IFRS 16 - DER NEUE LEASINGSTANDARD: FLUCH ODER SEGEN FÜR DEN SCHWEIZER MARKT ?
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R E C H N U N G SW E S E N OLIVE R KÖSTE R SE BASTIAN R E PETZ IFRS 16 – DER NEUE LEASINGSTANDARD: FLUCH ODER SEGEN FÜR DEN SCHWEIZER MARKT ? Frühzeitige Planung unabdingbar Das International Accounting Standards Board (IASB) hat den International Finan- cial Standard (IFRS) 16 auf den 1. Januar 2019 in Kraft gesetzt. Insbesondere Unter- nehmen, die als Leasingnehmer bislang umfangreich von operativem Leasing Ge- brauch gemacht haben, werden erhebliche bilanzielle Auswirkungen erfahren. 1. EINLEITUNG resultierenden Standards der beiden Organisationen in Mit der Veröffentlichung des neuen Leasingstandards wichtigen Punkten übereinstimmen, deckungsgleich sind IFRS 16 am 13. Januar 2016 wurde ein langwieriger und zäher sie nicht. Kampf beendet. Mit dem Standard wurde die Ambition des früheren IASB-Vorsitzenden Sir David Tweedie – nämlich ein- 2. WICHTIGSTE ÄNDERUNGEN IM ÜBERBLICK mal in einem Flugzeug zu sitzen, das auch in den Bilanzen Die Änderungen des IFRS 16 im Vergleich zum IAS 17 halten der Airline ausgewiesen wird – Wirklichkeit. Ausschlagge- sich für Leasinggeber in Grenzen. Während die Bilanzierung bend für diese Ambition war, dass die Vergleichbarkeit durch für Leasinggeber weitgehend unverändert bleibt, sind sie die bisherige Alles-oder-nichts-Bilanzierung des IAS 17 er- neben der geänderten Definition von Leasingverhältnissen heblich eingeschränkt ist. So ist bislang entweder das Lea- hauptsächlich von den überarbeiteten und erweiterten An- singgut nebst zugehöriger Schuld vollständig in der Bilanz hangangaben betroffen. des Leasingnehmers zu erfassen (Finanzierungsleasing) Für Leasingnehmer indes wird IFRS 16 erhebliche Verän- oder gar kein Vermögenswert und keine Schuld auszuweisen derungen bringen (Abbildung 1). Künftig fällt die Unterschei- (operatives Leasing). Zwischenwerte sind nicht vorgesehen. dung zwischen operativem Leasing und Finanzierungslea- Kleine Änderungen an den vertraglichen Grundlagen, die sing und damit die unterschiedliche bilanzielle Behand- kaum zu ökonomischen Unterschieden führten, können lung weg. Das bedeutet, dass für jeden Leasinggegenstand daher zu erheblichen Auswirkungen auf die Bilanz und die dessen Nutzungsrecht (right-of-use asset) aktiviert und jede entsprechenden Kennzahlen führen. Damit soll es nun vor- korrespondierende Leasingverbindlichkeit passiviert wer- bei sein. den muss. Die grössten Änderungen ergeben sich dementsprechend Insbesondere Unternehmen, die als Leasingnehmer bis- für Leasingnehmer: Der Grundgedanke, dass sämtliche Lea- lang umfangreich von operativem Leasing Gebrauch gemacht singverhältnisse in der Bilanz des Leasingnehmers ausge- haben, werden erhebliche bilanzielle Auswirkungen erfah- wiesen werden, wurde konsequent umgesetzt. Damit soll ren: Ihre Bilanzsummen werden vergrössert und damit wer- die Vergleichbarkeit von Bilanzen von Unternehmen unab- den Struktur- und Kapitalkennzahlen wie beispielsweise hängig von der Art der Nutzungsrechte am notwendigen be- die Anlagenquote, die Eigenkapitalquote und der Verschul- trieblichen Vermögen verbessert werden. dungsgrad beeinflusst. Auch wenn die Entwicklung des neuen Standards in enger Die neuen Vorschriften des IFRS 16 verlangen zukünftig Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Standardsetter eine durchgängige Aufspaltung der Leasingkosten in (Financial Accounting Standards Board, FASB) erfolgte und die Abschreibungen, Zinsaufwand und Betriebsaufwand. OLIVER KÖSTER, SEBASTIAN REPETZ, DIPL.-KFM., DIPL. BETRIEBSWIRT (FH), DIPL. WIRTSCHAFTSPRÜFER, DIPL. WIRTSCHAFTSPRÜFER, LEHRBEAUFTRAGTER SENIOR MANAGER, UNIVERSITÄT ZÜRICH DELOITTE AG, ZÜRICH UND HOCHSCHULE WORMS, DIRECTOR, DELOITTE AG, ZÜRICH 9 | 2016 E X P E R T F O C U S 645
R E C H N U N G SW E S E N I F R S 16 – der neue Leasingstandard: F luch oder S egen für den S chweizer Markt ? Abbildung 1: IFRS 16 – DAS WICHTIGSTE IM ÜBERBLICK Leasingnehmer: Wegfall Unterscheidung zwischen Leasingnehmer: Grundsätzliche Bilanzierungspflicht Operating Lease und Finance Lease Trennung der Leasingkosten für Nutzungsrecht, Leasinggegenstand beim Leasingnehmer, in Abschreibung, Zinsaufwand und und Leasingverbindlichkeit nicht jedoch beim Leasinggeber Betriebsaufwand Leasingnehmer: Leasingnehmer: Leasingnehmer: Signifikante Auswirkungen auf Kenn Erleichterungswahlrecht für kurze Erleichterungswahlrecht für gering zahlen des Unternehmens möglich Leasingverhältnisse (< 1 Jahr) wertige Leasinggegenstände (Richtwert: Neuwert von USD 5000) Leasinggeber: Erweiterte Angabepflichten für Verpflichtend anzuwenden für Weitgehend gleiche Behandlung Leasingnehmer und Leasinggeber Perioden beginnend am oder nach wie unter IAS 17 dem 1. Januar 2019 Insbesondere die Ermittlung des Zinsaufwands und des Be- Durch die Überarbeitung der Definition, die auch sämtliche triebsaufwands auf Basis der existierenden Leasingverträge bislang in IFRIC 4 behandelten «versteckten Leasingver- dürfte in der Praxis eine Herausforderung darstellen, da die träge» erfasst, können sich bereits Auswirkungen auf den Verträge nicht immer den entsprechenden Detaillierungs- Umfang der bisherigen Leasingverhältnisse ergeben. Ge- grad aufweisen. mäss IFRS 16.9 liegt ein Leasingverhältnis vor, wenn dem Die Aufspaltung des bislang oberhalb des EBIT und Leasingnehmer vertraglich das Recht zur Nutzung eines EBITDA ausgewiesenen operativen Leasingaufwands in Ab- identifizierten Vermögenswerts (identified asset) für einen schreibungen, Betriebs- und Zinsaufwand werden auch in bestimmten Zeitraum übertragen wird und der Leasingge- der Erfolgsrechnung und bei wichtigen Performancekenn- ber hierfür eine Gegenleistung vom Leasingnehmer erhält. zahlen deutliche Spuren hinterlassen. Während sich Rendi- Ein identifizierter Vermögenswert liegt vor, wenn dieser ent- tekennzahlen aufgrund der erhöhten Vermögensbasis eher weder explizit im Vertrag spezifiziert wurde oder sich impli- negativ entwickeln dürften, sind für den EBIT und vor allem zit im Zeitpunkt der Übergabe des Vermögenswerts an den den EBITDA zum Teil deutliche Anstiege zu erwarten. Leasingnehmer ergibt. Hierbei ist wichtig hervorzuheben, Wir erwarten, dass die Umstellung von IAS 17 auf IFRS 16 dass ein identifizierter Vermögenswert auch lediglich ein teilweise erheblichen Zeit- und Kostenaufwand für Leasing- Teil bzw. Anteil eines grösseren Vermögenswerts sein kann nehmer mit bislang überwiegend operativem Leasing verur- (beispielsweise Ladenlokal in einem Einkaufszentrum). sachen wird. Hier hat der Standardsetter deswegen einige Auch müssen die vertraglichen Rechte des Leasinganbie- Erleichterungswahlrechte gewährt. Neben Erleichterungen ters untersucht werden: Bestehen substanzielle Austausch bei den Übergangsvorschriften sieht der IFRS 16 bestimmte rechte, ist es dem Leasinggeber praktisch und technisch Ansatzwahlrechte für kurze Leasingverhältnisse und für möglich, den Vermögenswert auszutauschen und würde die- Leasingverhältnisse von geringwertigen Vermögensgegen- ser auch wirtschaftlich davon profitieren, liegt kein identifi- ständen vor. Beispielsweise darf der Aufwand für Leasing- zierter Vermögenswert vor. Befindet sich der Leasinggegen- verhältnisse mit einer Laufzeit von weniger als zwölf Mona- stand allerdings physisch beim Leasingnehmer oder an ten sowie für Leasingverhältnisse über Vermögenswerte mit einem dritten Ort, wird davon ausgegangen, dass die Kosten einem Neuwert von weniger als USD 5000 [1] direkt in der für einen Austausch den Nutzen übersteigen. Bereits hier Erfolgsrechnung erfasst werden, so dass weder ein «right-of- enthalten sowohl Anhang B zum Standard wie auch die il- use asset» noch eine Leasingverbindlichkeit zu erfassen sind. lustrativen Beispiele zahlreiche weitere Vorschriften und Mit dem IFRS 16 werden deutlich mehr Informationen Hinweise, die die möglichen Abgrenzungsprobleme in der über die Leasingverhältnisse erforderlich sein. Deshalb Praxis bereits deutlich machen. haben Unternehmen frühzeitig entsprechende Vorkeh- Als Nächstes ist zu beurteilen, ob der Leasingnehmer das rungen zu treffen, um sicherzustellen, dass sämtliche not- Recht hat, über die Nutzung des Vermögenswerts zu entscheiden. wendigen Informationen verfügbar sind. Es ergeben sich Der Leasingnehmer soll hierbei das Recht haben, Entschei- daher zwangsläufig auch Auswirkungen auf die internen dungen zu treffen, welche die Art und Nutzung während der Prozesse und Kontrollen. Nutzungsdauer festlegen. Ein starker Indikator hierfür ist, wenn der Leasingnehmer über die Art, den Zeitpunkt, den 3. NEUREGELUNGEN IM EINZELNEN Ort und die Menge des (produzierten) Outputs des Vermö- 3.1 Identifikation eines Leasingverhältnisses und einer genswerts bestimmen kann. Schutzrechte wie territoriale Leasingdauer. Im Fokus ist zunächst die Analyse, welche Einschränkungsvorschriften (Vermögenswert darf z. B. nur Verträge Leasingverhältnisse im Sinne von IFRS 16 sind bzw. in Europa verwendet werden) des Eigentümers stellen aller- enthalten. Im Standard ist dies ebenfalls einer der zentralen dings keine Einschränkungen des Nutzungsrechts dar. Punkte: 10 der 24 illustrativen Beispiele sind der Identifi Ebenfalls muss sichergestellt sein, dass dem Leasingneh- kation bzw. Bestimmung eines Leasingverhältnisses ge mer während der Laufzeit der Leasingvereinbarung im We- widmet. sentlichen der gesamte Nutzen zufliesst. Dieser kann grund- 646 E X P E R T F O C U S 2016 | 9
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R E C H N U N G SW E S E N I F R S 16 – der neue Leasingstandard: F luch oder S egen für den S chweizer Markt ? Abbildung 2: FOLGEBEWERTUNG BEIM LEASINGNEHMER Aktiven Passiven Anschaffungskosten abzüglich planmässiger Abschreibun- Erhöhung der Verbindlichkeit durch die angefallenen gen und ausserplanmässiger Wertberichtigungen (IAS 16 Zinsen und IAS 36) Reduktion durch die geleisteten Leasingzahlungen Abschreibungsdauer bei Übergang des Gegenstands am Allfällige Neubewertungen Ende der Laufzeit entspricht der wirtschaftlichen Nut- durch Veränderung der Leasingperiode zungsdauer Anpassung in den Leasingvereinbarungen Abschreibungsdauer ohne Übertragung entspricht der Anpassungen bei Veränderung der Indices bzw. der kürzeren aus der Laufzeit des Leasingverhältnisses oder Bemessungsgrundlage der wirtschaftlichen Nutzungsdauer Anpassung des Vermögenswerts bei Neubewertung der Verbindlichkeit Ausnahme Anwendung des Fair-Value-Modells in IAS 40 Anwendung des Neubewertungsmodells in IAS 16 (Wahlrecht je Asset-Kategorie) sätzlich durch Nutzung, Haltung, aber auch Untervermie- ausforderung hinsichtlich der korrekten Bestimmung erge- tung erzielt werden. Hierbei soll insbesondere auch der ben. Sollte dies nicht gelingen oder ist die separate Erfassung Nutzen analysiert werden, der an Dritte oder den Leasing von einzelnen Vertragskomponenten administrativ zu auf- geber weitergeleitet wird. wendig, kann der gesamte Vertrag als Leasing behandelt Eine weitere wesentliche Änderung ergibt sich bei der Be- werden. Dies stellt ein Wahlrecht des IFRS 16 dar. stimmung der Leasingdauer. Im Gegensatz zu IAS 17 legt Wie zuvor festgehalten, wird ein Leasingvertrag durch die IFRS 16 fest, dass neben der ordentlichen Vertragsdauer Aktivierung eines Nutzungsrechts (right-of-use asset) sowie auch Verlängerungs- bzw. Kündigungsoptionen, sofern einer korrespondierenden Leasingverbindlichkeit zu Be- von ihrer Ausübung vernünftigerweise ausgegangen wer- ginn des Leasingverhältnisses bilanziell erfasst. Der Wert den kann (reasonably certain), bei der Bestimmung der Lea- des Nutzungsrechts bestimmt sich aus der Höhe der Leasing- singdauer mitberücksichtigt werden müssen. Hier schreibt verbindlichkeit, den Leasingzahlungen vor Beginn des Lea- der Standard die Berücksichtigung einer Reihe von rechtli- singverhältnisses sowie sonstiger anfänglicher direkter Kos- chen und ökonomischen Faktoren vor. So sollen unter ande- ten. Auch werden allfällige Rückbau- oder Rekultivierungs- rem der Preis für die Verlängerungsperiode, aber auch die verpflichtungen dem Vermögenswert hinzugerechnet. Mit Opportunitätskosten einer Nichtverlängerung bzw. Kündi- erheblichem Ermessensspielraum behaftet ist insbesondere gung und sämtliche mit den Optionen verbundenen Krite- die Bestimmung der Leasingverbindlichkeit. Diese wird rien berücksichtigt werden. Dies dürfte beispielsweise bei durch den Barwert der Leasingzahlungen über die Leasing- unbefristeten Gebäudemietverträgen mit drei- oder sechs- dauer bestimmt. Bereits bei der Festlegung der Leasingdauer monatiger Kündigungsfrist, die bislang überwiegend als ergibt sich eine Vielzahl von Ermessensfragen mit erhebli- kurzfristig angesehen wurden, künftig zu einer deutlichen cher Auswirkung auf die Leasingverbindlichkeit und damit Verlängerung der Leasingdauer als im gegenwärtigen IAS 17 auf das als Vermögenswert zu bilanzierende Nutzungsrecht. führen. Sollten sich während der Vertragslaufzeit die Um- Weiterer erheblicher Ermessensspielraum besteht bei der stände entsprechend ändern und hat der Leasingnehmer Festlegung des Abzinsungssatzes. Da in der Praxis der dem hierauf auch Einfluss, erfolgt eine Neubeurteilung der Lea- Leasingverhältnis zugrundeliegende Zinssatz nur in weni- singdauer. Besondere Wichtigkeit kommt der Beurteilung gen Fällen zuverlässig bestimmt werden kann, werden viele der Leasingdauer zu, wenn angedacht ist, für die Erleich Anwender auf den inkrementellen Fremdkapitalzinssatz terung hinsichtlich kurzlaufender Leasingverhältnisse zu abstellen. Dies ist der Fremdkapitalzinssatz, der anfallen optieren. würde, wenn ein vergleichbarer Vermögenswert mit ähnli- chem Wert wie das Nutzungsrecht über eine ähnliche Lauf- 3.2 Buchhalterische Behandlung (beim Leasingnehmer). zeit und bei gleicher wirtschaftlicher Situation finanziert Grundsätzlich legt der Standard fest, dass sämtliche Ver- werden müsste. Der Zirkelschluss ist offensichtlich: Der tragskomponenten voneinander getrennt behandelt bzw. er- Zinssatz bestimmt den Wert des Nutzungsrechts, der dann fasst werden müssen. Neben der Bilanzierung der Leasing- zur Ableitung des Zinssatzes herangezogen werden soll. komponente werden weitere Vertragskomponenten wie Obwohl es sich bei dem «right-of-use asset» streng genom- Servicedienstleistungen auf Grundlage des Einzelpreises men um einen immateriellen Vermögenswert handelt, richtet buchhalterisch separat erfasst. In der Praxis wird sich insbe- sich die Folgebewertung nach den Grundsätzen für Sach sondere bei Vertragskomponenten, die mit anderen geteilt anlagen (IAS 16 und IAS 36) bzw. für als Finanzinvestition werden (z. B. Hausmeisterservice), die eine oder andere Her- gehaltenes Immobilienvermögen (IAS 40). Die Leasingver- 648 E X P E R T F O C U S 2016 | 9
I F R S 16 – der neue Leasingstandard: F luch oder S egen für den S chweizer Markt ? R E C H N U N G SW E S E N bindlichkeit, obwohl ein Finanzinstrument, unterliegt nicht gesehen und stattdessen die modifizierte rückwirkende den Bestimmungen von IAS 39 bzw. IFRS 9. Hier enthalten erstmalige Anwendung gewählt werden, bei der die Vor die IFRS 16.36 Spezialvorschriften, die aber der Effektivzins- jahreszahlen nicht angepasst, sondern die kumulierten An methode des IAS 39/IFRS 9 ähnlich sind. passungseffekte im Eröffnungsbestand des Eigenkapitals Die Folgebewertung von Leasingverträgen ergibt sich ge- erfasst werden [3]. Ausserdem müssen «Altverträge», die mäss IFRS 16 wie in Abbildung 2 aufgeführt. bereits zum erstmaligen Anwendungszeitpunkt bestehen, nicht neu beurteilt werden, ob es sich dabei um Leasingver- 3.3 Erstmalige Anwendung. Der neue IFRS 16 tritt per 1. Ja- träge i. S. d. IFRS 16 handelt oder ob sie solche beinhalten. nuar 2019 in Kraft und ersetzt IAS 17 Leases samt zugehöri- Dies bedeutet, dass der neue Standard nicht zwingend auf gen Interpretationen [2] vollständig. Unternehmen mit Ab- «Altverträge» angewandt werden muss, bei denen keine Lea- schlussstichtag 31. Dezember müssen den neuen Standard singkomponente gemäss IAS 17 bzw. IFRIC 4 identifiziert auf Jahres- bzw. Konzernabschlüsse per 31. Dezember 2019 wurde. Obgleich eine solche Erleichterung den Umstellungs- bzw. auf Zwischenabschlüsse des Berichtszeitraums erstma- aufwand signifikant schmälern kann, geht dies zunächst zu lig anwenden. Es bleibt noch etwas Zeit. Allerdings empfeh- Lasten der Transparenz und Vergleichbarkeit. len wir, dass sich sowohl Bilanzersteller als auch Abschluss- prüfer und Analysten frühzeitig mit dem neuen IFRS 16 aus- 4. DER NEUE LEASINGSTANDARD IN DER PRAXIS einandersetzen und Auswirkungen auf ihre Unternehmen 4.1 Wesentliche Auswirkungen auf die Unternehmen. oder Kunden frühzeitig einschätzen. Die vorangegangenen Ausführungen zu den wichtigsten Anwender, die bereits vor 2019 das neue Regelwerk frühzei- Neuerungen zeigen bereits zwei wesentliche Erkenntnisse: tig anwenden wollen, können dies tun, wenn IFRS 15, Reve- Die potenziellen Auswirkungen können sich erstens gravie- nue from Contracts with Customers, zum Zeitpunkt der rend auf wichtige Bilanz- und Erfolgskennzahlen auswirken frühzeitigen Anwendung von IFRS 16 oder bereits zuvor und die Implementierung von IFRS 16 kann zweitens einen vollumfänglich implementiert ist. bedeutenden zeitlichen Aufwand verursachen und mit er- Für die erstmalige Anwendung enthält Anhang C des heblichen Kosten verbunden sein. IFRS 16 einige Erleichterungsregeln. So kann von der voll- Ein wesentlicher Faktor ist, dass der Umfang der bilanzie- ständigen retrospektiven Anwendung gemäss IAS 8 ab rungspflichtigen Right-of-use-Vermögenswerte leicht unter- 9 | 2016 E X P E R T F O C U S 649
R E C H N U N G SW E S E N I F R S 16 – der neue Leasingstandard: F luch oder S egen für den S chweizer Markt ? Abbildung 3: GRUNDSÄTZLICHE AUSWIRKUNGEN AUF WESENTLICHE KENNZAHLEN Kennzahl Erwartete Auswirkung Begründung von IFRS 16 Gesamtvermögen Steigt wegen Berücksichtigung zusätzlicher Right-of-use-Vermögens- werte Finanzielle Verbindlichkeiten/ Nimmt zu wegen Berücksichtigung korrespondierender Leasing Nettoverschuldung verbindlichkeiten Eigenkapitalquote Durch höhere Finanzverschuldung sinkt die Eigenkapitalquote EBIT Durch die Verlagerung der in den Leasingzahlungen enthaltenen Zinsaufwendungen unter den EBIT steigt dieser an. Der Effekt nimmt im Zeitablauf über die Leasingdauer ab EBITDA Durch die Aufspaltung der operativen Leasingaufwendungen in einen Zins- und Abschreibungsanteil ist von einem stärkeren Anstieg des EBITDA auszugehen Operativer Cashflow Anstieg durch die Verlagerung der Tilgungskomponente der Leasing- zahlung in den Finanzierungs-Cashflow Vermögensumschlag Durch die Erhöhung des Gesamtvermögens nimmt die Umschlags- häufigkeit ab Return on Investment/ Tatsächliche Auswirkung hängt von den Besonderheiten des Leasing- Capital Employed portfolios ab, durch die Zunahme des EBIT auf der einen und die Zunahme der Kapitalbasis im Nenner auf der anderen Seite schätzt werden kann. Dies insbesondere, weil bei der Bestim- Es wird deutlich, dass die Unternehmen künftig erheblich mung der Leasingdauer nicht nur die vertraglich festgelegte mehr Informationen für die korrekte bilanzielle Abbildung Laufzeit heranzuziehen ist. So können selbst unbefristete von Leasingverträgen sammeln, analysieren und in der Jah- Standardgebäudemietverträge mit einer Kündigungsfrist resrechnung offenlegen müssen. Hinzu kommen Zahlungs- von drei oder sechs Monaten zu signifikanten Right-of-use- zeitpunkte, Informationen bezüglich variabler Leasingzah- Vermögenswerten bzw. korrespondierenden Leasingverbind- lungen, implizite Zinssätze und vieles mehr. Da es sich um lichkeiten in der Bilanz führen. Ein Leasingvertag über ein bedeutende Inputgrössen für die Erstellung der finanziel- len Berichterstattung handelt, sind die entsprechenden Pro- zesse und Werteflüsse auch in das interne Kontrollsystem « Da es sich um bedeutende zu integrieren. Inputgrössen für die Erstellung der 4.2 Betroffene Branchen und Kennzahlen. Prinzipiell be- finanziellen Berichterstattung troffen vom neuen Leasingstandard sind alle Unternehmen, die Leasingverträge abgeschlossen haben. Die grössten Aus- handelt, sind die entsprechenden wirkungen ergeben sich freilich auf Seiten der Leasingneh- Prozesse und Werteflüsse mer, insbesondere wenn umfangreiche, bisher nicht bilan- zierte (off-balance) operating Leasingverhältnisse bestehen. in das interne Kontrollsystem Die grundsätzlichen Auswirkungen auf wesentliche Kenn- zu integrieren.» zahlen zeigt Abbildung 3. Da die Auswirkungen auf die bedeutenden Kennzahlen Gebäude beispielsweise, das einen bedeutenden Vermögens- im Einzelfall sehr wesentlich sein können, ist klar, dass die wert für die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens dar- betroffenen Unternehmen neben der reinen Implementie- stellt, für das erhebliche Mietereinbauten geleistet wurden rungsaufgabe zwei weiteren Herausforderungen gegenüber- oder dessen Ersatz schwierig oder mit hohen Kosten verbun- stehen. Zum einen müssen die potenziellen Auswirkungen den wäre, wird voraussichtlich nicht in kürzerer Zeit gekün- frühzeitig eingeschätzt und quantifiziert werden, um die digt werden. Wie lang die konkrete Leasingdauer anzuset- Kommunikation mit wichtigen Stakeholdern angemessen zen ist, hängt auch vom bisherigen Verhalten des Leasing- vorbereiten und einleiten zu können. Zum anderen sind die nehmers ab. Die Wahrscheinlichkeit einer Nichtausübung Auswirkungen auf bestehende Vereinbarungen und Verträge ist umso höher anzunehmen, je kürzer die festgelegte Ver- wie Kreditbedingungen, Bonusvereinbarungen usw. mög- tragslaufzeit ist [4]. Sofern die so ermittelte Leasingdauer lichst frühzeitig zu analysieren. zwölf Monate übersteigt, ist die Inanspruchnahme der Er- Obwohl die tatsächlichen Auswirkungen stark von den leichterungsoption der Nichtberücksichtigung des Right- unternehmensindividuellen Gegebenheiten abhängen, las- of-use-Vermögenswerts nicht möglich. sen sich gleichwohl Tendenzen über die am stärksten betrof- 650 E X P E R T F O C U S 2016 | 9
I F R S 16 – der neue Leasingstandard: F luch oder S egen für den S chweizer Markt ? R E C H N U N G SW E S E N fenen Branchen erkennen. Wie das IASB bereits in einer Aus- auf geführten Problematik hinsichtlich des Leasingzeit- wertung von mehr als eintausend börsennotierten Unter- raums nicht selten übersteigen. nehmen festgestellt hat [5], sind die Auswirkungen auf EBIT und EBITDA in der Luftfahrt- und Reisebranche (hier insbe- 4.3 Bedeutung für den Schweizer Markt. Um die Auswir- sondere die Hotellerie) am grössten. Dieses Ergebnis ver- kungen für den Schweizer Markt abschätzen zu können, wundert zunächst kaum, war doch die Luftfahrtindustrie haben wir für den SMI und SMI MID die letzten verfügbaren ein wesentlicher Treiber für die Überarbeitung des Leasing- Geschäftsberichte im Hinblick auf ausgewiesene vertragli- standards durch das IASB. Dicht dahinter folgen Handels-, che Leasingverpflichtungen und ihre Relationen zum Ge- Transport- und Logistikunternehmen. Bei den Handelsun- samtvermögen sowie zum Eigenkapital analysiert. ternehmen dürften die Vielzahl und wertmässig bedeuten- Schaut man zunächst auf den absoluten Betrag der im An- den Mietverträge von Geschäftsimmobilien ausschlagge- hang offengelegten Off-balance-Leasingverpflichtungen, so bend sein, während die Transportbranche durch Flotten scheint es, dass die Finanzindustrie besonders stark von den leasing betroffen sein dürfte. In diesem Zusammenhang ist Auswirkungen des IFRS 16 betroffen sein wird. Auf sie ent- interessant zu erwähnen, dass insbesondere Handels- und fallen rund 37% der analysierten Leasingverpflichtungen. Logistikunternehmen häufig EBITDA-getrieben sind und Die Auswirkungen auf Gesamtvermögen und Eigenkapital- dies nicht selten eine wichtige Erfolgskennzahl für diese Un- quote zeigen indes ein anderes Bild: Hier sind die Unterneh- ternehmen darstellt. Insofern «profitieren» diese Unterneh- men der Finanzindustrie wegen ihrer hohen Bilanzsum- men besonders deutlich von der Einführung des IFRS 16. men und absolut gesehen hohen Eigenkapitalbestände weni- Wichtig in diesem Zusammenhang ist es, noch einmal ger betroffen. deutlich zu machen, dass diese Zahlen nur die Spitze des Eis- Während im gesamten SMI die durchschnittliche Erhö- bergs zeigen. Die tatsächlichen Leasingverbindlichkeiten hung des Gesamtvermögens rund 4% beträgt, wird dieses bei dürften die bislang im Anhang ausgewiesenen, vertraglich einzelnen Unternehmen nach der IFRS-16-Einführung um vereinbarten Operating-Leasingzahlungen wegen der oben 10–20% zunehmen. Sehr hohe Zuwächse verzeichnen zwei 9 | 2016 E X P E R T F O C U S 651
R E C H N U N G SW E S E N I F R S 16 – der neue Leasingstandard: F luch oder S egen für den S chweizer Markt ? Unternehmen des Mode-, Lifestyle- und Luxusgüterseg- lance-Leasingverpflichtungen einer genauen Prüfung zu ments mit jeweils rund 15%. Diese Unternehmen verfügen unterziehen. IFRS 16 verlangt nämlich im Übergangszeit- über ein starkes Einzelhandelsgeschäft, vermutlich mit vie- punkt eine Überleitung der bisher nach IAS 17 ausgewiese- len geleasten Ladenflächen. nen vertraglichen Leasingzahlungen zu der im Übergangs- Am stärksten betroffen mit über 21% Zunahme ist ein Un- zeitpunkt ausgewiesenen Leasingverpflichtung, sofern ternehmen des Logistik- und Transportwesens, was auf das von der eingeschränkten retrospektiven erstmaligen An- starke Off-balance-Leasing der Fahrzeugflotte zurückzu- wendung gemäss IFRS 16.C5(b) Gebrauch gemacht wird. führen sein dürfte. Im Weiteren zeigen sich relativ starke Zu- nahmen des Gesamtvermögens bei Unternehmen der Tele- 5. FAZIT kommunikationsindustrie und in Einzelfällen auch in der Das Ziel des IASB ist die Erhöhung der Vergleichbarkeit pharmazeutischen Industrie. von IFRS-Abschlüssen. Daher sind die Änderungen, die der Eine sehr grosse Schwankungsbreite zeigt sich bei der Aus- IFRS 16 mitbringt, zu begrüssen. Die Aufgabe der Alles-oder- wertung der Eigenkapitalquote. Während die Eigenkapital- quote im Durchschnitt insgesamt um ca. 3,8% sinken wird, liegen die häufigsten Veränderungen zwischen 1 und 5%. In « Ob der Aufwand gerecht- Einzelfällen sind jedoch Rückgänge von bis zu 20% anzu nehmen. Zwar verfügen bis auf eine Ausnahme alle über eine fertigt ist oder in der Schweiz ausreichende Eigenkapitalausstattung, um solche Rückgänge eine neue Wechselwelle verkraften zu können. Gleichwohl sind bei diesen Unter- nehmen Vorkehrungen in Form einer frühzeitigen, detail- zu Swiss GAAP FER auslöst, lierten Auswirkungsanalyse zu treffen, um böse Überra- bleibt abzuwarten.» schungen bei der erstmaligen Berichterstattung unter dem neuen Leasingstandard zu vermeiden. nichts-Bilanzierung mit den bekannten Problemen und Möglichkeiten der Einflussnahme auf Jahresabschluss und 4.4 Was jetzt zu tun ist. Obwohl bis zur Inkraftsetzung von Kennzahlen hin zu der vollständigen Abbildung der genutz- IFRS 16 noch mehr als zwei Jahre vergehen, sollte mit dem ten Vermögenswerte und der bestehenden Verpflichtung ist Beginn des Implementierungsprojekts nicht zu lange gewar- ein grosser Schritt in die richtige Richtung. Die konkrete tet werden. Dies betrifft insbesondere die am stärksten be- Umsetzung wird jedoch mit erheblichen Ermessensentschei- troffenen Unternehmen der oben genannten Branchen. dungen verbunden sein. Dies fängt mit der Identifizierung Die Vielzahl und der grosse Umfang der neu zu erheben- von Leasingverhältnissen an und erstreckt sich über eine den Daten erfordert ein systematisches Vorgehen. Je früher Vielzahl von Abgrenzungsfragen wie beispielsweise der Fest- diese Daten effizient und mit der erforderlichen Qualität vor- legung der Leasingdauer und der Bestimmung des Diskont- liegen, desto eher kann mit der detaillierten Auswirkungs- satzes. Die unterschiedliche Auslegung dieser Ermessens- analyse begonnen werden. So können Unternehmen Zeit für fragen droht dann in der Praxis die angestrebte Vergleich- die notwendigen strategischen und operativen Entscheidun- barkeit zumindest teilweise wieder zunichte zu machen. gen gewinnen. Hier empfiehlt sich zunächst ein abgestuftes Dazu trägt auch der Umstand bei, dass FASB und IASB sich Vorgehen im Rahmen einer 80-20-Analyse. Die Parameter nicht auf einen einheitlichen Standard einigen konnten. der wichtigsten und grössten Verträge sind zu analysieren Darüber hinaus ist die Implementierung von IFRS 16 für und die entsprechenden Auswirkungen auf die Finanzbe- die betroffenen Unternehmen mit erheblichen Kosten ver- richterstattung zu quantifizieren. Sowohl für die Daten- bunden. Ob dieser Aufwand gerechtfertigt ist und für die sammlung als auch für die Auswertung und die Auswir- Abschlussadressaten zu einem den Aufwand übersteigen- kungsanalyse stehen verschiedene IT-Lösungen zur Verfü- den zusätzlichen Informationsnutzen führt oder in der gung, die in einem vorgelagerten Auswahlprozess evaluiert Schweiz eine neue Wechselwelle zu Swiss GAAP FER auslöst, und implementiert werden müssen. bleibt abzuwarten. Eines der analysierten Unternehmen im Auf Basis der ersten Analyse können auch die Auswirkun- Schweizer Markt, das mit einem Eigenkapitalquotenrück- gen wichtiger Bilanzierungsentscheidungen, wie der Inan- gang von über 20% betroffen wäre, wendet bereits seit län- spruchnahme der Erleichterungsoptionen für «low value as- gerem Swiss GAAP FER an und entgeht somit diesem erheb- sets» oder die Trennung von Leasing- und Serviceverträgen lichen Einschnitt. n simuliert werden, um die Entscheidungen über die konkrete Bilanzierungspolitik des Unternehmens zu unterstützen. Aufgrund der Vielzahl der Ermessensentscheidungen mit Anmerkungen: 1) Richtwert gemäss IFRS 16 «Basis für Schlussfolgerun- ihren zum Teil erheblichen Auswirkungen empfiehlt es sich, gen». Fragen zur Umrechnung, allfälligen Veränderung des Werts durch den Abschlussprüfer frühzeitig in das Implementierungs- beispielsweise Inflation und Anwendbarkeit bei unterschiedlichen Preisni- veaus sind noch nicht abschliessend geklärt. 2) IFRIC 4 – Feststellung, ob projekt einzubinden und wesentliche Entscheidungen abzu- eine Vereinbarung ein Leasingverhältnis enthält // SIC 15 – Operating-Lea- stimmen. singverhältnisse Anreize // SIC 27 Beurteilung des wirtschaftlichen Gehalts Ausserdem empfiehlt sich, bereits jetzt mit der Daten- von Transaktionen in der rechtlichen Form von Leasingverhältnissen. 3) IFRS 16.C5(b). 4) IFRS 16.B39. 5) IASB, Effects Analysis of IFRS 16 (http:// sammlung zu beginnen und möglichst bald die unter dem www.ifrs.org/Current-Projects/IASB-Projects/Leases/Documents/IFRS_16_ gegenwärtigen IAS 17 ausgewiesenen vertraglichen Off-ba- effects_analysis.pdf, Abruf 3. 8. 2016). 652 E X P E R T F O C U S 2016 | 9
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