Patientensicherheit im Krankenhaus: Gemeinsam für die Infektions prävention - Untersuchung zur Wirkung eines Programms zur Infektionsprävention ...
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Patientensicherheit im Krankenhaus: Gemeinsam für die Infektions prävention Untersuchung zur Wirkung eines Programms zur Infektionsprävention durch Partizipation, Feedback und Leadership auf Intensivstationen
Inhalt Kurzfassung.............................................................................................................................................. 4 I. Programm............................................................................................................................................ 10 a) Bausteine des Programms.................................................................................................... 12 b) Entwicklung des Programms und Studienbegleitung .................................................. 13 II. Untersuchung.................................................................................................................................... 14 a) Forschungsdesign................................................................................................................... 15 b) Teilnehmer............................................................................................................................... 16 III. Zielgrößen und Ergebnisse............................................................................................................ 18 a) Compliance bei Händehygiene............................................................................................ 19 b) Verbrauch Händedesinfektionsmittel................................................................................ 24 c) Inzidenzdichte nosokomialer Infektionen....................................................................... 25 d) Kompetenz- und Sicherheitserleben................................................................................. 26 e) Einordnung und Ausblick...................................................................................................... 28 Endnoten................................................................................................................................................. 30 Abkürzungsverzeichnis........................................................................................................................ 32 Glossar...................................................................................................................................................... 32 Abbildungsverzeichnis......................................................................................................................... 33 Tabellenverzeichnis............................................................................................................................... 33 Danksagung............................................................................................................................................ 34 Mit Bürgern für Bürger – Verstehen, Entwickeln, Testen ............................................................ 35 Impressum.............................................................................................................................................. 38
Kurzfassung 5 Jedes Jahr kommt es laut aktuellen Schätzungen Das Programm GIP besteht aus drei ineinander- des Robert Koch-Instituts zu 400.000 bis 600.000 greifenden Bausteinen: behandlungsassoziierten Infektionen in deutschen Krankenhäusern, 10.000 bis 20.000 dieser Infektio- (1) Auf jeder Station ist ein multiprofessionelles nen verlaufen tödlichi. Studien gehen davon aus, Team aus ärztlicher und pflegerischer Leitung dass rund ein Drittel dieser Infektionen vermeid- sowie einer Hygienefachkraft gemeinsam für bar wäreii. die Leitung des Programms verantwortlich und nimmt eine wichtige Vorbildfunktion Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat ein. Dadurch wird deutlich gemacht, dass sich zum Ziel gesetzt, die Zahl der behandlungs- Hygiene ein Thema ist, welches unabhängig assoziierten Krankenhausinfektionen zu senken von Hierarchiegrenzen für alle Berufsgruppen und setzt hierzu verschiedene Maßnahmen und gleichermaßen relevant ist. Regelungen umiii. (2) Über ein Jahr hinweg finden monatlich Ein wesentlicher Faktor bei der Vermeidung von Messungen der Einhaltung der Regeln zur Infektionen und damit für die Patientensicher- Händehygiene, der sogenannten Compliance, heit ist die Händehygiene von Ärztinnen, Ärzten statt. Dadurch werden Transparenz über die und Pflegekräften. Zur weiteren Verbesserung Qualität der Händehygiene auf der Station der Händehygiene in Krankenhäusern hat das geschaffen und Verbesserungen im Zeitverlauf Referat 612 wirksam regieren des Bundeskanzler- sichtbar gemacht. amtes gemeinsam mit Expertinnen und Experten des Nationalen Referenzzentrums für die Sur- (3) In monatlichen Teammeetings zur Infektions- veillance von nosokomialen Infektionen (NRZ) prävention (TIP) bespricht das Stationsteam, und Praktikern (Intensivmedizinern, Pflege- und bestehend aus dem ärztlichen und pflege- Hygienefachkräften) das Programm „Gemeinsam rischen Personal, die Ergebnisse der aktuel- für Infektionsprävention“ (GIP) entwickelt und len Compliance-Beobachtung. Gemeinsam empirisch mit 81 Intensivstationen in Deutschland werden auf dieser Basis Maßnahmen vom getestet. Darin werden arbeits- und organisations- Stationsteam entwickelt und umgesetzt, um psychologische Aspekte bei der Händehygiene (z.B. selbst gesteckte Ziele bei der Händehygiene- erschwertes Lernen mangels direkten Feedbacks, Compliance zu erreichen. hierarchiebedingte Kommunikationsbarrieren) adressiert.
6 Kurzfassung FÜNF INDIKATIONEN Fünf Indikationen zurZUR HÄNDEDESINFEKTION Händedesinfektion VOR PATIENTENKONTAKT VOR EINER ASEPTISCHEN 1 2 TÄTIGKEIT NACH KONTAKT MIT NACH PATIENTENKONTAKT NACH KONTAKT 3 POTENZIELL 4 5 MIT DER UNMITTELBAREN INFEKTIÖSEM MATERIAL PATIENTENUMGEBUNG 167 98 22 Abbildung 1: Die 5 Indikationen zur Händedesinfektion Ziel des Programms ist die Verbesserung der Relevanz bei der Vermeidung von nosokomialen Compliance bei der Händehygiene. Die Compli- Infektionen zugemesseniv. ance ist damit die zentrale Ergebnis-Variable. Sie bezeichnet den Anteil der tatsächlich erfolgten Die Compliance, unterteilt nach den genannten 5 Händedesinfektionen an der Gesamtmenge der Indikationen, wurde auf den teilnehmenden Sta- laut den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisa- tionen über ein Jahr hinweg auf monatlicher Basis tion (WHO) geforderten FÜNF Händedesinfektionen INDIKATIONEN und durch direkte Beobachtung von einer geschulten wird als Prozentwert angegeben. Dabei werden die ZUR HÄNDEDESINFEKTION Hygienefachkraft erhoben. folgenden 5 FÜNF INDIKATIONENSituationen, sogenannte Indikationen, TIONEN unterschieden, FÜNFin 1 ZUR HÄNDEDESINFEKTION denen eine Händedesinfektion VOR PATIENTENKONTAKT INDIKATIONEN 2 VOR EINER ASEPTISCHEN TÄTIGKEIT Um die Nachhaltigkeit der erzielten Verbesserun- erfolgen NFEKTION NDIKATIONEN ZUR soll: HÄNDEDESINFEKTION gen zu messen, erfolgte 12 Monate nach Abschluss des Programms eine Nachmessung. R PATIENTENKONTAKT VOR EINER ASEPTISCHEN 2 DEDESINFEKTION TÄTIGKEIT VOR EINER ASEPTISCHEN 2 1.1 vor Patientenkontakt TÄTIGKEIT VOR PATIENTENKONTAKT 2 VOR EINER ASEPTISCHEN TÄTIGKEIT 2.2 TÄTIGKEIT vor aseptischen Tätigkeiten VOR EINER ASEPTISCHEN Neben der Compliance wurden als weitere Indika- 3.3 POTENZIELL nach Kontakt mit potentiell NACH KONTAKT MIT 4 infektiösem 5 MIT DER UNMITTELBAREN NACH PATIENTENKONTAKT toren der Verbrauch von Händedesinfektionsmit- NACH KONTAKT INFEKTIÖSEM MATERIAL PATIENTENUMGEBUNG Material 167 98 tel einmal pro Quartal sowie die von den Stations- 4.4 NACH nach Patientenkontakt mitarbeitenden subjektiv erlebte Kompetenz in 22 T PATIENTENKONTAKT 5 NACH KONTAKT MIT DER UNMITTELBAREN ERIAL PATIENTENUMGEBUNG 3 POTENZIELL5. nach Kontakt 4 mit der direkten Patienten 5 MIT DER UNMITTELBAREN Hygienefragen und die Anzahl nosokomialer In- KONTAKT NACH KONTAKT 5 MIT NACH KONTAKT MIT DER UNMITTELBAREN NACH PATIENTENKONTAKT 167 NACH KONTAKT PATIENTENUMGEBUNG INFEKTIÖSEM MATERIAL 98 PATIENTENUMGEBUNG umgebung fektionen auf Stationsebene jeweils zu Beginn und 22 CH PATIENTENKONTAKT 167 5 NACH KONTAKT MIT DER UNMITTELBAREN PATIENTENUMGEBUNG 98 167 Ende der aktiven Programmteilnahme erhoben. 22 98 22 167 98 Bei aseptischen Tätigkeiten handelt es sich bei- 22 spielsweise um das Legen und Manipulieren von Die Teilnahme an GIP zeigte folgende Ergebnisse: Kathetern, die Gabe von Injektionen oder das Im Durchschnitt verbesserten die teilnehmenden Versorgen von Wunden. Aufgrund der hierbei Intensivstationen ihre Händehygiene-Compliance erhöhten Gefahr, Erreger direkt in den Körper ein- von 71 % zu Beginn auf 84 % am Ende des Pro- zubringen, wird dieser Indikation eine besondere gramms. Dieser Anstieg um 13 Prozentpunkte ent-
Kurzfassung 7 spricht einer Steigerung von 18 % des Ausgangs- Erklärung hierfür ist die sogenannte Regression zur wertes. Bei einer Nachmessung rund ein Jahr nach Mitte. Diese bezeichnet das Phänomen, dass nach dem Ende des Programms lag die durchschnittli- einem extrem ausgefallenen Messwert die nachfol- che Compliance bei 80 %, was einer Steigerung von gende Messung wieder näher am Durchschnitt liegt, 13 % (9 Prozentpunkte) gegenüber dem Ausgangs- falls der Zufall einen Einfluss auf die Messgröße hat. wert entspricht. Damit zeichnet sich das Programm durch eine hohe Nachhaltigkeit aus. An diesen Ergebnissen zeigt sich, dass vor allem jene Stationen von der Programmteilnahme profi- Weitere Erkenntnisse lassen sich bei einer geson- tierten, die zu Beginn des Programms die größeren derten Betrachtung der Stationen je nach indivi- Defizite bei der Händehygiene aufgewiesen hatten dueller Ausgangslage gewinnen: Bei den Stationen, (siehe Abbildung 2). deren Compliance zu Beginn des Programms im unteren Viertel des Teilnehmerfelds lag (1. Quartil), verbesserte sich die Compliance im Programm- Es zeigt sich, dass vor allem jene verlauf von einem durchschnittlichen Ausgangs- wert von 52 % auf 78 % nach einem Jahr aktiver ! Stationen von der Programmteil nahme profitierten, die zu Beginn Programmteilnahme. Dieser Anstieg um 26 Pro- des Programms die größeren Defi zentpunkte entspricht einer Steigerung von 50 % zite bei der Händehygiene aufgewiesen hatten. des Ausgangswertes. Bei der Nachmessung ein Jahr nach Ende der aktiven Programmteilnahme lag in dieser Gruppe die durchschnittliche Compliance bei 75 %, was einer nachhaltigen Steigerung um Mit Blick auf die verschiedenen Indikationen zur 23 Prozentpunkten oder 44 % des Ausgangswertes Händehygiene lassen sich sowohl bei den Aus- entspricht. Bei den Stationen, deren Compliance gangs- als auch den Endwerten zum Teil deutliche zu Beginn des Programms im oberen Viertel des Unterschiede bei der Compliance beobachten. Bei Teilnehmerfelds lag (4. Quartil), waren die Verbes- der mutmaßlich für die Infektionsprävention zen- serungen erwartungsgemäß deutlich geringer und tralen Indikation „vor aseptischen Tätigkeiten“ ver- es konnte ein Deckeneffekt beobachtet werden. besserte sich die Compliance von 58 % zu Beginn Diese Gruppe begann das Programm bereits mit des Programms auf 78 % zum Ende der aktiven einer sehr hohen durchschnittlichen Compliance Programmteilnahme. Ein Jahr später wurde durch- von 88 % und konnte diese zum Ende der aktiven schnittlich immer noch ein Wert von 70 % erreicht. Programmphase auf 90 % verbessern. Dieser Anstieg Damit wurde bei den aseptischen Tätigkeiten eine deutliche und nachhaltige Verbesserung erzielt. Allerdings waren hier sowohl Ausgangs- als auch Im Durchschnitt verbesserten die Endwert der Compliance im Vergleich der 5 Indi- ! teilnehmenden Intensivstationen ihre HändehygieneCompliance kationen am niedrigsten. Die höchste Compliance konnte im Vergleich hierzu bei der Indikation „nach von 71 % zu Beginn auf 84 % am Patientenkontakt“ beobachtet werden. Hier lag der Ende des Programms. Dieser Anstieg um Durchschnittswert zu Beginn des Programms bei 13 Prozentpunkte entspricht einer Steigerung 83 % und verbesserte sich auf 91 % zum Ende der von 18 % des Ausgangswertes. aktiven Programmteilnahme. Ein Jahr später wurde durchschnittlich ein Wert von 88 % erreicht (siehe Abbildung 3). Das insgesamt niedrigere Niveau bei um 2 Prozentpunkte entspricht einer Steigerung den besonders kritischen aseptischen Tätigkeiten von 2 % des Ausgangswertes. Bei der Nachmessung macht jedoch deutlich, dass trotz deutlicher Verbes- ein Jahr nach Ende der aktiven Programmteilnah- serungen noch weiteres Potential besteht. me lag in dieser Gruppe die Compliance bei 84 %, was einer Verringerung um 4 Prozentpunkte oder 5 % des Augangswertes entspricht. Eine mögliche
8 Kurzfassung Entwicklung der Gesamt-Compliance nach Quartilen 100 % 90 % Händehygiene-Compliance in % 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0% T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 T8 T9 T10 T11 T12 T24 Programmzeitraum in Monaten Quartil 1 Quartil 2 Quartil 3 Quartil 4 Abbildung 2: Entwicklung der Gesamt-Compliance nach Quartilen Eine komplementäre Messgröße zur Compliance von 3 ml HDM pro Händedesinfektion entspricht stellt der Verbrauch von Händedesinfektionsmittel dies einer durchschnittlichen Steigerung von 38 (HDM) dar. Mit diesem Wert soll die Quantität der auf 42 Händedesinfektionen pro Patiententag. Händedesinfektionen gemessen werden. Wäh- rend die Compliance angibt, ob eine notwendige Neben den Indikatoren für die Qualität und Quan- Händedesinfektion tatsächlich erfolgt ist oder tität der Händehygiene wurde zu Beginn und am nicht, ermöglicht der HDM-Verbrauch eine Ein- Ende der 12-monatigen aktiven Prorammphase schätzung der Gesamtmenge erfolgter Händedes- zusätzlich das subjektive Erleben der eigenen Hy- infektionen. Er lässt jedoch keine Aussage darüber gienekompetenz sowie der Hygienekompetenz des zu, ob diese Händedesinfektionen zum richtigen Teams per Fragebogen erhoben. In beiden Fällen Moment erfolgen oder nicht. Er ist damit ein Sur- lag die subjektive wahrgenommene Hygienekom- rogatparameter, der auf der Annahme basiert, dass petenz zum Ende der Programmphase statistisch eine bessere Händehygiene üblicherweise auch signifikant höher als zum Programmbeginn. mit einer höheren Zahl an Händedesinfektionen einhergeht. Der HDM-Verbrauch wird quartalsweise auf der Basis von Einkaufsdaten ermittelt und in Milliliter pro Patiententag angegeben. Im Rahmen von GIP zeigte sich eine Steigerung von durchschnittlich 114 ml pro Patiententag zu Beginn des Programms hin zu 126 ml pro Patiententag drei Quartale später. Ausgehend von einer durchschnittlichen Menge
Kurzfassung 9 Entwicklung der Gesamt-Compliance nach Indikationen 100 % 90 % Händehygiene-Compliance in % 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0% T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 T8 T9 T10 T11 T12 T24 Programmzeitraum in Monaten Gesamt Vor Patientenkontakt Vor aseptischen Tätigkeiten Nach Kontakt mit Potentiell infektiösem Material Nach Patientenkontakt Nach Kontakt mit unmittelbarer Patientenumgebung Abbildung 3: Übersicht über die Entwicklung der Compliance nach Indikationen Zur Berechnung der Inzidenzdichte nosokomialer durch Hawthorne-Effektev. Dadurch können auch Infektionen auf den Stationen lagen die notwen- die deutlich gesteigerten Compliancewerte auf digen Infektionsdaten nur für rund die Hälfte der den Stationen eventuell noch unterhalb einer teilnehmenden Stationen vor. In dieser Teilgruppe kritischen Schwelle liegen, die für eine Reduktion konnten keine systematischen Veränderungen nosokomialer Infektionen ausschlaggebend istvi vii. bei den Infektionen nachgewiesen werden. Dieses Ergebnis wird folgendermaßen erklärt: Ein Teil der Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die nosokomialen Infektionen sind endogen, das heißt teilnehmenden Stationen durch das Programm durch die körpereigene Flora der Patientinnen und „Gemeinsam für Infektionsprävention“ eine Patienten bedingt. Diese endogenen Infektionen substantielle und nachhaltige Verbesserung bei der können durch bessere Händehygiene nur sehr Einhaltung der Regeln zur Händehygiene (Compli- bedingt vermindert werden. Damit ist ein voll- ance) erzielen konnten. Besonders stark profitier- ständiges Absinken der Infektionen auf null auch ten Stationen, die mit niedrigeren Werten gestartet bei hoher Compliance nicht zu erreichen. Da die waren. Bei allen 5 Indikationen zur Händehygi- Stationen mit vorliegenden Daten sehr niedrige ene wurden nachhaltige Verbesserungen erzielt. Ausgangswerte bei den Infektionen aufwiesen, Gleichzeitig besteht bei der für das Infektions- kommt es zu einem sogenannten Bodeneffekt. geschehen besonders wichtigen Indikation „vor Um unter diesen Bedingungen einen Einfluss der aseptischen Tätigkeiten“ noch weiteres Verbesse- gesteigerten Händehygiene auf die Infektionsra- rungspotenzial in Bezug auf die Händehygiene von ten nachzuweisen, wären deutlich größere Stich- Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften. proben und ein längerer Beobachtungszeitraum notwendig. Eine weitere Erklärung liegt in mög- lichen Verzerrungen der absoluten Compliance
10 Kurzfassung I. Programm
I. Programm 11 Jedes Jahr kommt es laut derzeitigen Schätzungen Notwendige Maßnahmen zur Verbesserung der des Robert Koch-Instituts zu 400.000 bis 600.000 Händehygiene hängen mitunter stark von lokalen behandlungsassoziierten Infektionen in deutschen Gegebenheiten wie etwa unterschiedlichen Wis- Krankenhäusern, 10.000 bis 20.000 dieser Infektio- sensständen der Mitarbeitenden bezüglich korrek- nen verlaufen tödlichviii. Studien gehen davon aus, ter Händehygiene, individuellen räumlichen As- dass rund ein Drittel dieser Infektionen vermeid- pekten bezüglich einer effektiven Platzierung von bar wäreix. Das Bundesministerium für Gesundheit Desinfektionsmittelspendern und Arbeitsmateria- (BMG) hat sich zum Ziel gesetzt, die Zahl der be- lien oder unterschiedlicher Personalausstattung handlungsassoziierten Krankenhausinfektionen zu ab. Eine wirkungsvolle Maßnahme zur Steigerung senken und setzt hierzu verschiedene Maßnahmen der Händehygiene muss daher die unterschiedli- und Regelungen umx. chen Voraussetzungen der teilnehmenden Inten- sivstationen berücksichtigen. Ein wesentlicher Faktor bei der Vermeidung von Infektionen und damit für die Patientensicherheit, Referat 612 wirksam regieren im Bundeskanz- ist die Händehygiene von Ärztinnen, Ärzten und leramt entwickelte im Auftrag des BMG und in Pflegekräften. Bei der Einhaltung der Regeln zur Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten Händehygiene (sogenannte Compliance) spielen des Nationalen Referenzzentrums für die Surveil- Arbeits- und organisationspsychologische Aspek- lance von nosokomialen Infektionen (NRZ) sowie te eine wichtige Rolle: Erreger sind unsichtbar, den Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften und Übertragungswege komplex und die Übertragung Hygienefachkräften einer Pilotstation der Charité im Einzelfall oft nicht nachvollziehbar. Ärztinnen, Berlin das ganzheitliche, auf 12 Monate angelegte Ärzte und Pflegekräfte erhalten zudem keine oder Programm „Gemeinsam für Infektionsprävention kaum Rückmeldungen über die Güte ihrer eigenen (GIP)“ für Intensivstationen. Händehygiene oder die des Stationsteams. Sys- tematische Fehler- und Schwachstellenanalysen Vor diesem Hintergrund beauftragte das Bundesmi- fehlen in der Regel oder werden nur nach schwer- nisterium für Gesundheit das Referat 612 wirksam wiegenderen Infektionsausbrüchen durchgeführt. regieren im Bundeskanzleramt eine passende Maß- All dies erschwert die Verbesserung der Arbeits- nahme zu entwickeln. Gemeinsam mit Expertinnen abläufe und die Entstehung eines Bewusstseins für und Experten des Nationalen Referenzzentrums die Auswirkungen des individuellen Verhaltens bei für die Surveillance von nosokomialen Infektionen der Händehygiene. Zudem kommen auf Intensiv- (NRZ) sowie den Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräf- stationen in vielen Fällen erschwerend eine hohe ten und Hygienefachkräften einer Pilotstation der Arbeitsbelastung, Zeitdruck und Unterbrechungen Charité Berlin entstand so für Intensivstationen das in den Arbeitsabläufen hinzu. ganzheitliche 12-monatige Programm „Gemeinsam für Infektionsprävention (GIP)“.
12 I. Programm a) Bausteine des Programms Das GIP-Programm setzt auf Mitwirkung, Mitver- Baustein 2: antwortung und Motivation. Erreicht wird dies Compliance-Beobachtungen durch die Verzahnung von drei Bausteinen, die auf In der Regel ist es für Stationsmitarbeitende nicht arbeits- und organisationspsychologischen Aspek- ersichtlich, wie gut es auf einer Station um die ten bei der Einhaltung der Händehygiene aufbau- Compliance, also die Einhaltung der Regeln zur en und eine individuelle Anpassung von Maßnah- Händehygiene, bestellt ist. Bereits die Einschät- men an die Stationsgegebenheiten erlauben. zung der persönlichen Compliance kann schwierig sein, beispielsweise wenn kein sicheres Wissen zu Baustein 1: den Compliance-Empfehlungen bei unterschied- Multiprofessionelles Leitungsteam lichen Indikationen besteht. Die Compliance des Der erste zentrale Baustein des Programms ist die gesamten Stationsteams einzuschätzen, ist für eine kontinuierliche Unterstützung durch ein multipro- Einzelperson kaum möglich. Messungen der Com- fessionelles Leitungsteam, bestehend aus der ärztli- pliance finden typischerweise, wenn überhaupt, chen und der pflegerischen Leitung der Station mit einmal pro Jahr stattxii. fachlicher Unterstützung einer Hygienefachkraft, die typischerweise stationsübergreifend tätig ist. Der zweite zentrale Baustein von GIP ist daher, durch regelmäßig durchgeführte Compliance-Be- Das multiprofessionelle Leitungsteam schafft zu- obachtungen auf den teilnehmenden Stationen, nächst Akzeptanz für das Thema und die Arbeit Transparenz über die Einhaltung der Hände der Hygienefachkraft, die professionelle Compli- hygiene zu schaffen. Dazu wurde auf den Statio- ance-Beobachtungen auf der Station durchführt nen durch je eine ausgebildete Hygienefachkraft, (siehe Baustein 2). Durch das gemeinsame Auftreten die selbst nicht Mitglied der Station ist, ein Jahr und die Zusammenarbeit macht das Leitungsteam lang monatlich der reguläre Arbeitsalltag beobach- deutlich, dass das Thema Hygiene unabhängig von tet. Im Rahmen dieser Beobachtung wurden pro Berufsgruppe und Hierarchie relevant ist. Dies Station und Monat mindestens 200 sogenannte bereitet die Grundlage für eine berufsgruppenüber- Indikationen erfasst, also Situationen in denen greifende Suche nach Lösungen in den monatlich nach den Empfehlungen der Weltgesundheits- stattfindenden „Teammeetings Infektionspräventi- organisation (WHO) und der Kommission für on“, kurz TIP (siehe Baustein 3). Zu guter Letzt über- Krankenhaushygiene und Infektionsprävention nimmt das Leitungsteam durch aktives Vorleben (KRINKO) eine Händedesinfektion erfolgen sollte. einer guten Händehygiene eine Vorbildfunktionxi. Die Bereitschaft der ärztlichen und pflegerischen Stationsleitung, das Projekt aktiv zu unterstützen und an einer Auftakt- und Schulungsveranstaltung in Berlin teilzunehmen, bildete eine Teilnahmevo- raussetzung des Projekts. Baustein 1 Baustein 2 Baustein 3 Multiprofessionelles Compliance-Beobachtungen Teammeetings Infektionsprävention Leitungsteam • Beobachtungen von 200 • • Gemeinsames Auftreten und Indikationen/Monat kommen monatlich für 30 Min. zusammen Zusammenarbeit bei Hygienethema • Ermöglicht hilfreiche • Ergebnisse der Beobachtungen werden • Anerkennung des Hygienethemas und Rückmeldung im Team erörtert der Hygienefachkraft als Experte/in • Onlinetool für sofortige • Offener Umgang mit Problemen in den • Leadership und Vorbildfunktion Auswertung Arbeitsabläufen • Liefert konkrete Ansatzpunkte • Team setzt sich Ziele für die Compliance Stationsleitung für Veränderungen und entwickelt gemeinsam Maßnahmen Abbildung 4: Die 3 Bausteine von „Gemeinsam für Infektionsprävention“
I. Programm 13 Die monatlich erhobenen Compliance-Daten zu verbessern (Dokumentationsbögen der Team- bilden eine wichtige Grundlage für die Stations- meetings für Infektionsprävention siehe Material- teams, um Schwachstellen in der Händehygiene zu band A2). erkennen. Hierbei macht die Differenzierung nach Indikationen ein besonders gezieltes Vorgehen Zentral für ein Teammeeting Infektionsprävention möglich. Wenn Maßnahmen zur Verbesserung der ist der Gedanke, dass berufsgruppen- und hierarchie Händehygiene beschlossen und umgesetzt werden, übergreifend jedes einzelne Mitglied des Stations- sind die Daten zudem ein wichtiger Fortschritts- teams über relevantes Erfahrungswissen verfügt, und Erfolgsmesser. das einen Beitrag zur gemeinsamen Problemlösung leisten kannxiii. Gemeinsam werden Ziele gesetzt und Baustein 3: im konstruktiven Dialog nach Lösungen gesucht. Teammeetings Infektionsprävention (TIP) Der dritte integrale Baustein von GIP sind monat- Dem multiprofessionellen Leitungsteam kommt lich stattfindende Teammeetings Infektionsprä- hierbei auch die wichtige Aufgabe zu, Hygiene als vention. In den TIP kommen die ärztlichen und ein Thema zu etablieren, das in der gemeinsamen pflegerischen Stationsmitglieder unter Leitung des Verantwortung des Teams, aber auch jedes einzel- multiprofessionellen Leitungsteams zusammen, nen Teammitglieds liegt. Gleichzeitig obliegt es dem besprechen die Ergebnisse der aktuellen Compli- Leitungsteam, eine offene Gesprächsatmosphäre zu ance-Beobachtung und entwickeln gemeinsam schaffen, in der der Beitrag jedes und jeder Einzel- Maßnahmen, um die Händehygiene-Compliance nen geschätzt wird. b) Entwicklung des Programms und Studienbegleitung Das Programm GIP wurde auf der Basis umfang- Anschließend wurden die Leitungsteams der an reicher Literaturrecherchen in den Bereichen der der Studie teilnehmenden Stationen mit einer Arbeits- und Organisationspsychologie, der Hu- Auftaktveranstaltung für die Teilnahme an GIP man-Factors-Forschungxiv und der Infektiologiexv von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des NRZ sowie aus Interviews mit den Hygieneexpertinnen und wirksam regieren geschult. Zentrale Themen und -experten des NRZ entwickelt. Im Rahmen waren hierbei die Rolle des Leitungsteams, die Me- einer Pilotierung an einer Station der Charité-Uni- thodik zur Beobachtung und Erfassung der Com- versitätsmedizin Berlin wurde der erarbeitete pliance sowie die Beantwortung von Fragen der Ansatz vorab getestet und in Workshops mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Für eventuelle dort arbeitenden Intensivmedizinern, Pflegekräf- Fragen zur Umsetzung des Programms während ten und der verantwortlichen Hygienefachkraft der zwölfmonatigen aktiven Programmphase, der weiterentwickelt und ausdifferenziert. So wurden Compliance-Beobachtungen und der Teammee- auf Basis der Erfahrungen der Pilotstation bei- tings stand darüber hinaus ein Telefonsupport am spielsweise umfangreiche Materialien erstellt, um NRZ zur Verfügung. den teilnehmenden Stationen die Umsetzung des Programms vor Ort soweit wie möglich zu erleich- tern (beispielsweise durch standardisierte Power- point-Vorlagen zur Präsentation der Ergebnisse der monatlichen Compliance-Beobachtungen, Ankün- digungsposter und FAQs; weitere Materialien für die Krankenhäuser siehe Materialband A2).
14 II. Untersuchung II. Untersuchung
II. Untersuchung 15 · Auftaktveranstaltung Erfahrungsaustausch · Schulung der Leitungsteams Monat 1 Monat 2 Monat 3 Monat 4 Monat 5 Monat 6 Monat 7 Monat 8 Monat 9 Monat 10 Monat 11 Monat 12 Monat 24 t0 TIP 1 t1 TIP 2 t2 TIP 3 t3 TIP 4 t4 TIP 5 t5 TIP 6 t6 TIP 7 t7 TIP 8 t8 TIP 9 t9 TIP 10 t10 TIP 11 t11 TIP 12 t12 Kontinuierlicher Telefonsupport während der Studienlaufzeit t = Compliance Beobachtungen Händehygiene TIP = Teammeeting Infektionprävention Abbildung 5: Begleitung der teilnehmenden Stationen während GIP a) Forschungsdesign Das Forschungsdesign einschließlich der primä- Die Studienteilnehmer werden hierbei per Zufall ren und sekundären Zielgrößen und Hypothesen zwei Gruppen mit unterschiedlichen Startzeitpunk- sowie der geplanten Analysen wurde in einem ten zugeteilt. Während Gruppe 1 mit der zu unter- detaillierten Prä-Analyseplan festgehalten. Dieser suchenden Maßnahme – hier also GIP – startet, ist zusammen mit Erläuterungen zu notwendigen nimmt Gruppe 2 zunächst nicht an der Maßnahme Anpassungen an den Analysen im Materialband teil und fungiert somit als Kontrollgruppe. Gruppe 2 zum Bericht enthalten (siehe Materialband A1). beginnt erst dann mit der Teilnahme, wenn Grup- pe 1 die Maßnahme vollständig durchlaufen hat. Als Forschungsdesign wurde ein sogenanntes Step- Ein Vergleich der Compliancewerte von Gruppe 1 ped-Wedge-Designxvi implementiert. Ein Stepped- am Ende der Maßnahme mit den Werten von Grup- Wedge-Design ist ein Sonderfall einer randomisiert pe 2 am Anfang der Maßnahme bildet damit den kontrollierten Studie (RCT) und erlaubt damit kausalen Effekt der Programmteilnahme ab (siehe Schlussfolgerungen zu kausalen Zusammenhängen. Abbildung 6). Stepped Wedge Design bei GIP Gruppe 1 Startwert Endwert Gruppe 1 Gruppe 1 Differenz zeigt kausale Wirkung bei der Programmteilnahme Gruppe 2 Startwert Endwert Gruppe 2 Gruppe 2 Sommer 2016 Sommer 2017 Sommer 2018 Sommer 2019 Studienteilnahme über 12 Monate mit monatlichen Compliance-Messungen und Team-Meetings Nachmessung der Compliance ca. 24 Monate nach Studienbeginn Abbildung 6: Anwendung des Stepped-Wedge-Design bei GIP
16 II. Untersuchung Startwert Gruppe 1 Startwert Gruppe 1 + kausaler Effekt von GIP + allgemeiner Trend + allgemeiner Trend Endwert Gruppe 1 Startwert Gruppe 2 Endwert Gruppe 1 - Startwert Gruppe 2 = kausaler Effekt von GIP Abbildung 7: Berechnung des kausalen Effekts beim Stepped-Wedge-Design Ein Stepped-Wedge-Design ist einem einfachen Abbildung 7 stellt dieses Prinzip schematisch dar, Vorher-Nachher Vergleich empirisch überlegen, weil wobei aufgrund der randomisierten Gruppenzutei- es die Möglichkeit einer allgemeinen Entwicklung lung angenommen werden kann, dass der Start- im Bereich Händehygiene berücksichtigt. So ist es wert der Gruppe 2 dem Startwert der Gruppe 1, beispielsweise möglich, dass während der zwölfmo- zuzüglich etwaiger allgemeiner Trends entspricht. natigen Dauer der aktiven Teilnahme, beispielsweise Nicht zuletzt ist ein Stepped-Wedge-Design auch durch Medienberichte, eine allgemeine Sensibili- aus ethischer Perspektive einem einfachen rando- sierung zum Thema Händehygiene stattgefunden misierten Verfahren mit reinen Kontrollgruppen hat, die auch ohne Programmteilnahme zu höheren (die das Programm nicht durchlaufen) vorzugswür- Compliancewerten geführt hätte. Eine solche Ent- dig, weil zeitversetzt alle Studienteilnehmer an der wicklung würde sich aber im Startwert der Gruppe 2 Maßnahme teilnehmen und damit von positiven niederschlagen, so dass ein Vergleich des Endwertes Effekten profitieren können. von Gruppe 1 mit dem Startwert der Gruppe 2 den kausalen Effekt der Programmteilnahme wiedergibt. b) Teilnehmer Zur Teilnahme an GIP wurden insgesamt 379 Sta- eine Teilgruppe der Stationen auch Daten zur tionen eingeladen. Alle Stationen hatten zuvor Compliance vor. mindestens drei Jahre an dem Modul „Hand-KISS“ des Aktionsbündnisses „Aktion Saubere Hände“ Eingeladen wurden Stationen, deren HDM-Ver- (ASH) teilgenommen. ASH ist eine seit 2008 lau- bräuche in den Jahren 2012, 2013 und 2014 fende nationale Kampagne zur Verbesserung der unterhalb des Medians der Werte vergleichbarer Compliance der Händedesinfektion in deutschen Stationen lagen, also im vergleichsweise niedrig Gesundheitseinrichtungen, die mit Unterstützung warenxviii, da für diese Stationen der größte Ver- des Bundesministeriums für Gesundheit vom NRZ, besserungsbedarf bei der Händehygiene vermutet dem Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. so- wurde. Sofern dieses Kriterium in einem Kranken- wie der Gesellschaft für Qualitätsmanagement in haus auf mehrere Intensivstationen zutraf, wurde der Gesundheitsversorgung e.V. ins Leben gerufen eine der Stationen per Zufall ausgewählt und wurdexvii. Organisatorisch zuständig ist das NRZ. eingeladen. Durch die vorherige Teilnahme an der Aktion Von den eingeladenen Intensivstationen zeigten Saubere Hände und dem Modul „Hand-KISS“, insgesamt 114 Stationen Interesse an der Pro- lagen für alle eingeladenen Stationen Daten zu grammteilnahme. Durch ein Zufallsverfahren wur- Händedesinfektionsmittelverbräuchen und für den hiervon 59 Stationen der Gruppe 1 zugewiesen
II. Untersuchung 17 und 55 Stationen der Gruppe 2, wobei im Rahmen Insgesamt 81 Stationen schlossen die aktive zwölf- des Zufallsverfahrens Ausgewogenheit der Stich- monatige Programmphase ab, davon 41 aus der probe in Bezug auf Beatmungsrate und Versor- ersten Studienkohorte und 40 aus der zweiten gungsstufe sichergestellt wurdexix. Weiterhin wurde Studienkohorte. Tabelle 1 zeigt eine Zusammenfas- Ausgewogenheit mit Bezug auf die Teilnahme am sung der Strukturdaten der teilnehmenden Statio- KISS-Modul „ITS-KISS“ sichergestellt; dieses Modul nen (Strukturfragebogen siehe Materialband A2). erhebt die Infektionszahlen auf Intensivstationen und sollte eine Analyse des kausalen Effekts auf die Infektionszahlen ermöglichen (siehe IIIc). Versorgungstyp Anzahl der Stationen Grund- und Regelversorgung 50 Schwerpunktversorgung 16 Maximalversorgung 6 Spezialklinik 6 Nicht bekannt 3 Fachrichtung Anzahl der Stationen interdisziplinär 64 internistisch 6 chirurgisch 5 neonatologisch 2 Sonstige 4 Merkmal der Stationen Mittelwert Interquartilsabstand (IQR) Bettenzahl Intensivstationen 13 6 [15-9] Beatmungsbetten 9 4 [10-6] Pflegeplanstellen 26 14 [32-18] Arztplanstellen 10 6 [10-4] Tabelle 1: Strukturdaten der teilnehmenden Stationen
III. Zielgrößen und Ergebnisse
III. Zielgrößen und Ergebnisse 19 FÜNF INDIKATIONEN Fünf Indikationen zur Händedesinfektion ZUR HÄNDEDESINFEKTION VOR PATIENTENKONTAKT VOR EINER ASEPTISCHEN 1 2 TÄTIGKEIT NACH KONTAKT MIT NACH PATIENTENKONTAKT NACH KONTAKT 3 POTENZIELL 4 5 MIT DER UNMITTELBAREN INFEKTIÖSEM MATERIAL PATIENTENUMGEBUNG 167 98 22 Abbildung 8: Die 5 Indikationen zur Händedesinfektion nach WHO / KRINKO a) Compliance bei Händehygiene Messung licher Basis statt, wobei es aufgrund von Krankheit Die zentrale Zielvariable des Programms ist die oder Urlaubszeiten dazu kommen konnte, dass Compliance bei der Händehygiene. Die Compliance einzelne Stationen nicht für jeden Monat Compli- bezeichnet den Anteil der tatsächlich erfolgten ance-Daten aufweisen. Darüber hinaus wurden die Händedesinfektionen an der Gesamtmenge der laut Stationen gebeten, ca. ein Jahr nach Ende der ak- den Richtlinien der WHOINDIKATIONEN FÜNF und KRINKO geforderten tiven Programmteilnahme eine Nachmessung der Händedesinfektionen und wird als Prozentwert an- ZUR HÄNDEDESINFEKTION Compliance durchzuführen, um die Nachhaltig- gegeben. FÜNF Dabei werden die folgenden fünf Situatio- INDIKATIONEN keit der erreichten Verbesserungen zu bestimmen nen in denen 1 VOReine Händedesinfektion2erfolgen TÄTIGKEIT soll, (Datenaufbereitung siehe Materialband A3). PATIENTENKONTAKT VOR EINER ASEPTISCHEN ZUR HÄNDEDESINFEKTION INDIKATIONEN FÜNF INDIKATIONEN DEDESINFEKTIONdie sogenannten FÜNF INDIKATIONEN Indikationen, unterschieden: ZUR HÄNDEDESINFEKTION VOR PATIENTENKONTAKT VOR EINER ASEPTISCHEN 1 UR HÄNDEDESINFEKTION 2 TÄTIGKEIT Für die Compliance-Beobachtungen wurden Rah- VOR EINER ASEPTISCHEN 2 TÄTIGKEIT 1.1 vor Patientenkontakt VOR PATIENTENKONTAKT 2 VOR EINER ASEPTISCHEN TÄTIGKEIT menbedingungen festgelegt, die die Vergleichbar- NTENKONTAKT 2.2 TÄTIGKEIT vor aseptischen Tätigkeiten VOR EINER ASEPTISCHEN keit der erhobenen Werte, sowie die Repräsentati- 3. POTENZIELL 3 nach Kontakt mit potentiell infektiösem NACH KONTAKT MIT 4 NACH PATIENTENKONTAKT 5 vität der Beobachtungen sicherstellen sollten. So NACH KONTAKT MIT DER UNMITTELBAREN INFEKTIÖSEM MATERIAL PATIENTENUMGEBUNG Material 167 98 basiert der monatlich ermittelte durchschnittliche 4.4 nach Patientenkontakt Compliance-Wert auf folgenden Grundlagen: 22 NACH KONTAKT MIT NACH PATIENTENKONTAKT NACH KONTAKT OTENZIELL 5 MIT DER UNMITTELBAREN NFEKTIÖSEM MATERIAL PATIENTENUMGEBUNG NACH PATIENTENKONTAKT 5. 5 n ach Kontakt NACH KONTAKT NACH KONTAKT MIT 3 POTENZIELL MIT DER UNMITTELBAREN 4 mit der direkten NACH PATIENTENKONTAKT 167 Patienten NACH KONTAKT 5 MIT DER UNMITTELBAREN PATIENTENUMGEBUNG INFEKTIÖSEM MATERIAL 98 22 PATIENTENUMGEBUNG 4 NACH PATIENTENKONTAKT umgebung 167 5 NACH KONTAKT MIT DER UNMITTELBAREN • Mindestens 200 Beobachtungen, davon mindes- PATIENTENUMGEBUNG 98 167 22 98 tens 30 Beobachtungen pro Indikation. Diese 22 167 98 Die Compliance wurde durch Beobachtung im Mindestmenge ermöglicht die Vergleichbarkeit 22 normalen Arbeitsalltag der Station durch eine aus- der monatlichen Compliance-Werte innerhalb gebildete Hygienefachkraft erhoben, die nicht Teil einer Station und ermöglicht zudem den Ver- des eigentlichen Stationsteams ist. Die Beobach- gleich über verschiedene Stationen mit poten- tungen fanden über ein Jahr hinweg auf monat- tiell unterschiedlichem Tätigkeitsprofil.
20 III. Zielgrößen und Ergebnisse • B eobachtungen bei mindestens sechs unter- wichtigen Tätigkeiten sowie eine gemeinsame schiedlichen Personen. Dies soll dafür sorgen, Lösungsfindung. Für die konkreten Tätigkeiten dass der Wert von Monat zu Monat hinreichend wurde keine Mindestmenge an Beobachtungen repräsentativ für die Station ist. vorgegeben. • B eobachtungen innerhalb von maximal fünf Da nicht alle teilnehmenden Stationen bereits aufeinanderfolgenden Arbeitstagen. Dies ermög- Erfahrung mit der Compliance-Beobachtung licht, dass der Compliance-Wert einem festen hatten, wurden die Grundlagen der Beobachtung Zeitpunkt zugeordnet werden kann. Somit wer- im Rahmen der Auftaktveranstaltung in Berlin den Vorher-Nachher-Vergleiche, beispielsweise aufgefrischt. Dadurch wurde sichergestellt, dass nach der Umsetzung konkreter Maßnahmen, alle Hygienefachkräfte die notwendigen Kenntnis- möglich. se für die Compliance-Beobachtung besaßen und auch die Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte in den Die Dokumentation der Beobachtung erfolgte mit- Leitungsteams mit dem Vorgehen bei der Erfas- tels eines standardisierten Beobachtungsbogens sung der Daten bekannt und vertraut waren. (siehe Abbildung 9), der im Nachgang elektronisch erfasst und ausgewertet wurde. Neben den bereits Um die regulären Arbeitsabläufe nicht zu unter- genannten fünf Indikationen nach WHO und brechen erhielten die Mitarbeitenden während KRINKO wurde bei der Indikation „aseptische Tä- der Compliance-Beobachtung nur auf Nachfrage tigkeit“ zusätzlich die konkrete Tätigkeit (beispiels- Feedback von der Hygienefachkraft. Relevante Be- weise Verbandwechsel, Zugänge legen) erfasst. Dies obachtungen konnten darüber hinaus in den Team- ermöglichte gezielte Diskussionen über Probleme meetings für Infektionsprävention in Form von bei diesen für das infektionsgeschehen besonders anonymisierten Fallbeispielen thematisiert werden. Händedesinfektion – Compliance Beobachtungsbogen (GIP – Gemeinsam für Infektionsprävention) Krankenhaus KISS-Kürzel: __________ Stationsname: _____________________ Datum (TT / MM / JJ): __ __ / __ __ / __ __ Gesamtzahl Patienten ____ Gesamtzahl Pflegepersonal ____ Berufsgruppe: Berufsgruppe: HDG Indikation Zuordnung aseptische Tätigkeit Aktion Indikation Zuordnung aseptische Tätigkeit Aktion HDG U+00e6 vor Patk U+00e6 Beatmung U+00e6 vor Patk U+00e6 Beatmung U+00e6 i.v. Medikamente zubereiten U+00e6 i.v. Medikamente zubereiten U+00e6 vor asept U+00e6 vor asept U+00e6 Manip. i.v. / i.a. Zugänge U+00e6 Ja U+00e6 Manip. i.v. / i.a. Zugänge U+00e6 Ja 1 U+00e6 nach inf U+00e6 Verbandsw. / Manip. Drainage 2 U+00e6 nach inf U+00e6 Verbandsw. / Manip. Drainage U+00e6 nach Patk U+00e6 Punktionen / Zugänge legen U+00e6 Nein U+00e6 nach Patk U+00e6 Punktionen / Zugänge legen U+00e6 Nein U+00e6 Kontakt Schleimhäute U+00e6 Kontakt Schleimhäute U+00e6 nach Um U+00e6 nach Um U+00e6 keine Angabe U+00e6 keine Angabe Berufsgruppe: Berufsgruppe: HDG Indikation Zuordnung aseptische Tätigkeit Aktion Indikation Zuordnung aseptische Tätigkeit Aktion HDG U+00e6 vor Patk U+00e6 Beatmung U+00e6 vor Patk U+00e6 Beatmung U+00e6 i.v. Medikamente zubereiten U+00e6 i.v. Medikamente zubereiten U+00e6 vor asept U+00e6 vor asept U+00e6 Manip. i.v. / i.a. Zugänge U+00e6 Ja U+00e6 Manip. i.v. / i.a. Zugänge U+00e6 Ja 3 U+00e6 nach inf U+00e6 Verbandsw. / Manip. Drainage U+00e6 nach inf U+00e6 Verbandsw. / Manip. Drainage U+00e6 nach Patk U+00e6 Punktionen / Zugänge legen U+00e6 Nein 4 U+00e6 nach Patk U+00e6 Punktionen / Zugänge legen U+00e6 Nein U+00e6 Kontakt Schleimhäute U+00e6 Kontakt Schleimhäute U+00e6 nach Um U+00e6 nach Um U+00e6 keine Angabe U+00e6 keine Angabe Berufsgruppe: Durchgeführte Händedesinfektionen ohne Indikation HDG Indikation Zuordnung aseptische Tätigkeit Aktion U+00e6 vor Patk U+00e6 Beatmung U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 U+00e6 i.v. Medikamente zubereiten U+00e6 vor asept Beobachtungen, Hinweise für Feedbackveranstaltung U+00e6 Manip. i.v. / i.a. Zugänge U+00e6 Ja 5 U+00e6 nach inf U+00e6 Verbandsw. / Manip. Drainage U+00e6 nach Patk U+00e6 Punktionen / Zugänge legen U+00e6 Nein U+00e6 Kontakt Schleimhäute U+00e6 nach Um U+00e6 keine Angabe Abbildung 9: Standardisierter Beobachtungsbogen
III. Zielgrößen und Ergebnisse 21 Ergebnisse Die Datenanalyse hat ergeben, dass der Unter- Im Durchschnitt verbesserten die schied in den Startwerten von Gruppe 1 und Gruppe 2 statistisch insignifikant istxx, woraus sich ableiten lässt, dass es während der Maßnah- ! teilnehmenden Intensivstationen ihre Händehygiene-Compliance von 71 % zu Beginn auf 84 % nach me keinen allgemeinen Trend gegeben hat (siehe einem Jahr aktiver Programmteil Abbildung 7). In diesem Fall ist ein Zusammen- nahme. Dieser Anstieg um 13 Prozentpunkte fassen der Gruppen und Vergleich der Ergebnisse entspricht einer Steigerung um 18 % des Aus zu Beginn und Ende der Programmteilnahme gangswertes. zulässig, sodass im Folgenden ausschließlich die aggregierten Ergebnisse gezeigt werden. Im Ma- terialband werden auch Gruppenvergleich sowie also rund zwei Drittel des Effekts auch ein Jahr Einzelauswertungen der Gruppen gezeigt (siehe nach Ende der aktiven Programmteilnahme noch Materialband A4). vorhanden. Im Durchschnitt verbesserten die teilnehmen- Weitere Erkenntnisse lassen sich bei einer geson- den Intensivstationen ihre Händehygiene- derten Betrachtung der Stationen je nach Ausgangs- Compliance von 71 % zu Beginn auf 84 % nach lage der Stationen gewinnen: Bei den Stationen, einem Jahr aktiver Programmteilnahme. Dieser deren Compliance zu Beginn des Programms im Anstieg um 13 Prozentpunkte entspricht einer unteren Viertel des Teilnehmerfelds lag (1. Quartil), Steigerung um 18 % des Ausgangswertes. Bei verbesserte sich die Compliance im Programmver- einer Nachmessung rund ein Jahr nach dem Ende lauf von einem durchschnittlichen Ausgangswert der aktiven Programmteilnahme lag die durch- von 52 % auf 78 % nach einem Jahr der aktiven schnittliche Compliance noch bei 80 %, was einer Programmteilnahme. Dieser Anstieg um 26 Pro- Steigerung um 9 Prozentpunkte oder 13 % des zentpunkte entspricht einer Steigerung um 50 % Ausgangswertes entspricht. In der Summe waren des Ausgangswertes. Bei der Nachmessung ein Jahr Entwicklung der Gesamt-Compliance nach Kohorten 90 % Händehygiene-Compliance in % 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0% T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 T8 T9 T10 T11 T12 T13 T14 T15 T16 T17 T18 T19 T20 T21 T22 T23 T24 Programmzeitraum in Monaten Kohorte 1 Kohorte 2 Abbildung 10: Entwicklung der Compliance nach Kohorten.
22 III. Zielgrößen und Ergebnisse Entwicklung der Gesamt-Compliance nach Quartilen 100 % 90 % Händehygiene-Compliance in % 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0% T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 T8 T9 T10 T11 T12 T24 Programmzeitraum in Monaten Quartil 1 Quartil 2 Quartil 3 Quartil 4 Abbildung 11: Entwicklung der Gesamt-Compliance nach Quartilen nach Ende der aktiven Programmteilnahme lag in fallenen Messwerten zu erwarten, dass zukünftige dieser Gruppe die durchschnittliche Compliance Messungen näher am Durchschnitt liegen. Diese noch bei 75 %, was einer Steigerung um 23 Prozent- Regression zur Mitte erklärt die leichte Verringe- punkte oder 44 % des Ausgangswertes entspricht. rung der Compliance für Stationen mit besonders hohen Ausgangswerten. Umgekehrt bedeutet die- Bei den Stationen, deren Compliance zu Beginn ser Umstand auch, dass ein kleiner Teil der Verän- des Programms im oberen Viertel des Teilnehmer- derung bei Stationen im ersten Quartil dem Zufall felds lag (4. Quartil), waren die Verbesserungen im geschuldet sein kann. In Anbetracht der deutlichen Vergleich deutlich geringer ausgeprägt und weisen Steigerung dieser Gruppe ist dieser Effekt jedoch einen Deckeneffekt auf. Diese Gruppe begann das vernachlässigbar. Programm bereits mit einer sehr hohen durch- schnittlichen Compliance von 88 % und konnte Es konnten also jene Stationen besonders von der diese zum Ende der aktiven Programmphase auf Programmteilnahme profitieren, die zu Beginn des durchschnittlich 90% verbessern. Programms größere Defizite bei der Händehygiene aufgewiesen hatten. (siehe Abbildung 11). Dieser Anstieg um 2 Prozentpunkte entspricht einer Steigerung um 2 % des Ausgangswertes. Bei der Nachmessung ein Jahr nach Ende der aktiven Programmteilnahme lag in dieser Gruppe die Es konnten also jene Stationen Compliance bei 84 %, was einer Steigerung um 4 Prozentpunkte oder 5 % des Ausgangswertes ! besonders von der Programmteil nahme profitieren, die zu Beginn entspricht. Eine mögliche Erklärung hierfür ist die des Programms größere Defizite sogenannte Regression zur Mitte. Falls der Zufall bei der Händehygiene aufgewiesen hatten. Einfluss auf die Compliance hat, so ist es bei ausge-
III. Zielgrößen und Ergebnisse 23 Mit Blick auf die verschiedenen Indikationen zur deutlich an. Das insgesamt niedrigere Niveau bei Händehygiene ließen sich sowohl bei den Aus- den besonders kritischen aseptischen Tätigkeiten gangs- als auch den Endwerten zum Teil deutliche macht jedoch deutlich, dass trotz deutlicher Verbes- Unterschiede bei der Compliance beobachten. Bei serungen noch weiteres Potential besteht. der für die Infektionsprävention besonders bedeut- samen Indikation „vor aseptischen Tätigkeiten“ Aussagekraft der Daten verbesserte sich die Compliance von 58 % zu Beginn Immer dann, wenn eine Studie wie hier im Falle der des Programms auf 78 % zum Ende der aktiven Compliance-Messungen menschliches Verhalten Programmteilnahme. Ein Jahr später wurde durch- beobachtet, besteht die Möglichkeit eines sogenann- schnittlich noch ein Wert von 70 % erreicht. Damit ten Hawthorne-Effekts. Dieser tritt dann auf, wenn wurde bei den aseptischen Tätigkeiten eine deutli- Menschen ihr Verhalten nur deshalb ändern, weil che und nachhaltige Verbesserung erzielt. Dennoch sie wissen, dass sie sie an einer Studie teilnehmenxx. hatten hier sowohl Ausgangs- als auch Endcompli- ance im Vergleich der fünf Indikationen den jeweils Hierzu lässt sich zunächst anmerken, dass ein niedrigsten Wert. Die höchsten Compliancewerte gesteigertes Bewusstsein für das Thema der Hän- konnten im Vergleich hierzu bei der Indikation dehygiene durch die Anwesenheit einer Hygiene- „nach Patientenkontakt“ beobachtet werden. Hier fachkraft durchaus ein intendierter Effekt des lag die durchschnittliche Compliance zu Beginn des Programms ist. Dies gilt allerdings nur insofern, Programms bei 83 % und verbesserte sich auf 91 % als die Verhaltensänderung nicht nur während zum Ende der aktiven Programmteilnahme. Ein der ComplianceBeobachtung, sondern auch in der Jahr später wurde durchschnittlich noch ein Wert übrigen Zeit gezeigt wird. Auch wenn die offene von 88 % erreicht. Auch bei den verschiedenen In- Compliance-Beobachtung durch geschulte Fach- dikationen näherten sich also die Compliancewerte kräfte als Goldstandard der Compliance-Messung Entwicklung der Gesamt-Compliance je Indikation 100 % 90 % Händehygiene-Compliance in % 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0% T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 T8 T9 T10 T11 T12 T24 Programmzeitraum in Monaten Gesamt Vor Patientenkontakt Vor aseptischen Tätigkeiten Nach Kontakt mit potentiell infektiösem Material Nach Patientenkontakt Nach Kontakt mit unmittelbarer Patientenumgebung Abbildung 12: Übersicht über die Entwicklung der Compliance nach Indikationen
24 III. Zielgrößen und Ergebnisse gilt, muss gerade bei dieser Methode die Gefahr Zu guter Letzt ist anzumerken, dass alternative eines Einflusses im Moment der Beobachtung be- Methoden nicht zielführend gewesen wären. Zwar achtet werden. Es kann jedoch davon ausgegangen zeigen einzelne Studien mit verdeckten Mess- werden, dass ein potentieller HawthorneEffekt zu methoden (z.B. über nicht offengelegte Beob- allen Messzeitpunkten vorhanden ist bzw. sich über achtung oder Kamerasxxii) insgesamt niedrigere den Verlauf der Studie durch Gewöhnungseffekte Compliance-Werte als Studien mit offener Be- tendenziell verringert. Daher können die relativen obachtungxxiii xxiv, jedoch wäre ein Vorgehen ohne Veränderungen zwischen Start- und Endpunkt den Einbezug der betroffenen Belegschaft nicht der Messung als reale Veränderungen angesehen mit dem Grundsatz eines offenen, partizipativen werden, auch wenn die absolute Höhe der Com- Prozesses vereinbar gewesen. pliance-Niveaus durch einen Hawthorne-Effekt beeinflusst sein solltexxi. b) Verbrauch Händedesinfektionsmittel Messung Aussagekraft der Daten Der Verbrauch von Händedesinfektionsmitteln Da der HDM-Verbrauch auf der Basis von Ein- (HDM) stellt eine komplementäre Maßzahl zur kaufsdaten ermittelt wird, ist nicht komplett Compliance dar, mit der die Quantität der Hände- sicher, dass die entsprechenden Mengen auch desinfektionen gemessen werden kann. Während wirklich verbraucht wurden. Denkbar wäre bei- die Compliance angibt, ob eine notwendige Hän- spielsweise, dass im Zuge der Gebäudereinigung dedesinfektion tatsächlich erfolgt ist oder nicht, noch nicht komplett entleerte HDM-Behälter ermöglicht der HDM-Verbrauch eine Einschät- ausgetauscht werden. Der HDM-Verbrauch stellt zung der Menge erfolgter Händedesinfektionen. damit also eine eher grobe Messzahl dar, bei der Diese Daten erfassen auch den Zeitraum zwischen eine gewisse Schwankungsbreite angenommen den Beobachtungen der Hygienefachkraft, lassen werden muss. Ein genauerer Weg, die HDM-Ver- jedoch keine Aussage darüber zu, ob diese Hände- bräuche zu messen, sind elektronische HDM- desinfektionen zum richtigen Moment erfolgen Spender mit Messvorrichtung. Sie ermöglichen, die oder nicht. Er ist damit ein Surrogatparameter der tatsächliche Anzahl an Pumpvorgängen zu messen auf der Annahme basiert, dass eine bessere Hän- und im Netzwerk zu übertragen. Allerdings war dehygiene üblicherweise auch mit zusätzlichen nur ein kleiner Teil der teilnehmenden Stationen Händedesinfektionen einhergeht. mit diesen Spendern ausgestattet, so dass diese He- rangehensweise in der vorliegenden Studie nicht Der HDM-Verbrauch wird quartalsweise auf der verwendet werden konnte. Basis von Einkaufsdaten ermittelt und in Milliliter pro Patiententag angegeben. Bezüglich der Komplementarität der HDM-Ver- bräuche mit der Compliance ist anzumerken, Ergebnisse dass es grundsätzlich denkbar ist, dass eine Quali- Im Rahmen von GIP zeigte sich eine Steigerung tätsverbesserung in der Händehygiene ohne eine von durchschnittlich 114 ml pro Patiententag zu vergleichbare Erhöhung der HDM-Verbräuche er- Beginn des Programms hin zu 126 ml pro Pa- folgen kann. Wenn Händedesinfektionen vermehrt tiententag drei Quartale später. Ausgehend von zum richtigen Zeitpunkt stattfinden und dadurch einer durchschnittlichen Menge von 3 ml HDM überflüssige Händedesinfektionen ohne Indika- pro Händedesinfektion entspricht dies mit einer tion entfallen, so schlägt sich dies in der Qualität durchschnittlichen Steigerung von 38 auf 42 der Händehygiene nieder ohne die Quantität zu Händedesinfektionen ca. 4 zusätzlichen Händedes- steigern. infektionen pro Patiententag.
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