Nostalgie auf Cyberhomes?
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© Sokratis Georgiadis, Stuttgart, Juni 2000 Erstveröffentlichung: Arch+ 152/153, Oktober 2000. Nostalgie auf Cyberhomes?* Nostalgie, Heimweh, homesickness, mal du pays. Noch im 17. Jahrhundert führte man diesen Defekt auf den Mangel an Lebensgeistern im Hirnmark der Menschen zurück. Erst im 20. Jahrhundert wurde das Leiden endgültig psychologisiert und dies schuf gleichsam die Voraussetzungen zu dessen Kriminalisierung. Kein geringerer als Karl Jaspers befasste sich in seiner Doktordissertation mit der Frage der Nostalgie. Er reichte sie 1909 ein, ein Jahr nach Adolf Loos' "Ornament und Verbrechen". Ihr Titel lautete: "Heimweh und Verbrechen." Heimweh bezog sich dabei auf Heimat, doch sowohl Heimat als auch Heimweh hatten und haben immer noch (nicht nur) ihren etymologischen Ursprung im Heim. Beim Verfassen seiner Doktorarbeit konnte Jaspers auf das 19. Jahrhundert zurückblicken, mithin auf ein heimbesessenes, wohnsüchtiges Jahrhundert - wie es Walter Benjamin nannte - , das für alle nur erdenkliche Dinge Ge-häuse schuf: für Taschenuhren, Pantoffeln, Eierbecher, Thermometer, Spielkarten. Und wofür es keine Gehäuse geben konnte, fertigte es Schoner, Läufer, Decken und Überzüge an. Ähnlich verhielt es sich mit der Wohnung. Das 19. Jahrhundert, so Benjamin, "begriff die Wohnung als Futteral des Menschen und bettete ihn mit all seinem Zubehör so tief in sie ein, dass man ans Innere eines Zirkelkastens denken könnte, wo das Instrument mit allen Ersatzteilen in tiefe, meistens violette Samthöhlen gebettet, daliegt." Als "Illusion", als "fata morgana" bezeichnete er das "Interieur" des neunzehnten Jahrhunderts, den Entfaltungsort bürgerlicher Innerlichkeit und zitierte in seinen Aufzeichnungen zu seinem unvollendeten "Passagenwerk" die Replik Adornos auf Sören Kierkegaard: "Die Anordnung der Dinge in der Wohnung heißt Einrichtung. Geschichtlich scheinhafte Gegenstände werden darin als Schein unveränderlicher Natur eingerichtet. Archaische Bilder gehen in Interieur auf: das der Blume als des organischen Lebens; das des Orients als der namentlichen Heimat der Sehnsucht; das des Meeres als das der Ewigkeit selber. Denn der Schein, zu welchem die Dinge ihre geschichtliche Stunde verdammt, ist ewig."1 Sigfried Giedion wiederum machte auf die Irrationalität solcher Einrichtungen aufmerksam, die er auf die "unheimliche Seite im Gefühlsleben des 19. Jahrhunderts" zurückführte, und fügte hinzu, dass weder Logik noch soziologische Analyse imstande wären, Einblick in diese emotionale Vorgänge zu geben. Nur die Kunst sei zu solcher Einsicht fähig: "Die Surrealisten haben zuerst den Tatbestand offenbart. Sie haben in den Sinn und Irrsinn des neunzehnten Jahrhunderts hinabgeleuchtet und gezeigt, wie die unentwirrbare Mischung
aus Banalem und Schaurigem in unser Wesen gewachsen ist".2 Max Ernst' Collagen für "Une semaine de bonté" (1933) und für "La femme 100 têtes" (1929)3 waren Giedions Belege des "horreur du domicile" (Charles Baudelaire), des "Grauens des Domizils". Das Heimliche, das Gewohnte und Gemütliche entpuppten sich darin als Ingredienzien von Orten absoluten Gräuels und tiefster Unheimlichkeit. "Aus den wogenden Vorhängen" - führt er über eine dieser Collagen aus - "und der drückenden Atmosphäre machen die Scheren Max Ernsts eine unterseeische Höhle. Das Interieur atmet Mord und Unentrinnbarkeit. Sind das lebende Körper, Leichen oder Gipsstatuen, in Ruhe oder in Verwesung, tot oder lebendig?"4 Mit allem dem sollte nun das neue Jahrhundert Schluss machen. Um nochmals Benjamin zu zitieren: "Das zwanzigste Jahrhundert machte mit seiner Porosität, Transparenz, seinem Freilicht- und Freiluftwesen dem Wohnen im alten Sinne ein Ende. (...) Der Jugendstil erschütterte das Gehäusewesen aufs tiefste. Heut ist es abgestorben und das Wohnen hat sich vermindert: für die Lebenden durch Hotelzimmer, für die Toten durch Krematorien."5 "Befreites Wohnen": so lautete die Devise. Sie wurde umgesetzt in Form der aseptisch hygienischen Interieurs der klassischen Moderne: Mehr oder weniger bequeme "objets- types", rational in einer perfekt kontrollierten Umwelt angeordnet. Technologie sollte über allem walten und den Schein des natürlich Naturhaften und mit ihm den Mythos oder die Psychopathologie von Heim, Heimat und Heimweh verdrängen. "Corbusiers Schaffen" - schrieb Benjamin - "scheint am Ausgang der mythologischen Figuration 'Haus' zu stehen".6 Aber damit ging das 20. Jahrhundert offenbar bereits zu weit. Denn selbst für Benjamin war das Wohnen im hergebrachten Sinn nicht nur eine extreme Form des Daseinszustands des 19. Jahrhunderts, sondern auch etwas, worin "das Uralte - vielleicht Ewige - erkannt werden muss, das Abbild des Aufenthalts des Menschen im Mutterschoße". Das Haus als Gleichnis des Mutterleibs, das war überhaupt ein Topos in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts. Das Wohnhaus, so Sigmund Freud in seinem Buch "Das Unbehagen in der Kultur" (1929), sei ein Ersatz für den Mutterleib, die erste wahrscheinlich noch immer ersehnte Behausung, in der man sicher sei und sich wohl fühle. Freud spielte auf den Uterus an, andere Autoren folgten ihm oder weiteten ihre Ausführungen auch auf andere Bereiche der (doch stets) weiblichen Anatomie aus. So etwa Tristan Tzara: "Von der Höhle, der Erdwohnung des Menschen, 'der Mutter'", schrieb er, "über die Eskimo-Jurte als Mittelform zwischen Grotte und Zelt (ein beachtenswertes Beispiel uteriner Konstruktion übrigens, die man durch Hohlräume vaginaler Form betritt), bis zur konischen oder hemisphärischen Hütte mit einem sakrale Bedeutung tragenden Pfosten an deren Eingang versehen, symbolisiert die Wohnstätte pränatale
Behaglichkeit."7 Die Technologie hatte nicht nur die schwülen Interieurs des 19. Jahrhunderts demontiert, sondern mit ihnen auch das tief im menschlichen Unbewussten eingeprägte Begehren nach Rückkehr in einen Zustand embryonischen Glücks blockiert. Was war passiert? Begünstigt von der Mechanisierung wurde ein neuer Wertmaßstab bei der Planung und Einrichtung der Wohnung eingeführt (oder zumindest angedacht), geprägt von Standardisierung und Rationalisierung. Licht und Luft sollte dabei in die muffigen klaustrophobischen Salons eindringen und, was für die Einen die Befreiung von Platzangst und Bedrängnis bedeutete, wurde von den Anderen offenbar schon als eine Ankündigung der endgültigen Entfremdung des menschlichen Körpers von seiner natürlichen Umgebung empfunden oder besser - um Adorno nochmals zu zitieren - "vom Schein unveränderlicher Natur", einer Abkoppelung also, die damals schon weniger den Charakter einer wirklichen Abnabelung als den des plötzlichen Erwachens aus dem Traum von der Rückkehr in den Mutterschoß hatte. Was aber jenseits der jeweiligen Empfindungen sicherlich zutraf, war, dass dieser Körper auch in seiner häuslichen Umgebung Objekt der Rationalisierung wurde. Wissenschaftliche Untersuchungen wurden durchgeführt, deren Gegenstand nicht nur der effektive Einsatz des Körpers als maschinenbedienendes Arbeitsinstrument in der Sphäre der Produktion, sondern auch die Effektivierung seiner Regeneration war. Die Mechanisierung und Rationalisierung des Haushaltes, zielte zudem auf die Ersparnis von Arbeitskraft, von weiblicher Arbeitskraft zumal, um das überschüssige Quantum wiederum für die Warenproduktion nutzten zu können. Ersparnis von Ressourcen, Ersparnis von Arbeit - man denke an Loos' Polemik gegen das Ornament - waren die Hauptargumente, mit denen die neue puritanische Ästhetik der Enthaltsamkeit ankam und das Haus schnurstracks in einen OP verwandeln wollte. Diese Entwicklung fing früh an. Noch während der "Herrschaftszeit des Tapezierers", bereits 1869, publizierten Catherine Brecher und ihre Schwester Harriet das Buch "The American Woman's Home", in dem sie radikale Änderungen in der Organisation und der Raumplanung von Küchen nach dem Vorbild der kompakten und praktischen Möblierung eines Segelschiffes vorschlugen. In den Ausführungen und Illustrationen des Buches war im Prinzip die Frankfurter Küche bereits präfiguriert. Und es waren in der Tat die zwanziger und dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts gewesen, in denen die rationale Organisation von Haushaltsarbeit und häuslicher Regeneration gepaart mit der Mechanisierung der dazugehörigen Ausstattung ihren Triumphzug auch im Domizil feierten. Die Reaktionen auf diese Entwicklung oszillierten, wie schon gesagt, zwischen Begeisterung und Skepsis. Symptomatisch für die erste Haltung war sicherlich der beachtliche Absatz der neuen Produkte der Industrie, der enorme kommerzielle Erfolg der elektrischen
Haushaltsgeräte. Nur ein Beispiel dafür ist der Coldspot-Kühlschrank von Raymond Loewy (1935) in den Vereinigten Staaten. Loewy, der seit 1932 im Auftrag der Firma Sears Roebuck Co. stand, revolutionierte dieses Produkt auf spektakuläre Weise. Ein weiß emaillierter Stahlkasten mit bündig schließender Tür und appliziertem Dekor aus verchromten Teilen enthielt in seinem Inneren eine Reihe von Raffinessen so z.B. eine halbautomatische Vorrichtung zum Abtauen oder ein Tablett zum sofortigen Abwerfen der Eiswürfel. Die jährliche Verkaufszahl dieses Produkts, das zu vielem fähig war, das aber, wie die entsprechende Werbung ausdrücklich betonte, ein formvollendetes Äußeres aufwies, stieg innerhalb von fünf Jahren von 15.000 auf 275.000 Stück an.8 Die Lösung des Körpers vom Ge-wohnten und Ge-wöhnlichen, seine Verwandlung zum Gegenstand der Rationalisierung begleitet vom Abbruch der symbolischen Verknüpfung zwischen Behausung und Natur wurde andererseits als hoher Verlust und entscheidendes Defizit der Modernisierung empfunden. Das Zusammenkitten der aufgetretenen Brüche im Sinne einer Vereinnahmung des technischen Artefakts von der von diesem selbst bedrohten Natur avancierte zu einem zentralen Desiderat der Zeit, an dem sich aber zugleich die künstlerische Phantasie entzündete und einmal mehr die Rolle des zuverlässigen Barometers der aktuellen kulturellen Gemütslage übernahm. Die Verschmelzung der scheinhaften oder gar der leiblichen Natur des Menschen und des Tieres mit dem technischen Gegenstand wurde als Thema sowohl in seiner allgemeinsten Hinsicht als auch in seinem Zusammenhang mit der Mechanisierung der privaten Umgebung gestellt. Natürlich konnte hier die Kunstavantgarde, vor allem die surrealistische, auf einen reichen romantischen Fundus zurückgreifen von E.T.A. Hoffmanns Olimpia bis zu Lady Shelleys Frankenstein. Und wieder ist es Max Ernst gewesen, der selbst das vom göttlichen Willen gesteuerte Ereignis von Verkündigung und Fleischwerdung im Sinne des Zusammenwirkens von Menschenleib, heiligem Geist und Maschine ironisch umdeutete. Die "unbefleckte Empfängnis" (so der Titel einer Serie von Gravuren in "La femme 100 têtes)9 wurde als ein technisch vollends kontrollierter Vorgang interpretiert, der sogar die Möglichkeit des mehrmaligen Scheiterns zuließ, bis schließlich das gewünschte Resultat eintreten konnte. Natur und Gerät verbanden sich auch in Salvador Dalis "Aphrodisischem Telephon" von 1936.10 Das natürlich/erotische Element war zugleich das schlechthin architektonische: "Ich esse gerne Speisen mit ausgeprägten Formen", sagte Dali einmal... "Am liebsten solche, die die Knochen außen und das Fleisch innen haben - wie Hummer und Krebse. Sie haben die höchst intelligente Idee, ihre Knochen außen zu tragen - statt innen wie wir... Speisen müssen etwas Architektonisches haben."
Anders als die Surrealisten holen heutige Künstler dieselbe Problematik aus den dunklen Tiefen des Unterbewussten heraus und entwickeln Strategien, welche sowohl entlarvend als auch subversiv sind. "Bad Press" ist der Titel eines Projekts der Architekten Elisabeth Diller und Ricardo Scofidio, in dessen Rahmen sie sich mit dem Vorgang des Bügelns auseinandersetzen. Diller und Scofidio äußern ihre Verwunderung darüber, dass trotz allen soziokulturellen Wandels gewisse Praktiken der Hausarbeit unantastbar zu bleiben scheinen. Das Bügeln beispielsweise ist an Minima gebunden. Ein Minimum an Anstrengung wird eingesetzt, um das Hemd in ein minimales rechteckiges Format zu bringen, welches als zweidimensionale Einheit ein Minimum an Raum beansprucht. Wenn das geglättete Hemd getragen wird, so zeichnet sich die orthogonale Logik der Effizienz am Körper ab. Die parallelen Bügelfalten, die frischen Ecken eines sauberen, geglätteten Hemdes sind begehrte Embleme der Verfeinerung. Dieses Nebenprodukt der Effizienz hat sich in ein neues Lustobjekt verwandelt. Diese Bemerkungen führen die beiden Architekten dazu, über ein alternatives, nicht mehr funktionales Bügeln nachzudenken. Ohnehin, fügen sie hinzu, entspräche ein disfunktionales Bügeln den Bedingungen der postindustriellen Familie.11 Auch Ken Kaplan und Ted Krueger von "K&K Research and Development" würden der Diagnose/Strategie des Disfunktionalen zustimmen. Die Erfinder der Analoga, der abtrünnigen Städte und der Mosquitos zweifeln aber sehr stark daran, ob unter postindustriellen Bedingungen die Scheidungen zwischen öffentlich und privat verrichteter Arbeit, zwischen Leib und Maschine, zwischen Natur und Technik, Scheidungen mithin, die allesamt den Diskurs der Moderne geprägt hatten, aufrechterhalten werden können. Dogmatisches Gas zwingt die Menschen zu mutieren und zwar unter Anwendung der "anti- dogmatic-gas-attack-technology, die das binäre Dogma mit der analogen menschlichen Natur zu versöhnen vermag. Dies war die Basis zur Herstellung des ersten Analogon an der Columbia University in New York im Jahre 1988. Dieses ist jedoch nur ein Partikel des umfassenderen Projekts der Renegade Cities. Ein typisches Exemplar hiervon ist das Bureau- Dicto (ein Kürzel für dictatorship of bureaucracy), eine technologische Landschaft, die für eine allgemeine soziochemische Balance sorgt, welche dadurch erzeugt wird, dass durch ununterbrochenes Computerprogrammieren Versicherungsverkäufer, Kreditkartenkontrolleure, Chefs von Sushirestaurants und Aktivisten von Gemüserechten im Banne dieser Landschaft gehalten werden.12
Die heutige elektronische Industrie wirbt mit dem "Intelligent home" als Zukunftsvision des Hauses. Die Hausapparate erhalten ein Höchstmaß an modernster elektronischer Ausrüstung, welche die körperliche Anstrengung bei ihrer Nutzung auf ein kaum noch nennenswertes Maß minimiert. Indes stellt die Perfektionierung des Apparats nur den ersten Schritt zum umfassenden "intelligent home" dar, denn nicht auf das Einzelgerät kommt es darin vor allem an, sondern auf die elektronisch gesteuerte Gesamtausstattung des Hauses und die Vernetzung ihrer einzelnen Komponenten innerhalb eines einziges Systems. Automatisch werden die Lichtstärke des Aufenthaltsraumes reguliert, die Temperatur des Badewassers angepasst, vom Kühlschrank die Lebensmittel per e-mail beim Supermarkt bestellt, derweil der Hausbewohner sich mit seinem elektronischen Hund amüsiert. Mit einer Chipkarte, die in einen Schlitz unterhalb seines Schwanzes eingeführt wird, kann der Hund vielfältig zur großen Belustigung seines Eigentümers umprogrammiert werden. "It's not a trick - It's a SONY!". Betriebsunfälle halten sich dabei in Grenzen. Von einem solchen handelt etwa Philip Kerrs "Game Over", wo das "intelligent" (in diesem Falle) Bürohaus zum "killer-home" mutiert und für etliche Morde verantwortlich ist, die unter seinem Dach passieren. Doch werden sie schließlich allesamt gesühnt mit der spektakulären, sowie restlosen Vernichtung des Hauses und seines Architekten. Diese Überspitzung ist jedoch vorerst nur "fiction". Die Werbung für das "intelligent home" bescheidet sich hingegen, und das ist bemerkenswert, mit einer Rhetorik, die sich kaum von der modernistischen unterscheidet. Sparsamkeit, Komfort und Sicherheit sind die Eigenschaften aufgrund welcher das elektronische Haus gepriesen wird, genauso wie vor fünfzig Jahren das mechanisierte. Das elektronische Haus wird mithin - zumindest im Rahmen dieser Werbestrategie - als nichts weniger aber auch nichts mehr als Steigerung und Perfektionierung des mechanischen präsentiert. Qualitativ scheint sich hierbei nichts wesentliches geändert zu haben. Eine zweite Strategie der Werbung besteht jedoch darin, den Akzent nicht so sehr auf die praktischen, sondern vor allem auf die "ideellen" Möglichkeiten zu setzen, welche das technisch perfekte Produkt Haus freizulegen vermag. Dadurch daß es seine Bewohner vom Zwang häuslicher Arbeit zu befreien verspricht, erscheint es nämlich erst recht als Verwirklichung des Traums vom trauten Heim, von der (scheinhaft) natürlichen Oase, als Totalisierung häuslicher Geborgenheit und Glücks. Und in der Tat: die Industrie hält was die Werbung verspricht. Im "intelligenten Häusle" können Komfort kombiniert mit Öldruckbild und Monitor, Krüppelwalmdach und Überwachungskamera den "horreur du domicile" problemlos wiederherstellen, bewährte
mentale Gewohnheiten dadurch effektiv bedienen und nicht zuletzt die surrealistische Kritik an der Technisierung des Privaten aufs Äußerste pervertieren. Dadurch bekommt aber das elektronische Haus Probleme mit der Zukunft. Kaum darin berücksichtigt ist nämlich das, was etwa in den Arbeiten von Kaplan und Krueger angelegt war und darauf hindeutete, dass mit der elektronischen Revolution der surrealistische Traum der Verschmelzung von Körper und Maschine nunmehr nicht als fin-de-siècle-Mythos, sondern als profane Realität sich präsentiert. Der Körper ist Gegenstand der biotechnologischen aber auch der elektronischen Manipulation, also genauso wie das Haus Designobjekt geworden. Silvia Bovenschen spricht von der Unmöglichkeit "die 'Eigentlichkeit' unserer Körper frei(zu)halten von allen elektronischen Zumutungen, als bilde der Leib eine natürliche Oase inmitten der rasenden Entwicklungen der Kommunikations- und Informationstechnologien" und fügt affirmativ hinzu, dass "in Zukunft Körperdesigner und Körperingenieure das Erbe unserer Modeschaffenden antreten" werden.13 Auf das "intelligent home" gewendet bedeutet aber dies, dass es ohne Entfaltung einer Strategie des interaktiven Design, das sowohl Körper als auch Apparat einschließt, kaum Zukunftschancen hat. Über diese Zukunft - und ihre Risiken zumal für Wohnsüchtige - hat sich auf besonders eindrückliche Weise die amerikanische Wissenschaftshistorikerin Donna J. Haraway in ihrem viel beachteten "Cyborg Manifesto" geäußert. "Ein Cyborg", schreibt sie, "ist ein Hybrid aus Maschine und Organismus, eine Kreatur der sozialen Wirklichkeit als auch der Phantasie.(...) Das Cyborg ist der Voreingenommenheit, Ironie, Intimität und Perversität fest verpflichtet. Es ist oppositionell, utopisch und vollends ohne Unschuld. Da es nicht mehr nach dem Gegensatz öffentlich/privat beschaffen ist, legt das Cyborg eine technologische Polis fest, die zum Teil auf einer Revolution der sozialen Beziehungen im 'oikos', d.h. im Hauhalt begründet ist. Natur und Kultur werden neu definiert, die eine kann nicht mehr als Ressource zur Aneignung und Einverleibung seitens der anderen dienen. Die Beziehungen, die Ganzheiten aus Teilen bilden, einschließlich derjenigen der Polarität und der hierarchischen Herrschaft stehen in der Cyborg-Welt zur Disposition. Anders als das Frankenstein-Monster hofft das Cyborg nicht auf die Rettung durch den Vater, der den Garten wiederherstellen soll (...) Das Cyborg träumt nicht von einer Gemeinschaft nach dem Vorbild der organischen Familie, der diesmal das ödipale Projekt abhanden gekommen ist. Es würde den Garten von Eden nicht erkennen, es ist nicht aus Erde geformt und träumt nicht von einer Rückkehr zu Staub. (...) Cyborgs sind nicht ehrfürchtig und sie erinnern sich des Kosmos nicht. Sie sind mißtrauisch gegenüber dem Holismus, aber sie suchen den Kontakt (...). Die größte Schwierigkeit mit den Cyborgs ist,
dass sie das illegitime Produkt des Militarismus, des patriarchalischen Kapitalismus sind, um vom Sozialismus ganz zu schweigen. Aber illegitime Nachkommen sind gegenüber ihrem Ursprung oft besonders untreu. Ihre Väter sind schließlich unwesentlich."14 Haraway lässt offen, ob aus dem surrealistischen Traum ein realistischer Albtraum, beziehungsweise ein grausames Erwachen wird. Obwohl sie diese Möglichkeit nicht ausschließen will, betont sie andererseits, dass weder eine neue Metaphysik als Antipode der Wissenschaft, noch eine Dämonisierung von Technologie dazu befähigt, die realen Aufgaben der Neubestimmung der Grenzen des Alltags und des Charakters der sozialen Beziehungen, somit auch des Domizils zu lösen. Anmerkungen * Der vorliegende Text war der Einführungsbeitrag zum 2. Giedion-Gespräch, "Neue Wohnkultur - Von der Mechanisierung zur Elektronisierung des Domizils", das am 09.12.1998 an der Staatlichen Akademie des bildenden Künste Stuttgart stattgefunden hat. 01. Walter Benjamin. Das Passagenwerk. In: Walter Benjamin. Gesammelte Schriften. Bd. V.1. S. 291f. 02. Sigfried Giedion. Die Herrschaft der Mechanisierung. Frankfurt am Main 1982 (1948). Seite 368 (Bildlegende zu Abb. 190). 03. Wie Anm. 02. Abb. 199, S. 377 und Abb. 230, Seite 424 04. Wie Anm. 02. Bildlegende zu Abb. 199, S. 377. 05. Wie Anm. 01. S. 292. 06. Wie Anm. 01. S. 513. 07. Tristan Tzara. D'un certain automatisme du Goût. In: Minotaure3/4 (1933), 84. Zit. Nach: Anthony Fidler. Homes for Cyborgs. In: The Architectural Uncanny - Essays in the Modern Unhomely. Cambridge (Mass.) 1992. Seiten 147-164. 08. Vgl.: John Heskett. Industrial Design. London 1995 (1980). Seiten 81ff. und 106f. 09. Werner Spies. Max Ernst - Collagen: Inventar und Widerspruch. Ausstellungskatalog. Köln 1988. Abb. 213, 214, 215, 223. 10. Karin v. Maur. Salvador Dali (1904-1989). Ausstellungskatalog. Stuttgart 1989. S. 179 11. Diller + Scofidio. Bad Press - Housework Series. In: D. Fausch, P. Singley und R. El- Khoury (Hrsg.). Architecture: In Fashion. New York 1994. Seiten 404-410. 12. Kaplan & Krueger: Renegate Cities. In: News of the Future. Ausstellungskatalog. Graz 1992. Seiten 19-21. Ken Kaplan und Ted Krueger: Machinenbauteile als Sprache. Ein Gespräch mit Doris von Drateln. In: Kunstforum, 108 (1990), 249-255. Ken Kaplan and Ted Krueger. Mosquitos - A Handbook for Survival. Pamphlet Architecture 14. New York 1993. Interview Kaplan & Krueger. In: M. Mer, Th. Feuerstein und K. Strickner (Hrsg.). In: Translokation Der ver-rückte Ort - Kunst zwischen Architektur. Wien 1994. Seiten 24-36. 13. Silvia Bovenschen. Soviel Körper war nie - Der Traum ist aus, denn wir sind alle Cyborgs: Die Marginalisierung des Leibes und seine Wiederkehr als Konstrukt der Medien. In: Die Zeit, Nr. 47 (14. November 1997), 63f.
14. Donna J. Harraway. A Cyborg Manifesto: Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century. In: D.J.Harraway. Simians, Cyborgs and Woen - The Reinvention of Nature. London 1991. Seiten 149-181.
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