AWK FOKUS Customer Centricity 2019 - AWK Group AG
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Editorial «Als Unternehmen ist für uns Realität, wie uns der Kunde wahrnimmt.» Dr. Christian Mauz, Partner Customer Centricity im Zeitalter der Digitalisierung neu gedacht «Der Kunde ist König»: eigentlich ein alter Hut und eine Inhalt Selbstverständlichkeit. Die Fähigkeit, Kundenerwartungen zu erfüllen oder sogar zu übertreffen, gilt als entscheidender Wettbewerbsvorteil. Es existiert hierzu eine Vielzahl an 3 Customer Centricity Marketingtheorien und Managementlehren. Mit der digitalen Transformation erhält dieses Paradigma allerdings eine ganz Unser Verständnis andere Bedeutung. 6 Customer Centricity in der Praxis Die konsequente Ausrichtung der Organisation auf die Kunden hat weitreichende Konsequenzen und umfasst alle Unternehmensbereiche: 8 «Alles was wir tun, muss allen von der Produktentwicklung, dem Verkauf, der Leistungserbringung bis Kunden dienen» zum After-Sales. Grundlage ist die Customer Journey mit allen Berührungspunkten des Kunden mit dem Unternehmen. Customer Ein Interview mit Roland Brack Centricity ist tief in der DNA der Organisation zu verankern und muss von allen Mitarbeitenden gelebt werden. Jeder Kundenkontakt ist ein 10 Zur Customer Centricity im Moment of Truth. Denn: Heutzutage gibt es immer mehr potentielle Dolder Grand Hotel Situationen, bei denen der Kunde Hersteller oder Marke wechselt. Ein Interview mit Mark Jacob Mit der digitalen Transformation kann und muss Customer Centricity in einem ganz anderen Grad umgesetzt werden. Informationstechnologie bietet die notwendigen Werkzeuge, um die Kundenschnittstelle zu gestalten und eine ganzheitliche Sicht auf Kunden und Interaktionen zu erlangen. Ausserdem erlaubt sie, massgeschneiderte Produkte und Dienstleistungen in kleinen Losgrössen zu produzieren und zu optimie- ren. Damit gehen neue Organisationsformen und Zusammenarbeitsmo- delle einher. Kunden werden bereits zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in den Innovationsprozess mit eingebunden. Ein agiles Mindset und eine Delegation von Verantwortung nahe an den Kunden erlauben es, schnell zu agieren und Feedback zur Verbesserung zu nutzen. Das stellt eine grosse Herausforderung für das Management dar. Wir wünschen Ihnen eine spannende und aufschlussreiche Lektüre. 2
Grundlagen Customer Centricity Unser Verständnis Im modernen Geschäftsumfeld wird es • Transparente Märkte und sinkende immer schwieriger, sich mit dem besten Kundenloyalität Produkt oder dem besten Preis durch- Jeder Kunde kann heute binnen Minuten zusetzen. Customer Centricity – das Produkte und Unternehmen miteinander Paradigma, den Kunden ins Zentrum des vergleichen und genauso einfach seine Unternehmens zu stellen – bietet neue Meinung dazu verkünden. In vielen Möglichkeiten zur Differenzierung. Marktsegmenten kann er zudem ohne Dr. Gilles Pütz, Dr. Thomas Kirchner, Bernhard Glatzel Aufwand auf Hersteller aus aller Welt zugreifen und sich von ihnen beliefern Um die Vorteile eines auf den Kunden lassen. Diese Kombination aus Infor- zentrierten Unternehmens für sich zu bean- mationsverfügbarkeit, Informationsver- spruchen, ist Customer Centricity im gesam- breitung und verstärkter Konkurrenz bringt ten Unternehmen konsequent umzusetzen. den Kunden in eine machtvollere Position. Customer Centricity betrifft nicht nur die Customer Centricity erlaubt es Unterneh- Strategie und die Geschäftsmodelle, sondern men, dieser gerecht zu werden. vor allem die Kultur und das Operating Model • VUCA-Welt* einer Organisation. Eine konsequente Das Umfeld ändert sich sehr schnell, und Umsetzung von Customer Centricity bringt in die Bedürfnisse der Kunden sind zuneh- jeder Branche klare Vorteile. mend volatil. Durch Customer Centricity verkürzen Unternehmen die Reaktionszeit, These 1: Die Relevanz von Customer um sich auf neue Gegebenheiten Centricity hat branchenübergreifend einzustellen. massiv zugenommen. • Long tail Geschäftsmodell Die Idee, auf den Kunden zu hören und sich als Gesellschaftliche Gruppen und somit Unternehmen am Kunden zu orientieren, ist auch Kundensegmente zerfallen immer nicht neu. Moderne Customer Centricity geht mehr und führen zu individuelleren aber darüber hinaus und ist für alle Branchen Kundenerwartungen. relevant. Diese neue Relevanz ergibt sich aus * VUCA steht für Volatility, Uncertainty, Complexity den vier folgenden Gründen. und Ambiguity. 3
Grundlagen Ausrichtung Strategie Ausrichtung auf Customer Centricity Geschäftsmodelle Zielgruppen für Customer Journey Personas Customer Journey Customer Centricity im Operating Model • Werte und Prinzipien verankern • Partner mit • Aufbauorganisation Organisation Partner kompatibler anpassen Ausrichtung wählen • Prozesse auf Kunden & & • Kunde des Kunden ausrichten Governance Ökosystem verstehen • Anreizsysteme/KPIs für Stärkung von Kundenfokus Kunden • CRM-Systeme konsequent nutzen • kundenorientierte Mitarbeitende • Data Analytics Technologie Menschen einsetzen • Kulturwandel durch & & Trainings begleiten • Feedback-Kanäle G esc h ä ft s- etablieren Information Skills • Führungskräfte leben • Kundenansprache p ro ze s s e Werte vor individualisieren • Empowerment Abb. 1: Erfolgsfaktoren für Customer Centricity im AWK-Operating-Model Neue Technologien erlauben es, Produkte weiterhin ihren Platz. Ergänzt werden sie um These 2: Customer Centricity ergänzt und Dienstleistungen einfacher und Methoden mit Fokus Customer Centricity bestehende Managementkonzepte. kostengünstiger zu individualisieren, bis wie z. B. der Customer Journey oder Perso- hin zur Individualfertigung («Losgrösse 1»). Customer Centricity bedeutet nicht, sich nas. Ein kundenzentriertes Unternehmen Für ein kundenzentriertes Unternehmen den Kundenwünschen zu unterwerfen. muss die richtige Balance beim Einsatz stellt dies eine grosse Chance dar, da Schliesslich kann man auch heute nicht dieser Methoden finden. Unternehmen mit einer traditionellen jedem Kunden das perfekt individualisierte These 3: Customer Centricity betrifft das Ausrichtung diesen Erwartungen nur Produkt zum Wunschpreis anbieten. Es Unternehmen als Ganzes. schwer gerecht werden können. besteht stets das Spannungsfeld, den • Digitalisierung Bedürfnissen und Wünschen des Kunden zu Customer Centricity muss auf der strategi- Die Digitalisierung ist ein Enabler für folgen oder die eigenen Interessen zu schen Ebene festgelegt und bei der Ausar- Customer Centricity. Sie eröffnet neue priorisieren. Dies gilt nicht nur für gewinn- beitung der Geschäftsmodelle berücksich- Möglichkeiten, um den Kunden und seine orientierte Unternehmen, sondern auch für tigt werden. In erster Linie ist Customer Bedürfnisse unternehmensweit zu die öffentliche Hand und Wohtätigkeitsorga- Centricity aber eine Denkhaltung. Von verstehen und in die Geschäftsprozesse nisationen, um auf lange Sicht nachhaltig zentraler Bedeutung ist es, dass sie im einzubinden.* Mehrwert zu schaffen. täglichen Denken und Handeln aktiv gelebt wird und in der Kultur verankert ist. Das Auch Organisationen, auf die aufgrund einer Erprobte Konzepte – wie z. B. die Prüfung auf Operating Model schafft die notwendigen Monopolstellung das Argument der Wirtschaftlichkeit und Machbarkeit – haben Voraussetzungen, das Kundenerlebnis erhöhten Macht der Kunden nicht zutrifft, können von einer Kundenzentrierung profitieren. Zum Beispiel kann ein Energie- versorger seinen Kunden passende Energie- Was ist «Customer Centricity»? mischungen zu verschiedenen Preisen Unter Customer Centricity verstehen wir eine Denkhaltung, bei der das Unterneh- anbieten. Dadurch generiert er einen men konsequent auf den Kunden ausgerichtet wird. Sie umfasst alle Bereiche des zusätzlichen Mehrwert – sowohl für die Unternehmens und muss fest in der Kultur des Unternehmens und dem Denken und Kunden als auch für das Unternehmen. Handeln der Mitarbeitenden verankert werden. Methoden der Customer Centricity Ähnliche Möglichkeiten bestehen auch in wie zum Beispiel Design Thinking, Customer Journeys oder Personas ergänzen der öffentlichen Hand mit Government bestehende Managementkonzepte und unterstützen die Umsetzung von Customer to Citizen (G2C). Centricity im Unternehmen. * Siehe auch AWK FOKUS «Digitale Geschäftsmodelle» (April 2018) 4
Grundlagen spürbar zu beeinflussen. In allen Prozessen vanz nde Rele sollen Informationen über Kunden gepflegt Zunehme r Centricity Customer ome e von Cust nzept und verwendet werden. Interne Anreiz- entko Centricity agem Man Kunden- systeme sind so auszugestalten, dass sie das hende Handeln der Mitarbeitenden in allen Rollen Beste orientiertes Operating im Sinne der Kundenorientierung belohnen. Dezentrale Model Entschei- Bereits bei der Rekrutierung von Mitarbei- dungsfindung tenden sollte ein Schwerpunkt das Mitbrin- Customer Voice gen einer kundenorientierten Denkweise Know Your sein. Das Management muss die Denkweise Customer der Kundenzentrierung aktiv vorleben. Nicht selten ist Customer Centricity auf der Abb. 2: Der Weg zur Customer Centricity beginnt damit, den eigenen Kunden zu kennen. Schrittweise nähern sich Unternehmen dann einem kundenorientierten Operating Model, wobei existierende Managementkonzepte relevant bleiben. operativen Ebene unzureichend abgebildet. Im B2B- Umfeld muss zudem die erhöhte Komplexität beachtet werden. Möchte ein Unternehmen diese strategische Ausrichtung umsetzen oder verstärken, zieht dies häufig eine Transformation des Geschäftsmodelle oder gar Ökosyste- Kooperationsmodelle mit dem Kunden Operating Model nach sich – oft verbunden me mit komplexen Beziehungen erschwert. Auch in der Privatwirschaft mit einem Kulturwandel. zwischen den Geschäftspartnern. wird der Einkauf bewusst zwischen • Verteilte Entscheidungsmacht Lieferanten und Kunden geschaltet. These 4: Customer Centricity ist im Typischerweise sind in Unternehmen B2B-Bereich komplexer. Rollen auf verschiedene Personen B2B ist in der Tat komplexer als der B2C- Für B2B-Unternehmen wird es zunehmend verteilt. Entscheider und Nutzer sind Bereich. Gewisse Werkzeuge, wie z. B. die wichtiger, die gesamte Wertschöpfungsket- nicht identisch. Zusätzlich gibt es Anwendung von Personas, sind nur einge- te bis hin zum Endanwender zu kennen. Das beratende Funktionen wie Einkauf, schränkt nutzbar. Personas im B2B-Bereich B2B-Umfeld stellt die Customer Centricity Rechtsdienst oder Compliance, welche müssen mit Augenmass auf die Situation vor verschiedene Herausforderungen: die Entscheidungsprozesse stark adaptiert werden. Richtig angewendet ist • Kein direkter Endkundenkontakt beeinflussen. Customer Centricity mit der zugrundeliegen- Im B2B hat ein Unternehmen oft keine • Professionelle Abläufe den Denkhaltung auch im B2B-Bereich direkte Beziehung mit den Kunden In der öffentlichen Hand setzt das vollumfänglich umsetzbar und kann den seiner Kunden – den Endkunden also. Beschaffungswesen klare Rahmenbe- individuellen Ansprüchen der B2B-Kunden Noch kniffliger sind verkettete dingungen für Einkaufsentscheide, was sogar besser gerecht werden. 5
Praxis Customer Centricity in der Praxis Die Grundidee der Customer Centricity ist einfach zu verstehen. Doch ihre Vorzüge erreicht man erst durch eine konsequente Umsetzung. Es gilt, den Kunden im gesamten Customer Life Cycle zu verstehen und ihn direkt in die Geschäftsprozesse einzubinden. Hierfür ist die Selbstorganisation ein wesentliches Element. Durch dezentrale Entscheidungskompetenzen stellt ein Unternehmen sicher, dass Entschei- dungen nahe am Kunden getroffen werden. Tobias Keel, Bernhard Glatzel, Dr. Gilles Pütz These 5: Ein kundenzentriertes Unter- einem mittelständischen Hausmann oder sich entlang der gesamten Wertschöpfungs- nehmen muss seine Kunden kennen einer wohlhabenden Geschäftsfrau sind für kette auf die Bedürfnisse des Kunden und an allen Punkten im Customer Life beide Unternehmen von sehr unterschiedli- auszurichten, und muss somit im gesamten Cycle verstehen. cher Bedeutung. Unternehmen bekannt sein. Die Kernfrage für ein kundenzentriertes Sind die Fokuskunden der Geschäftsmodelle Ein wichtiges Werkzeug sind Customer Unternehmen ist: «Wie werde und bleibe ich bekannt, müssen ihre Bedürfnisse verstan- Journeys, welche die Interaktionen und relevant für meine Kunden?» Hierfür reicht es den werden. Dieses Verständnis darf nicht Abläufe mit dem Kunden beschreiben. nicht, Informationen über existierende siloartig in verschiedenen Bereichen des Ergänzt wird dies durch Personas für die Kunden zu sammeln. Ein Unternehmen muss Unternehmens aufgebaut werden. Jeder Teil Kundensegmentierung. Personas helfen, verstehen, welche Kunden es mit seinem des Unternehmens sieht den Kunden aus dem Kunden ein Gesicht und eine Persön- Geschäftsmodell ansprechen möchte. Eine einer anderen Perspektive. Die verschiede- lichkeit mit Problemen, Bedürfnissen und Designerboutique und ein Supermarkt nen Perspektiven müssen integriert werden, Erwartungen zu geben. So fällt es leichter, adressieren zum Beispiel sehr unterschied- damit ein gesamtheitliches Bild vom Kunden für die 33-jährige frischgebackene Mutter liche Kunden. Die gleichen Informationen zu ensteht. Dieses Bild ist die Grundlage, um Eva aus Bern ein Fitnessangebot zu entwi- ckeln als für das generische Kundensegment «weiblich, zwischen 30 und 40». Die initiale Definition der Personas sollte evidenzbasiert erfolgen – unterstützt durch Datenanalysen* und Kundenbefragungen. Es ist wichtig, dass diese Personas und Customer Journeys im Unternehmen breit kommuniziert werden, um den Gesamtkontext bei allen Aktivitäten zu behalten. Damit der Kunde ein einheit- Anregung Evaluation Transaktion Nutzung Kundentreue liches Gesamtbild vom Unternehmen erhält, muss die gesamte Customer Journey Abb. 3: Unterschiedliche Zielgruppen werden durch Personas repräsentiert. Sie erleben die Customer Journey unterschiedlich. stimmig sein. * Siehe auch AWK FOKUS «Daten, Daten, Daten» (Oktober 2016) 6
Praxis These 6: Die Kunden und die Customer These 7: Selbstorganisation ist ein Die Folgen für das Management sind Voice müssen in die Prozesse eng zentraler Aspekt und bringt die Entschei- weitreichend. Klassische Steuerungs- und eingebunden werden. dungen näher an den Kunden. Kontrollinstrumente sind nur bedingt anwendbar. Hierarchie und Kontrolle werden Die internen Prozesse und organisatorische Die klassischen Organisationsmodelle durch Leadership und Vertrauen ersetzt. Gliederung des Unternehmens haben für stehen mit der Digitalisierung vor einem den Kunden keine Relevanz und sollten Dilemma. Denn ehemals effiziente Strukturen Dieses Vorgehen birgt jedoch auch Risiken prinzipiell für diesen unsichtbar sein. sind oft zu langsam, um den veränderten für das Unternehmen. Es braucht ein klares Wichtig für Unternehmen ist es aber, die Marktbedingungen und Kundenanforderun- unternehmerisches Leitbild und eine eigenen Abläufe aus Sicht des Kunden gen gerecht zu werden. Auch führt ein neues Identität, an dem sich Führungskräfte und durchzuspielen, um störende Medienbrüche Selbstverständnis der Mitarbeitenden zu Mitarbeitende orientieren können. zu identifizieren und zu beseitigen. einem Transformationsbedarf der Organisation. Customer Centricity Leader binden ihre Reaktionszeit Kunden systematisch in die eigenen Ein wichtiges Prinzip, um auf diese Verände- Prozesse ein. Häufig erfolgt dies bei der rungen zu reagieren, ist die dezentrale klassisch Entwicklung des eigenen Angebots mithilfe Entscheidungsfindung. Die grösste Kunden- von Befragungen oder sogar der gemeinsa- kenntnis ist bei den Mitarbeitenden mit dezentral men Kreation. Durch die Auswertung des direktem Kundenkontakt vorhanden. Diese Kundenverhaltens und Verwendung der subjektive Sicht wird mit der empirischen Rückmeldungen aus den verschiedenen Marktforschung vervollständigt. Kanälen sollte diese Kundenzentrierung auch systematisch in die Steuerung der eigenen Nach dem neuen Rollenverständnis geben Prozesse aufgenommen werden. Die Führungskräfte daher einen Teil ihrer Kundenanforderung Einbindung des Kunden wird durch agile Entscheidungsbefugnisse an ihre Mitarbei- Abb. 4: Werden kundennahe Mitarbeitende mit angemes- Methoden unterstützt. Mit diesen kann das tenden ab. Die Mitarbeitenden vernetzen senen Entscheidungskompetenzen ausgestattet, so sinkt Feedback des Kunden zur Verbesserung des sich abteilungsübergreifend, um schnelle die Reaktionszeit beträchtlich. Zudem steigt sie mit der Komplexität und Anzahl der Kundenanforderungen Produkts oder der Dienstleistung iterativ und unbürokratische Lösungen entlang der weniger stark an. genutzt werden. Customer Journey umsetzen zu können. 7
Interview 1 «Alles was wir tun, muss allen Kunden dienen» Ein Interview mit Roland Brack In 25 Jahren vom Start-up zum etablier- veröffentlichten, haben mich alle für verrückt Ja, wir leben dies glaubhaft vor und signalisie- ten Player im Online-Geschäft – die erklärt, weil die Konkurrenten uns ausspionie- ren stets «ja, wir wollen das so machen». Es ist Competec-Gruppe ist die unabhängige ren könnten! Das mag sein, aber dem Teil der Firmen- und Fehlerkultur. Für eine Schweizer Antwort auf die fundamenta- Kunden dient es und dann ist es auch für uns erfolgreiche Digitalisierung müssen Dinge len Herausforderungen der Digitalisie- gut. Diese schlüssige Kundenzentrierung ausprobiert werden und können dabei auch rung der Handelsbranche. Wie Custo- haben wir uns als grosse Firma bewahrt und schief gehen. Es ist nicht einfach, diese mer Centricity heute im digitalen das freut mich sehr. Agilität zu bewahren, denn wir alle wollen es Massengeschäft funktioniert, ist die stets richtig machen und Fehler vermeiden. Schlüsselfrage im Online-Handel. Mit Sie haben den Kunden mündig gemacht? Einer meiner wenigen Kämpfe bleibt, dass wir Roland Brack, dem Gründer und uns die Freude am Ausprobieren erhalten. Inhaber der Gruppe, haben Roland Ja, wir beobachten, dass Kunden bei Artikeln Voser und Gilles Pütz von AWK dazu mit hohen Beständen öfter zugreifen, weil sie Was heisst für Sie Customer Centricity? Antworten gefunden. hohe Nachfrage erwarten. Gleichzeitig hilft uns das im Abverkauf der Ware. Man darf Alles was wir tun, muss allen Kunden dienen. Herr Brack, was hat Sie zum Digitalpionier nicht nur Risiken sehen, sondern muss Digitalisierung wirkt «one-to-many». Sie muss der Schweiz gemacht? Chancen nutzen. Erfolgreiche neue Formate ihre Duplizierungsfähigkeit entfalten können. stellen die Kundenzufriedenheit über alles. Mit diesem grossartigen Momentum werde Roland Brack: Mit den damals neuen Die grösste Gefahr erfolgreicher Firmen ist, ich beim Kunden relevant. Wir gehen so weit, Technologien konnten wir unsere Kunden mit dass sie sich vermehrt mit sich selbst beschäf- selbst die Unterschiede von B2C und B2B einem Schlag besser bedienen. Sie mussten tigen und weniger mit dem, was ihr Kunde nicht in den Vordergrund zu stellen. Exzellen- nicht mehr telefonisch Preise nachfragen, gerne hätte. Es lohnt sich, nach vorne zu te B2C-Shops sind ausserordentlich conveni- sondern informierten sich selbst auf der schauen und sich nötigenfalls selbst zu ent geworden. B2B-Kunden wollen auf diese Website. Als wir die Lagerbestände disruptieren. Sonst tut es jemand anders. Vorzüge nicht verzichten. Hier einen separa- ten Kurs zu fahren, ist auf die Dauer nicht Denken und handeln Ihre Mitarbeitenden leistbar. Vielmehr streben wir die gegenseiti- auch so? ge Befruchtung und kluge Kombination an. 8
Interview 1 Im Umfeld der Vertikalisierung und Digitalisie- Ihre Essenz zum Schluss? rung hat sich unser Ansatz tatsächlich über die Jahre zum Erfolgsmodell entwickelt. Entscheidungen müssen möglichst nah beim Schweizer Wo sehen Sie Grenzen? Kunden getroffen werden. Die Entschei- dungsfähigkeit der Mitarbeitenden ist dazu Digitalkraft Voraussetzung. So verstehen wir Agilität im Zur Competec-Gruppe mit über 700 Wir tun alles für den Kundennutzen. Die rote Unternehmen. Nicht nur im Projektvorgehen, Mitarbeitenden und einem Umsatz Linie überschreiten wir dann, wenn die sondern im täglichen Umgang mit dem von rund 725 Millionen Schweizer Abwicklung von Kundenwünschen zu Kunden. Daraus entstehen agile Zellen und Franken (2018) gehören die On- Spezialfällen werden. Dann können wir nicht eine zweckmässige Dezentralisierung der line-Händler BRACK.CH und mehr skalieren und die wesentlichen Vorteile Organisation, die wir übrigens auch selbst in Sport360 (für INTERSPORT.CH), der der Digitalisierung verlieren ihre Wirkung. Die der Gruppe im letzten Jahr vorgenommen Elektronik-Distributor Alltron, der zu starke Konzentration auf Grosskunden haben. Die rasant wachsende Komplexität ist Home-and-Living-Distributor Jamei, kann dann zum Nachteil werden. heute nicht mehr allein handhabbar, weder in der Logistikdienstleister Competec der Führung noch im Unternehmen. Empow- Logistik und die Competec Service. In unserer Denkhaltung suchen wir nach erment, Webservices, Partnerschaften und Gemeinsamkeiten in den Bedürfnissen der Outsourcing sind Stossrichtungen zu deren Gründer und Inhaber von Competec Community, kreieren Lösungen, die allen Bewältigung. Das ist die ganze Tragweite. ist Roland Brack. Die Gruppe ist der dienen und entwickeln sie so, dass das grösste Online-Anbieter der Schweiz, Projekt maximale Erträge abwirft. Diese Denk- Ihr letztes perfektes Kundenerlebnis? der von Grossverteilern unabhängig haltung ist bei Amazon tief verankert. Es ist und komplett in Schweizer Hand ist. die griffige Antwort auf den aus dem Ausland Im Hotel in den Weihnachtsferien in Thailand. Die Unternehmen der Compe- aufkommenden Tsunami. Firmen wie Alibaba Unser persönlicher Butler kümmerte sich um tec-Gruppe versenden ihre Lieferun- haben bereits das Vertrauen der Kunden alles. Das war sehr toll – und vermochte die gen klimaneutral. gewonnen. Wir dürfen das in der Schweiz Nachteile eines grossen unpersönlichen www.competec.ch nicht unterschätzen. Resorts zu kompensieren. 9
Zur Customer Centricity im Dolder Grand Hotel Ein Interview mit Mark Jacob Seit über 100 Jahren steht das Dolder Wie setzen Sie dies um? Abteilung welchen Beitrag für den Gast Grand für Gastfreundschaft. Mit Mark leistet. Damit haben wir die Sichtweise Jacob, Managing Director der Dolder Das Entscheidende ist für mich die Kultur. Die geändert: von «Was mache ich?» hin zu «Wie Hotel AG, sprachen Christian Mauz und Leidenschaft der Mitarbeitenden im Hotel ist machen wir es zusammen für den Gast?» Gilles Pütz von AWK. Wie Customer das A und O. Customer Centricity kann man Centricity in der modernen Hotellerie nicht trainieren. Man kann Strukturen bauen, Haben Sie die Strukturen entsprechend umgesetzt wird, lesen Sie im Interview. die einem helfen. Dazu möchte ich die angepasst oder fokussieren Sie mehr auf Mitarbeitenden empowern. Je grösser man das Bewusstsein der Customer Journey? Herr Jacob, was verstehen Sie unter wird, desto schwieriger wird die Kundenzent- «Customer Centricity»? rierung. Empowerment sehe ich als Gegen- Beides, es ist auch noch in Arbeit. Traditionell mittel. denkt man in der Hotellerie nach Herkunft, Mark Jacob: Ich verstehe unter Customer also der Abteilung eines Mitarbeiters. Wenn Centricity, dass der Kunde – oder in der Was bedeutet das für die Mitarbeitenden? wir diese völlig eliminieren würden, würde Hotellerie eben der Gast – im Mittelpunkt der Mitarbeiter einen Teil seiner Identität steht, und dass diese Sichtweise tief im Man muss die Zügel loslassen und Verantwor- verlieren. Auf der anderen Seite haben wir Unternehmen verankert ist. Die Beziehung tung delegieren. Unsere Prozesslandschaft Netzwerke, in denen es um die Guest Journey zwischen dem Gast und dem Mitarbeiter ist haben wir komplett gedreht. Was ist die geht. So haben die Mitarbeitenden einerseits persönlich. Der Gast soll immer das Gefühl Guest Journey in unserem Hotel? Wo hat ihre Stammabteilung und andererseits ihre haben, nur mit einer Person zu sprechen, welche Abteilung oder Person einen Berüh- Netzwerke. auch wenn wir 400 Mitarbeitende sind. rungspunkt damit? Und so sieht man, welche 10
Interview 2 Ihr Kontakt Bernhard Glatzel Dipl.-Wirtschaftsing. Senior Consultant Sie haben täglich viele Touchpoints mit den Damit sind Sie ja sehr schnell und agil Kunden. Wie gehen Sie im Customer unterwegs. Relationship Management vor? Super schnell, ja. Nur so funktioniert es. Der Wir haben eine zentrale Datenbank, in der Mitarbeiter, der etwas verbessern möchte, alle Gäste verwaltet werden. Auf diese hat soll sofort merken, dass er das kann. Dies jeder Bereich Zugriff und kann Informationen zeigt ihm: «Ich werde anerkannt und kann entnehmen und ergänzen. Manchmal ist den Unterschied machen.» Tobias Keel weniger mehr. Es kann gefährlich sein, aus dem Gästeverhalten vorschnell Rückschlüsse Wo haben Sie persönlich zuletzt exzellente MSc ETH ETIT Manager, Practice Lead Business Consulting zu ziehen. Man soll den Gast kennen, aber Customer Centricity erlebt? immer in der aktuellen Situation auf ihn eingehen und ihm seine Privatsphäre lassen. Ich hatte einen Steinschlag in der Wind- Das System dient primär der Wissenssiche- schutzscheibe und wurde zu Carglass rung. Es wäre ineffizient, diese Informationen geschickt. Als ich kam, stand der Mitarbeiter täglich herauszulesen. Das Wissen soll in schon bereit, führte mich ins Büro und gab den Köpfen der Mitarbeitenden spontan mir das WLAN-Passwort. Innerhalb von 30 abrufbar sein. Minuten war die Scheibe repariert, und ich war auch noch produktiv dazwischen. Thomas Kirchner Wie bringen Sie den Kunden in die Weiterentwicklung Ihres Hotels ein? Vielen herzlichen Dank für das spannende Dr. sc. ETH, Dipl.-Phys. Consultant Gespräch. Einerseits natürlich durch Kundenfeedback. Allerdings kann es gefährlich sein, zu stark auf den Gast zu hören. Es gibt so viele verschie- dene Meinungen. Man muss eher ein Bild City Resort der von einem Gast im Kopf haben, für den man das richtige Erlebnis anbieten möchte. Luxusklasse Das Dolder Grand bietet den Wie fliesst Kundenfeedback an die richtigen Rahmen für Menschen mit Gilles Pütz Mitarbeitenden? Sinn für Genuss, Exklusivität und Dr. ès sc., MSc ETH Physik Erholung: 175 luxuriöse Zimmer und Consultant Der Rückfluss geschieht in einem Hotel Suiten, erlesene Gastronomie, ein sofort. Das wertvollste Feedback ist immer Spa-Bereich auf 4’000 Quadratme- noch das direkte. Wir machen auch Gästebe- tern sowie grosszügige Bankett- und fragungen nach der Abreise und in jedem Seminarräumlichkeiten. Die erhöhte Zimmer liegt eine Blanko-Karte für spontanes Lage ermöglicht einen herrlichen Feedback. Als Ergänzung haben wir die Blick auf die Stadt Zürich, den See Online-Bewertungstools. Diese Rückmeldun- und die Alpen. Das Hotel verfügt mit gen fliessen in ein zentrales Tool. Die rund 150 Werken über eine beein- Informationen sind Echtzeit und werden druckende Kunstsammlung. Roland Voser jeden Tag aufgearbeitet. Im Abteilungsleiter- meeting am Morgen geht man die Feedbacks www.dolder.ch Dipl. El.-Ing. HTL Senior Consultant durch und trifft Massnahmen. 11
Über die AWK GROUP AG AWK ist eines der grössten unabhän- gigen Schweizer Beratungsunterneh- men für Informationstechnologie und Digitalisierung. Wir sind schweizweit tätig mit Standorten in Zürich, Bern, Basel und Lausanne. AWK GROUP AG Leutschenbachstrasse 45, CH-8050 Zürich T +41 58 411 95 00, www.awk.ch Unsere Dienstleistungen umfassen Consulting, Engineering und Projekt- Zürich • Bern • Basel • Lausanne management.
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