschiede, ZEW-Policy Brief Nr. 4/2018, insbesondere S. 3 u. S. 6. 34 KfW Research: KfW-Gründungsmonitor 2021, Frankfurt/Main, 2021.
17 Wagniskapitel in Deutschland, Europa und den USA in Mio. US-Dollar 140.000 USA 120.000 100.000 80.000 Europa ohne Deutschland 60.000 40.000 20.000 Deutschland 0 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Quelle: vfa, EY, KPMG, NVCA Von der Forschung in die Gründung Köpfe der Wissenschaft und insbesondere der anwendungsbezogenen Forschung gut positio Die Corona-Krise hat auf eindrückliche Art gezeigt, nieren 36. wie wichtig für Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland ein Innovations-Ökosystem ist, das Während sich die enorme Leistungsfähigkeit sowohl inkrementelle als auch disruptive Inno des Innovationssystems in den USA der Verzah- vationen ermöglicht. Für eine Beschleunigung des nung von akademischer Forschung und unterneh- dazu notwendigen Transfers von der Grundlagen- merischer Tätigkeit verdankt, hält man in Deutsch- forschung in die Anwendung erweisen sich neben land nach wie vor an der überlieferten Trennung der klinischen Forschung auch Unternehmens von universitär verankerter Wissenschaft einer- neugründungen als wichtiger Motor 35. seits und dem Management eines Unternehmens andererseits fest. Durch die Bildung von Clustern Dafür ist es wichtig, die für den Pharma-/Biotech- (z. B. Saxocell, PROXIDrugs, Bioregionen, regiona- Bereich bedeutenden Disziplinen, zu denen neben le Innovationscluster), durch neuartige Agenturen Medizin- und Pharmazie auch technische und der Innovationsgenerierung ( z. B. die SprinD) kaufmännische Fächer gehören, stärker als bisher oder über eine überfällige Reform des universi auf den Transfer von Wissen in die Anwendung tären Dienstrechts kann und muss diese traditio- auszurichten. Gleichzeitig muss sich Deutschland nelle Trennung zwischen Academia und Unter im internationalen Wettbewerb um die besten nehmertum aufgehoben werden. 35 Vgl. Wissenschaftsrat: Impulse aus der Covid-19-Krise. Positionspapier, 2021, S. 13–14. 36 Siehe auch Folgekapitel „Attraktive Arbeitswelten “.
Von der Gründung in den Markt Unternehmenswachstum motiviert. Gerade bei Unternehmensgründungen im pharmazeutischen Entwicklungen im Pharma-/Biotech-Bereich brau- Bereich und in der medizinischen Biotechnologie chen den sprichwörtlichen langen Atem, damit sie ist die internationale Vernetzung ein zentraler von der ersten Idee über die Phasen der präklini- Erfolgsfaktor, der in der Ausbildung von Gründern schen und klinischen Erprobung schließlich in die noch viel zu selten berücksichtigt wird. Dabei Anwendung gelangen. Auch deshalb sind gerade können Kooperationen mit internationalen Part- neugegründete Unternehmen auf Spezialist:innen nern zwecks Forschung und Entwicklung neuer und Fachkräfte angewiesen, die neben der medizi- Therapien, Wirkstoffe und Verfahren zentrale nischen auch ingenieurtechnische, kaufmännische Impulse geben, sowohl im Hinblick auf eine und juristische Expertise vorweisen können. erfolgreiche Unternehmensentwicklung als auch den Transfer von medizinischer Forschung in Wer im globalisierten Wettbewerb um Talente die Anwendung. bestehen will, braucht die notwendigen Anreize, um diese Fachkräfte entweder direkt aus einer Ebenso wichtig sind Unterstützung und Empower- deutschen Universität oder aber über den inter ment im Bereich der Lizenzierung von geistigem nationalen Arbeitsmarkt in die Unternehmen zu Eigentum, die Kommerzialisierung innovativer locken. Auch wenn es innovativen, talentierten Entwicklungen oder der Einsatz von Vertrags- Fachkräften nicht primär um rein finanzielle Standardklauseln, die jungen, aber auch etablier- Motive geht, spielen ökonomische Anreize selbst- ten Unternehmen die Kooperation mit der Wissen- verständlich eine wichtige Rolle. Daher muss schaft erleichtern. Hierzu wurden bspw. soge- Deutschland die Mitarbeiterkapitalbeteiligung in nannte „Mustervertragsklauseln“ für klinische Start-ups sowie die steuerlichen Rahmenbedin- Studien entwickelt, die bislang noch viel zu selten gungen deutlich verbessern. genutzt werden. Gleichzeitig sind die politischen Entscheidungs Auch bei der Entwicklung von Inkubatoren und träger:innen gut beraten, eine „missionsorien Technologietransfereinrichtungen hinkt Deutsch- tierte Innovationspolitik“ voranzutreiben 37, mit land im Moment hinterher – auch wenn die for- der Leuchtturmprojekte stärker als bisher geför- schenden Pharma-Unternehmen am Standort dert werden. Damit werden Gründer und ihre Deutschland in dieser Hinsicht bereits in Vor Unternehmen in die Lage versetzt, das Spektrum leistung gegangen sind. Diese Inkubatoren, nach an Kooperationspartnern deutlich zu erweitern wie vor eher „Solitäre“ in Deutschlands Innova und die Stärken des Gründer-Standortes Deutsch- tionslandschaft, werden zwar als Leuchttürme land stärker in den Vordergrund zu rücken. Im geschätzt, doch sie sind kein Ersatz für struktu Rahmen dieser missionsorientierten Innovations- relle Reformen an der Schnittstelle von Wissen- politik wird auch die zentrale Rolle der pharma- schaft und Wirtschaft. zeutischen und medizinischen Biotechnologie als „Zukunfts- und Schlüsseltechnologie“ deutlich, Die forschenden Pharma-Unternehmen setzen von der sowohl die Gesundheit im Sinne von daher auf Wachstum, auch und insbesondere Public Health als auch gesellschaftlicher Wohl- mit Blick auf die Förderung von Deutschlands stand gleichermaßen profitieren können. Gründerszene. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem Förderprogramm EXIST zu, das um einen zu schaffenden „Zukunftsfonds“ sowie eine neu Internationalisierung und Wachstum aufzulegenden High-Tech-Gründerfonds ergänzt werden muss, um der dynamischen Entwicklung Erfolgreiche Unternehmensgründungen stützen nachdrücklich Schub zu verleihen. Die positiven sich auf ein hoch innovatives akademisches Erfahrungen der Pharma- und Biotech-Branche Umfeld, in dem Universitäten und außeruniver seit 2020 sollten Ansporn genug sein, um aus sitäre Forschungseinrichtungen eng zusammen Unternehmensgründungen heraus eine neue, arbeiten. Zugleich werden Unternehmensgründer strukturelle Qualität am Pharma- und Biotech zu internationalen Kooperationen und zum standort Deutschland zu entwickeln. 37 EFI-Jahresgutachten 2021 – Kernthema B1, S. 38–52, ↗ online verfügbar.
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