Overthrust: Exotismus im Death Metal - Norient

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Overthrust: Exotismus im Death Metal - Norient
Overthrust: Exotismus im Death Metal | norient.com                        24 Feb 2022 14:01:46

    Overthrust: Exotismus im
    Death Metal
    by Dominik Irtenkauf

    Die botswanische Death Metal-Band Overthrust tourte 2016
    auf Einladung des Hamburger Kampnagel Theaters durch
    Deutschland. Dabei trafen sie auf offene Ohren, aber auch
    geschlossene Weltbilder. War es womöglich der Kunst-
    Kontext des Theaters, der den Exotismus-Faktor offenbarte?
    Eine Reflektion.

    Metal ist ein globalisiertes Phänomen. Das heisst nicht, dass der Stil in allen
    Ländern gleich stark vertreten ist. Der afrikanische Kontinent ist noch
    ziemlich unbekannt auf der Weltkarte des Metals. Bands aus Afrika tauchen
    in den Konzertkalendern kaum auf. Die Death-Metal-Band Overthrust stammt
    aus Botswana, wo es weder Vertriebe noch Labels noch professionelle
    Musikzeitschriften gibt. Ihr Debütalbum haben sie selbst produziert, sie
    organisieren ihre eigenen Gigs. Im Mai dieses Jahres haben sie das Overthrust
    Winter Metal Mania Fest ausgerichtet. Dort spielen nicht nur Bands aus
    Botswana, sondern auch aus den Nachbarnationen Südafrika und Namibia.
    Oft sind auch Bands aus Europa zu Gast.

    Das Quartett bekennt sich zu Vorbildern aus der US-amerikanischen und
    skandinavischen Metal-Szene. Im Interview mit Norient unterstreicht Sänger
    Mosaka die Bedeutung Europas für das musikalische Selbstverständnis der
    Band. Bandleader Tshomarelo Mosaka zufolge seien sie sehr an Konzerten
    ausserhalb von Botswana interessiert. Ihr Sound ist die lokale Aktualisierung

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Overthrust: Exotismus im Death Metal | norient.com                        24 Feb 2022 14:01:46

    von einem globalen Sound. Obwohl sich die Mitglieder in digitalisierten
    Bewusstseins- und Traditionsströmen bewegen, sind sie international
    weitgehend unbekannt. Noch.

    Bruch mit üblichen Umgebung

    Denn mit der Einladung nach Hamburg, wo sie im Sommer 2016 zusammen
    mit der Kölner Black-Metal-Band Ultha auf dem Internationalen
    Sommerfestival auf Kampnagel spielten, bekamen sie erstmals internationale
    Aufmerksamkeit. Das Publikum jedoch, war alles andere als eine typische
    Metal-Crowd, sondern ein Publikum, das dem Kunst- und Theater-Kontext
    entstammt. War jener Bruch mit der üblichen Umgebung eine Chance, den
    Blick auf die Abhängigkeiten von westlichen Ohren freizugeben, und den bis
    heute verbreiteten Drang, Musik lokal zu fixieren, zu dekonstruieren?
    Immerhin werden seit dem kommerziellen Erfolg von Sepultura aus Brasilien
    in den 1990er Jahren Bands aus nicht-euroamerikanischen Nationen als
    Beweis einer besonderen Vielfalt in der Metalszene angeführt.

    Letzteres erfuhr die Band ausserhalb des Theaters zu Genüge. Metal aus
    Afrika hat in der Fachpresse ein ganz anderes Echo als eine Band aus
    Frankreich. So war für die meisten Medien, die über Overthrust berichteten,
    die Herkunft stets von größerer Bedeutung als ihre Musik. Die afrikanische
    Herkunft der Band wurde trotz allem Anspruch von Metal, ein globaler Stil zu
    sein, zum kulturellen Kapital. In der Beschreibung des Kampnagel-Konzerts
    heisst es: Die Reihe In/Audible Sound präsentiert drei musikalische Positionen
    aus Äthiopien, Botswana und Südafrika und initiiert einen Austausch mit
    musikalischen Counterparts aus Deutschland. In/Audible zeigt, wie
    vermeintlich «westlich» konnotierte Musik-Stile globale Phänomene waren
    und sind.

    Kritisch betrachtet kommen Overthrust jedoch aufgrund eines
    nachwirkenden Exotismus-Diskurs nach Europa. In der Selbstwahrnehmung
    der Band identifizieren sich Overthrust mit einem Metal-Publikum. Auf
    Kampnagel wurde die Band vor allem in einen Kunst-Kontext integriert. Aber
    eigentlich wollen die vier vor allem ihre Musik spielen. Sie integrieren keine
    Elemente aus einem künstlerischen oder popkulturellen Diskurs. Die
    Parameter stammen aus dem Death Metal.

    Metal ist «theory in practice»
    Und dafür ist der Kunstkontext nicht notwendig. Die Band nutzt die Einladung
    nach Deutschland als willkommenes Zündungsmoment für neue Kontakte.
    Show und Ansagen sind auf Kommunikation mit den Fans ausgerichtet. Aber
    der Erfolg einer Band ist nicht allein durch konstante Leistung zu erreichen.
    Häufig hängt es von nicht beeinflussbaren Faktoren ab. Vielleicht führt
    Overthrusts Einladung nach Europa zu einer unvorhergesehenen Story: im
    Publikum steht der A&R-Verantwortliche von einem Major-Metal-Label. Nach

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    dem Konzert sucht er die Band auf und bietet einen Plattenvertrag an.
    Vielleicht findet sich in dieser hollywoodtauglichen Szene eine Möglichkeit
    für die Band, auch jenseits ihres lokalen Kontextes bekannter zu werden.

    Oder Overthrust verzichten auf eine Aktualisierung des globalen Death-
    Metal-Sounds, greifen stattdessen lokale Elemente auf und generieren einen
    weiteren Exot. Die Frage ist, ob sie sich dadurch nicht wieder von
    Erwartungen der Branche und der Fans abhängig machen würden. Als könne
    es Death Metal aus Afrika nicht geben. Es könnte auch sein, dass das
    veraltete Equipment der Band in ein paar Jahren zu einem Trademark-Sound
    führt, der breite Fanscharen ob seines archaischen Charakters begeistert.

    Das Machen, so scheint es, ist im Metal-Kontext mehr Wert als das Reden.
    Doing Metal ist bei Overthrust eine «theory in practice»: Death Metal klingt
    im Prinzip in Botswana genau so wie in USA oder Deutschland. Im Metal-
    Diskurs ist die Einsicht, dass Metal ein vermeintlich «westlich» konnotierter
    Musik-Stil sei, nicht so sehr ausschlaggebend, als vielmehr die Macht der
    Gelegenheit. In der Szene herrscht die Überzeugung, dass sich Qualität
    durchsetzen wird, egal aus welchem Land. Häufig werden dabei die externen
    Faktoren ausgeblendet. Die für eine Metalband fremde Umgebung im
    Kampnagel Theater hat jene Faktoren wieder sichtbar gemacht und gezeigt:
    Metal ist nicht gleich Metal.

    → Published on August 11, 2017

    → Last updated on August 07, 2020

    Dominik Irtenkauf works as a freelancing journalist and writer for several magazines
    like Legacy, Telepolis, POP. Kultur & Kritik or Nova. He studied German language
    and literature, Comparative Literature and Philosophy at the WWU in Münster. He
    is still writing a PhD thesis on the soundscape of black in Sound Studies. More often
    he travels to real and imaginary places where his multiple interests lead him to.
    Some longer texts grow by time and might turn up some shiny day. You can find
    some in Georgian language, most in German and several in English.

    → Topics

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