Per Video zu genaueren Ergebnissen - Der Kopfimpulstest
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Zer tifizier te For tbildung Der Kopfimpulstest Per Video zu genaueren Ergebnissen L ei f e r ik W aLth er, r enate D ü r L , r a Lf h eLbig , a L ex a n De r b L ö D oW Die durch Bárány zu Beginn des 20. Jahrhunderts klinisch eingeführte thermische Prüfung war lange Zeit die wichtigste Methode zur seitengetrennten Evaluierung der Funktion der horizontalen Bogengänge. 1988 beschrieben Halmagyi und Curthoys erstmals den so genannten Kopfimpulstest. Die Weiterentwick- lung dieser Methode zum Video-Kopfimpulstest ermöglicht heute die Visualisierung des vestibulookulären Reflexes (VOR) und damit eine Objektivierung von Störungen aller drei Bogengänge jeder Seite. Diese neue diagnostische Methode leitete gemeinsam mit den vestibulär evozierten myogenen Potenzialen (VEMP) eine neue Ära in der Gleichgewichtsdiagnostik ein. U nter den reizaufnehmenden Sinnessystemen, die für die eine sehr kurze Reaktionszeit, um die Kopf-Augen-Bewegung Realisierung der Gleichgewichtsfunktion von Bedeutung „unmerklich“ unter den sich ständig ändernden Anforderungen sind, spielen die peripheren Rezeptoren, Bogengänge zu koordinieren. Ein intakter VOR ist in der Lage, dies in einem und Otolithenorgane zur Aufnahme und Weitervermittlung von Dynamikbereich zu realisieren, der ca. 1–20 Hz beträgt. Gerin- Bewegungsreizen eine besondere Rolle. Die Integrität aller fünf gere Anforderungen (Stehen, Lesen) sowie alltägliche und höhere Rezeptoren jeder Seite ist neben einer ungestörten posturalen Anforderungen an die Blickstabilisierung (Gehen, Laufen, Au- Kontrolle sowie einem intaktem Visus Voraussetzung für eine tofahren mit gleichzeitiger Orientierung bei Erschütterungen) problemlose Orientierung des Menschen im dreidimensionalen können damit bewältigt werden, ohne dass subjektive Beschwer- Raum unter Gravitationsbedingungen. Störungen dieser drei den auftreten. reizaufnehmenden Sinnessysteme werden als „Schwindel“ oder Die Anordnung der Bogengänge im Felsenbein hat funktio- „Gleichgewichtsstörungen“ wahrgenommen. Für dden Hals- nelle Hintergründe: Die horizontalen Bogengänge werden bei Nasen-Ohren-Arzt ist die Evaluierung der Rezeptorfunktion bei einer Kopfbewegung in der horizontalen Ebene stimuliert. Die bekannten Erkrankungen wie z.B. der akuten Neuritis vestibu- vertikalen Bogengänge sind so angeordnet, dass der linke vor- laris oder dem Morbus Menière von besonderer Bedeutung. Vor dere und der rechte hintere Bogengang in einer Ebene gelegen allem bei akuten Störungen (akutes vestibuläres Syndrom) ist sind. Diese optimalen Stimulationsebenen bezeichnet man nach eine frühzeitige Differenzierung zwischen peripheren und zen- der Lage der Bogengänge als RALP-Ebene (Right Anterior Left tral bedingten Ursachen erforderlich. Der vorliegende Beitrag Posterior) und LARP-Ebenen (Left Anterior Right Posterior) informiert über anatomische und physiologische Grundlagen, (Abb. 1). die Durchführung des klinischen und des Video-Kopfimpulstests sowie wichtige diagnostische Ergebnisse und therapeutische Konsequenzen dieser diagnostischen Methode aus dem Blick- winkel der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und der Grenzgebiete unseres Faches. Grundlagen: Anatomie und Physiologie Die Bogengänge registrieren Bewegungsreize in den drei Ebenen des Raumes bei Bewegungen des Kopfes. Der adäquate Reiz für die Erregung aller Bogengangsrezeptoren ist ein Beschleuni- gungsreiz. Die Dreidimensionalität des Bogengangsystems und deren bilaterale Anordnung gewährleisten eine Registrierung in jeder beliebigen Ebene des Raumes. Die Beschleunigungsreize © (9) L. E. Walther werden über reflektorische Verbindungen zu den Augenmuskeln fortgeleitet. Vestibulookuläre Reflexe (VOR), die eine sehr kur- ze Latenzzeit aufweisen, realisieren gemeinsam mit anderen Systemen der Augenbewegung permanent ein stabiles Abbild auf der Retina. Die Blickstabilisierung erfordert gerade bei schnel- Abb.1: Stimulationsebenen der oberen Bogengänge: LARP und len und sich ständig ändernden Kopf- und Augenbewegungen RALP-Ebene. HNO-Nachrichten 2012; 42 (1) 35
Zer tifizier te For tbildung Der Kopfimpulstest Eine Reizung der Bogengänge erfolgt bei Kopfbeschleuni- gungen um die drei Hauptachsen bzw. in den drei Ebenen des dreidimensionalen Raumes. Dabei unterscheidet man eine sa- gittale (pitch), eine frontale (roll) und eine horizontale (yaw) Ebene. Die Stimulation eines Bogengangsrezeptors durch Kopfimpulse und eine Endolymphströmung führen zu einer reflektorischen Augenbewegung (VOR). Klinischer Kopfimpulstest Der Kopfimpulstest (KIT) prüft die Funktion der Bogengänge und damit die Fähigkeit zur Blickstabilisierung bei schnellen Kopfbeschleunigungen in den optimalen Stimulationsebenen. Dieser Test ist einfach, schnell durchzuführen und heute obliga- torisches Element der Gleichgewichtsdiagnostik. Halmagyi und Curthoys beschreiben in ihrer Originalpublikation ein diagnos- tisches Verfahren mit horizontalen Kopfbeschleunigungen zur Prüfung des horizontalen VOR. Bei der Durchführung wird der Kopf um ca. 10–15 Grad in der yaw-Achse nach lateral ausgelenkt und anschließend sehr schnell in die Kopfmittelstellung gebracht. Voraussetzung ist eine Fixation eines stationären nahen Zieles (z.B. die Region zwischen den Augen des Untersuchers). Liegt eine Funktions- störung mit Beteiligung des Rezeptors eines horizontalen Bogen- gangs vor, zeigt sich nach einer geringen Latenz nach dem Kopf- impuls eine Korrektursakkade zur kontralateralen Seite (der Läsion). Diese Korrektursakkade ist ein Zeichen für eine gestörte Blickstabilisierung und gleichzeitig ein objektiver Hinweis für eine Störung des horizontalen vestibulookulären Reflexes (hVOR). Eine ungestörte Blickstabilisierung spricht zunächst gegen eine isolierte Störung der Rezeptorfunktion. Es existieren jedoch Ausnahmen. Der Vorteil dieser Methodik besteht darin, dass sie in jeder Situation und unabhängig vom Zustand des äußeren Ohres auch Abb. 2: Normaler Video-KIT für den linken horizontalen VOR (hori- bettseitig durchgeführt werden kann. Ein Spontannystagmus zontaler Bogengang links). Oben: Die Geschwindigkeit der Augen (Kurve unten, Pfeil) geht etwa mit der Geschwindigkeit der Kopfbe- beeinflusst die Durchführung des KIT nicht. Komplikationen wegung konform. Normaler Gain (ca. 1). Keine pathologischen Sak- sind bisher in der Literatur nur in einem Fall (vagale Reaktion) kaden. Unten: Normaler Video-KIT. Einzelne physiologische reflek- berichtet worden. torische Sakkaden zwischen 200 und 300 ms (Pfeil). Abb. 3: Normaler Video-KIT für die horizontalen Bogengänge links (hVOR, Bild links und rechts) : normaler Gain, dreidimensionale Visualisie- rung. Die Geschwindigkeit der Augenbewegungen [°/s] ist grün dargestellt, die Geschwindigkeit der Kopfbewegung [°/s] rot (linkes Bild) und blau (rechtes Bild). Einzelne physiologische Sakkaden (rote Pfeile) sind normal. 36 HNO-Nachrichten 2012; 42 (1)
Der Video-Kopfimpulstest der Gain. Vigilanzminderungen, zentral wirksame Pharmaka Der Untersuchungsablauf beim Video-Kopfimpulstest entspricht und Noxen müssen bei der Beurteilung des VOR ebenfalls be- dem beim klinischen KIT. Der Untersucher steht jedoch hinter rücksichtigt werden, wenn eine Verminderung des Gain nicht dem sitzenden Patienten. Dieser wird aufgefordert, während der auf eine definierte Rezeptorfunktionsstörung der Bogengänge Prüfung ein stationäres Blickziel in einer Entfernung von ca. zurückzuführen ist. Verminderungen des Gain, die mit einem einem Meter zu fixieren. Während der Untersuchung werden „Blicksprung“ einhergehen (Korrektursakkaden), kann der Pa- die induzierten Kopfimpulse und der Ablauf der Augenbewegung tient bei der Untersuchung bemerken. über den Bildschirm des Computers beobachtet. Über das Vi- deobild und die Software können sofort Informationen über den Pathologischer Video-Kopfimpulstest Ablauf der Kopfimpulse gesammelt werden. Weber et al. zeigten, dass mit dem Video-Kopfimpulstest nicht Mit dem Video-Kopfimpulstest lassen sich heute die erwähn- nur die beim klinischen Kopfimpulstest sichtbaren Rückstellsak- ten Rückstellsakkaden objektivieren. Voraussetzung für die Test- kaden (engl.: „overt“-saccades) sondern auch so genannte unsicht- durchführung ist eine fest sitzende Videobrille, ein Gyroskop bare, verdeckte (engl.: „covert“-saccades) objektivierbar sind. zur Messung der Kopfbewegungen sowie eine Hard- und Soft- Bei einer gestörten Rezeptorfunktion können Rückstellsakka- ware, die wegen der Bedeutung in der Notfalldiagnostik mobil den vorkommen (Abb. 4, 5, 6), die nach der Kopf-Augen-Be- in einem Laptop integriert sind. Hinsichtlich der klinischen Aus- wegung auftreten („catchup-overt“-Sakkaden) oder solche, die sage ist der Video-Kopfimpulstest der vergleichsweise kosten- im Zyklus der Kopf-Augen-Bewegung „versteckt“ sind („catchup- aufwändigen und nicht überall verfügbaren so genannten covert“-Sakkaden) und somit visuell für den Untersucher nicht „search-coil-Technik“, bei der Augenbewegungen mit kontakt- zu identifizieren sind. Versteckte Sakkaden sprechen jedoch eben- linsenartigen Magnetspulen abgeleitet werden, als gleichwertig falls für einen gestörten horizontalen VOR. Der Video-Kopf- einzuschätzen und im praktischen Gebrauch überlegen. impulstest ist in der Lage, diesen diagnostischen Schwachpunkt Kopf- und Augenbewegung gehen im Normalfall ohne wesent- des klinischen Kopfimpulstests zu lösen. liche Zeitverzögerung einher. Nach Beendigung des Kopfimpul- ses ist die Blickstabilisierung regelrecht. Sakkadische Augenbe- Zentrale Störung als Ursache für den Schwindel? wegungen im Sinne von Rückstellsakkaden treten im Falle eines Auf Grund der Differenzialdiagnose eines Schlaganfalls ist es normalen VOR nicht auf (Abb. 2 und 3). Betrachtet man den auch interdisziplinäre Aufgabe des HNO-Arztes, eine zentrale VOR im Zeitverlauf während einer impulsartigen Kopfbewegung, Störung in der Akutphase eines Schwindels auszuschließen. Bei kann man feststellen, dass bei einer intakten Rezeptorfunktion einer akuten vestibulären Symptomatik (akutes vestibuläres Syn- und regelrechtem horizontalen VOR Kopf- und Augenbewegung drom), insbesondere beim Drehschwindel, muss bis zum siche- nach ca. 100-200 ms beendet sind. Aus Abbildung 2 wird deut- ren Beweis des Gegenteils von einer zentralen Störung ausge- lich, dass sich die Schnittpunkte der Kopf- und Augenbewegung gangen werden. bei einem normalen hVOR geringfügig unterscheiden. Der in- Der KIT ist ein wichtiger Test im Rahmen der Vestibularisdi- duzierte VOR und der Zeitverlauf hängen nach unseren Berech- agnostik und gehört im Rahmen der Notfalldiagnostik bei aku- nungen im Wesentlichen von der lateralen Auslenkung des tem Schwindel zu den diagnostischen Mitteln der ersten Wahl. Kopfes vor der Stimulation und von der induzierten Winkelge- Bei akutem Schwindel spricht eine Rückstellsakkade beim kli- schwindigkeit ab, die optimalerweise mehr als 150°/s betragen sollte. Für die laterale Kopfauslenkung gelten Werte zwischen 10 und 15 Grad als optimal. Für die quantitative Einschätzung der Ergebnisse des KIT wird der Verstärkungsfaktor (Gain) genutzt. Der Gain beschreibt das Verhältnis der Augengeschwindigkeit zur Kopfgeschwindigkeit und ist dimensionslos. v Augen Gain = v Kopf In Abhängigkeit von der Drehachse der Augen und des Kopfes bzw. der Entfernung des stationären Sehzieles sowie der Licht- verhältnisse beträgt der Gain-Wert bei Gesunden etwas weniger als 1 (ca. 0,8–1). Ein normaler Gain reflektiert die Integrität der Rezeptoren (Bogengänge) und ggf. des gesamten Reflexbogens. Der Gain kann zu mehreren Zeitpunkten gemessen werden. Zum besseren Vergleich nutzt man den Zeitpunkt der maxima- len Kopfgeschwindigkeit. Da die meisten Systeme monokuläre Abb. 4: Rückstellsakkadentypen beim Video-KIT. Blau: Kopfbewe- Ableitungen nutzen, müssen nach neueren Erkenntnissen auch gung; rot: simultane Augenbewegung. 1 = Rückstellsakkade vor interokuläre Differenzen (bis zu 15 %) berücksichtigt werden. Beendigung der Kopf-Augen-Bewegung („catchup-covert“-Sakka- Rezeptorfunktionsstörungen oder Störungen des VOR im Be- de), 2 und 4 = frühe oder späte Rückstellsakkaden nach Beendi- reich der reflektorischen Bahnen führen zu einer verminderten gung der Kopf-Augen-Bewegung („catchup-overt“-Sakkade), Augengeschwindigkeit beim KIT. Somit vermindert sich auch 3 = physiologische Sakkaden. HNO-Nachrichten 2012; 42 (1) 37
Zer tifizier te For tbildung Der Kopfimpulstest Abb. 5: Rückstellsakkadentypen beim Video-KIT. Blau: Kopfbewegung; grün: „catchup-overt“-Sakkaden (roter Pfeil) und „catchup-covert“- Sakkaden (grüner Pfeil) bei zwei Patienten mit einer akuten Neuritis vestibularis links Abb. 6: Rückstellsakkadentypen beim Video-KIT. Kombiniertes Auftreten von offenen und verdeckten Sakkaden. Links: grüner Pfeil = ver- deckte Rückstellsakkade, roter Pfeil = offene Rückstellsakkade. Rechts: Der Kopfimpuls ist hier nach ca. 90 ms beendet. Kopfdrehung be- ginnt bei 30 ms und ist bei 80 ms zu Ende, also hat die Drehung nur 50 ms benötigt. nischen oder Video-KIT (positiver KIT) in den allermeisten insbesondere die Kombination des KIT mit der Augenbewe- Fällen für eine peripher-vestibuläre Störung. Seltene Ausnahmen gungsanalyse (Nystagmus) und der Diagnostik einer vertikalen sind laterale Ponsinfarkte, AICA- oder Kleinhirninfarkte. Ein Divergenz beider Augen (skew deviation) in der klinischen Not- positiver KIT kann selten bei pseudovestibulären Affektionen falldiagnostik, eine höhere diagnostische Sicherheit, als das Er- durch Infarkte mit Beteiligung der vestibulären Kerngebiete auf- gebnis singulärer Tests. Dies ist vor allem unter dem Aspekt zu treten. Er ist damit kein ausschließliches Zeichen einer peripheren bedenken, dass zentrale Störungen das Bild einer peripher-ves- Störung. Mit dem Video-KIT kann die diagnostische Sicherheit tibulären Störung imitieren können. Die Kombination dieser im Vergleich zum konventionellen KIT noch erhöht werden: Im Screeningverfahren wird auch als „HINTS“ (Head-Impulse- Gegensatz zum konventionellen KIT kann mit dem Video-KIT Nystagmus-Test-of-Skew) bezeichnet und zeigt in der Früh- ein gestörter VOR, der sich mit versteckten Rückstellsakkaden phase einer akuten vestibulären Symptomatik eine 100%ige präsentiert, detektiert und analysiert werden. Sensitivität und 96%ige Spezifität. Ein negativer KIT (Fehlen von Rückstellsakkaden) spricht bei akutem Schwindel und gestörten VOR bei vestibulären Störun- Dynamische Rezeptorfunktionsanalyse gen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle für eine zentral- Im Zusammenhang mit dem Kopfimpulstest, dem Video-Kopf- vestibuläre Störung, ggf. für einen Schlaganfall. impulstest sowie der thermischen Prüfung wird heute häufig die Bestehen Zweifel, ob eine Rezeptorfunktionsstörung vorliegt, Frage gestellt, welche Testmethode eingesetzt werden soll. muss eine zügige neurologische Konsiliaruntersuchung erfolgen. Bei dynamischer Betrachtungsweise erfasst die thermische Da der KIT bei einer persistierenden Rezeptorfunktionsstörung Reizung den niederfrequenten Bereich der physiologischen ves- auch nach vollständiger vestibulärer Kompensation nachweisbar tibulären Reizverarbeitung (ca.
vestibularis) häufig nur frequenzspezifische Teilarbeitsbereiche gestört. Beim M. Menière kann der niederfrequente Bereich beeinträchtigt sein (pathologische thermische Prüfung) und der hochfrequente Bereich normale Testergebnisse zeigen (KIT). Dies war zum Beispiel bei einem Patienten mit einem Akusti- kusneurinom der Fall, bei dem die thermische Prüfung patho- logische Ergebnisse zeigte, der Videokopfimpulstest jedoch eine normale Blickstabilisierung. Dieser Patient war frei von Schwin- delbeschwerden. Der frequenzspezifische Arbeitsbereich und die dynamischen Gesichtspunkte der Bestandteile des gleichgewichtserhaltenen Systems müssen für die Rezeptorfunktionsanalyse der Bogen- gänge beachtet werden. Das Verständnis dynamischer Aspekte des vestibulären Systems ist heute vor allem bei der Indikati- onsstellung zu vestibulären Untersuchungsverfahren erforder- lich. Es muss berücksichtigt werden, dass die zur Verfügung Abb. 7: Normaler Video-Kopfimpulstest für den linken vorderen stehenden diagnostischen Verfahren nur bestimmte Abschnitte vertikalen Bogengang, Stimulation in der LARP-Ebene. des gesamten Arbeitsbereichs des vestibulären Systems erfassen können. Die thermische Prüfung stellt unter diesen Gesichts- Fazit punkten ein wenig physiologisches Testverfahren dar, da hier Die Rezeptorfunktion der Bogengänge kann mit dem klinischen der niederfrequente Arbeitsbereich des VOR analysiert wird. Kopfimpulstest qualitativ und mit dem Video-KIT quantitativ Durch die dynamische Rezeptorfunktionsanalyse gelang es analysiert werden. jedoch in diesem Fall, die Beeinträchtigung des niederfre- Der Video-KIT dient der Objektivierung einer Rezeptorfunk- quenten Dynamikbereiches des horizontalen Bogengangs tionsstörung im Arbeitsbereich des VOR. Damit lassen sich in (hVOR) von Symptomen zu objektivieren bzw. Befunde zu den meisten Fällen Beschwerden objektivieren, die unter alltäg- bewerten. In diesem Fall war der Einsatz mehrerer Testverfah- lichen Belastungen auftreten. ren für die Rezeptorfunktion der Bogengänge sinnvoll, um die Ein gestörter VOR geht bei einer Rezeptorfunktionsstörung dynamischen Aspekte aufzuklären. Somit sind in der Vestibu- immer mit einer Rückstellsakkade einher. Dabei lassen sich im larisdiagnostik derzeit immer mehrere Testverfahren erforder- VOR verborgene („catchup-covert“)-Sakkaden von sichtbaren lich, um Verdachtsdiagnosen und vor allem Beschwerden zu („catchup-overt“) Rückstellsakkaden unterscheiden. Versteckte bestätigen bzw. zu objektivieren. Sakkaden sind nur mit dem Video-KIT objektivierbar und kom- Es muss berücksichtigt werden, dass nicht jeder „Test“ alle men nach unseren Untersuchungen in ca. 15 % der Fälle vor. Das funktionellen Anteile der geprüften Rezeptoren erfasst. Vor die- Auftreten von Rückstellsakkaden spricht meistens für das Vor- sem Hintergrund relativiert sich auch die Frage nach dem „besten liegen einer peripheren Vestibulopathie. Fehlen beim akuten Testverfahren“. Die Wahl des Testverfahrens in der Praxis wird vestibulären Syndrom Rückstellsakkaden, ist eine zentrale Stö- wesentlich von dynamischen Aspekten des vestibulären Systems, rung sehr wahrscheinlich. dem spezifischen Frequenzspektrum von Rezeptorfunktionsprü- fungen und den Besonderheiten von Rezeptorfunktionsstörungen Literatur bei den Verfassern bei unterschiedlichen Krankheitsbildern und in deren Zeitverlauf beeinflusst. Nur unter diesen Aspekten gelingt auch die Objekti- Priv.-Doz. Dr. med Leif Erik Walter vierung von Beschwerden und die Deutung von Befunden. HNO-Gemeinschaftspraxis Main-Taunus-Zentrum Ausblick 65843 Sulzbach (Taunus) Der Video-Kopfimpulstest, der gegenwärtig für die horizontalen E-Mail: Leif.Walther@hno-praxis-sulzbach.de Bogengänge gut evaluiert ist, lässt sich in Analogie zum klinischen Kopfimpulstest auch für die vertikalen Bogengänge durch Kopf- impulse in der LARP- und RALP-Ebene durchführen (Abb. 7). K. Weber stellte kürzlich in Regensburg und Mannheim die Ob- Erklärung zu Interessenkonflikten jektivierung der vertikalen Bogengänge vor. Damit ist es möglich, Der Autor erklärt, dass er sich bei der Erstellung des Beitrages nunmehr den VOR aller sechs Bogengänge zu objektivieren und von keinen wirtschaftlichen Interessen leiten ließ und dass keine zu visualisieren. Hilfreich ist die videobasierte Betrachtung wäh- potenziellen Interessenkonflikte vorliegen. Der Verlag erklärt, dass die inhaltliche Qualität des Beitrags von rend der Kopfimpulse in Echtzeit aber auch eine Videoanalyse zwei unabhängigen Gutachtern geprüft wurde. Werbung in dieser nach erfolgter Untersuchung, ggf. in Zeitlupendarstellung, um Zeitschriftenausgabe hat keinen Bezug zur CME-Fortbildung. Der eventuelle Rückstellsakkaden zu objektivieren und dem Patienten Verlag garantiert, dass die CME-Fortbildung sowie die CME-Fragen zu demonstrieren. Die moderne Technik ermöglicht eine Nut- frei sind von werblichen Aussagen und keinerlei Produktempfehlun- gen enthalten. Dies gilt insbesondere für Präparate, die zur Therapie zung dieser Systeme sowohl im Rahmen der Fort- und Weiter- des dargestellten Krankheitsbildes geeignet sind. bildung als auch der universitären Lehre. HNO-Nachrichten 2012; 42 (1) 39
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