Pneumologie - highlighted - Bayerisches Ärzteblatt
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Pneumologie – highlighted Die drei hier vorgestellten Patienten mit zweite Fallpräsentation, dass sowohl Iden- Patient 1 – Notfall. Ex-Raucherin akuten und chronischen Veränderungen tifikation des auslösenden Agens als auch mit Dyspnoe und Somnolenz aufgrund sehr unterschiedlicher Ätiologien die Überzeugung des Patienten zur konse- Anamnese (hier: infektiologisch, immunologisch-all- quenten Karenz eine Herausforderung dar- Die 54-jährige Patientin stellt sich mit seit Ta- ergologisch, maligne) vermitteln einen Ein- stellen können. gen zunehmender Müdigkeit und deutlicher druck vom Spektrum der Pneumologie. Verschlechterung einer bekannten Belastungs- In der pneumologischen Onkologie kann dyspnoe, begleitet von neu aufgetretenem Hus- Insbesondere bei kritisch Kranken wird die heute bei Patienten mit metastasiertem ten mit gelblichem Auswurf in der Notaufnahme komplexe Regulation der Ventilation – vom nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom durch vor. Eine COPD sei bekannt, die Patientin nutze Atemzentrum bis zur Atemmuskulatur – ein Salbutamol Dosier-Aerosol bei Bedarf. Vor Kombination aus Chemo- und Immunthe- deutlich. Die erste Fallvignette beschreibt acht Monaten habe sie ihre „letzte Zigarette“ rapie ein längeres Überleben mit mehr Le- geraucht (zuvor kumulativ 70 pack years). eine der häufigen pneumologischen Not- bensqualität erzielt werden. Gleichzeitig fallsituationen und erläutert anhand der stehen für einen Teil der Erkrankten orale, Verlauf pathophysiologischen Veränderungen ak- In der Notaufnahme präsentiert sich eine adipö- zielgerichtete Substanzen zur Verfügung. tuelle apparative Optionen zur Therapie von se, beginnend somnolente Patientin mit verlän- Die dritte Kasuistik demonstriert die diag- Ventilation und Gasaustausch. gertem Exspirium und exspiratorischem Giemen nostische und therapeutische Vorgehens- über den basalen Lungenabschnitten beidseits. Die Lunge steht mit jeder In- und Exspira- weise bei metastasiertem Lungentumor In der arteriellen Blutgasanalyse unter Raumluft tion mit der Umwelt unmittelbar im Aus- unter Einsatz aller oben genannter Moda- findet sich eine deutliche Hypoxämie und Hy- tausch. Der Anteil pneumologischer Er- litäten. perkapnie mit Azidose (SpO2 57 Prozent, PaO2 29 mmHg, PaCO 2 64 mmHg, pH 7,27). Somit krankungen durch inhalative Noxen oder Allen hier vorgestellten Patienten ist ge- liegt eine respiratorische Insuffizienz Typ II Allergene im privaten oder beruflichen Um- mit nicht kompensierter respiratorischer Azi- feld ist erheblich. Gelingt die konsequente meinsam, dass die Lungenerkrankung bzw. dose vor (Tabelle 1). Karenz, verbessern sich Symptomatik, Prog- deren Therapie bei einer Infektion der Atem- nose, und der Bedarf an pharmakologischer wege (zum Beispiel SARS-CoV-2) das Risiko Unter sofortiger Sauerstoffgabe via Nasenbrille Therapie sinkt. Allerdings verdeutlicht die für einen schwergradigen Verlauf erhöht [1]. verbessert sich zwar die Oxygenierung (SpO2 128 Bayerisches Ärzteblatt 4/2021
Titelthema Dr. Anna Krandick Dr. Konrad Kokowski Dr. Philipp Krainz Dr. Peter Schramm Professor Dr. F. Joachim Meyer 75 Prozent) innerhalb von wenigen Minuten, Respiratorische allerdings verschlechtert sich der Grad der PaO2* PaCO2 Störung Insuffizienz Hyperkapnie und die Patientin wird zunehmend somnolent. Typ I normal* 35 – 45 mmHg Oxygenierung Typ II normal* oder erniedrigt > 45 mmHg Ventilation In der Notaufnahme wird daher zeitnah eine Tabelle 1: Formen der respiratorischen Insuffizienz. nicht-invasive Beatmung (NIV) via Nasen-Mund- * Normwert für PaO2 ist altersabhängig und lässt sich mit der Faustformel nach Murray abschätzen: Soll-PaO2 Maske eingeleitet. Im kurzfristigen Verlauf = 102 – (Lebensalter x 0,33). Beispiele für Sollwert: PaO2 > 95 mmHg (ca. 20 Jahre) oder PaO2 > 75 mmHg (ca. 80 Jahre). kommt es unter NIV (IPAP 14 mbar, EPAP 6 mbar, O2-Zufuhr 2 l/min) zur Abnahme der Hyperkapnie und zu einer geringen Besserung der Somnolenz. Es erfolgt die Verlegung auf die Intensivstation. Dort wird die leitliniengerechte Behandlung der infektassoziierten COPD-Exazerbation fortge- setzt, die unter anderem Antibiotika-, systemische Steroid- (Piperacillin/Tazobactam i.v., Prednisolon 40 mg p. o. über fünf Tage) sowie antiobstruktive Inhalationstherapie umfasst [2]. Am Abend des Folgetages ist die Patientin wach und verweigert die Fortführung der mittlerweile nur noch inter- mittierenden NIV. Unter Sauerstoffgabe kommt es innerhalb von zwölf Stunden zu einer deutlichen CO2-Retention. Erneut imponiert eine zunehmende Somnolenz. Arterielle Blutgasanalysen bestätigen einen PaCO2 zwischen 70 bis 90 mmHg. Bei inter- mittierendem Delir wird phasenweise eine nasale High-Flow-Therapie angewendet, da die Patientin unter der Mund-Nasen-Maske (sogenannte „Full Abbildung 1: Unter nicht-invasiver Beatmung gelingt die Normalisierung der Hyperkapnie Face Mask“; deckt Nase-Mund ab, lässt Stirn- (Monitoring des transkutanen Partialdrucks für CO2) während der Nacht. Bayerisches Ärzteblatt 4/2021 129
Titelthema Augen frei) Panik empfindet. Darunter kommt es Absolute Kontraindikationen Relative Kontraindikationen zu einer Normalisierung der Oxygenierung, aber fehlende Spontanatmung hyperkapnisch bedingtes Koma nur zu einer geringen Besserung der Hyperkapnie. Schnappatmung massive Agitation Erst nach wiederholter Aufklärung über die er- fixierte oder funktionelle Verlegung massiver Sekretverhalt trotz Bronchoskopie höhte Mortalität bei langfristiger Hyperkapnie der Atemwege infolge von Versagen der Atempumpe bei Pati- gastrointestinale Blutung schwergradige Hypoxämie oder Azidose (pH < 7,1) enten mit COPD können bei ihr Maske und NIV Ileus hämodynamische Instabilität angepasst werden. Bei deutlich gebesserter Vi- (kardiogener Schock, Myokardinfarkt) gilanz, Eupnoe und rückläufiger Hyperkapnie in Blutgasanalysen unter nächtlicher NIV kann sie nicht-hyperkapnisch bedingtes Koma anatomische u./o. subjektive Interface-Inkompatibilität auf unsere spezialisierte Station für Patienten Zustand nach oberer gastrointestinaler Operation mit außerklinischer Beatmung übernommen wer- Tabelle 2: Kontraindikationen für die nicht-invasive Ventilation. den. Dort wird der Inspirationsdruck im Bereich 20 bis 30 cm H2O während nächtlicher transku- taner Kapnometrie (PtcCO2-Messung) adaptiert (siehe Abbildung 1). Mindestens ein Kriterium soll erfüllt sein Chronische Tages-Hyperkapnie mit PaCO2 ≥ 50 mmHg Die Patientin gibt keine Tagesmüdigkeit mehr an, Nächtliche Hyperkapnie mit PaCO2 ≥ 55 mmHg wirkt deutlich wacher und verneint Dyspnoe. Die bisher unbehandelte COPD wird therapiert und die Tages-Hyperkapnie mit 46 – 50 mmHg und Anstieg PtcCO2 um ≥ 10 mmHg während des Schlafs Patientin erhält eine Schulung in der Anwendung Nach akuter, beatmungspflichtiger respiratorischer Azidose, wenn > 14 Tage nach Beendigung der der Inhalationstherapie und der NIV sowie Bera- Akut-Beatmung PaCO2 > 53 mmHg tung und Anbindung an eine Adipositas-Ambulanz Nach prolongiertem Weaning, wenn Dekanülierung nur unter NIV möglich ist und diese zur Kontrolle zur Gewichtsreduktion. Eine stationäre pneumo- von Symptomen und Hyperkapnie langfristig notwendig ist logische Rehabilitation wird beantragt. Tabelle 3: Kriterien für Einleitung einer außerklinischen Beatmung bei COPD. Bei einer Kontrolluntersuchung nach acht Wo- chen und erfolgter Anschlussheilbehandlung zeigen sich eine regelmäßige und ausreichend lange Nutzung der NIV (100 Prozent der Tage, 6 h 20 min durchschnittlich). Ein möglichst frühzeitiger Beginn ist dabei wich- durch HFNC nicht ausreichend. Die NIV ist dabei tig. Vor allem Patienten mit einem pH von 7,30 effektiver in der Entlastung der Atemarbeit [6]. Diskussion bis 7,35 profitieren hinsichtlich niedrigerer Intu- In unserem Fall belastet neben der schweren Unser Fall zeigt die Risiken einer akuten Ver- bationsrate und gesenkter Mortalität. Bei einem COPD zusätzlich die Obesitas-Hypoventilation schlechterung bei Patienten mit chronischer pH < 7,3 ist der Erfolg einer NIV nicht eindeutig bei Adipositas Grad III (BMI von 40 kg/m2) die Überlastung der Atempumpe. Die häufigste Ur- belegt. Bei vorhandener Spontanatmung und Atemmuskulatur langfristig. sache ist, wie auch in diesem Fall, eine COPD. einem pH von 7,27 wurde im vorliegenden Fall Andere Ursachen bzw. deren Kombination kön- unter kontinuierlichem Monitoring mit einer Bei Vorliegen einer chronisch respiratorischen nen zur chronischen Erschöpfung der Atemmus- NIV mit einer Mund-Nasen-Maske begonnen. Insuffizienz ist bei ausgewählten Patienten kulatur mit progredienter Hyperkapnie führen: Entscheidend ist eine kurzfristige Re-Evaluation (Tabelle 3) die Etablierung einer Langzeit-NIV unter anderem neuromuskuläre Erkrankungen, nach spätestens ein bis zwei Stunden. Ergibt indiziert [7]. Bei COPD-Patienten mit stabiler Zwerchfellparese, thorakal-restriktive Erkrankun- sich keine signifikante Besserung der Hyper- Hyperkapnie konnte die erhöhte Mortalität gen wie eine Kyphoskoliose oder das Obesitas- kapnie, Azidose und Hypoxämie sowie klinische durch Einleitung einer Langzeit-NIV signifikant Hypoventilations-Syndrom [3]. Verbesserung (Dyspnoe, Atem-, Herzfrequenz, gesenkt werden [8]. Vigilanz) sollte eine Intubation mit invasiver Durch eine akute Verschlechterung der Grunder- Beatmung erfolgen [4]. Die Einleitung der außerklinischen NIV sollte in krankung zum Beispiel im Rahmen einer COPD- einem Zentrum für außerklinische Beatmung Exazerbation kommt es zu einer CO2-Retention, Da sich unsere Patientin klinisch nach den ge- mit entsprechender Ausstattung, Erfahrung und welche nicht mehr metabolisch kompensiert wer- nannten Kriterien besserte, wurde die NIV fort- Expertise erfolgen. Bei der individuellen Anpas- den kann. Trotz erhöhtem HCO3- entwickelt sich geführt. Die Patientin besserte sich von der Vigi- sung einer außerklinischen NIV haben sich die eine deutliche respiratorische Azidose. Es folgt lanz, entwickelte aber ein Delir und verweigerte inspiratorische Druckunterstützung von 20 bis oftmals eine zunehmende Störung der Vigilanz die NIV. Ein Versuch mittels High-Flow-Therapie 30 mbar, ein exspiratorischer Druck von min- bis zum Koma. Eine rasche Therapieeinleitung wurde unternommen. Dabei wird über eine spe- destens 6 mbar, die Einstellung einer (Back-up-) ist daher notwendig. Um die Komplikationen zielle Nasenkanüle mit hohen Flussraten („High Atemfrequenz und die Nutzung unterschiedlicher einer invasiven Beatmung (unter anderem be- Flow Nasal Cannula“, HFNC) Sauerstoff appliziert. Maskentypen (Nasenmasken, Mund-Nasen- oder atmungsassoziierte Pneumonie, Notwendigkeit Somit kann die Oxygenierung verbessert werden. Vollgesichtsmasken) bewährt. einer tiefen Sedierung, Risiko des prolongierten Durch die hohen Flussraten kommt es zusätzlich Weanings bei Lungenvorerkrankung) zu vermei- zu einer Auswaschung des oberen Totraumes Im Verlauf sollten mindestens ein- bis zweimal den, sollte mit einer NIV begonnen werden [4]. und somit zu einer Reduktion des PaCO 2 [5]. im Jahr Kontrollen durchgeführt werden [3]. Hierbei sind Kontraindikationen zu beachten Bei unserer Patientin gelang die Entlastung der Dabei sollte durch die NIV eine Normokapnie (Tabelle 2 nach [4]). Atempumpe und Korrektur der Hyperkapnie bzw. PaCO2-Reduktion um mehr als 20 Prozent 130 Bayerisches Ärzteblatt 4/2021
Titelthema erreicht werden, als Zeichen einer ausreichenden Entlastung der Atempumpe. Wird eine Langzeit-NIV nach fachgerechter Ein- stellung und entsprechender Patientenschulung konsequent genutzt, sind die Ziele einer verbes- serten Lebensqualität mit verminderter Tages- müdigkeit, geringerer Atemnot und erhöhter Leistungsfähigkeit sowie die Verringerung von Exazerbationen und die Vermeidung einer Sauer stoff-Langzeittherapie realistisch erreichbar. Patient 2 – Vermeidbare Erkrankung eines Tierfreundes In unserer pneumologischen Klinik stellte sich ein 46-jähriger arabischer Patient aus Katar zur weiteren Abklärung von progredienter Belas- tungsdyspnoe (aktuell bereits nach einer Etage Treppensteigen) und unproduktivem Husten seit Abbildung 2: Initiale Computertomografie des Thorax. Beidseits ausgedehnte Milchglastrübung mit angedeutetem mehr als drei Jahren vor. Zudem berichtete er Mosaikmuster und multiple Milchglasherde mit zentrilobulärer Verteilung (Pfeile). von einzelnen Tagen mit grippeähnlichen Be- schwerden, allerdings ohne Fieber. Als Beamter geht er einer Bürotätigkeit nach, Nikotinkonsum bestand bis vor zehn Jahren (kumulativ ca. zehn 2 pack years). Ein CT-Thorax vor zwei Jahren habe im Heimat- land beidseits noduläre Veränderungen gezeigt, die er aber nicht weiter abklären ließ. Das aktuelle CT-Thorax zeigte grenzwertig ver- größerte mediastinale Lymphknoten und die ausgedehnten Veränderungen im Lungenpar- enchym in Abbildung 2. Ferner imponierte eine schwere Restriktion (Vi- talkapazität 41 Prozent des Sollwertes) sowie eine mittelgradige Diffusionsstörung. Die Fahr- radergometrie im Sitzen bestätigt eine deutliche Einschränkung der Sauerstoffaufnahme (peak VO2 55 Prozent Soll) bei vorwiegend pulmonal- ventilatorischer Limitation mit Tachypnoe ohne wesentliche Steigerung des Tidalvolumens sowie vollständig aufgebrauchter Atemreserve (BR) ei- nerseits und Abfall des PaO2 von 79 mmHg in Ruhe auf 53 mmHg unter Belastung bzw. O2- Entsättigung (SpO2 97 Prozent auf 80 Prozent) 7 8 9 andererseits. Trotz einzelner Hinweise auf eine kardio-zirkulatorische Limitierung, erkennbar an 20/min dem eingeschränkten Anstieg des O2-Pulses und PaO2 geringfügig erhöhtem Verhältnis von Atemminu- 79 53 mmHg tenvolumen zu CO2-Abgabe (VE/VCO2 slope), spielt diese nur eine untergeordnete Rolle (Abbildung 3). 50/min BR 0 Bei der Bronchoskopie erfolgte eine bronchoal- veoläre Lavage, die sich als stark lymphozytär (67 Prozent – Norm: < 10 bis 15 Prozent) mit normalem Verhältnis der CD4/CD8-Lymphozy- Abbildung 3: Initiale Spiroergometrie, 9-Felder-Grafik. Eingeschränkte Belastbarkeit mit führender Limitierung durch die tensubpopulationen herausstellte. Mittels en- restriktive Ventilationsstörung (rasche, flache Atmung) in Feld 7 mit Aufbrauchen der Atemreserve in Feld 8 und durch dobronchialem Ultraschall wurden Lymphknoten- die Gasaustauschstörung (Deoxygenierung unter Belastung) in Feld 9 bzw. Abfall der O2-Sättigung in Feld 2. Bayerisches Ärzteblatt 4/2021 131
Titelthema Feinnadelaspirationen vorgenommen, die keine Im aktuellen Fall lagen fünf der sechs Kriterien zum Beispiel beim Umgang mit Heu und Stroh Besonderheiten zeigten. In den transbronchialen vor. Lediglich die Symptomatik zeigte nicht die freigesetzt und inhalativ aufgenommen werden Kryobiopsien aus dem linken Oberlappen impo- geforderte Expositions- bzw. Zeitabhängigkeit. (sogenanntes „Drescherfieber“). Mit einer Latenz nierten nach histologischer Aufarbeitung ne- Fehlt eines der vorgenannten Kriterien, so kann von vier bis acht Stunden treten extra-pulmonale ben einer vermehrten Lymphozyteninfiltration es durch nachfolgende Kriterien ersetzt werden: Symptome auf: Fieber, Atemnot, Abgeschlagen- auch fibrotische Areale und auch mehrkernige Lymphozytose in der BAL, mit EAA vereinbarer heit, Myalgien und Kopfschmerzen. Allerdings Riesenzellen, allerdings ohne Granulombildung histopathologischer Befund der Lunge, positiver können Betroffene auch Husten und Dyspnoe wie zum Beispiel bei Sarkoidose. Karenztest, positive inhalative Expositions- oder zeigen, was die klinische Differenzialdiagnose Provokationstestung [9]. Da sowohl der histo- zur EAA erschweren kann [9]. Ein ODTS kann Erst auf wiederholte Nachfrage gibt der Patient pathologische Befund mit EAA vereinbar war bei mehreren gleichzeitig exponierten Personen an, in seiner Freizeit eine Renntaubenzucht, die als auch eine Lymphozytose in der BAL vorlag, auftreten, was wiederum bei der EAA eine Sel- er selbst mit Einstreu und Stroh versorgt, zu bestätigte sich abschließend die Diagnose einer tenheit darstellt. Die Symptome des ODTS ver- betreiben. exogen-allergischen Alveolitis. Aufgrund der schwinden meist innerhalb von Stunden (selten prominenten Klinik wurde eine orale Steroidthe- Tagen) spontan. Die Differenzierung zwischen den Die Verdachtsdiagnose einer exogen-allergischen rapie mit zunächst 0,5 mg/kg Körpergewicht in beiden Entitäten fasst Tabelle 4 zusammen [9, 10]. Alveolitis (EAA) erhärtete sich durch den serolo- ausschleichender Dosierung begonnen. Der Pa- gischen Nachweis von präzipitierenden Antikör- tient gab seine Renntaubenzucht erst nach zwei pern (Typ IgG), im Speziellen gegen Hühner- und weiteren akuten Rezidiven der EAA sehr ungern Patient 3 – Metastasiertes Platten vor allem gegen Taubenfedern. auf. Seither zeigen Kontrollen eine anhaltende epithelkarzinom der Lunge klinische Besserung. Für das Vorliegen einer EAA spricht der Nachweis Anamnese folgender sechs Kriterien: Antigen-Exposition, Eine wichtige Differenzialdiagnose zur EAA ist Ein 61-jähriger Patient stellt sich mit Husten, expositions- und/oder zeitabhängige Sympto- das „Organic dust toxic syndrome“ (ODTS). Das Gewichtsabnahme und ossären Schmerzen im me, Nachweis spezifischer IgG-Antikörper im im Gegensatz zur EAA 30 bis 50 mal häufiger Beckenbereich vor. In der Computertomografie Serum, Sklerosiphonie (sogenanntes Knisterras- auftretende ODTS wurde erstmalig Mitte der von Thorax/Abdomen/Becken zeigen sich eine im seln), radiologische Zeichen einer EAA, PaO2 in 1970er-Jahre beschrieben [10]. Es handelt sich Längsdurchmesser 7 cm große Raumforderung Ruhe und/oder unter Belastung erniedrigt oder hierbei um eine nicht-immunologische Reak im linken Lungenoberlappen, eine diffuse media- Diffusion eingeschränkt. tion des Körpers auf bakterielle Endotoxine, die stinale Lymphadenopathie sowie disseminierte Exogen-allergische Alveolitis (EAA) Organic dust toxic syndrome (ODTS) Inzidenz (pro 10.000 und Jahr) 2 – 30 20 – 190 Mehrere Personen (Cluster) Selten Häufig Raucher Nichtraucher > Raucher Nichtraucher > Raucher Exposition Wiederholte Exposition gegenüber dem Allergen Einmalige intensive Exposition: Organische Stäube, schimmeliges Getreide, Silage, Heu, Holzschnitzel, Textilien mit Fusarium (Aflatoxin produzierender Pilz) Auslöser Antigene verschiedener Stoffe, z. B. Pilze Endotoxine, Peptidoglycane, Mycotoxine Latenz nach Exposition 4 – 12 h, oft rezidivierend, auch nach geringfügiger 4 – 8 h nach intensiver Staub- oder Endotoxinexposition Exposition (oft nur Einzelepisode) Symptome Husten, (Belastungs-)Dyspnoe Vor allem unspezifisch, extrapulmonal: Fieber, Frösteln, Selten: Fieber Krankheitsgefühl, Myalgien, Kopfschmerzen Selten: Dyspnoe, Husten, thorakales Engegefühl Auskultation feinblasige Rasselgeräusche, endinspiratorisch Normal, ggf. vereinzelte Rasselgeräusche und betont basal Radiologische CT: Milchglas, fibrotische Veränderungen Selten Veränderungen Blutgasanalyse Bei zunehmender Diffusionsstörung: signifikante Normal, selten leichte Hypoxämie Hypoxämie Lungenfunktion Restriktion, Diffusionsstörung, später oft auch Normal, ggf. leichte Restriktion Obstruktion Präzipitine Meist positiv Grundsätzlich negativ Broncho-alveoläre Lavage Lymphozytose, meist massiv erhöht > 50 %, Neutrophilie CD4/CD8-Quotient häufig erniedrigt Tabelle 4: Differenzierung zwischen exogen-allergischer Alveolitis und „Organic dust toxic syndrome“. 132 Bayerisches Ärzteblatt 4/2021
Titelthema Abbildung 4: CT-Thorax mit Darstellung eines Plattenepithelkarzinoms im linken Oberlappen, welcher nach chemotherapeutischer Behandlung progredient und sympto- matisch war (links). Rechts: Gute Remission drei Monate nach Nachweis eines ROS1-Rearrangements und Einleitung der zielgerichteten Behandlung mit Crizotinib. osteolytische Läsionen (die größten davon im chenstabilisierend wirkenden Bisphosphonaten molekular zu untersuchen. Hier kann ein ROS1- linken Femur und in der Lendenwirbelsäule). Die (Zoledronsäure). Rearrangement nachgewiesen werden. Somit Raucheranamnese ergibt lediglich zehn pack years. liegt eine Aktivierung der tumorwachstumsför- Nach initial gutem Ansprechen mit partieller dernden Rezeptortyrosinkinase ROS1 vor, welche Verlauf Regredienz des Tumors im linken Oberlappen, die Option zur zielgerichteten Behandlung mit- In der bronchoskopisch gewonnenen Tumorpro- kommt es nach sieben Monaten unter fortge- tels des zugelassenen, oralen Multikinasehem- be kann histologisch ein Plattenepithelkarzinom führter Erhaltungstherapie mit Pembrolizumab mers Crizotinib eröffnet. Nach dreimonatiger, nachgewiesen werden. Das leitliniengerechte zum klinisch relevanten Progress thorakal und nebenwirkungsarmer Therapie (leichte Übelkeit Staging ergibt das Stadium IV der Erkrankung Wiederauftreten der initialen Symptomatik, ins- und geringgradiger Durchfall), kommt es zur kli- [11]. In der interdisziplinären Tumorkonferenz besondere des Hustens mit erstmalig Hämop- nisch relevanten partiellen Remission des Tumors entscheidet man sich, angesichts des guten All- tysen. Da angesichts der Tumorgröße von 6 cm (siehe Abbildung 4), die pulmonale Symptomatik gemeinzustandes und fehlender Komorbiditäten keine lokale Therapie (wie Bestrahlung) möglich sistiert vollständig. Ein Jahr nach der Einleitung zur systemischen Chemotherapie mit Carboplatin/ ist, erfolgt eine Zweitlinien-Chemotherapie mit der Therapie mit Crizotinib besteht bei dem Pa- Nab-Paclitaxel (nanopartikelgebundene Form des Gemcitabine, welche jedoch weder das Tumor- tienten immer noch eine symptomlose, stabile Paclitaxels) kombiniert mit einer Immunothera- wachstum noch die Symptome beeinflussen kann. Erkrankung. pie mit Pembrolizumab (Carboplatin AUC6 Tag 1, Nab-Paclitaxel 100 mg/m2 Tag 1, 8, 15 und Pemb- In Anbetracht des vergleichsweise geringen Ni- Diskussion rolizumab 200 mg absolut Tag 1, Wdh. Tag 21) [12]. kotinkonsums wird in der Tumorkonferenz vor- Aufgrund der ausgedehnten Metastasierung Die schmerzhaften ossären Metastasen werden geschlagen, trotz Vorliegens eines Plattenepi- bestand von Therapiebeginn an keine kurative parallel analgetisch bestrahlt, der Patient er- thelkarzinoms die Tumorprobe des Patienten Intention. Die initiale chemotherapeutische Be- hält zusätzlich monatlich eine Infusion mit kno- mittels NGS („next-generation-sequencing“) handlung hatte das Ziel, die große Tumorlast des Patienten im thorakalen Bereich zu reduzieren und damit eine Symptomkontrolle zu erreichen. Die Hinzunahme der Immuntherapie, welche seit 2018 einen Standard darstellt, trägt nicht nur zu Nachweisbare molekulare Veränderung Medikament besseren Ansprechraten bei, sondern ermöglicht einem Teil der Patienten (bis zehn Prozent) eine EGFR Exon 19 oder 21 Mutation Erlotinib, Gefitinib, Afatinib, Osimertinib, Dacomitinib Stabilität der Tumorerkrankung über Monate bis ALK Translokation Crizotinib, Ceritinib, Lorlatinib, Brigatinib Jahre hinweg zu erreichen [13]. ROS1 Translokation Crizotinib, Entrectinib BRAF V600E Mutation Dabrafenib/Trametinib Die initiale intensive Chemoimmuntherapie wird nach etwa zwölf Wochen überführt in eine für NTRK Fusion Entrectinib den Patienten angenehmere Erhaltungsphase, RET Fusion Pralsetinib (HF), Selpercatinib in der bis zum relevanten Fortschreiten des Tu- EGFR Exon 20 Mutation Mobocertinib (HF) mors nur die Immuntherapie im dreiwöchigen Tabelle 5: Molekulare Targets bei Lungenkarzinom. Bei Nachweis dieser Mutationen stehen Therapieoptionen Rhythmus verabreicht wird. Kommt es unter mit aktuell zugelassenen Medikamenten oder nach Einschluss in ein Härtefallprogramm (HF) zur Verfügung. der immuntherapeutischen Erhaltung zum the- Bayerisches Ärzteblatt 4/2021 133
Titelthema rapiebedürftigen Progress, sind die weiteren einen Standard bei jedem Patienten im meta- Gegensatz dazu werden die Plattenepithelkarzi- therapeutischen Optionen, insbesondere beim stasierten Stadium darstellt. Bei mindestens nome der Lunge seltener molekular getestet, weil Plattenepithelkarzinom, sehr limitiert und nicht zehn Prozent der Patienten, insbesondere bei die therapeutisch relevanten Mutationen nur sehr gut durch Evidenz belegt. In diesem Stadium des jüngeren Erkrankten, Nie-Rauchern, Frauen oder selten nachweisbar sind. In sporadischen Fällen, Behandlungsverlaufs sind bei den meisten Pa- Patienten asiatischer Herkunft, gelingt der mo- bei denen der Patient wenig (unter 15 pack years) tienten die effektivsten systemisch wirksamen lekulare Nachweis solcher genetisch bedingten oder nie geraucht hat, muss jedoch die Erhebung Medikamente bereits zum Einsatz gekommen. Angriffspunkte [14]. Bei diesen Patientengrup- von therapierelevanten Mutationen (Tabelle 5) pen findet man solche Treibermutationen oder durchgeführt werden [15]. Eine „zielgerichtete Therapie“ ist die Domäne Translokationen häufiger. Hier spielt die gene- beim häufiger vorkommenden Adenokarzinom, tische Prädisposition (und nicht das Rauchen) in Auch in einem zertifizierten Lungenkrebszent- bei dem die entsprechende molekulare Testung der Karzinogenese eine entscheidende Rolle. Im rum mit hohem Patientenaufkommen gelingt es pro Jahr nur äußerst selten, Patienten mit Plat- tenepithelkarzinomen der Lunge und zugleich therapierelevanten aktivierenden Mutationen zu identifizieren. Kritisch muss man anmerken, dass Das Wichtigste in Kürze die zielgerichteten Therapien zum Teil erhebliche Nebenwirkungen aufweisen können und deshalb Fall 1: von onkologischen Experten in Kooperation mit Eine dauerhaft gesteigerte Last der Atempumpe (zum Beispiel bei COPD oder Obesitas-Hy- einem zertifizierten Lungenkrebszentrum durch- poventilations-Syndrom) kann akut zur Dekompensation der Atemmuskelschwäche mit Ver- geführt werden sollten. Im hier dargestellten schlechterung der Vigilanz führen (Hyperkapnie durch Hypoventilation!). Fall, konnte durch den molekularen Ansatz eine langfristige Krankheitskontrolle erreicht wer- Die Akuttherapie der hyperkapnisch bedingten Vigilanzstörung sollte primär mittels einer den – im Fall eines erneuten Progresses mit der nicht-invasiven Beatmung (NIV) erfolgen. Durch die NIV kann die akute respiratorische Stö- zusätzlichen Option einer weiteren Off-Label- rung meist effektiv und rasch verbessert werden. Behandlung mit dem Kinasehemmer Lorlatinib. Bei fortbestehender Hyperkapnie oder Risikofaktoren dafür ist eine dauerhafte häusliche NIV Das Literaturverzeichnis kann im Internet indiziert, welche mit fachgerechter Einstellung und Patientenschulung in einer spezialisier- unter www.bayerisches-aerzteblatt.de ten Einrichtung eingeleitet werden sollte. Bei konsequenter Nutzung kann durch die NIV eine (Aktuelles Heft) abgerufen werden. verbesserte Lebensqualität mit verminderter Tagesmüdigkeit, geringerer Atemnot und einer erhöhten Leistungsfähigkeit sowie einer verbesserten Prognose von Patienten mit COPD er- Die Autoren erklären, dass sie keine finan- reicht werden. ziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten haben, deren Interessen vom Ma- Fall 2: nuskript positiv oder negativ betroffen sein Das häufiger auftretende „Organic dust toxic syndrome“ (ODTS) ist eine wichtige Differenzial- könnten. diagnose zur exogen allergischen Alveolitis (EAA). Die EAA tritt meist bei Nichtrauchern nach wiederholter Exposition gegenüber einem Allergen auf und imponiert häufig durch Husten, Dyspnoe und eine Diffusionsstörung. Sowohl die akute als auch die chronische Form der EAA erfordern exakte Diagnostik (unter anderem hochauflösendes CT-Thorax, Immunzytologie der broncho-alveoläre Lavage, präzipi- Autoren tierende IgG-Antikörper im Serum). Dr. Anna Krandick Dr. Konrad Kokowski Gelingt es das Allergen im häuslichen oder privaten Umfeld zu identifizieren und zu eliminie- Dr. Philipp Krainz ren, lässt sich der Einsatz einer immunsuppressiven Therapie deutlich reduzieren. Dr. Peter Schramm Professor Dr. F. Joachim Meyer Fall 3: Für Patienten mit metastasiertem Karzinom der Lunge stehen heute, neben der konventio- Lungenzentrum München (Bogenhausen- nellen Chemotherapie, weitere medikamentöse Modalitäten wie Immuntherapie oder zielge- Harlaching), München Klinik gGmbH, richtete Therapie zur Verfügung. Bei der komplexen Therapiesteuerung und Beherrschung der Englschalkinger Straße 77, 81925 München, Nebenwirkungen profitieren die Patientinnen und Patienten von einer guten Zusammenarbeit Tel. 089 9270-2281, E-Mail: zwischen Hausärzten, ambulanten Onkologen und Pneumologen sowie den Spezialisten in zer- pneumologie.kb@muenchen-klink.de tifizierten Lungenkrebszentren. 134 Bayerisches Ärzteblatt 4/2021
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