Patientensicherheit im Krankenhaus: Gemeinsam für die Infektions prävention - Untersuchung zur Wirkung eines Programms zur Infektionsprävention ...

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Patientensicherheit im Krankenhaus: Gemeinsam für die Infektions prävention - Untersuchung zur Wirkung eines Programms zur Infektionsprävention ...
Patientensicherheit
im Krankenhaus:
Gemeinsam für
die Infektions­
prävention
Untersuchung zur Wirkung eines
Programms zur Infektionsprävention
durch Partizipation, Feedback und
Leadership auf Intensivstationen
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Inhalt

Kurzfassung.............................................................................................................................................. 4

I. Programm............................................................................................................................................ 10

        a) Bausteine des Programms.................................................................................................... 12

        b)	Entwicklung des Programms und Studien­begleitung .................................................. 13

II. Untersuchung.................................................................................................................................... 14

        a) Forschungsdesign................................................................................................................... 15

        b) Teilnehmer............................................................................................................................... 16

III. Zielgrößen und Ergebnisse............................................................................................................ 18

        a) Compliance bei Händehygiene............................................................................................ 19

        b) Verbrauch Händedesinfektionsmittel................................................................................ 24

        c) Inzidenzdichte nosokomialer Infektionen....................................................................... 25

        d) Kompetenz- und Sicherheitserleben................................................................................. 26

        e) Einordnung und Ausblick...................................................................................................... 28

Endnoten................................................................................................................................................. 30

Abkürzungsverzeichnis........................................................................................................................ 32

Glossar...................................................................................................................................................... 32

Abbildungsverzeichnis......................................................................................................................... 33

Tabellenverzeichnis............................................................................................................................... 33

Danksagung............................................................................................................................................ 34

Mit Bürgern für Bürger – Verstehen, Entwickeln, Testen ............................................................ 35

Impressum.............................................................................................................................................. 38
Patientensicherheit im Krankenhaus: Gemeinsam für die Infektions prävention - Untersuchung zur Wirkung eines Programms zur Infektionsprävention ...
4   Kurzfassung

            Kurzfassung
Patientensicherheit im Krankenhaus: Gemeinsam für die Infektions prävention - Untersuchung zur Wirkung eines Programms zur Infektionsprävention ...
Kurzfassung   5

Jedes Jahr kommt es laut aktuellen Schätzungen       Das Programm GIP besteht aus drei ineinander-
des Robert Koch-Instituts zu 400.000 bis 600.000     greifenden Bausteinen:
behandlungsassoziierten Infektionen in deutschen
Krankenhäusern, 10.000 bis 20.000 dieser Infektio-   (1)	Auf jeder Station ist ein multiprofessionelles
nen verlaufen tödlichi. Studien gehen davon aus,          Team aus ärztlicher und pflegerischer Leitung
dass rund ein Drittel dieser Infektionen vermeid-         sowie einer Hygienefachkraft gemeinsam für
bar wäreii.                                               die Leitung des Programms verantwortlich
                                                          und nimmt eine wichtige Vorbildfunktion
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat            ein. Dadurch wird deutlich gemacht, dass
sich zum Ziel gesetzt, die Zahl der behandlungs-          Hygiene ein Thema ist, welches unabhängig
assoziierten Krankenhausinfektionen zu senken             von Hierarchiegrenzen für alle Berufsgruppen
und setzt hierzu verschiedene Maßnahmen und               gleichermaßen relevant ist.
Regelungen umiii.
                                                     (2)	Über ein Jahr hinweg finden monatlich
Ein wesentlicher Faktor bei der Vermeidung von            Messungen der Einhaltung der Regeln zur
Infektionen und damit für die Patientensicher-            Händehygiene, der sogenannten Compliance,
heit ist die Händehygiene von Ärztinnen, Ärzten           statt. Dadurch werden Transparenz über die
und Pflegekräften. Zur weiteren Verbesserung              Qualität der Händehygiene auf der Station
der Händehygiene in Krankenhäusern hat das                geschaffen und Verbesserungen im Zeitverlauf
Referat 612 wirksam regieren des Bundeskanzler-           sichtbar gemacht.
amtes gemeinsam mit Expertinnen und Experten
des Nationalen Referenzzentrums für die Sur-         (3)	In monatlichen Teammeetings zur Infektions-
veillance von nosokomialen Infektionen (NRZ)              prävention (TIP) bespricht das Stationsteam,
und Praktikern (Intensivmedizinern, Pflege- und           bestehend aus dem ärztlichen und pflege-
Hygienefachkräften) das Programm „Gemeinsam               rischen Personal, die Ergebnisse der aktuel-
für Infektionsprävention“ (GIP) entwickelt und            len Compliance-Beobachtung. Gemeinsam
empirisch mit 81 Intensivstationen in Deutschland         werden auf dieser Basis Maßnahmen vom
getestet. Darin werden arbeits- und organisations-        Stationsteam entwickelt und umgesetzt, um
psychologische Aspekte bei der Händehygiene (z.B.         selbst gesteckte Ziele bei der Händehygiene-
erschwertes Lernen mangels direkten Feedbacks,            Compliance zu erreichen.
hierarchiebedingte Kommunikationsbarrieren)
adressiert.
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6       Kurzfassung

                                               FÜNF INDIKATIONEN
                       Fünf Indikationen zurZUR  HÄNDEDESINFEKTION
                                            Händedesinfektion

                                                           VOR PATIENTENKONTAKT                          VOR EINER ASEPTISCHEN
                                                      1                                              2   TÄTIGKEIT

                                   NACH KONTAKT MIT                               NACH PATIENTENKONTAKT               NACH KONTAKT
                               3   POTENZIELL                               4                                     5   MIT DER UNMITTELBAREN
                                   INFEKTIÖSEM MATERIAL                                                               PATIENTENUMGEBUNG

                                                                                                                          167
                                                                                                                           98
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                Abbildung 1: Die 5 Indikationen zur Händedesinfektion

       Ziel des Programms ist die Verbesserung der                                           Relevanz bei der Vermeidung von nosokomialen
       Compliance bei der Händehygiene. Die Compli-                                          Infektionen zugemesseniv.
       ance ist damit die zentrale Ergebnis-Variable. Sie
       bezeichnet den Anteil der tatsächlich erfolgten                                       Die Compliance, unterteilt nach den genannten 5
       Händedesinfektionen an der Gesamtmenge der                                            Indikationen, wurde auf den teilnehmenden Sta-
       laut den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisa-                                     tionen über ein Jahr hinweg auf monatlicher Basis
       tion (WHO) geforderten FÜNF Händedesinfektionen
                                        INDIKATIONEN und                                     durch direkte Beobachtung von einer geschulten
       wird als Prozentwert        angegeben. Dabei werden die
                         ZUR HÄNDEDESINFEKTION                                               Hygienefachkraft erhoben.
       folgenden   5
    FÜNF INDIKATIONENSituationen,        sogenannte Indikationen,
TIONEN unterschieden,
                 FÜNFin
                 1
  ZUR HÄNDEDESINFEKTION       denen eine Händedesinfektion
                    VOR PATIENTENKONTAKT

                            INDIKATIONEN
                                                    2 VOR EINER ASEPTISCHEN
                                                      TÄTIGKEIT                              Um die Nachhaltigkeit der erzielten Verbesserun-
       erfolgen
NFEKTION
NDIKATIONEN  ZUR soll:
                   HÄNDEDESINFEKTION                                                         gen zu messen, erfolgte 12 Monate nach Abschluss
                                                                                             des Programms eine Nachmessung.
 R PATIENTENKONTAKT                              VOR EINER ASEPTISCHEN
                                             2
DEDESINFEKTION                                   TÄTIGKEIT
        VOR EINER ASEPTISCHEN
    2           1.1 vor Patientenkontakt
        TÄTIGKEIT
                     VOR PATIENTENKONTAKT
                                                             2 VOR  EINER ASEPTISCHEN
                                                                TÄTIGKEIT

                2.2 TÄTIGKEIT
                     vor aseptischen Tätigkeiten
                    VOR EINER ASEPTISCHEN
                                                                                                    Neben der Compliance wurden als weitere Indika-
                3.3 POTENZIELL
                     nach Kontakt mit potentiell
                    NACH KONTAKT MIT
                                                    4             infektiösem 5 MIT DER UNMITTELBAREN
                                                        NACH PATIENTENKONTAKT
                                                                                                    toren der Verbrauch von Händedesinfektionsmit-
                                                                                          NACH KONTAKT

                    INFEKTIÖSEM MATERIAL                                                  PATIENTENUMGEBUNG
                     Material                                                          167
                                                                                        98
                                                                                                    tel einmal pro Quartal sowie die von den Stations-
                4.4 NACH
                      nach    Patientenkontakt                                                      mitarbeitenden subjektiv erlebte Kompetenz in
                                                                                        22

T                        PATIENTENKONTAKT
                                                    5 NACH  KONTAKT
                                                       MIT DER UNMITTELBAREN
ERIAL                                                  PATIENTENUMGEBUNG
   3 POTENZIELL5.     nach   Kontakt  4 mit der direkten Patienten­      5 MIT DER UNMITTELBAREN Hygienefragen und die Anzahl nosokomialer In-
KONTAKT             NACH KONTAKT
                 5 MIT
       NACH KONTAKT MIT
                        DER UNMITTELBAREN
                                          NACH PATIENTENKONTAKT
                                                                  167
                                                                             NACH KONTAKT

                    PATIENTENUMGEBUNG
       INFEKTIÖSEM MATERIAL
                                                                   98

                                                                             PATIENTENUMGEBUNG
                       umgebung                                                                     fektionen auf Stationsebene jeweils zu Beginn und
                                                                   22

 CH PATIENTENKONTAKT
                         167
                              5 NACH  KONTAKT
                                 MIT DER UNMITTELBAREN
                                 PATIENTENUMGEBUNG
                          98                                                167

                                                                                                    Ende der aktiven Programmteilnahme erhoben.
                          22                                                 98
                                                                             22

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                                        98

                Bei aseptischen Tätigkeiten handelt es sich bei-
                                        22

                spielsweise um das Legen und Manipulieren von                                       Die Teilnahme an GIP zeigte folgende Ergebnisse:
                Kathetern, die Gabe von Injektionen oder das                                        Im Durchschnitt verbesserten die teilnehmenden
                Versorgen von Wunden. Aufgrund der hierbei                                          Intensiv­stationen ihre Händehygiene-Compliance
                erhöhten Gefahr, Erreger direkt in den Körper ein-                                  von 71 % zu Beginn auf 84 % am Ende des Pro-
                zubringen, wird dieser Indikation eine besondere                                    gramms. Dieser Anstieg um 13 Prozentpunkte ent-
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Kurzfassung     7

spricht einer Steigerung von 18 % des Ausgangs-         Erklärung hierfür ist die sogenannte Regression zur
wertes. Bei einer Nachmessung rund ein Jahr nach        Mitte. Diese bezeichnet das Phänomen, dass nach
dem Ende des Programms lag die durchschnittli-          einem extrem ausgefallenen Messwert die nachfol-
che Compliance bei 80 %, was einer Steigerung von       gende Messung wieder näher am Durchschnitt liegt,
13 % (9 Prozentpunkte) gegenüber dem Ausgangs-          falls der Zufall einen Einfluss auf die Messgröße hat.
wert entspricht. Damit zeichnet sich das Programm
durch eine hohe Nachhaltigkeit aus.                     An diesen Ergebnissen zeigt sich, dass vor allem
                                                        jene Stationen von der Programmteilnahme profi-
Weitere Erkenntnisse lassen sich bei einer geson-       tierten, die zu Beginn des Programms die größeren
derten Betrachtung der Stationen je nach indivi-        Defizite bei der Händehygiene aufgewiesen hatten
dueller Ausgangslage gewinnen: Bei den Stationen,       (siehe Abbildung 2).
deren Compliance zu Beginn des Programms im
unteren Viertel des Teilnehmerfelds lag (1. Quartil),
verbesserte sich die Compliance im Programm-                            Es zeigt sich, dass vor allem jene
verlauf von einem durchschnittlichen Ausgangs-
wert von 52 % auf 78 % nach einem Jahr aktiver                 !        Stationen von der Programm­teil­
                                                                        nahme profitierten, die zu Beginn
Programmteilnahme. Dieser Anstieg um 26 Pro-                            des Programms die größeren Defi­
zentpunkte entspricht einer Steigerung von 50 %            zite bei der Hände­hygiene aufgewiesen hatten.
des Ausgangswertes. Bei der Nachmessung ein Jahr
nach Ende der aktiven Programmteilnahme lag in
dieser Gruppe die durchschnittliche Compliance
bei 75 %, was einer nachhaltigen Steigerung um          Mit Blick auf die verschiedenen Indikationen zur
23 Prozentpunkten oder 44 % des Ausgangswertes          Händehygiene lassen sich sowohl bei den Aus-
entspricht. Bei den Stationen, deren Compliance         gangs- als auch den Endwerten zum Teil deutliche
zu Beginn des Programms im oberen Viertel des           Unterschiede bei der Compliance beobachten. Bei
Teilnehmerfelds lag (4. Quartil), waren die Verbes-     der mutmaßlich für die Infektionsprävention zen-
serungen erwartungsgemäß deutlich geringer und          tralen Indikation „vor aseptischen Tätigkeiten“ ver-
es konnte ein Deckeneffekt beobachtet werden.           besserte sich die Compliance von 58 % zu Beginn
Diese Gruppe begann das Programm bereits mit            des Programms auf 78 % zum Ende der aktiven
einer sehr hohen durchschnittlichen Compliance          Programmteilnahme. Ein Jahr später wurde durch-
von 88 % und konnte diese zum Ende der aktiven          schnittlich immer noch ein Wert von 70 % erreicht.
Programmphase auf 90 % verbessern. Dieser Anstieg       Damit wurde bei den aseptischen Tätigkeiten eine
                                                        deutliche und nachhaltige Verbesserung erzielt.
                                                        Allerdings waren hier sowohl Ausgangs- als auch
               Im Durchschnitt verbesser­ten die        Endwert der Compliance im Vergleich der 5 Indi-

       !       teilnehmenden Intensivstationen
               ihre Händehygiene­Compliance
                                                        kationen am niedrigsten. Die höchste Compliance
                                                        konnte im Vergleich hierzu bei der Indikation „nach
               von 71 % zu Beginn auf 84 % am           Patientenkontakt“ beobachtet werden. Hier lag der
   Ende des Programms. Dieser Anstieg um                Durchschnittswert zu Beginn des Programms bei
   13 Pro­zentpunkte entspricht einer Steigerung        83 % und verbesserte sich auf 91 % zum Ende der
   von 18 % des Ausgangswertes.                         aktiven Programmteilnahme. Ein Jahr später wurde
                                                        durchschnittlich ein Wert von 88 % erreicht (siehe
                                                        Abbildung 3). Das insgesamt niedrigere Niveau bei
um 2 Prozentpunkte entspricht einer Steigerung          den besonders kritischen aseptischen Tätigkeiten
von 2 % des Ausgangswertes. Bei der Nachmessung         macht jedoch deutlich, dass trotz deutlicher Verbes-
ein Jahr nach Ende der aktiven Programmteilnah-         serungen noch weiteres Potential besteht.
me lag in dieser Gruppe die Compliance bei 84 %,
was einer Verringerung um 4 Prozentpunkte oder
5 % des Augangswertes entspricht. Eine mögliche
8                Kurzfassung

       Entwicklung der Gesamt-Compliance nach Quartilen

                                    100 %

                                     90 %
     Händehygiene-Compliance in %

                                     80 %

                                     70 %

                                     60 %

                                     50 %

                                     40 %

                                     30 %

                                     20 %
                                     10 %

                                      0%
                                            T1      T2   T3    T4    T5     T6    T7    T8    T9      T10   T11   T12         T24
                                                                     Programmzeitraum in Monaten

                                        Quartil 1        Quartil 2        Quartil 3       Quartil 4

Abbildung 2: Entwicklung der Gesamt-Compliance nach Quartilen

Eine komplementäre Messgröße zur Compliance                                            von 3 ml HDM pro Händedesinfektion entspricht
stellt der Verbrauch von Händedesinfektionsmittel                                      dies einer durchschnittlichen Steigerung von 38
(HDM) dar. Mit diesem Wert soll die Quantität der                                      auf 42 Händedesinfektionen pro Patiententag.
Hände­desinfektionen gemessen werden. Wäh-
rend die Compliance angibt, ob eine notwendige                                         Neben den Indikatoren für die Qualität und Quan-
Händedesinfektion tatsächlich erfolgt ist oder                                         tität der Händehygiene wurde zu Beginn und am
nicht, ermöglicht der HDM-Verbrauch eine Ein-                                          Ende der 12-monatigen aktiven Prorammphase
schätzung der Gesamtmenge erfolgter Händedes-                                          zusätzlich das subjektive Erleben der eigenen Hy-
infektionen. Er lässt jedoch keine Aussage darüber                                     gienekompetenz sowie der Hygienekompetenz des
zu, ob diese Händedesinfektionen zum richtigen                                         Teams per Fragebogen erhoben. In beiden Fällen
Moment erfolgen oder nicht. Er ist damit ein Sur-                                      lag die subjektive wahrgenommene Hygienekom-
rogatparameter, der auf der Annahme basiert, dass                                      petenz zum Ende der Programmphase statistisch
eine bessere Händehygiene üblicherweise auch                                           signifikant höher als zum Programmbeginn.
mit einer höheren Zahl an Händedesinfektionen
einhergeht.

Der HDM-Verbrauch wird quartalsweise auf der
Basis von Einkaufsdaten ermittelt und in Milliliter
pro Patiententag angegeben. Im Rahmen von GIP
zeigte sich eine Steigerung von durchschnittlich
114 ml pro Patiententag zu Beginn des Programms
hin zu 126 ml pro Patiententag drei Quartale später.
Ausgehend von einer durchschnittlichen Menge
Kurzfassung   9

       Entwicklung der Gesamt-Compliance nach Indikationen

                                    100 %

                                     90 %
     Händehygiene-Compliance in %

                                     80 %

                                     70 %

                                     60 %

                                     50 %

                                     40 %

                                     30 %

                                     20 %
                                     10 %

                                      0%
                                            T1    T2     T3     T4    T5   T6    T7     T8    T9   T10    T11   T12                T24
                                                                      Programmzeitraum in Monaten
                                        Gesamt                                  Vor Patientenkontakt
                                        Vor aseptischen Tätigkeiten             Nach Kontakt mit Potentiell infektiösem Material
                                        Nach Patientenkontakt                   Nach Kontakt mit unmittelbarer Patientenumgebung

Abbildung 3: Übersicht über die Entwicklung der Compliance nach Indikationen

Zur Berechnung der Inzidenzdichte nosokomialer                                        durch Hawthorne-Effektev. Dadurch können auch
Infektionen auf den Stationen lagen die notwen-                                       die deutlich gesteigerten Compliancewerte auf
digen Infektionsdaten nur für rund die Hälfte der                                     den Stationen eventuell noch unterhalb einer
teilnehmenden Stationen vor. In dieser Teilgruppe                                     kritischen Schwelle liegen, die für eine Reduktion
konnten keine systematischen Veränderungen                                            nosokomialer Infektionen ausschlaggebend istvi vii.
bei den Infektionen nachgewiesen werden. Dieses
Ergebnis wird folgendermaßen erklärt: Ein Teil der                                    Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die
nosokomialen Infektionen sind endogen, das heißt                                      teilnehmenden Stationen durch das Programm
durch die körpereigene Flora der Patientinnen und                                     „Gemeinsam für Infektionsprävention“ eine
Patienten bedingt. Diese endogenen Infektionen                                        substantielle und nachhaltige Verbesserung bei der
können durch bessere Händehygiene nur sehr                                            Einhaltung der Regeln zur Händehygiene (Compli-
bedingt vermindert werden. Damit ist ein voll-                                        ance) erzielen konnten. Besonders stark profitier-
ständiges Absinken der Infektionen auf null auch                                      ten Stationen, die mit niedrigeren Werten gestartet
bei hoher Compliance nicht zu erreichen. Da die                                       waren. Bei allen 5 Indikationen zur Händehygi-
Stationen mit vorliegenden Daten sehr niedrige                                        ene wurden nachhaltige Verbesserungen erzielt.
Ausgangswerte bei den Infektionen aufwiesen,                                          Gleichzeitig besteht bei der für das Infektions-
kommt es zu einem sogenannten Bodeneffekt.                                            geschehen besonders wichtigen Indikation „vor
Um unter diesen Bedingungen einen Einfluss der                                        aseptischen Tätigkeiten“ noch weiteres Verbesse-
gesteigerten Händehygiene auf die Infektionsra-                                       rungspotenzial in Bezug auf die Händehygiene von
ten nachzuweisen, wären deutlich größere Stich-                                       Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften.
proben und ein längerer Beobachtungszeitraum
notwendig. Eine weitere Erklärung liegt in mög-
lichen Verzerrungen der absoluten Compliance
10   Kurzfassung

             I. Programm
I. Programm   11

Jedes Jahr kommt es laut derzeitigen Schätzungen      Notwendige Maßnahmen zur Verbesserung der
des Robert Koch-Instituts zu 400.000 bis 600.000      Händehygiene hängen mitunter stark von lokalen
behandlungsassoziierten Infektionen in deutschen      Gegebenheiten wie etwa unterschiedlichen Wis-
Krankenhäusern, 10.000 bis 20.000 dieser Infektio-    sensständen der Mitarbeitenden bezüglich korrek-
nen verlaufen tödlichviii. Studien gehen davon aus,   ter Händehygiene, individuellen räumlichen As-
dass rund ein Drittel dieser Infektionen vermeid-     pekten bezüglich einer effektiven Platzierung von
bar wäreix. Das Bundesministerium für Gesundheit      Desinfektionsmittelspendern und Arbeitsmateria-
(BMG) hat sich zum Ziel gesetzt, die Zahl der be-     lien oder unterschiedlicher Personalausstattung
handlungsassoziierten Krankenhausinfektionen zu       ab. Eine wirkungsvolle Maßnahme zur Steigerung
senken und setzt hierzu verschiedene Maßnahmen        der Händehygiene muss daher die unterschiedli-
und Regelungen umx.                                   chen Voraussetzungen der teilnehmenden Inten-
                                                      sivstationen berücksichtigen.
Ein wesentlicher Faktor bei der Vermeidung von
Infektionen und damit für die Patientensicherheit,    Referat 612 wirksam regieren im Bundeskanz-
ist die Händehygiene von Ärztinnen, Ärzten und        leramt entwickelte im Auftrag des BMG und in
Pflegekräften. Bei der Einhaltung der Regeln zur      Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten
Händehygiene (sogenannte Compliance) spielen          des Nationalen Referenzzentrums für die Surveil-
Arbeits- und organisationspsychologische Aspek-       lance von nosokomialen Infektionen (NRZ) sowie
te eine wichtige Rolle: Erreger sind unsichtbar,      den Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften und
Übertragungswege komplex und die Übertragung          Hygienefachkräften einer Pilotstation der Charité
im Einzelfall oft nicht nachvollziehbar. Ärztinnen,   Berlin das ganzheitliche, auf 12 Monate angelegte
Ärzte und Pflegekräfte erhalten zudem keine oder      Programm „Gemeinsam für Infektionsprävention
kaum Rückmeldungen über die Güte ihrer eigenen        (GIP)“ für Intensivstationen.
Händehygiene oder die des Stationsteams. Sys-
tematische Fehler- und Schwachstellenanalysen         Vor diesem Hintergrund beauftragte das Bundesmi-
fehlen in der Regel oder werden nur nach schwer-      nisterium für Gesundheit das Referat 612 wirksam
wiegenderen Infektionsausbrüchen durchgeführt.        regieren im Bundeskanzleramt eine passende Maß-
All dies erschwert die Verbesserung der Arbeits-      nahme zu entwickeln. Gemeinsam mit Expertinnen
abläufe und die Entstehung eines Bewusstseins für     und Experten des Nationalen Referenzzentrums
die Auswirkungen des individuellen Verhaltens bei     für die Surveillance von nosokomialen Infektionen
der Händehygiene. Zudem kommen auf Intensiv-          (NRZ) sowie den Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräf-
stationen in vielen Fällen erschwerend eine hohe      ten und Hygienefachkräften einer Pilotstation der
Arbeitsbelastung, Zeitdruck und Unterbrechungen       Charité Berlin entstand so für Intensivstationen das
in den Arbeitsabläufen hinzu.                         ganzheitliche 12-monatige Programm „Gemeinsam
                                                      für Infektionsprävention (GIP)“.
12      I. Programm

a) Bausteine des Programms

Das GIP-Programm setzt auf Mitwirkung, Mitver-                     Baustein 2:
antwortung und Motivation. Erreicht wird dies                      Compliance-Beobachtungen
durch die Verzahnung von drei Bausteinen, die auf                  In der Regel ist es für Stationsmitarbeitende nicht
arbeits- und organisationspsychologischen Aspek-                   ersichtlich, wie gut es auf einer Station um die
ten bei der Einhaltung der Händehygiene aufbau-                    Compliance, also die Einhaltung der Regeln zur
en und eine individuelle Anpassung von Maßnah-                     Händehygiene, bestellt ist. Bereits die Einschät-
men an die Stationsgegebenheiten erlauben.                         zung der persönlichen Compliance kann schwierig
                                                                   sein, beispielsweise wenn kein sicheres Wissen zu
Baustein 1:                                                        den Compliance-Empfehlungen bei unterschied-
Multiprofessionelles Leitungsteam                                  lichen Indikationen besteht. Die Compliance des
Der erste zentrale Baustein des Programms ist die                  gesamten Stationsteams einzuschätzen, ist für eine
kontinuierliche Unterstützung durch ein multipro-                  Einzelperson kaum möglich. Messungen der Com-
fessionelles Leitungsteam, bestehend aus der ärztli-               pliance finden typischerweise, wenn überhaupt,
chen und der pflegerischen Leitung der Station mit                 einmal pro Jahr stattxii.
fachlicher Unterstützung einer Hygienefachkraft,
die typischerweise stationsübergreifend tätig ist.                 Der zweite zentrale Baustein von GIP ist daher,
                                                                   durch regelmäßig durchgeführte Compliance-Be-
Das multiprofessionelle Leitungsteam schafft zu-                   obachtungen auf den teilnehmenden Stationen,
nächst Akzeptanz für das Thema und die Arbeit                      Transparenz über die Einhaltung der Hände­
der Hygienefachkraft, die professionelle Compli-                   hygiene zu schaffen. Dazu wurde auf den Statio-
ance-Beobachtungen auf der Station durchführt                      nen durch je eine ausgebildete Hygienefachkraft,
(siehe Baustein 2). Durch das gemeinsame Auftreten                 die selbst nicht Mitglied der Station ist, ein Jahr
und die Zusammenarbeit macht das Leitungsteam                      lang monatlich der reguläre Arbeitsalltag beobach-
deutlich, dass das Thema Hygiene unabhängig von                    tet. Im Rahmen dieser Beobachtung wurden pro
Berufsgruppe und Hierarchie relevant ist. Dies                     Station und Monat mindestens 200 sogenannte
bereitet die Grundlage für eine berufsgruppenüber-                 Indikationen erfasst, also Situationen in denen
greifende Suche nach Lösungen in den monatlich                     nach den Empfehlungen der Weltgesundheits-
stattfindenden „Teammeetings Infektionspräventi-                   organisation (WHO) und der Kommission für
on“, kurz TIP (siehe Baustein 3). Zu guter Letzt über-             Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
nimmt das Leitungsteam durch aktives Vorleben                      (KRINKO) eine Händedesinfektion erfolgen sollte.
einer guten Händehygiene eine Vorbildfunktionxi.

Die Bereitschaft der ärztlichen und pflegerischen
Stationsleitung, das Projekt aktiv zu unterstützen
und an einer Auftakt- und Schulungsveranstaltung
in Berlin teilzunehmen, bildete eine Teilnahmevo-
raussetzung des Projekts.

     Baustein 1                               Baustein 2                           Baustein 3
     Multiprofessionelles                     Compliance-Beobachtungen             Teammeetings Infektionsprävention
     Leitungsteam                             • Beobachtungen von 200              •
     • Gemeinsames Auftreten und                Indikationen/Monat                     kommen monatlich für 30 Min. zusammen
       Zusammenarbeit bei Hygienethema        • Ermöglicht hilfreiche              • Ergebnisse der Beobachtungen werden
     • Anerkennung des Hygienethemas und        Rückmeldung                          im Team erörtert
       der Hygienefachkraft als Experte/in    • Onlinetool für sofortige           • Offener Umgang mit Problemen in den
     • Leadership und Vorbildfunktion           Auswertung                           Arbeitsabläufen
                                              • Liefert konkrete Ansatzpunkte      • Team setzt sich Ziele für die Compliance
       Stationsleitung                          für Veränderungen                    und entwickelt gemeinsam Maßnahmen

Abbildung 4: Die 3 Bausteine von „Gemeinsam für Infektionsprävention“
I. Programm   13

Die monatlich erhobenen Compliance-Daten              zu verbessern (Dokumentationsbögen der Team-
bilden eine wichtige Grundlage für die Stations-      meetings für Infektionsprävention siehe Material-
teams, um Schwachstellen in der Händehygiene zu       band A2).
erkennen. Hierbei macht die Differenzierung nach
Indikationen ein besonders gezieltes Vorgehen         Zentral für ein Teammeeting Infektionsprävention
möglich. Wenn Maßnahmen zur Verbesserung der          ist der Gedanke, dass berufsgruppen- und hierarchie
Händehygiene beschlossen und umgesetzt werden,        übergreifend jedes einzelne Mitglied des Stations-
sind die Daten zudem ein wichtiger Fortschritts-      teams über relevantes Erfahrungswissen verfügt,
und Erfolgsmesser.                                    das einen Beitrag zur gemeinsamen Problemlösung
                                                      leisten kannxiii. Gemeinsam werden Ziele gesetzt und
Baustein 3:                                           im konstruktiven Dialog nach Lösungen gesucht.
Teammeetings Infektionsprävention (TIP)
Der dritte integrale Baustein von GIP sind monat-     Dem multiprofessionellen Leitungsteam kommt
lich stattfindende Teammeetings Infektionsprä-        hierbei auch die wichtige Aufgabe zu, Hygiene als
vention. In den TIP kommen die ärztlichen und         ein Thema zu etablieren, das in der gemeinsamen
pflegerischen Stationsmitglieder unter Leitung des    Verantwortung des Teams, aber auch jedes einzel-
multiprofessionellen Leitungsteams zusammen,          nen Teammitglieds liegt. Gleichzeitig obliegt es dem
besprechen die Ergebnisse der aktuellen Compli-       Leitungsteam, eine offene Gesprächsatmosphäre zu
ance-Beobachtung und entwickeln gemeinsam             schaffen, in der der Beitrag jedes und jeder Einzel-
Maßnahmen, um die Händehygiene-Compliance             nen geschätzt wird.

b)	Entwicklung des Programms und Studien­begleitung

Das Programm GIP wurde auf der Basis umfang-          Anschließend wurden die Leitungsteams der an
reicher Literaturrecherchen in den Bereichen der      der Studie teilnehmenden Stationen mit einer
Arbeits- und Organisationspsychologie, der Hu-        Auftaktveranstaltung für die Teilnahme an GIP
man-Factors-Forschungxiv und der Infektiologiexv      von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des NRZ
sowie aus Interviews mit den Hygieneexpertinnen       und wirksam regieren geschult. Zentrale Themen
und -experten des NRZ entwickelt. Im Rahmen           waren hierbei die Rolle des Leitungsteams, die Me-
einer Pilotierung an einer Station der Charité-Uni-   thodik zur Beobachtung und Erfassung der Com-
versitätsmedizin Berlin wurde der erarbeitete         pliance sowie die Beantwortung von Fragen der
Ansatz vorab getestet und in Workshops mit den        Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Für eventuelle
dort arbeitenden Intensivmedizinern, Pflegekräf-      Fragen zur Umsetzung des Programms während
ten und der verantwortlichen Hygienefachkraft         der zwölfmonatigen aktiven Programmphase, der
weiterentwickelt und ausdifferenziert. So wurden      Compliance-Beobachtungen und der Teammee-
auf Basis der Erfahrungen der Pilotstation bei-       tings stand darüber hinaus ein Telefonsupport am
spielsweise umfangreiche Materialien erstellt, um     NRZ zur Verfügung.
den teilnehmenden Stationen die Umsetzung des
Programms vor Ort soweit wie möglich zu erleich-
tern (beispielsweise durch standardisierte Power-
point-Vorlagen zur Präsentation der Ergebnisse der
monatlichen Compliance-Beobachtungen, Ankün-
digungsposter und FAQs; weitere Materialien für
die Krankenhäuser siehe Materialband A2).
14   II. Untersuchung

             II. Untersuchung
II. Untersuchung          15

  · Auftaktveranstaltung                                                                                           Erfahrungsaustausch
  · Schulung der Leitungsteams

   Monat 1    Monat 2    Monat 3     Monat 4    Monat 5    Monat 6    Monat 7     Monat 8    Monat 9 Monat 10 Monat 11 Monat 12                   Monat 24

   t0 TIP 1   t1 TIP 2   t2 TIP 3    t3 TIP 4   t4 TIP 5   t5 TIP 6   t6 TIP 7    t7 TIP 8   t8 TIP 9   t9 TIP 10 t10 TIP 11 t11 TIP 12               t12

                                      Kontinuierlicher Telefonsupport während der Studienlaufzeit

                                                                                                                 t = Compliance Beobachtungen Händehygiene
                                                                                                                        TIP = Teammeeting Infektionprävention

Abbildung 5: Begleitung der teilnehmenden Stationen während GIP

a) Forschungsdesign

Das Forschungsdesign einschließlich der primä-                                     Die Studienteilnehmer werden hierbei per Zufall
ren und sekundären Zielgrößen und Hypothesen                                       zwei Gruppen mit unterschiedlichen Startzeitpunk-
sowie der geplanten Analysen wurde in einem                                        ten zugeteilt. Während Gruppe 1 mit der zu unter-
detaillierten Prä-Analyseplan festgehalten. Dieser                                 suchenden Maßnahme – hier also GIP – startet,
ist zusammen mit Erläuterungen zu notwendigen                                      nimmt Gruppe 2 zunächst nicht an der Maßnahme
Anpassungen an den Analysen im Materialband                                        teil und fungiert somit als Kontrollgruppe. Gruppe 2
zum Bericht enthalten (siehe Materialband A1).                                     beginnt erst dann mit der Teilnahme, wenn Grup-
                                                                                   pe 1 die Maßnahme vollständig durchlaufen hat.
Als Forschungsdesign wurde ein sogenanntes Step-                                   Ein Vergleich der Compliancewerte von Gruppe 1
ped-Wedge-Designxvi implementiert. Ein Stepped-                                    am Ende der Maßnahme mit den Werten von Grup-
Wedge-Design ist ein Sonderfall einer randomisiert                                 pe 2 am Anfang der Maßnahme bildet damit den
kontrollierten Studie (RCT) und erlaubt damit                                      kausalen Effekt der Programmteilnahme ab (siehe
Schlussfolgerungen zu kausalen Zusammenhängen.                                     Abbildung 6).

    Stepped Wedge Design bei GIP

   Gruppe 1
                         Startwert                                    Endwert
                         Gruppe 1                                     Gruppe 1

                                                                      Differenz zeigt kausale Wirkung
                                                                      bei der Programmteilnahme
   Gruppe 2

                                                                      Startwert                         Endwert
                                                                      Gruppe 2                          Gruppe 2

                          Sommer 2016                       Sommer 2017                        Sommer 2018                       Sommer 2019

                 Studienteilnahme über 12 Monate mit monatlichen Compliance-Messungen und Team-Meetings
                 Nachmessung der Compliance ca. 24 Monate nach Studienbeginn

Abbildung 6: Anwendung des Stepped-Wedge-Design bei GIP
16    II. Untersuchung

     		                                Startwert Gruppe 1       		                              Startwert Gruppe 1
                          +        kausaler Effekt von GIP
                          +             allgemeiner Trend                              +         allgemeiner Trend
     		                                 Endwert Gruppe 1        		                              Startwert Gruppe 2

                              Endwert Gruppe 1 - Startwert Gruppe 2 = kausaler Effekt von GIP

Abbildung 7: Berechnung des kausalen Effekts beim Stepped-Wedge-Design

Ein Stepped-Wedge-Design ist einem einfachen                   Abbildung 7 stellt dieses Prinzip schematisch dar,
Vorher-Nachher Vergleich empirisch überlegen, weil             wobei aufgrund der randomisierten Gruppenzutei-
es die Möglichkeit einer allgemeinen Entwicklung               lung angenommen werden kann, dass der Start-
im Bereich Händehygiene berücksichtigt. So ist es              wert der Gruppe 2 dem Startwert der Gruppe 1,
beispielsweise möglich, dass während der zwölfmo-              zuzüglich etwaiger allgemeiner Trends entspricht.
natigen Dauer der aktiven Teilnahme, beispielsweise            Nicht zuletzt ist ein Stepped-Wedge-Design auch
durch Medienberichte, eine allgemeine Sensibili-               aus ethischer Perspektive einem einfachen rando-
sierung zum Thema Händehygiene stattgefunden                   misierten Verfahren mit reinen Kontrollgruppen
hat, die auch ohne Programmteilnahme zu höheren                (die das Programm nicht durchlaufen) vorzugswür-
Compliancewerten geführt hätte. Eine solche Ent-               dig, weil zeitversetzt alle Studienteilnehmer an der
wicklung würde sich aber im Startwert der Gruppe 2             Maßnahme teilnehmen und damit von positiven
niederschlagen, so dass ein Vergleich des Endwertes            Effekten profitieren können.
von Gruppe 1 mit dem Startwert der Gruppe 2 den
kausalen Effekt der Programmteilnahme wiedergibt.

b) Teilnehmer

Zur Teilnahme an GIP wurden insgesamt 379 Sta-                 eine Teilgruppe der Stationen auch Daten zur
tionen eingeladen. Alle Stationen hatten zuvor                 Compliance vor.
mindestens drei Jahre an dem Modul „Hand-KISS“
des Aktionsbündnisses „Aktion Saubere Hände“                   Eingeladen wurden Stationen, deren HDM-Ver-
(ASH) teilgenommen. ASH ist eine seit 2008 lau-                bräuche in den Jahren 2012, 2013 und 2014
fende nationale Kampagne zur Verbesserung der                  unterhalb des Medians der Werte vergleichbarer
Compliance der Händedesinfektion in deutschen                  Stationen lagen, also im vergleichsweise niedrig
Gesundheitseinrichtungen, die mit Unterstützung                warenxviii, da für diese Stationen der größte Ver-
des Bundesministeriums für Gesundheit vom NRZ,                 besserungsbedarf bei der Händehygiene vermutet
dem Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. so-                wurde. Sofern dieses Kriterium in einem Kranken-
wie der Gesellschaft für Qualitätsmanagement in                haus auf mehrere Intensivstationen zutraf, wurde
der Gesundheitsversorgung e.V. ins Leben gerufen               eine der Stationen per Zufall ausgewählt und
wurdexvii. Organisatorisch zuständig ist das NRZ.              eingeladen.

Durch die vorherige Teilnahme an der Aktion                    Von den eingeladenen Intensivstationen zeigten
Saubere Hände und dem Modul „Hand-KISS“,                       insgesamt 114 Stationen Interesse an der Pro-
lagen für alle eingeladenen Stationen Daten zu                 grammteilnahme. Durch ein Zufallsverfahren wur-
Händedesinfektionsmittelverbräuchen und für                    den hiervon 59 Stationen der Gruppe 1 zugewiesen
II. Untersuchung       17

und 55 Stationen der Gruppe 2, wobei im Rahmen                 Insgesamt 81 Stationen schlossen die aktive zwölf-
des Zufallsverfahrens Ausgewogenheit der Stich-                monatige Programmphase ab, davon 41 aus der
probe in Bezug auf Beatmungsrate und Versor-                   ersten Studienkohorte und 40 aus der zweiten
gungsstufe sichergestellt wurdexix. Weiterhin wurde            Studienkohorte. Tabelle 1 zeigt eine Zusammenfas-
Ausgewogenheit mit Bezug auf die Teilnahme am                  sung der Strukturdaten der teilnehmenden Statio-
KISS-Modul „ITS-KISS“ sichergestellt; dieses Modul             nen (Strukturfragebogen siehe Materialband A2).
erhebt die Infektionszahlen auf Intensivstationen
und sollte eine Analyse des kausalen Effekts auf die
Infektionszahlen ermöglichen (siehe IIIc).

    Versorgungstyp                                                                          Anzahl der Stationen

    Grund- und Regelversorgung                                                                                50
    Schwerpunktversorgung                                                                                     16
    Maximalversorgung                                                                                            6
    Spezialklinik                                                                                                6
    Nicht bekannt                                                                                                3

    Fachrichtung                                                                            Anzahl der Stationen

    interdisziplinär                                                                                          64
    internistisch                                                                                                6
    chirurgisch                                                                                                  5
    neonatologisch                                                                                               2
    Sonstige                                                                                                     4

    Merkmal der Stationen                              Mittelwert                      Interquartilsabstand (IQR)

    Bettenzahl Intensivstationen                          13                                             6 [15-9]
    Beatmungsbetten                                        9                                             4 [10-6]
    Pflegeplanstellen                                     26                                           14 [32-18]
    Arztplanstellen                                       10                                             6 [10-4]

Tabelle 1: Strukturdaten der teilnehmenden Stationen
III. Zielgrößen
und Ergebnisse
III. Zielgrößen und Ergebnisse      19

                                                                                FÜNF INDIKATIONEN
                                  Fünf Indikationen zur Händedesinfektion
                                                                              ZUR HÄNDEDESINFEKTION
                                                                       VOR PATIENTENKONTAKT                          VOR EINER ASEPTISCHEN
                                                                  1                                              2   TÄTIGKEIT

                                               NACH KONTAKT MIT                               NACH PATIENTENKONTAKT               NACH KONTAKT
                                           3   POTENZIELL                               4                                     5   MIT DER UNMITTELBAREN
                                               INFEKTIÖSEM MATERIAL                                                               PATIENTENUMGEBUNG

                                                                                                                                        167
                                                                                                                                         98
                                                                                                                                         22

                            Abbildung 8: Die 5 Indikationen zur Händedesinfektion nach WHO / KRINKO

                            a) Compliance bei Händehygiene

              Messung                                                                                    licher Basis statt, wobei es aufgrund von Krankheit
              Die zentrale Zielvariable des Programms ist die                                            oder Urlaubszeiten dazu kommen konnte, dass
              Compliance bei der Hände­hygiene. Die Compliance                                           einzelne Stationen nicht für jeden Monat Compli-
              bezeichnet den Anteil der tatsächlich erfolgten                                            ance-Daten aufweisen. Darüber hinaus wurden die
              Händedesinfektionen an der Gesamtmenge der laut                                            Stationen gebeten, ca. ein Jahr nach Ende der ak-
              den Richtlinien der    WHOINDIKATIONEN
                                   FÜNF       und KRINKO geforderten                                     tiven Programmteilnahme eine Nachmessung der
              Händedesinfektionen        und   wird als Prozentwert an-
                              ZUR HÄNDEDESINFEKTION                                                      Compliance durchzuführen, um die Nachhaltig-
              gegeben.
           FÜNF         Dabei werden die folgenden fünf Situatio-
                INDIKATIONEN                                                                             keit der erreichten Verbesserungen zu bestimmen
              nen  in denen
                        1 VOReine   Händedesinfektion2erfolgen
                                                            TÄTIGKEIT soll,                              (Datenaufbereitung siehe Materialband A3).
                             PATIENTENKONTAKT               VOR EINER ASEPTISCHEN
        ZUR HÄNDEDESINFEKTION
INDIKATIONEN            FÜNF     INDIKATIONEN
DEDESINFEKTIONdie sogenannten
 FÜNF INDIKATIONEN                Indikationen, unterschieden:
                    ZUR HÄNDEDESINFEKTION
           VOR PATIENTENKONTAKT                             VOR EINER ASEPTISCHEN
     1
UR HÄNDEDESINFEKTION                                    2   TÄTIGKEIT                                              Für die Compliance-Beobachtungen wurden Rah-
                    VOR EINER ASEPTISCHEN
                2   TÄTIGKEIT 1.1 vor Patientenkontakt
                                 VOR PATIENTENKONTAKT
                                                                           2 VOR  EINER ASEPTISCHEN
                                                                              TÄTIGKEIT                            menbedingungen festgelegt, die die Vergleichbar-
NTENKONTAKT
                              2.2 TÄTIGKEIT
                                   vor aseptischen Tätigkeiten
                                  VOR EINER ASEPTISCHEN
                                                                                                                   keit der erhobenen Werte, sowie die Repräsentati-
                              3. POTENZIELL
                               3   nach Kontakt mit potentiell infektiösem
                                  NACH KONTAKT MIT
                                                                  4   NACH PATIENTENKONTAKT
                                                                                                     5             vität der Beobachtungen sicherstellen sollten. So
                                                                                                        NACH KONTAKT
                                                                                                        MIT DER UNMITTELBAREN
                                  INFEKTIÖSEM MATERIAL                                                  PATIENTENUMGEBUNG
                                   Material                                                        167
                                                                                                   98
                                                                                                                   basiert der monatlich ermittelte durchschnittliche
                              4.4 nach Patientenkontakt                                                            Compliance-Wert auf folgenden Grundlagen:
                                                                                                   22

NACH KONTAKT MIT                  NACH PATIENTENKONTAKT              NACH KONTAKT
 OTENZIELL                                                        5 MIT DER UNMITTELBAREN
 NFEKTIÖSEM MATERIAL                                                 PATIENTENUMGEBUNG
 NACH PATIENTENKONTAKT
                              5.
                               5    n
                                     ach   Kontakt
                                  NACH KONTAKT
                     NACH KONTAKT MIT
                  3 POTENZIELL MIT DER UNMITTELBAREN 4   mit   der    direkten
                                                        NACH PATIENTENKONTAKT
                                                                             167
                                                                                    Patienten­
                                                                                           NACH KONTAKT
                                                                                        5 MIT DER UNMITTELBAREN
                                  PATIENTENUMGEBUNG
                     INFEKTIÖSEM MATERIAL
                                                                              98
                                                                              22

                                                                                           PATIENTENUMGEBUNG
          4 NACH PATIENTENKONTAKT umgebung
                                     167
                                            5 NACH  KONTAKT
                                               MIT DER UNMITTELBAREN                                               • Mindestens 200 Beobachtungen, davon mindes-
                                               PATIENTENUMGEBUNG
                                      98                                                167
                                      22                                                98

                                                                                                                      tens 30 Beobachtungen pro Indikation. Diese
                                                                                        22

                                                  167
                                                   98

                              Die Compliance wurde durch Beobachtung im                                               Mindestmenge ermöglicht die Vergleichbarkeit
                                                   22

                              normalen Arbeitsalltag der Station durch eine aus-                                      der monatlichen Compliance-Werte innerhalb
                              gebildete Hygienefachkraft erhoben, die nicht Teil                                      einer Station und ermöglicht zudem den Ver-
                              des eigentlichen Stationsteams ist. Die Beobach-                                        gleich über verschiedene Stationen mit poten-
                              tungen fanden über ein Jahr hinweg auf monat-                                           tiell unterschiedlichem Tätigkeitsprofil.
20       III. Zielgrößen und Ergebnisse

• B
   eobachtungen bei mindestens sechs unter-                                              wichtigen Tätigkeiten sowie eine gemeinsame
  schiedlichen Personen. Dies soll dafür sorgen,                                          Lösungsfindung. Für die konkreten Tätigkeiten
  dass der Wert von Monat zu Monat hinreichend                                            wurde keine Mindestmenge an Beobachtungen
  repräsentativ für die Station ist.                                                      vorgegeben.

• B
   eobachtungen innerhalb von maximal fünf                                               Da nicht alle teilnehmenden Stationen bereits
  aufeinanderfolgenden Arbeitstagen. Dies ermög-                                          Erfahrung mit der Compliance-Beobachtung
  licht, dass der Compliance-Wert einem festen                                            hatten, wurden die Grundlagen der Beobachtung
  Zeitpunkt zugeordnet werden kann. Somit wer-                                            im Rahmen der Auftaktveranstaltung in Berlin
  den Vorher-Nachher-Vergleiche, beispielsweise                                           aufgefrischt. Dadurch wurde sichergestellt, dass
  nach der Umsetzung konkreter Maßnahmen,                                                 alle Hygienefachkräfte die notwendigen Kenntnis-
  möglich.                                                                                se für die Compliance-Beobachtung be­saßen und
                                                                                          auch die Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte in den
Die Dokumentation der Beobachtung erfolgte mit-                                           Leitungsteams mit dem Vorgehen bei der Erfas-
tels eines standardisierten Beobachtungsbogens                                            sung der Daten bekannt und vertraut waren.
(siehe Abbildung 9), der im Nachgang elektronisch
erfasst und ausgewertet wurde. Neben den bereits                                          Um die regulären Arbeitsabläufe nicht zu unter-
genannten fünf Indikationen nach WHO und                                                  brechen erhielten die Mitarbeitenden während
KRINKO wurde bei der Indikation „aseptische Tä-                                           der Compliance-Beobachtung nur auf Nachfrage
tigkeit“ zusätzlich die konkrete Tätigkeit (beispiels-                                    Feedback von der Hygienefachkraft. Relevante Be-
weise Verbandwechsel, Zugänge legen) erfasst. Dies                                        obachtungen konnten darüber hinaus in den Team-
ermöglichte gezielte Diskussionen über Probleme                                           meetings für Infektionsprävention in Form von
bei diesen für das infektionsgeschehen besonders                                          anonymisierten Fallbeispielen thematisiert werden.

                  Händedesinfektion – Compliance Beobachtungsbogen (GIP – Gemeinsam für Infektionsprävention)

  Krankenhaus KISS-Kürzel: __________               Stationsname: _____________________
  Datum (TT / MM / JJ): __ __ / __ __ / __ __ Gesamtzahl Patienten ____ Gesamtzahl Pflegepersonal ____

  Berufsgruppe:                                                                     Berufsgruppe:
  HDG      Indikation         Zuordnung aseptische Tätigkeit          Aktion                          Indikation                               Zuordnung aseptische Tätigkeit                                                                 Aktion
                                                                                    HDG
           U+00e6 vor Patk    U+00e6   Beatmung                                                       U+00e6 vor Patk                          U+00e6    Beatmung
                              U+00e6   i.v. Medikamente zubereiten                                                                             U+00e6    i.v. Medikamente zubereiten
           U+00e6 vor asept                                                                           U+00e6 vor asept
                              U+00e6   Manip. i.v. / i.a. Zugänge     U+00e6 Ja                                                                U+00e6    Manip. i.v. / i.a. Zugänge                                                           U+00e6 Ja
     1     U+00e6 nach inf    U+00e6   Verbandsw. / Manip. Drainage                    2              U+00e6 nach inf                          U+00e6    Verbandsw. / Manip. Drainage
           U+00e6 nach Patk   U+00e6   Punktionen / Zugänge legen     U+00e6 Nein                     U+00e6 nach Patk                         U+00e6    Punktionen / Zugänge legen                                                           U+00e6 Nein
                              U+00e6   Kontakt Schleimhäute                                                                                    U+00e6    Kontakt Schleimhäute
           U+00e6 nach Um                                                                             U+00e6 nach Um
                              U+00e6   keine Angabe                                                                                            U+00e6    keine Angabe
  Berufsgruppe:
                                                                                    Berufsgruppe:
  HDG      Indikation         Zuordnung aseptische Tätigkeit          Aktion                           Indikation                               Zuordnung aseptische Tätigkeit                                                                 Aktion
                                                                                    HDG
           U+00e6 vor Patk    U+00e6   Beatmung                                                        U+00e6 vor Patk                          U+00e6   Beatmung
                              U+00e6   i.v. Medikamente zubereiten                                                                              U+00e6   i.v. Medikamente zubereiten
           U+00e6 vor asept                                                                            U+00e6 vor asept
                              U+00e6   Manip. i.v. / i.a. Zugänge     U+00e6 Ja                                                                 U+00e6   Manip. i.v. / i.a. Zugänge                                                            U+00e6 Ja
     3     U+00e6 nach inf    U+00e6   Verbandsw. / Manip. Drainage                                    U+00e6 nach inf                          U+00e6   Verbandsw. / Manip. Drainage
           U+00e6 nach Patk   U+00e6   Punktionen / Zugänge legen     U+00e6 Nein      4               U+00e6 nach Patk                         U+00e6   Punktionen / Zugänge legen                                                            U+00e6 Nein
                              U+00e6   Kontakt Schleimhäute                                                                                     U+00e6   Kontakt Schleimhäute
           U+00e6 nach Um                                                                              U+00e6 nach Um
                              U+00e6   keine Angabe                                                                                             U+00e6   keine Angabe
  Berufsgruppe:
                                                                                    Durchgeführte Händedesinfektionen ohne Indikation
  HDG      Indikation         Zuordnung aseptische Tätigkeit          Aktion

           U+00e6 vor Patk    U+00e6   Beatmung                                     U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6
                              U+00e6   i.v. Medikamente zubereiten
           U+00e6 vor asept                                                         Beobachtungen, Hinweise für Feedbackveranstaltung
                              U+00e6   Manip. i.v. / i.a. Zugänge     U+00e6 Ja
     5     U+00e6 nach inf    U+00e6   Verbandsw. / Manip. Drainage
           U+00e6 nach Patk   U+00e6   Punktionen / Zugänge legen     U+00e6 Nein
                              U+00e6   Kontakt Schleimhäute
           U+00e6 nach Um
                              U+00e6   keine Angabe

Abbildung 9: Standardisierter Beobachtungsbogen
III. Zielgrößen und Ergebnisse   21

Ergebnisse
Die Datenanalyse hat ergeben, dass der Unter-                                                    Im Durchschnitt verbesserten die
schied in den Startwerten von Gruppe 1 und
Gruppe 2 statistisch insignifikant istxx, woraus
sich ableiten lässt, dass es während der Maßnah-
                                                                                         !       teilnehmenden Intensivstationen
                                                                                                 ihre Händehygiene­-Compliance
                                                                                                 von 71 % zu Beginn auf 84 % nach
me keinen allgemeinen Trend gegeben hat (siehe                                                   einem Jahr aktiver Programmteil­
Abbildung 7). In diesem Fall ist ein Zusammen-                                       nahme. Dieser Anstieg um 13 Prozentpunkte
fassen der Gruppen und Vergleich der Ergebnisse                                      entspricht einer Steigerung um 18 % des Aus­
zu Beginn und Ende der Programmteilnahme                                             gangswertes.
zulässig, sodass im Folgenden ausschließlich die
aggregierten Ergebnisse gezeigt werden. Im Ma-
terialband werden auch Gruppenvergleich sowie                                     also rund zwei Drittel des Effekts auch ein Jahr
Einzelauswertungen der Gruppen gezeigt (siehe                                     nach Ende der aktiven Programmteilnahme noch
Materialband A4).                                                                 vorhanden.

Im Durchschnitt verbesserten die teilnehmen-                                      Weitere Erkenntnisse lassen sich bei einer geson-
den Intensivstationen ihre Hände­hygiene-                                         derten Betrachtung der Stationen je nach Ausgangs-
Compliance von 71 % zu Beginn auf 84 % nach                                       lage der Stationen gewinnen: Bei den Stationen,
einem Jahr aktiver Programmteilnahme. Dieser                                      deren Compliance zu Beginn des Programms im
Anstieg um 13 Prozentpunkte entspricht einer                                      unteren Viertel des Teilnehmerfelds lag (1. Quartil),
Steigerung um 18 % des Ausgangswertes. Bei                                        verbesserte sich die Compliance im Programmver-
einer Nachmessung rund ein Jahr nach dem Ende                                     lauf von einem durchschnittlichen Ausgangswert
der aktiven Programmteilnahme lag die durch-                                      von 52 % auf 78 % nach einem Jahr der aktiven
schnittliche Compliance noch bei 80 %, was einer                                  Programmteilnahme. Dieser Anstieg um 26 Pro-
Steigerung um 9 Prozentpunkte oder 13 % des                                       zentpunkte entspricht einer Steigerung um 50 %
Ausgangswertes entspricht. In der Summe waren                                     des Ausgangswertes. Bei der Nachmessung ein Jahr

    Entwicklung der Gesamt-Compliance nach Kohorten

                                    90 %
     Händehygiene-Compliance in %

                                    80 %

                                    70 %

                                    60 %

                                    50 %

                                    40 %

                                    30 %

                                    20 %
                                    10 %

                                     0%
                                           T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 T8 T9 T10 T11 T12 T13 T14 T15 T16 T17 T18 T19 T20 T21 T22 T23 T24

                                                                   Programmzeitraum in Monaten
                                       Kohorte 1       Kohorte 2

Abbildung 10: Entwicklung der Compliance nach Kohorten.
22              III. Zielgrößen und Ergebnisse

     Entwicklung der Gesamt-Compliance nach Quartilen

                                    100 %

                                     90 %
     Händehygiene-Compliance in %

                                     80 %

                                     70 %

                                     60 %

                                     50 %

                                     40 %

                                     30 %

                                     20 %

                                     10 %

                                      0%
                                            T1      T2    T3    T4   T5   T6      T7     T8      T9   T10   T11   T12            T24

                                                                     Programmzeitraum in Monaten

                                        Quartil 1        Quartil 2    Quartil 3        Quartil 4

Abbildung 11: Entwicklung der Gesamt-Compliance nach Quartilen

nach Ende der aktiven Programmteilnahme lag in                                         fallenen Messwerten zu erwarten, dass zukünftige
dieser Gruppe die durchschnittliche Compliance                                         Messungen näher am Durchschnitt liegen. Diese
noch bei 75 %, was einer Steigerung um 23 Prozent-                                     Regression zur Mitte erklärt die leichte Verringe-
punkte oder 44 % des Ausgangswertes entspricht.                                        rung der Compliance für Stationen mit besonders
                                                                                       hohen Ausgangswerten. Umgekehrt bedeutet die-
Bei den Stationen, deren Compliance zu Beginn                                          ser Umstand auch, dass ein kleiner Teil der Verän-
des Programms im oberen Viertel des Teilnehmer-                                        derung bei Stationen im ersten Quartil dem Zufall
felds lag (4. Quartil), waren die Verbesserungen im                                    geschuldet sein kann. In Anbetracht der deutlichen
Vergleich deutlich geringer ausgeprägt und weisen                                      Steigerung dieser Gruppe ist dieser Effekt jedoch
einen Deckeneffekt auf. Diese Gruppe begann das                                        vernachlässigbar.
Programm bereits mit einer sehr hohen durch-
schnittlichen Compliance von 88 % und konnte                                           Es konnten also jene Stationen besonders von der
diese zum Ende der aktiven Programmphase auf                                           Programmteilnahme profitieren, die zu Beginn des
durchschnittlich 90% verbessern.                                                       Programms größere Defizite bei der Hände­hygiene
                                                                                       aufgewiesen hatten. (siehe Abbildung 11).
Dieser Anstieg um 2 Prozentpunkte entspricht
einer Steigerung um 2 % des Ausgangswertes. Bei
der Nachmessung ein Jahr nach Ende der aktiven
Programmteilnahme lag in dieser Gruppe die                                                               Es konnten also jene Stationen
Compliance bei 84 %, was einer Steigerung um
4 Prozentpunkte oder 5 % des Ausgangswertes
                                                                                                 !       besonders von der Programmteil­
                                                                                                         nahme profitieren, die zu Beginn
entspricht. Eine mögliche Erklärung hierfür ist die                                                      des Programms größere Defizite
sogenannte Regression zur Mitte. Falls der Zufall                                             bei der Händehygiene aufgewiesen hatten.
Einfluss auf die Compliance hat, so ist es bei ausge-
III. Zielgrößen und Ergebnisse   23

Mit Blick auf die verschiedenen Indikationen zur                                     deutlich an. Das insgesamt niedrigere Niveau bei
Händehygiene ließen sich sowohl bei den Aus-                                         den besonders kritischen aseptischen Tätigkeiten
gangs- als auch den Endwerten zum Teil deutliche                                     macht jedoch deutlich, dass trotz deutlicher Verbes-
Unterschiede bei der Compliance beobachten. Bei                                      serungen noch weiteres Potential besteht.
der für die Infektionsprävention besonders bedeut-
samen Indikation „vor aseptischen Tätigkeiten“                                       Aussagekraft der Daten
verbesserte sich die Compliance von 58 % zu Beginn                                   Immer dann, wenn eine Studie wie hier im Falle der
des Programms auf 78 % zum Ende der aktiven                                          Compliance-Messungen menschliches Verhalten
Programmteilnahme. Ein Jahr später wurde durch-                                      beobachtet, besteht die Möglichkeit eines sogenann-
schnittlich noch ein Wert von 70 % erreicht. Damit                                   ten Hawthorne-Effekts. Dieser tritt dann auf, wenn
wurde bei den aseptischen Tätigkeiten eine deutli-                                   Menschen ihr Verhalten nur deshalb ändern, weil
che und nachhaltige Verbesserung erzielt. Dennoch                                    sie wissen, dass sie sie an einer Studie teilnehmenxx.
hatten hier sowohl Ausgangs- als auch Endcompli-
ance im Vergleich der fünf Indikationen den jeweils                                  Hierzu lässt sich zunächst anmerken, dass ein
niedrigsten Wert. Die höchsten Compliancewerte                                       gesteigertes Bewusstsein für das Thema der Hän-
konnten im Vergleich hierzu bei der Indikation                                       dehygiene durch die Anwesenheit einer Hygiene-
„nach Patientenkontakt“ beobachtet werden. Hier                                      fachkraft durchaus ein intendierter Effekt des
lag die durchschnittliche Compliance zu Beginn des                                   Programms ist. Dies gilt allerdings nur insofern,
Programms bei 83 % und verbesserte sich auf 91 %                                     als die Verhaltensänderung nicht nur während
zum Ende der aktiven Programmteilnahme. Ein                                          der ComplianceBeobachtung, sondern auch in der
Jahr später wurde durchschnittlich noch ein Wert                                     übrigen Zeit gezeigt wird. Auch wenn die offene
von 88 % erreicht. Auch bei den verschiedenen In-                                    Compliance-​Beobachtung durch geschulte Fach-
dikationen näherten sich also die Compliancewerte                                    kräfte als Goldstandard der Compliance-Messung

    Entwicklung der Gesamt-Compliance je Indikation
                                    100 %

                                     90 %
     Händehygiene-Compliance in %

                                     80 %

                                     70 %

                                     60 %

                                     50 %

                                     40 %

                                     30 %

                                     20 %

                                     10 %

                                      0%
                                            T1    T2    T3    T4      T5   T6   T7     T8    T9    T10   T11   T12                 T24

                                                                      Programmzeitraum in Monaten

                                        Gesamt                             Vor Patientenkontakt
                                        Vor aseptischen Tätigkeiten        Nach Kontakt mit potentiell infektiösem Material
                                        Nach Patientenkontakt              Nach Kontakt mit unmittelbarer Patientenumgebung

Abbildung 12: Übersicht über die Entwicklung der Compliance nach Indikationen
24   III. Zielgrößen und Ergebnisse

gilt, muss gerade bei dieser Methode die Gefahr       Zu guter Letzt ist anzumerken, dass alternative
eines Einflusses im Moment der Beobachtung be-        Methoden nicht zielführend gewesen wären. Zwar
achtet werden. Es kann jedoch davon ausgegangen       zeigen einzelne Studien mit verdeckten Mess-
werden, dass ein potentieller Hawthorne­Effekt zu     methoden (z.B. über nicht offengelegte Beob-
allen Messzeitpunkten vorhanden ist bzw. sich über    achtung oder Kamerasxxii) insgesamt niedrigere
den Verlauf der Studie durch Gewöhnungseffekte        Compliance-Werte als Studien mit offener Be-
tendenziell verringert. Daher können die relativen    obachtungxxiii xxiv, jedoch wäre ein Vorgehen ohne
Veränderungen zwischen Start- und Endpunkt            den Einbezug der betroffenen Belegschaft nicht
der Messung als reale Veränderungen angesehen         mit dem Grundsatz eines offenen, partizipativen
werden, auch wenn die absolute Höhe der Com-          Prozesses vereinbar gewesen.
pliance-Niveaus durch einen Hawthorne-Effekt
beeinflusst sein solltexxi.

b) Verbrauch Händedesinfektionsmittel

Messung                                               Aussagekraft der Daten
Der Verbrauch von Händedesinfektionsmitteln           Da der HDM-Verbrauch auf der Basis von Ein-
(HDM) stellt eine komplementäre Maßzahl zur           kaufsdaten ermittelt wird, ist nicht komplett
Compliance dar, mit der die Quantität der Hände-      sicher, dass die entsprechenden Mengen auch
desinfektionen gemessen werden kann. Während          wirklich verbraucht wurden. Denkbar wäre bei-
die Compliance angibt, ob eine notwendige Hän-        spielsweise, dass im Zuge der Gebäudereinigung
dedesinfektion tatsächlich erfolgt ist oder nicht,    noch nicht komplett entleerte HDM-Behälter
ermöglicht der HDM-Verbrauch eine Einschät-           ausgetauscht werden. Der HDM-Verbrauch stellt
zung der Menge erfolgter Händedesinfektionen.         damit also eine eher grobe Messzahl dar, bei der
Diese Daten erfassen auch den Zeitraum zwischen       eine gewisse Schwankungsbreite angenommen
den Beobachtungen der Hygienefachkraft, lassen        werden muss. Ein genauerer Weg, die HDM-Ver-
jedoch keine Aussage darüber zu, ob diese Hände-      bräuche zu messen, sind elektronische HDM-
desinfektionen zum richtigen Moment erfolgen          Spender mit Messvorrichtung. Sie ermöglichen, die
oder nicht. Er ist damit ein Surrogatparameter der    tatsächliche Anzahl an Pumpvorgängen zu messen
auf der Annahme basiert, dass eine bessere Hän-       und im Netzwerk zu übertragen. Allerdings war
dehygiene üblicherweise auch mit zusätzlichen         nur ein kleiner Teil der teilnehmenden Stationen
Händedesinfektionen einhergeht.                       mit diesen Spendern ausgestattet, so dass diese He-
                                                      rangehensweise in der vorliegenden Studie nicht
Der HDM-Verbrauch wird quartalsweise auf der          verwendet werden konnte.
Basis von Einkaufsdaten ermittelt und in Milliliter
pro Patiententag angegeben.                           Bezüglich der Komplementarität der HDM-Ver-
                                                      bräuche mit der Compliance ist anzumerken,
Ergebnisse                                            dass es grundsätzlich denkbar ist, dass eine Quali-
Im Rahmen von GIP zeigte sich eine Steigerung         tätsverbesserung in der Händehygiene ohne eine
von durchschnittlich 114 ml pro Patiententag zu       vergleichbare Erhöhung der HDM-Verbräuche er-
Beginn des Programms hin zu 126 ml pro Pa-            folgen kann. Wenn Händedesinfektionen vermehrt
tiententag drei Quartale später. Ausgehend von        zum richtigen Zeitpunkt stattfinden und dadurch
einer durchschnittlichen Menge von 3 ml HDM           überflüssige Händedesinfektionen ohne Indika-
pro Händedesinfektion entspricht dies mit einer       tion entfallen, so schlägt sich dies in der Qualität
durchschnittlichen Steigerung von 38 auf 42           der Händehygiene nieder ohne die Quantität zu
Händedesinfektionen ca. 4 zusätzlichen Händedes-      steigern.
infektionen pro Patiententag.
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