AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN

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AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Das Jahresmagazin des Diakoniewerks Essen

AusBlick

                                                                           2019
Vielfalt gestalten:
Die Leitung der Sozialen
Dienste geschieht im Team

10 Jahre Kindertagespflege:
Ausbildungsreform im Jubiläumsjahr
                                               Mobil und flexibel:
                                               Betreutes Wohnen im
                                               Wandel der Zeit
                     Traumberuf Koch:
                     Erfolgreiche Ausbildung
                     im Restaurant Church
                                               ZusammenLeben gestalten
                     Ehrenamt auf
                     dem Fußballplatz:
                     Student engagiert
                     sich für Jugendliche
AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Impressum
    Herausgegeben vom Diakoniewerk Essen
    Bergerhauser Straße 17, 45136 Essen
    Telefon 0201 · 26 64 0, Telefax 0201 · 26 64 59 59 00
    info@diakoniewerk-essen.de
    www.diakoniewerk-essen.de
    Redaktion:
    Julia Fiedler, Kathrin Michels, Bernhard Munzel
    Grafik Design: Q3 design, Dortmund, www.Q3design.de
    Druck: Brochmann GmbH, Essen
    Essen, Mai 2019

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2   AusBlick 2019
AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Editorial

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten
 und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
 Artikel 1 des Grundgesetzes

 Liebe Interessierte an der Arbeit des Diakoniewerks Essen!              den Leitsatz in die Praxis umsetzen. Sie haben es sich
 Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz für die Bundesrepublik            zur Aufgabe gemacht, das Selbstbewusstsein von Men-
 Deutschland offiziell verkündet. Seitdem sind die Grundrechte in        schen in Notsituationen, mit psychischen Erkran-
 den Artikeln 1 bis 19 des Grundgesetzes die Magna Charta unse-          kungen sowie mit geistigen oder körperlichen Ein-
                                                                                                                                  Pfarrer Andreas
 res staatlichen Lebens. Allen voran steht Artikel 1 des Grundge-        schränkungen durch gezielte Betreuungsangebote zu
                                                                                                                                  Müller, Vorstands-
 setzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und      stärken und ihnen ein möglichst selbstbestimmtes Le- vorsitzender des
 zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Im Jahr sei-   ben zu ermöglichen. Die wachsende Anzahl derer, die Diakoniewerks Essen
 nes 70. Geburtstages wird vielen in unserem Land bewusst, welch         begleitet werden, ist ein Indiz dafür, wie viel stärker
 zentrale Rolle das Grundgesetz für unsere Gesellschaft spielt. An-      als früher sich die individuellen Freiheits-, Selbstbestimmungs-
 feindungen grundlegender Prinzipien im eigenen Land fordern             und Persönlichkeitsrechte des Grundgesetzes in der sozialen Ar-
 ebenso wie die Infragestellung von Grundelementen der freiheit-         beit heute niederschlagen.
 lichen Demokratie in anderen Staaten dazu heraus, das Grund-
 gesetz neu zu entdecken und gegen seine Verächter und Bekäm-            Ähnliches lässt sich für die Fachberatung Kindertagespflege beob-
 pfer zu verteidigen.                                                    achten. Sie feiert in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen. Die
                                                                         Kindertagespflege beim Diakoniewerk hat eine rasante Entwick-
 Unser freiheitlich demokratischer Rechtsstaat stellt den rechtli-       lung hinter sich, Tendenz weiterhin steigend. Die fachliche Quali-
 chen Rahmen dar, innerhalb dessen unser demokratisches Ge-              fizierung und Begleitung der Kindertagespflegepersonen garan-
 meinwesen gelebt, gestaltet und entwickelt werden soll. Die Evan-       tiert diese professionalisierte Betreuung mit familiärem Charak-
 gelische Kirche in Deutschland hat im Jahr 1985 mit ihrer Denk-         ter, vor allem für Kinder unter 3 Jahren. Die angestrebte bessere
 schrift „Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Auftrag“           Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat ebenso wie die Entwick-
 eine Neujustierung im Verhältnis des Protestantismus zur Demo-          lung der frühkindlichen Bildung zu einer größeren Vielfalt an
 kratie vorgenommen. Ausgangspunkt dafür ist die Feststellung:           Betreuungsformen geführt, so dass die Kindertagespflege inzwi-
 „Als evangelische Christen stimmen wir der Demokratie als einer         schen neben den Kitas eine anerkannte Form der Kinderbetreu-
 Verfassungsform zu, die die unantastbare Würde der Person als           ung geworden ist.
 Grundlage anerkennt und achtet.“ Das positive Bekenntnis zur
 Demokratie, um das lange gerungen wurde, wird mit der Ach-              Lesen Sie unter dem Gesichtspunkt von Freiheit und Selbstbe-
 tung der Menschenwürde als einer Konsequenz aus der Gottes-             stimmung auch einmal das Interview zu den Sozialen Diensten,
 ebenbildlichkeit des Menschen begründet. Die Spiel- und Gestal-         die vom Diakoniezentrum aus geleitet werden. Das ist ein Tätig-
 tungsräume, die das Grundgesetz bietet, gilt es zu nutzen, denn:        keitsbereich, der nicht weniger als 14 Arbeitsfelder umfasst, in de-
 „Die politische Verantwortung ist im Sinne Luthers ‚Beruf‘ aller        nen sich rund 125 hauptamtlich Mitarbeitende und mehr als 70
 Bürger in der Demokratie.“                                              Honorarkräfte und Praktikantinnen und Praktikanten einbringen.

 Artikel 20 des Grundgesetzes bestimmt unser Land als sozialen           „Mit anderen Bürgern und Politikern nehmen wir evangelische
 Bundesstaat. Evangelische Kirche und Diakonie gestalten diesen          Christen die Demokratie als Angebot und Aufgabe an und scheuen
 Sozialstaat maßgeblich mit. Dabei wandeln sich die Formen der           auch nicht die Konflikte, die entstehen, wo Positionen und Überzeu-
 sozialen Arbeit durch neue Erkenntnisse und veränderte Heraus-          gungen klar vertreten werden.“ Dieses Statement aus der evangeli-
 forderungen. Das lässt sich an dieser Ausgabe des AusBlicks able-       schen Denkschrift gilt mehr denn je. Gerade den Menschen, de-
 sen. Das Jahresheft widmet sich hauptsächlich einigen Arbeitsfel-       nen schnell ihre Menschenwürde aberkannt wird oder die als
 dern, die im neuen Diakoniezentrum Mitte angesiedelt sind. Im           nicht so wichtig abgestempelt werden, gilt in der Diakonie unsere
 August letzten Jahres hat das erste Diakoniezentrum des Diako-          Aufmerksamkeit. Damit die Arbeit gelingen kann, braucht es Mit-
 niewerks in der Lindenallee in der Innenstadt seine Arbeit aufge-       arbeitende, die den Einsatz für eine soziale Gesellschaft zu ihrem
 nommen. Dort befinden sich jetzt die vielfältigen Hilfeleistungen       Anliegen machen. Zwei ganz verschiedene Beispiele werden an-
 für wohnungslose und gefährdete Menschen, die zuvor im So-              schaulich geschildert. Zum einen geht es um den „Traumberuf
 zialzentrum Maxstraße ihren Ort hatten. Auf den fünf Etagen des         Koch“, zum anderen um ein „Ehrenamt auf dem Fußballplatz“.
 Diakoniezentrums ist nun ebenfalls der Sitz der Hilfen zum              Darüber hinaus finden Sie wie in jedem AusBlick die wichtigsten
 selbstständigen Wohnen und der Leitung der Sozialen Dienste             Zahlen, Daten und Fakten zum Diakoniewerk Essen sowie einen
 samt der Koordination der Lernförderung. Zudem verfügen die             kleinen Foto-Rückblick auf das letzte Jahr. Ich wünsche Ihnen
 Kindertagespflege und das Fortbildungsreferat des Diakonie-             eine interessante und aufschlussreiche Lektüre. Sie darf gerne
 werks über eigene Räumlichkeiten.                                       zum Nachdenken, Nachfragen, Staunen, Unterstützen und Mit-
                                                                         machen anregen.
 Im Leitbild des Diakoniewerks heißt es: „Unser Handeln richtet
 sich an der Würde aus, mit der Gott jeden Menschen in seiner Ein-
 zigartigkeit ausstattet.“ Lesen Sie beispielhaft, wie Mitarbeitende
 aus dem Arbeitsbereich „Hilfen zum selbstständigen Wohnen“              Pfarrer Andreas Müller, Vorstandsvorsitzender

                                                                                                               2019
AusBlick                                                                                                                      AusBlick 2019     3
AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Mobil und flexibel

                                                                                             Einsatzgebiet Essen: Der stellvertretende
    Steigende Nachfrage, Gesetzesänderungen,                                                 Leiter Ralf Fritsch und Bereichsleiterin
                                                                                             Katharina Schürmann (von links) optimieren
    Sozialraumorientierung:                                                                  Strukturen und Vernetzungen, um die wach-
    Betreutes Wohnen im Wandel der Zeit                                                      sende Anzahl an Klientinnen und Klienten
                                                                                             bestmöglich zu koordinieren.

    D
                 er Arbeitsbereich „Hilfen zum selbstständigen Wohnen“, auch                 reichbarkeit ist der neue Standort nicht
                 „Betreutes Wohnen“, hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Selbst-            nur für die Mitarbeitenden, sondern auch
                 bewusstsein von Menschen in Notsituationen, Menschen mit psy-
                                                                                             für die Klientinnen und Klienten ein ech-
                                                                                             ter Gewinn. „Wir fühlen uns hier sehr
                 chischen Erkränkungen sowie Menschen mit geistigen oder kör-
                                                                                             wohl, auch, weil Synergien jetzt viel besser
    perlichen Einschränkungen durch gezielte Betreuungsangebote selbstbewuss-                genutzt werden können“, erklärt mir Ka-
    ter zu machen und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Im Jahr               tharina Schürmann zu Beginn unseres Ge-
    2000 eingerichtet, hat der Bereich seitdem viele Änderungen erfahren.                    sprächs. Schon jetzt bestünde eine gute
                                                                                             Vernetzung, etwa mit den Sozialen Diens-
                                                                                             ten, die unter dem gleichen Dach sitzen.
    In einem Gespräch mit Bereichsleiterin       wurde der Bereich von der Warthestraße
    Katharina Schürmann und dem stellvertre-     in Essen-Bergerhausen hierher verlagert.    Der Bereich „Hilfen zum selbstständigen
    tenden Bereichsleiter Ralf Fritsch möchte    Hell und geräumig ist es hier, mit einem    Wohnen“ ist seit den Anfängen stark ge-
    ich mehr über eben diese Veränderungen       weiten Blick auf die Alfred-Herrhausen-     wachsen. Sieben Teams arbeiten mittler-
    erfahren. Wir treffen uns in den neuen       Brücke und den davor gelagerten Waldt-      weile beim Betreuten Wohnen – zwei von
    Büros im Diakoniezentrum Mitte in der        hausenpark – die Klientel quasi in Sicht-   ihnen sind am Nebenstandort in der
    Essener Innenstadt. Eine räumliche Ver-      weite. Dank der Nähe zum Hauptbahnhof       Laarmannstraße in Essen-Borbeck unter-
    änderung, die sichtbar ist. Im August 2018   und der damit verbundenen guten Er-         gebracht, eins davon unter der Leitung von

4   AusBlick 2019
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Betreutes Wohnen

Von Beginn an dabei: Im Jahr 2000 startete
Bereichsleiterin Katharina Schürmann mit
sechs Klienten. Heute betreut der Arbeits-
bereich mehr als 300 Menschen.

Ralf Fritsch. Jedes Team besteht aus etwa      immer wieder mit neuen gesellschaftli-        ren Ende dann Suchtproblematiken oder
fünf bis sieben Personen, inklusive Team-      chen Herausforderungen auseinanderset-        psychische Auffälligkeiten rückten.“ Aber
koordination. Zudem ist eine Qualitäts-        zen und so den Veränderungsprozess mit        auch hier ist der Dienst durch stetige Fort-
management-Beauftragte für den gesam-          innovativen Ideen maßgeblich positiv vor-     und Weiterbildung der Mitarbeitenden gut
ten Dienst eingesetzt.                         antreiben“, ergänzt Katharina Schürmann.      gewappnet, um professionelle Beratung
                                                                                             und Unterstützung anbieten zu können.
Was alle 48 Fachkräfte, zehn Assistenz-        Und auch bei den Klientinnen und Kli-         Die positive Wahrnehmung der hohen
kräfte und vier Verwaltungsfachkräfte          enten hat es vielfältige Veränderungen        Fachlichkeit der Mitarbeitenden zeigt sich
miteinander verbindet, ist die riesige Ein-    gegeben. Nicht nur, dass es immer mehr        nicht zuletzt auch in der guten Nachfrage.
satzbereitschaft. „Meine Mitarbeitenden        Menschen werden, die Hilfe benötigen.
brennen für ihren Job“, erklärt Katharina      Auch die Diagnosen haben sich gewandelt.      Alles Gründe dafür, dass im Laufe der
Schürmann. So viel Engagement sei schon        Waren es früher meist Einzeldiagnosen,        letzten Jahre immer strukturierter und
sehr besonders, fügt Ralf Fritsch zustim-      hat man es heute mit mehreren, oft bis zu     vernetzter gearbeitet wurde. „Früher ha-
mend hinzu. „Die Strukturen sind heute         vier Diagnosen gleichzeitig, zu tun. „Diese   ben wir einfach geschaut, welche Kollegen
ganz anders als früher“, erzählt er. „Im       Komorbiditäten sind absolut keine Selten-     freie Kapazitäten haben und die Klienten
Laufe der Jahre hat es so einige Verände-      heit mehr“, erläutert Ralf Fritsch. „Die      danach auf die Betreuer verteilt. Dann sind
rungen innerhalb der gesetzlichen Rah-         Zahlen sind massiv gestiegen.“ Seiner Mei-    unsere Mitarbeitenden an einem Tag teil-
menbedingungen gegeben, die sich auf die       nung nach spiegelt die Klientel sehr gut      weise durch das ganze Stadtgebiet gefah-
Arbeitsanforderungen des Dienstes ausge-       unsere Gesellschaft wider: „Wir haben es      ren“, erzählt Katharina Schürmann. Ir-
wirkt haben“, so der stellvertretende Be-      immer häufiger mit Menschen zu tun, die       gendwann wurde das schlichtweg zu viel.
reichsleiter. „Das uns die strukturellen Um-   im Berufsleben standen und ihr Leben fest     Zunehmende Verkehrsdichte, erhöhte ad-
setzungen gut gelungen sind, ist nicht zu-     im Griff hatten – bis ein schwerwiegendes     ministrative Anforderungen und die Stei-
letzt den Mitarbeitenden zu verdanken,         Ereignis zum Einbruch führte, sie in über-    gerung der Fallzahlen bei den einzelnen
die sich auch anhand von Fortbildungen         fordernde Lebensumstände brachte, an de-      Mitarbeitenden erforderten auch hier eine

                                               Einsatzbereitschaft hoch 62: 48 Fachkräfte, zehn Assistenzkräfte und
                                               vier Verwaltungsfachkräfte arbeiten in insgesamt sieben Teams.

                                                                                                                          AusBlick 2019     5
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Mobil und flexibel

    neue Ausrichtung. Eine Änderung musste       oder Ausflüge lernen sich die Klientinnen      Und eines ist auch sicher: Der Bereich der
    her: Verringerung der Fahrtzeit und eine     und Klienten besser kennen, es ergeben         „Hilfen zum selbstständigen Wohnen“
    bezirksmäßige Aufstellung – so die Lö-       sich Wir-Gefühle. Zusätzlich versuchen         bleibt im Wandel, um auf Änderungen
    sung. „Wir haben geschaut, wo unsere Kli-    die Bezugsbetreuerinnen und -betreuer,         und neue Anforderungen adäquat reagie-
    enten wohnen“, erinnert sich Ralf Fritsch.   grundlegende Bedürfnisse der einzelnen         ren zu können. „Es gibt noch jede Menge
    Das war ein Prozess von ungefähr zwei        Klientinnen und Klienten zu erkennen           zu tun“, macht Ralf Fritsch am Ende unse-
    Jahren. Katharina Schürmann fügt hinzu:      und sie bei der Umsetzung ihrer Ziele zu       res Gesprächs deutlich. „Wir müssen wei-
    „Heute arbeiten fünf von sieben Teams        unterstützen. Dann wird im Umfeld ge-          ter an uns arbeiten und Strukturen flexibi-
    stadtteilorientiert – mit Ausnahme der so-   schaut, was für einzelne Personen in ihrem     lisieren, um wachsenden Veränderungen –
    zialpädagogischen Wohnhilfe. Anders ist      Sozialraum möglich ist, um sie darüber         etwa bei den rechtlichen Rahmenbedin-
    der starke Zuwachs gar nicht zu erledigen.   zusätzlich zu vernetzen – etwa über den        gungen – auch zukünftig gerecht werden
    Denn unsere Arbeit besteht ja eben zum       Beitritt zu einem Sportverein oder eh-         zu können.“ So sollen die Mitarbeitenden
    größten Teil aus Außendienst und admini-     renamtliche Aufgaben. „Das bedeutet für        noch stärker entlastet und die Sozial-
    strativen Tätigkeiten.“                      uns jede Menge Schnittstellenarbeit und        raumorientierung weiterentwickelt wer-
                                                 Kooperation“, erklärt Ralf Fritsch. Dabei      den. Aber sowohl Katharina Schürmann
    Diese Umorientierung hat viele Vorteile      sind die seit 2010 mit eingesetzten Assis-     als auch Ralf Fritsch blicken der Zukunft
    mit sich gebracht. Dank der Sozialraum-      tenzkräfte eine wertvolle Ergänzung und        positiv entgegen: „Wir haben motivierte,
    orientierung rücken auch die Klientin-       Unterstützung. Und auch für die Zukunft        engagierte Mitarbeitende und einen durch-
    nen und Klienten näher zusammen. Durch       gilt es, den Sozialraum mit und für die Kli-   weg guten Ruf“, sind sich die beiden einig,
    gemeinsame Aktivitäten wie Grillabende       entinnen und Klienten zu erschließen und       „von daher wird uns das ganz sicher ge-
                                                 sie als mündige Bürgerinnen und Bürger         lingen.“
    Viele Themen und jede Menge Neuig-           an Entscheidungsprozessen partizipieren        Kathrin Michels
    keiten werden während der regelmäßigen       zu lassen.
    Besprechungen im Großteam erörtert.

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AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Betreutes Wohnen

                                                                                         Die eigene Einstellung ist entscheidend:
„Sie schaffen das – auch ohne uns!“                                                      Wenn die Zusammenarbeit so gut funktio-
                                                                                         niert wie mit Lars Passmann, kann man viel
Schulden, Depressionen, Angststörungen und Suchtproblematiken sind häufig                erreichen.
die Auslöser für eine Abwärtsspirale, an deren Ende man die Kontrolle über sich
                                                                                         dass Ihr Leben Sie ein Stück weit aus
und sein Leben verliert. Und dann? Die „Hilfen zum selbständigen Wohnen“ des
                                                                                         der Bahn geworfen hat?
Diakoniewerks kümmern sich genau um solche Fälle. Sie fängt ihre Klientinnen
                                                                                         Lars Passmann: Bei mir waren haupt-
und Klienten auf und hilft ihnen Stück für Stück zurück in den Alltag.                   sächlich private familiäre Probleme der
                                                                                         Auslöser. Auch ein Grund dafür, dass ich
Ich treffe mich mit Saskia Niemann, Di-       entenstamm. Einer ihrer Klienten ist der   schon mit 18 Jahren von Zuhause ausgezo-
plom-Sozialarbeiterin und -pädagogin im       24-jährige Lars Passmann (Name von der     gen bin. Das war für mich damals wirklich
Bereich der sozialpädagogischen Wohn-         Redaktion geändert).                       keine einfache Lebenssituation – sowohl
hilfe und einem ihrer Klienten, um mehr                                                  familiär, als auch finanziell. Zudem hatte
über diese Hilfeleistung zu erfahren – und    Herr Passmann, erst einmal herz-           ich 2013 meine Ausbildung zum Garten-
zwar von beiden Seiten.                       lichen Dank dafür, dass Sie bereit         und Landschaftsgärtner begonnen, die ich
Saskia Niemann ist seit September 2006        sind, uns einen Einblick in Ihre der-      dann aber wegen einer Handgelenksver-
bei den Hilfen zum selbstständigen Woh-       zeitige Lebenssituation zu gewähren.       letzung abbrechen musste. Zweieinhalb
nen. Die Teamleiterin hat einen festen Kli-   Wie kam es denn überhaupt dazu,            Jahre war ich mit einem eingegipsten Arm

                                                                                                                      AusBlick 2019   7
AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Im Gespräch

    Erfolgserlebnis Selbstständigkeit: Viele
    Klienten von Saskia Niemann schaffen es,
    irgendwann ohne Betreuung zurechtzu-
    kommen.

    körperlich stark eingeschränkt, saß viel
    Zuhause rum. Das hat mich depressiv ge-
    macht. Hinzu kamen Suchtproblematiken
    und ein, sagen wir mal, gewisses Aggres-
    sionspotential. Irgendwann hat mich dann
    einfach alles überrollt und ich habe den
    Bezug zum Leben verloren: Ich hatte kein
    Geld mehr, konnte meine Miete nicht zah-
    len, steckte mehrfach in lebensbedrohli-
    chen Situationen. Hab’ halt dumme Sa-
    chen gemacht.

    Und dann haben Sie Kontakt zum
    Diakoniewerk aufgenommen?
    Lars Passmann: Nein, dazu war ich in
    dieser Zeit gar nicht in der Lage. Meine
    Mutter hat damals das Steuer für mich
    übernommen. Zum Glück! Sie hat ge-
    merkt, dass bei mir einiges schief lief. „Jetzt   immer das Verhindern von Wohnungslo-            Welche Ziele wurden denn von Ihnen
    ist Schluss“, meinte sie und hat ein Treffen      sigkeit und die Anbindung ans soziale Sys-      festgelegt, Herr Passmann? Können
    beim Diakoniewerk eingeleitet.                    tem, also quasi zurück zum Ursprung.            Sie uns ein paar Beispiele nennen?
                                                                                                      Lars Passmann: Haushaltsführung und
    Und wie ging es dann weiter?                      Können Sie den Hilfeplan noch                   Renovierung der Wohnung gehörten zu
    Lars Passmann: Ich hatte ein Erstge-              etwas näher beschreiben?                        meinen festgesteckten Zielen. Kurz vor
    spräch bei den „Hilfen zum selbststän-            Wir machen den Klienten individuelle An-        Weihnachten habe ich daher angefangen,
    digen Wohnen“, in dem ich von meinen              gebote und Vorschläge und legen schrift-        die Wohnung zu tapezieren und zu reno-
    Problemen erzählt habe. Dann wurde ein            lich gemeinsam den Bedarf in Form von           vieren. Allerdings musste ich die Renovie-
    Antrag gestellt und ich wurde vermittelt.         Zielen fest. Unsere Aufgabe ist es vor allem,   rungsarbeiten vorerst wieder auf Eis legen.
                                                      Selbstständigkeit und Selbstbestimmung          Mir fehlt derzeit einfach das Geld.
    Und dann kam Frau Niemann ins Spiel?              zu fördern, zu stärken und zu unterstüt-        Saskia Niemann: Die meisten unserer
    Saskia Niemann: Ja, so ungefähr (lacht).          zen. „Schauen Sie mal, dass Sie das schaf-      Klienten haben ein finanzielles Problem
    Das Aufnahmeverfahren geht in solchen             fen“, kriegen die Klienten oft von uns zu       und eine Vielzahl an Folgeproblemen, die
    sozialen Notlagen meist wirklich sehr             hören. Sehr wichtig dabei ist auch, dass es     sich daraus ergeben: Briefe werden nicht
    schnell, denn der Leidensdruck ist ja hoch.       ein freiwilliges Angebot ist.                   geöffnet, Fristen versäumt, Rechnungen
    Die sozialpädagogische Hilfe ist eine Akut-                                                       nicht bezahlt, Gerichtstermine nicht einge-
    hilfe, die bei Notfällen wie Gewalt, Haft-        Das heißt?                                      halten und so weiter. Aus diesem Trott
    entlassung oder drohender Wohnungs-               Saskia Niemann: Der Klient ist immer            kommen die meisten alleine nicht mehr
    losigkeit greift. Die Prozeduren sind daher       der Auftraggeber. Das macht was mit             heraus. Sie haben einfach den Überblick
    zügig und prägnant. So können wir unsere          einem. Er entscheidet selbst, ob er unsere      verloren und schaffen es nicht mehr, alles
    Klienten nach Abschluss eines Betreu-             Hilfe annimmt oder nicht. Die Zusam-            zusammenzutragen, was von Ämtern oder
    ungsvertrags meist schon am gleichen oder         menarbeit hängt also stark von der Mitar-       Gerichtswegen von ihnen gefordert wird.
    darauffolgenden Tag Unterstützung und             beit der Klienten ab. Ganz nach dem Uno-        Viele benötigen deshalb zusätzlich auch ei-
    Betreuung anbieten. Etwa bei der Beantra-         actu-Prinzip – ohne die Klienten geht gar       ne gesetzliche Betreuung.
    gung von Sozialleistungen oder anderen            nichts.
    Angelegenheiten, nachdem wir im Hilfe-            Lars Passmann: Ja, stimmt, das war mir          Wie kann ich mir Ihre Hilfe
    plan den Ist-Zustand und den daraus               von Anfang an wichtig, dass die Selbststän-     konkret vorstellen?
    resultierenden Bedarf ermittelt haben.            digkeit gewahrt wird. Ich bin ja alt genug      Saskia Niemann: Die Mitarbeitenden in
    Unser wichtigstes Ziel ist dabei zuallererst      und vorschreiben lasse ich mir eh nichts.       diesem Arbeitsbereich betreuen bei einer

8   AusBlick 2019
AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Betreutes Wohnen

Vollzeitstelle zwischen 15 und 17 Klienten.     Dreimal in der Woche gehe ich zum Off-         und 40 Jahre alt. Und: Die Probleme äh-
Das bedeutet zwei Dienstleistungsstunden        enen Treff im Diakoniezentrum. Es tut mir      neln sich. Viele von ihnen haben Schulden
pro Klient pro Woche – entweder per             gut, mich mit anderen auszutauschen. Und       und leiden unter Depression, Angststö-
Hausbesuch oder manchmal auch nur via           ich kann hier den Kopf freikriegen.            rung oder Suchtproblematiken. Es geht ei-
Telefonkontakt. Gerade in der Anfangszeit       Saskia Niemann Den Offenen Treff bie-          nem oft sehr nahe, welche Schicksale die
können mehr Stunden in der Woche gelei-         ten wir unseren Klienten zu festen Zeiten      Menschen aus dem Leben gerissen haben.
stet werden, da häufig viel zu erledigen ist.   immer montags, donnerstags und freitags        Manchmal sind es Krankheiten, aber auch
Im weiteren Verlauf der Betreuung relati-       hier in unseren Räumlichkeiten im Diako-       der Verlust eines geliebten Menschen, im
viert sich das meistens. Die bewilligten        niezentrum Mitte an. Aber auch Leute, die      schlimmsten Fall des eigenen Kindes. Da
Dienstleistungsstunden für ein Jahr sind        sich interessieren, sind willkommen –          kann man den Schmerz regelrecht nach-
als Kontingent zu verstehen, mit dem man        meist wohnungslose oder aus der Haft ent-      fühlen und die derzeitige Lebenslage ist
haushalten muss. Im konkreten Fall von          lassene Menschen. Die Teilnehmenden            durchaus nachvollziehbar.
Herrn Passmann öffnen und bearbeiten            können sich austauschen oder auch Kon-
wir in dieser Zeit zum Beispiel gemeinsam       takt zu den Fachkräften vor Ort aufneh-        Umso wichtiger ist da wahrschein-
seine Post, schauen, was gefordert wird. Ich    men, um mit ihnen etwa Briefe zu öffnen        lich der soziale Kontakt mit Gleich-
begleite ihn aber auch zu Ämtergängen,          oder Fragen zu klären. Der Offene Treff ist    gesinnten. Dass man merkt, dass
zum JobCenter oder Ausbildungsterminen          ebenfalls freiwillig und wird wirklich sehr    man nicht alleine ist, oder?
und erinnere ihn vorab an Unterlagen, die       gut von unseren Klienten angenommen.           Lars Passmann: Ganz genau. Der Offene
er mitbringen muss oder helfe ihm bei           Freitags gibt es immer ein Frühstück. An       Treff tut mir wirklich gut, gibt mir ein
Bewerbungsschreiben. Wir vereinbaren            den anderen Tagen bieten wir Koch- oder        Gefühl von Verbundenheit. Auch wenn ich
diese Termine je nach Bedarf und wenn es        Backangebote. Auch unsere Spielnachmit-        mal keine Lust habe, hinzugehen, raffe ich
zumindest einem von uns beiden notwen-          tage sind sehr beliebt. Und ab und an ma-      mich trotzdem auf. Letztens habe ich einen
dig erscheint. Eben ganz individuelle Hilfe,    chen wir schon mal einen gemeinsamen           Bekannten mitgenommen. „Da kann man
die von Jahr zu Jahr immer neu entschie-        Ausflug.                                       was gegen seine Probleme machen“, habe
den wird.                                                                                      ich zu ihm gesagt. Ihm hat es dort auch ge-
                                                Was sind das für Menschen? Sind                fallen.
Und Ihr Tagesablauf, Herr Passmann,             es die gleichen Problematiken?                 Saskia Niemann: Die Förderung sozialer
wie sieht der momentan aus?                     Saskia Niemann: Die Gruppenzusam-              Kontakte ist sehr wichtig und Teilziel des
Lars Passmann: Ich stehe auf und gucke,         mensetzung ist natürlich heterogen. Aber       Hilfeplans. Außerdem strukturiert der Of-
dass meine Wohnung in Schuss bleibt.            der Großteil der Personen ist zwischen 35      fene Treff auch ein Stück weit den Tages-

Hilfen zum selbstständigen Wohnen: Verteilung der Klientinnen und Klienten

                                                                        Gesamt: 313 Personen

                                                                        238 Personen im Bereich der Eingliederungshilfe,
                                                                        davon
                                                                        156 Menschen mit psychischer Erkrankung
                                                                        65 Menschen mit Intelligenzminderung
                                                                        13 Menschen mit Suchterkrankung
                                                                        4 Menschen mit Hörbehinderung

                                                                        75 Personen im Bereich der sozialpädagogischen Wohnhilfe

                                                                        Stand: März 2019

                                                                                                                           AusBlick 2019     9
AUSBLICK - DIAKONIEWERK ESSEN
Während des „Offenen Treffs“ im Diakonie-
                                                                                                   zentrum Mitte können die Klientinnen und
     ablauf unserer Klienten. Es wird oft unter-     genauso wichtig. Apropos – ich finde ja,      Klienten gemeinsam frühstücken, kochen
     schätzt, wie wichtig es ist, einen geregelten   dass Sie sich Ihre Situation gerade passend   oder einfach untereinander und mit den
     Alltag zu haben.                                vor Augen geführt haben, Herr Passmann,       Betreuerinnen und Betreuern ins Gespräch
     Lars Passmann: Und die Gespräche. Psy-          Stichwort „Selbstverantwortung“. Es sind      kommen.
     chologengänge wären mir im Moment               nämlich nicht immer die anderen schuld.
     echt zu viel. Ich hol mir die Therapie eher     Diese Selbsterkenntnis ist wichtig, um sein   ehemalige Klienten, denen es gut geht, die
     hier. Die Empathie und Menschenkennt-           Leben wieder in den Griff zu kriegen. Denn    etwa auf dem Arbeitsmarkt Fuß gefasst ha-
     nisse der Mitarbeiter reichen völlig aus.       nur, wenn unsere Klienten es auch selber      ben, aber sagen; „Ich kenn da jemanden,
     Saskia Niemann: Wobei wir natürlich             wollen, können sie es schaffen.               der braucht dringend Hilfe.“ Das ist die
     keine Therapeuten sind!                                                                       beste Mund-zu-Mund-Propaganda. Man
     Lars Passmann: Ja, aber ihr seid da, wenn       Wie sieht es denn mit der                     sieht eben nicht nur Schicksale, sondern
     andere sich wegdrehen. Mir gibt das ein-        Erfolgsquote aus?                             auch jede Menge Erfolge.
     fach Stabilität und es hilft mir sehr, zurück   Saskia Niemann: Abbrüche sind durch-
     ins Leben zu finden. Und obwohl ich die         aus keine Seltenheit. Und wir stehen auch     So wie bei Herrn Passmann?
     Verantwortung für mein Handeln über-            oft vor verschlossenen Türen. Aber es sind    Saskia Niemann: Kann man so sagen. Im
     nehme, ist es trotzdem ein Miteinander.         ebenso viele Menschen darunter, die es        Gegensatz zu dem Punkt, als Herr Pass-
     Was ich auch sehr schätze: Man wird für         irgendwann schaffen, ohne uns zurechtzu-      mann das erste Mal zu uns kam, ist sein
     sein Verhalten nicht ständig kritisiert, be-    kommen. Denn das ist ja unser eigentli-       Leben mittlerweile sehr viel geregelter, mit
     kommt nicht nur den Finger in die Wunde         ches Ziel. Darüber freut man sich dann        Blick nach vorne. Und er macht eben nicht
     gelegt.                                         natürlich sehr. Es gibt auch Klienten, da     mehr alle anderen für sich verantwortlich.
     Saskia Niemann: Aber Schranken und              bleibt der Kontakt bestehen, die rufen im-
     Türen haben wir durchaus angesprochen.          mer mal wieder an und es kommt zum Ge-        Das klingt nach Erfolg. Empfinden
     Da kann ich mich schon noch an Situa-           spräch. Sympathien spielen dabei natür-       Sie das auch so?
     tionen erinnern, wo wir einen Schluss-          lich auch eine große Rolle.                   Lars Passmann: Doch, ich empfinde mich
     strich ziehen mussten: „Heute kommen                                                          auch als sehr viel zuverlässiger im Ver-
     wir so nicht voran. Wir machen morgen da        Also nicht nur Frust, sondern auch            gleich zu früher. Und ich bin mittlerweile
     weiter, wo wir heute aufgehört haben.“          viele positive Rückmeldungen?                 alleine erfolgreich, nicht nur wegen meiner
     Aber natürlich geben wir auch positive          Saskia Niemann: Auf jeden Fall! Das           Mutter. Das waren zwar mehr als schlechte
     Rückmeldungen, die sind ja mindestens           schönste Lob ist für uns die Akquise durch    sechs Jahre, aber die waren wahrscheinlich

10   AusBlick 2019
Betreutes Wohnen

notwendig, um der Mensch zu sein, der ich     sein, habe also noch jede Menge Ziele, die     bung habe ich im BIZ gesehen und mit
heute bin – oder besser, der ich zukünftig    ich gemeinsam mit Frau Niemann errei-          jeder Zeile wurde der Wunsch, genau das
hoffentlich sein werde.                       chen will. Und ich will wieder arbeiten, am    machen zu wollen, größer.
                                              liebsten irgendetwas mit Autos machen.
Sie sind also noch nicht mit sich             KFZ-Mechatroniker oder besser noch, eine       Dann wünsche ich Ihnen für Ihre
fertig. Wo sehen Sie sich denn in             duale Ausbildung zum KFZ-Mechatroni-           Zukunft alles Gute und bedanke
naher Zukunft?                                ker und Personenwagentechniker verbun-         mich bei Ihnen beiden für das
Lars Passmann: Ich will aufwachen, auf-       den mit einem Auslandsaufenthalt. Das          offene Gespräch.
stehen, nicht mehr so faul und chaotisch      wäre mein Traum. Die Stellenbeschrei-          Das Gespräch führte Kathrin Michels

Hintergrund: Leistungsberechtigte und Aufnahmeverfahren
Wer erhält die Hilfen zum selbstständigen Wohnen?                                            Eingliederungshilfe
Das Angebot der „Hilfen zum selbstständigen Wohnen“ bietet ambulante Einzelfallhilfen        Im Bereich der Eingliederungshilfe verein-
auf der Grundlage des Sozialgesetzbuches XII an. Im Rahmen der Eingliederungshilfe           baren die Personen oder die Kooperations-
erfolgen die Dienstleistungen gemäß der Paragrafen 53ff, im Rahmen der sozialpädago-         partner einen Termin für ein Informati-
gischen Wohnhilfen gemäß der Paragrafen 67ff.                                                onsgespräch. Neben umfänglichen Aus-
                                                                                             künften zu den Dienstleistungen dient das
Eingliederungshilfe                                                                          Gespräch auch der Beratung und der Klä-
Leistungsberechtigt sind Menschen, die infolge einer gesundheitlichen Störung in ihrer       rung der wirtschaftlichen Verhältnisse.
Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, „wesentlich“ eingeschränkt sind. Hierzu zählen   Häufig ergibt sich auch erst im Laufe des
Menschen, bei denen eine körperliche und/oder geistige und/oder seelische Behinderung        Gesprächs die Zuordnung zu dem entspre-
vorliegt. Bei diesen und anderen Personenkreisen – wie etwa bei suchterkrankten Men-         chenden Leistungsträger.
schen – muss die wesentliche Behinderung durch ein fachärztliches Attest nachgewiesen        Zurzeit existiert in diesem Bereich eine
werden. Der Behinderungsbegriff und die dadurch bedingte Beeinträchtigung der Teil-          Warteliste. Während der etwa dreimonati-
habe am Leben in der Gemeinschaft wird als Abweichung vom alterstypischen Zustand            gen Wartezeit finden Stützgespräche statt,
definiert.                                                                                   um den Kontakt zu halten und bei allen für
                                                                                             den Bewilligungsprozess notwendigen Un-
Sozialpädagogische Wohnhilfe                                                                 terstützungsleistungen behilflich zu sein.
Leistungsberechtigt sind Menschen, die sich in besonderen Lebensverhältnissen befinden,
in denen die von der Gesellschaft als üblich angesehenen Mindeststandards unterschrit-       Sozialpädagogische Wohnhilfe
ten werden. Diese Lebensverhältnisse sind mit sozialen Schwierigkeiten verbunden, die        Da es sich bei der Sozialpädagogischen
nur überwunden werden können, wenn die besonderen Lebensverhältnisse beseitigt wer-          Wohnhilfe aufgrund des Vorliegens einer
den. Die soziale Notlage geht über die durch andere Sozialgesetzbücher abgedeckten           sozialen Notlage um eine Akutmaßnahme
Risiken des Lebens wie Krankheit, Behinderung, Einkommensarmut oder Arbeitslosig-            handelt, darf es hier keine längere Warte-
keit hinaus. Menschen, die diesem Personenkreis zugerechnet werden, befinden sich in         zeit geben. Durch die räumliche Nähe zur
einer existenziell bedrohlichen sozialen Lage und daher in einem Zustand besonderer Not      Ambulanten Gefährdeten- und Woh-
und Schutzlosigkeit. Es handelt sich daher um eine Akuthilfe, da sie aus eigener Kraft       nungslosenhilfe im Diakoniezentrum Mit-
nicht fähig sind, diese sozialen Notlagen zu überwinden. Daher müssen Bedarfe zügig          te geschieht die Vermittlung falls möglich
und zeitnah gedeckt werden.                                                                  tagesaktuell. Der dreimal in der Woche
                                                                                             stattfindende „Offene Treff“ bietet zusätz-
Wie erhält man die Hilfen zum                                                                lich eine offene Sprechstunde, die gleich-
selbstständigen Wohnen?                                                                      zeitig eine sehr zeitnahe Unterstützung bei
Neben der Vermittlung durch werksinterne Einrichtungen und Dienste werden die Hilfen         der Antragstellung von entsprechenden
zum selbstständigen Wohnen auch durch die Kontaktaufnahme externer Kooperations-             Sozialleistungen ermöglicht.
partner wie etwa dem Sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes der Stadt
Essen, den Sozialen Diensten der Krankenhäuser und den Tagesstätten für psyisch er-
krante Menschen, der Bewährungshilfe, dem Ambulanten Sozialen Dienst des Jugend-
amtes der Stadt Essen sowie durch gesetzliche Betreuerinnen und Betreuer und auch auf-
grund von Eigeninitiative initiiert.
                                                                                                                         AusBlick 2019     11
Interview

                                                                                              Auf zum nächsten Klienten: 70 % ihrer
                                                                                              Arbeitszeit ist Teamleiterin Bogumila
                                                                                              Pogrzeba unterwegs.

                                                                                              und psychischen Störungen. Viele von ih-
                                                                                              nen waren zuvor lange Zeit in stationärer
                                                                                              Unterbringung und haben das Alltags-
                                                                                              leben regelrecht verlernt oder sind nicht in
                                                                                              der Lage, alleine zu wohnen, etwa auf-
                                                                                              grund mangelnder Intelligenz.

                                                                                              3. Was reizt Sie an Ihrer Arbeit?
                                                                                              Ganz eindeutig: Der Mensch! Das hat mich
                                                                                              mit 36 Jahren dazu bewogen, in diesem
                                                                                              Bereich tätig zu werden und fasziniert
                                                                                              mich auch weiterhin. Bei den Sozialpäda-
                                                                                              gogen herrscht im Allgemeinen ja die
                                                                                              Überzeugung, alle drei bis vier Jahre den
                                                                                              Bereich zu wechseln. Aber: In meinem Job
                                                                                              gibt es keine Langeweile oder negative Mo-
                                                                                              tivation. Weil kein Klient und kein Tag
                                                                                              dem anderen gleicht.

                                                                                              4. Es gibt aber doch bestimmt auch
                                                                                                 ein paar alltäglich zu erledigende
                                                                                                 Aufgaben?
                                                                                              Klar, der Großteil unserer Arbeit besteht
                                                                                              aus Face-to-Face-Kommunikation. Aber
                                                                                              wenn Sie jetzt vielleicht denken, wir sitzen
                                                                                              in unseren Büros und unsere Klienten
                                                                                              kommen hierher – so ist es nicht. Meine
                                                                                              Kollegen und ich sind immer auf dem
                                                                                              Sprung. Unser Arbeitsplatz ist das Auto.
                                                                                              Wir sind ständig unterwegs, fahren von
                                                                                              Klient zu Klient, etwa von Huttrop nach
                                                                                              Kettwig und zurück zur Dienststelle in der
                                                                                              Lindenallee. Dort findet ja zum Beispiel
                                                                                              auch der Offene Treff statt. Ich habe keine
                                                                                              geregelten Arbeitszeiten, aber ich bin
     Immer auf dem Sprung: 10 Fragen                                                          schätzungsweise 70 % meiner Arbeitszeit
                                                                                              unterwegs und nur etwa 30 % verbringe
     an Bogumila Pogrzeba                                                                     ich im Büro.
                                                                                              Was die alltägliche Arbeit mit unseren Kli-
     Die gebürtige Polin ist Diplom-Sozialpädagogin und Teamleiterin der Einglie-             enten anbelangt, würde ich es so ausdrü-
     derungshilfe bei den „Hilfen zum selbstständigen Wohnen“. Mit 29 Jahren kam              cken: Wir greifen ihnen unter die Arme
     sie nach Deutschland, war zunächst als Medizinisch-technische Assistentin tä-            und unterstützen sie im Alltag. Dabei müs-
     tig und wollte dann etwas ganz anderes: Für und mit Menschen arbeiten.                   sen wir sehr organisiert vorgehen. Es ist
                                                                                              nämlich die Struktur, die unseren Klienten
     1. Frau Pogrzeba, seit wann arbeiten        also seit den Anfängen dabei. Und ich ver-   fehlt: Briefe türmen sich oft bergeweise in
        Sie beim Diakoniewerk Essen?             rate Ihnen gerne, dass ich einen meiner      den Schränken. Es fällt schwer, da den
     Ich bin seit März 1997 beim Diakoniewerk    ersten Klienten heute immer noch betreue.    Überblick zu behalten.
     tätig, das damals noch Ev. Heimstätten-                                                  Auch Einkaufs- oder Arztbegleitungen
     werk hieß. Zuerst als Praktikantin im An-   2. Wer sind denn Ihre Klientinnen            gehören zu unserem beruflichen Alltag.
     erkennungsjahr im Wilhelm-Becker-Haus         und Klienten?                              Und das bedeutet für uns als Betreuer
     und nachher als Leitung der dortigen Ver-   Es sind vielfach Menschen mit geistiger      nicht, im Wartezimmer zu sitzen und in
     selbstständigungsgruppe, aus der im März    Behinderung, darunter einige mit Mehr-       Zeitschriften zu blättern. Unsere Klienten
     2000 dann die „Hilfen zum Selbststän-       fachdiagnosen, Hörgeschädigte, aber auch     leiden vielfach unter Phobien und Angst-
     digen Wohnen“ entstanden sind. Ich bin      Menschen mit psychischen Erkrankungen        störungen. Ein Arztbesuch wird da schnell

12   AusBlick 2019
Betreutes Wohnen

zum Martyrium. Sie brauchen dafür eine          die wohl wichtigsten Eigenschaften für
gezielte und geschulte Unterstützung.           die Arbeit mit unseren Klienten. Hinzu
Auch der Vorstellung, dass Menschen mit         kommt eine große Portion Engagement
geistiger Behinderung sich einfach leiten       und, ganz wichtig, Einfühlungsvermögen.
lassen, muss ich widersprechen. Es sind         Wir arbeiten hier mit Menschen – auf sie
Menschen wie Sie und ich, Menschen mit          muss man eingehen können. Das hängt
Zielen, Höhen und Tiefen. Nur die Metho-        natürlich auch stark davon ab, ob die Che-      mente, immer dann, wenn Fortschritte zu
dik der Zusammenarbeit ist eine andere.         mie zwischen Betreuer und Klient stimmt.        sehen sind. Aber natürlich auch jede Men-
                                                Deshalb arbeite ich selbst auch nicht mit       ge Elend. Man trifft auf Menschen in Ex-
5. Welche Ziele wollen Sie gemeinsam            jedem Klienten. Wenn es nicht passt, dann       tremsituationen, Menschen mit schweren
   mit Ihren Klientinnen und Klienten           macht es keinen Sinn, dafür ist die Zusam-      psychischen Problemen – da fällt es un-
   erreichen?                                   menarbeit einfach zu eng.                       heimlich schwer, loszulassen. Aber ich ha-
Unsere Klienten leben in ihrem eigenen                                                          be mit der Zeit gelernt, ganz strikt Beruf
angemieteten Wohnraum – alleine oder in         7. Wo sehen Sie noch Grenzen?                   und Privatleben zu trennen. Das gelingt
WG‘s. Hauptziel ist es daher, möglichst         Grenzen sehe ich zum Beispiel in der zeit-      mir wirklich gut. Der regelmäßige Aus-
selbstständig leben zu können. Um das zu        lichen Strukturierung. Man betreut ja           tausch mit den Kolleginnen und Kollegen,
erreichen, ist Tagestrukturierung die wich-     nicht nur einen Klienten, sondern mehrere       Reflexionsgespräche und Fortbildungen
tigste Maßnahme. Unsere Klienten müs-           Klienten gleichzeitig. Man muss Termine         helfen zusätzlich. Außerdem haben wir
sen lernen, ihren Alltag zu meistern. Denn      koordinieren und versuchen, den Zeit-           zehn mal Supervision im Jahr. Für alles das
Menschen, die einen festen Tagesablauf          mangel zu kompensieren, indem man               muss man allerdings auch Zeit finden. Zeit,
haben, erkranken seltener und sind in der       Zwischenräume reduziert.                        die man manchmal einfach nicht hat.
Lage, das eigene Leben bewusst zu gestal-       Schwierig wird das zum Beispiel, wenn
ten und zu organisieren. Wichtig dabei ist      man auf bestimmte Zeiten angewiesen ist.        9. Wie holen Sie sich Ausgleich?
auch das Zusammenspiel aus sinnvoller           Wenn man etwa Termine auf dem Amt               Ich genieße mein Privatleben. Ich reise
Beschäftigung und gezielten Freizeitakti-       hat, mit Öffnungszeiten von 8.00 bis 13.30      gerne und viel. Meinen Urlaub verbringe
vitäten. Deshalb versuchen wir zunächst,        Uhr, und der Klient berufstätig ist. Folglich   ich meist an der Ostseeküste in meiner
unsere Klienten in einen Arbeits- oder Be       muss er sich einen Tag Urlaub nehmen,           Heimat Polen. Auch in Europa kenne ich
schäftigungsprozess zu involvieren.             um die Angelegenheiten persönlich erledi-       mich mittlerweile gut aus. Ich mache viele
Gleichzeitig ist es wichtig, ihnen zu zeigen,   gen zu können. Wenn dann noch lange             Städtetrips mit meinem Mann oder mei-
wofür es sich zu leben lohnt – Stichwort        Wartezeiten vor Ort hinzukommen, an             ner Tochter. Meine Familie, meine Enkel-
„Freizeitgestaltung“. Sie müssen sich vor-      deren Ende man erfährt, dass der betreu-        kinder und meine Freunde sind einfach die
stellen, dass viele unserer Klienten früher     ende Mitarbeiter Urlaub hat und man ei-         besten „Batterienfüller“, die man sich vor-
in betreuten Wohnheimen untergebracht           nen neuen Termin vereinbaren muss, dann         stellen kann.
waren. Beschäftigungen und Aktivitäten          ist das einfach nur frustrierend – für den
wurden für sie organsiert. Jetzt müssen sie     Klienten, aber auch für mich. Da kann           10. Die eine Hälfte Ihres Lebens haben
selbst aktiv werden und lernen: Was mache       man sich nämlich noch so gut strukturie-            Sie in Polen gelebt, die andere Hälf-
ich am Wochenende? Was ist Urlaub? Wie          ren. Das ist dann einfach nur vergeudete            te leben Sie jetzt schon in Deutsch-
entspanne ich? Auch dabei helfen wir, ge-       Zeit. Zeit, die für wichtige Belange anders-        land; 2019 sind es ziemlich genau
hen mit unseren Klienten zum Beispiel in        wo fehlt.                                           29 Jahre. Wie sieht es mit den kom-
die Gruga oder veranstalten Grillnachmit-                                                           menden 29 Jahren aus? Haben Sie
tage. So lernen sie auch ihr soziales Umfeld    8. Wie nah lassen Sie die Arbeit                    Pläne?
kennen und können Kontakte knüpfen,                denn generell an sich heran?                 Schwierige Frage. Meine Mutter und Teile
das A und O der Freizeitbeschäftigung.          Als Betreuer dringen wir stark in das           meine Familie leben in Polen. Weil ich be-
Ansonsten werden natürlich ganz indi-           Privatleben unserer Klienten ein. Wir müs-      ruflich immer sehr eingebunden bin, wür-
viduelle Ziele im Hilfeplan festgelegt, die     sen uns dabei immer hinterfragen: Wie           de ich liebend gerne mehr Zeit mit ihr in
wir gemeinsam mit unseren Klienten erar-        weit dürfen wir gehen? Wann lässt man           Polen verbringen. Aber dann sind da auch
beiten.                                         sich etwa duzen und wann werden damit           noch meine verheiratete Tochter, meine
                                                Grenzen überschritten? All das hängt            Enkelkinder und Freunde. Sie leben hier
6. Was ist Ihrer Meinung nach die               natürlich vom Klienten ab und muss ganz         in Deutschland. Auf keinen Fall möchte
   wichtigste Voraussetzung für                 individuell entschieden werden. Zu stark        ich getrennt von ihnen leben. Wahrschein-
   Ihren Job?                                   entgegengebrachtes Vertrauen birgt näm-         lich geht’s je nach Lebenssituation weiter
Neben dem Fachwissen, das man durch             lich immer auch eine Gefahr für die             wie bisher – mal hier mal da, da ich mich
Ausbildung und Studium mitbringen               Mitarbeiter. Die Arbeit ist einfach sehr        in beiden Länder beheimatet fühle.
muss, sind Strukturiertheit und Flexibilität    intensiv. Wir erleben viele freudige Mo-        Das Interview führte Kathrin Michels

                                                                                                                            AusBlick 2019     13
Rasante Entwicklung: 60 Kinder sind
     10 Jahre Kindertagespflege: Professionalisierte                                                im Jahr 2009 durch die Fachberatung in
                                                                                                    Kindertagespflege vermittelt worden.
     Betreuung mit familiärem Charakter                                                             2018 waren es schon mehr als 800,
                                                                                                    Tendenz weiterhin steigend.

     Z
                   ehn Jahre betreut und qualifiziert die Fachberatung Kindertages-
                   pflege des Diakoniewerks Kindertagespflegepersonen und ist zu-                   ser Ansatz war von Anfang an“, so Anja
                   gleich Ansprechpartner für Eltern, die einen Kindertagespflege-                  Wolff, „dass wir uns nicht als allwissende
                                                                                                    pädagogische Instanz über unseren Tages-
                   platz für ihr Kind suchen. Aus den zwei Köpfen, die sich 2009 in den
                                                                                                    pflegepersonen verstehen, sondern auf
     Anfängen eine Vollzeitstelle geteilt haben, ist mittlerweile ein zwölfköpfiges
                                                                                                    Augenhöhe zusammenarbeiten. Die Tages-
     Team geworden – Tendenz: wachsend.                                                             pflegepersonen an der Basis, wir Fachbera-
                                                                                                    terinnen und Fachberater als Ansprech-
     Die Pionierarbeit haben damals Anja Wolff      Kinder in die Vermittlung zu bekommen,          partner und Vermittler dahinter.“
     und Wilfried Kasper-Palmer geleistet. Anja     war die Zielmarke des ersten Jahres. Denn
     Wolff hatte zuvor das Freizeitreferat gelei-   diese Zahl entsprach den Vorgaben für           Kindertagespflege wird zunehmend
     tet, Wilfried Kasper-Palmer war für die        eine Vollzeitstelle in der Fachberatung.        auch für pädagogische Fachkräfte at-
     Ambulanten Hilfen zur Erziehung tätig.         „Wir hatten durchaus Sorge, dass wir das        traktiv
     Beide mit Lust im Gepäck, sich auf etwas       so schnell nicht erreichen würden“, erzählt     Ein bis zwei Qualifizierungskurse hat die
     Neues einzulassen und einen Bereich ganz       Anja Wolff. Doch es lief besser als erwartet.   Fachberatung ab 2010 jährlich angeboten.
     neu aufzubauen. „Manchmal jedoch“, gibt        Schon 2010 konnte das Diakoniewerk mit          Da sorgfältig ausgewählt wird und nur
     Anja Wolff lachend zu, „habe ich mich          dem ersten eigenen Qualifizierungskurs          Teilnehmende aufgenommen werden, die
     schon gefühlt wie im ersten Lehrjahr.“ 60      starten. Es gab tatsächlich Nachfrage. „Un-     auch eine Eignung für diesen Beruf mit-

14   AusBlick 2019
Fachberatung Kindertagespflege

bringen, ist der Stamm der Tagespflegeper-      pädagogen sowie Sozialpädagoginnen und          aus Berufen am Bau, hatten aber festge-
sonen, die alle auf einem annähernd glei-       Sozialpädagogen in die Tagespflege. Sie         stellt, dort einfach nicht mehr reinzupas-
chen Qualifizierungsstand sind, kontinu-        schätzen die Arbeit in übersichtlichen          sen. Im zur Ausbildung gehörenden Kol-
ierlich gestiegen. Viele haben nach der         Gruppen und kleinen Teams, was viel kre-        loquium hat der vorherige Beruf aber
Qualifizierung in der Tagespflege eine          ative Gestaltungsfreiheit lässt. „Back to the   dann doch kreative Verwendung gefunden,
echte Jobperspektive gefunden, von der          roots, wieder wirklich mit Kindern arbei-       nämlich in Form eines selbst entwickelten
sich leben lässt. So zum Beispiel Sabine        ten“ – das ist es, was viele sich wünschen.     Fingerspiels über einen Bagger.
Lemm aus der in Kooperation mit der
Adolphi-Stiftung geführten Kindertages-         Auch Männer entdecken den Beruf immer           Kindertagespflege ist mittlerweile ein
pflege „Elfenwald“, die auf dem Gelände         mehr für sich. Von den aktuell 216 Tages-       professionalisiertes und etabliertes Be-
des Paulusquartiers an der Steeler Straße       pflegepersonen sind 26 männlich. Für die        treuungsangebot für kleine Kinder
in Essen-Huttrop liegt.                         Tagespflegestellen ist das oft ein Segen.       Kindertagespflege ist schon lange aus der
                                                Gemischte Teams erfüllen den Anspruch           Nische raus und hat sich von dem Vor-
Für sie ist Kindertagespflege wirklich der      an eine familiennahe Tagesbetreuung noch        urteil befreit, so etwas wie eine Notlösung
Beruf geworden, den sie mit Herzblut aus-       einmal anders. „Männer spielen auf ihre         für nicht ausreichend vorhandene Krip-
übt und gegen keinen Beruf der Welt mehr        Weise mit den Kindern, haben andere             penplätze zu sein. Der Trend geht auch in
eintauschen möchte. Aktuell bildet sie          Ideen und die Kinder lieben diese Vielfalt“,    der Kindertagespflege zunehmend weg
sich im 100-Stunden-Kurs „inklusive Ta-         berichtet Anja Wolff. Die Hintergründe,         von der Betreuung im privaten Umfeld hin
gespflege“ fort. Zunehmend wechseln aber        warum Tagespflegepersonen den Beruf             zu einer Betreuung in angemieteten Räu-
auch bereits ausgebildete Erzieherinnen         wechseln, sich neu qualifizieren lassen,        men, oft auch im Verbund, in sogenannten
und Erzieher, Heilpädagoginnen und Heil-        sind vielfältig. Zwei Teilnehmende kamen        Großtagespflegestellen. Derzeit arbeiten
                                                                                                nur noch 74 vom Diakoniewerk betreute
Mittlerweile sitzt das Team der Fachberatun Kindertages-                                        Tagespflegepersonen in Privaträumen zu
pflege in der Kreuzeskirchstraße in der Essener City.                                           Hause, 33 allein in angemieteten Räumen

                                                                                                                            AusBlick 2019     15
Fachberatung Kindertagespflege

     und 109 in Großtagespflegestellen. Als
     „Verband der Verbünde“ wird das Werk
     daher schon bezeichnet. Während eine
     Kindertagespflegeperson allein bis zu fünf
     Kinder betreuen darf, werden in der Groß-
     tagespflege zu zweit oder zu dritt bis zu
     neun Kinder betreut.

     Fachberatung ist auch Ansprechpart-
     ner für Eltern und Kinder
     Die Fachberatung Kindertagespflege ist
     nicht nur für die Tagespflegepersonen da,
     sondern übernimmt auch den Erstkontakt
     zu den Eltern. Hier finden die Vermitt-
     lungsgespräche statt, hier werden die Ver-
     träge vorbereitet. Aber auch Eltern von
     Kindern, die bereits in der Tagespflege      Sabine Lemm hat in der Kindertagespflege „Elfenwald“ ihre Berufung gefunden.
     sind, können sich jederzeit mit Fragen,      Zunehmend entdecken auch Männer den Beruf des Kindertagespflegers für sich.
     Sorgen und Schwierigkeiten bezüglich der
     Betreuung ihrer Kinder an die Fachberate-    die über das Kindertagespflege-Netzwerk       Know-how sowohl in die Qualifizierungs-
     rinnen und -berater wenden.                  des Diakoniewerks betreut werden.             kurse einfließen lässt, als auch bei Bedarf
                                                                                                die Kindertagespflegepersonen vor Ort
     Auch auf die Sorge vieler Eltern, was pas-   Das Team der Fachberatung ist über die        beraten kann, wenn noch einmal ein an-
     siert, wenn die Tagespflegeperson krank      Jahre nicht nur gewachsen – auch die Zu-      derer therapeutischer Blick auf eine Situ-
     wird, kann entgegnet werden. Für solche      ständigkeiten sind ausgefeilter und klarer    ation gefragt ist.
     Fälle gibt es das Vertretungsteam, das von   geregelt worden. Monika Schwientek küm-
     Sabrina Soling organisiert wird. Und es      mert sich um alle Fragen rund um das          Am 21. September 2019 wird die Fachbe-
     gibt eine Vertretungsgruppe, die im Herbst   Anmeldeportal „Little Bird“, Fortbildun-      ratung Kindertagespflege in der Apostel-
     2018 in neue Räumlichkeiten in die Savig-    gen und kollegiale Beratungen, während        kirche in Essen-Frohnhausen ihr zehnjäh-
     nystraße 71 in Essen-Frohnhausen gezo-       zum Beispiel Yvonne Petereit die Ansprech-    riges Jubiläum feiern. Anja Wolff hat die
     gen ist. Ausgestattet mit einer Bewegungs-   partnerin für die Qualifizierungskurse ist.   „Lehrjahre“ überstanden, ist geblieben
     landschaft nach Emmi Pikler sind hier        Extern gibt es eine Kooperation mit der       und Teamleiterin geworden. Wilfried Kas-
     übergangsweise alle Kinder willkommen,       Ergotherapeutin Annette Wolff, die ihr        per-Palmer hat sich nach der Anfangszeit
                                                                                                anderen Aufgaben zugewandt, doch auch
     Das Vertretungsteam springt dann ein, wenn die Tagespflegeperson mal krank wird.           er ist der Kindertagespflege verbunden ge-
                                                                                                blieben, leitet immer noch den Männer-
                                                                                                stammtisch und bringt sich als Supervisor
                                                                                                in den Fortbildungen ein.
                                                                                                Julia Fiedler

                                                                                                Zahlen:
                                                                                                Aktuell werden 216 Tagespflegepersonen
                                                                                                vom Diakoniewerk koordiniert, die rund
                                                                                                800 Kinder betreuen – bis Jahresende
                                                                                                könnte die 1000er-Marke überschritten
                                                                                                werden. 74 Kindertagespflegepersonen ar-
                                                                                                beiten in ihren eigenen Räumen zu Hause,
                                                                                                33 Kindertagespflegepersonen allein in
                                                                                                angemieteten Räumen, 109 Kindertages-
                                                                                                pflegepersonen in Großtagespflegestellen.
                                                                                                Das Diakoniewerk Essen ist mit seiner
                                                                                                Fachberatung Mitglied im Bundesverband
                                                                                                Kindertagespflege.

16   AusBlick 2019
Hintergrund: Zehn Jahre Fachberatung Kindertagespflege im Überblick
2009 ist die Stadt Essen an das Diakonie-       Teamgröße freigestellt werden können und      nach dem neuen Qualifizierungshandbuch
werk mit dem Auftrag herangetreten, eine        die Kindertagespflegeberatungen einen         und umfasst damit 300 Stunden nach dem
Fachberatung für Kindertagespflege aufzu-       Verwaltungskräfteanteil bekommen. Die         Curriculum des Deutschen Jugendinstituts
bauen. Hintergrund war der ab 2013 in           Qualifizierung neuer Kindertagespflege-       (dji). Das ist zwar noch nicht verpflich-
Kraft tretende Rechtsanspruch von Eltern        personen soll generell auf ein 300-Stun-      tend, aber das Team der Fachberatung hat
auf einen Betreuungsplatz für alle Kinder,      den-Curriculum ausgeweitet und der Wei-       sich entschlossen, schon jetzt danach zu
die ihr erstes Lebensjahr vollendet haben.      terbildungskurs „Inklusion“ unbedingt         arbeiten. Neu daran ist eine Ausbildung in
Es war absehbar, dass der Kitaausbau nicht      fortgeführt werden. Zudem sollen auch in      zwei Blöcken. Block 1 umfasst wie gehabt
so schnell würde voranschreiten können,         der Kindertagespflege Sprachmittlerin-        160 Stunden Unterricht inklusive Praktika,
um diesem Rechtsanspruch zu genügen.            nen und -mittler zum Einsatz kommen           Hausarbeit und Abschlussarbeit. Das Prak-
Was zunächst also eher als eine Übergangs-      dürfen.                                       tikum absolvieren die Teilnehmenden
lösung geplant war, ist mittlerweile eine ei-                                                 beim Diakoniewerk möglichst in einer
gene, fest etablierte und aus der Betreu-       Die Qualifizierung – Wer kann Kinder-         Kindertagesstätte, um auch die Arbeit dort
ungslandschaft nicht mehr wegzudenken-          tagespflegeperson werden?                     kennenzulernen. Ist der erste Block bestan-
de Säule in der Betreuung von kleinen Kin-      Um in der Kindertagespflege zu arbeiten,      den, können die Teilnehmenden bereits
dern geworden. Viele Eltern entscheiden         ist es nicht zwingend nötig, eine pädagogi-   ihre Pflegeerlaubnis beim Jugendamt be-
sich ganz bewusst für eine Tagespflege – als    sche Vorbildung mitzubringen. Wohl aber       antragen und loslegen. Nach den ersten
eine Form der Betreuung für kleine Kin-         eine Eignung zum Beruf. Um am Qua-            Monaten Berufserfahrung folgt dann der
der, die familiennäher ist, einen kleineren,    lifizierungskurs des Diakoniewerks – der      neue Block 2 mit weiteren 140 Stunden,
geborgenen Rahmen bietet und starke             seit vergangenem Herbst 300 Stunden           der sich inhaltlich an den Fragen orien-
Bindungen ermöglicht, auf die es in der         umfasst – teilzunehmen, ist zunächst eine     tiert, die meist erst im Berufsalltag entste-
Elementarpädagogik in ganz entscheiden-         normale Bewerbung mit Lebenslauf not-         hen. Fachlich dranzubleiben ist ohnehin
dem Maße ankommt.                               wendig. Anschließend folgen eine Eig-         verpflichtend. Zwölf Fortbildungsstunden
                                                nungsüberprüfung im Team, ein Hausbe-         pro Jahr sollten es sein. Darüber hinaus
Im April 2019 wurde eine einvernehmlich         such durch zwei Mitarbeitende der Fach-       gibt es die gern genutzte Möglichkeit zur
unter allen Verbänden mit dem Jugendamt         beratung und eine Infoveranstaltung. Im       kollegialen Beratung. Der Qualifizierungs-
ausgehandelte Vorlage vom Jugendhilfe-          Anschluss an dieses Prozedere müssen die      kurs selbst ist für die Teilnehmenden bis
ausschuss genehmigt, die für das Jahr 2020      Bewerberinnen und Bewerber noch ein-          auf einen kleinen Eigenanteil kostenlos.
signifikante Qualitätsverbesserungen in         mal aktiv bekunden, an der Ausbildung
Aussicht stellt: Dazu gehört, dass Leitun-      teilnehmen zu wollen. An dem eigentli-
gen der Kindertagespflegeberatung ähn-          chen Kurs können bis zu 20 Personen teil-
lich wie Kita-Leitungen ab einer gewissen       nehmen. Er richtet sich seit diesem Jahr

                                                                                                                            AusBlick 2019     17
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