Nostalgie auf Cyberhomes?

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© Sokratis Georgiadis, Stuttgart, Juni 2000
Erstveröffentlichung: Arch+ 152/153, Oktober 2000.

Nostalgie auf Cyberhomes?*

Nostalgie, Heimweh, homesickness, mal du pays. Noch im 17. Jahrhundert führte man diesen
Defekt auf den Mangel an Lebensgeistern im Hirnmark der Menschen zurück. Erst im 20.
Jahrhundert wurde das Leiden endgültig psychologisiert und dies schuf gleichsam die
Voraussetzungen zu dessen Kriminalisierung. Kein geringerer als Karl Jaspers befasste sich in
seiner Doktordissertation mit der Frage der Nostalgie. Er reichte sie 1909 ein, ein Jahr nach
Adolf Loos' "Ornament und Verbrechen". Ihr Titel lautete: "Heimweh und Verbrechen."
Heimweh bezog sich dabei auf Heimat, doch sowohl Heimat als auch Heimweh hatten und
haben immer noch (nicht nur) ihren etymologischen Ursprung im Heim.
Beim Verfassen seiner Doktorarbeit konnte Jaspers auf das 19. Jahrhundert zurückblicken,
mithin auf ein heimbesessenes, wohnsüchtiges Jahrhundert - wie es Walter Benjamin nannte -
, das für alle nur erdenkliche Dinge Ge-häuse schuf: für Taschenuhren, Pantoffeln,
Eierbecher, Thermometer, Spielkarten. Und wofür es keine Gehäuse geben konnte, fertigte es
Schoner, Läufer, Decken und Überzüge an. Ähnlich verhielt es sich mit der Wohnung. Das
19. Jahrhundert, so Benjamin, "begriff die Wohnung als Futteral des Menschen und bettete
ihn mit all seinem Zubehör so tief in sie ein, dass man ans Innere eines Zirkelkastens denken
könnte, wo das Instrument mit allen Ersatzteilen in tiefe, meistens violette Samthöhlen
gebettet, daliegt." Als "Illusion", als "fata morgana" bezeichnete er das "Interieur" des
neunzehnten Jahrhunderts, den Entfaltungsort bürgerlicher Innerlichkeit und zitierte in seinen
Aufzeichnungen zu seinem unvollendeten "Passagenwerk" die Replik Adornos auf Sören
Kierkegaard: "Die Anordnung der Dinge in der Wohnung heißt Einrichtung. Geschichtlich
scheinhafte Gegenstände werden darin als Schein unveränderlicher Natur eingerichtet.
Archaische Bilder gehen in Interieur auf: das der Blume als des organischen Lebens; das des
Orients als der namentlichen Heimat der Sehnsucht; das des Meeres als das der Ewigkeit
selber. Denn der Schein, zu welchem die Dinge ihre geschichtliche Stunde verdammt, ist
ewig."1 Sigfried Giedion wiederum machte auf die Irrationalität solcher Einrichtungen
aufmerksam, die er auf die "unheimliche Seite im Gefühlsleben des 19. Jahrhunderts"
zurückführte, und fügte hinzu, dass weder Logik noch soziologische Analyse imstande wären,
Einblick in diese emotionale Vorgänge zu geben. Nur die Kunst sei zu solcher Einsicht fähig:
"Die Surrealisten haben zuerst den Tatbestand offenbart. Sie haben in den Sinn und Irrsinn
des neunzehnten Jahrhunderts hinabgeleuchtet und gezeigt, wie die unentwirrbare Mischung
aus Banalem und Schaurigem in unser Wesen gewachsen ist".2 Max Ernst' Collagen für "Une
semaine de bonté" (1933) und für "La femme 100 têtes" (1929)3 waren Giedions Belege des
"horreur du domicile" (Charles Baudelaire), des "Grauens des Domizils". Das Heimliche, das
Gewohnte und Gemütliche entpuppten sich darin als Ingredienzien von Orten absoluten
Gräuels und tiefster Unheimlichkeit. "Aus den wogenden Vorhängen" - führt er über eine
dieser Collagen aus - "und der drückenden Atmosphäre machen die Scheren Max Ernsts eine
unterseeische Höhle. Das Interieur atmet Mord und Unentrinnbarkeit. Sind das lebende
Körper, Leichen oder Gipsstatuen, in Ruhe oder in Verwesung, tot oder lebendig?"4
Mit allem dem sollte nun das neue Jahrhundert Schluss machen. Um nochmals Benjamin zu
zitieren: "Das zwanzigste Jahrhundert machte mit seiner Porosität, Transparenz, seinem
Freilicht- und Freiluftwesen dem Wohnen im alten Sinne ein Ende. (...) Der Jugendstil
erschütterte das Gehäusewesen aufs tiefste. Heut ist es abgestorben und das Wohnen hat sich
vermindert: für die Lebenden durch Hotelzimmer, für die Toten durch Krematorien."5
"Befreites Wohnen": so lautete die Devise. Sie wurde umgesetzt in Form der aseptisch
hygienischen Interieurs der klassischen Moderne: Mehr oder weniger bequeme "objets-
types", rational in einer perfekt kontrollierten Umwelt angeordnet. Technologie sollte über
allem walten und den Schein des natürlich Naturhaften und mit ihm den Mythos oder die
Psychopathologie von Heim, Heimat und Heimweh verdrängen. "Corbusiers Schaffen" -
schrieb Benjamin - "scheint am Ausgang der mythologischen Figuration 'Haus' zu stehen".6

Aber damit ging das 20. Jahrhundert offenbar bereits zu weit. Denn selbst für Benjamin war
das Wohnen im hergebrachten Sinn nicht nur eine extreme Form des Daseinszustands des 19.
Jahrhunderts, sondern auch etwas, worin "das Uralte - vielleicht Ewige - erkannt werden
muss, das Abbild des Aufenthalts des Menschen im Mutterschoße". Das Haus als Gleichnis
des Mutterleibs, das war überhaupt ein Topos in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts. Das
Wohnhaus, so Sigmund Freud in seinem Buch "Das Unbehagen in der Kultur" (1929), sei ein
Ersatz für den Mutterleib, die erste wahrscheinlich noch immer ersehnte Behausung, in der
man sicher sei und sich wohl fühle. Freud spielte auf den Uterus an, andere Autoren folgten
ihm oder weiteten ihre Ausführungen auch auf andere Bereiche der (doch stets) weiblichen
Anatomie aus. So etwa Tristan Tzara: "Von der Höhle, der Erdwohnung des Menschen, 'der
Mutter'", schrieb er, "über die Eskimo-Jurte als Mittelform zwischen Grotte und Zelt (ein
beachtenswertes Beispiel uteriner Konstruktion übrigens, die man durch Hohlräume vaginaler
Form betritt), bis zur konischen oder hemisphärischen Hütte mit einem sakrale Bedeutung
tragenden Pfosten an deren Eingang versehen, symbolisiert die Wohnstätte pränatale
Behaglichkeit."7 Die Technologie hatte nicht nur die schwülen Interieurs des 19. Jahrhunderts
demontiert, sondern mit ihnen auch das tief im menschlichen Unbewussten eingeprägte
Begehren nach Rückkehr in einen Zustand embryonischen Glücks blockiert.
Was war passiert? Begünstigt von der Mechanisierung wurde ein neuer Wertmaßstab bei der
Planung und Einrichtung der Wohnung eingeführt (oder zumindest angedacht), geprägt von
Standardisierung und Rationalisierung. Licht und Luft sollte dabei in die muffigen
klaustrophobischen Salons eindringen und, was für die Einen die Befreiung von Platzangst
und Bedrängnis bedeutete, wurde von den Anderen offenbar schon als eine Ankündigung der
endgültigen Entfremdung des menschlichen Körpers von seiner natürlichen Umgebung
empfunden oder besser - um Adorno nochmals zu zitieren - "vom Schein unveränderlicher
Natur", einer Abkoppelung also, die damals schon weniger den Charakter einer wirklichen
Abnabelung als den des plötzlichen Erwachens aus dem Traum von der Rückkehr in den
Mutterschoß hatte. Was aber jenseits der jeweiligen Empfindungen sicherlich zutraf, war,
dass dieser Körper auch in seiner häuslichen Umgebung Objekt der Rationalisierung wurde.
Wissenschaftliche Untersuchungen wurden durchgeführt, deren Gegenstand nicht nur der
effektive Einsatz des Körpers als maschinenbedienendes Arbeitsinstrument in der Sphäre der
Produktion, sondern auch die Effektivierung seiner Regeneration war. Die Mechanisierung
und Rationalisierung des Haushaltes, zielte zudem auf die Ersparnis von Arbeitskraft, von
weiblicher Arbeitskraft zumal, um das überschüssige Quantum wiederum für die
Warenproduktion nutzten zu können. Ersparnis von Ressourcen, Ersparnis von Arbeit - man
denke an Loos' Polemik gegen das Ornament - waren die Hauptargumente, mit denen die
neue puritanische Ästhetik der Enthaltsamkeit ankam und das Haus schnurstracks in einen OP
verwandeln wollte. Diese Entwicklung fing früh an. Noch während der "Herrschaftszeit des
Tapezierers", bereits 1869, publizierten Catherine Brecher und ihre Schwester Harriet das
Buch "The American Woman's Home", in dem sie radikale Änderungen in der Organisation
und der Raumplanung von Küchen nach dem Vorbild der kompakten und praktischen
Möblierung eines Segelschiffes vorschlugen. In den Ausführungen und Illustrationen des
Buches war im Prinzip die Frankfurter Küche bereits präfiguriert. Und es waren in der Tat die
zwanziger und dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts gewesen, in denen die rationale
Organisation von Haushaltsarbeit und häuslicher Regeneration gepaart mit der
Mechanisierung der dazugehörigen Ausstattung ihren Triumphzug auch im Domizil feierten.
Die Reaktionen auf diese Entwicklung oszillierten, wie schon gesagt, zwischen Begeisterung
und Skepsis. Symptomatisch für die erste Haltung war sicherlich der beachtliche Absatz der
neuen Produkte der Industrie, der enorme kommerzielle Erfolg der elektrischen
Haushaltsgeräte. Nur ein Beispiel dafür ist der Coldspot-Kühlschrank von Raymond Loewy
(1935) in den Vereinigten Staaten. Loewy, der seit 1932 im Auftrag der Firma Sears Roebuck
Co. stand, revolutionierte dieses Produkt auf spektakuläre Weise. Ein weiß emaillierter
Stahlkasten mit bündig schließender Tür und appliziertem Dekor aus verchromten Teilen
enthielt in seinem Inneren eine Reihe von Raffinessen so z.B. eine halbautomatische
Vorrichtung zum Abtauen oder ein Tablett zum sofortigen Abwerfen der Eiswürfel. Die
jährliche Verkaufszahl dieses Produkts, das zu vielem fähig war, das aber, wie die
entsprechende Werbung ausdrücklich betonte, ein formvollendetes Äußeres aufwies, stieg
innerhalb von fünf Jahren von 15.000 auf 275.000 Stück an.8
Die Lösung des Körpers vom Ge-wohnten und Ge-wöhnlichen, seine Verwandlung zum
Gegenstand der Rationalisierung begleitet vom Abbruch der symbolischen Verknüpfung
zwischen Behausung und Natur wurde andererseits als hoher Verlust und entscheidendes
Defizit der Modernisierung empfunden. Das Zusammenkitten der aufgetretenen Brüche im
Sinne einer Vereinnahmung des technischen Artefakts von der von diesem selbst bedrohten
Natur avancierte zu einem zentralen Desiderat der Zeit, an dem sich aber zugleich die
künstlerische Phantasie entzündete und einmal mehr die Rolle des zuverlässigen Barometers
der aktuellen kulturellen Gemütslage übernahm. Die Verschmelzung der scheinhaften oder
gar der leiblichen Natur des Menschen und des Tieres mit dem technischen Gegenstand wurde
als Thema sowohl in seiner allgemeinsten Hinsicht als auch in seinem Zusammenhang mit der
Mechanisierung der privaten Umgebung gestellt. Natürlich konnte hier die Kunstavantgarde,
vor allem die surrealistische, auf einen reichen romantischen Fundus zurückgreifen von
E.T.A. Hoffmanns Olimpia bis zu Lady Shelleys Frankenstein. Und wieder ist es Max Ernst
gewesen, der selbst das vom göttlichen Willen gesteuerte Ereignis von Verkündigung und
Fleischwerdung im Sinne des Zusammenwirkens von Menschenleib, heiligem Geist und
Maschine ironisch umdeutete. Die "unbefleckte Empfängnis" (so der Titel einer Serie von
Gravuren in "La femme 100 têtes)9 wurde als ein technisch vollends kontrollierter Vorgang
interpretiert, der sogar die Möglichkeit des mehrmaligen Scheiterns zuließ, bis schließlich das
gewünschte Resultat eintreten konnte. Natur und Gerät verbanden sich auch in Salvador Dalis
"Aphrodisischem Telephon" von 1936.10 Das natürlich/erotische Element war zugleich das
schlechthin architektonische: "Ich esse gerne Speisen mit ausgeprägten Formen", sagte Dali
einmal... "Am liebsten solche, die die Knochen außen und das Fleisch innen haben - wie
Hummer und Krebse. Sie haben die höchst intelligente Idee, ihre Knochen außen zu tragen -
statt innen wie wir... Speisen müssen etwas Architektonisches haben."
Anders als die Surrealisten holen heutige Künstler dieselbe Problematik aus den dunklen
Tiefen des Unterbewussten heraus und entwickeln Strategien, welche sowohl entlarvend als
auch subversiv sind. "Bad Press" ist der Titel eines Projekts der Architekten Elisabeth Diller
und Ricardo Scofidio, in dessen Rahmen sie sich mit dem Vorgang des Bügelns
auseinandersetzen. Diller und Scofidio äußern ihre Verwunderung darüber, dass trotz allen
soziokulturellen Wandels gewisse Praktiken der Hausarbeit unantastbar zu bleiben scheinen.
Das Bügeln beispielsweise ist an Minima gebunden. Ein Minimum an Anstrengung wird
eingesetzt, um das Hemd in ein minimales rechteckiges Format zu bringen, welches als
zweidimensionale Einheit ein Minimum an Raum beansprucht. Wenn das geglättete Hemd
getragen wird, so zeichnet sich die orthogonale Logik der Effizienz am Körper ab. Die
parallelen Bügelfalten, die frischen Ecken eines sauberen, geglätteten Hemdes sind begehrte
Embleme der Verfeinerung. Dieses Nebenprodukt der Effizienz hat sich in ein neues
Lustobjekt verwandelt. Diese Bemerkungen führen die beiden Architekten dazu, über ein
alternatives, nicht mehr funktionales Bügeln nachzudenken. Ohnehin, fügen sie hinzu,
entspräche ein disfunktionales Bügeln den Bedingungen der postindustriellen Familie.11

Auch Ken Kaplan und Ted Krueger von "K&K Research and Development" würden der
Diagnose/Strategie des Disfunktionalen zustimmen. Die Erfinder der Analoga, der
abtrünnigen Städte und der Mosquitos zweifeln aber sehr stark daran, ob unter
postindustriellen Bedingungen die Scheidungen zwischen öffentlich und privat verrichteter
Arbeit, zwischen Leib und Maschine, zwischen Natur und Technik, Scheidungen mithin, die
allesamt den Diskurs der Moderne geprägt hatten, aufrechterhalten werden können.
Dogmatisches Gas zwingt die Menschen zu mutieren und zwar unter Anwendung der "anti-
dogmatic-gas-attack-technology, die das binäre Dogma mit der analogen menschlichen Natur
zu versöhnen vermag. Dies war die Basis zur Herstellung des ersten Analogon an der
Columbia University in New York im Jahre 1988. Dieses ist jedoch nur ein Partikel des
umfassenderen Projekts der Renegade Cities. Ein typisches Exemplar hiervon ist das Bureau-
Dicto (ein Kürzel für dictatorship of bureaucracy), eine technologische Landschaft, die für
eine allgemeine soziochemische Balance sorgt, welche dadurch erzeugt wird, dass durch
ununterbrochenes Computerprogrammieren Versicherungsverkäufer,
Kreditkartenkontrolleure, Chefs von Sushirestaurants und Aktivisten von Gemüserechten im
Banne dieser Landschaft gehalten werden.12
Die heutige elektronische Industrie wirbt mit dem "Intelligent home" als Zukunftsvision des
Hauses. Die Hausapparate erhalten ein Höchstmaß an modernster elektronischer Ausrüstung,
welche die körperliche Anstrengung bei ihrer Nutzung auf ein kaum noch nennenswertes Maß
minimiert. Indes stellt die Perfektionierung des Apparats nur den ersten Schritt zum
umfassenden "intelligent home" dar, denn nicht auf das Einzelgerät kommt es darin vor allem
an, sondern auf die elektronisch gesteuerte Gesamtausstattung des Hauses und die Vernetzung
ihrer einzelnen Komponenten innerhalb eines einziges Systems.
Automatisch werden die Lichtstärke des Aufenthaltsraumes reguliert, die Temperatur des
Badewassers angepasst, vom Kühlschrank die Lebensmittel per e-mail beim Supermarkt
bestellt, derweil der Hausbewohner sich mit seinem elektronischen Hund amüsiert. Mit einer
Chipkarte, die in einen Schlitz unterhalb seines Schwanzes eingeführt wird, kann der Hund
vielfältig zur großen Belustigung seines Eigentümers umprogrammiert werden. "It's not a
trick - It's a SONY!". Betriebsunfälle halten sich dabei in Grenzen. Von einem solchen
handelt etwa Philip Kerrs "Game Over", wo das "intelligent" (in diesem Falle) Bürohaus zum
"killer-home" mutiert und für etliche Morde verantwortlich ist, die unter seinem Dach
passieren. Doch werden sie schließlich allesamt gesühnt mit der spektakulären, sowie
restlosen Vernichtung des Hauses und seines Architekten. Diese Überspitzung ist jedoch
vorerst nur "fiction".

Die Werbung für das "intelligent home" bescheidet sich hingegen, und das ist bemerkenswert,
mit einer Rhetorik, die sich kaum von der modernistischen unterscheidet. Sparsamkeit,
Komfort und Sicherheit sind die Eigenschaften aufgrund welcher das elektronische Haus
gepriesen wird, genauso wie vor fünfzig Jahren das mechanisierte. Das elektronische Haus
wird mithin - zumindest im Rahmen dieser Werbestrategie - als nichts weniger aber auch
nichts mehr als Steigerung und Perfektionierung des mechanischen präsentiert. Qualitativ
scheint sich hierbei nichts wesentliches geändert zu haben. Eine zweite Strategie der Werbung
besteht jedoch darin, den Akzent nicht so sehr auf die praktischen, sondern vor allem auf die
"ideellen" Möglichkeiten zu setzen, welche das technisch perfekte Produkt Haus freizulegen
vermag. Dadurch daß es seine Bewohner vom Zwang häuslicher Arbeit zu befreien
verspricht, erscheint es nämlich erst recht als Verwirklichung des Traums vom trauten Heim,
von der (scheinhaft) natürlichen Oase, als Totalisierung häuslicher Geborgenheit und Glücks.
Und in der Tat: die Industrie hält was die Werbung verspricht. Im "intelligenten Häusle"
können Komfort kombiniert mit Öldruckbild und Monitor, Krüppelwalmdach und
Überwachungskamera den "horreur du domicile" problemlos wiederherstellen, bewährte
mentale Gewohnheiten dadurch effektiv bedienen und nicht zuletzt die surrealistische Kritik
an der Technisierung des Privaten aufs Äußerste pervertieren.

Dadurch bekommt aber das elektronische Haus Probleme mit der Zukunft. Kaum darin
berücksichtigt ist nämlich das, was etwa in den Arbeiten von Kaplan und Krueger angelegt
war und darauf hindeutete, dass mit der elektronischen Revolution der surrealistische Traum
der Verschmelzung von Körper und Maschine nunmehr nicht als fin-de-siècle-Mythos,
sondern als profane Realität sich präsentiert. Der Körper ist Gegenstand der
biotechnologischen aber auch der elektronischen Manipulation, also genauso wie das Haus
Designobjekt geworden. Silvia Bovenschen spricht von der Unmöglichkeit "die
'Eigentlichkeit' unserer Körper frei(zu)halten von allen elektronischen Zumutungen, als bilde
der Leib eine natürliche Oase inmitten der rasenden Entwicklungen der Kommunikations- und
Informationstechnologien" und fügt affirmativ hinzu, dass "in Zukunft Körperdesigner und
Körperingenieure das Erbe unserer Modeschaffenden antreten" werden.13 Auf das "intelligent
home" gewendet bedeutet aber dies, dass es ohne Entfaltung einer Strategie des interaktiven
Design, das sowohl Körper als auch Apparat einschließt, kaum Zukunftschancen hat. Über
diese Zukunft - und ihre Risiken zumal für Wohnsüchtige - hat sich auf besonders
eindrückliche Weise die amerikanische Wissenschaftshistorikerin Donna J. Haraway in ihrem
viel beachteten "Cyborg Manifesto" geäußert. "Ein Cyborg", schreibt sie, "ist ein Hybrid aus
Maschine und Organismus, eine Kreatur der sozialen Wirklichkeit als auch der Phantasie.(...)
Das Cyborg ist der Voreingenommenheit, Ironie, Intimität und Perversität fest verpflichtet. Es
ist oppositionell, utopisch und vollends ohne Unschuld. Da es nicht mehr nach dem Gegensatz
öffentlich/privat beschaffen ist, legt das Cyborg eine technologische Polis fest, die zum Teil
auf einer Revolution der sozialen Beziehungen im 'oikos', d.h. im Hauhalt begründet ist. Natur
und Kultur werden neu definiert, die eine kann nicht mehr als Ressource zur Aneignung und
Einverleibung seitens der anderen dienen. Die Beziehungen, die Ganzheiten aus Teilen
bilden, einschließlich derjenigen der Polarität und der hierarchischen Herrschaft stehen in der
Cyborg-Welt zur Disposition. Anders als das Frankenstein-Monster hofft das Cyborg nicht
auf die Rettung durch den Vater, der den Garten wiederherstellen soll (...) Das Cyborg träumt
nicht von einer Gemeinschaft nach dem Vorbild der organischen Familie, der diesmal das
ödipale Projekt abhanden gekommen ist. Es würde den Garten von Eden nicht erkennen, es ist
nicht aus Erde geformt und träumt nicht von einer Rückkehr zu Staub. (...) Cyborgs sind nicht
ehrfürchtig und sie erinnern sich des Kosmos nicht. Sie sind mißtrauisch gegenüber dem
Holismus, aber sie suchen den Kontakt (...). Die größte Schwierigkeit mit den Cyborgs ist,
dass sie das illegitime Produkt des Militarismus, des patriarchalischen Kapitalismus sind, um
vom Sozialismus ganz zu schweigen. Aber illegitime Nachkommen sind gegenüber ihrem
Ursprung oft besonders untreu. Ihre Väter sind schließlich unwesentlich."14
Haraway lässt offen, ob aus dem surrealistischen Traum ein realistischer Albtraum,
beziehungsweise ein grausames Erwachen wird. Obwohl sie diese Möglichkeit nicht
ausschließen will, betont sie andererseits, dass weder eine neue Metaphysik als Antipode der
Wissenschaft, noch eine Dämonisierung von Technologie dazu befähigt, die realen Aufgaben
der Neubestimmung der Grenzen des Alltags und des Charakters der sozialen Beziehungen,
somit auch des Domizils zu lösen.

Anmerkungen
*
 Der vorliegende Text war der Einführungsbeitrag zum 2. Giedion-Gespräch, "Neue
Wohnkultur - Von der Mechanisierung zur Elektronisierung des Domizils", das am
09.12.1998 an der Staatlichen Akademie des bildenden Künste Stuttgart stattgefunden hat.

01. Walter Benjamin. Das Passagenwerk. In: Walter Benjamin. Gesammelte Schriften. Bd.
V.1. S. 291f.
02. Sigfried Giedion. Die Herrschaft der Mechanisierung. Frankfurt am Main 1982 (1948).
Seite 368 (Bildlegende zu Abb. 190).
03. Wie Anm. 02. Abb. 199, S. 377 und Abb. 230, Seite 424
04. Wie Anm. 02. Bildlegende zu Abb. 199, S. 377.
05. Wie Anm. 01. S. 292.
06. Wie Anm. 01. S. 513.
07. Tristan Tzara. D'un certain automatisme du Goût. In: Minotaure3/4 (1933), 84. Zit. Nach:
Anthony Fidler. Homes for Cyborgs. In: The Architectural Uncanny - Essays in the Modern
Unhomely. Cambridge (Mass.) 1992. Seiten 147-164.
08. Vgl.: John Heskett. Industrial Design. London 1995 (1980). Seiten 81ff. und 106f.
09. Werner Spies. Max Ernst - Collagen: Inventar und Widerspruch. Ausstellungskatalog.
Köln 1988. Abb. 213, 214, 215, 223.
10. Karin v. Maur. Salvador Dali (1904-1989). Ausstellungskatalog. Stuttgart 1989. S. 179
11. Diller + Scofidio. Bad Press - Housework Series. In: D. Fausch, P. Singley und R. El-
Khoury (Hrsg.). Architecture: In Fashion. New York 1994. Seiten 404-410.
12. Kaplan & Krueger: Renegate Cities. In: News of the Future. Ausstellungskatalog. Graz
1992. Seiten 19-21.
Ken Kaplan und Ted Krueger: Machinenbauteile als Sprache. Ein Gespräch mit Doris von
Drateln. In: Kunstforum, 108 (1990), 249-255.
Ken Kaplan and Ted Krueger. Mosquitos - A Handbook for Survival. Pamphlet Architecture
14. New York 1993.
Interview Kaplan & Krueger. In: M. Mer, Th. Feuerstein und K. Strickner (Hrsg.). In:
Translokation Der ver-rückte Ort - Kunst zwischen Architektur. Wien 1994. Seiten 24-36.
13. Silvia Bovenschen. Soviel Körper war nie - Der Traum ist aus, denn wir sind alle
Cyborgs: Die Marginalisierung des Leibes und seine Wiederkehr als Konstrukt der Medien.
In: Die Zeit, Nr. 47 (14. November 1997), 63f.
14. Donna J. Harraway. A Cyborg Manifesto: Science, Technology, and Socialist-Feminism
in the Late Twentieth Century. In: D.J.Harraway. Simians, Cyborgs and Woen - The
Reinvention of Nature. London 1991. Seiten 149-181.
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