Per Video zu genaueren Ergebnissen - Der Kopfimpulstest

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Per Video zu genaueren Ergebnissen - Der Kopfimpulstest
Zer tifizier te For tbildung

Der Kopfimpulstest

Per Video zu genaueren Ergebnissen
L ei f e r ik W aLth er, r enate D ü r L , r a Lf h eLbig , a L ex a n De r b L ö D oW

Die durch Bárány zu Beginn des 20. Jahrhunderts klinisch eingeführte thermische Prüfung war lange Zeit
die wichtigste Methode zur seitengetrennten Evaluierung der Funktion der horizontalen Bogengänge.
1988 beschrieben Halmagyi und Curthoys erstmals den so genannten Kopfimpulstest. Die Weiterentwick-
lung dieser Methode zum Video-Kopfimpulstest ermöglicht heute die Visualisierung des vestibulookulären
Reflexes (VOR) und damit eine Objektivierung von Störungen aller drei Bogengänge jeder Seite. Diese neue
diagnostische Methode leitete gemeinsam mit den vestibulär evozierten myogenen Potenzialen (VEMP)
eine neue Ära in der Gleichgewichtsdiagnostik ein.

U
         nter den reizaufnehmenden Sinnessystemen, die für die                               eine sehr kurze Reaktionszeit, um die Kopf-Augen-Bewegung
         Realisierung der Gleichgewichtsfunktion von Bedeutung                               „unmerklich“ unter den sich ständig ändernden Anforderungen
         sind, spielen die peripheren Rezeptoren, Bogengänge                                 zu koordinieren. Ein intakter VOR ist in der Lage, dies in einem
und Otolithenorgane zur Aufnahme und Weitervermittlung von                                   Dynamikbereich zu realisieren, der ca. 1–20 Hz beträgt. Gerin-
Bewegungsreizen eine besondere Rolle. Die Integrität aller fünf                              gere Anforderungen (Stehen, Lesen) sowie alltägliche und höhere
Rezeptoren jeder Seite ist neben einer ungestörten posturalen                                Anforderungen an die Blickstabilisierung (Gehen, Laufen, Au-
Kontrolle sowie einem intaktem Visus Voraussetzung für eine                                  tofahren mit gleichzeitiger Orientierung bei Erschütterungen)
problemlose Orientierung des Menschen im dreidimensionalen                                   können damit bewältigt werden, ohne dass subjektive Beschwer-
Raum unter Gravitationsbedingungen. Störungen dieser drei                                    den auftreten.
reizaufnehmenden Sinnessysteme werden als „Schwindel“ oder                                     Die Anordnung der Bogengänge im Felsenbein hat funktio-
„Gleichgewichtsstörungen“ wahrgenommen. Für dden Hals-                                       nelle Hintergründe: Die horizontalen Bogengänge werden bei
Nasen-Ohren-Arzt ist die Evaluierung der Rezeptorfunktion bei                                einer Kopfbewegung in der horizontalen Ebene stimuliert. Die
bekannten Erkrankungen wie z.B. der akuten Neuritis vestibu-                                 vertikalen Bogengänge sind so angeordnet, dass der linke vor-
laris oder dem Morbus Menière von besonderer Bedeutung. Vor                                  dere und der rechte hintere Bogengang in einer Ebene gelegen
allem bei akuten Störungen (akutes vestibuläres Syndrom) ist                                 sind. Diese optimalen Stimulationsebenen bezeichnet man nach
eine frühzeitige Differenzierung zwischen peripheren und zen-                                der Lage der Bogengänge als RALP-Ebene (Right Anterior Left
tral bedingten Ursachen erforderlich. Der vorliegende Beitrag                                Posterior) und LARP-Ebenen (Left Anterior Right Posterior)
informiert über anatomische und physiologische Grundlagen,                                   (Abb. 1).
die Durchführung des klinischen und des Video-Kopfimpulstests
sowie wichtige diagnostische Ergebnisse und therapeutische
Konsequenzen dieser diagnostischen Methode aus dem Blick-
winkel der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und der Grenzgebiete
unseres Faches.

Grundlagen: Anatomie und Physiologie
Die Bogengänge registrieren Bewegungsreize in den drei Ebenen
des Raumes bei Bewegungen des Kopfes. Der adäquate Reiz für
die Erregung aller Bogengangsrezeptoren ist ein Beschleuni-
gungsreiz. Die Dreidimensionalität des Bogengangsystems und
deren bilaterale Anordnung gewährleisten eine Registrierung in
jeder beliebigen Ebene des Raumes. Die Beschleunigungsreize
                                                                       © (9) L. E. Walther

werden über reflektorische Verbindungen zu den Augenmuskeln
fortgeleitet. Vestibulookuläre Reflexe (VOR), die eine sehr kur-
ze Latenzzeit aufweisen, realisieren gemeinsam mit anderen
Systemen der Augenbewegung permanent ein stabiles Abbild
auf der Retina. Die Blickstabilisierung erfordert gerade bei schnel-                         Abb.1: Stimulationsebenen der oberen Bogengänge: LARP und
len und sich ständig ändernden Kopf- und Augenbewegungen                                     RALP-Ebene.

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Zer tifizier te For tbildung                Der Kopfimpulstest

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                                                                        gungen um die drei Hauptachsen bzw. in den drei Ebenen des
                                                                        dreidimensionalen Raumes. Dabei unterscheidet man eine sa-
                                                                        gittale (pitch), eine frontale (roll) und eine horizontale (yaw)
                                                                        Ebene. Die Stimulation eines Bogengangsrezeptors durch
                                                                        Kopfimpulse und eine Endolymphströmung führen zu einer
                                                                        reflektorischen Augenbewegung (VOR).

                                                                        Klinischer Kopfimpulstest
                                                                        Der Kopfimpulstest (KIT) prüft die Funktion der Bogengänge
                                                                        und damit die Fähigkeit zur Blickstabilisierung bei schnellen
                                                                        Kopfbeschleunigungen in den optimalen Stimulationsebenen.
                                                                        Dieser Test ist einfach, schnell durchzuführen und heute obliga-
                                                                        torisches Element der Gleichgewichtsdiagnostik. Halmagyi und
                                                                        Curthoys beschreiben in ihrer Originalpublikation ein diagnos-
                                                                        tisches Verfahren mit horizontalen Kopfbeschleunigungen zur
                                                                        Prüfung des horizontalen VOR.
                                                                           Bei der Durchführung wird der Kopf um ca. 10–15 Grad in
                                                                        der yaw-Achse nach lateral ausgelenkt und anschließend sehr
                                                                        schnell in die Kopfmittelstellung gebracht. Voraussetzung ist
                                                                        eine Fixation eines stationären nahen Zieles (z.B. die Region
                                                                        zwischen den Augen des Untersuchers). Liegt eine Funktions-
                                                                        störung mit Beteiligung des Rezeptors eines horizontalen Bogen-
                                                                        gangs vor, zeigt sich nach einer geringen Latenz nach dem Kopf-
                                                                        impuls eine Korrektursakkade zur kontralateralen Seite (der
                                                                        Läsion). Diese Korrektursakkade ist ein Zeichen für eine gestörte
                                                                        Blickstabilisierung und gleichzeitig ein objektiver Hinweis für
                                                                        eine Störung des horizontalen vestibulookulären Reflexes
                                                                        (hVOR). Eine ungestörte Blickstabilisierung spricht zunächst
                                                                        gegen eine isolierte Störung der Rezeptorfunktion. Es existieren
                                                                        jedoch Ausnahmen.
                                                                           Der Vorteil dieser Methodik besteht darin, dass sie in jeder
                                                                        Situation und unabhängig vom Zustand des äußeren Ohres auch
Abb. 2: Normaler Video-KIT für den linken horizontalen VOR (hori-
                                                                        bettseitig durchgeführt werden kann. Ein Spontannystagmus
zontaler Bogengang links). Oben: Die Geschwindigkeit der Augen
(Kurve unten, Pfeil) geht etwa mit der Geschwindigkeit der Kopfbe-      beeinflusst die Durchführung des KIT nicht. Komplikationen
wegung konform. Normaler Gain (ca. 1). Keine pathologischen Sak-        sind bisher in der Literatur nur in einem Fall (vagale Reaktion)
kaden. Unten: Normaler Video-KIT. Einzelne physiologische reflek-       berichtet worden.
torische Sakkaden zwischen 200 und 300 ms (Pfeil).

Abb. 3: Normaler Video-KIT für die horizontalen Bogengänge links (hVOR, Bild links und rechts) : normaler Gain, dreidimensionale Visualisie-
rung. Die Geschwindigkeit der Augenbewegungen [°/s] ist grün dargestellt, die Geschwindigkeit der Kopfbewegung [°/s] rot (linkes Bild)
und blau (rechtes Bild). Einzelne physiologische Sakkaden (rote Pfeile) sind normal.

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Der Video-Kopfimpulstest                                              der Gain. Vigilanzminderungen, zentral wirksame Pharmaka
Der Untersuchungsablauf beim Video-Kopfimpulstest entspricht          und Noxen müssen bei der Beurteilung des VOR ebenfalls be-
dem beim klinischen KIT. Der Untersucher steht jedoch hinter          rücksichtigt werden, wenn eine Verminderung des Gain nicht
dem sitzenden Patienten. Dieser wird aufgefordert, während der        auf eine definierte Rezeptorfunktionsstörung der Bogengänge
Prüfung ein stationäres Blickziel in einer Entfernung von ca.         zurückzuführen ist. Verminderungen des Gain, die mit einem
einem Meter zu fixieren. Während der Untersuchung werden              „Blicksprung“ einhergehen (Korrektursakkaden), kann der Pa-
die induzierten Kopfimpulse und der Ablauf der Augenbewegung          tient bei der Untersuchung bemerken.
über den Bildschirm des Computers beobachtet. Über das Vi-
deobild und die Software können sofort Informationen über den         Pathologischer Video-Kopfimpulstest
Ablauf der Kopfimpulse gesammelt werden.                              Weber et al. zeigten, dass mit dem Video-Kopfimpulstest nicht
   Mit dem Video-Kopfimpulstest lassen sich heute die erwähn-         nur die beim klinischen Kopfimpulstest sichtbaren Rückstellsak-
ten Rückstellsakkaden objektivieren. Voraussetzung für die Test-      kaden (engl.: „overt“-saccades) sondern auch so genannte unsicht-
durchführung ist eine fest sitzende Videobrille, ein Gyroskop         bare, verdeckte (engl.: „covert“-saccades) objektivierbar sind.
zur Messung der Kopfbewegungen sowie eine Hard- und Soft-                Bei einer gestörten Rezeptorfunktion können Rückstellsakka-
ware, die wegen der Bedeutung in der Notfalldiagnostik mobil          den vorkommen (Abb. 4, 5, 6), die nach der Kopf-Augen-Be-
in einem Laptop integriert sind. Hinsichtlich der klinischen Aus-     wegung auftreten („catchup-overt“-Sakkaden) oder solche, die
sage ist der Video-Kopfimpulstest der vergleichsweise kosten-         im Zyklus der Kopf-Augen-Bewegung „versteckt“ sind („catchup-
aufwändigen und nicht überall verfügbaren so genannten                covert“-Sakkaden) und somit visuell für den Untersucher nicht
„search-coil-Technik“, bei der Augenbewegungen mit kontakt-           zu identifizieren sind. Versteckte Sakkaden sprechen jedoch eben-
linsenartigen Magnetspulen abgeleitet werden, als gleichwertig        falls für einen gestörten horizontalen VOR. Der Video-Kopf-
einzuschätzen und im praktischen Gebrauch überlegen.                  impulstest ist in der Lage, diesen diagnostischen Schwachpunkt
   Kopf- und Augenbewegung gehen im Normalfall ohne wesent-           des klinischen Kopfimpulstests zu lösen.
liche Zeitverzögerung einher. Nach Beendigung des Kopfimpul-
ses ist die Blickstabilisierung regelrecht. Sakkadische Augenbe-      Zentrale Störung als Ursache für den Schwindel?
wegungen im Sinne von Rückstellsakkaden treten im Falle eines         Auf Grund der Differenzialdiagnose eines Schlaganfalls ist es
normalen VOR nicht auf (Abb. 2 und 3). Betrachtet man den             auch interdisziplinäre Aufgabe des HNO-Arztes, eine zentrale
VOR im Zeitverlauf während einer impulsartigen Kopfbewegung,          Störung in der Akutphase eines Schwindels auszuschließen. Bei
kann man feststellen, dass bei einer intakten Rezeptorfunktion        einer akuten vestibulären Symptomatik (akutes vestibuläres Syn-
und regelrechtem horizontalen VOR Kopf- und Augenbewegung             drom), insbesondere beim Drehschwindel, muss bis zum siche-
nach ca. 100-200 ms beendet sind. Aus Abbildung 2 wird deut-          ren Beweis des Gegenteils von einer zentralen Störung ausge-
lich, dass sich die Schnittpunkte der Kopf- und Augenbewegung         gangen werden.
bei einem normalen hVOR geringfügig unterscheiden. Der in-              Der KIT ist ein wichtiger Test im Rahmen der Vestibularisdi-
duzierte VOR und der Zeitverlauf hängen nach unseren Berech-          agnostik und gehört im Rahmen der Notfalldiagnostik bei aku-
nungen im Wesentlichen von der lateralen Auslenkung des               tem Schwindel zu den diagnostischen Mitteln der ersten Wahl.
Kopfes vor der Stimulation und von der induzierten Winkelge-          Bei akutem Schwindel spricht eine Rückstellsakkade beim kli-
schwindigkeit ab, die optimalerweise mehr als 150°/s betragen
sollte. Für die laterale Kopfauslenkung gelten Werte zwischen 10
und 15 Grad als optimal.
   Für die quantitative Einschätzung der Ergebnisse des KIT wird
der Verstärkungsfaktor (Gain) genutzt. Der Gain beschreibt das
Verhältnis der Augengeschwindigkeit zur Kopfgeschwindigkeit
und ist dimensionslos.                      v Augen
                                  Gain =
                                           v Kopf

In Abhängigkeit von der Drehachse der Augen und des Kopfes
bzw. der Entfernung des stationären Sehzieles sowie der Licht-
verhältnisse beträgt der Gain-Wert bei Gesunden etwas weniger
als 1 (ca. 0,8–1). Ein normaler Gain reflektiert die Integrität der
Rezeptoren (Bogengänge) und ggf. des gesamten Reflexbogens.
   Der Gain kann zu mehreren Zeitpunkten gemessen werden.
Zum besseren Vergleich nutzt man den Zeitpunkt der maxima-
len Kopfgeschwindigkeit. Da die meisten Systeme monokuläre
                                                                      Abb. 4: Rückstellsakkadentypen beim Video-KIT. Blau: Kopfbewe-
Ableitungen nutzen, müssen nach neueren Erkenntnissen auch            gung; rot: simultane Augenbewegung. 1 = Rückstellsakkade vor
interokuläre Differenzen (bis zu 15 %) berücksichtigt werden.         Beendigung der Kopf-Augen-Bewegung („catchup-covert“-Sakka-
   Rezeptorfunktionsstörungen oder Störungen des VOR im Be-           de), 2 und 4 = frühe oder späte Rückstellsakkaden nach Beendi-
reich der reflektorischen Bahnen führen zu einer verminderten         gung der Kopf-Augen-Bewegung („catchup-overt“-Sakkade),
Augengeschwindigkeit beim KIT. Somit vermindert sich auch             3 = physiologische Sakkaden.

HNO-Nachrichten   2012; 42 (1)                                                                                                     37
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Abb. 5: Rückstellsakkadentypen beim Video-KIT. Blau: Kopfbewegung; grün: „catchup-overt“-Sakkaden (roter Pfeil) und „catchup-covert“-
Sakkaden (grüner Pfeil) bei zwei Patienten mit einer akuten Neuritis vestibularis links

Abb. 6: Rückstellsakkadentypen beim Video-KIT. Kombiniertes Auftreten von offenen und verdeckten Sakkaden. Links: grüner Pfeil = ver-
deckte Rückstellsakkade, roter Pfeil = offene Rückstellsakkade. Rechts: Der Kopfimpuls ist hier nach ca. 90 ms beendet. Kopfdrehung be-
ginnt bei 30 ms und ist bei 80 ms zu Ende, also hat die Drehung nur 50 ms benötigt.

nischen oder Video-KIT (positiver KIT) in den allermeisten             insbesondere die Kombination des KIT mit der Augenbewe-
Fällen für eine peripher-vestibuläre Störung. Seltene Ausnahmen        gungsanalyse (Nystagmus) und der Diagnostik einer vertikalen
sind laterale Ponsinfarkte, AICA- oder Kleinhirninfarkte. Ein          Divergenz beider Augen (skew deviation) in der klinischen Not-
positiver KIT kann selten bei pseudovestibulären Affektionen           falldiagnostik, eine höhere diagnostische Sicherheit, als das Er-
durch Infarkte mit Beteiligung der vestibulären Kerngebiete auf-       gebnis singulärer Tests. Dies ist vor allem unter dem Aspekt zu
treten. Er ist damit kein ausschließliches Zeichen einer peripheren    bedenken, dass zentrale Störungen das Bild einer peripher-ves-
Störung. Mit dem Video-KIT kann die diagnostische Sicherheit           tibulären Störung imitieren können. Die Kombination dieser
im Vergleich zum konventionellen KIT noch erhöht werden: Im            Screeningverfahren wird auch als „HINTS“ (Head-Impulse-
Gegensatz zum konventionellen KIT kann mit dem Video-KIT               Nystagmus-Test-of-Skew) bezeichnet und zeigt in der Früh-
ein gestörter VOR, der sich mit versteckten Rückstellsakkaden          phase einer akuten vestibulären Symptomatik eine 100%ige
präsentiert, detektiert und analysiert werden.                         Sensitivität und 96%ige Spezifität.
   Ein negativer KIT (Fehlen von Rückstellsakkaden) spricht bei
akutem Schwindel und gestörten VOR bei vestibulären Störun-            Dynamische Rezeptorfunktionsanalyse
gen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle für eine zentral-          Im Zusammenhang mit dem Kopfimpulstest, dem Video-Kopf-
vestibuläre Störung, ggf. für einen Schlaganfall.                      impulstest sowie der thermischen Prüfung wird heute häufig die
   Bestehen Zweifel, ob eine Rezeptorfunktionsstörung vorliegt,        Frage gestellt, welche Testmethode eingesetzt werden soll.
muss eine zügige neurologische Konsiliaruntersuchung erfolgen.            Bei dynamischer Betrachtungsweise erfasst die thermische
Da der KIT bei einer persistierenden Rezeptorfunktionsstörung          Reizung den niederfrequenten Bereich der physiologischen ves-
auch nach vollständiger vestibulärer Kompensation nachweisbar          tibulären Reizverarbeitung (ca.
Per Video zu genaueren Ergebnissen - Der Kopfimpulstest
vestibularis) häufig nur frequenzspezifische Teilarbeitsbereiche
gestört. Beim M. Menière kann der niederfrequente Bereich
beeinträchtigt sein (pathologische thermische Prüfung) und der
hochfrequente Bereich normale Testergebnisse zeigen (KIT).
Dies war zum Beispiel bei einem Patienten mit einem Akusti-
kusneurinom der Fall, bei dem die thermische Prüfung patho-
logische Ergebnisse zeigte, der Videokopfimpulstest jedoch eine
normale Blickstabilisierung. Dieser Patient war frei von Schwin-
delbeschwerden.
   Der frequenzspezifische Arbeitsbereich und die dynamischen
Gesichtspunkte der Bestandteile des gleichgewichtserhaltenen
Systems müssen für die Rezeptorfunktionsanalyse der Bogen-
gänge beachtet werden. Das Verständnis dynamischer Aspekte
des vestibulären Systems ist heute vor allem bei der Indikati-
onsstellung zu vestibulären Untersuchungsverfahren erforder-
lich. Es muss berücksichtigt werden, dass die zur Verfügung           Abb. 7: Normaler Video-Kopfimpulstest für den linken vorderen
stehenden diagnostischen Verfahren nur bestimmte Abschnitte           vertikalen Bogengang, Stimulation in der LARP-Ebene.
des gesamten Arbeitsbereichs des vestibulären Systems erfassen
können. Die thermische Prüfung stellt unter diesen Gesichts-          Fazit
punkten ein wenig physiologisches Testverfahren dar, da hier          Die Rezeptorfunktion der Bogengänge kann mit dem klinischen
der niederfrequente Arbeitsbereich des VOR analysiert wird.           Kopfimpulstest qualitativ und mit dem Video-KIT quantitativ
Durch die dynamische Rezeptorfunktionsanalyse gelang es               analysiert werden.
jedoch in diesem Fall, die Beeinträchtigung des niederfre-               Der Video-KIT dient der Objektivierung einer Rezeptorfunk-
quenten Dynamikbereiches des horizontalen Bogengangs                  tionsstörung im Arbeitsbereich des VOR. Damit lassen sich in
(hVOR) von Symptomen zu objektivieren bzw. Befunde zu                 den meisten Fällen Beschwerden objektivieren, die unter alltäg-
bewerten. In diesem Fall war der Einsatz mehrerer Testverfah-         lichen Belastungen auftreten.
ren für die Rezeptorfunktion der Bogengänge sinnvoll, um die             Ein gestörter VOR geht bei einer Rezeptorfunktionsstörung
dynamischen Aspekte aufzuklären. Somit sind in der Vestibu-           immer mit einer Rückstellsakkade einher. Dabei lassen sich im
larisdiagnostik derzeit immer mehrere Testverfahren erforder-         VOR verborgene („catchup-covert“)-Sakkaden von sichtbaren
lich, um Verdachtsdiagnosen und vor allem Beschwerden zu              („catchup-overt“) Rückstellsakkaden unterscheiden. Versteckte
bestätigen bzw. zu objektivieren.                                     Sakkaden sind nur mit dem Video-KIT objektivierbar und kom-
   Es muss berücksichtigt werden, dass nicht jeder „Test“ alle        men nach unseren Untersuchungen in ca. 15 % der Fälle vor. Das
funktionellen Anteile der geprüften Rezeptoren erfasst. Vor die-      Auftreten von Rückstellsakkaden spricht meistens für das Vor-
sem Hintergrund relativiert sich auch die Frage nach dem „besten      liegen einer peripheren Vestibulopathie. Fehlen beim akuten
Testverfahren“. Die Wahl des Testverfahrens in der Praxis wird        vestibulären Syndrom Rückstellsakkaden, ist eine zentrale Stö-
wesentlich von dynamischen Aspekten des vestibulären Systems,         rung sehr wahrscheinlich.
dem spezifischen Frequenzspektrum von Rezeptorfunktionsprü-
fungen und den Besonderheiten von Rezeptorfunktionsstörungen          Literatur bei den Verfassern
bei unterschiedlichen Krankheitsbildern und in deren Zeitverlauf
beeinflusst. Nur unter diesen Aspekten gelingt auch die Objekti-      Priv.-Doz. Dr. med Leif Erik Walter
vierung von Beschwerden und die Deutung von Befunden.                 HNO-Gemeinschaftspraxis
                                                                      Main-Taunus-Zentrum
Ausblick                                                              65843 Sulzbach (Taunus)
Der Video-Kopfimpulstest, der gegenwärtig für die horizontalen        E-Mail: Leif.Walther@hno-praxis-sulzbach.de
Bogengänge gut evaluiert ist, lässt sich in Analogie zum klinischen
Kopfimpulstest auch für die vertikalen Bogengänge durch Kopf-
impulse in der LARP- und RALP-Ebene durchführen (Abb. 7).
K. Weber stellte kürzlich in Regensburg und Mannheim die Ob-
                                                                       Erklärung zu Interessenkonflikten
jektivierung der vertikalen Bogengänge vor. Damit ist es möglich,      Der Autor erklärt, dass er sich bei der Erstellung des Beitrages
nunmehr den VOR aller sechs Bogengänge zu objektivieren und            von keinen wirtschaftlichen Interessen leiten ließ und dass keine
zu visualisieren. Hilfreich ist die videobasierte Betrachtung wäh-     potenziellen Interessenkonflikte vorliegen.
                                                                       Der Verlag erklärt, dass die inhaltliche Qualität des Beitrags von
rend der Kopfimpulse in Echtzeit aber auch eine Videoanalyse           zwei unabhängigen Gutachtern geprüft wurde. Werbung in dieser
nach erfolgter Untersuchung, ggf. in Zeitlupendarstellung, um          Zeitschriftenausgabe hat keinen Bezug zur CME-Fortbildung. Der
eventuelle Rückstellsakkaden zu objektivieren und dem Patienten        Verlag garantiert, dass die CME-Fortbildung sowie die CME-Fragen
zu demonstrieren. Die moderne Technik ermöglicht eine Nut-             frei sind von werblichen Aussagen und keinerlei Produktempfehlun-
                                                                       gen enthalten. Dies gilt insbesondere für Präparate, die zur Therapie
zung dieser Systeme sowohl im Rahmen der Fort- und Weiter-             des dargestellten Krankheitsbildes geeignet sind.
bildung als auch der universitären Lehre.

HNO-Nachrichten   2012; 42 (1)                                                                                                            39
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