Die Simpsons - Subversion zur Prime-Time - Michael Gruteser/Thomas Klein Andreas Rauscher (Hrsg.)

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Michael Gruteser/Thomas Klein
        Andreas Rauscher (Hrsg.)

     Die Simpsons –
Subversion zur Prime-Time
Inhalt

Vorwort                                                            7

Michael Gruteser/Thomas Klein/Andreas Rauscher
Die gelben Seiten von Springfield: Eine Einführung                 9

Diedrich Diederichsen
Die SIMPSONS der Gesellschaft                                     16

Thomas Klein
Prügelviehzeug – zur Entwicklung des soziopathischen
Anticharakters im Cartoon                                         24

Michael Gruteser
Family Ties                                                       48

Emanuel Ernst/Sven Werkmeister
Little Shop of Homers – Skizzen zum SIMPSONS-Sellout              77

Andreas Rauscher
Method Acting im Kwik-E-Mart – die Medientheorien der SIMPSONS   102

Christian Hißnauer
Von Bier trinkenden Männern und Blut saugenden Hausfrauen
Temporäre Brüche in den Geschlechterbildern bei den SIMPSONS
                                                                 140
N. Devrim Tuncel/Andreas Rauscher
Die Mythen des Springfield-Alltags
SIMPSONS als Politsatire                                         152

Jörg C. Kachel
Topographia Americana
There‘s no Place like Home!                                      165

Andreas Rauscher
The Hitchhiker’s Guide To Society – FUTURAMA                     181
6

Episoden-Guide   197

Bibiliographie   221

Die Autoren      224
Vorwort

„Fat bottomed girls you make the rockin´world   ran gewöhnen, nicht unbedingt werbe-
go ´round“                                      wirksam reflektiert zu werden. Das Recht
Queen                                           auf diese Reflexion haben sich die Autoren
                                                der SIMPSONS inzwischen mit einer gewis-
Natürlich ist die Versuchung groß, ein gan-     sen Narrenfreiheit erworben und der ame-
zes Buch allein der Beziehung Homer             rikanische Volkssport sueing scheint an
Simpsons zu Queen resp. seinem Verständ-        dieser Produktion vorüberzugehen. Viel-
nis von Rockmusik zu widmen. Wie Pink           leicht hat man sich inzwischen aber auch
Floyd und Grand Funk Railroad, sind             an ein Popularitätskonzept gewöhnt, in
Queen eine jener Gruppen deren Platten          dem any news good news sind.
die Postpunk-Generation zu einem gewis-             Das offene Format der SIMPSONS hat
sen Zeitpunkt der Sozialisation von sich        uns dazu inspiriert, einen gleichfalls offe-
stoßen mußte (was Homer als Protagonist         nen Reader zu gestalten, in dem wir das
der PrePunk-Generation nicht wußte). Pe-        Fernsehprodukt SIMPSONS unter verschie-
ter Frampton als Headliner des Lollapaloo-      denen sozialen, politischen und medialen
za-Festivals? Der Spaß über den Ernst, mit      Gesichtspunkten betrachten. Es erschien
dem Popkultur verwaltet wird, trifft auf ein    uns am sinnfälligsten an einem cultural
popsozialisiertes Publikum, das im Gegen-       studies betreibenden Gegenstand selbst
teil gar nicht böse darüber ist, sondern sich   cultural studies zu betreiben – D´Oh!
freut als einzelne Pop-Typen überhaupt              Doch zunächst wollen wir all jenen
thematisiert zu werden.                         danken, die zur Entstehung dieses Buches
                                                beigetragen haben: den Autoren Emanuel
„Oh, wie schön das endlich mal jemand an        Ernst, Christian Hißnauer, Jörg C. Kachel,
uns denkt.“                                     Devrim Tuncel, Sven Werkmeister und
Die Stärke der SIMPSONS besteht darin, ein      ganz besonders Diedrich Diederichsen,
bisher geschlossenes Format so offen wie        dessen Simpsons der Gesellschaft zunächst
möglich zu gestalten. Im vollen Bewußt-         eine wertvolle theoretische Hilfe leistete,
sein, daß man an einer kommerziell expo-        um dann zu unserer großen Freude auch
nierten Stelle – der Prime Time – produ-        noch den Weg in den Reader zu finden;
ziert, versuchte das Autorenkollektiv der       Annette Schüren für ihr Interesse und ihre
SIMPSONS gemeinsam mit ihrem Schöpfer           Geduld; und den unzähligen Diskussions-
Matt Groening, so weit wie möglich zu ge-       partnern in unzähligen Videonächten.
hen. Das bedeutet nicht zuletzt, das Ver-
ständnis von Kommerz zu dehnen. Im Ver-         Mainz im Juni 2001
lauf der Serie mußten sich real existierende    Die Herausgeber
Medienpersönlichkeiten und Produkte da-
Michael Gruteser/Thomas Klein/Andreas Rauscher

Die gelben Seiten von Springfield:
Eine Einführung

„Ich kann eine Flutwelle nicht aufhalten, aber   aber auch das war noch nicht genug. Den
ich kann sehr wohl auf ihr surfen.“              Gipfel der Nutzbarkeit bildete bisher viel-
Matt Groening1                                   leicht die Saison 2000/2001, da die Daily-
                                                 Rotation als Double Feature in der Wiederho-
„Im Zerfall in die Mikroprozesse wird die Welt   lung und jeden Montag die deutsche Erst-
gleichzeitig unitarisch, und auf ihnen müssen    ausstrahlung zur Prime Time (21:15 Uhr)
wir surfen. Wir können nicht mehr in die Tiefe   platziert waren – bis zu 80 Minuten SIMP-
dringen, sondern müssen uns auf der Oberflä-     SONS pro Tag. 1998 entstand bei der Film-
che dieses einheitlichen Prozesses bewegen,      zeitschrift SCREENSHOT ein Schwerpunktthe-
eine Welle in der Welle sein.“                   ma zu den SIMPSONS, in der Jahresrückbli-
                  2
Jean Baudrillard                                 ckausgabe der Zeitschrift SPEX stürzte ein
                                                 kleiner Homer vom unteren Rand des Co-
Das ZDF, so will es die Legende, soll Anfang     vers. Die SIMPSONS begannen im deutsch-
der 90er Jahre gedacht haben: „Da haben          sprachigen Raum nun endlich der Hype zu
wir den neuen ALF gekauft.“ Ein anderer          werden, als der sie seit Beginn der 90er aus
Sender freute sich einige Jahre später, dass     den USA importiert wurden. Das Ressenti-
es sich bei bejubeltem Produkt eben nicht        ment gegen die Wiederholung aus der Zeit
um den neuen ALF handelte, sondern um            des dreifaltigen Fernsehens wurde im Ver-
einen Dauerbrenner. Eine Zeichentrick-           lauf der Rotationszeit der SIMPSONS zum Ju-
serie, nach deutschem Verständnis also ein       belruf. Selten ist eine Folge nach einmali-
Kinderformat, das man, zehn Jahre nach           gem Sehen in ihren verschachtelten, ver-
dem allzu schüchternen Jubel des ZDF, so-        steckten und sprunghaften Gags und An-
gar in der Prime Time platzieren konnte.         spielungen vollständig erschließbar oder
     Viele Menschen begannen jenes Pro-          gar verbraucht.
dukt für die eigene Ewigkeit auf vier Stun-          Die SIMPSONS sind selbst als zu rezipie-
den-Tapes zu archivieren und mit zuneh-          rendes Produkt identifizierbar und somit
mender Freude in eigengestalteten Wieder-        zumindest doppelt codiert. Sie präsentie-
holungen zu rezipieren. Manche hatten gar        ren sich als Fiktion, als erfundene Ge-
noch Aufnahmen aus der Anfangszeit beim          schichte, reflektieren aber gleichzeitig die
ZDF. Es entstand eine Art Schwarzmarkt der       Methode der Erfindung, die sie darstellen.
Wiederholung, ein Wort, das im Verlauf der       Und sie erfinden eine Rezeption von Er-
sisyphosschen Suche des Fernsehens nach          fundenem, was die Banalität ihrer eigenen
dem perfekten Programm tabuisiert worden         Erfindung über sich selbst hinaushebt. In
ist. Inzwischen war „der neue ALF“ beim          Amerika ist vor kurzem ein philosophi-
Sender Pro7 in die Daily-Rotation gegangen,      scher Reader zu den SIMPSONS erschienen

1    Zitiert nach Strauß 1996, S. 23.
2    Baudrillard 1991, S. 87.
10                      Gruteser/Klein/Rauscher

     und international finden an Universitäten
     immer wieder Seminare zu den SIMPSONS
     statt. Die interessierten wissenschaftli-
     chen Disziplinen sind breit gefächert, nur
     auf eine Physik der Simpsons werden wir
     wohl verzichten müssen.
          Was die SIMPSONS für die (unpopuläre)
     Wissenschaft interessant macht, ist, dass
     sie als Objekt der Kritik selbst kritisch sind,
     also selbst (populäre) Wissenschaft betrei-
     ben. Das versuchten auch schon Oscar
     Wilde oder Joris K. Huysmanns. Diese ar-
     beiteten jedoch mit einem geheimen Wis-
     sen, das eine breite Schicht von Nichtwis-
     senden nur anerkennungsvoll nickend zur
     Kenntnis nehmen konnte.
          Die SIMPSONS operieren hingegen mit
     öffentlichem Wissen, bzw. machen Wis-
     sen öffentlich. Das für konventionelle Sit-
     coms konstituierende Set des überschau-
     baren American Standard Home, ausgestat-
     tet mit Couch, Kühlschrank und Fernse-
     her, diente lediglich als Ausgangsbasis für
     einen schillernden Kosmos, in dem der ge-
     sellschaftliche Alltag unter den Bedingun-
     gen der Postmoderne verhandelt wurde.
     Die anfänglichen Routineplots um das ge-
     rade noch gerettete Weihnachtsfest, den
     von Bart Simpson geklauten Statuenkopf
     des Stadtgründers Jebediah, und Marges
     Versuchung durch den „schönen Jacques“
     wichen einer reflektierten Erzählhaltung.
     Damit verließen die SIMPSONS auch das si-
     chere Terrain der handelsüblichen Sit-
     coms. Im Gegensatz zur hermetisch abge-
     riegelten kleinen Welt der gnadenlosen
     guten Laune zeichneten sie sich durch ei-
     nen gezielten Cartoon-Realismus aus.
     Matt Groening gab immer wieder als Devi-
     se aus, weniger cartoonesk zu zeichnen.
     Stattdessen standen jene detailgenau be-
     obachteten Widrigkeiten des Alltags im
     Mittelpunkt, deren markantes Synonym
     inzwischen seinen Weg ins „Oxford En-
     glish Dictionary“ gefunden hat. Dort fin-
     det man als Definition für Homer Simp-
     sons favorisierte Catchphrase „D´Oh!“:
Die gelben Seiten von Springfield             11

„Expressing frustration at the realization
that things have turned out badly or not as
planned, or that one has just said or done
                     3
something foolish.” Die Working Class er-
oberte in Form einer Zeichentrickserie die
Prime Time. Mit dem anarchischen Elan
der frühen Warner-Cartoons überschrit-
ten die SIMPSONS eine der letzten Grenzen
der klassischen Zeichentrickserien und
schufen ein realistisches Cartoon-Abbild
der heutigen Gesellschaft.
    Das American Standard Home verwan-
delte sich in ein Fenster zur Welt mit dem
Fernseher an exponierter Stelle. Wenn das
Außen in die Welt der Familie eindrang,
bedeutete dies nicht mehr, dass einfach
nur der verhasste Nachbar (im Fall der
SIMPSONS der moralisch überambitionierte
Ned Flanders) vor der Tür stand. Seit dem
Besuch Michael Jacksons als Geburtstags-
überraschung (Stark Raving Dad) für Lisa
tummeln sich immer wieder Stars in
Springfield, die in der Serie ihre Car-
toon-Abbilder selbst synchronisieren. Die
drei überlebenden Beatles, John Waters,
Leonard Nimoy, Stephen Hawking, Jasper
Johns und zahlreiche andere Celebrities
geben sich seit einigen Jahren bei den
SIMPSONS gegenseitig die Klinke in die
Hand. Mit Hilfe des Zeichentrickformats
konnten auch Präsidenten wie George
Bush und Bill Clinton, die sich nicht an
der Produktion der Serie beteiligen woll-
ten, in die Welt der Simpsons einbezogen
werden. Die Interaktion mit der cartooni-
sierten Realität außerhalb Springfields be-
schränkte sich nicht einfach auf einen
amüsanten Insider-Gag. Die ständig erwei-
terte, imaginäre und dennoch stets auf äu-
ßere Realitäten und Fiktionen verweisende
Landkarte der SIMPSONS umfasst eine edu-
cation sentimentale in Sachen Gesell-
schafts- und Medienkunde, ohne dabei be-
lehrend zu wirken. Die Simpsons unter-

3    Oxford English Dictionary Online –
     www.oed.com
12                     Gruteser/Klein/Rauscher

     nehmen Ausflüge nach Frankreich, Aus-
     tralien, New York, Florida und Japan. Au-
     ßerhalb Springfields erleben sie jedoch
     keine exotischen Abenteuer, sondern ent-
     decken in erster Linie weitere Mythen des
     Alltags. In Tokio müssen sie an einer ris-
     kanten Spielshow teilnehmen. Die be-
     gehrten Tickets für den Heimflug hängen
     als Gewinn über einem Vulkan, dessen
     brodelnde Lava sich im entscheidenden
     Moment dann doch als Orangensaft des
     Sponsors entpuppt. Bart Simpson droht in
     Australien die rituelle Bestrafung durch
     eine „Stiefelung“ und in Frankreich steht
     das Euro-„Itchy & Scratchy“-Land kurz vor
     dem Bankrott.
          Die SIMPSONS erklären parallel zur ent-
     sprechenden Referenz, was es damit auf
     sich hat und bereiten auch auf eine even-
     tuelle spätere Konfrontation vor, zum Bei-
     spiel mit einer ALF-Wiederholung aus den
     Abgründen der Fernseharchive.
          Dass ALF nur begrenzt witzig ist, kann
     man sich spätestens dann denken, wenn
     Bart Simpson feststellen muss, dass seine
     Seele für einen Packen alter ALF-
     Sammelbilder an den örtlichen Comi-
     chändler verkauft wurde. Neben diesem
     fragwürdigen Lohn eines unheimlichen
     Teufelspakts, ist ALF als Phantom seiner
     vergangenen fünfzehn Minuten Ruhm in
     der Serie omnipräsent. Diese ungewöhnli-
     che Form des intertextuellen coolen Wis-
     sens über uncoole (und coole) Dinge er-
     schließt sich auch Zuschauern, die nicht
     mit den Eskapaden des katzenverschlin-
     genden Gute Laune-Aliens vertraut sind.
          Im Unterschied zu den geschlossenen
     Räumen der klassischen Sitcoms erfolgt
     bei den SIMPSONS die Referenz auf die, das
     American Standard Home umgebende, Me-
     dienwelt nicht nur über die Nennung ei-
     nes Namens, einer Sendung oder eines
     Films. Der Zeichentrickrahmen über-
     schreitet die formalen Grenzen der studio-
     gebundenen Sitcom und bleibt trotzdem
     den Gesetzen des Simpsonschen Car-
Die gelben Seiten von Springfield                                                       13

toon-Realismus verhaftet. In einem mu-
sealen Alptraum über seine mangelhaften
Qualitäten als Outsider-Artist wird Homer
Simpson im wörtlichen Sinne von der
Kunstgeschichte überwältigt: Eine anato-
mische Zeichnung Leonardo Da Vincis at-
tackiert ihn mit Kung Fu-Schlägen, Dalis
Uhren schmelzen über seinem Kopf und
Andy Warhol wirft mit Campbells Sup-
pendosen nach ihm. Der Einschub funk-
tioniert sowohl als surrealer Gag, wie auch
als Ausflug in die Kunstgeschichte. Eine
der zahlreichen gesellschaftlichen, kunst-,
literatur-, medien- oder pophistorischen
Anspielungen aus den SIMPSONS richtig zu
erkennen, bietet einen attraktiven Bonus –
ähnlich dem Gewinn eines Tortenstücks
beim Trivial Pursuit-Spiel. Es ist jedoch
nicht essentiell notwendig für das Ver-
ständnis und den Genuss der Serie.
     Die SIMPSONS sprengen den selbstrefe-
rentiellen Fernseh-Kosmos und offenba-
ren Blicke in die nächsten und entlegens-
ten Kultur-Monaden: Pop-Musik und -Art,
Comics, Film, Politik ... Die Liste der Refe-
renzen, das ist Prinzip, kann nicht vervoll-
ständigt werden. Auf ihr finden sich sogar
ironische Seitenhiebe auf die eigenen öko-
nomischen Bedingungen – von den Mar-
keting-Lizenzen und Sponsoren bis hin
zur Sendezeit und FOX-Besitzer Rupert
Murdoch.
     Dem ausgedehnten inhaltlichen Spek-
trum an Themen und verhandelten Ge-
genständen entspricht das umfangreiche
Ensemble, über das Holm Friebe in der
Wochenzeitung Jungle World anmerkte:            ungefähr an die Inszenierungsformen Ro-
„Mittlerweile über dreißig elaborierte Cha-     bert Altmans, an dessen SHORT CUTS (USA
raktere – mehr als in jeder realen Sitcom –     1993) sie nicht nur in den 22 Short Films
interagieren in Springfield und sorgen für      About Springfield (22 Kurzfilme über Spring-
eine angemessene Repräsentanz auch der          field) geschickt anknüpfen. Ähnlich wie
kleinsten Minderheit, und seien dies jüdi-      der US-amerikanische Regisseur mit euro-
                       4
sche Fernsehclowns.“ – Die Ensemblestra-        päischem Einschlag, erklären sie den En-
tegien der SIMPSONS erinnern nicht von          semble-Film zum Arbeitsprinzip. Darüber

4     Friebe, Jungle World 5/2000.
14                                                                Gruteser/Klein/Rauscher

gelingt den SIMPSONS und Altman sowohl          Arbeit des gesamten SIMPSONS-Ensembles,
die Dokumentation, als auch die Dekon-          sowohl auf der inhaltlichen und drama-
struktion amerikanischer Mythen: von            turgischen Ebene, als auch hinsichtlich
Country-Pop als proletarischem Identifi-        des Produktionsprozesses.
kationsmodell (Colonel Homer/ NASHVILLE,             Was bei einem real existierenden Re-
USA 1975), über Sport als gesellschaftlich      gisseur einen möglichen Bezugsrahmen
gezähmte Form des Krieges (Homer at the         darstellt – sein Stil, seine Themen, seine
Bat/M*A*S*H, USA 1969) bis hin zur Show         Perspektive – ist bei den SIMPSONS zusätz-
als Generator nationaler Mythen (Lisa the       lich und kontinuierlich durch das Fra-
Iconoclast/BUFFALO BILL AND THE INDI-           me-Setting der originären Fiktion präsent.
ANS OR SITTING BULL´S HISTORY LES-              Die Geschichte wird ihrer Autonomie ent-
SON, USA 1976). Dieser Vorgang funktio-         hoben, dafür erhält sie eine neue Konti-
niert in beiden Fällen nicht über die Eta-      nuität. Entgegen den kulturellen Mona-
blierung eines Hauptcharakters, der die zu      den, wie MICKEY MOUSE, ALF sowie des Ame-
verhandelnden Issues alle in einer Person       rican Standard Home ‘Sitcom’, sind die
vereint, sondern über ein ganzes, vom En-       SIMPSONS Popkultur with Attitude und hin-
semble herausgebildetes Patchwork, das          terlassen unter den Gegenwartsfiktionen
auch widersprüchliche Positionen verbin-        einen der lebendigsten Eindrücke. Nicht
den und gegenüberstellen kann.                  zuletzt diese Tatsache hat uns dazu ver-
     Als serielles Produkt operieren die        führt, einen Reader über die SIMPSONS zu-
SIMPSONS als eine Art fiktionaler Autor, im     sammenzustellen, in dem verschiedene
Gegensatz dazu sind Altmans Filme ge-           Autoren sich dem Objekt der allgemeinen
schlossene Sinneinheiten. Die SIMPSONS          Begierde von verschiedenen Seiten nä-
hingegen liefern einen kontinuierlichen         hern.
Kommentar in Serie. Die 22 Short Films               Mit den nicht nur von Bart und Lisa fa-
About Springfield geben nicht nur einen ge-     vorisierten „Itchy & Scratchy“-Kurzfil-
zielten Einblick in den sozialen Alltag von     men, die regelmäßig im Herzstück des
dramaturgischen Randexistenzen, wie             American Standard Home – dem Fernsehen
dem mexikanischen Bumblebee-Man oder            – zu sehen sind, liefert die Serie eine um-
dem Trailer Park-Bewohner Cletus. Elegant       fassende Geschichte des Zeichentrick-
reiht sich in die von zehn SIMPSONS-            films. Diesen selbstreflexiven Diskurs und
Autoren verfasste Folge eine Persiflage auf     den langen Weg des animierten Anticha-
klassische Sitcom-Situationen ein, in de-       rakters von Donald und Daffy Duck zu Ho-
ren Verlauf ein ganzes Haus in Flammen          mer und Bart Simpson zeichnet das Kapi-
aufgeht. Wie beiläufig liefert eine der 22 in   tel „Prügelviehzeug ...“ nach. Die hermeti-
der Episode enthaltenen Geschichten ihre        sche Welt der Kinder und die eigenen Fa-
eigene Variante der berüchtigten Keller-        milienbande der SIMPSONS, ihre Abgren-
szene aus PULP FICTION (USA 1994) – siehe       zung gegenüber klassischen Zeichentrick-
Illustrationen – inklusive eines originellen    familien wie den FLINTSTONES und die Un-
Re-Writes des berühmten „Royal with             terschiede zu den parallelen Welten der
Cheese“-Dialogs, übertragen auf McDo-           PEANUTS stehen im Mittelpunkt des Arti-
nald´s und den serieneigenen Krus-              kels „Family Ties“.
ty-Burger. Nach dem Prinzip des Zusam-               Eine Einführung in das komplexe Re-
menspiels funktioniert nicht nur diese          ferenzsystem der SIMPSONS, das gleichsam
Collage aus der Sozialromantik des späten       eine eigene postmoderne Medientheorie
Altman und Kommentar zu den                     herausgebildet hat, bietet „Method Acting
Pop-Mythen Tarantinos. Es bestimmt die          im Kwik-E-Mart“. Nicht selten entstehen
Die gelben Seiten von Springfield                                                    15

im Mikrokosmos der all american-Town         lenreiter Groening und das Autorenkol-
Springfield, deren Landkarte Jörg C. Ka-     lektiv verstehen es seit über zehn Jahren
chel in „Topographia Americana“ erkun-       immer wieder, die Mechanismen und
det, ganze Genrewelten. Diese lösen sich     Strukturen des medialen Alltags aufzude-
jedoch nie von den gesellschaftlichen Rea-   cken. Ihre Subversion zur Prime Time voll-
litäten. Die Mechanismen der repräsen-       zieht sich im Bewusstsein, selbst ein lukra-
tierten Fiktionen und Wirklichkeiten wer-    tiver Bestandteil der Kulturindustrie zu
den aufgedeckt. „Die Mythen des Spring-      sein, wie Emanuel Ernst und Sven Werk-
field Alltags“ nehmen konkret Bezug auf      meister im „Little Shop of Homers“ aufzei-
das politische Tagesgeschehen. Allein die    gen. Durch die gezielte Unterwanderung
Plots um den Emigranten und Super-           des Mainstreams mit dessen eigenen Mit-
markt-Besitzer Apu eröffnen einen umfas-     teln operieren die SIMPSONS als globales
senden Diskurs um die derzeitige Immigra-    Pop-Phänomen. Sie erklären nicht nur auf
tionspolitik in der westlichen Welt. Einen   allgemein verständliche Weise, wie Hitch-
weiteren wesentlichen politischen Dis-       cocksche Suspense, politischer Populismus
kurs, die „temporären Brüche in den Ge-      und Outsider-Pop-Art funktionieren und
schlechterbildern“ der Serie, analysiert     weshalb man Autoritäten nicht trauen
Christian Hißnauer in dem Artikel „Von       darf, sie haben auch ein ausbaufähiges
Bier trinkenden Männern und Blut sau-        Modell entwickelt, in dem sich die conditi-
genden Hausfrauen“.                          on postmoderne detailliert widerspiegelt.
     Der Hintergrund des durch ein „stän-    Mit der auf den Strategien der SIMPSONS
diges laterales Apropos“ verbundenen         aufbauenden Science Fiction-Satire FUTUR-
SIMPSONS-Patchworks heißt nicht l´art pour   AMA zeigt sich erneut, worauf es den Auto-
l´art, sondern „postmoderne Aufklärung“,     ren ankommt – ein „Hitchhiker´s Guide to
wie Diedrich Diederichsen in „Die Simp-      Society“ als kontinuierlicher work-in-pro-
sons der Gesellschaft“ die wesentliche       gress zwischen Dekonstruktion und Do-
Strategie der Serie präzise benennt. Wel-    nuts.
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