Nutztierstrategie Zukunftsfähige Tierhaltung in Deutschland - Bundesministerium für Ernährung und ...
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NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND Inhalt 1 Einleitung 4 2 Nutztierhaltung in Deutschland – eine Bestandsaufnahme 8 3 Zwischenbilanz – Ausgangspunkt 12 3.1 Forschung/Modell- und Demonstrationsvorhaben 13 3.2 Förderung 16 3.3 Eine Frage der Haltung/freiwillige Vereinbarungen 18 3.4 Zukunftsstrategie Ökologische Landwirtschaft 18 3.5 Spannungsfeld Tierwohl – Umweltschutz 19 3.6 Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats zum Tierwohl 20 4 Handlungsfelder 22 4.1 Bundesprogramm Nutztierhaltung 23 4.2 Förderung 28 4.3 Staatliches Tierwohlkennzeichen 29 4.4 Tierzucht 29 4.5 Ordnungsrecht 30 4.6 Konsum von tierischen Erzeugnissen 33 4.7 Internationaler Agrarhandel 34 4.8 Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik/GAP 35 4.9 Grünlandstrategie 35 4.10 Folgenabschätzung 36 4.11 Weiteres Vorgehen 37 5 Zusammenfassung 38 2
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND Liebe Leserinnen und Leser, die Haltung von Nutztieren, also von Schweinen, könnten und werten hierzu die ersten Erfahrungen aus Rindern, Ziegen, Schafen und Geflügel, gehört zur sogenannten Modell- und Demonstrationsvorhaben Landwirtschaft wie die Luft zum Atmen. Deshalb freue aus. Experten und Landwirte aus der Praxis sind ich mich, dass Sie sich für dieses wichtige Thema eingebunden, unterstützen mit Fachwissen und Emp- interessieren! fehlungen. Deutschland hat einen sehr hohen Tierschutzstandard. Teil des Prozesses ist auch das staatliche Tierwohlkenn Und wer mit Landwirten spricht, der merkt, dass sie zeichen, das es für uns alle einfacher machen soll, selbst nicht nur mit viel Herzblut bei der Sache sind, sondern Einfluss auf das Thema Tierhaltung zu nehmen. auch sensibel mit dem Thema Tierhaltung umgehen. Einfach, indem wir an der Ladenkasse mit unserem Ihnen ist bewusst, dass ihre Arbeit in der Gesellschaft Geldschein entscheiden, wie viel uns das Tierwohl wert intensiv begleitet und diskutiert wird: die Art und ist. Weise, wie moderne Tierhaltung funktioniert, die Frage, welche Auswirkungen die Tierhaltung auf Klima Mehr dazu und wie es weitergeht, erfahren Sie in dieser und Boden hat. Broschüre. Ich wünsche Ihnen eine informative Lektüre! Diese Diskussionen sind wichtig, denn sie tragen dazu bei, dass sich Tierhaltung weiterentwickelt, noch Mit herzlichen Grüßen besser wird. Damit das gelingt, haben wir in meinem Ministerium eine Nutztierstrategie erarbeitet, die den Ihre Weg weisen soll in eine Tierhaltung mit Zukunft. In eine Nutztierhaltung, die breite Zustimmung in der Gesellschaft findet und ökonomisch gut aufgestellt ist. Deshalb nimmt die Strategie – neben dem Tier- wohl – Umwelt- und Klimaschutz genauso in den Blick wie Fragen der Wirtschaftlichkeit. Im Moment sind wir dabei mitten in einem spannen- Julia Klöckner den Prozess. Wir testen, wie neue Ställe aussehen Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft 3
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND Die Landwirtschaft in Deutschland hat sich in den Dieser positiven Entwicklung stehen allerdings große zurückliegenden Jahrzehnten zu einem starken, Herausforderungen gegenüber. In Teilen der Gesell- innovativen Wirtschaftssektor entwickelt. Land- und schaft sinkt die Akzeptanz für die intensive Nutztier- Forstwirtschaft und Fischerei erzielten 2015 einen haltung. Ohne gesellschaftliche Akzeptanz ist die Produktionswert von 52 Mrd. Euro. Insgesamt waren erfolgreiche Nutztierhaltung in Deutschland gefährdet. über 630.000 Personen in diesem Sektor tätig. Inner- Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen oft Platzbe- halb des „Agribusiness“ nimmt die Landwirtschaft eine darf, die Art der Haltung, Zuchtmerkmale, Fütterung Schlüsselstellung ein: Einem landwirtschaftlichen der Tiere, nicht kurative Eingriffe und der Einsatz von Arbeitsplatz stehen sieben weitere Arbeitsplätze in den Antibiotika sowie die Emissionen aus der Tierhaltung. vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen gegen- Gleichzeitig wird der nationale und internationale über. Wettbewerb tendenziell schärfer. Aufgabe der Politik muss es deshalb sein, über bereits vollzogene Verände- Das gesamte Agribusiness erbrachte 2015 einen rungen zu sprechen und auf die ökonomischen Rah- Produktionswert von geschätzten 445 Mrd. Euro oder menbedingungen hinzuweisen. Diese Rahmenbedin- gut 8 % des gesamtwirtschaftlichen Produktionswer- gungen sind so zu gestalten, dass die Gegensätze tes. In den letzten Jahren ist es gelungen, diese Position abgebaut und gesellschaftlich akzeptierte Produktions- international auszubauen, Marktanteile zu gewinnen, verfahren auch ökonomisch tragfähig sind. Das gesell- die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, Exportchancen schaftlich Wünschenswerte muss mit dem ökonomisch zu nutzen und dabei den heimischen Verbraucherinnen Machbaren in Einklang gebracht werden. Der nationa- und Verbrauchern qualitativ hochwertige Lebensmittel len Nutztierstrategie kommt damit eine herausragende anzubieten. Die Tierhaltung hat an dieser Entwicklung Bedeutung zu. Die Erzeugung von Milch, Fleisch und des Agrarsektors einen entscheidenden Anteil. Eiern gehört traditionell zur deutschen Landwirtschaft und zum ländlichen Raum und ist unverzichtbar. Verbraucher schätzen Qualität und Vielfalt der hoch- wertigen Produkte. Das Bundesministerium für Ernäh- rung und Landwirtschaft setzt sich für eine zukunftsfähige und stabile deutsche Nutztierhaltung ein. 5
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND Die Ansprüche zur Veränderung der Tierhaltung, die immer wieder formuliert werden, müssen sich auch Die Begriffe „Tierwohl“ und „Tiergerechtheit“ der kritischen Bewertung stellen, soweit sie nicht verbinden die Bereiche Tiergesundheit, Tierverhalten vom Ziel geleitet sind, die Veredelungswirtschaft in und Emotionen. Wenn Tiere gesund sind, ihr Normal- Deutschland insgesamt infrage zu stellen. Das BMEL verhalten ausführen können und negative Emotionen bekennt sich zu einer zukunftsfähigen und stabilen vermieden werden (z. B. Angst und Schmerz) kann deutschen Nutztierhaltung. Es sind dazu bereits von einer guten Tierwohl-Situation, bzw. einer tier Maßnahmen in die Wege geleitet und umgesetzt. gerechten Haltung ausgegangen werden. Dazu gehören verbesserte Haltungsstandards, erhebliche Forschungsanstrengungen, eine zielge- richtete Förderung und Vereinbarungen mit der Wirtschaft. Die Tierhaltung ist damit in den vergan- Deutschland soll Vorreiter im Umgang mit Nutztieren genen Jahren unter Beteiligung von Wissenschaft, werden. Das BMEL will eine Strategie, die auf den Forschung, Ausbildung und Beratung kontinuierlich Qualitätswettbewerb ausgerichtet ist. Tierwohl erhält weiterentwickelt worden. Das betrifft die Verbesse- eine besondere Präferenz. In einem umfassenden rung der Haltung und Stalltechnik, Entwicklung Maßnahmenpaket werden die dafür notwendigen aussagefähiger Tiergesundheitsparameter, die Rahmenbedingungen entwickelt und stufenweise Verringerung des Antibiotikaeinsatzes sowie die umgesetzt. Dabei geht es nicht allein um die Weiterent- Verbesserung der Futter und Flächeneffizienz. Dieser wicklung des rechtlichen Rahmens und dessen frühzei- Weg einer ständigen Verbesserung und regelmäßiger tige Ankündigung. Mit flankierenden Maßnahmen zur Kontakte mit den Stakeholdern wird fortgesetzt. Produktdifferenzierung durch anspruchsvollere Prozessqualitäten (staatliche Tierwohlkennzeichnung), Nutztierhaltung ist eine langfristige Wirtschaftsform einer fokussierten Förderung und zielgerichteter mit Bedarf an Kontinuität. Die nationale Nutztierstra- Forschung und Innovationen kann ein Beitrag zum tegie soll auch durch einen stetigen EU-Bund-Länder- Ausgleich bzw. zur Vermeidung von höheren Kosten für Dialog weitgehende administrative Sicherheit und tier- und umweltgerechtere Formen der Tierhaltung Planbarkeit bieten. Damit soll die Unsicherheit beseitigt geleistet werden. Damit wird dauerhaft die Wettbe- werden, der sich viele Tierhalterinnen und Tierhalter werbsfähigkeit der Tierhaltung gesichert. ausgesetzt sehen. Mit der Novellierung des Düngegesetzes und der Düngeverordnung ist im Frühjahr 2017 ein neues Ziel der Nutztierstrategie ist es, der Nutz- Düngerecht in Kraft getreten. Dabei ist ein ausgewo- tierhaltung in Deutschland eine Zukunft zu geben gener Kompromiss zwischen den Umweltinteressen und sie als hochentwickelten Sektor weiterhin zu und einer praxistauglichen Lösung für die Landwirt- verbessern, in dem Tier- und Umweltschutz genauso schaft gelungen. Das neue Düngerecht schützt vor beachtete Kriterien sind wie Qualität bei der Produk- Überdüngung und kommt dem Gewässerschutz tion und Marktorientierung. Dafür soll das Tierwohl in und der Umwelt zugute. Mit dem Düngerecht der Nutztierhaltung weiter verbessert, die Wirkungen schaffen wir auch eine spürbare Verminderung der auf die Umwelt deutlich vermindert und gleichzeitig Ammoniakemissionen. Es sind allerdings weitere die wirtschaftliche Grundlage für die Betriebe und die entschlossene Schritte zur Verbesserung des Tier- Versorgung der Verbraucher mit nachhaltig erzeug- wohls und zur Reduzierung der Umweltbelastungen tem Fleisch gesichert werden. notwendig. Dem BMEL liegen dazu fundierte Vor- schläge des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpo- Damit soll eine breite Zustimmung in der Mitte der litik und des Kompetenzkreises Tierwohl vor; diese Gesellschaft erreicht und den Landwirten ein verläss- sind wichtige Bausteine. Zukünftig soll ein starkes licher Rahmen für eine akzeptierte und wettbewerbs- Augenmerk auf die Praxis gerichtet werden, das fähige Tierproduktion in Deutschland abgesteckt und Praktikernetzwerk wird einbezogen. Planungssicherheit zugesichert werden. Deutschland soll Vorreiter im Tierwohl werden. 6
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND 2 Nutztierhaltung in Deutschland – eine Bestandsaufnahme Die Nutztierhaltung durchläuft einen permanenten Strukturwandel mit steigenden Bestandsgrößen und zunehmendem Einsatz von Technik. 8
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND Die Nutztierhaltung durchläuft einen permanen- nicht ausreichend, sich nachhaltig im Wettbewerb zu ten Strukturwandel. Die prägenden Merkmale des behaupten. Hier sind branchenspezifische als auch Wandels sind in allen Industrieländern ähnlich: einzelbetriebliche Beratungsstrategien angezeigt. Anstieg der durchschnittlichen Bestandsgrößen und der Leistungen je Tier, ein zunehmender Einsatz von Technik und zunehmende regionale Milcherzeugung Konzentration der Tierhaltung. Ein wichtiger Treiber des Wandels waren und sind technologi- Die nationale Milcherzeugung ist zwischen 2006 und sche und züchterische Entwicklungen, die es 2016 von 28 Mio. Tonnen auf 32,7 Mio. Tonnen um 14 % ermöglichen, dass je Arbeitskraft mehr Tiere angestiegen. Seit Auslaufen der Quotenregelung zum gehalten und höhere Tierleistungen erreicht 1. April 2015 hat die jährliche Milcherzeugung nach werden. Zum anderen wird der Wettbewerb einem vorübergehenden Anstieg nicht weiter zuge- zwischen den landwirtschaftlichen Betrieben nommen. Der Verbrauch wuchs ebenfalls, aber in durch die weitgehende Integration in den Markt deutlich geringerem Maße. Der deutsche Molkereisek- und die Weltagrarwirtschaft bestimmt. Die tor ist seit Jahrzehnten intensiv in den internationalen zunehmenden internationalen Verflechtungen der Handel eingebunden. Im Jahr 2014 wurden Milchpro- wirtschaftlichen Beziehungen, die für alle Ak- dukte im Wert von 9,1 Mrd. Euro exportiert, im Jahre teure der Wertschöpfungskette Tier (Landwirt- 2016 in Höhe von 8,4 Mrd. Euro. Die Importe gingen schaft – Verarbeitungsindustrie – Handel) gelten, von 6,6 Mrd. Euro 2014 auf 5,9 Mrd. Euro 2016 zurück. sind ein wichtiger Bestimmungsfaktor für den Der weitaus größte Teil des Außenhandels vollzieht sich Wettbewerb und damit für die wettbewerbliche innerhalb des EU-Binnenmarktes. Situation der Erzeuger tierischer Produkte, die am Anfang dieser Wertschöpfungskette stehen. Die Zahl der Betriebe mit Milchviehhaltung nimmt seit Insbesondere dann, wenn sich dieser Wettbewerb Jahrzehnten ab und entsprechend steigen die Betriebs- als Kostenwettbewerb (Preisdruck) vollzieht (im größen an. Mittlerweile steht ungefähr jede zweite Unterschied zum Qualitätswettbewerb), hat er Milchkuh Deutschlands in einer Herde mit mehr als betriebliches Wachstum, Rationalisierung und 100 Kühen. Je nach Region und Betriebsgröße gibt es steigende Tierleistungen zur Folge. In der Fleisch- große Unterschiede im Produktionssystem. Im Jahr 2010 wirtschaft in Deutschland gibt es noch Potenzial hielten noch 57 % der Milchviehbetriebe Deutschlands im Bereich der Produkt- und damit Preisdifferen- ihre Milchkühe in Anbindehaltung. Diese Haltungsform zierung. In der Milchwirtschaft zeigen sich An- ist agrarstrukturell bedingt vor allem bei kleineren fangstendenzen einer Differenzierung. Hinzu Betrieben in Süddeutschland noch verbreitet, aber kommt, dass Anbieter vom Markt andere Signale tendenziell rückläufig. Regelmäßigen Weidegang im bekommen, als sie aus der gesellschaftlichen Sommer haben 42 % der Milchkühe. Die Weidehaltung Diskussion zu erwarten wären. Das BMEL freut ist vor allem bei Bestandsgrößen zwischen 50 und 200 sich über die Unterstützung von Agrarkommissar Hogan, die Stellung der Landwirtschaft in der Wertschöpfungskette zu stärken. Im internationalen Wettbewerb hat sich die deutsche 42 % Nutztierbranche in den zurückliegenden Jahren der Milchkühe erfolgreich behauptet. Mit hochwertigen Produkten wird sie auch weiterhin Erfolg in kaufkräftigen Märkten von EU- und Drittstaaten haben, zumal haben im Sommer weltweit eine Steigerung der Nachfrage zu erwarten regelmäßigen Weidegang ist Die Erzeugerpreise und die Einkommen der Nutz- tierhalter weisen von Jahr zu Jahr teilweise starke Veränderungen auf. Der langjährige Trend der Milchkühen häufig anzutreffen (über 50 %), während in durchschnittlichen Einkommen zeigt keine eindeu- der Bestandsgrößenklasse von mehr als 500 Milchkühen tige Tendenz nach oben oder unten. Für jede Teil- je Betrieb nur weniger als 10 % der Milchkühe auf der branche (Milch, Schwein, Geflügel usw.) ist aber Weide gehalten werden. Mit dem Milchmarktbericht festzustellen, dass es innerhalb der Branche große 2017 hat das BMEL eine Bestandsaufnahme, Herausfor- Einkommensunterschiede zwischen dem erfolg- derungen und Handlungsfelder für die Milchwirtschaft reichsten und dem wenig erfolgreichen Drittel der und Milchpolitik auf nationaler und EU-Ebene vorgelegt Betriebe gibt. Vielen Betrieben gelang es bisher und mit der Branche diskutiert. 9
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND Fleischerzeugung Während der Fleischverbrauch in Deutschland in den Gemästetes Geflügel vergangenen zehn Jahren relativ konstant blieb, hat sich die Fleischerzeugung um fast 25 % erhöht. Seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts ist Deutschland davon Nettoexporteur. Im Jahr 2015 wurden ca. 4,3 Mio. 5% Tonnen Fleisch exportiert und ca. 2,5 Mio. Tonnen 25 % Enten+Gänse Fleisch importiert. Der starke Anstieg der Exporte Puten vollzog sich vor allem bei Schweinefleisch und in geringerem Umfang bei Geflügelfleisch; hingegen sind die Exporte von Rindfleisch leicht rückläufig. Bei Schweinefleisch stieg die Erzeugung stark an, während der Verbrauch längere Zeit stagnierte und seit 70 % 2010 leicht rückläufig ist. Seit 2005 ist Deutschland Masthühner Nettoexporteur, inzwischen beträgt der mit Schweine- fleisch erzielte Exportüberschuss fast 3 Mrd. Euro pro Jahr. Das Wachstum der Branche vollzog sich allerdings regional sehr unterschiedlich und war im Wesentlichen Die durchschnittliche Bestandsgröße von Mastbullen auf Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen be- lag 2015 bei 13 Tieren. Nur 2 % der Betriebe haben schränkt. Bestände von mehr als 100 Mastbullen, fast 28 % der Mastbullen befinden sich allerdings in dieser Betriebs- Der Strukturwandel führte dazu, dass inzwischen ca. größenklasse. 70 % der Mastschweine in Beständen mit über 1.000 Mastschweinen gehalten werden, mehr als 10 % in Etwa 70 % des gemästeten Geflügels entfällt auf Mast- Betrieben mit mehr als 5.000 Mastschweinen. Über hühner, auf Puten rund 25 % und 5 % auf Enten und 90 % der Schweine stehen in Warmställen auf Voll- Gänse. oder Teilspaltenboden. Produktionsverfahren mit Stroheinstreu oder Außenklimaställen weisen höhere Bei Geflügelfleisch stieg die Erzeugung noch stärker an Produktionskosten auf; sie konnten sich bisher nur in als bei Schweinefleisch. Bspw. ist der Bestand an Trut- kleinen Marktsegmenten etablieren. hühnern seit dem Jahr 2000 um etwa 59 % auf gut 13 Mio. angestiegen. Der Verbrauch von Geflügelfleisch Die deutsche Rindfleischproduktion ist stark mit der nimmt, anders als bei Schweinefleisch, leicht zu. Nach- Milchviehhaltung verflochten. Die nicht für die Be- dem Deutschland früher ein starker Nettoimporteur standsergänzung benötigten Tiere werden gemästet. war, ist die Außenhandelsposition inzwischen nahezu Die Mutterkuhhaltung spielt in Deutschland eine ausgeglichen. vergleichsweise geringe Rolle. Die Produktion von Rindfleisch ist von rund anderthalb Mio. Tonnen im Die regionale und betriebliche Konzentration hat ein Jahr 1995 auf gut eine Million Tonnen im Jahr 2015 hohes Ausmaß erreicht. Mehr als drei Viertel aller zurückgegangen. Auch der Rindfleischverbrauch ging Masthühner Deutschlands stehen in Betrieben mit in diesem Zeitraum zunächst zurück, hat sich aber in mehr als 50.000 Tieren. Fast die Hälfte der nationalen den letzten Jahren wieder erholt. Er lag 2015 bei Erzeugung findet im südlichen Weser-Ems-Gebiet statt. 1,1 Mio. Tonnen (rund 13 kg Rind- und Kalbfleisch pro Die Mast erfolgt in Bodenhaltung auf Einstreu. Die Kopf). In den letzten 10 Jahren lag der Exportanteil an Besatzdichte variiert je nach Produktionsverfahren der Schlachtmenge zwischen 39 und 47 %. Insgesamt (Kurz-, Mittellang-, Langmast) zwischen 14 und 23 ist die Handelsbilanz in etwa ausgeglichen. Tieren je Quadratmeter. 10
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND Eiererzeugung Die Erzeugung von Konsumeiern nahm in Deutschland Die Haltungsformen haben sich infolge des Verbots der vor allem 2009/2010 stark ab. Ausschlaggebend hierfür klassischen Käfighaltung stark verändert. Ungefähr war das Verbot der Käfighaltung von Legehennen. Ab 63 % der Legehennen werden derzeit in Bodenhaltung 2010 kam es dann zu einem Wiederanstieg der Be- gehalten, 18 % in Freilandhaltung und 9 % nach den stände. Bei Schaleneiern und Eiprodukten ist Deutsch- Richtlinien des ökologischen Landbaus. Dieser Wandel land seit langem Nettoimporteur; derzeit werden wurde zum einen durch die Nachfrage des Lebensmit- jährlich ca. 19 Mrd. Eier verbraucht und ca. 13 Mrd. Eier teleinzelhandels ausgelöst; diese machte es für tierhal- erzeugt. tende Betriebe in Deutschland lohnend, in alternative Haltungsformen zu investieren. Zwei weitere Faktoren Ungefähr ein Drittel aller Legehennen werden in traten unterstützend hinzu, zum einen das EU-weite Beständen mit mehr als 100.000 Tieren gehalten. Laut Verbot nicht ausgestalteter Käfige und zum anderen der amtlicher Statistik war die Bedeutung der obersten relativ hohe Zollschutz für Schaleneier. Beide Faktoren Bestandsgrößenklassen für die nationale Produktion in schränkten die Möglichkeit des Lebensmitteleinzel- den letzten Jahren rückläufig; das stärkste Wachstum handels und der Verbraucherschaft, auf billigere verzeichneten die Bestandsgrößenklassen von 10.000 Schaleneier aus Drittländern auszuweichen, stark ein. bis 100.000 Tieren. Bei der Interpretation dieser Zahlen ist jedoch zu berücksichtigen, dass viele tierhaltende Unternehmen dazu übergegangen sind, ihre Produk- tion in mehrere selbstständige Betriebe aufzuteilen. Haltungsformen Legehennen davon 9% nach Richtlinien des ökologischen Landbaus 63 % Bodenhaltung 18 % Freilandhaltung 11
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND 3 Zwischenbilanz - Ausgangspunkt Mit einem umfangreichen Maßnahmen- paket konnten Verbesserungen der Hal- tungsbedingungen für landwirtschaftliche Nutztiere erreicht werden. 12
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND Außer im Bereich Rindfleisch haben Erzeugung und Bestehende Haltungsverfahren sollen weiterentwickelt, Bestände in den letzten Jahren zugenommen; in der zukunftsfähig gemacht und Zielkonflikte, wie zwischen Veredlung hat sich die regionale Konzentration fortge- Tierwohl und Umweltwirkung der Tierhaltung, vermin- setzt. Mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket dert werden. Es soll eine Brücke zwischen Ökonomie, konnten gleichwohl Verbesserungen der Haltungsbe- Umwelt und Tierwohl gebaut werden. dingungen für landwirtschaftliche Nutztiere erreicht werden (z. B. Verbot nicht ausgestalteter Käfige bei Im Mittelpunkt der im Folgenden beschriebenen Legehennen, Verzicht auf Schnabelkupieren bei Lege- Förderbereiche stehen die Tierarten Schwein, Geflügel hennenküken, Einführung der Gruppenhaltung von und Rind. Sauen im Wartebereich, Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration ab 2021, wobei für die tierhaltenden Entwicklung von Tierwohlindikatoren Betriebe wirtschaftlich tragfähige Lösungen gesucht werden, Rückgang der Anbindehaltung bei Milchkü- Ziel dieser Forschungsvorhaben ist die Entwicklung hen). Gleichzeitig hat das BMEL rund 132 Mio. Euro für von Indikatoren zur Messung, Steuerung und Bewer- Forschung und Innovation bereitgestellt und die tung von Tierwohl. Dabei sollen in erster Linie Einzelbetriebliche Investitionsförderung auf Tierwohl bereits vorhandene Daten, z. B. aus der Milchkon- ausgerichtet. Auf dieser Grundlage wird aufgebaut trolle und den Schlachtbefunden, nutzbar gemacht (vgl. Kap. 4). werden. Umgesetzt in entsprechende Instrumente werden sie der Betriebsleitung zur Verbesserung der Bestandsführung, für die gesetzlich vorgeschriebene betriebliche Eigenkontrolle sowie Beratungsstellen 3.1 Forschung/Modell- und zur Unterstützung der Betriebe angeboten. Auf der Demonstrationsvorhaben Grundlage geeigneter Indikatoren kann schließlich über ein entsprechendes Monitoring der Erfolg der Ziel der durch das BMEL finanzierten, breit angelegten auf der Grundlage der Nutztierstrategie ergriffenen Forschung ist es, technischen Fortschritt zu fördern, Maßnahmen bewertet werden. Zwischenergebnisse damit neue Erkenntnisse zu gewinnen und in die Praxis der laufenden Forschung liegen seit Mitte 2018 vor, zu tragen, um das Tierwohl deutlich zu verbessern. die Abschlussberichte werden ab 2020 vorliegen. Tabelle: 1: Forschungsförderung des BMEL zur Nutztierhaltung seit 2012 Förderbereich Fördervolumen Stand (Mio. Euro) Entwicklung von Tierwohlindikatoren 9 Zwischenergebnisse ab Mitte 2018, Abschlussberichte ab Anfang 2020 Tiergesundheit 38 kontinuierlich neue Erkenntnisse aus laufenden Projekten Tierschutz 21 kontinuierlich neue Erkenntnisse aus laufenden Projekten Haltungsverfahren 24 erste Zwischenberichte liegen vor , Abschlussberichte ab 2018 Weidehaltung/Grünlandnutzung 4 Bekanntmachung und Auswertung abgeschlossen, neue Projekte ab Ende 2017 Nutztierhaltung und Umwelt 6 kontinuierlich neue Erkenntnisse aus laufenden Projekten, neue Projekte ab Anfang 2018 Verschiedenes (z. B. Ernährung, 30 kontinuierlich neue Erkenntnisse aus laufenden Projekten Zucht, Aquakultur, Bienen) Summe 132 13
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND Tiergesundheit Haltungsverfahren und Zucht Ziel ist die Verbesserung der Gesundheit der Nutztiere. Ziel dieser Maßnahmen sind schnelle Fortschritte in Dadurch kann auch der Antibiotikaeinsatz weiter bestehenden Haltungsverfahren. Mit der Entwicklung vermindert werden. Im Gegensatz zu anderen wichti- von Beschäftigungsmaterialien, der Verbesserung von gen Produktionsländern (z. B. USA) ist der Einsatz von Stalleinrichtungen und der Optimierung des Stallkli- Antibiotika zur Leistungsförderung in der EU bereits mas wird das Wohlbefinden der Tiere verbessert. Unter seit über 10 Jahren verboten. Als G20-Vorsitzland hat anderem ist die Weiterentwicklung der Haltungsbedin- Deutschland den weltweiten „Einstieg in den Ausstieg“ gungen von Sauen nach der Zeit des Abferkelns und der aus dieser abzulehnenden Praxis bis 2020 vereinbaren Säugezeit ein wichtiges Tierwohlthema. Haltungsein- können. Ziel der deutschen Antibiotikaresistenzstrate- richtungen und -verfahren sollen verbessert und gie (DART 2020) ist es, die Verbreitung von Antibiotika- entsprechende Fortschritte in der Zucht erreicht resistenzen weiter einzudämmen. 2014 wurde ein werden. In der Milchviehhaltung werden insbesondere Benchmarkingsystem eingeführt. Seitdem ist die Robustheit und Gesundheit sowie ein ausbalancierter Verwendung deutlich gesunken. Im Jahr 2015 betrug Stoffwechsel als Züchtungsziele unterstützt. Auch in die jährliche Abgabemenge 805 Tonnen; im Vergleich der Geflügelhaltung erfolgt eine Verbesserung der waren es im ersten Jahr der Erfassung (2011) noch über Bedingungen u. a. durch die Optimierung der Fütte- 1.700 Tonnen. Weitere Themen sind die Erforschung rung und Züchtung insbesondere für den ökologischen von Zoonosen und die Entwicklung entsprechender Landbau und durch Hilfsmittel zur Verbesserung des Bekämpfungsmaßnahmen, die Früherkennung von Managements. Krankheiten, epidemiologische Untersuchungen und die Entwicklung von Impfstoffen sowie von Manage- Weidehaltung/Grünlandnutzung ment- und Hygienemaßnahmen zur Minimierung sog. Produktionskrankheiten. Für viele Verbraucherinnen und Verbraucher gehören Weidegang und Milchv iehhaltung zusammen. Das BMEL Tierschutz hat das Thema „nachhaltige Grünlandnutzung“ deshalb in einem Aufruf zum Einreichen von Projektideen Ziel dieses Forschungsbereichs ist der Schutz der aufgegriffen. Es sollen Forschungsvorhaben u. a. aus den Unversehrtheit der Tiere. Ein Kernthema ist der Bereichen der Tierzucht, Tierernährung und Tiergesund- Verzicht auf nicht kurative Eingriffe am Tier. Dazu heit zu den Themen Fleischvermarktungskonzepte, gehört die Vermeidung des Schnabelkupierens in Nutzungs- und Managementkonzepte für die Weide, der Geflügelhaltung, des Schwänzekupierens beim technische Entwicklungen für die Grünlandbewirtschaf- Schwein und der betäubungslosen Ferkelkastration, tung, Inwertsetzung von Ökosystemleistungen, Bera- sowie der schmerzhaften Enthornung von Rindern. tungstools, Giftpflanzenbekämpfung sowie Erhöhung der Ein besonderer Schwerpunkt der letzten Jahre lag Biodiversität gefördert werden. Ziel dieses Maßnahmen- auf der Vermeidung der Ferkelkastration. Mit einem pakets ist es, Produktionsverfahren in diesem Bereich breiten Ansatz von der Zucht über die Fütterung bis unter ökonomischen, ökologischen sowie Tierwohl- und zur automatisierten Geruchserkennung wurden Tiergesundheitsaspekten weiterzuentwickeln und zu bereits wesentliche Fortschritte erzielt. optimieren. Die extreme Ausrichtung der Zucht von Legehennen Beim Julius Kühn-Institut hat das BMEL eine Stabsstelle rassen auf die Eiererzeugung hat dazu geführt, dass die Grünland eingerichtet. Mit der Stabsstelle wird gemein- männlichen Tiere dieser Linien ökonomisch wertlos sam eine Grünlandstrategie erarbeitet (vgl. Kap. 4.9). Das geworden sind. Ihr Wachstum und damit ihr Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Biodiversi- wirtschaftlicher Nutzen bleiben weit hinter den Tieren tät und genetische Ressourcennachhaltigkeit und die von Mastlinien zurück. Derzeit werden diese Tiere Forschungsstrategie Grünland der Deutschen Agrar- deshalb nach dem Schlüpfen getötet. Diese Praxis muss forschungsallianz (DAFA) fließen in die Arbeiten ein. so schnell wie möglich abgestellt werden. BMEL hat deshalb in den letzten Jahren erhebliche Mittel in die Nutztierhaltung und Umwelt Forschung zur Geschlechtsbestimmung im Ei inves- tiert. Erfolgversprechende Verfahren sind inzwischen Diese Forschungsmaßnahmen haben zum Ziel, die Um- marktreif. Daneben wird der Einsatz eines Zweinut- weltbelastungen durch Tierhaltung deutlich zu redu- zungshuhns erprobt. In begrenztem Umfang werden zieren. Dazu gehören die Quantifizierung von Emissio- Eier und Fleisch von Zweinutzungsrassen im Handel nen aus Tierhaltungsanlagen und die Entwicklung von bereits angeboten. Minderungsmaßnahmen. Zusätzlich zu den laufenden 14
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND Projekten wurden Ende 2016 Bekanntmachungen zur Production - Susan) mit Forschungsprojekten u. a. zu Emissionsminderung von klimarelevanten Gasen den Themen Tierwohl, Umwelt und Ökonomie entwi- sowie zur Anpassung der Produktionsverfahren an den ckelt. Klimawandel veröffentlicht. Mit Ergebnissen aus den Projekten ist ab 2020 zu rechnen. Deutsche Agrarforschungsallianz EU-Ebene Zur Unterstützung der vielfältig angestoßenen For- schungsaktivitäten ist das Fachforum Nutztiere der Das BMEL ist auch auf europäischer Ebene in wichtigen Deutschen Agrarforschungsallianz in die kontinuierliche Forschungsaktivitäten engagiert und stellt den Vorsitz Nachverfolgung und Bewertung des Erkenntnisfort- in der gemeinsamen Arbeitsgruppe für nachhaltige schritts eingebunden. Aufgabe wird es sein, den Fort- Tierhaltung, einer Gruppe des Ständigen Agrarfor- schritt der vom BMEL geförderten Projekte und auch schungsausschusses. Ziel ist die Initiierung und Koordi- weitere national und international erzielte Erkenntnisse nierung gemeinsamer Forschungsaktivitäten auf auszuwerten. Aus der gemeinsamen Bewertung der europäischer Ebene. Die Arbeitsgruppe hat einen laufenden Forschungsprojekte sollen Schlussfolgerungen Vorschlag für ein europäisches Forschungsnetzwerk und Empfehlungen für die Weiterentwicklung der For- „nachhaltige Tierhaltung" (era-net sustainaible animal schungsförderung zur Nutztierhaltung abgeleitet werden. Das Bundesministerium für Ernäh- rung und Landwirtschaft hat in den letzten Jahren erhebliche Mittel in die Forschung zur Geschlechtsbe- stimmung im Ei investiert. 15
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND Modell- und Demonstrationsvorhaben Falle von Stallbauinvestitionen – zusätzlich im Bereich Tierschutz erfüllt werden. Investitionen in Stallbauten Motivation und Bereitschaft vieler Landwirte für werden nur noch gefördert, wenn besondere Anforde- Verbesserungen sind groß. Ziel der Modell- und De- rungen im Bereich Tierschutz erfüllt werden. Die monstrationsvorhaben ist die zeitnahe Einführung von Anforderungen gehen über die gesetzlichen Mindest- Forschungsergebnissen und neuen Entwicklungen in anforderungen hinaus und sind tierartenspezifisch in die Praxis. Modell- und Demonstrationsvorhaben der Anlage 1 des AFP-Fördergrundsatzes definiert. „Tierschutz“ sind Teil der Tierwohl-Initiative „Eine Differenziert wird zwischen der Basisförderung, für die Frage der Haltung – neue Wege für mehr Tierwohl“ ein Zuschuss in Höhe von bis zu 25 % gewährt werden (vgl. Kap. 3.3). Es wurden bundesweit ca. 250 Betriebe in kann, und der Premiumförderung mit einem Zuschuss acht Beratungsinitiativen (z. B. Verzicht auf Schwänze- von bis zu 40 % für besonders tiergerechte Haltungs- kupieren bei Schweinen, Verzicht auf Schnabelkürzen verfahren. Die Anforderungen in der Premiumstufe bei Geflügel) durch kostenlose Intensivberatung sind z. B: gefördert; weitere Projekte sollen folgen. Die Beratung sieht zunächst eine Status-quo-Analyse vor. Gemein- →→ Außenauslauf oder regelmäßiger Weidegang sam mit den landwirtschaftlichen Betrieben werden bei Milchkühen, alle relevanten Faktoren wie Haltungssystem, Manage- ment, Besatzdichte, Fütterung und Stallklima analy- →→ mehr Platz für Mastbullen (bis 350 kg Lebendge- siert. Auf dieser Basis werden wirtschaftliche Hand- wicht mind. 3,5 m2/Tier, darüber hinaus mind. lungsempfehlungen konzipiert und in die Produktions- 4,5 m2). prozesse integriert. In der Umstellungsphase erfolgt eine intensive Betreuung. Derzeit werden ca. 50 De- →→ 20 % mehr Stallfläche als rechtlich vorgeschrieben monstrationsbetriebe in Netzwerken bei dem Wissen- für Sauen, Absatzferkel und Mastschweine, in stransfer und der Umsetzung von neuen Verfahren in Verbindung mit drei verschiedenartigen Beschäfti- die landwirtschaftliche Praxis unterstützt. Bisherige gungselementen Erfahrungen zeigen, dass betriebsindividuelle Ansätze sehr erfolgreich bei der Lösung von Tierschutzproble- →→ mindestens 6 m2 große Abferkelbuchten für Jung- men sind. Die Identifizierung von Schwachstellen und Zuchtsauen, deren Schutzkörbe nach dem durch externe Fachleute sowie die kontinuierliche Abferkeln dauerhaft geöffnet werden können, Beratung von Betrieben sind wichtige Komponenten in der Erarbeitung von Lösungsansätzen. Auch der →→ reduzierte Besatzdichte bei Puten, Masthühnern Austausch von Wissen und Erfahrung zwischen und Legehennen sowie ausreichend große Kalt- Landwirten bringt Fortschritte. scharrräume für Puten und Hennen. Landwirtinnen und Landwirte nutzen die Fördermög- 3.2 Förderung lichkeiten und investieren in mehr Tierwohl. Von den insgesamt 2016 in Deutschland neu bewilligten rund Investitionsförderung 900 Stallbauvorhaben erfüllen gut 80 % den Premium- Standard und rund 20 % den Basis-Standard. Dabei ist zu Neue Ställe und Modernisierungen werden mit und berücksichtigen, dass Schleswig-Holstein, Niedersachsen ohne staatliche Förderung realisiert. Die Ausgestaltung und Nordrhein-Westfalen zur Zeit nur die Premiumvari- kann – neben den gesetzlichen Rahmenbedingungen – ante anbieten. Zudem liegt der Förderschwerpunkt mit naturgemäß von Seiten des Bundes nur bei geförderten rund zwei Dritteln aller Förderfälle im Bereich Milch- Ställen beeinflusst werden. Im Rahmen der Gemein- viehhaltung. schaftsaufgabe zur „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) sind einzelbetriebliche Markt- und standortangepasste sowie umweltge- Investitionen in Stallbauten im Agrarinvestitions- rechte Landbewirtschaftung einschließlich Ver- förderungsprogramm (AFP) generell förderfähig. Bund tragsnaturschutz und Landschaftspflege (MSUL) und Länder beschließen gemeinsam den Förderungs- grundsatz. Für die Umsetzung der Förderung sind die Derzeit werden im Rahmenplan der GAK 2017-2020 für Länder zuständig. Die „Charta für Landwirtschaft und Honorierung von Tierwohlleistungen vier Maßnahmen Verbraucher“ hat im Jahr 2014 eine Neuausrichtung des angeboten: AFP bewirkt. Danach wird eine Investitionsförderung nur noch unter der Voraussetzung gewährt, dass beson- →→ Sommerweidehaltung von Milchkühen, deren dere Anforderungen in mindestens einem der Bereiche Nachkommen in der Aufzuchtphase oder von Verbraucher-, Umwelt- oder Klimaschutz und – im Mastrindern. 16
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND →→ Haltung von Milchkühen, Rindern zur Aufzucht, 900 Mastrindern oder Schweinen in Laufställen bzw. neu bewilligte Stallbauvorhaben Gruppenbuchten mit planbefestigten oder teilperfo- 2016 in Deutschland rierten Flächen jeweils mit Außenauslauf sowie Aufstallung mit Stroh. davon Mit den Vorgaben der Maßnahme können gute Bedin- gungen für die Ausführung des Normalverhaltens der 20 % Tiere geschaffen werden. Um Verbesserungen im Basis- Bereich der Tiergesundheit zu erreichen, wäre die Standard Einbeziehung ergebnisorientierter Ansätze notwendig. Neben tiergerechten Haltungsverfahren können im Rahmen der GAK auch die Berücksichtigung von 80 % Merkmalen für Gesundheit und Robustheit landwirt- Premium-Standard schaftlicher Nutztiere in Leistungsprüfung und Zucht- wertschätzung sowie die Zucht gefährdeter einheimi- scher Nutztierrassen gefördert werden. →→ Haltung von Milchkühen, von Rindern zur Auf- Die Maßnahmen werden derzeit nur von wenigen zucht, von Mastrindern in Laufställen oder Schwei- Bundesländern angeboten. Die Ursachen sind viel- nen in Gruppenbuchten mit planbefestigten oder schichtig. Die Länder scheuen in erster Linie den teilperforierten Flächen und mit Weidehaltung. oftmals hohen Kontroll- und Verwaltungsaufwand und damit verbundene Anlastungsrisiken. Die Vorausset- →→ Haltung von Milch- oder Mutterkühen, Rindern zur zungen für eine höhere Inanspruchnahme müssen Aufzucht, Mastrindern in Laufställen oder Schwei- verbessert werden (vgl. Kap. 4.2). nen in Gruppenbuchten mit planbefestigten oder teilperforierten Flächen und Aufstallung mit Stroh. Im Rahmen der GAK werden tierge- rechte Haltungsverfahren gefördert. 17
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND 3.3 Eine Frage der Haltung/ 3.4 Zukunftsstrategie ökologische freiwillige Vereinbarungen Landwirtschaft Leitprinzip der Initiative des BMEL „Eine Frage der Die Nachfrage nach ökologischen Produkten wächst Haltung – Neue Wege für mehr Tierwohl“ ist die dynamisch. Das gilt auch für Milchprodukte, Eier und „freiwillige Verbindlichkeit“. Sie setzt zunächst auf die Fleisch. Die Nachfrage nach ökologischer Konsummilch Eigeninitiative der Wirtschaft. Wo das Engagement stieg 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 8,8 % auf einen der Wirtschaft nicht zu den notwendigen Verbesse- Anteil von 6,8 % der privat nachgefragten Milch in rungen führt, kann aber auch eine Änderung des Deutschland. Die Einkaufsmenge bei Bio-Eiern nahm im Rechtsrahmens erforderlich sein. In der Legehennen- Vergleich zum Vorjahr um 3,6 % zu. 2016 stammten haltung konnte die Lösung von drei wesentlichen damit rund 12 % der von deutschen Privathaushalten Tierschutzproblemen vorangetrieben werden. Im eingekauften Eier aus ökologischer Erzeugung. Die Sommer 2015 hat Bundesminister Christian Schmidt Nachfrage nach ökologischem Geflügel entwickelte sich eine freiwillige Vereinbarung mit der Geflügelwirt- im Jahr 2016 mit einem Plus von 12 % im Vergleich zum schaft abgeschlossen. Diese hat dazu geführt, dass seit Vorjahr besonders dynamisch. Sie macht damit einen August 2016 in den Brütereien bei den für die deutsche Anteil von 1,4 % der privaten Nachfrage aus. Der Anteil Legehennenproduktion vorgesehenen Küken keine von ökologischem Rind- und Schweinefleisch an der Schnäbel mehr kupiert werden. Der Ausstieg aus der privaten Nachfrage lag 2016 bei 2,4 % bzw. 1,2 %. Die Käfighaltung wurde durch Verordnung besiegelt und privaten Haushalte kauften damit 4,2 % bzw. 5,5 % mehr die Entwicklung von Verfahren zur Geschlechtsbe- Bio-Rind- und Schweinefleisch als 2015. Wir können von stimmung im Ei steht vor der Praxisreife. einem Anhalten dieses Trends ausgehen. Im Bereich der Rinder- sowie der Schweinehaltung ist Die Anforderungen an die Tierhaltung liegen bei der es noch nicht gelungen, freiwillige Vereinbarungen ökologischen Wirtschaftsweise über den schon ambiti- abzuschließen, obwohl auch in diesen Bereichen onierten in der konventionellen Landwirtschaft. Für Tierschutzprobleme bekannt sind. Die Modell- und Nutztiere wird grundsätzlich Weidegang bzw. Auslauf Demonstrationsvorhaben Tierschutz haben sich als vorgeschrieben. Den Tieren steht mehr Fläche in den wertvolles Instrument erwiesen, um Erkenntnisse aus Ställen zur Verfügung und die Ausstattung ist an- der Forschung in die Praxis zu überführen, Landwirte spruchsvoller. Stroh in den Liegebereichen steigert den zu unterstützen, Innovationen umzusetzen und Komfort für die Tiere. Tierschutzprobleme in den Betrieben zu lösen. (vgl. Kap. 3.1) Gleichwohl gibt es auch in der ökologischen Tierhal- tung Tierschutzprobleme. Die Anbindehaltung in der Eine wichtige, aus der Initiative „Eine Frage der Hal- Milchproduktion ist weiter verbreitet als in konven- tung“ hervorgegangene Maßnahme ist die Initiative tionellen Betrieben. Nicht kurative Eingriffe werden zur Einführung eines staatlichen Tierwohlkennzei- auch in einigen ökologisch wirtschaftenden Betrie- chens (s. Kap. 4.3). ben durchgeführt. Tierschutz sollte vor allem auch auf EU-Ebene vorange- Das Handeln des BMEL orientiert sich am Prinzip: bracht werden. Damit werden mehr Tiere erreicht und Konventioneller und Öko-Landbau erfahren beide gleichzeitig werden Wettbewerbsverzerrungen im Unterstützung. Konventionelle Landwirtschaft ist Binnenmarkt vermieden. Derzeit gibt es aber keine agrarstrukturell nach wie vor dominant. Das BMEL hat weiteren ambitionierten Tierschutzprogramme auf mit Wissenschaft, Wirtschaft und der Branche eine EU-Ebene. Deshalb hat sich Deutschland mit den Zukunftsstrategie zur Stärkung des ökologischen Niederlanden, Dänemark, Schweden und Belgien zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Auf Initiative dieses Bündnisses wurde eine EU-Tierschutzplattform eingerichtet, die im Juni 2017 erstmals tagt. Konkrete Anstieg der Nachfrage Forderungen des Bündnisses an die Europäische Kommission zur EU-Tierschutzrechtsetzung im Be- um reich Schweinehaltung, Transport, Junghennen- und 12 % Putenhaltung wurden bisher nicht aufgegriffen. Das Bündnis wird die Verbesserung des Tierschutzes in der nach Geflügel aus EU weiter einfordern. Die Tierschutzplattform ist ein ökologischer Erzeugung erster, aber wichtiger Schritt, um Fortschritte auf EU- Ebene zu erreichen. 18
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND Landbaus entwickelt. Im Mittelpunkt der Zukunfts- 3.5 Spannungsfeld Tierwohl – strategie stehen fünf Handlungsfelder, die als nationale Umweltschutz Schlüsselbereiche für ein stärkeres Wachstum identifi- ziert wurden und zentrale Herausforderungen der Öko-Branche ansprechen: Tierhaltungsverfahren und Emissionen 1. den Rechtsrahmen zukunftsfähig und kohärent Im Spannungsfeld Tierwohl – Umweltschutz liegt eine gestalten, besondere Herausforderung für Tierhalter. In nicht auflösbaren Fällen von gegensätzlichen Interessen muss 2. die Zugänge zur ökologischen Landwirtschaft das Vorrangprinzip dem Tierschutz und nicht dem erleichtern, Umweltschutz gelten. Haltungsverfahren mit höherem Tierkomfort beinhalten in der Regel ein größeres 3. die Leistungsfähigkeit ökologischer Agrarsysteme Platzangebot für die Tiere und/oder eine freie Lüftung verbessern, bzw. die Möglichkeit eines Auslaufs sowie Einstreu. Bei einem größeren Platzangebot und Außenklimakontakt 4. das Nachfragepotenzial voll ausnutzen und ist im Grundsatz davon auszugehen, dass auch die weiter ausbauen sowie Emissionen – insbesondere Ammoniak – zunehmen. Gegenüber zwangsbelüfteten Ställen mit Abluftreini- 5. die Umweltleistungen angemessen honorieren. gung weisen Außenklimaställe insbesondere mit Auslauf höhere Gesamtemissionen auf. In den BMEL- Zentrale Finanzierungsinstrumente zur Verwirkli- Forschungsvorhaben EmiDat und EmiMin werden die chung der Vorhaben der Zukunftsstrategie werden Emissionsfaktoren für verschiedene Haltungsverfah- weiterhin die Titel des Bundesprogramms Ökologischer ren in der Milchviehhaltung und Schweinemast derzeit Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirt- überprüft und entsprechende Messungen vorgenom- schaft (BÖLN) sowie der Eiweißpflanzenstrategie (EPS) men. Dies schließt die Messung von Haltungsverfahren sein. Die Mittel des BÖLN werden 2019 auf 30 Mio. Euro mit Auslauf ein. Darauf aufbauend sollen Möglichkei- aufgestockt und die Mittel für die EPS in den kommen- ten identifiziert werden, Emissionen in den verschiede- den Jahren auf dem derzeitigen Niveau von 6 Mio. Euro nen Haltungssystemen effizient zu minimieren. Dazu pro Jahr weiter fortgeführt. läuft bereits ein Forschungsprojekt. Die Maßnahmen der kommenden Jahre sind in einer NERC-Richtlinie Roadmap zusammengefasst. So ist es vorgesehen, 2019 eine erste Zwischenbilanz zu ziehen und 2022 einen Die europäische Richtlinie über nationale Emissions- Fortschrittsbericht zu verfassen, der den Umsetzungs- minderungsverpflichtungen (NERC) ist am 31.12.2016 in stand der einzelnen Maßnahmen beurteilt. Darauf Kraft getreten. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich aufbauend beabsichtigt das BMEL, eine erste Neufas- dort verpflichtet, bestimmte Luftschadstoffe innerhalb sung der Strategie für den Zeitraum 2023 bis 2030 zu definierter Zeiträume zu reduzieren. Um die Minde- erarbeiten. rungsverpflichtungen für Schadstoffe aus der Landwirt- schaft zu erfüllen, müssen weitere Maßnahmen auch im Mit der Zukunftsstrategie ökologischer Landbau wird Tierhaltungssektor umgesetzt werden. Die Ammoniak- auch ein wirkungsvoller Beitrag zur Verbesserung der (NH3-)Emissionen sollen bezogen auf das Referenzjahr Nutztierhaltung in Deutschland geleistet. Dazu gehö- 2005 ab 2020 um 5 % und ab 2030 um 29 % gemindert ren auch Lösungsansätze für die in der ökologischen werden. Hierfür müssen gegenüber dem Jahr 2014 ca. Tierhaltung bestehenden Probleme. Gerade im Bereich 235 Kilotonnen/Jahr NH3-Emissionen eingespart der Nutztierhaltung gilt es, die Erfahrungen aus der werden. Ein großes Potenzial besteht in Maßnahmen zur konventionellen und ökologischen Landwirtschaft emissionsarmen Ausbringung von Wirtschaftsdüngern. auszutauschen und voneinander zu lernen. Je nachdem, wie ambitioniert Maßnahmen ergriffen werden, lassen sich zwischen 100 und maximal 160 Kilotonnen NH3/Jahr einsparen. Bei der Lagerung von Wirtschaftsdüngern und der Ausbringung von Mineral- düngern besteht das Potenzial zur Einsparung von 50 bis 60 Kilotonnen/Jahr NH3. Von diesem Senkungspotenzial werden mit den Maßnahmen der neuen Düngeverord- nung bis 2030 rund 110 Kilotonnen NH3/Jahr Ammo- niak dauerhaft reduziert. 19
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND Um die restlichen Emissionsminderungen zu erzielen s. o.). Hier muss der Tierschutz als grundsätzlich be- und eine deutlich Reduzierung der Nutztiere zu ver- stimmender Faktor auch bei Erweiterung/Änderung meiden, sind neben einer Verbesserung der Stickstoff- bestehender Anlagen gelten. effizienz bei der Düngung und Fütterung auch emissi- onsmindernde Maßnahmen in den Ställen zu ergreifen. Bestrebungen zur Förderung des Tierwohls und tierge- In zwangsgelüfteten Ställen steht derzeit die Abluftrei- rechter Ställe bzw. Modernisierung des Anlagenbestan- nigung im Fokus. Berechnungen ergaben, dass eine des (Neubau und Sanierung) würden erheblich er- Abluftreinigung für alle zwangsbelüfteten Ställe ab schwert, wenn die entsprechenden immissionsschutz- 2.000 Mastschweinen, 750 Sauen und 40.000 Mastgeflü- rechtlichen Regelungen über die geltenden gel das Potenzial zur Minderung der NH3-Emissionen Anforderungen hinaus verschärft werden sollten. Die um 15 Kilotonnen/Jahr hat. Bei Haltungsverfahren mit Regelungen der aktuell geplanten Neufassung der Auslauf sind dagegen steigende Emissionen zu erwar- Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA ten. Geeignete Minderungsmaßnahmen stehen bisher Luft) sind daraufhin genau zu prüfen und entspre- nicht zur Verfügung. Potenziale zur Minderung von chend anzupassen. NH3-Emissionen zum Schutz von Umwelt und Gesund- heit sind in der Landwirtschaft also vorhanden. Diese Baurechtliche Privilegierung müssen stärker ausgeschöpft werden. Hier müssen die Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen zur Tierhaltungsbetriebe, die über ausreichend landwirt- Emissionsminderung deutlich verstärkt werden. Ziel schaftliche Flächen verfügen, um den größten Teil des muss sein, auch bei tiergerechten Haltungsverfahren Futters selbst zu erzeugen, sind unabhängig von ihrer die Emissionen möglichst stark zu reduzieren (vgl. Kap. Größe nach dem Baurecht privilegiert: Sie benötigen 4.1). Von der Erkenntnis ausgehend, dass Nahrungsmit- im Außenbereich für ein Stallbauvorhaben keinen telproduktion nie völlig klimaneutral sein kann, gilt Bebauungsplan. Dies gilt nicht für sog. gewerbliche das Gebot der praktikablen Reduzierung. Tierhaltungsanlagen ohne ausreichende eigene Futter- grundlage. Diese sind immissionsschutzrechtlich Tierhaltungsverfahren und Immissionsschutz genehmigungsbedürftig. Sie können seit einer Bau- rechtsänderung im Jahr 2013 ein Bauvorhaben nur mit Errichtung und Betrieb von Ställen sind genehmi- einem Bebauungsplan realisieren. Bereits existierende gungspflichtig entweder nach Baurecht oder für gewerbliche Betriebe haben Bestandsschutz. Würde die größere Betriebe, z. B. ab 1.500 Mastschweineplätze, Privilegierung auch für landwirtschaftliche Betriebe nach Immissionsschutzrecht. Auch Änderungen von eingeschränkt, die nur baurechtlich genehmigungsbe- Stallanlagen sind genehmigungspflichtig. Dies gilt auch dürftig sind, würde dies zwar die Einflussmöglichkei- für Maßnahmen , die dem Tierwohl dienen, wie ten der Gemeinden und der Anwohner stärken; aller- Stallerweiterungen um Ausläufe, den Umbau eines dings die flächengebundene Tierhaltung schwächen. zwangsgelüfteten Stalles zu einem frei gelüfteten Stall, weil damit höhere Emissionen und Umwelteinwirkun- gen durch Gerüche und Ammoniak verbunden sein 3.6 Empfehlungen des Wissenschaft- können. Der Schutz der Nachbarschaft und der Umwelt lichen Beirats zum Tierwohl vor diesen Einwirkungen ist eine wesentliche Voraus- setzung für die Genehmigung. Ställe müssen – abhän- Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik (WBA) gig von Größe, Emissionen sowie der Windverteilung beim Bundesministerium für Ernährung und Land- – ausreichend große Abstände zur Wohnbebauung oder wirtschaft hat in seinem Gutachten „Wege zu einer empfindlichen Biotopen einhalten. gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ eine kritische Bestandsaufnahme der derzeitigen Haltungs- Die als besonders tiergerecht eingestuften Haltungsfor- bedingungen vorgelegt und Empfehlungen für eine men mit freier Lüftung und Auslauf haben im Ver- gesellschaftlich akzeptierte Nutztierhaltung entwi- gleich zur konventionellen Tierhaltung deutlich höhere ckelt. Der WBA hält den zentralen Zielkonflikt zwi- Anforderungen an den Standort: Aufgrund der höhe- schen Wettbewerbsfähigkeit und Tierschutz für lösbar. ren Emissionen und deren bodennaher Freisetzung Im Bereich des Tierschutzes nennt er folgende wichtige sind regelmäßig größere Abstände zu Schutzgütern Punkte als Leitlinien für die Entwicklung einer zu- nötig. Bei der Änderung bestehender Betriebe hin zu kunftsfähigen, in weiten Teilen der Bevölkerung akzep- mehr Tierwohl ist daher in der Regel der Bestand tierten Tierhaltung: abzustocken, wenn die Abstände nicht ausreichen. Das Ausmaß hängt davon ab, inwieweit emissionsmin- 1. Zugang aller Nutztiere zu verschiedenen Klimazo- dernde Maßnahmen verfügbar sind (Forschungsbedarf, nen, vorzugsweise Außenklima, 20
NUTZTIERSTRATEGIE – ZUKUNFTSFÄHIGE TIERHALTUNG IN DEUTSCHLAND 2. Angebot unterschiedlicher Funktionsbereiche mit Der WBA schätzt die Mehrkosten für die Umsetzung verschiedenen Bodenbelägen, der Leitlinien auf 3 bis 5 Mrd. Euro jährlich. Er sieht diese Kostensteigerung zwar im Rahmen der von 3. Angebot von Einrichtungen, Stoffen und Reizen einem großen Teil der Bevölkerung vorhandenen zur artgemäßen Beschäftigung, Nahrungsauf- Zahlungsbereitschaft; befürchtet aber vor dem nahme und Körperpflege, Hintergrund fehlender Finanzierungskonzepte und der internationalen Marktintegration der deutschen 4. Angebot von ausreichend Platz, Tierhaltung die Abwanderung von Teilen der Pro- duktion in Länder mit geringeren Tierschutzstan- 5. Verzicht auf Amputationen, dards. Vor diesem Hintergrund empfiehlt der WBA einen Poltikmix sowie eine Finanzierungsstrategie, 6. routinemäßige betriebliche Eigenkontrollen an- die ein staatliches Tierschutzlabel und einen starken hand tierbezogener Tierwohlindikatoren, Ausbau staatlicher Tierwohlprämien umfasst. 7. deutlich reduzierter Arzneimitteleinsatz, Das BMEL sieht in den Empfehlungen Ansatzpunkte für eine zukunftsfähige Nutztierhaltung. Es ist Aufgabe 8. verbesserter Bildungs-, Kenntnis- und Motivations- der Politik, die Vorschläge hinsichtlich ihrer politi- stand der im Tierbereich arbeitenden Personen und schen und ökonomischen Machbarkeit zu bewerten. Die Herausforderungen liegen darin, konkrete Politik- 9. eine stärkere Berücksichtigung funktionaler maßnahmen zu entwickeln, die zu den notwendigen Merkmale in der Zucht. Fortschritten in der Nutztierhaltung führen und gleichzeitig die ökonomische Tragfähigkeit für die landwirtschaftlichen Betriebe sichern. Die Herausforderungen liegen darin, Fortschritte in der Nutztierhaltung zu erzielen und gleichzeitig land- wirtschaftlichen Betrieben die öko- nomische Tragfähigkeit zu sichern. 21
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