Rettungsprogramme und "Ownership" - Irland, Portugal und Griechenland im Vergleich
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Analysen und Berichte Eurozone DOI: 10.1007/s10273-015-1862-3 Jens Boysen-Hogrefe, Ulrich Stolzenburg* Rettungsprogramme und „Ownership“ – Irland, Portugal und Griechenland im Vergleich Das zweite Anpassungsprogramm für Griechenland ist gescheitert, nachdem es bereits mehrfach modifiziert und erweitert worden war. In den Verhandlungen im Juni 2015 konnten sich Griechenland und „die Institutionen“ nicht auf die Fortführung und damit den geordneten Abschluss des zweiten Anpassungsprogramms einigen. Im Gegensatz dazu wurden die Anpassungsprogramme für Irland und Portugal planmäßig beendet und beide Länder konnten an die Kapitalmärkte zurückkehren. Von einem generellen Scheitern der Rettungsprogramme kann also nicht die Rede sein. Vielmehr stellt sich die Frage, weshalb sie in manchen Ländern erfolgreich waren und in anderen nicht. In der Literatur zu den Anpassungsprogrammen, wie sie sondern um eine breitere Unterstützung in den relevanten etwa vom Internationalen Währungsfonds (IWF) durchge- Teilen der Gesellschaft geht. „Ownership“ ist somit mit führt worden sind, wird häufig die „Ownership“ als zent- dem Begriff der politischen Unsicherheit verbunden. Die rale Bedingung für das Gelingen eines Programms disku- Zusagen der Regierung innerhalb eines Programms ha- tiert. „Ownership“ ist dabei zwar nicht eindeutig definiert, ben eine größere Zuverlässigkeit, wenn entweder die Re- bezeichnet aber im Wesentlichen eine unterstützende, gierung selbst „fest im Sattel“ sitzt oder der wesentliche positive Grundhaltung der Entscheidungsträger eines Teil der Opposition diese Zusagen mitträgt bzw. mittra- Landes, in dem das Anpassungsprogramm stattfindet, gen würde, sodass nicht befürchtet werden muss, dass gegenüber dem Anpassungsprogramm.1 Nach Bird und eingeleitete Reformmaßnahmen bei nächster Gelegenheit Willett2 geht es dabei weniger um die Durchsetzbarkeit revidiert werden. möglicher Maßnahmen als vielmehr um die Akzeptanz dieser Maßnahmen. Bemerkenswert ist der Hinweis, dass Eine besondere Bedeutung dürfte der „Ownership“ im es nicht nur um die Einstellung der aktuellen Regierung, Kontext der Schuldenkrise im Euroraum zukommen, weil zumindest im Falle Griechenlands die Schuldenkrise mit der Frage des Verbleibs im Euroraum verbunden wurde. * Die Autoren danken Salomon Fiedler, Klaus-Jürgen Gern, Henning Klodt und Stefan Kooths für hilfreiche Hinweise und wertvolle Diskus- Die vom damaligen Ministerpräsidenten Papandreou in sionen. Aussicht gestellte – dann aber nach Einwirken der euro- 1 Vgl. S. Khan, M. S. Sharam: IMF Conditionality and Country Owner- päischen Partner nicht durchgeführte – Volksabstimmung ship of Programs, IMF Working Paper, Nr. 01/142, Kiel 2001. 2 G. Bird, T. D. Willett: IMF Conditionality, Implementation and the New Ende 2011 hat die Alternative genau so benannt: Entwe- Political Economy of Ownership, in: Comparative Economic Studies, der das Anpassungsprogramm wird bejaht oder es er- 46. Jg. (2004), H. 3, S. 423-450. folgt der Austritt aus dem Euroraum. Die Frage, welche Währung in Zukunft gelten wird, ist von erheblicher Be- deutung für die Investitionsentscheidungen der Privat- wirtschaft. Folglich liegt der Schluss nahe, dass mangeln- de „Ownership“ bzw. Unsicherheit über die „Ownership“ auf die wirtschaftliche Aktivität übertragen wird. Dr. Jens Boysen-Hogrefe ist Mitarbeiter der Abtei- Dieser Zusammenhang könnte auch die fehlerhaften Pro- lung „Makroökonomische Politik in unvollkommenen gnosen, die im Zuge der Anpassungsprogramme der Ins- Märkten“ und stellvertretender Leiter des Prognose- titutionen bezüglich der wirtschaftlichen Dynamik erstellt zentrums am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. wurden, erklären. Vermutlich wurden in den Prognosen keine Annahmen über mangelnde „Ownership“ und resul- Dr. Ulrich Stolzenburg ist dort Mitarbeiter. tierende politische Unsicherheitsshocks gemacht. Dies würde die viel diskutierte Rolle der Fehleinschätzung der Fiskalmultiplikatoren zumindest relativieren. Wirtschaftsdienst 2015 | 8 534
Analysen und Berichte Eurozone Abbildung 1 Anpassungsprogramme und ihre Revisionen für Griechenland, Irland und Portugal Griechenland Irland Portugal Bruttoinlandsprodukt (BIP), 2010 = 100 115 114 104 110 112 102 110 105 100 108 100 106 98 95 104 96 90 102 94 100 85 92 98 80 96 90 75 94 88 2010 2012 2014 2010 2012 2014 2010 2012 2014 Bruttoschuldenstand (in % des BIP) 130 180 130 120 170 120 110 160 110 100 100 150 140 90 90 1. Programm 1. Programm 1. Programm 2. Programm 130 1. Revision 80 10. Revision 80 7. Revision Aktuelle Daten Aktuelle Daten Aktuelle Daten 120 70 70 2010 2012 2014 2010 2012 2014 2010 2012 2014 1. Programm: Daten aus dem ersten 1. Programm: Daten aus dem ersten 1. Programm: Daten aus dem ersten Anpassungsprogramm, Mai 2010. Anpassungsprogramm, Dezember 2010. Anpassungsprogramm, Mai 2011. 2. Programm: zweites Anpassungsprogramm, 10. Revision: des Programms der Europäischen 7. Revision: des Programms der Europäischen März 2012. Kommission, Oktober 2013. Kommission, Juni 2013. 1. Revision: erste Revision der Europäischen Kommission zu dem zweiten Programm, Dezember 2012. Quelle: Ameco; eigene Darstellung. Die Anpassungsprogramme und ihre Revisionen Das zweite Programm, das überwiegend von der Euro- päischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) finanziert Im Mai 2010 wurde das erste Anpassungsprogramm für wurde, ersetzte das erste und startete Anfang 2012. Auf- Griechenland gestartet, finanziert durch bilaterale Kredi- takt war ein „freiwilliger“ Forderungsverzicht der privaten te der anderen Länder des Euroraums und des IWF. Der Gläubiger, die ihre ausstehenden Anleihen gegen Anlei- griechische Staat verpflichtete sich im Gegenzug, fiska- hen geringeren nominalen Wertes und höherer Laufzei- lische Maßnahmen im Umfang von 11% in Relation zum ten eintauschten. Zugleich wurden die Planungen über Bruttoinlandsprodukt (BIP) und verschiedene Strukturre- fiskalische Maßnahmen angepasst, sodass nun Konso- formen durchzuführen, wobei kurz vor Programmbeginn lidierungsmaßnahmen in den Jahren von 2010 bis 2014 die griechische Regierung bereits Konsolidierungsmaß- von über 30% in Relation zum BIP anvisiert wurden. Die nahmen im Umfang von 5,5% in Relation zum BIP auf den Anforderungen an Griechenland wurden bereits im Ver- Weg gebracht hat. Bereits 2011 wurde klar, dass das ers- lauf des ersten Programmes sukzessive erhöht, mit dem te Programm nicht hinreichend sein würde, da zum einen Ziel, die Budgetziele zu erreichen. Insgesamt haben sich die Schuldenlast höher war als im Mai 2010 angenommen im Verlauf der Jahre 2010 und 2011 die fiskalischen Anfor- (es kam zu einer Revision um knapp 12 Prozentpunkte) derungen relativ zum BIP nahezu verdoppelt. und zum anderen die Rezession deutlich tiefer ausfiel als in den Planungen des ersten Anpassungsprogramms an- Die merklichen Revisionen der Programmvorgaben gin- genommen (vgl. Abbildung 1). gen Hand in Hand mit der steten Verschlechterung der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 535
Analysen und Berichte Eurozone wirtschaftlichen Rahmendaten und des Konjunkturaus- hen. Auch in Portugal kam es zu einer Aufwärtsrevision blicks. Wurde anfangs z.B. für 2011 mit einer Schrump- des Schuldenstands und die wirtschaftliche Entwicklung fung der Wirtschaftsleistung von gut 2½% gerechnet, verlief schwächer als in den ersten Plänen zum Anpas- ging das BIP nach jüngsten Zahlen in jenem Jahr um na- sungsprogramm projiziert (vgl. Abbildung 1). Die Revi- hezu 9% zurück. Die wirtschaftliche Krise übertraf auch sionen waren weniger stark als im Falle Griechenlands, die Planzahlen des zweiten Anpassungsprogramms, doch wurden auch in Portugal zusätzliche Konsolidie- sodass dieses im Verlauf wiederum angepasst wurde, rungsmaßnahmen durchgeführt, sodass zwischen 2011 indem durch ein Schuldenrückkaufprogramm für grie- und 2014 der Umfang der Maßnahmen etwa 17½% in Re- chische Staatsanleihen der Schuldenstand gesenkt wur- lation des BIP ausgemacht haben. Zudem wurden 2013 de und zudem die Laufzeiten und die Zinsforderungen die Laufzeiten der EFSF-Kredite zum Teil deutlich ange- für die Hilfskredite angepasst wurden. Die 2013 von der hoben. Im Jahr 2014 wurde das Anpassungsprogramm Europäischen Kommission veröffentlichten Revisionen beendet und Portugal refinanziert sich seither vollständig des Anpassungsprogramms weisen hingegen kein star- an den Kapitalmärkten. kes Auseinanderlaufen der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung von den Planzahlen auf. So wurde z.B. der Um zu erläutern, warum gerade in Griechenland (und we- BIP-Zuwachs für 2014 – und somit das Ende der Rezes- niger in den anderen Programmländern) die Programm- sion – recht genau vorhergesagt bzw. sogar leicht un- zahlen wiederholt die tatsächliche wirtschaftliche Ent- terschätzt. Die weitere Entwicklung (für 2015) wurde aus wicklung so dramatisch überschätzt haben, bieten sich heutiger Sicht wieder zu positiv eingeschätzt, was aber mehrere Erklärungen an, die sich nicht ausschließen: Gegenstand eines der folgenden Abschnitte sein soll. • Erstens wird darauf verwiesen, dass die Wirkung der Irland war mehr oder weniger der Vorreiter in der Finanz- Konsolidierungspolitik auf die ökonomische Aktivität und Schuldenkrise. Bereits 2007 machten sich die Folgen falsch eingeschätzt wurde. So weisen Blanchard und einer platzenden Immobilienblase bemerkbar, sodass die Leigh darauf hin,3 dass der IWF in seinen Prognosen irischen Banken 2008 rasch in Schieflage gerieten, als den sogenannten Fiskalmultiplikator unterschätzt ha- sich zudem die Lage auf den internationalen Finanzmärk- ben dürfte. ten zuspitzte. Der irische Staat übernahm einen Großteil des überdehnten Bankensektors und baute dadurch eine • Zweitens könnte das Ausmaß der Krise schlicht unter- beträchtliche Staatsschuld auf, während das Land infol- schätzt worden sein. Ein Indiz ist die bereits erwähnte ge der geplatzten Immobilienblase und des Einbruchs Revision des Bruttoschuldenstands. Eine Unterschät- im Welthandel zeitgleich in eine tiefe Rezession rutschte. zung der Krise hätte aber auch vorgelegen, wenn die Als Reaktion begann die irische Regierung bereits 2009 Bedeutung steter öffentlicher Defizite für die struktu- mit erheblichen Konsolidierungsmaßnahmen. Trotz die- relle Ausrichtung der griechischen Wirtschaft falsch ser Maßnahmen konnten die Finanzierungsbedingungen eingeschätzt wurde, wenn also das wirtschaftliche Po- nicht substanziell gebessert werden, sodass Irland Ende tenzial Griechenlands viel stärker von den öffentlichen des Jahres 2010 in ein Anpassungsprogramm eintrat, das Defiziten abhinge als in den anderen Ländern.4 sowohl vom EFSF und dem IWF, als auch von Großbri- tannien und Norwegen finanziert wurde. Im ersten Pro- • Drittens besteht die Möglichkeit, dass Griechenland im grammplan wurden zusätzlich zu den bereits durchge- Verlauf der Anpassungsprogramme von zusätzlichen, führten Konsolidierungsmaßnahmen weitere Maßnahmen nicht vorhergesehenen Schocks getroffen wurde. An- für die Jahre 2011 bis 2014 im Umfang von knapp 9% in haltspunkt für diese These ist die relative politische In- Relation zum BIP geplant, also jahresdurchschnittlich stabilität Griechenlands. etwas über 2% in Relation zum BIP. Die Zahlen des IWF aus dem Jahr 2014 weisen einen Umfang der Konsolidie- „Ownership“, politische Unsicherheit und latente rungsmaßnahmen von etwa 9½% in Relation zum BIP Wechselkursrisiken aus. Bedenkt man eventuelle Überhänge aus den Jahren 2009 und 2010, spricht dies für eine ziemlich genaue Pla- In allen drei Ländern fanden während der Anpassungs- numsetzung. Diese hat auch eine Entsprechung in den programme große Demonstrationen von Gegnern der Planzahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Ent- Konsolidierungsmaßnahmen statt. Gegner der Konsoli- wicklung des Bruttoschuldenstands. 3 O. Blanchard, D. Leigh: Growth Forecast Errors and Fiscal Multipliers, Das Anpassungsprogramm für Portugal startete 2011. in: American Economic Review, 103. Jg. (2013), H. 3, S. 117-120. 4 Irland hatte und hat eine vergleichsweise starke außenwirtschaftliche Zunächst waren fiskalische Maßnahmen im Umfang von Verflechtung. Die wirtschaftliche Aktivität konnte dadurch deutlich gut 10% in Relation zum BIP für 2011 bis 2014 vorgese- schneller positiv auf reale Abwertungen reagieren. Wirtschaftsdienst 2015 | 8 536
Analysen und Berichte Eurozone Tabelle 1 sident für die Konsolidierungspolitik keine Mehrheit in der Quadrierte Tagesrenditen von Staatsanleihen eigenen Partei fand. Allerdings befürwortete die führende Zehnjährige Restlaufzeit Oppositionspartei grundsätzlich die Konsolidierungspoli- Griechenland Portugal Irland tik, sodass es zwar mehr politische Spannungen gab als in Irland, aber die Wahlen die grundsätzliche Orientierung Durchschnitt 2010 bis 2015 5,30 1,27 0,54 der Politik nicht infrage stellten. Dies spiegelt sich vermut- Drei Folgetage nach Wahlen 39,89 0,09 0,05 lich auch in der verglichen mit Griechenland deutlich ge- Verhältnis 7,52 0,07 0,10 ringeren Volatilität an den Anleihenmärkten im Nachgang Quelle: Thomsen Reuters Datastream; eigene Berechnungen. der Wahlen wider, die z.B. anhand quadrierter Tagesren- diten gemessen werden kann (vgl. Tabelle 1). Griechenland war somit im Hinblick auf die Konsolidie- dierungspolitik in einer wahrnehmbaren Größenordnung rungspolitik mit Abstand das instabilste der drei Länder. gab und gibt es somit in allen drei Ländern. Zu General- Da weite Teile der Gesellschaft und viele der politischen streiks kam es allerdings nur in Griechenland und Portu- Parteien den Anpassungsprogrammen mit großer Skep- gal. sis gegenüberstanden, bestand großer Zweifel über de- ren Fortgang. Diese fehlende „Ownership“ in Griechen- In Griechenland war zudem die Frage der Konsolidierung land dürfte jedoch nicht nur Zweifel an dem Fortgang der in viel größerem Ausmaß als in Portugal und Irland zwi- Anpassungsprogramme, sondern auch Zweifel an der schen den jeweils führenden politischen Parteien (in Re- wirtschaftlichen Entwicklung und insbesondere am Ver- gierung und Opposition) umstritten. Die jeweiligen grie- bleib in der Währungsunion induziert haben. Politische chischen Regierungen dürften in einem deutlich größeren Unsicherheit wirkt schon für sich genommen typischer- Ausmaß als in den anderen beiden Ländern mit der Frage weise negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung.5 Im Fal- der Legitimation der Konsolidierungspolitik konfrontiert le Griechenlands dürfte dieser Effekt besonders ausge- worden sein. Ausdruck hierfür ist unter anderem, dass prägt gewesen sein, da der Nexus zwischen Reformpro- der damalige Ministerpräsident Giorgos Papandreou gramm und Verbleib im Währungsraum zusätzlich noch Ende 2011 ein Referendum über die Konsolidierungs- latente Wechselkursrisiken provoziert haben dürfte. politik in Aussicht stellte. Dieses wurde allerdings abge- sagt – auch auf Druck der europäischen Partner, die zu Waren die Fiskalmultiplikatoren falsch? diesem Zeitpunkt erhebliche Ansteckungsrisiken für die Eurozone befürchteten – was eine Regierungskrise nach Blanchard und Leigh6 haben auf eine mögliche Fehlein- sich zog. Schließlich wurde eine Expertenregierung unter schätzung der Fiskalmultiplikatoren in den Prognosen Loukas Papadimos gebildet. Im Mai 2012 kam es zu vor- des IWF in der europäischen Schuldenkrise hingewiesen. gezogenen Neuwahlen, die keine klaren Mehrheiten her- In ihrer Arbeit wurde der Prognosefehler des BIP der Jah- vorbrachten. So war im Juni 2012 erneut ein Urnengang re 2010 und 2011 in den IWF-Prognosen für europäische erforderlich, aus dem eine Koalitionsregierung unter An- Länder auf die jeweils zuvor erwarteten Veränderungen tonis Samaras hervorging. Mitte 2013 zog sich einer der des strukturellen Budgetsaldos regressiert. Die Prog- Koalitionspartner aus der Regierung zurück, sodass die nosefehler korrelieren stark negativ mit den erwarteten beiden verbleibenden Parteien die Regierungsarbeit fort- Veränderungen des strukturellen Budgetsaldos, woraus setzten. Infolge der gescheiterten Wahlen für ein neues die Autoren ableiten, dass die Fiskalmultiplikatoren un- Staatsoberhaupt Ende 2014 wurden vorgezogene Parla- terschätzt wurden und Verbesserungen des strukturellen mentswahlen Anfang des Jahres 2015 unausweichlich. Budgetsaldos die Konjunktur stärker belasteten als er- Zählt man die Übergangsregierung von Mitte 2012 mit, wartet. Die Ergebnisse erweisen sich als ausgesprochen hat Griechenland seit Beginn der Krise nun den fünften robust gegenüber einer Vielzahl von Kontrollvariablen und Ministerpräsidenten. Keine der drei Wahlen in diesem Varianten. Allerdings existiert dieser Zusammenhang nur Zeitraum wurde turnusgemäß durchgeführt. in dem genannten Zeitraum und nur für Europa. Für ande- re Zeiträume und für andere Ländergruppen liegen ent- Deutlich anders waren die Verhältnisse in Irland. Zwar weder schwächere oder gar keine Korrelationen vor. Dies kam es auch hier zu einem Regierungswechsel während der Krise, doch war diese an turnusmäßige Wahlen ge- koppelt. Zudem hatten die Wahlen nicht den Charakter, die Konsolidierungsmaßnahmen grundsätzlich infrage zu 5 Vgl. N. Bloom: The Impact of Uncertainty Shocks, in: Econometrica, stellen. In Portugal wurde während der Krise 2011 vorge- 77. Jg. (2009), H. 3, S. 623-685. zogen gewählt, weil der damals amtierende Ministerprä- 6 Vgl. O. Blanchard, D. Leigh, a.a.O. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 537
Analysen und Berichte Eurozone Abbildung 2 Prognostizierte Veränderung des strukturellen Defizits und BIP-Prognosefehler Euroraum (15 Länder) Euroraum (ohne Deutschland und Griechenland) 6 y 3 y y = -1,095x + 0,854 y = -0,535x + 0,712 R² = 0,693 2 R² = 0,272 4 2 1 x x 0 0 -4 -2 0 2 4 6 -2 -1 0 1 2 3 4 -2 -1 -4 -2 -6 -3 -8 -4 y = kumulierter BIP-Prognosefehler des IWF für 2010 und 2011. x = prognostizierte Veränderung des strukturellen Defizits im gleichen Zeitraum. Quelle: eigene Berechnungen. deutet darauf hin, dass es sich um ein Artefakt handeln 1,3 Prozentpunkten erwartet und das BIP um 1,2 Prozent- könnte.7 punkte überschätzt (Verhältniswert: -0,95). Schließlich wurde für Irland eine Verbesserung des strukturellen Bud- Tatsächlich werden diese Ergebnisse mit Blick auf den getsaldos um 3,2 Prozentpunkte prognostiziert, während Euroraum vor allem von zwei Beobachtungen getrieben, sich die Prognose des BIP sogar als leicht zu pessimis- nämlich für Griechenland und Deutschland, wobei übri- tisch herausstellte (Verhältniswert: 0,09). Der Zusammen- gens die für Deutschland prognostizierte Verschlechte- hang zwischen Budgetkonsolidierung und Fehlprogno- rung des strukturellen Budgetdefizits gar nicht eingetreten sen ist folglich unter den Ländern mit Anpassungspro- ist. Ohne diese Beobachtungen verringert sich die Korre- grammen nicht eindeutig. Möglich ist, dass Irland stärker lation zwischen erwarteter Budgetsaldoveränderung und vom Aufschwung des Welthandels profitieren konnte als Prognosefehler erheblich. In der Ausgangsspezifikation die beiden anderen Länder. Bemerkenswert bleibt aber, für den gesamten Euroraum nimmt der Absolutwert des dass zumindest die Reihenfolge der Verhältniswerte mit geschätzten Steigungskoeffizienten der Regressionsge- der politischen Stabilität korrespondiert. raden einen Wert über eins an und das R2 beträgt rund 0,7 (vgl. Abbildung 2). Betrachtet man hingegen nur die Be- Die Vermutung liegt nahe, dass die vermeintliche Fehlein- obachtungen ohne Griechenland und Deutschland, sinkt schätzung des Fiskalmultiplikators, wie Blanchard und der Absolutwert des geschätzten Steigungskoeffizienten Leigh sie schätzen, zumindest teilweise auf nicht antizi- der Regressionsgeraden auf etwas über 0,5, während das pierte politische Unsicherheitsschocks zurückgeht. Es Bestimmtheitsmaß R2 auf unter 0,3 sinkt. erscheint naheliegend, dass politische Unsicherheits- schocks mit der Intensität der Konsolidierungsmaßnah- Betrachtet man die drei Länder mit Anpassungsprogram- men korrelieren. Schließlich wird mangelnde Reformak- men genauer, zeigt sich, dass in der Tat für Griechenland zeptanz vermutlich erst dann offenbar, wenn solche Maß- eine starke Reduktion des strukturellen Budgets prog- nahmen durchgeführt werden bzw. werden sollen. Zudem nostiziert war, um 5,3 Prozentpunkte, und zugleich die ist denkbar, dass auch die Reformakzeptanz selbst von BIP-Entwicklung stark überschätzt wurde, nämlich um der Intensität der Konsolidierungsmaßnahmen abhängt. über 7 Prozentpunkte (Verhältniswert: -1,35). Für Portugal wurde eine Verbesserung des strukturellen Budgets von Die Krise in Griechenland 2014/2015 7 Europäische Kommission: European Economic Forecast – Autumn Griechenland stand 2014 vor der konjunkturellen Wende 2012, European Economy, Nr. 7, 2012; J. Boysen-Hogrefe et al.: Welt- (vgl. Abbildung 3). Viele Konjunkturindikatoren deuteten konjunktur kommt nur allmählich in Schwung, in: Weltkonjunktur und deutsche Konjunktur im Sommer 2013, Kieler Diskussionsbeiträge, auf eine merkliche Besserung der Lage 2014 hin. Zugleich Nr. 524/525, Kasten 2. hatte der griechische Staat im Verlauf des Jahres 2014 Wirtschaftsdienst 2015 | 8 538
Analysen und Berichte Eurozone Abbildung 3 Indikatoren für die Entwicklung Griechenlands Wachstumsrate Economic Sentiment Indicator (ESI), Rendite griechischer Staatsanleihen je Quartal Industrial Confidence Indicator (IC) (10 Jahre) Index Veränderungsrate in % % % 106 4 20 6 104 2 0 4 102 -2 15 2 100 -4 98 -6 10 0 96 -8 -2 -10 94 5 ESI (linke Skala) -12 -4 IC (rechte Skala) 92 -14 -6 90 -16 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Jan. April Juli Okt. Jan. April 1.1. 1.4. 1.7. 1.10. 1.1. 1.4. 1.7. 2014 2015 2014 2015 Quelle: Eurostat. Quelle: Europäische Kommission. Quelle: Thomsen Reuters Datastream. zweimal erfolgreich Anleihen am privaten Kapitalmarkt Auswirkungen unerwarteter intensiver Konsolidierungs- platziert. Auch wenn das Volumen der zweiten Anlei- maßnahmen zurückzuführen, sondern vermutlich auf die heauktion im Juli hinter den Erwartungen zurückblieb, lag Unsicherheit über die politische Zukunft Griechenlands. die Verzinsung mit 3,5% bei zweijähriger Laufzeit in einem Die Frage nach dem Verbleib im Euroraum wurde bereits moderaten Bereich. Von Juli bis September hatte sich die im Winter 2014 im Zuge der Neuwahldebatte intensiv dis- Stimmung am Sekundärmarkt zudem verbessert, sodass kutiert und hat sich bis in den Sommer 2015 zugespitzt. ein planmäßiger Abschluss des zweiten Anpassungspro- gramms im Spätsommer des Jahres 2014 denkbar er- Fazit schien. Die Ursachen dafür, dass die Anpassungsprogramme für Durch die politische Instabilität hat sich der Ausblick Ende Griechenland gescheitert sind bzw. immer wieder deut- des vergangenen Jahres deutlich eingetrübt. Die Situati- lich nachgearbeitet werden mussten, während es im Falle on auf den Sekundärmärkten griechischer Staatsanleihen Irlands nahezu planmäßig und im Falle Portugals zwar mit verschlechterte sich bereits ab Oktober 2014 (vgl. Abbil- Revisionen, aber insgesamt erfolgreich ablaufen konn- dung 3). Als dann deutlicher absehbar wurde, dass der te, dürften vielfältig sein. Die Länder sind in ihren Wirt- Verlauf der Präsidentschaftswahlen im Dezember 2014 schaftsstrukturen sehr verschieden, ebenso gibt es deut- Neuwahlen des Parlaments nach sich ziehen könnte, liche Unterschiede in den Ausprägungen der Krise. Eine trübte sich auch die Stimmung vor allem der Verbraucher grundsätzlich falsche Einschätzung des Fiskalmultiplika- und Unternehmen ein, die in den Monaten zuvor deutlich tors durch die Institutionen dürfte hingegen nicht ursäch- zugelegt hatte (Abbildung 3 Mitte). Zwar erholte sich die lich sein. Vielmehr ist in den Blick zu nehmen, dass die Verbraucherstimmung kurzzeitig im Februar, sodass der Krisenbewältigung in den Ländern vor sehr unterschied- ESI-Indikator leicht zulegte, doch sank die Stimmung lichen gesellschaftlichen und politischen Hintergründen auf Seiten der Industrie weiter (IC-Indikator). Beide Indi- stattfand. Während die Konsolidierungsmaßnahmen z.B. katoren ließen in den Folgemonaten weiter nach. Zudem in Irland von einer breiten politischen Mehrheit getragen setzte im Dezember 2014 erneut eine Liquiditätsflucht wurden und es keine größeren politischen Verwerfungen aus Griechenland ein, die sich ausweislich der Target2- gab, wechselte in Griechenland der Ministerpräsident im Salden im Januar 2015 spürbar verschärfte. Verlauf der Anpassungsprogramme mehrfach. Es gab Massenproteste und Generalstreiks. Die Zustimmung zu Der Verlauf der Krise in den jüngsten Monaten belegt die den Anpassungsprogrammen war in Griechenland zu- Bedeutung politischer Stabilität für das Vertrauen der meist mit erheblicher Unsicherheit behaftet. Diese man- Kapitalmärkte, aber auch der Konsumenten und Unter- gelnde „Ownership“ in Griechenland dürfte, nicht zuletzt nehmen. Die Zuspitzung der Krise ist schwerlich auf die wegen der Verquickung des Erfolgs der Anpassungspro- ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 539
Analysen und Berichte Eurozone gramme mit dem Risiko, den Währungsraum zu verlas- Es dürfte also nicht operational sein, die Rettungsschir- sen, die wirtschaftliche Erholung stark belastet haben. me nur konditional bei gegebener „Ownership“ agieren zu lassen – auch wenn dies vielleicht wünschenswert wäre. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass „Ownership“ Wenn Zuspitzungen wie derzeit in Griechenland verhin- selber endogen ist: Der Umfang eines Anpassungspro- dert werden sollen, stellt sich folglich die Frage, ob die gramms kann die „Ownership“ negativ beeinflussen, Rettungsschirme überhaupt zum Schutz von Altgläu- sodass Erfolge ausbleiben. Der ausbleibende Erfolg be- bigern hohe Kredite an Staaten vergeben sollten. We- einträchtigt wiederum die „Ownership“ zusätzlich, wor- sentliches Motiv, die Altgläubiger zu schützen, war 2010 aus sich weitere Zielverfehlungen ergeben. Dies erzwingt die Sorge um die Finanzstabilität. Sofern es gelingt, z.B. gleichzeitig eine Programmverlängerung und -verschär- im Rahmen der entstehenden Bankenunion durch ent- fung. Griechenland könnte hierfür einen Hinweis geben, sprechende Haftungsregeln im Bankensektor und einer schließlich wurde nicht gleich nach Beginn der Anpas- koordinierten Bankenaufsicht,10 die Folgen einer Staa- sungsprogramme eine Regierung gewählt, die diese ab- tsinsolvenz für das Geldsystem auf nicht mehr system- lehnt und die Ablehnung auch klar gegenüber den Geld- gefährdendes Maß zu minimieren, dürfte es vertretbar gebern artikuliert, sondern die Mehrheiten haben sich werden, zum einen gleich zu Beginn der Schuldenkrise erst im Verlauf der Ereignisse entsprechend verschoben. einen Schuldenschnitt gegenüber privaten Gläubigern durchzuführen und zum anderen die Rettungsschirme Was kann man für die Architektur der Rettungsschirme zielgenauer zum Schutz der Finanzstabilität – nämlich im Euroraum schlussfolgern? Die Frage der „Ownership“ vordringlich als Bankenrettungs- oder -abwicklungsfonds und die Bedeutung politischer Stabilität für die wirtschaft- – einzusetzen. Dadurch würden die Risiken für die öffent- liche Dynamik dürfte das Problem des „moral hazard“ für lichen Gläubiger reduziert und die Rettungsschirme hät- Finanzhilfen im Euroraum relativieren, da der Anreiz für ei- ten dann als „zu Rettende“ nicht mehr souveräne Staaten ne Regierung gering sein dürfte, auf eine so instabile Situ- vor sich, sondern nunmehr private Banken. Die von der ation hinzulenken, die ein Anpassungsprogramm mit dem Staatsinsolvenz betroffenen Staaten wiederum müssten damit verbundenen Verlust an nationaler Souveränität dann eigenständig Maßnahmen ergreifen, um ihre Haus- erfordert.8 Vielmehr stellt sich die Frage, ob „Ownership“ halte auszugleichen.11 Die öffentlichen Gläubiger müssten vorausgesehen werden kann. Eine hohe „Ownership“ ihrerseits nicht mehr von außen auf Konsolidierungsmaß- würde die Wahrscheinlichkeit des Programmerfolgs erhö- nahmen und deren Einhaltung drängen, da sie sich nicht hen und die Geldgeber müssten die Reformmaßnahmen mehr in erheblichem Ausmaß engagieren würden. Die weniger streng überwachen.9 Es ist allerdings fraglich, Frage der „Ownership“ würde sich nicht mehr stellen. ob zum einen „Ownership“ hinreichend gut vorhergese- hen werden kann und ob zum anderen eine Prognose der „Ownership“ hinreichend objektivierbar ist, um schwer- 10 Vgl. hierzu: D. Snower et al.: Kieler Krisen-Kompass: Ein Gesamtpa- ket zur Überwindung der Krise im Euroraum, Kiel Policy Brief, Nr. 58 wiegende Entscheidungen in einem Staatenverbund da- (2013). rauf aufbauen zu können. 11 Neben der Funktion als Bankenrettungs- und -abwicklungsfonds könnten die Rettungsschirme hier vorübergehend die Haushalts- lage der von der Staatsinsolvenz betroffenen Staaten stützen, ins- besondere um der Situation zu begegnen, dass vorübergehend der Zugang zu den Kapitalmärkten abgeschnitten ist, vgl. die von Sinn und Carstensen diskutierten Kassenverstärkungskredite: H.-W. 8 Vgl. auch J. Boysen-Hogrefe: Für einen Schuldenschnitt und gegen Sinn, K. Carstensen: Ein Krisenmechanismus für die Eurozone, in: Ifo den Rettungsschirm? Argumente auf dem Prüfstand, Kiel Policy Brief, Schnelldienst, Sonderausgabe 2010. Die daraus resultierenden Risi- Nr. 29 (2011). ken für die öffentlichen Gläubiger dürften vergleichsweise gering sein, 9 A. H. Meltzer: The Report of the International Financial Institution Ad- schließlich wurden in den aktuellen Programmen nur kleinere Anteile visory Commission, Report to the US Congress chaired by A.H. Melt- der Kredite für die laufenden Staatsausgaben aufgewendet, also zur zer, 2000. Übergangsfinanzierung von laufenden Budgetdefiziten. Title: Rescue Programmes and “Ownership” – a Comparison of Ireland, Portugal and Greece Abstract: While euro area adjustment programmes in Ireland and Portugal were successfully completed – more or less in accordance with projections – the second adjustment programme for Greece failed, with substantial deviations between target figures and eco- nomic reality. To determine causes for the success or failure of adjustment programmes, the authors compare the three countries with regard to the economic and political environment, programme intensity and “ownership”. They also discuss the role of political uncer- tainty in the widely discussed under-estimation of fiscal multipliers and in the Greek crisis of 2015. Finally, the authors address possible implications for the future design of rescue mechanisms in the euro area. JEL Classification: E65, F34, F53 Wirtschaftsdienst 2015 | 8 540
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