Opioid-induzierte Obstipation - Unterschätzte Krankheitslast erfordert optimiertes Management - Grünenthal Health
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Schmerz N A C H R I C H T E N Nr. 1a | 2021 • ISSN 2076-7625 ZEITSCHRIFT DER ÖSTERREICHISCHEN SCHMERZGESELLSCHAFT AdobeStock Opioid-induzierte Obstipation – Unterschätzte Krankheitslast erfordert optimiertes Management
O PIO I D-I ND U ZI E R T E O B S T I P A T I O N Die Obstipation ist die mit Abstand häufigste gastrointestinale Dysfunktion, die als Nebenwirkung einer Opioidthe- rapie auftritt – und nicht selten Ursache von Therapieabbrüchen. Inzwischen stehen nicht nur symptomatische, son- dern auch wirksame Mechanismen-orientierte pharmakologische Therapieoptionen zur Verfügung. Voraussetzung für jeden Behandlungserfolg ist aber eine möglichst frühe und aktive Thematisierung der Problematik im Rahmen des Gesprächs mit Patientinnen und Patienten, so der Konsens unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eines interdisziplinären Expertengesprächs. O pioide haben sich im Rahmen Abbildung 1: Gründe für den Abbruch einer Opioidtherapie eines multimodalen Therapiean- satzes und in Kombination mit Häufigkeit bei Opioiden anderen pharmakologischen und nicht- Häufigkeit bei Placebo pharmakologischen Optionen als unver- zichtbar in der Schmerzmedizin etabliert. 45 41 % Neben ihrer analgetischen Wirkung sind 40 bei ihrer Anwendung allerdings eine Reihe 35 32 % möglicher Nebenwirkungen zu beachten. 30 29 % Dazu zählen zentral vermittelte Neben- 25 wirkungen wie Atemdepression, Benom- 20 % 20 menheit, Schwindel, Erbrechen sowie 15 % 15 % 15 11 % 12 % Nebenwirkungen, die über das periphere 10 % 10 7% 7% Nervensystem vermittelt werden und zu 5 3% gastrointestinalen Dysfunktionen führen. 0 Während bei zentralen Nebenwirkungen eine Toleranz gegeben ist, entsteht eine Obstipation Übelkeit Schläfrigkeit Schwindel Pruritus Erbrechen solche bei den peripheren Nebenwirkun- gen nicht. Mehrfachnennungen von verschiedenen Ereignissen. Quelle: Kalso E et al.1 Die Obstipation ist nicht nur die häufigs- te gastrointestinale Dysfunktion, sondern auch jene, die Patientinnen und Patienten Abbildung 2: Definition der Opioid-induzierten Obstipation (OIC) am schwersten belastet – und in der Kon- sequenz nicht selten dazu führt, dass die Opioidtherapie patientenseitig abgebro- OIC ist als eine Änderung des Stuhl- chen wird. Die Obstipation hat somit einen gangs unter einer Opioidtherapie entscheidenden Einfluss auf die Lebens- definiert, die mindestens einen der qualität der Patientinnen und Patienten. folgenden Aspekte betrifft: Dennoch wird aufgrund der Tabuisierung mancherorts immer noch kaum über die u Verminderung der Stuhlfrequenz Obstipation, ihre Ursachen, Folgen – aber u Härtere Stuhlkonsistenz auch vorhandene Therapiemöglichkeiten u Notwendigkeit des starken – gesprochen und aufgeklärt. Pressens, um den Stuhl zu entleeren u Gefühl der inkompletten Stuhlent- GASTROINTESTINALE DYSFUNKTIONEN leerung Drei Viertel aller Nebenwirkungen einer Opioidtherapie betreffen gastrointestinale Störungen im oberen Gastrointestinal- Dysfunktionen. Bei etwa einem Drittel der Trakt (Magen und Dünndarm) Betroffenen führt eine Opioid-induzierte u Übelkeit Obstipation (OIC – Opioid-Induced Con- u Erbrechen stipation) zur Reduktion der Opioiddo- u Frühzeitiges Sättigungsgefühl sis, knapp ein Viertel brechen ihre an sich wirksame Opioidtherapie ab, weil sie die Störungen im unteren Nebenwirkungen nicht mehr ertragen kön- Gastrointestinal-Trakt (Kolon) nen.1 Es gibt mehrere Gründe für einen Abbruch der Opioidtherapie (siehe auch u Fehlendes Abgehen von Winden Abbildung 1). u Fehlendes Absetzen von Stuhl für mehr als drei Tage Die Ursache für gastrointestinale Dysfunk- Quelle: Storr M et al.2 tionen findet sich in einer Vielzahl an Opio- 2 SCHMERZ NACHRICHTEN Nr. 1a | Februar 2021
OPIOID-INDU Z IER T E OBS TIPATION (PROM) sein, das routinemäßig etabliert und regelmäßig abgefragt wird. Im Rah- Anna Rauchenberger Anna Rauchenberger men der Visite ist die Thematisierung der Obstipation angesichts der großen An- zahl der Beteiligten eher problematisch. Das Symptom wird daher nicht selten vom Pflegepersonal wahrgenommen. In diesem Fall ist eine Klärung der abzufragenden Informationen sowie eine entsprechende Dokumentation und Information an die „Wir sollten das Problem der Obsti- Ärztinnen und Ärzte erforderlich. „Eigene Studien haben gezeigt, dass mit pation umfassender sehen: Es handelt dem Einsatz von Naloxegol bei Intensiv- sich um eine gastrointestinale Dysfunk- ERKENNEN DER OIC IM patienten mit ausgeprägter gastrointes- tion bei der Opioidgabe. Wir sollten NIEDERGELASSENEN SETTING tinaler Mobilitätsstörung und Opioid- systematisch danach fragen und vor Anders stellt sich die Situation in der therapie die Zeit bis zum ersten Stuhl allem mit den Pflegepersonen bei die- Niederlassung dar, wo die behandelnden nach einer Operation im Mittelwert auf sem Thema gut kommunizieren. Auch Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen 1,3 Tage gesenkt werden konnte. Daher in der Therapie gilt es, systematischer und Patienten in der Regel in größeren setzen wir den Wirkstoff gerne dort ein, vorzugehen und manche liebgewonne- Abständen persönlich sehen. Daher soll- wo viele Opioide gegeben werden.“ ne Gewohnheit kritisch zu hinterfragen.“ te im Rahmen eines umfassenden Infor- Prim. Univ.-Prof. mationsgesprächs versucht werden, ein MR Dr. Reinhold Glehr Dr. Rudolf Likar, MSc entsprechendes Problembewusstsein bei den Patientinnen und Patienten zu schaf- fen und sie anzuregen, das Thema beim id-Rezeptoren im intrinsischen Nervensys- Auftreten entsprechender Beschwerden Konsultation zwischen 0 (überhaupt tem des Gastrointestinaltraktes (GI-Trakt). auch von sich aus aktiv zu kommunizieren. nicht) und 100 (sehr stark); Die Opioideinnahme führt zu einer deutlich Das stellt allerdings in vielen Fällen nach u Persönliche Einschätzung der Obstipa- verminderten Transmitterfreisetzung, in wie vor eine große emotionale Hürde dar. tion während der letzten sieben Tage deren Folge die Transitzeit des Stuhls im Daher ist zusätzlich eine intensive Kommu- vor Konsultation zwischen 0 (überhaupt Dünn- und Dickdarm massiv zunimmt. Es nikation mit den Betreuenden (professio- nicht) und 100 (sehr stark). kommt zum Wasserentzug und zur Eindi- nelle Pflege oder auch pflegende An- und ckung, der Tonus der intestinalen Sphink- Zugehörige) inklusive einer detaillierten Das arithmetische Mittel aus allen drei Aus- teren wird gesteigert, das führt zur OIC. Die Dokumentation und eines geregelten sagen ergibt einen Wert, der folgende Aus- Folgen sind eine härtere Stuhlkonsistenz, Informationsaustausches sinnvoll. Dazu sagen zulässt: ein Wert < 30 bedeutet eine eine Verminderung der Stuhlfrequenz und ist ein automatisierter – oder zumindest normale Darmfunktion. Liegt er darüber, nicht selten das Gefühl einer inkomplet- standardisierter – Ablauf hilfreich. So kann kann von einer OIC ausgegangen werden. ten Stuhlentleerung. Aber auch Übelkeit zum Beispiel Patientinnen und Patienten Gelingt es im Zuge der OIC-Therapie, den und Erbrechen können Symptome dieser wenige Tage nach der Ersteinstellung Wert um 12 Punkte zu reduzieren, kann von gastrointestinalen Dysfunktion sein (siehe auf eine Opioidtherapie automatisch ein einer „klinisch relevanten Verbesserung“ dazu Abbildung 2). Fragebogen zu Schmerz und Obstipation ausgegangen werden. vorgelegt und die Antworten anschließend ERKENNEN DER OIC der Krankengeschichte beigefügt werden, Die praktische Obstipationsskala: Wenn In der klinischen Praxis geht man dann von um im darauffolgenden Arzt-Patienten- kein Stuhlgang > 72 h erfolgt ist und min- einer Obstipation aus, wenn die Stuhlfre- Gespräch erörtert zu werden. destens ein subjektives Kriterium (z. B. quenz unter drei Stuhlgängen pro Woche Pressen, Defäkationsprobleme, Gefühl der liegt. Das wichtigste „Instrument“ zur Obs- DIAGNOSEINSTRUMENTE unvollständigen Entleerung mit einer sub- tipationsmessung im klinischen Alltag bei Drei einfache Screening-Methoden haben jektiven Einschätzung von > 5 auf einer Patientinnen und Patienten unter Opioid- sich als Hilfsmittel zur Detektierung einer numerischen Rating-Skala NRS von 0 bis therapie ist daher die regelmäßige Frage OIC etabliert: 10) bejaht wird und/oder eine harte Stuhl- der Ärztin/des Arztes nach dem Stuhlgang. konsistenz vorliegt, kann von einer OIC Diese Frage sollte regelmäßig gestellt wer- Der Bowel Function Index (BFI)3 wurde ausgegangen werden. den. Teilnehmerinnen und Teilnehmer der speziell für die OIC-Diagnose validiert interdisziplinären Expertengruppe wün- (nach EMA-Richtlinien). Er setzt sich aus Die Bristol Stool Scale arbeitet mit der schen sich dafür mehr Bewusstsein inner- folgenden Kriterien zusammen: bildlichen Darstellung unterschiedlicher halb der Kollegenschaft. Die Frage nach u Leichtigkeit der Defäkation während Stuhlformen (Typ 1–7), die von der Pa- dem Stuhl müsse so selbstverständlich sein der letzten sieben Tage vor Konsulta- tientin/dem Patienten anzukreuzen sind.4 wie jene nach Schmerzen. tion zwischen 0 (einfach) und 100 (mit größter Schwierigkeit); OIC-THERAPIE NACH STUFENSCHEMA Hilfreich kann dabei ein sogenanntes Pa- u Gefühl der inkompletten Entleerung Es gibt eine ganze Reihe an Therapieop- tient Reported Outcome Measurement während der letzten sieben Tage vor tionen der OIC, beginnend mit Lebens- SCHMERZ NACHRICHTEN Nr. 1a | Februar 2021 3
O PIO I D-I ND U ZI E R T E O B S T I P A T I O N Abbildung 3: OIC-Therapie Stufenschema Anna Rauchenberger Basismaßnahmen: Ausreichende Flüssigkeitszufuhr Ballaststoffreiche Ernährung Bewegung Gegebenenfalls Kolonmassage Physikalische Therapie Stufe 1: Osmotisches UND/ODER propulsives Laxans „Man sollte den Patientinnen und Pati- Bisacodyl, Macrogol, Natriumpicosulfat enten vermitteln, dass Obstipation kein Tabuthema ist und offen besprochen Stufe 2: werden muss. Damit erreichen wir mehr Peripher wirksame µ-Opioid-Rezeptorantagonisten (PAMORA) Compliance, was wichtig ist, damit die Methylnaltrexon subkutan, Naloxegol per os, Naloxon per os Patienten die Opioide nicht absetzen, weil sie nicht wissen, dass man gegen Stufe 3: Nebenwirkungen etwas machen kann.“ a) medikamentöse Maßnahmen: OA Dr. Wolfgang Jaksch, DEAA Stufe 2 + Erythromycin, Rizinus, Amidotrizoesäure oder Medikamente im Off-Label-Use b) nicht-medikamentöse Maßnahmen: Stufe 2 + Einläufe, manuelle Ausräumung zien dar, weil die OIC weder präparat- noch Quelle: nach Storr M et al2 und S3 Leitlinie5 dosisabhängig ist und eine Vorhersage, wie viele Laxanzien benötigt werden, daher äußerst schwierig ist. Es liegt auch kein auf Studiendaten basierendes Schema vor, stil-Modifikationen, die in vielen Fällen zu ihre Gabe auch langfristig nicht zu Störun- wie und in welcher Größenordnung man einer Verbesserung der Symptome führen gen der Serumelektrolyte (keine relevante Laxanzien kombinieren kann. können. Am wichtigsten dabei sind eine Hypokaliämie). vermehrte Flüssigkeitszufuhr sowie viel Peripher wirkende Opioidrezeptor-Anta- Bewegung, wobei deren positive Wirkung Zwar sind die neueren Laxanzien nicht gonisten (PAMORA) wirken an peripheren begrenzt und oft nicht umsetzbar ist. wirksamer als die bereits eingeführten, µ-Opioidrezeptoren und stellen die Propul- es gibt aber Patientinnen und Patienten, sion des Stuhls wieder her. Dazu zählen die Für weiterführende Therapiemaßnahmen die mit den älteren Laxanzien nicht zu- Wirkstoffe Naloxegol und Methylnaltrexon. gibt ein Therapie-Stufenschema2, 5, dessen rechtkommen bzw. nicht zufrieden sind. Einhaltung von allen Teilnehmerinnen und Daher gibt es Bedarf nach Substanzen mit Methylnaltrexon war der erste PAMORA Teilnehmern der Expertenrunde empfohlen anderen Wirkmechanismen. Macrogol, Bi- auf dem Markt: ein subkutan zu injizieren- wird, Orientierung (siehe Abbildung 3). Die sacodyl und Natriumpicosulfat sind die der, kompetitiver Opioidrezeptor-Anta- drei Stufen: Laxanzien der ersten Wahl, die konkrete gonist, der die Blut-Hirn-Schranke nicht Auswahl orientiert sich an der individuellen durchbricht und daher die analgetische 1. Einzeltherapie: osmotische oder sti Präferenz der Patientin/des Patienten. Opioidwirkung nicht beeinträchtigt. Das mulierende Laxanzien zur symptoma Präparat wird auf Intensivstationen häufig tischen Therapie; Kombinationstherapie: Macrogol zählt zu den osmotischen La- verwendet, allerdings stellen Darmopera- osmotische und stimulierende Laxanzien xanzien. Diese beeinflussen zwar nicht die tionen eine absolute Kontraindikation von zur symptomatischen Therapie: Ursachen einer OIC, sie können aber ihre Methylnaltrexon dar. 2. Peripher wirkende Opioidrezeptor-Anta- Symptome mildern. Sie ziehen Wasser mit- gonisten (PAMORA) als kausale Therapie tels osmotischer Gradienten und fördern Bevorzugt werden PAMORA als Monothe- 3. PAMORA in Kombination mit osmoti- indirekt die Peristaltik. Entscheidend für rapie eingesetzt. Bei nicht ausreichender schen oder propulsiven Laxanzien, Pro- die Wirksamkeit einer OIC-Therapie ist Wirkung können PAMORA mit Laxanzien kinetika bzw. medikamentösen (Rizinus, letztendlich nicht, ob es gelingt, den Stuhl bzw. Prokinetika wie etwa dem 5-HT4- Erythromycin, Amidotrizoeessigsäure zu erweichen, sondern ob die Peristaltik Agonisten Prucaloprid, der die Darmmo- oder ähnliche) bzw. nicht-medikamen- angeregt wird. torik verstärkt, kombiniert werden. tösen Maßnahmen (v. a. Einläufen) Natriumpicosulfat und Bisacodyl sind sti- NALOXEGOL Die verfügbaren Laxanzien sind teilweise mulierende Laxanzien. Sie hemmen die Ein oral einzunehmender peripher wirken- wirksam und sicher. Eine Gewöhnung und Absorption von Wasser und fördern die der Opioidrezeptor-Antagonist ist Nalo- Toleranz (Tachyphylaxie) sind sehr selten. Sekretion von Wasser und Elektrolyten.6 xegol (Moventig®). Bei diesem Wirkstoff Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch führt Ein Problem stellt die Dosierung der Laxan- handelt es sich um eine Weiterentwicklung 4 SCHMERZ NACHRICHTEN Nr. 1a | Februar 2021
OPIOID-INDU Z IER T E OBS TIPATION Abbildung 4: Empfehlungen für das Arzt-Patienten-Gespräch AdobeStock „Eine zielgerichtete Therapie sollte früh beginnen und kausal sein. Im Aufklä- rungsgespräch muss das Patienten- verständnis im Vordergrund stehen. Patientinnen und Patienten müssen verstehen, dass sie mehr als eine Ver- stopfung haben, nämlich ein ganzes Syndrom im Magen-Darm-Trakt.“ Univ.-Doz. Dr. Alexander Kober u Bereits beim Einstellen auf Opioide sollte das Thema Obstipation als häufigste von Naloxon, einem peripher wirksamen Nebenwirkung einer Opioidtherapie aktiv angesprochen werden. µ-Opioidrezeptor-Antagonisten, der die u Neben OIC gibt es auch zahlreiche andere Erkrankungen (z. B. Morbus Parkinson oder µ-Opioidrezeptoren im Darm selektiv Demenz) und Medikamente (u. a. Antidepressiva oder Eisenpräparate), bei denen hemmt. Die Pegylierung von Naloxegol Obstipation eine potenzielle Nebenwirkung darstellt. 40 Prozent von Patientinnen verhindert die Passage durch die Blut-Ge- und Patienten in Pflegeheimen nehmen bereits Laxanzien ein, bevor sie eine Opioid- hirn-Schranke. Diese Modifikation führt zu therapie beginnen. Auch das muss beim Einstellen auf Opioide hinterfragt werden. einer Reduktion der passiven Permeabilität und zu einem erhöhten Efflux über den u Ein offenes Ansprechen des Tabuthemas Obstipation durch Ärztinnen und Ärzte P-Glykoproteintransporter. Das bewirkt ermutigt die Patientinnen und Patienten später eher dazu, das Thema im Falle von eine Linderung der OIC, ohne dabei die an- auftretenden Beschwerden von sich aus anzusprechen. algetische Wirkung der Opioide im ZNS zu beeinträchtigen.7 u Suggestivfragen („Geht es Ihnen gut mit dem Stuhlgang?“) und unverbindliche Fragen („Wie geht es Ihnen?“) vermeiden, dafür konkret nachfragen: „Was brauchen Sie?“. Naloxegol ist frei kombinierbar mit mittel- u Im Aufklärungsgespräch muss eine Balance gefunden werden, damit Patientinnen starken und starken Opioiden der Stufen 2 und Patienten einerseits auftretende Symptome ernst nehmen, andererseits aber und 3 des WHO-Stufenschemas. nicht zusätzliche Angst vor möglichen Folgen aufgebaut wird. Eingenommen wird das Präparat oral, ein- u Das Gespräch sollte im Idealfall mit der Besprechung jener Symptome beendet mal täglich. Die Standarddosierung beträgt werden, die sich verbessert haben, damit die Patientinnen und Patienten mit einem 25 mg. Bei eingeschränkter Nierentätigkeit Erfolgserlebnis nach Hause gehen, um Motivation und Compliance zu verbessern. oder bei Patientinnen und Patienten, die moderate CYP3A4-Inhibitoren einnehmen u Zum Abschluss konkret nachfragen: „Sind noch Fragen offen geblieben?“ oder die (zum Beispiel Verapamil, Diltiazem) wird Patientinnen und Patienten das Gespräch selbst noch einmal kurz zusammenfassen diese Dosierung halbiert (auf 12,5 mg täg- lassen, um zu überprüfen, ob die wesentlichen Informationen „angekommen“ sind. lich). Aufgrund seiner guten allgemeinen Ver- von Naloxegol (1 x täglich 25 mg, verab- andere gastrointestinale Dysfunktionen wie träglichkeit und Kombinierbarkeit mit reicht über eine Sonde) die Dauer bis zum Völlegefühl, Reflux, etc. die Folge sein. Als Opioid-Analgetika wird Naloxegol auch ersten Stuhl auf 1,33 Tage (im Mittelwert) Mechanismen-orientierte Therapie einge- auf Intensivstationen breit eingesetzt. Am verkürzt werden. setzt, wirkt der Antagonist am µ-Rezeptor Klinikum Klagenfurt wurde eine retro- genau dem Mechanismus entgegen, der spektive Analyse von Intensivpatientinnen Ein großer Vorteil von Naloxegol ist die dafür verantwortlich ist, dass es zu den be- und -patienten mit ausgeprägter gastro- breite Wirkung. Die Beschwerden opioid- schriebenen Symptomen kommt. intestinaler Mobilitätsstörung und Opio- therapierter Patientinnen und Patienten idtherapie durchgeführt. Prof. Likar prä- betreffen zwar in erster Linie die Obstipa- Die orale Gabe erhöht die Compliance der sentierte daraus bislang unveröffentlichte tion, aber da die Opioide auf den gesamten Patientinnen und Patienten ebenso wie Daten: Demnach konnte durch die Gabe Gastrointestinaltrakt wirken, können auch die bevorzugte Möglichkeit, Naloxegol als SCHMERZ NACHRICHTEN Nr. 1a | Februar 2021 5
O PIO I D-I ND U ZI E R T E O B S T I P A T I O N Arman Rastegar Anna Rauchenberger „DAS Instrument zur Obstipationsmes- „Man muss Patientinnen und Patienten sung im klinischen Alltag bei Patientin- über das Thema Obstipation als eine nen und Patienten, die unter Opioiden mögliche Nebenwirkung aufklären. Al- stehen, ist die aktive Frage der Ärz- les, was sie verstehen, werden sie auch tinnen und Ärzte nach dem Stuhlgang akzeptieren und annehmen, alles, was der Patientin/des Patienten. Jeden sie nicht verstehen, ist ihnen suspekt Tag! Dafür müssen wir innerhalb der und kann auch zu einer Ablehnung füh- Kollegenschaft noch mehr Bewusst- ren. Mit guter Information kann man sein schaffen. Die Frage sollte genauso die Compliance massiv verbessern und selbstverständlich sein wie jene nach damit das Therapieziel, die Selbststän- Schmerzen. Das gehört einfach dazu!“ digkeit der Patienten möglichst lange zu erhalten, wesentlich unterstützen.“ OÄ PD Dr. Gudrun Kreye Adobe Stock OÄ Dr. Waltraud Stromer Monotherapie zu geben. nen und Experten allerdings nur bedingt. zu tun und damit, dass das Thema nicht an Das betrifft vor allem auch den stationären die Pflege delegiert werden kann. Im nie- Auch im geriatrischen Bereich, wo vie- Bereich. Hier würden zum Teil immer noch dergelassenen Bereich werden in der Regel le Erkrankungen (z. B. Morbus Parkinson Einläufe (eigentlich letzte Stufe) als thera- keine Einläufe durchgeführt, sie werden oder Demenz) und auch Medikamente (u. peutische Maßnahmen vorgezogen, falls zudem auch nicht als finanzielle Leistung a. Antidepressiva oder Eisenpräparate) sich die Stufe 1 (Laxanzien) als nicht wirk- honoriert. Daher wird Naloxegol, entspre- zur Obstipation führen können und wo sam erweist. Die Stufen 2 und 3 (PAMO- chendes Wissen über diese Behandlungs- Laxanzien die meistverwendeten Medi- RA als Mono- oder Kombinationstherapie) option vorausgesetzt, im niedergelassenen kamente sind, ist Naloxegol – darüber werden nicht selten übersprungen. Bereich auch chefärztlich beantragt – und herrschte unter den teilnehmenden Ex- in der Regel von den Krankenkassen bewil- pertinnen und Experten Einigkeit – ein sehr Das habe wohl damit zu tun, mutmaßt einer ligt, sollte sich die Therapie mit mindestens hoffnungsvolles Medikament. Speziell im der Teilnehmenden, dass Obstipation im zwei Laxanzien aus dem grünen Bereich als Alter nimmt die Funktion des vegetativen stationären Setting immer noch ein vor- nicht ausreichend erweisen und der Antrag Nervensystems massiv ab. Fügt man zu rangiges Pflegethema ist. Die Pflege sei mit ausreichend dokumentiert sein. dieser bestehenden Schwäche noch ein Einläufen besser vertraut als mit PAMORA Opioid hinzu, kann es rasch zu ungewollten und ziehe diese daher häufig vor. KOMMUNIKATION MIT gastrointestinalen Nebenwirkungen kom- PATIENTINNEN UND PATIENTEN men. Die viel postulierten Änderungen des Obstipation im Allgemeinen – und OIC im Jede gute Schmerztherapie braucht eine Lebensstils sind bei alten, schwerkranken Speziellen – müsse allerdings auch ärzt- gute, verständliche Argumentation, um Menschen realistischerweise auch keine liches Thema bleiben und dürfe nicht aus- von den Patientinnen und Patienten an- Option. Hinsichtlich der Compliance ist in schließlich der Pflege überlassen werden, genommen und konsequent durchgeführt diesen Fällen ein Medikament, das einmal fordern die Teilnehmerinnen und Teilneh- zu werden. Das erfordert im Vorfeld eine am Tag oral eingenommen wird, wahr- mer der interdisziplinären Expertenrunde. offene und proaktive Kommunikation mit scheinlich zielführender. Um die passende Therapieform zu finden, den Patientinnen und Patienten. braucht es interdisziplinäre Zusammen- UMSETZUNG DES OIC-STUFENSCHEMAS arbeit und entsprechendes Fachwissen Bewährt hat sich die Strategie, dass Ärz- Trotz seiner breiten Wirksamkeit und all- über die vorhandenen Therapieoptionen. tinnen und Ärzte bereits im Rahmen der gemein guten Verträglichkeit ist Naloxegol Im niedergelassenen Bereich funktioniere Verordnung des Opioids über die Möglich- laut Stufenschema kein First-Line-Präparat die Umsetzung des Stufenschemas insge- keit einer OIC als häufige Nebenwirkung und stellt erst dann eine Option dar, wenn samt besser, weil es nicht nur als fachlich der Schmerztherapie und über geeignete vorherige Therapieversuche mit einzelnen sinnvoll, sondern auch als medizinisch – Gegenstrategien informieren. Das proakti- bzw. kombinierten Laxanzien ausbleiben. hinsichtlich einer adäquaten Behandlung ve Ansprechen ist insofern erforderlich, als Die Umsetzung des Stufenschemas funk- – hilfreich erachtet wird. Das habe auch mit die Obstipation noch immer als Tabuthema tioniert im klinischen Alltag laut Expertin- den Rahmenbedingungen in der Ordination gilt, über das seitens der Betroffenen nicht 6 SCHMERZ NACHRICHTEN Nr. 1a | Februar 2021
OPIOID-INDU Z IER T E OBS TIPATION Neben Reaktionsfähigkeit, Schwindel und Übelkeit zu Beginn der Therapie sind das TEILNEHMENDE EXPERTINNEN Anna Rauchenberger vor allem dauerhafte unerwünschte Wir- UND EXPERTEN kungen wie Obstipation sowie ein mög- licher negativer Einfluss auf das Sexual- MR Dr. Reinhold Glehr Arzt für Allgemeinmedizin, Hartberg leben. Als sinnvolle Unterstützung bzw. Ergän- OA Dr. Wolfgang Jaksch, DEAA Abteilung für Anästhesie, Intensiv- und zung für das Arzt-Patienten-Gespräch wird Schmerzmedizin, Klinik Ottakring, Wien; die Bereitstellung von Informationsmate- Vorstandsmitglied der Österreichischen „Ich habe den Eindruck, dass rial angesehen, das den Patientinnen und Schmerzgesellschaft (ÖSG) in der klinischen Praxis häufig Patienten nach Hause mitgegeben wer- widersprüchlich zum aktuellen den kann, etwa eine handliche Patienten- Univ.-Doz. Dr. Alexander Kober Stufenschema vorgegangen wird, broschüre zum Einstecken oder einzelne Arzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für indem die Einläufe der Gabe von Info-Karten. Patientinnen und Patienten Anästhesie und Intensivmedizin, St. Aegyd PAMORA häufig vorgezogen lesen nach einem Gespräch das Gehörte am Neuwalde wird.“ noch einmal gerne nach, so die überein- stimmende Erfahrung der Expertinnen und OÄ PD Dr. Gudrun Kreye Assoc.-Prof. PD Dr. Experten, um sich später in einem Nach- Organisatorische Leiterin Palliativmedizin, Eva Katharina Masel, MSc folgegespräch darauf beziehen zu können. Klinische Abteilung für Innere Medizin 1, Gutes Informationsmaterial erhöht somit Universitätsklinikum Krems; Vorstandsmit- nachweisbar die Compliance. Inhaltlich und glied der Österreichischen Palliativgesell- grafisch sollte das Material niederschwellig schaft (OPG) und sehr anschaulich gestaltet sein und auf eine klare, einfache Art die Ursachen, Ent- Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, MSc stehung und Behandlungsmöglichkeiten Leiter der Abteilung für Anästhesiologie, gerne gesprochen wird, auch wenn ihre allgemeine Intensivmedizin, Notfallmedi- der OIC erklären. zin, interdisziplinäre Schmerztherapie und Lebensqualität dadurch schon massiv ein- Redaktion: Mag. Volkmar Weilguni Palliativmedizin, Klinikum Klagenfurt am schränkt ist. Eher wird dann auf Selbstme- Wörthersee und LKH Wolfsberg; Lehrstuhl dikation gesetzt oder die Schmerztherapie Referenzen: für Palliativmedizin, SFU, Wien; Generalse- überhaupt abgesetzt. Laut einer im Rah- kretär der Österreichischen Schmerzgesell- 1 Kalso E et al. Opioids in chronic non-cancer pain: men des Expertenmeetings vorgestellten systematic review of efficacy and safety. Pain. schaft (ÖSG); Past Präsident der Österrei- internen Analyse gab über ein Drittel der 2004;112:372–380. chischen Gesellschaft für Anästhesiologie, 2 Storr M et al. Konsensus-Empfehlung zum Man- Patientinnen und Patienten, die im letzten Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI); agement der Opioid-induzierten Obstipation. Monat bei ihrer Ärztin/ihrem Arzt waren, Thieme Praxis Report 2017; 9 (11): 1-12. Präsident der Österreichischen Palliativge- an, aus ihrer Opioidanwendung resultieren- 3 Rentz AM et al. Validation of the Bowel Function sellschaft (OPG) Index to detect clinically meaningful changes in de Obstipationssymptome nicht angespro- opioid-induced constipation. J Med Econ, 2009, chen zu haben. Es ist daher Aufgabe der 12(4):371–383. Assoc.-Prof. PD 4 Chokhavatia S et al. Constipation in Elderly Patients Dr. Eva Katharina Masel, MSc Ärztinnen und Ärzte, auf dieses Thema ein- with Noncancer Pain: Focus on Opioid-Induced zugehen (siehe dazu die Empfehlungen für Constipation. Drugs Aging 2016; 33:557–74. Universitätsklinik für Innere Medizin I, einen Gesprächsleitfaden in Abbildung 4). 5 Leitlinienprogramm Onkologie der Arbeitsge- Stellvertretende Leiterin der Klinischen meinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Abteilung für Palliativmedizin, Medizinische In Großbritannien zum Beispiel sei es – an- Fachgesellschaften e.V. (AWMF), Deutschen Universität/AKH Wien; Vorstandsmitglied ders als in Österreich – selbstverständlich, Krebsgesellschaft e.V. (DKG) und Deutschen Krebshilfe (DKH) (2015): S3-Leitlinie Palliativme- der Österreichischen Palliativgesellschaft über Themen wie Sexualität oder eben dizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebs- (OPG) auch Stuhlgang im Patientinnen-/Patien- erkrankung. Kohlhammer, Stuttgart, S. 115. tengespräch zu reden. Das sei Bestandteil 6 Müller-Lissner S. Obstipation – Pathophysiologie, Diagnose und Therapie. Dtsch Med Wochenschr OÄ Dr. Waltraud Stromer einer umfassenden Anamnese. 2019; 144: 1145–1157. Abteilung für Anästhesiologie und Intensiv- 7 Moventig® Fachinformation November 2019. medizin, Landesklinikum Horn; Vizeprä- Um die Patientinnen und Patienten aber sidentin der Österreichischen Schmerz- mit Informationen nicht zu überfordern, Quelle: Interdisziplinäres Expertinnen- und Exper- gesellschaft; Vorsitzende der Sektion empfehlen die Expertinnen und Experten tenmeeting „Opioid-induzierte Obstipation – Unter- Schmerz der Österreichischen Gesellschaft schätzte Krankheitslast erfordert optimiertes Ma- beim Aufklärungsgespräch über mögliche für Anästhesiologie, Reanimation und nagement“, virtuell, 24. September 2020. Mit freundli- Nebenwirkungen einer Opioidtherapie eine cher Unterstützung von Grünenthal Österreich. Intensivmedizin (ÖGARI) Fokussierung auf die wesentlichen Punkte: IMPRESSUM: SCHMERZNACHRICHTEN Zeitschrift der Österreichischen Schmerzgesellschaft – Sondernummer Herausgeber: Österreichische Schmerzgesellschaft; Medieninhaber und Verlag: B&K Bettschart&Kofler Kommunikati- onsberatung GmbH Medieninhaber-, Verlags- und Redaktionsadresse: A-1090 Wien, Liechtensteinstr. 46a; A-7100 Neusiedl, Untere Hauptstraße 99/3/2 Geschäftsführung und Chefredaktion: Mag. Roland Bettschart, Dr. Birgit Kofler Projektmanagement: Katharina Losbichler, BA Hersteller: Donau Forum Druck Verlags- und Herstellungsort: Wien Website: www.bkkommunikation.com, www.pains.at Lektorat: Susanne Hartmann Grafische G estaltung: Patricio Handl. Diese Sondernummer der Schmerznachrichten erscheint mit freundlicher Unterstützung von Grünenthal Österreich. Gender-Mainstreaming-Policy: Wir sind bemüht, in den Texten Männer wie Frauen in gleicher Weise sichtbar zu machen, und verwenden daher an vielen Stellen sowohl die männliche als auch die weibliche Personen- oder Berufsbezeichnung. Im Interesse der Lesbarkeit wird aber auch immer wieder nur eine Form verwendet, wobei es sich ausdrücklich um keine Bevorzugung eines Geschlechtes handelt. M-MOV-AT-02-21-0001 SCHMERZ NACHRICHTEN Nr. 1a | Februar 2021 7
Sie können auch lesen