Nutzung von wasserstoff-basierten CCU-Verfahren in der Industrie - Ergebnispapier zum NWS-Industriedialog
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Nutzung von wasserstoff- basierten CCU-Verfahren in der Industrie Ergebnispapier zum NWS-Industriedialog bmwk.de
Anmerkung Dieses Ergebnispapier wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz von der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena) als Zusammenfassung des Dialogs „Effiziente Nutzung von Wasser- stoff in der Glas-, Keramik-, Papier- und NE-Metallindustrie“ im Rahmen der Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie erstellt. Die Daten wurden zum Teil von den Teilnehmenden zur Verfügung gestellt. Impressum Herausgeber Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Öffentlichkeitsarbeit 11019 Berlin www.bmwk.de Stand Juni 2022 Diese Publikation wird ausschließlich als Download angeboten. Gestaltung PRpetuum GmbH, 80801 München Bildnachweis iStock Olemedia/S. 2 smirkdingo/Titel Zentraler Bestellservice für Publikationen der Bundesregierung: E-Mail: publikationen@bundesregierung.de Telefon: 030 182722721 Bestellfax: 030 18102722721 Diese Publikation wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klima- schutz im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit herausgegeben. Die Publikation wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Sie darf nicht zur Wahlwerbung politischer Parteien oder Gruppen eingesetzt werden.
1 Inhalt 1 Einleitung und Zusammenfassung ....................................................................................................................................................................................................................................... 3 2 Technischer Hintergrund und Anwendungsmöglichkeiten für wasserstoffbasierte CCU-Verfahren ............................................................................................................................................................................................................. 4 3 Potenziale für CCU in ausgewählten Branchen ...................................................................................................................................................................... 7 3.1 Glasindustrie ...................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... 7 3.2 Kalk- und Zementindustrie .................................................................................................................................................................................................................................................................... 7 3.3 Grundstoffchemie ............................................................................................................................................................................................................................................................................................................. 8 3.4 Papierindustrie ............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ 8 3.5 Thermische Abfallbehandlung .................................................................................................................................................................................................................................................... 8 4 Struktur der Industriebranchen ....................................................................................................................................................................................................................................................... 9 5 Forschungs- und Pilotprojekte 11 ..................................................................................................................................................................................................................................................... 6 Ergebnisse der Diskussion und Handlungsoptionen 14 ...................................................................................................................................... Literaturverzeichnis............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... 18
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3 1 Einleitung und Zusammenfassung Im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie • Für den Hochlauf von CCU bedarf es einer lang- hat sich die Bundesregierung vorgenommen, fristigen, abgestimmten Ausbauplanung für die „gemeinsam mit Stakeholdern – insbesondere der notwendigen Infrastrukturen (Strom, Wasser- energieintensiven Industrie – innerhalb branchen- stoff, CO2) mit einem konsistenten Zielbild für spezifischer Dialogformate langfristige Dekarboni- das Gesamtsystem. Parallel sollte zeitnah mit sierungsstrategien auf der Basis von Wasserstoff zu dem Hochlauf erster CO2-Netze begonnen wer- entwickeln“. In diesem Rahmen haben Dialogpro- den mit Einbindung von CO2-intensiven Indus- zesse mit der Stahl- und der Chemieindustrie sowie triestandorten in regionalen Clustern. ein weiterer Dialog mit der Glas-, Keramik-, Papier- und NE-Metallindustrie stattgefunden. • Eine nationale Strategie für CCU muss auch Importe von Wasserstoff und Wasserstoff-Deri- Auch das Thema wasserstoffbasierte CCU-Verfah- vaten aus dem inner- und außereuropäischen ren wurde in diesem Kontext diskutiert, u. a. im Ausland berücksichtigen. Dafür sind der Aufbau Rahmen einer Dialogveranstaltung am 27.01.2022, internationaler Energie-Partnerschaften erfor- an der u. a. Vertreter der Zement-, Kalk-, Glas-, derlich sowie die Definition geeigneter Nach- Abfallverwertungs- und Chemieindustrie teilnah- haltigkeitsanforderungen auf europäischer men. Dieses Ergebnispapier fasst den aktuellen Ebene. Diskussionsstand sowie die Ergebnisse dieser Ver- anstaltung zusammen. Die Inhalte stellen nicht die • CCU muss sich im Rahmen einer – noch zu Meinung der Bundesregierung oder des Bundes erarbeitenden – Gesamtstrategie für CO2-Kreis- ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz dar. läufe sowie technische und natürliche Senken in das klimaneutrale Energiesystem der Zukunft Aus der Diskussion wurden einige Handlungsemp- einfügen können, um über Negativemissionen fehlungen abgeleitet (siehe Kapitel 6). zu den Klimazielen beitragen zu können • Um Planungssicherheit zu ermöglichen und • Langfristig sind strenge Nachhaltigkeitsstandards somit Investitionen zu erleichtern, ist ein klarer für die CO2-Quellen klimaneutral hergestellter regulatorischer Rahmen für CCU erforderlich. Produkte erforderlich. Für die Übergangszeit sind pragmatische Lösungen erforderlich, um • Für die Hochskalierung von CCU bedarf es eines den Hochlauf nicht zu hemmen. Business Case für Unternehmen, um ihnen Investitionssicherheit zu geben. Dafür sind ge eignete Instrumente einzusetzen, um einen Markt für CCU-Produkte zu schaffen.
4 2 Technischer Hintergrund und Anwendungsmöglichkeiten für wasser- stoffbasierte CCU-Verfahren Selbst bei sehr ambitionierten Minderungsbemü- Da die Nutzung fossiler Brennstoffe bis 2045 zur hungen können in manchen Industriebranchen Erreichung der Treibhausgas-Neutralität weitestge- Residualemissionen etwa in Form von Prozess hend enden soll, werden in Zukunft für CCU emissionen nicht komplett vermieden werden. Die infrage kommende Punktquellen hauptsächlich meisten Szenarien zur Klimaneutralität kommen Industrieanlagen mit Prozessemissionen, Müllver- daher ohne den Einsatz von CCU/S (Carbon Cap- brennungsanlagen (MVA) und Biomasseanlagen ture & Utilization/Storage) nicht aus.1 sein.2 Bei CCU-Verfahren wird CO2 abgeschieden und Die Verwendung des CO2 im Rahmen von CCU anschließend einer (meist chemischen) Verwendung fällt in zwei Hauptkategorien: die Herstellung koh- zugeführt. CCU kann dabei einerseits das Austreten lenstoffbasierter Powerfuels3 wie Power-to-Liquid dieser Emissionen in die Atmosphäre verhindern (PtL) und Power-to-Gas (PtG) sowie die Synthese und gleichzeitig den Kohlenstoffbedarf anderer von Energieträgern zur stofflichen Verwendung Branchen, insbesondere der Chemieindustrie, (Feedstock) für die Chemieindustrie. Powerfuels decken, um fossile, meist erdölbasierte, Kohlenstoff- werden in Zukunft insbesondere in der Luft- und quellen zu ersetzen. Die Frage, wie CCU-Anwen Schifffahrt zum Einsatz kommen, wo auf flüssige dungen bilanziert werden (als Nettoemissionen, Treibstoffe absehbar kaum verzichtet werden kann, klimaneutral oder Negativemissionen), hängt von und ggf. für residuale Mengen im Straßenverkehr der Herkunft sowie der weiteren Verwendung des und im Gebäudesektor. In der Chemieindustrie abgeschiedenen Kohlenstoffs ab. müssen Rohstoffe aus der Petrochemie durch erneuerbare Alternativen ersetzt werden, um die Bislang findet die Verwendung von CO2 nur in Scope-3-Emissionen der Chemieindustrie zu sen- Form von Pilotprojekten statt; für die großtechni- ken4, wofür insbesondere grünes Methanol und sche Hochskalierung gibt es noch technische, wirt- grünes Naphtha verwendet werden können. In bei- schaftliche und infrastrukturelle Hürden. den Kategorien steht CCU teilweise in Konkurrenz zum direkten Einsatz von Biomasse (Biokraftstoffe Die Abscheidung von CO2 kann grundsätzlich aus bzw. Biomassevergasung); Letztere wird jedoch Punktquellen oder aus der Luft (DAC, Direct Air aufgrund begrenzter Verfügbarkeit nicht für den Capture) erfolgen. In Punktquellen wiederum kann kompletten Bedarf ausreichen. das CO2 entweder biogenen (z. B. Biomasse-Kraft- werke) oder fossilen Ursprungs (z. B. mit fossilen Durch CCU können grundsätzlich die meisten Brennstoffen betriebene Anlage oder Prozessemis- organischen Basischemikalien oder ihre Vorstufen sionen wie in der Zementherstellung) sein. hergestellt werden, wobei in den wichtigsten Syn- 1 Die dena Leitstudie beispielsweise sieht 10 Mt CCU und 24 Mt CCS im Inland, 65 Mt CCU im Ausland vor 2 In der Modellierung der dena-Leitstudie verbleiben 2045 etwa 23 Mt Prozessemissionen, ca. 10 Mt an CO2 aus MVA sowie etwa 100 Mt biogenes CO2 aus der Biomassenutzung. dena (2021) 3 Definition: Powerfuels sind gasförmige oder flüssige Kraft- und Brennstoffe, die mithilfe von Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind- oder Solar- kraft erzeugt werden, also z. B. Wasserstoff, synthetisches Methan (SNG) oder E-Kerosin. 4 2020 betrugen die Scope-3-Emissionen der Chemieindustrie mit 56 Mt etwa die Hälfte der Gesamtemissionen. VCI (2019)
2 TECHNISCHER HINTERGRUND UND ANWENDUNGSMÖGLICHKEITEN 5 Abbildung 1: Verschiedene Formen von CCU/S und deren Bilanzierung5 Quelle: Prognos (2021) in Anlehnung an Bundesrat, (2020) thesepfaden das abgeschiedene CO2 direkt mit 2019 wurden in Deutschland 122 TWh Kerosin Wasserstoff durch katalytische Hydrierung zu Fol- verbraucht sowie 195 TWh Erdölprodukte für die geprodukten umgesetzt wird. Die quantitativ wich- Chemieindustrie.7 Die dena-Leitstudie „Aufbruch tigsten Verfahren sind die Methanisierung zur Klimaneutralität“ rechnet damit, dass 2045 198 Herstellung von Methan (SNG, PtG), die Fischer- TWh PtL, insbesondere Kerosin, sowie 50 TWh Tropsch-Synthese für flüssige Powerfuels und syn- Methanol und 51 TWh „grünes Naphtha“ für die thetisches Naphtha sowie die Methanolherstellung Chemieindustrie benötigt werden. Für deren Her- aus Synthesegas. stellung sind in Summe ca. 75 Mt CO2 erforderlich. Sämtliche wasserstoffbasierten CCU-Verfahren Aufgrund des hohen Energiebedarfs für CO2- haben einen erheblichen Energie-Bedarf6, für die Abscheidung und Synthese (insbesondere für den Umsetzung von 1 t CO2 werden – je nach Verfahren Wasserstoffbedarf) sowie der sehr guten Trans- – etwa 6 MWh (200 kg) Wasserstoff benötigt, der portierbarkeit flüssiger Powerfuels ist davon auszu- wiederum aus ca. 8 MWh erneuerbarem Strom gehen, dass ein Großteil dieser Substanzen in erzeugt wird. Damit CCU einen positiven Beitrag Zukunft aus Ländern mit höherem Potenzial für zum Klimaschutz leisten kann, muss die Energie- erneuerbare Energien importiert werden wird. In quelle (Wasserstoff und Prozessenergie) dafür der dena-Leitstudie bedeutet dies 10 Mt CCU im klimaneutral sein. Inland, 65 Mt im Ausland für Importe. 5 Prognos AG (2021) 6 Prognos AG (2021), Seite 47 7 dena (2021), Kapitel 7
6 2 TECHNISCHER HINTERGRUND UND ANWENDUNGSMÖGLICHKEITEN Langfristig wird das CO2 zur Herstellung von importierten Powerfuels aus nachhaltigen Quellen kommen müssen.8 Aufgrund der begrenzten Ver- fügbarkeit von Biomasse in Produktionsländern wird hier voraussichtlich DAC bzw. DACCU eine wichtige Rolle spielen. Industrieunternehmen mit schwer oder nicht ver- meidbaren Prozessemissionen werden auf dem Weg zur Klimaneutralität zwangsläufig über den Einsatz von CCU oder CCS nachdenken müssen. Während die Abscheidung („Carbon Capture“) in beiden Verfahren analog verläuft, gibt es für die Wirtschaftlichkeit der weiteren Verwendung unter schiedliche Voraussetzungen. So benötigt CCS eine Transport-Infrastruktur bis zum Speicher, während CCU in einen Kohlenstoffkreislauf eingebunden werden muss, wofür große Energiemengen und entsprechende Abnehmer erforderlich sind. Kann durch CCU ein geschlossener Kohlenstoffkreislauf gebildet werden oder bleibt der Kohlenstoff dauer- haft gebunden, bleibt das abgeschiedene CO2 dau- erhaft der Atmosphäre entzogen und kann damit als Negativemission bilanziert werden, sofern das CO2 nicht aus fossilen Quellen stammte. 8 dena (2020)
7 3 Potenziale für CCU in ausgewählten Branchen Die folgenden Beschreibungen sollen eine kurze Einordnung zum Thema CCU-Verfahren und möglichen Anwendungsbereichen in den fünf Industriebranchen geben. 3.1 Glasindustrie In der Zementindustrie gibt es auch zur Senkung der (indirekten) Prozessemissionen verschiedene Ein Großteil der aktuellen CO2-Emissionen (ca. Optionen, die zukünftig kombiniert werden müs- 84 Prozent) in der Glasindustrie sind energiebedingt sen. Dabei kommt der Herstellung und dem Ein- und werden vor allem durch erdgasbetriebene satz klinkereffizienter (und damit CO2-armer) Schmelzprozesse verursacht. An diesen Stellen Zemente im Beton sowie dem vermehrten Einsatz werden vor allem Elektrifizierung und der Einsatz sekundärer Rohstoffe eine wichtige Bedeutung zu. von grünem Wasserstoff die Dekarbonisierung vor- Darüber hinaus wird an neuartigen Bindemitteln antreiben. Für die Minderung der verbleibenden geforscht, die für ausgewählte Bauanwendungen 16 Prozent prozessbedingter Emissionen (0,8 Mt) langfristig auch eine Rolle spielen könnten. kommt die CO2-Abscheidung mit anschließender Nutzung oder Speicherung infrage. Darüber hinaus Letztendlich kann jedoch ein erheblicher Teil der könnte zukünftig auch der Einsatz kohlenstoff- chemisch verursachten Prozessemissionen nur freier Rohstoffe (Hydroxide statt Carbonate) als durch CO2-Abscheidung vermieden werden. In den Minderungsoption zum Gegenstand von For- kommenden Jahren sollen in der Zementindustrie schungsprojekten werden.9 an Standorten in Deutschland konkrete Pilot- und Demonstrationsprojekte umgesetzt werden. Auch in der Kalkindustrie gibt es hierzu aktuell verschie- 3.2 Kalk- und Zementindustrie10 dene Forschungsprojekte. Dabei ist insbesondere die Abscheidung mittels Loopingverfahren ein effi- In der Kalk- und Zementindustrie ist nur ca. ein zienter Ansatz. Durch den Einsatz von Biomasse als Drittel der CO2-Emissionen energiebedingt. Die Brennstoff in Verknüpfung mit einer CO2-Abschei- anderen zwei Drittel entstehen durch die Freiset- dung besteht die Möglichkeit, Negativemissionen zung von CO2 aus Kalkstein und sind somit rohma- (BECCS bzw. BECCU) zu erzeugen. terialbedingte Prozessemissionen. Zur Senkung der energiebedingten Emissionen kommen Maßnah- Auch die Einbindung von CO2 in Beton (Recarbo- men wie die Nutzung regenerativer Brennstoffe, natisierung) oder der gezielte Einsatz von CO2 in der Einsatz von Wasserstoff- oder Sauerstoffbren- der Kalkproduktion stellen mögliche CO2-Senken nern, die Verbesserung der thermischen Effizienz dar, die in der Zement- und Kalkindustrie unter- oder langfristig auch die (Teil-)Elektrifizierung der sucht werden. Die VdZ-Studie „Dekarbonisierung Öfen infrage. von Zement und Beton“ sieht für die Bereiche Zement und Beton etwa 10 Mt CCU/S vor.11 In der Kalkindustrie sind zusätzlich etwa 3,5 Mt CCU/S denkbar.12 9 dena (2021); KEI (2021a) 10 UBA (2020) 11 BV Kalk (2020); VDZ (2020) 12 Quelle: BV Kalk
8 3 P OT E N Z I A L E F Ü R CC U I N AU S G E WÄ H LT E N B R A N C H E N 3.3 Grundstoffchemie13 3.5 Thermische Abfallbehandlung Die Grundstoffchemie hat eine Schlüsselposition Die CO2-Emissionen aus der thermischen Abfallbe- im Aufbau von CO2-Kreisläufen, da hier – neben handlung stammen vor allem aus der Verbrennung der Deckung des Prozessenergiebedarfs durch von Siedlungs- und Gewerbeabfall sowie Sortier- erneuerbare Energien – auch die stofflich genutz- resten. Im Jahr 2020 haben die innerhalb der ITAD ten fossilen Rohstoffe durch Wasserstoff oder des- organsierten thermischen Abfallbehandlungs- sen mit CO2 synthetisierte Derivate ersetzt werden anlagen (MVA und EBS-Kraftwerke) ca. 9,7 Mt müssen, um die Scope-3-Emissionen zu mindern. direkte CO2-Emissionen verursacht. Dazu kommen Für die Herstellung dieser Moleküle sind große noch ca. 3,9 Mt CO2/a aus der Abfallmitverbren- Mengen an erneuerbarem Strom notwendig (in der nung in Zementwerken (fossiler Anteil) bzw. dena-Leitstudie 379 TWh), die teils im Inland, teils 5,7 Mt CO2/a (fossil + biogen). Die gesamten CO2- im Ausland erbracht werden können. Das Zusam- Mengen aus der Abfallverbrennung laut Emissions- menführen von CO2-Verursachern und der Che- berichterstattung liegen bei fast 20 Mt CO2/a16. mieindustrie ist zentral für den Aufbau einer CO2- Die Dekarbonisierung sollte hier auch durch eine Wirtschaft, dabei spielen auch der Transport und Verringerung der zu verbrennenden Abfallmengen die Zwischenspeicherung von CO2 eine wichtige erfolgen (durch Getrennterfassung bestimmter Rolle. Insgesamt wird (u. a. in der VCI Roadmap14 Bestandteile der Restmülltonne wie Bioabfälle oder und der dena-Leitstudie) für 2045/50 mit einem Sperrmüllfraktionen, die teilweise verwertet wer- CO2-Bedarf von etwa 35 – 40 Mt für CCU gerechnet. den können). Dennoch werden auch zukünftig Abfälle zur (Mit-)Verbrennung anfallen. Durch CO2-Abscheidung und eine anschließende Nut- 3.4 Papierindustrie zung z. B. in der Chemieindustrie ist eine Rückfüh- rung in den industriellen Kohlenstoffkreislauf Aufgrund des großen Anteils von Niedrig- bis möglich.17 Mitteltemperaturwärme am Gesamtenergiebedarf der Papierindustrie ist die Elektrifizierung der Pro- zessdampferzeugung ein wichtiger Bestandteil der Dekarbonisierung. Darüber hinaus ist auch der Einsatz von biogenen Brennstoffen und von Wärme aus erneuerbaren Energien (Solarthermie und Geothermie) eine wichtige Dekarbonisierungs option. Durch den hohen Einsatz von Biomasse besteht in der Papierindustrie das Potenzial, durch Bioenergie- CCU/S-Verfahren (BECCU/S), also die Abscheidung des durch die Verbrennung von Bio- masse frei werdenden CO2 und eine anschließende dauerhafte Nutzung oder Speicherung, „negative Emissionen“ zu erzeugen.15 13 Acatech (2018) 14 VCI (2019) 15 EWI (2021); BDI (2021) 16 BT (2020) 17 ITAD (2020b)
9 4 Struktur der Industriebranchen Die im Rahmen des Dialogs betrachteten Branchen liche Unterschiede. Letztere werden hier nicht wei- weisen hinsichtlich Produktionsmengen, Umsatz, ter aufgeführt, können aber bei der Diskussion um Standorten und Arbeitsplätzen unterschiedliche einen möglichen Einsatz von CCU und benötigte Strukturen auf. Auch innerhalb der einzelnen Infrastrukturen eine Rolle spielen. Branchen gibt es je nach Produktgruppen deut Tabelle 1: Produktionsmengen, Umsatz, Standort und Arbeitsplätze der Industriebranchen Industriezweig Produktionsmenge Umsatz Produktionsstandorte*, Arbeitsplätze in Mio. Tonnen in Mio. Euro Glas18 (2020) 7,4 9.808 388 * 53.690 Kalk19 (2015) 6,1 705 59 3.027 Zement20 (2019) 34,2 2.978 54 8.102 Thermische Abfall- 24,9 ***, 84 **, 7.000 behandlung21 (2020) Papierindustrie22 (2019) 22,1 14.334 153 39.750 Chemische Industrie23 147.441 > 1.600 343.924 (2019) * Betriebe ≥ 20 Mitarbeiter; **ITAD-Mitglieder; ***verwerteter Abfall 18 BVGlas (2021a) 19 BMWI (2019b) 20 VDZ (2021) 21 ITAD (2020a) 22 VDP (2021) 23 VCI (2021)
10 4 STRUKTUR DER INDUSTRIEBRANCHEN Tabelle 2: Energieverbräuche, CO2-Emissionen und Prozesstemperaturen der Glasindustrie (2015) Industriezweig Energieverbrauch [TWh/a] Gesamt- Anteil emissionen Prozessemissionen Gesamt Strom Erdgas Öl Kohle Sonstige in Mio. t CO2Äq in Mio. t CO2Äq Glas24 (2015) 18,5 4,0 13,5 0,7 – – 4,9 16 % bzw. 0,8 25 Kalk26 (2019) 7,5 0,7 1,1 0 5,3 – 6,9 66 % bzw. 4,6 Zement27 (2019) 30,3 3,9 0,25 0,25 7,05 18,9 20,5 *** 66 % bzw. 13,6 28*** Thermische Abfall 9,7 * behandlung29 (2020) Papierindustrie30 65,1 16,2 24,3 0,2 3,5 20,9 7,2 31** 0 % 32 (2019) Chemische Industrie33 180 51,5 118,1 2,8 8,5 k. A. 39**** 18 % bzw. 6,7 34** (2019) Stoffliche Nutzung 2,1 14,8 0,3 2,5 [Mio. t/a]** (Naphtha) (Biomasse) * Aus MVA und EBS-Kraftwerken; ohne Mitverbrennung ** Werte von 2015 *** Wert von 2017 **** Wert inkl. pharmazeutischer Industrie 24 BMWI (2019a) 25 KEI (2019) 26 BVK (2021) 27 VDZ (2021) 28 UBA (2020) 29 ITAD (2020a) 30 VDP (2021) 31 BMWI (2019d) 32 IREES (2017) 33 VCI (2021) 34 KEI (2019)
11 5 Forschungs- und Pilotprojekte Die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten rund um den Einsatz von CO2-Abscheidungstech- nologien und die Verarbeitung des Rohstoffs CO2 haben in den letzten Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen. Die hier aufgeführten Projekte zeigen, dass der Aufbau von Kohlenstoffkreisläufen eine wichtige Rolle in der Dekarbonisierung der energieintensiven Industrien spielt. Eine zuneh- mende branchenübergreifende Kooperation und die zentrale Rolle von Verbundstandorten zeich- nen sich ab. Die folgenden Pilotprojekte und Machbarkeitsstudien verdeutlichen das Potenzial wasserstoffbasierter CCU-Verfahren für den Umgang mit nicht vermeidbaren Prozessemissionen und stellen lediglich eine Auswahl der aktuellen Aktivitäten dar. RHYME CONCRETE CHEMICALS Renewable HYdrogen and MEthanol Bavaria: Pioneers in CO2nversion Ganzheitliches Projekt zur Rückführung unter- nehmenseigener Emissionen in die Produktions Im Rahmen des Leuchtturmprojekts Concrete kreisläufe mit dem Ziel der Defossilisierung Chemicals wollen die drei Unternehmen ENER- chemischer Produktionsprozesse TRAG, CEMEX und Sunfire am Standort Rüders- dorf eine Demonstrationsanlage zur Erzeugung Im ersten Schritt plant die WACKER Chemie AG im grüner Kohlenwasserstoffe installieren. Neben dem Rahmen des Projekts RHYME den Aufbau eines 20 vor Ort aus dem Zementwerk abgeschiedenen CO2 MW PME Elektrolyseurs, der grünen Wasserstoff soll auch der benötigte grüne Wasserstoff mittel für eine Methanol-Anlage liefern soll. In dieser Elektrolyse direkt am Standort erzeugt werden. Ab Anlage wird abgeschiedenes CO2 aus der Vinylace- 2025 soll die Demonstrationsanlage jährlich ca. tat-Produktion mit Wasserstoff in einer Methanol- 5.000 Tonnen grüne Kohlenwasserstoffe produzie- Synthese zu grünem Methanol verarbeitet, welches ren. Weiter ist geplant, dass in einem nächsten für die unternehmenseigene Herstellung CO2- Schritt die produzierten grünen Kohlenwasser- armer Silikone oder erneuerbarer Kraftstoffe ver- stoffe in synthetische Kraftstoffe und erneuerbare wendet wird. 2024 soll die Anlage in Betrieb gehen chemische Produkte umgewandelt werden kön- und jährlich aus 22.000 Tonnen abgeschiedenem nen. Darüber hinaus soll außerdem die Herstellung CO2 15.000 Tonnen grünes Methanol erzeugen. In von grünem Methanol aus Synthesegas über eine einer zweiten Phase ist die Einbeziehung weiterer Methanol-Synthese-Route möglich sein. Für die unvermeidbarer Emissionen z. B. aus der Rück- Umsetzung des Projekts wurde ein Förderantrag standsverbrennung oder von Zementwerken im Rahmen des Förderprogramms „Dekarbonisie- geplant. Mit größeren Mengen an produziertem rung in der Industrie“ des Bundesministeriums für grünen Methanol können weitere Basischemika- Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit lien wie Olefine hergestellt oder die Dimethyl- (BMU) eingereicht.36 etherproduktion von Wacker versorgt und deren Abhängigkeit von fossilen Energieträgern beendet werden. Das bayerische Pilotprojekt zeigt, wie CO2 als Rohstoff fungieren und innerhalb eines Unter- nehmens wiedereingesetzt werden kann.35 35 Wacker (2021) 36 Cemex (2021)
12 5 F O R S C H U N G S - U N D P I LOT P R OJ E K T E CARBONCYCLEMEOH Holcim Group in der Nähe Hannovers. Als Vorteile gegenüber anderen Carbon-Capture-Verfahren Machbarkeitsstudie zur CO2-Emissionssenkung werden der geringe Energieverbrauch sowie der mithilfe einer integrierten Kreislaufwirtschaft Verzicht auf zusätzliche Chemikalien genannt. im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen zur Produk- Hierdurch soll das Verfahren kostengünstig und tion von Methanol und dessen Folgeprodukten leicht skalierbar sein und kann an vielfältige Anwendungen angepasst werden. Bereits 2023 In der Machbarkeitsstudie CarbonCycleMeOH sollen 5.600 Tonnen CO2/a abgeschieden werden. untersucht ein vom Fraunhofer IKTS koordiniertes Nach erfolgreichem Test soll die Anlage dann so Konsortium am Beispiel der Methanol-Produktion erweitert werden, dass 2024 170.000 Tonnen CO2/a im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen, wie industrielle und bis 2026 1,3 Mio. Tonnen CO2/a abgetrennt CO2-Emissionen gesenkt und Stoffkreisläufe ge und somit im Vollbetrieb ca. 90 Prozent der CO2- schlossen werden können. Die Studie soll zunächst Emissionen abgeschieden werden können. Das Verfahrenskonzepte unter Anwendung von Elektro- abgeschiedene CO2 wird in flüssiger, hochreiner lyse-Technologien untersuchen, diese anschließend Form bereitgestellt und kann in anderen Branchen hinsichtlich Wirtschaftlichkeit und Ökobilanz weiterverwendet werden. Zu möglichen Abneh- bewerten und aus den Ergebnissen politische mern, Transport und Lagerung werden noch keine Handlungsempfehlungen zur Einbindung der che- Angaben gemacht.38 mischen Industrie in ein erneuerbares Energiesys- tem erarbeiten. Projektbeteiligte sind neben dem Fraunhofer IKTS Nobian, envia THERM GmbH, ALIGN-CCUS Chemiepark Bitterfeld-Wolfen GmbH und Fraun- hofer ISI. Das Projekt läuft von 01.03.2021 bis Accelerating Low Carbon Industrial Growth 28.02.2023 und wird im Rahmen des Förderaufrufs through Carbon Capture, Usage and Storage Ideenwettbewerb Wasserstoffrepublik Deutschland, (Align-CCUS) und Folgeprojekt Take Off Modul 2 „Grundlagenforschung Grüner Wasser- stoff“ durch das BMBF gefördert.37 Im Rahmen des europäischen ALIGN-CCUS-Pro- jekts wurde am Standort Niederaußem in einer Power-to-X-Forschungsanlage ein Verfahren getes- CARBON-CAPTURE-ANLAGE tet, das eine direkte Synthese von Dimethylether (DME) aus CO2 und Wasserstoff ermöglicht. Das Im Zementwerk Höver: Abscheidung unver- CO2 wird dort aus dem Rauchgas des Braunkohlen- meidbarer Prozessemissionen in der Zement- kraftwerks Niederaußem mithilfe einer Aminwä- produktion mithilfe innovativer PolyActive™ sche gewonnen, der Wasserstoff wird vor Ort durch Membrantechnologie des Helmholtz-Zentrums eine alkalische Elektrolyse von Asahi Kasei erzeugt. Hereon Die Anlage ist insgesamt auf eine Leistung von rund 7,2 Tonnen CO2 täglich ausgelegt. Am Projekt Über zehn Jahre entwickelte das Helmholtz-Zen- Align-CCUS waren 30 Partner aus Industrie und trum Heroen eine spezielle Membrantechnologie, Forschung beteiligt. Es wurde u. a. im Rahmen des welche ein selektives Material nutzt, das den ERA-Net Acts der EU Horizon 2020 Förderpro- Durchtritt von CO2 im Vergleich zu anderen Gas- gramm gefördert und wurde im November 2020 komponenten bevorzugt erlaubt. Cool Planet Tech- abgeschlossen. Im Folgeprojekt „Take Off“ liegt nun nologies Limited (CPT) implementiert diese Techno der Fokus auf der Herstellung synthetischer erneu- logie nun schrittweise in einem Zementwerk der erbarer Flugzeugtreibstoffe aus CO2 und Wasser- 37 BMBF (2021) 38 Holcim (2021)
5 F O R S C H U N G S - U N D P I LOT P R O J E K T E 13 stoff. Zwei untersuchte Prozessrouten nutzen hier- schritte des CO2-Kreislaufs technologisch ausgereift für DME und zukünftig auch Methanol, die in sind und ob sie mit den Gasen aus der Glasherstel- Niederaußem hergestellt werden.39 lung zurechtkommen. Insgesamt wird die Machbar- keit bezüglich Technologie, Auslegung, Wartung und Betrieb sowie ökonomischer Aspekte untersucht. C 2 P AT Abschließend soll der Forschungsbedarf zur Umset- zung der Demonstrationsanlage aufgezeigt werden Carbon2ProductAustria und ggf. bereits eine grundlegende Auslegung einer Demonstrationsanlage erfolgen. Das Projekt läuft In einer gemeinsamen Absichtserklärung haben vom 01.04.2021 bis 31.03.2023 und wird im Rah- sich die Unternehmen Lafarge, OMV, VERBUND men der Fördermaßnahme „KlimPro-Industrie – und Borealis im Juni 2020 zu einer sektorübergrei- Vermeidung von klimaschädlichen Prozessemissio- fenden Zusammenarbeit ausgesprochen und wol- nen in der Industrie“ durch das BMBF gefördert.41 len bis zum Jahr 2030 eine Anlage zur CO2-Abschei dung und -Nutzung im großindustriellen Maßstab errichten. Die Anlage soll die Abscheidung von CO2 CLEANKER aus der Zementherstellung am Standort Manners- CLEAN clinKER dorf in Österreich sowie die Fertigung von Kunst- stoffen, Olefinen und Kraftstoffen auf Basis erneu- erbarer Rohstoffe ermöglichen. Das Projekt soll in Gemeinsam mit 13 Partnern hat der VDZ im Rah- drei Phasen umgesetzt werden. Aktuell evaluieren men des CLEANKER-Projekts untersucht, wie pro- die Partner in Phase 1 einen gemeinsamen Ansatz zessbedingte CO2-Emissionen aus dem Kalzinie- für die Projektentwicklung, das Geschäftsmodell rungsprozess sicher aufgefangen und nutzbar und die benötigte Verfahrenstechnik.40 gemacht werden können. Hierfür wurde die Integ- ration von Calcium-Looping (CaL) in den Produk tionsprozess, als Verfahren zur Abscheidung des GLAS-CO2 CO2 in der Demonstrationsanlage eines Zement- werks, industriell erprobt und eine gleichbleibende Nutzung des aus dem Glasschmelzprozess frei Klinkerqualität erzielt. Es wurde angestrebt, in der werdenden Kohlendioxids zur Kreislaufführung Demonstrationsanlage, welche an eine bestehende und Herstellung synthetischer Brennstoffe Ofenlinie des Werkes von Buzzi Unicem in Ver- nasca/Italien angeschlossen wurde, 4.000 m3/h Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie untersucht Abgas zu behandeln. Nach erfolgreicher Demonst- die HVG-DGG gemeinsam mit drei Partnern ration der Technologie soll eine technisch-wirt- (Ardagh Glass GmbH, Linde AG, Schott AG) die schaftliche Analyse für ein Scale-up auf bestehende Kreislaufführung von CO2 aus dem Abgas einer Werke durchgeführt werden. Das Projekt wurde im industriellen Thermoprozessanlage in der Glas Rahmen des Forschungs- und Innovationspro industrie. Durch eine Abscheidung der brennstoff- gramms Horizon 2020 der Europäischen Union und prozessbedingten CO2-Emissionen könnte gefördert. Das Projekt hatte eine Laufzeit von 48 zukünftig mit grünem Wasserstoff ein synthetischer Monaten und war im Oktober 2017 gestartet.42 Brennstoff erzeugt werden, der anschließend dem Daneben werden im aktuell sehr dynamischen Prozess wieder zugeführt werden kann. In der Umfeld laufend weitere Projekte gestartet. Allein Studie wird untersucht, wie weit die einzelnen Teil- aus der Zementindustrie wären etwa noch die Pro- jekte Westküste100, CI4C und LEILAC 2 zu nennen. 39 NRW.Energy4Climate (2022a); ALIGN-CCUS (2022) 40 Lafarge (2022) 41 HVG (2022) 42 VDZ (2022); NRW.Energy4Climate (2022b)
14 6 Ergebnisse der Diskussion und Handlungsoptionen In den emissionsintensiven Industrien gibt es bereits zahlreiche CCU-Pilotprojekte, typischer- weise in Form von Kooperationen zwischen „Erzeugern“ und „Abnehmern“. Dennoch nimmt CCU trotz des erheblichen Potenzials heute noch eine Nischenposition ein, wofür es eine Reihe von Gründen gibt: Die noch nicht komplett geklärte gesetzliche Regu- Für die Hochskalierung von CCU gibt es einen lierung von CCU führt zu Unsicherheit, etwa die erheblichen Bedarf an Infrastruktur und Energie. mögliche Einbindung in den EU ETS, die Zertifizie- Letztere kann aktuell noch nicht erneuerbar rung von „grünen“ Produkten, sowie Fragestellun- gedeckt werden. Zudem ist das Zusammenführen gen rund um die Klimaneutralität von Synthese- von CO2-Verursachern und CO2-Abnehmern auf- produkten aus fossilem CO2. Daher ist noch unklar, grund der Heterogenität der beteiligten Akteure inwieweit Negativemissionen als zusätzlicher Busi- vertraglich, wirtschaftlich und infrastrukturell her- ness Case fungieren können, insbesondere, da nicht ausfordernd. ausreichend geklärt ist, wann CCU-Produkte als Negativemissionen gelten können.43 Über die Rolle von CCU in einem klimaneutralen Energiesystem der Zukunft gibt es zudem unter- Die Technologiereife mancher Verfahren ist noch schiedliche Ansichten. Die mögliche Konkurrenz nicht für den großtechnischen Einsatz geeignet. verschiedener Vermeidungsoptionen (CCU, CCS, Während Verfahren für die CO2-Abscheidung, ins- Einsatz von Biomasse etc.) verursacht Unsicherheit besondere die Aminwäsche, schon einsatzbereit bezüglich möglicher Technologiepfade, was zu sind (TRL 9)44, gelten Syntheseverfahren zur Her- Investitionszurückhaltung führen kann. Dabei ist stellung organischer Verbindungen aus CO2 noch weder auf europäischer noch nationaler Ebene ein- als nicht marktreif. deutig definiert, welche Rolle CCU von fossilen Emissionsquellen etwa für Powerfuels kurz- und Durch die Kosten der CO2-Abscheidung und der mittelfristig spielen kann. Synthese, insbesondere aber aufgrund der Bereit- stellung erneuerbarer Energie, erlauben die Markt- Aus den Diskussionen mit den Stakeholdern haben bedingungen noch keine Wettbewerbsfähigkeit sich einige Herausforderungen und Handlungsop- von durch CCU hergestellten Powerfuels zur energe tionen ergeben, die im Folgenden aufgeführt wer- tischen oder stofflichen Verwendung im Vergleich den sollen. zu fossilen Einsatzstoffen, da die CO2-Vermeidungs- kosten meist deutlich über dem aktuellen CO2- Preisniveau liegen. Insbesondere gibt es noch keine gesicherte Nachfrage nach diesen Powerfuels. 43 Das gespeicherte CO2 in grünen Polymeren wird in manchen Klimaneutralitätsstudien als Negativemissionen bilanziert (dena, Agora), in anderen dagegen nicht explizit genannt (etwa BDI) 44 Prognos AG (2021)
6 E R G E B N I S S E D E R D I S K U S S I O N U N D H A N D LU N G S O P T I O N E N 15 Herausforderung Herausforderung Unklare Rahmenbedingungen hemmen den Techno- Mit CCU hergestellte Produkte sind noch nicht kon- logiehochlauf. kurrenzfähig. Lösungsansatz Lösungsansatz Um Planungssicherheit zu ermöglichen und somit Schaffung eines Business Case für die Hochskalie- Investitionen zu erleichtern, ist ein klarer regulato- rung von CCU, um Unternehmen Investitions rischer Rahmen erforderlich: sicherheit und -anreize zu geben • Die Einbindung von CO2-Abscheidung in den • Ein ambitionierter CO2-Preishochlauf über alle EU ETS sollte klar geregelt werden, wodurch Emissionssektoren ist zentral, damit Produkte Unternehmen Entscheidungssicherheit über die konkurrenzfähig werden; unterstützt würde Bilanzierung erhalten und über CCU syntheti- diese Entwicklung idealerweise mit einem zeit- sierte Produkte ohne Doppelbilanzierung als nahen Auslaufen der kostenlosen Zertifikate- klimaneutral verkaufen können. Zuteilung. • Einführung von Transparenzvorschriften für • Die Technologieentwicklung sollte weiter den CO2-Fußabdruck (PCF) von Produkten. gestärkt werden durch vertiefte Forschungsför- Dabei sind auch Regeln zur Ausweisung der derung, aber auch durch größere Pilotprojekte. Kohlenstoffquelle erforderlich, damit mit CCU Wichtig sind hier deutsche F&E-Programme, hergestellte Produkte (z. B. chemische Grund- aber auch europäische Programme wie der EU stoffe oder Erzeugnisse) von „konventionellen“ Innovation Fund. fossilen Produkten unterscheidbar sind. • Für mit CCU hergestellte Produkte sollte eine • Schaffung klarer Regeln zur Anrechenbarkeit Nachfrage geschaffen werden. In manchen Sek- von CCU für Powerfuels (RFNBO) auf Quoten toren, insbesondere im Verkehrsbereich, sind zur Emissionsminderung insbesondere im Ver- Quoten geeignet (wie etwa für RFNBO45 in der kehrssektor. Hiermit verbunden Definition von Luftfahrt im Rahmen der REDII), während in eindeutigen Standards für CO2-Quellen. der Industrie (insbesondere Chemieindustrie) • Überarbeitung des regulatorischen Rahmens, CCfD für klimaneutrale Produktion (auf Ver- insbesondere des Kohlendioxidspeicherungs brauchsseite) eingeführt werden sollten. gesetzes, um die Anforderungen von CCU (ins- besondere den nationalen und grenzüberschrei- Herausforderung tenden Transport) zu berücksichtigen. Fehlende Energie- und CO2-Infrastruktur sowie Ver- fügbarkeit erneuerbarer Energien Lösungsansatz Langfristige, abgestimmte Ausbauplanung für die notwendigen Infrastrukturen 45 „Renewable Fuels of Non-Biological Origin“, d. h. wasserstoffbasierte Powerfuels
16 6 E R G E B N I S S E D E R D I S K U S S I O N U N D H A N D LU N G S O P T I O N E N • Es bedarf einer langfristigen Infrastrukturpla- • Für den Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft nung für den Transport und die Speicherung wird daher auch der Import CO2-haltiger Power von CO2, die mögliche Synergien und Abhängig- fuels und Grundstoffe aus Regionen mit besse- keiten (etwa bei Umwidmung von Erdgaspipe- ren EE-Standortbedingungen erforderlich sein. lines) sowie die Potenziale von Clustern bzw. Dafür sind Energie-Partnerschaften mit Län- Verbundstandorten miteinbezieht. CO2-Pipe- dern in diesen Regionen erforderlich. Die Aus- lines und andere Infrastruktur müssen sowohl wirkungen auf den Aufbau einer CCU-Wirt- die Anforderungen für CCU als auch CCS schaft in Deutschland müssen ebenfalls berück- berücksichtigen und möglichst flexible Ein- und sichtigt werden. Ausspeisung von CO2 durch Unternehmen • Beim Import von CO2-haltigen Powerfuels muss ermöglichen. Ein möglicher „Systementwick- über glaubwürdige und gemeinsame Nachhaltig lungsplan“ für Gasnetze im Rahmen des Auf- keitsstandards sowie Zertifizierung etc. gewähr- baus eines „Klimaneutralitätsnetzes“ sollte leistet werden, dass sich die Produktion im Aus- somit auch CO2 einbeziehen. land im Sinne der Klimaneutralität vollzieht, • Schneller Ausbau von erneuerbaren Energien damit nicht etwa nur Emissionsverlagerungen und Wasserstoff, dabei Berücksichtigung der stattfinden. Im Ausland sollten keine Anreize für Bedarfe von CCU anhand eines realistischen die Nutzung fossiler Energieträger geschaffen Hochlaufpfads. CCU ist energetisch aufwendig: werden, sodass eine Bilanzierung als klimaneut- Für 1 Mt CO2 (Synthese von 4 TWh flüssiger rale Powerfuels in Deutschland nur dann erfol- Powerfuels) werden ca. 8 TWh Primärenergie gen sollte, wenn dieses strengen Anforderungen (EE-Strom) benötigt. genügt (v. a. erneuerbares CO2 aus Biomasse und DAC). Dies beinhaltet auch die Kriterien für den Herausforderung Strombezug für RFNBOs im Ausland.47 Mögliche Konkurrenz durch CCU im Inland/Ausland Herausforderung Lösungsansatz Unsicherheit über die langfristige Rolle von CCU oder zu strenge Anforderungen von Anfang an können Eine nationale Strategie für CCU muss auch den Hochlauf hemmen. Importe berücksichtigen. Dafür sind der Aufbau internationaler Energie-Partnerschaften erforder- Lösungsansatz lich sowie die Definition geeigneter Nachhaltig- keitsanforderungen. CCU muss sich im Rahmen einer Gesamtstrategie für technische und natürliche Senken in das klima • Die Verfügbarkeit von grünem Strom und grünem neutrale Energiesystem der Zukunft einfügen kön- Wasserstoff ist eine zentrale Herausforderung, nen. Für die Übergangszeit sind pragmatische und wird einen begrenzenden Faktor für CCU Lösungen erforderlich. im Inland darstellen. Eine vollständige Energie- autarkie Deutschlands ist den meisten Klima • Zur richtigen Planung von Ausbaupfaden, Infra- neutralitätsstudien zufolge unwahrscheinlich46. strukturen, Energiemengen sowie zur Vermei- Gleichzeitig sind kohlenstoffhaltige Powerfuels dung von Unsicherheiten und Zielkonflikten ist einfacher und kostengünstiger transportierbar die Einbettung von CCU in eine Gesamtstrategie als reiner Wasserstoff. für technische und natürliche Senken erforder- 46 Siehe z. B. hier: https://www.dena.de/fileadmin/dena/Publikationen/PDFs/2022/Vergleich_der_Big_5_Klimaneutralitaetsszenarien.pdf 47 Die aktuell in REDII Art. 27 definierten Kriterien für den Strombezug bei der Herstellung von RFNBOs sollten demnach auch (oder strenger) für die Produktion im Ausland gelten
6 E R G E B N I S S E D E R D I S K U S S I O N U N D H A N D LU N G S O P T I O N E N 17 lich, welche die voraussichtlich erforderlichen • Dabei muss jedoch auch eingeplant werden, Mengen an Abscheidung, aber auch Negativ dass fossile Brennstoffe als Emissionsquellen emissionen antizipiert und geeignete Instru- langfristig nicht mehr zur Verfügung stehen mente entwickelt. werden, auch um Lock-in-Effekte und Fehl • Langfristig muss CCU einen Beitrag zur Klima investitionen zu vermeiden. Ein mögliches Mit- neutralität leisten können. Das bedeutet, dass tel wäre, Investitionen in CCU aus vermeidbaren für die Erzeugung von Powerfuels und Grund- Emissionsquellen für RFNBOs ab einem Stich- stoffen für die Chemieindustrie hauptsächlich jahr nur noch unter strengen Auflagen zu erlau- erneuerbare Quellen (DACCU, BECCU) infrage ben. kommen; fossiles CO2 nur unter eng umgrenz- • Die nationale Senkenstrategie muss mit dem ten Bedingungen (insbesondere nicht vermeid- Regelwerk auf europäischer Ebene, u. a. für „Sus- bare Prozessemissionen). Die Einbindung sämt- tainable Carbon Cycles“ abgestimmt werden, licher Verursacher und Nutzer von CCU in den damit Anforderungen und Wettbewerbsbedin- EU ETS könnte hier mittel- bis langfristig die gungen auf europäischer Ebene harmonisiert richtigen Anreize setzen, insbesondere, wenn werden können. dies mit einem ambitionierten Preispfad im ETS verbunden ist. • Für die Hochlaufphase müssen pragmatische Lösungen gefunden werden, was die Anrechen- barkeit und Bilanzierung von CCU-Produkten aus fossilen Emissionsquellen angeht, um zeit- nah eine Wirtschaftlichkeit zu schaffen und die Technologieentwicklung von CCU/S zu beför- dern. Das bedeutet, dass kurzfristig auch die Verwendung von CO2 aus fossilen (Prozess-) Emissionen als Beitrag zur Emissionsminderung und zum Technologiehochlauf anerkannt wer- den kann.
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bmwk.de
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