Phraseologie in der Pressesprache (dargestellt an Texten aus "DIE ZEIT" und "BILD")

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MASARYKOVA UNIVERZITA
                FILOZOFICKÁ FAKULTA
ÚSTAV GERMANISTIKY, NORDISTIKY A NEDERLANDISTIKY

                      Antonín Daniel

          Phraseologie in der Pressesprache
  (dargestellt an Texten aus „DIE ZEIT“ und „BILD“)
               Magisterská diplomová práce

      Vedoucí diplomové práce: PhDr. Jiřina Malá, CSc.

                         Brno 2006
Prohlašuji, že jsem diplomovou práci vypracoval
samostatně s využitím uvedených pramenů a literatury.

       …………..……………………………………..

       2
An dieser Stelle möchte ich mich bei Frau PhDr. Jiřina Malá, CSc.
 für ihre wertvollen Ratschläge und Hinweise, mit denen sie mir bei der
Ausarbeitung der vorliegenden Arbeit behilflich war, herzlich bedanken.

                        3
Inhaltsverzeichnis

Einleitung                                                            7
I Theoretischer Teil                                                  8-44
1. Zur Terminologie                                                   8-9
2. Merkmale der Phraseologismen                                       9
   2.1. Polylexikalität                                               9
   2.2. Festigkeit                                                    10
   2.3. Idiomatizität                                                 10-11
        2.3.1. Motiviertheit                                          11
   2.4. Lexikalisierung und Reproduzierbarkeit                        11-12
3. Klassifikation der Phraseologismen                                 12
   3.1. Basisklassifikation                                           12-13
   3.2. Syntaktische Klassifikation                                   13-14
   3.3. Semantische Klassifikation                                    14-15
   3.4. Struktursemantische Mischklassifikation                       15
        3.4.1. Phraseologische Ganzheiten                             15-16
        3.4.2. Phraseologische Verbindungen und bevorzugte Analysen   16
        3.4.3. Modellbildungen                                        16-17
        3.4.4. Zwillingsformeln                                       17
        3.4.5. Komparative Phraseologismen                            18-19
        3.4.6. Streckformen des Verbs                                 19
        3.4.7. Phraseologische Termini                                20
        3.4.8. Feste Phrasen                                          20
        3.4.9. Sprichwörter und Gemeinplätze                          20-21
   3.5. Zwei Sonderfälle                                              22
        3.5.1. Kinegramme                                             22
        3.5.2. Geflügelte Worte                                       22-23
4. Varianten und Modifikationen                                       23
   4.1. Zur phraseologischen Variation                                24-25

                                             4
4.2. Zur phraseologischen Modifikation                           25-26
        4.2.1. Lexikalische Substitution                            27
        4.2.2. Hinzufügung eines Adjektivs                          27
        4.2.3. Determinativkomposition                              28
        4.2.4. Hinzufügung eines Genitivattributs                   28-29
        4.2.5. Abtrennung                                           29
        4.2.6. Verkürzungen                                         29
        4.2.7. Koordinierung                                        30
        4.2.8. Wechsel Affirmation↔Negation                         30
        4.2.9. Verweise im Kontext                                  31
        4.2.10. Verletzung der semantischen Selektionsbedingungen   31-32
        4.2.11. Häufung, Kontamination, Katachrese                  32-33
        4.2.12. Metasprachliche Kommentierung                       33-34
5. Phraseologismen im Text                                          34-35
   5.1. Phraseologie in der Presse                                  36-38
6. Journalistische Textsorten                                       38
   6.1. Kontaktorientierte Texte                                    39
   6.2. Informationsbetonte Texte                                   39-42
   6.3. Meinungsbetonte Texte                                       42-44

II Praktischer Teil                                                 44-72
1. Charakteristik der benutzten Zeitungen                           44-46
   1.1. DIE ZEIT                                                    44-45
   1.2. BILD                                                        45-46
2. Zur Analyse der Artikel                                          47
   2.1. DIE ZEIT, Nr. 2/2006                                        48-52
   2.2. DIE ZEIT, Nr. 8/2006                                        53-57
   2.3. DIE ZEIT, Nr. 11/2006                                       57-58
   2.4. DIE ZEIT, Nr. 13/2006                                       58-61
   2.5. BILD, 3.2.2006                                              61-63
   2.6. BILD, 23.3.2006                                             63-66
   2.7. BILD, 6.4.2006                                              66-68
   2.8. BILD, 12.4.2006                                             68-71
   2.9. BILD, 15.4.2006                                             71-72

                                             5
3. Zusammenfassung                      73-75
Quellen- und Literaturverzeichnis       76-77
Anhang
Anhang A
Anhang B

                                    6
Einleitung

      Im Rahmen der vorliegenden Arbeit möchte ich mich mit dem Vergleich des
Vorkommens von Phraseologismen in Artikeln aus den Zeitungen „DIE ZEIT“ und „BILD“
befassen. Ich kann so an meine Bakkalaureatsarbeit anknüpfen, in der ich mich auf
verschiedene Typen von Phraseologismen in der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ konzentrierte.
Die vorliegende Arbeit besteht aus einem theoretischen und einem praktischen Teil.

      Im    theoretischen      Teil   werden   zunächst   Merkmale   der   Phraseologismen
charakterisiert. Danach beschäftige ich mich mit verschiedenen Klassifikationen, aufgrund
deren die Phraseologismen eingeteilt werden können. Im Hinblick darauf, dass
phraseologische Wendungen in publizistischen Texten oft variiert oder modifiziert werden,
widme ich mich ebenfalls diesen Aspekten der Phraseologie. Ausführlich werden vor allem
die phraseologischen Modifikationen beschrieben, die ein höchst interessantes Phänomen
darstellen. Es folgt ein Kapitel, in dem Funktionen von Phraseologismen im Text
angedeutet werden. Am Ende des theoretischen Teils gebe ich einen kurzen Überblick von
journalistischen Textsorten.

      Im praktischen Teil dieser Diplomarbeit wird zuerst eine kurze Charakteristik der
benutzten Printmedien angeführt. Weiter erfolgt die eigene Analyse der ausgewählten
Artikel, wobei die Phraseologismen mit Hilfe der Wörterbücher aufgesucht und klassifiziert
werden. Zum Schluss möchte ich die Ergebnisse der Analyse zusammenfassen und das
Vorkommen von Phraseologismen in zwei unterschiedlichen Zeitungen vergleichen.

                                               7
I      THEORETISCHER TEIL

1.     Zur Terminologie

       Fast in jeder natürlichen Sprache kommen feste Wortverbindungen vor, die spezielle
Bedeutungen haben und zu Bestandteilen des Wortschatzes wurden. Für diese sprachlichen
Erscheinungen verwendet man verschiedene Termini wie z.B. Phraseologismen,
Phraseolexeme, Redewendungen, Idiome, Wortgruppenlexeme. Gerade mit diesen
vorgeformten Wendungen, die in der Sprache eher durch Mechanismen der „Reproduktion“
als der „Produktion“ zustandekommen, beschäftigt sich die Phraseologie. Den Begriff
„Phraseologie“ können wir doppeldeutig auffassen: erstens als relativ junge linguistische
Teildisziplin und zweitens als Bestand von Phraseologismen in einer Sprache.
       Was die Etymologie der Ausdrücke „Phraseologie“, „Phraseologismus“ u. ä. betrifft,
gehen diese auf das griechisch-lateinische Wort „phrasis“ -      „rednerischer Ausdruck“
zurück. Sehr verbreitet ist auch der Ausdruck „Idiom“, bzw. „Idiomatik“, „Idiomatismus“.
In diesem Fall liegt das griechische Wort „idióma“- „Eigentümlichkeit, Besonderheit“
zugrunde.
       Mit der erstgenannten Wortfamilie hat aber den gemeinsamen Ursprung auch das im
17. Jahrhundert aus dem Französischen entlehnte „Phrase“. Dieses Wort bezeichnete nicht
nur den rednerischen Ausdruck, sondern auch eine inhaltsleere, nichtssagende Redensart.
Der Ausdruck Phraseologismus wird in älteren Fremdwörterbüchern nur als „inhaltleere
Schönrednerei und Neigung dazu“ erläutert (Heyse 1906, 641); in neueren allerdings in
unserem Sinne als „feste Wortverbindung, Redewendung“ (Grosses Fremdwörterbuch 1979,
580) (zit. nach: Fleischer 1997, 2-3).
       Zu dem zweiten häufig verwendeten Terminus „Idiom“ können wir sagen, dass er im
Deutschen seit Ende des 17. Jhs. als „eigentümliche Mundart“ erscheint. Im 18. Jh. kann
man auf die heute ungebräuchliche Weiterbildung „Idiotismus“ treffen, von Gottsched
definiert als „die unserer Sprache allein zuständigen Redensarten, die sich in keine andere
Sprache von Wort zu Wort übersetzen lassen“(Gottsched 1762, 538) (zit. nach: Fleischer
1997, 3).
       Zur weiteren Entwicklung der Terminologie kam es in der Hälfte des 20. Jhs. In
Anlehnung an russ. „idiomatičnost“ und engl. „idiomaticity“ tauchte im Deutschen der
Ausdruck „Idiomatizität“ auf, der eine bestimmte Eigenschaft eines Teiles der festen
Wendungen bezeichnet.

                                           8
Unter dem Einfluß fremder Sprachen entstanden auch die deutschen Ausdrücke
„Redensart“ und „Redewendung“.

 2.     Merkmale der Phraseologismen

        Die Phraseologismen zeichnen sich durch bestimmte Eigenschaften aus, die sie von
 freien Wortverbindungen und Sätzen unterscheiden. Zu den Grundeigenschaften dieser
 festen Wendungen gehören Polylexikalität und Festigkeit. Wenn die Wortverbindungen
 diese Merkmale aufweisen, kann man von Phraseologie im weiteren Sinne sprechen. Falls
 noch die dritte wesentliche Eigenschaft – Idiomatizität hinzukommt, lässt es sich von
 Phraseologie im engeren Sinne sprechen (vgl. Burger 1998, 14-15). Als weitere Merkmale
 können wir Lexikalisierung und Reproduzierbarkeit erwähnen.

 2.1.   Polylexikalität

        Dieses Merkmal bedeutet, dass die Phraseologismen zwei und mehrere Wörter
 umfassen. „Eine obere Grenze der Wortmenge wird nicht definiert, da die maximale
 Ausdehnung eines Phraseologismus üblicherweise nicht lexikalisch, sondern syntaktisch
 festgelegt ist: der Satz gilt als die obere Grenze phraseologischer Wortverbindungen“
 (Burger 1998, 15).
        Es gibt selbstverständlich Grenzfälle und Ausnahmen. Wir können z.B. die
 sogenannten „Sagwörter“ (oder „Wellerismen“) anführen. Bei diesen werden Sprichwörter
 oder sprichwortartige Ausdrücke in dem Sinne erweitert, dass eine Situation angegeben
 wird, in der jemand den Ausdruck sagt. Diese Verbindung wirkt dann sehr überraschend
 und witzig (z. B. Was sich liebt, das neckt sich, sagte die Katze und fraß die Maus; Was ich
 nicht weiß, macht mich nicht heiß, sagte der Ochse, als er gebraten wurde).

                                             9
2.2.   Festigkeit

           Die Festigkeit kann man definieren als Eigenschaft der Phraseologismen, stabile
    Wortverbindungen aufzuweisen. Die Phraseologismen sind als Einheiten gespeichert, sie
    können als ganze abgerufen und produziert werden. So wie man ein Wort kennt, kennt man
    einen Phraseologismus. Im Gegensatz zu den Wörtern verhalten sich aber die
    Phraseologismen      in mancher Hinsicht wie „normale“ syntaktische Gebilde. „Ein Wort
    kann man nur als Ganzes deklinieren oder konjugieren oder im Satz in eine andere Position
    bringen, bei Phraseologismen aber können die Komponenten dekliniert, konjugiert,
    umgestellt werden“ (Burger 1998, 17).
           Es ist zu sagen, dass absolute lexikalische Festigkeit nur bei wenigen
    phraseologischen Wortverbindungen erscheint. Zu solchen Phraseologismen gehören vor
    allem diejenigen mit unikalen Komponenten, was Wörter sind, die sonst im Wortschatz
    nicht vorkommen (z. B. gang und gäbe, klipp und klar, Maulaffen feilhalten).1 Dann auch
    hochgradig idiomatische Phraseologismen (z. B. ins Gras beißen). In den meisten Fällen ist
    jedoch eine Ersetzung der Komponenten möglich. Dann handelt es sich um Variationen
    und Modifikationen (siehe unten Kap. 4).

    2.3.   Idiomatizität

           Die Interpretation des Begriffs „Idiomatizität“ ist in der Forschung unterschiedlich.
    Vor    allem   umfasst     er   die    spezifisch       semantischen   Besonderheiten,   die   viele
    Phraseologismen von freien Wortverbindungen abheben. Für die phraseologischen
    Verbindungen, die den Bereich der Idiome bilden, ist kennzeichnend, dass ihre Bedeutung
    nicht oder nur teilweise aus den Einzelbedeutungen ihrer Bestandteile erschlossen werden
    kann. In diesem Zusammenhang sprechen wir über die phraseologische und wörtliche
    Bedeutung.
           Bei einigen Ausdrücken sind wörtliche und phraseologische Bedeutung identisch.
    Zum Beispiel bei „sich die Zähne putzen“ ist ganz klar, was dieser Ausdruck heißen soll.

_________________
Für weitere Beispiele siehe Fleischer (1997, 37-40).
1

                                                       10
Dagegen bei dem Satz „Warum soll ich schlafende Hunde wecken?“ sind zwei
 Interpretationen möglich. Die wörtliche und dann die phraseologische, die den Unwillen
 darstellt, jemanden, der einschreiten würde, auf etw. aufmerksam zu machen..
 „Je stärker die Diskrepanz zwischen diesen beiden Bedeutungsebenen ist, umso stärker
 idiomatisch ist der Phraseologismus“ (Burger 1998, 31).
        Die Idiomatizität entsteht oft auf dem Wege der Metaphorisierung, wobei der
 Metaphorisierungsprozess „durchsichtig“ (Dampf ablassen - seine Wut abreagieren) oder
 „undurchsichtig“ (in die Binsen gehen – verschwinden, unbrauchbar werden) sein kann.

 2.3.1. Motiviertheit

         Mit diesem Kriterium hängt der „Grad der Idiomatizität“ eng zusammen. Es geht um
 die Frage, inwieweit die Gesamtbedeutung eines Phraseologismus aus der Bedeutung der
 Einzelelemente verstehbar ist. Nach Burger/Buhofer/Sialm (1982, 4) gibt es motivierte,
 teilmotivierte und unmotivierte Phraseologismen. Diesen entsprechen grosso modo
 nichtidiomatische, teilidiomatische und vollidiomatische Phraseme.
        Wenn die Gesamtbedeutung aus der Bedeutung der Komponenten voll verstehbar ist,
 sind die phraseologischen Wendungen motiviert. Als Beispiel kann man den Ausdruck „an
 der Spitze liegen“ anführen. Falls die Gesamtbedeutung nicht aus der Bedeutung der
 Elemente verstehbar ist, handelt es sich um unmotivierte Phraseologismen. Zu diesen würde
 z. B. die Wendung „einen Narren an jmdm. gefressen haben“ gehören, die eine große
 Zuneigung zu jemandem ausdrückt.
        Der „Grad der Idiomatizität“ verhält sich somit umgekehrt proportional zum Grad
der Motiviertheit: Je schwächer motiviert eine Wortkette ist, umso stärker idiomatisch ist sie
(Burger 1973, 26).

 2.4.   Lexikalisierung und Reproduzierbarkeit

        Diese Eigenschaften bedeuten im Grunde, dass die Phraseologismen im Prozeß der
 Rede nicht jedesmal neu gebildet, sondern als lexikalische Einheiten reproduziert werden.
 Damit nähern sie sich gerade den Wörtern, deshalb werden sie auch als Paralexeme oder
 Wortgruppenlexeme bezeichnet.
        Aber nicht nur lexikalische Einheiten im engeren Sinn werden reproduziert. Es gibt
 Satzstücke und Satzkomplexe, die in der Kommunikation immer in derselben Form benutzt

                                             11
werden, die jedoch nur für eine bestimmte Gruppe von Leuten verstehbar sein können. Es
fehlt hier die Tendenz zur Speicherung dieser Wendungen.

3.       Klassifikation der Phraseologismen

         In den Anfängen der Phraseologieforschung entstand eine ganze Reihe von
Klassifikationen der Phraseologismen, was auch mit der Verwendung der verschiedenen
Termini verbunden war. Diese Uneinigkeit, die zum vielbeklagten Begriffschaos führte,
wurde nur teilweise beseitigt. Burger (1998, 33) konstatiert zwar, dass, was die
Klassifikationskriterien anbelangt, heutzutage weitgehende Übereinstimmung existiert und
die hauptsächlichen Klassen im Großen und Ganzen gleich definiert werden, doch kann
man nicht sagen, dass es nur eine, allgemein anerkannte Terminologie (bzw. Klassifikation)
gibt.
        Zu den bedeutendsten Forschern, die eigenes Klassifikationssystem auf dem Gebiete
der Phraseologie entwickelten, zählen wir E. Agricola, I.I. Černyševa, U. Fix, A. Rothkegel,
H. Burger u. a.2 Meistens wird von Phraseologen eine Kombination von syntaktischen,
semantischen und pragmatischen Kriterien verwendet.
         W. Fleischer, der auch zu diesen Sprachwissenschaftlern gehört, erklärt das Problem
der Klassifikation, wenn er auf die Tatsache hinweist, dass den Phraseologismen ein eigenes
System von Strukturtypen und Bildungselementen fehlt, wie es die Wortbildung kennt, und
dass die für Wörter anwendbaren Klassifikationskriterien nicht voll auf die Phraseologismen
übertragbar sind (vgl. Fleischer 1997, 110).

3.1.     Basisklassifikation

         H. Burger (1998, 36) verwendet für die Gliederung des Gesamtbereichs der
Phraseologie das Kriterium der Zeichenfunktion, die die Phraseologismen in der
Kommunikation haben. Er teilt sie in diese Gruppen ein:
         a) Referentielle Phraseologismen, die sich auf Objekte, Vorgänge oder
Sachverhalte der Wirklichkeit beziehen; z. B.: Schwarzes Gold ( damit sind Kohle oder
Erdöl gemeint), jmdn. übers Ohr hauen ( jmdn. betrügen), Morgenstund hat Gold im Mund
( wer früh mit der Arbeit anfängt, erreicht viel) u.v.a.
________________
Näher dazu z. B. Fleischer (1997, 111-122) und Burger/Buhofer/Sialm (1982, 20-30).
2

                                                 12
b) Strukturelle Phraseologismen, die nur eine Funktion innerhalb der Sprache
haben, nämlich die Funktion, (grammatische) Relationen herzustellen: in Bezug auf,
sowohl- als auch.

       c) Kommunikative Phraseologismen, die bestimmte Funktionen bei der
Herstellung, Definition, dem Vollzug und der Beendigung kommunikativer Handlungen
haben: Grüß Gott, auf Wiedersehen, meiner Meinung nach, soviel ich weiß, nicht wahr?
Für diese Gruppe benutzt man auch den Terminus Routineformel.

3.2.    Syntaktische Klassifikation

        Was die Rolle der Phraseologismen im Satz betrifft, sind diese Gruppen zu
unterscheiden:
        1) Es gibt Phraseologismen, die kleiner als ein Satzglied sind. Dies trifft gerade für
die strukturellen Phraseologismen zu, die die Funktion von Präpositionen ( im Laufe, ohne
zu), Konjunktionen ( um zu, wenn auch) oder Adjektiven ( gang und gäbe – allgemein
üblich) haben können.

        2) Die zweite Gruppe bilden die satzgliedwertigen Phraseologismen, die einem
oder mehreren Satzgliedern entsprechen. Sie können die Funktion des Subjekts, Objekts
oder Attributs erfüllen ( ein armer Teufel – ein Bettler, ein armseliger Mensch; Haus und
Hof – jmds. gesamter Besitz; die Schwarze Kunst – die Magie, manchmal auch das
Buchdruckerwesen). In diesem Fall heißen sie nominale Phraseologismen.
        Erfüllen sie die Satzgliedfunktion eines Adverbiales ( auf jeden Fall, unter der
Hand – heimlich), nennen wir sie adverbiale Phraseologismen.
       Der Phraseologismus kann auch in der Rolle eines Prädikats sein ( leer ausgehen –
nichts bekommen). Alle Phraseologismen, die ein Verb enthalten, werden verbale
Phraseologismen genannt.

        3) Phraseologismen, die sogar einem Satz oder einer noch größeren Einheit
entsprechen, bezeichnet man als satzwertige oder textwertige Phraseologismen. Innerhalb
dieser Gruppe lässt sich eine Gliederung nach syntaktischen und textlinguistischen Kriterien
vornehmen.

                                            13
a) Es geht um die Phraseologismen, die zwar als abgeschlossener Satz auftreten,
aber durch ein bestimmtes Element (meistens durch ein entsprechendes Pronomen) an den
Kontext angeschlossen sind ( Da liegt der Hase im Pfeffer – hier ist die Ursache der
Schwierigkeit; Damit lockt man keinen Hund hinter dem Ofen hervor – damit kann man
niemandes Interesse erregen). Solche phraseologische Wendungen nennen wir feste
Phrasen.
           b) Anders verhalten sich Sprichwörter ( Lügen haben kurze Beine; Wer andern
eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.) und Gemeinplätze ( Was sein muss, muss sein; Man
lebt nur einmal). Sie müssen durch kein lexikalisches Element mit dem Kontext verknüpft
werden.

3.3.      Semantische Klassifikation

          „Wenn man die Phraseologie in einen engeren und einen weiteren Bereich gliedern
will, so geschieht dies in der Regel mittels des Kriteriums der semantischen Idiomatizität.
Dabei rechnet man sowohl die idiomatischen wie die teilidiomatischen Phraseologismen
zum engeren Bereich der Phraseologie, während nichtidiomatische feste Wortverbindungen
dem weiteren Bereich zugewiesen werden“ (Burger 1998, 32).
          Es lassen sich also drei hauptsächliche Typen nach dem Grad der Idiomatizität
(bzw. der Motiviertheit) unterscheiden:
          1) Idiome (bzw. vollidiomatische Phraseologismen), bei denen der Zusammenhang
zwischen der wörtlichen und phraseologischen Bedeutung sehr klein ist ( ins Fettnäpfchen
treten – jmds. Unwillen erregen, mit jmdm. ein Hühnchen zu rupfen haben – jmdn. wegen
etwas zur Rechenschaft ziehen).

       2) Teilidiome, deren Gesamtbedeutung aus der lexikalischen Bedeutung der
einzelnen Elemente teilweise erklärt werden kann ( einen Streit vom Zaun brechen – einen
Streit beginnen, provozieren; um den Schatten eines Esels streiten – sich um eine
geringfügige Angelegenheit streiten; eine Schraube ohne Ende – eine Angelegenheit, die zu
keinem Abschluss kommt).

       3) Bei den nichtidiomatischen Phraseologismen existiert eine ganze Reihe von
Termini. Fleischer (1997, 58) nennt diese Gruppe Nominationsstereotype, Burger (1998,
38, 50) schlägt vor, den Terminus Kollokation für den ganzen Bereich der nicht- bzw.

                                           14
schwachidiomatischen Phraseologismen zu verwenden. Zu den Kollokationen gehören
z. B.: ( sich die Zähne putzen, hin und her, neuer Kurs, öffentliche Meinung).
         Burger/Buhofer/Sialm (1982, 23-28) benutzen, was die semantische Klassifikation
betrifft, eher das Kriterium der Motiviertheit (siehe oben Kap. 2.3.1.), wobei bei den
motivierten Phraseologismen zwei Gruppen zu unterscheiden sind: a) direkt motivierte
Phraseologismen (z. B. Dank sagen) und b) metaphorisch motivierte Phraseologismen,
bei denen die phraseologische Bedeutung nur dann von den wörtlichen Bedeutungen ihrer
Elemente abgeleitet werden kann, wenn sie als eine summative Bedeutung im bildlichen
oder übertragenen Sinn verstanden wird (z. B. etwas auf die lange Bank schieben – etw.
Unangenehmes aufschieben, hinauszögern).

3.4.      Struktursemantische Mischklassifikation

          Für   die     Untersuchung       von   Phraseologismen    scheint     es   günstig,   eine
Mischklassifikation zu verwenden, wobei mehrere Kriterien eingesetzt werden. Man kann in
Anlehnung an Burger/Buhofer/Sialm (1982, 30-31) folgende Klassen unterscheiden:
          1) Phraseologische Ganzheiten
          2) Phraseologische Verbindungen und bevorzugte Analysen
          3) Modellbildungen
          4) Zwillingsformeln ( Paarformeln )
          5) Komparative Phraseologismen ( Phraseologische Vergleiche)
          6) Streckformen des Verbs
          7) Phraseologische Termini
          8) Feste Phrasen
          9) Sprichwörter und Gemeinplätze

3.4.1.     Phraseologische Ganzheiten

             Diese Klasse steht im Mittelpunkt des Interesses der Phraseologie. Hierunter
fallen    sowohl      unmotivierte   als    auch    metaphorisch   motivierte    Phraseologismen.
Charakteristisch für diesen Typ ist, dass „die Gesamtbedeutung dieser Wortverbindungen
nicht aus der Amalgamierung der (freien oder phraseologischen) Bedeutungen der einzelnen
Komponenten resultiert.“ (Burger/Buhofer/Sialm 1982, 31).

                                                   15
Beispiele dafür sind: unter dem Pantoffel stehen – als Ehemann von seiner Frau
beherrscht werden, jmdn. über den Löffel barbieren – jmdn. in plumper Form betrügen,
jmdn. ins Herz treffen – jmdn. mit etwas zutiefst verletzen.

3.4.2. Phraseologische Verbindungen und bevorzugte Analysen

          Unter dem Begriff „phraseologische Verbindungen“ sind solche Wendungen zu
verstehen, deren Bedeutung aus den phraseologischen bzw. wörtlichen Bedeutungen der
Komponenten „zusammengesetzt“ ist. Typische Beispiele wären: blinder Passagier oder
kalter Krieg. Die Beziehung zwischen den Komponenten lässt sich auch so beschreiben:
„Eine nach den üblichen Verwendungen nicht vorhersagbare Bedeutung eines Monems wird
durch die Verbindung mit genau einem anderen Monem selektiert, das seinerseits eine auch
sonst übliche Bedeutung aufweist.“ (Burger 1973, 14).
          Eine weitere Art der Wortverbindungen stellen die „bevorzugten Analysen“3 dar. Es
geht um Phraseologismen, „die keine Idiomatizität aufweisen und deren Stabilität weniger
(oder gar nicht) in lexikalisch-semantischen Austausch- und syntaktisch-strukturellen
Abwandlungsbeschränkungen besteht, deren Komponenten einander aber doch in höherem
Maße „determinieren“ als dies bei völlig freien Wortverbindungen der Fall ist.“(Fleischer
1997, 58).
          Ein treffendes Beispiel, das schon genannt wurde, ist „die Zähne putzen“. Obwohl
man auch andere Verben (die Zähne reinigen /waschen ...) benutzen könnte, präferiert man
genau die eine Kombination mit „putzen“.

3.4.3. Modellbildungen

          Phraseologismen dieser Klasse sind nach einem Strukturschema gebildet, dem
sowohl konstante als auch unterschiedliche semantische Interpretationen zugeordnet sein
können. Die lexikalische Besetzung der syntaktischen Positionen ist (mehr oder weniger)
frei. Beispiele für die konstante semantische Interpretation sind: Glas um Glas, Stein um
Stein. Diese Verbindungen sind nach dem Modell X um X gebildet, das wir als „ein X nach
dem anderen“ interpretieren können.
___________________
3
    Hier kann man auch den Terminus „Kollokationen“ verwenden.

                                                  16
Dann ist z. B. auch das Modell von X zu X möglich. In diesem Fall handelt es sich
um unterschiedliche semantische Interpretationen je nach lexikalischer Besetzung: von Stadt
zu Stadt – in steter Fortbewegung, von Mann zu Mann – ohne Beschönigung, offen und
ehrlich.

3.4.4. Zwillingsformeln

       Wir verwenden den Terminus „Zwillingsformel“ für das engl. „binomial“ bzw. für
verschiedene in der deutschen Sprachwissenschaft vorkommende Ausdrücke wie
„Paarformeln“, „sprichwörtliche Formeln“, „phraseologische Wortpaare“ usw.
       Es kommen zwei Typen von Zwillingsformeln in Frage:

       1) Zwei (nur selten drei)4 verschiedene Wörter der gleichen Wortart sind durch eine
Konjunktion       (meist und, auch weder...noch, oder) oder Präposition (in) verknüpft. Die
Reihenfolge dieser Wörter ist entweder völlig festgelegt oder es besteht mindestens eine
Bevorzugung einer Reihenfolge ( Handel und Wandel – Wirtschaft und Verkehr, weder
Fisch noch Fleisch – nichts Halbes und nichts Ganzes sein, frank und frei – unverblümt,
offen, heimlich, still und leise – völlig unbemerkt).

        2) In diesem Fall sind zwei gleiche Wörter durch eine Konjunktion oder Präposition
verbunden ( Kopf an Kopf – auf gleicher Höhe, Schulter an Schulter – ganz dicht stehen/
zusammen kämpfen, Hand in Hand – gemeinschaftlich).

        Die Zwillingsformeln bilden eine markante Gruppe von Phraseologismen, die sich
auch durch spezifische stilistische Merkmale auszeichnen: hauptsächlich durch den
Stabreim (klipp und klar – unmissverständlich, klar und deutlich, mit Stumpf und Stiel –
völlig, ganz und gar, in Bausch und Bogen – insgesamt, ohne das Einzelne zu
berücksichtigen) aber auch durch Binnen- oder Endreim ( mit Hangen und Bangen – mit
großer Angst, mit Rat und Tat – tatkräftig) und durch partielle Wiederholung ( auf Gnade
und Ungnade – bedingungslos, verraten und verkauft – völlig preisgegeben).

__________________
4
 Es gibt auch Vierlingsformeln, die aber im Deutschen nur in kleiner Zahl vorkommen: z. B. frisch, from,
fröhlich, frei

                                                 17
3.4.5. Komparative Phraseologismen

        „Die komparativen Phraseologismen werden zunächst durch eine besondere
semantische Beziehung konstituiert. Sie werden als Vergleich an ein freies Element des
Satzes fest angeschlossen.“ (Fleischer 1997, 103). Bei den phraseologischen Vergleichen ist
eine dreiteilige Struktur (comparandum, comparatum, tertium comparationis) zu
beobachten. Sie können nicht- , teil- oder vollidiomatisch sein, je nachdem wie
„durchsichtig“ der Vergleich ist.
        Nichtidiomatisch ist z. B. die Wendung „flink wie ein Wiesel“, schwach idiomatisch
„Geld wie Heu haben“ (sehr reich sein). Als Teilidiome sind z. B. „schimpfen wie ein
Rohrspatz“ (heftig, aufgebracht schimpfen) oder „dumm wie Bohnenstroh“ (sehr dumm
sein) zu betrachten.
        Der Phraseologismus „ sich freuen wie ein Schneekönig“ (sich sehr freuen) gilt als
vollidiomatisch. Dieser Ausdruck gehört zu phraseologischen Vergleichen, bei denen das
comparatum (hier „ein Schneekönig“) spielerisch, in manchmal bizarrer Phantastik erfunden
wird.(vgl. Burger 1973, 49). Weitere Beispiele dazu: frieren wie ein Zauberer – sehr frieren,
wie zehn nackte Neger / wie eine Tüte Mücken/Bienen / wie eine offene Brause / wie zehn
Sack Seife angeben – sehr prahlen.
        Bei diesen Wendungen besteht die Funktion des Vergleichs in einer (hyperbolischen)
Verstärkung des Verbs. Je absurder die lexikalische Besetzung ist, desto drastischer wirkt
sie als Verstärkung. In zahlreichen Beispielen verstärkt aber der Vergleich das Verb (bzw.
Adjektiv) nicht. „Komparative Phraseologismen können in der Funktion einer indirekten
Verneinung gebraucht werden: Er schwimmt wie eine bleierne Ente - schwimmt nicht; Er
versteht soviel davon, wie der Hahn vom Eierlegen - versteht nichts davon.“(Fleischer 1997,
106).
        Interessant sind die Phraseologismen dieser Gruppe auch im Zusammenhang mit
dem     unterschiedlichen    kulturgeschichtlichen     Hintergrund     ihrer   Entstehung.     In
verschiedenen Sprachen werden oft dieselben Eigenschaften den diversen Objekten
zugeschrieben, was deutlich auf die spezifische kultursprachliche Entwicklung hindeutet.
Im Deutschen ist z. B. die Stärke mit einem Tier verbunden, während im Französischen mit
einem    Volksangehörigen:     stark   wie   ein     Bär   /   fort   comme    un   Turc     (vgl.
Burger/Buhofer/Sialm 1982, 36). Im Tschechischen schreibt man die Eigenschaft der Stärke
auch einem Tier zu, allerdings einem anderen: silný jako lev. Deswegen sind die

                                             18
phraseologischen Vergleiche sehr aufschlussreich für solche Fachgebiete wie kontrastive
Linguistik oder Ethnologie.

3.4.6. Streckformen des Verbs

      Streckformen des Verbs (auch nur „Streckformen“ oder „Funktionsverbgefüge“)
stellen innerhalb der verbalen Phraseologismen eine wichtige Untergruppe dar. H. Burger
(1973, 40) spricht von „Streckformen im engeren und weiteren Sinne“. Streckformen im
engeren Sinne sind durch vier Kriterien definierbar:
      1. Die Kette hat die Struktur Verb + Nominalphrase oder Verb + Präpositionalphrase
      2. Es gibt ein einfaches Verb, das als ( ungefähres ) Synonym der Kette gelten kann
          (in aktiver oder passiver Form).
      3. Dieses Verb gehört zur gleichen Wurzel wie das Substantiv der Streckform; diese
          (etymologische) Beziehung muss synchron bewusst sein.
      4. Das Substantiv der Kette ist ein Verbal - Abstraktum, das auch in freier
          Verwendung vorkommt.

      Den oben genannten Bedingungen genügen diese Beispiele:

      Streckform                                   einfaches Verb
      einen Vorschlag machen                       vorschlagen
      zum Ausdruck kommen                          ausgedrückt werden
      zum Abschluss bringen                        schließen
      eine Anerkennung finden                      anerkannt werden

      Phraseologismen wie „zum Vorschein kommen“ oder „Gas geben“ erfüllen
hingegen diese Kriterien nicht. Man rechnet sie zu „Streckformen im weiteren Sinne“. Unter
diesem Begriff sind solche Ketten zu verstehen, deren Substantiv kein „Nomen actionis“
(Verbalsubstantiv) ist oder deren Verb merkliche Bedeutungsunterschiede gegenüber dem
konstruktionsexternen Gebrauch aufweist.(vgl. Fleischer 1997, 137).
      Viele „Streckformen im weiteren Sinne“ sind idiomatisch ( Gas geben – schneller
fahren). Die „Streckformen im engeren Sinne“ sind nur phraseologisch, weil ihre
Gesamtbedeutung kompositionell zustandekommt.

                                             19
3.4.7. Phraseologische Termini

       In dieser Klasse können wir vorwiegend nominale Phraseologismen finden. Die
Einbeziehung der phraseologischen Termini in die Phraseologie ist problematisch, sie
werden von zahlreichen Forschern aus diesem Bereich ausgeschlossen.
       „Das Besondere dieser Gruppe von Ausdrücken besteht darin, dass sie genauso
funktionieren wie jeder (Wort-) Terminus. Das heißt, sie sind in ihrer Bedeutung strikt
festgelegt („normiert“), und diese Festlegung gilt primär nur innerhalb des fachlichen
Subsystems der Sprache.“ (Burger 1998, 47).
       Phraseologische Termini bezeichnen Individuen, Institutionen, Gegenstände oder
Sachverhalte: Das Rote Kreuz, gleichschenkliges Dreieck, rechtliches Gehör.

3.4.8. Feste Phrasen

       Es handelt sich um satzwertige Phraseologismen, die sich auf die Situation oder den
vorhergehenden „Gesprächsbeitrag“ des Gesprächspartners beziehen (vgl. Kap.3.2.). Als
Beispiele könnte man anführen: Das ist das Ei des Kolumbus – eine überraschend einfache
Lösung, Da beißt die Maus keinen Faden ab – dagegen ist nichts zu machen, Das schlägt
dem Fass den Boden aus – jetzt ist es genug, das ist der Gipfel der Frechheit.

3.4.9. Sprichwörter und Gemeinplätze

       Es gibt eine ganze Reihe von Definitionen, die den Begriff „das Sprichwort“
erklären: „Die Sprichwörter sind feste Satzkonstruktionen „mit lehrhafter Tendenz“ (Seiler
1922, 2), die sich „auf das praktische Leben“ (Peukes 1977, 11) bezieht.“(Fleischer 1997,
76). „Sprichwörter sind allgemeine Aussagen oder Urteile, mit denen eine gegebene
Situation erklärt, eingeordnet, beurteilt wird. Der Sprechende beruft sich dabei auf die
„Volksweisheit“, d. h. auf die allgemeine Erfahrung, die diese Sätze geprägt hat.“(Burger
1973, 54).
          Die Erforschung des Sprichworts hat eine lange Tradition und im Zusammenhang
mit der Phraseologieforschung spielt sie eine bedeutende Rolle. Die Wissenschaft, die sich
mit Sprichwörtern befasst, heißt Parömiologie.
        Sprichwörter werden häufig als selbständige Mikrotexte aufgefasst, die eine
deutliche stilistische Wirkung haben. Meistens kennzeichnen sie sich durch poetische Mittel

                                            20
wie Rhythmus, Parallelismus, Stabreim oder Endreim – z. B. Was du heute kannst
 besorgen, das verschiebe nicht auf morgen; Aller Anfang ist schwer; Einmal ist keinmal;
 Ohne Fleiß kein Preis.

 Auch diese Phraseologismen lassen sich in Gruppen einteilen (vgl. Burger 1973, 55):
 1) Sprichwörter, deren Bedeutung sich aus den Komponenten direkt ergibt, wobei
 metaphorische Elemente enthalten sein können ( Wer wagt, gewinnt; Lügen haben kurze
 Beine).

 2) Sprichwörter, bei denen die gemeinte allgemeine Bedeutung durch ein Bild vermittelt
 wird (Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist – man darf unter günstigen
 Umständen nicht versäumen, seine Chance zu nutzen; Der Krug geht so lange zum
 Brunnen/zu Wasser, bis er bricht – fragwürdiges Tun scheitert eines Tages).

         Für den heutigen Sprichwortgebrauch ist charakteristisch, dass Sprichwörter,
 besonders in den Medien oder in der Werbung, reich variiert und modifiziert werden. Oft
 wirken sie somit scherzhaft, ironisch, schlagfertig ( Überstund hat Geld im Mund statt
 „Morgenstund hat Gold im Mund“; Wer Geld sät, soll Kapital ernten statt „Wer Wind sät,
 wird Sturm ernten“).5

         Den     Sprichwörtern     eng   verwandt   sind   die   Gemeinplätze,    die      keine
„Volksweisheiten“ , sondern Selbstverständlichkeiten formulieren. Es fehlt ihnen auch die
Poetik der Sprichwörter. Bei diesem Typ könnte man ebenfalls zwei Untergruppen definieren
(vgl. Burger/Buhofer/Sialm 1982, 40):
           1) „Quasi-Tautologien“: Was man hat, das hat man; Was zuviel ist, ist zuviel;
           2) „Truismen“, die etwas aussagen, was evident ist: Wir sind alle nur Menschen;
               Man lebt nur einmal.
         Sprichwörter und Gemeinplätze lassen sich auch als topische Formeln
 zusammenfassen.

 __________________
 5
  Näher dazu Burger (1998, 117).

                                              21
3.5.   Zwei Sonderfälle

       Nach Burger/Buhofer/Sialm (1982, 42) gibt es zwei Typen von Phraseologismen, die
nicht voll unter die Kriterien ihrer struktursemantischen Mischklassifikation fallen. Es geht
um die Klasse der „Kinegramme“ und die Klasse der „geflügelten Worte“.

3.5.1. Kinegramme

       Diese Gruppe von Phraseologismen weist besondere semantische Eigenschaften auf.
Nach Burger (1998, 44) wird mit Kinegrammen konventionalisiertes nonverbales Verhalten
sprachlich gefasst und kodiert. Er definiert diese phraseologischen Wendungen wie folgt:
„Bei diesen Ausdrücken geht es einerseits um eine Gebärde (also um „nonverbales
Verhalten“, das real ausgeführt werden kann), andererseits ihre sprachliche Kodierung. Das
heißt, man führt eine nonverbale Handlung aus und „gibt damit (gleichzeitig) etwas zu
verstehen“. Im Phraseologismus sind beide Ebenen des „Zu-verstehen-Gebens“ zugleich
kodiert.“(Burger 1998, 61).

       Es existieren zwei Gruppen von Kinegrammen:
       1) In diese Gruppe fallen „echte“ Kinegramme. Das nonverbale Verhalten, das sie
ausdrücken, kann faktisch ausgeführt werden: die Achseln zucken – mit einem Hochziehen
der Schultern zu verstehen geben, dass man etwas nicht weiß, die Stirn runzeln (über etw.) –
etw. beanstanden.
       2) Bei „Pseudo-Kinegrammen“ wird das bezeichnete nonverbale Verhalten heute
nicht mehr praktiziert oder ist nur symbolisch gemeint: die Hände über dem Kopf
zusammenschlagen – entsetzt sein, sich die Haare raufen – völlig verzweifelt sein.

3.5.2. Geflügelte Worte

        Der Terminus „Geflügelte Worte“ stammt aus der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts. Zum erstenmal wurde er im Zusammenhang mit der berühmten Sammlung
von Georg Büchmann („Geflügelte Worte. Der Citatenschatz des Deutschen Volkes“, erste
Auflage 1864) angewendet. In der 18. Auflage (1895) wird der Begriff folgendermaßen
bestimmt: „Ein landläufiges Citat, d.h. ein geflügeltes Wort, ist ein in weiteren Kreisen des
Vaterlandes dauerndangeführter Ausspruch, Ausdruck oder Name, gleichviel welcher

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Sprache, dessen historischer Urheber, oder dessen literarischer Ursprung nachweisbar ist“
(Fleischer 1997, 14).
          Früher wurde also der Bereich dieser Klasse auf „literarisch“ belegbare Ausdrücke
beschränkt, was heutzutage nicht mehr aktuell sein muss, da auch verschiedene Ausdrücke
aus Filmen oder der Werbung als Geflügelte Worte gelten können. Kennzeichnend für die
Verwendung dieser „heutigen Geflügelten Worte“ ist, dass sie nicht nur ungenau zitiert
werden, sondern häufig stark abgewandelt. Burger/Buhofer/Sialm (1982, 46-48) führen
dazu mehrere anschauliche Beispiele an: z. B. der Filmtitel Scheidung auf Italienisch und
seine Modifikationen Scheidung auf Vatikanisch, auf berlinisch, auf französisch oder
Manche mögen´s heiß und aus diesem berühmten Filmtitel gebildeter Werbeslogan Manche
mögen´s weiß (Quark-Rezepte) u. a.
        Geflügelte Worte stammen aus verschiedenen Quellen, z. B. aus der Bibel (feurige
Kohlen auf jmds. Haupt sammeln – jmdn. durch eine gute Tat beschämen, Sodom und
Gomorrha – ein Ort, ein Ereignis höchster Verderbtheit und Unmoral), aus antiken Werken
( zwischen Scylla und Charybdis nach Homer - zwischen zwei großen Gefahren; auf des
Messers Schneide stehen nach Homer - in einer sehr knappen Entscheidung so oder so
ausgehen können), aus weltbekannten Dramen ( Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage
nach Shakespeare) usw.
         Aus geflügelten Worten können sich auch Sprichwörter entwickeln ( Wir leben
nicht, um zu essen; wir essen, um zu leben nach Sokrates, Das Hemd ist näher als der Rock
nach Plautus, Wer zuerst kommt, mahlt zuerst nach Eike von Repgow, Sachsenspiegel).6

4.     Varianten und Modifikationen

       Einen      sehr    interessanten      stilistischen   Aspekt   der   Phraseologie   stellen
phraseologische Variationen und Modifikationen dar. Diese Erscheinungen hängen mit der
Festigkeit (bzw. Variabilität) der phraseologischen Wendungen zusammen (vgl. Kap. 2.2.).
Da ich mich in der vorliegenden Arbeit mit der Phraseologie in der Pressesprache
beschäftige, sind für mich diese Varianten und Abwandlungen von großem Interesse.
Gerade in Massenmedien spielen nämlich vor allem die phraseologischen Modifikationen
eine wichtige Rolle.
__________________
Weitere Beispiele dazu führt Fleischer an (1997, 80).
6

                                                   23
4.1.   Zur phraseologischen Variation

       Unter diesem Begriff versteht man usuelle, lexikographisch allerdings nicht immer
konsequent kodifizierte Varianten von Phraseologismen (vgl. Fleischer 1997, 263). In
Anlehnung an Fleischer (1997, 206-207) sind die Variationen in dreierlei Hinsicht möglich:

       1) Die erste Möglichkeit stellen phraseologische (Struktur-) Variante dar. Die
          Variationen dieser Art bestehen in der morphologischen und teilweise auch
          syntaktischen Veränderung einzelner Komponenten. Sie verändern weder die
          Bedeutung noch die stilistische Markiertheit der Konstruktion. Diese
          Veränderungen beziehen sich z. B. auf:
              •   den Numerus (sein Herz in die Hand / in beide Hände nehmen; jmdn.,
                  etw. aus dem Auge / aus den Augen verlieren)
              •   die Rektion (mit den Achseln / die Achseln zucken)
              •   den Gebrauch von Artikeln u. ä. determinierenden Elementen (das / sein
                  Herz auf der Zunge tragen)
              •   das Diminutivum (jmdm. kein Haar / Härchen krümmen)
              •   die Art der Negation (jmdm. keinen / nicht den Bissen Brot gönnen)
              •   die Lautstruktur (etw. ist gehupft / gehüpft wie gesprungen)
              •   den fakultativen Charakter gewisser, zum Komponentenbestand des
                  Phraseologismus gehörender Elemente (sich etw. an den [fünf] Fingern
                  abzählen können)

       2) Die zweite Möglichkeit beruht auf einem Austausch einzelner lexikalischer
          Komponenten des Phraseologismus. So entstehen in der Regel entweder
          phraseologische Synonyme (in der Klemme / Patsche / Tinte sitzen – in
          Schwierigkeiten sein; jmdn. auf den Arm / die Schippe nehmen – über jmdn., etw.
          spotten; böhmische / arabische / spanische Dörfer – unverständliche Dinge) oder
          phraseologische Antonyme (mit dem / gegen den Strom schwimmen – die
          Meinung der Mehrheit (nicht) vertreten; der Himmel / die Hölle auf Erden; das
          Heft in die Hand nehmen / das Heft aus der Hand geben – die Leitung von etw.
          übernehmen (abgeben). In diesen Fällen handelt es sich also auch um
          Differenzierungen in der Bedeutung, der Konnotation, bzw. in anderer Hinsicht.

                                            24
3) Die dritte Möglichkeit liegt nach Fleischer (1997, 207) in der Erweiterung oder
          Reduktion des Komponentenbestandes eines Phraseologismus. Hier muss man
          jedoch darauf hinweisen, dass Fleischer nicht streng die Kategorien „Variante“
          und „Modifikation“ unterscheidet, bzw. nicht den Terminus „Modifikation“ für
          okkasionelle Abwandlungen der Phraseologismen verwendet. Die meisten von
          ihm angeführten Beispiele wären in Anlehnung an Burger/Buhofer/Sialm (1982,
          68-90) als phraseologische Modifikationen anzusehen.

4.2.   Zur phraseologischen Modifikation

       „Den vermutlich interessantesten Verwendungsaspekt der Phraseologie in heutigen
Texten stellen die Modifikationen dar.“ (Burger 1998, 150). Im Unterschied zu
phraseologischen Variationen, bei denen es sich um mehr oder weniger übliche Varianten
von Phraseologismen handelt, werden Modifikationen „ad hoc“gebildet. Dieses Phänomen
lässt sich in hohem Maße in der Pressesprache finden. Nach Černyševa (Feste
Wortkomplexe des Deutschen in Sprache und Rede. 1980, 101) treten in publizistischen
Texten des Deutschen bis zu 30% aller verwendeten Phraseologismen als okkasionelle
Modifikationen auf. (vgl. Wotjak 1992, 133).
       Wotjak spricht in diesem Zusammenhang über eine steigende Tendenz (35%) mit
Unterschieden entsprechend dem Charakter der jeweiligen Quelle, z. B. in manchen
satirischen Zeitschriften liegt die Zahl über 50%. Die Häufigkeit der Modifikationen hängt
naturgemäß auch von der Textsorte ab. (vgl. Wotjak 1992, 133-134).
       Burger (1998, 154) löst die Frage der Grenzen der Modifikation. Einerseits geht es
darum, ob Modifizierbarkeit eine Eigenschaft aller oder nur eines Teils der Phraseologismen
ist. Nach Burger gibt es nur eine kleine Menge von Phraseologismen, die schwerlich
modifiziert werden könnten. Dies betreffe Phraseologismen mit vorwiegend strukturellen
Funktionen (vgl. Kap. 3.1.), also präpositionale und konjunktionale Phraseologismen wie
auf Grund von, wenn auch u. ä. Nicht einmal diese Gruppe sei aber von der Modifikation
grundsätzlich ausgeschlossen.
       Andererseits muss man abwägen, was für eine Veränderung des Phraseologismus
noch sinnvoll wäre. Grundvoraussetzung jeder Modifikation ist es, dass der Leser oder
Hörer den Phraseologismus immer noch als solchen erkennt. Dabei ist zu beachten, dass die
Erkennbarkeit einer phraseologischen Wendung vom Textproduzenten anders eingeschätzt
wird als vom Rezipienten. Diese Tatsache zeigte sich deutlich in der Werbung, wo

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Phraseologismen oft stark modifiziert werden. Es wurden empirische Studien durchgeführt,
die untersuchen sollten, inwieweit Versuchspersonen imstande sind, verschiedene
Phraseologismen als solche und insbesondere ihre Modifikationen zu erkennen. Aus dieser
Untersuchung ging hervor (leider für Werbetexter), dass Modifikationen, die „durch
Verweise im Kontext oder durch ihre verfremdete Form einen Überraschungseffekt
verursachen und damit die Aufmerksamkeit der Leserschaft erringen sollen“, erreichen ihre
Adressaten zum größten Teil nicht. (vgl. Burger 1998, 154).
      Die phraseologischen Modifikationen können wieder vielfältig realisiert werden.
Burger (1998, 150) unterscheidet grob zwei Gruppen von Modifikationen:
      1) Die erste Gruppe stellen solche Modifikationen dar, die die äußere Form des
          Phraseologismus,     d.   h.    seine    lexikalische   Besetzung   und    seine
          morphosyntaktische Struktur, verändern. Die formale Veränderung kann
          semantische Folgen haben.
      2) In die zweite Gruppe fallen diejenigen, die nur auf die Bedeutung des
          Phraseologismus abzielen. Die äußere Form wird nicht sichtbar verändert.

      Aus dieser Einteilung ergeben sich mehrere Kombinationsmöglichkeiten, und zwar
formale Modifikation ohne semantische Modifikation, formale Modifikation mit
semantischer Modifikation und semantische Modifikation ohne formale Modifikation.

Burger/Buhofer/Sialm (1982, 70-90) beschreiben ausführlich diese Arten der Modifikation:
          •   Lexikalische Substitution
          •   Hinzufügung eines Adjektivs
          •   Determinativkomposition
          •   Hinzufügung eines Genitivattributs
          •   Abtrennung
          •   Verkürzungen
          •   Koordinierung
          •   Wechsel Affirmation ↔ Negation
          •   Verweise im Kontext
          •   Verletzung der semantischen Selektionsbedingungen
          •   Häufung, Kontamination, Katachrese
          •   Metasprachliche Kommentierung

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4.2.1.   Lexikalische Substitution

         Dieser Typ der Modifikation entsteht, wenn eine Komponente eines Phraseologismus
  durch ein anderes Element ersetzt wird. Dabei ist die semantische Beziehung zwischen
  Ausgangswort und Ersatzwort wichtig. So eine Substitution, bei der neues und altes
  Element im gleichen semantischen Bereich liegen und als kontextuelle Synonyme fungieren
  können, hat kaum einen semantischen Effekt. Als Beispiel dieser „schwachen“ Modifikation
  kann nach Burger/Buhofer/Sialm (1982, 70) folgender Ausschnitt dienen: „Sie sprachen
  geläufig      und   mit   erkünstelter   Selbstverständlichkeit   von   musikalischen   Linien,
  Farbenakkorden und ähnlichem und waren überall auf der Lauer nach der ‚persönlichen
  Note’...(Hesse, Camenzind, S. 66) (nach: auf der Lauer liegen – in Erwartung von etw.
  bestimmte Vorgänge aufmerksam beobachten). In diesem Fall handelt es sich um einen
  Austausch des üblichen liegen gegen das semantisch leere sein, bzw. waren. Diese
  Veränderung kann jedoch als eine Variante dieses Phraseologismus betrachtet werden, weil
  die Verbindung auf der Lauer sein im Wörterbuch (obwohl mit der Angabe ‚selten’) zu
  finden ist.
         Anders sieht es in diesem Beispiel aus: Ente gut, alles gut (aus der Fernsehwerbung
  für den WC-Reiniger, dessen Verpackung die Form einer Ente hat) (nach: Ende gut, alles
  gut). Hier können wir sowohl die formale als auch die semantische Modifikation sehen und
  durch diese Verbindung wurde ein wirksamer Überraschungseffekt erzielt. (vgl. Burger
  1998, 152).

  4.2.2. Hinzufügung eines Adjektivs

         Dieser Typ ist reich in literarischen, aber vor allem in journalistischen Texten
  vertreten. Das Adjektiv bezieht sich gewöhnlich auf die phraseologische Bedeutungsebene
  des Phraseolexems, „wobei die PL-Aussage (PL = Phraseolexem) intensiviert oder
  textbildend weiter ausgebaut wird“ (Wotjak 1992, 142). Als treffende Beispiele könnte man
  folgende Modifikationen nennen: „… sollte der Film gewiss auch dem Sozialismus keine
  nostalgischen Tränen nachweinen.“ (FAZ 3.2.93, 30, zit. nach: Fleischer 1997, 208) (nach:
  jmdm. / einer Sache keine Träne nachweinen – nicht nachtrauern); „…wie jeder weiß, der
  das eigene Leben und mithin das von anderen unter die mehr oder minder kritische Lupe
  nahm.“ (P. Edel, Wenn es ans Leben geht, Berlin 1979, 63, zit. nach: Fleischer 1997, 208)
  (nach: etw. unter die Lupe nehmen – genau prüfen).

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4.2.3. Determinativkomposition

      Bei    diesem     Verfahren     wird        einem   wendungsinternen   Nomen     ein
Kompositionselement hinzugefügt. Ähnlich wie im vorhergehenden Fall hängt es von der
Semantik des modifizierenden Elementes (Substantiv, das ein Substantiv des Phraseolexems
determiniert) ab, ob die Bedeutung der Wortverbindung ambiguiert wird oder nicht. (vgl.
Burger/Buhofer/Sialm 1982, 75-76). Unter dem Begriff Ambiguierung versteht man solchen
semantischen Effekt, bei dem neben der phraseologischen Bedeutung auch die wörtliche
Bedeutung des Phraseologismus aktiviert wird. Dies ist nicht nur durch eine formale
Veränderung möglich, sondern vor allem durch den Kontext, der die ambivalente
Interpretation des Ausdrucks steuert. (vgl. Burger 1998, 152)
      Die Ambiguierung liegt nach Burger/Buhofer/Sialm (1982, 76) in diesem Beispiel
vor: „Erstaunlich war, dass der Igel während dieser Szene, die doch einige Zielsicherheit
verlangte, seine Frau, die sich erhoben hatte und in der Nähe des Fensters einen Faden ins
Nadelöhr einzufädeln versuchte, im Brillenauge behielt. (G. Grass, Die Blechtrommel,
S.596) (nach: jmdn., etw. im Auge behalten – jmdn. beobachten, etw. verfolgen).
      Weitere Beispiele, wo aber nur phraseologische Bedeutung der Wendung realisiert
wird, wären: „Aus Dresdens Baumschule geplaudert“ (ND, 1.11.1988, zit. nach: Wotjak
1992, 145) (nach: Aus der Schule plaudern – interne Angelegenheiten Außenstehenden
mitteilen; „die Pistole auf die Wohlstandsbrust setzen“(Burger/Buhofer/Sialm 1982, 76)
(nach: jmdm. die Pistole auf die Brust setzen – jmdn. ultimativ zu einer Entscheidung
zwingen).

4.2.4. Hinzufügung eines Genitivattributs

      Diese Art der phraseologischen Modifikation kommt seltener vor als die
vorhergehenden. Als Belege für diesen Modifikationstyp sind folgende Sätze anzuführen:
„Arbeiter gehen in Massen auf die Straßen, weil ihren Familien gnadenlos das Messer der
Existenzvernichtung an die Kehle gesetzt wird.“ (LVZ 24.2.1988, zit. nach: Wotjak 1992,
144) (nach: jmdm. das Messer an die Kehle setzen – durch Drohungen unter Druck setzen);
Öl ins Feuer der Raubgold-Debatte gießen (Burger 1998, 151) (nach: Öl ins Feuer gießen –
einen Streit noch verschärfen); „muss den christlichen Brotverteuerern…die Maske der
Volks- und Arbeiterfreundlichkeit vom Gesicht gerissen werden.“ (A. Bebel, in: Der

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Parteitag in München, Neue Zeit 20, 1902, 2, 710, zit. nach: Fleischer 1997, 208) (nach:
jmdm. die Maske vom Gesicht reißen – jmdn. entlarven).

4.2.5. Abtrennung

      Zu „Abtrennung“ kommt es, wenn ein Nominalteil einer Verbalphrase durch eine
Relativsatzkonstruktion abgetrennt wird: „Das bißchen Kopf, das sie noch haben,
zerbrechen sie sich mit solchem Zeuge…“ (G. C. Lichtenberg, Tag und Dämmerung,
Leipzig 1941, 329, zit. nach: Fleischer 1997, 209) (nach: sich den Kopf zerbrechen –
angestrengt nachdenken).
      Nach Burger (1973, 84) komme die Abtrennung nur in stilistisch markierten
Kontexten vor. Dazu muss man bemerken, dass die Elemente des Phraseologismus keinerlei
Eigenbedeutung haben dürfen. Sonst wird nämlich die phraseologische Bedeutung zerstört
(vgl. Burger/Buhofer/Sialm 1982, 76): * das Ohr, über das er mich gehauen hat (nach:
jmdn. übers Ohr hauen – jmdn. betrügen).

4.2.6. Verkürzungen

      Verkürzungen treten besonders in Textüberschriften und Schlagzeilen als Mittel der
Modifikation auf. Die Reduktion „befällt“ meistens die Verben der phraseologischen
Wendungen, besonders wenn sie semantisch leer sind: „Wasser auf die Mühlen der IRA“
(nach: Wasser auf jmds. Mühle sein – jmdn. unterstützen, beflügeln); „Brett vorm Kopf“
(nach: ein Brett vor dem Kopf haben – begriffsstutzig sein); „Währungsreform auf der
langen Bank“ (nach: etw. auf die lange Bank schieben – etw. nicht gleich erledigen). (vgl.
Burger/Buhofer/Sialm 1982, 77).
      „Der Leser wird durch die Ellipse in der Schlagzeile in zweifacher Weise zur Lektüre
des Textes animiert: Erstens soll er das „Rätsel“ lösen, wie der offensichtlich
unvollständige Ausdruck zu vervollständigen ist – die Auflösung findet sich in der Regel im
Text - , und zweitens soll er im Text herausfinden, auf welchen konkreten Sachverhalt sich
die phraseologische Formulierung bezieht.“ (Burger 1998, 152).
      Wir können auch auf die Kombination von Ellipse und Substitution treffen, wie
Burger/Buhofer/Sialm (1982, 78) belegen: „Vom Öl in die Traufe?“ (statt: vom Regen in
die Traufe kommen – aus einer unangenehmen Lage in eine andere geraten).

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4.2.7. Koordinierung

      Bei diesem Typ handelt es sich um die Koordinierung partiell identischer
Phraseologismen mit Tilgung (d.h. mit einmaliger Nennung) der identischen Elemente.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Phraseologismen werden ausgenutzt, um
humoristische und ironische Wirkungen zu erzielen (vgl. Wotjak 1992, 154). Der
beabsichtigte Effekt ist am ehesten komisch, wenn die formal identischen Elemente in ihren
jeweiligen Verbindungen eine deutliche semantische Autonomie besitzen und eine jeweils
abweichende Bedeutung haben.(vgl. Burger/Buhofer/Sialm 1982, 78). Folgende Beispiele
demonstrieren diese Erscheinung sehr anschaulich:
Er hat ein Auge auf Emma und die Flinte ins Korn geworfen (Burger 1973, 90) (nach: ein
Auge auf jmdn., auf etw. werfen – Gefallen an jmdm., an etw. finden + die Flinte ins Korn
werfen – eine Sache aufgeben).
Die schwerste Kunst von allen: Dem Mann in die Arme fallen, und doch am Ende nicht in
die Hände (Magazin 8/88, zit. nach: Wotjak 1992, 155) (nach: jmdm. in die Arme fallen –
jmdn. umarmen + jmdm. in die Hände fallen – in jmds. Gewalt, Besitz geraten).

4.2.8. Wechsel Affirmation ↔ Negation

       Zu den okkasionellen Abwandlungen von Phraseologismen zählt auch der Typ, bei
dem es zu einem Wechsel von Affirmation (d.h. von der positiven Aussageweise) zu
Negation (zur negativen Aussageweise) und umgekehrt kommt. Dieser Wechsel bewirkt
eine Art „Widerlegung“ oder „Entkräftung“ des Inhalts der phraseologischen Wendung
(vgl. Burger/Buhofer/Sialm 1982, 79). Der Effekt dieses Verfahrens besteht primär in einem
„Widerruf“ der Bedeutung der Ausgangsverbindung. Dazu kann anschließend auch die
Ambiguierung hinzukommen.
      Ebenfalls für diesen Modifikationstyp gibt es viele Belege: „Die rund hundert
Arbeiter, die von dieser scheinbaren Großzügigkeit überfallen werden, tun jedenfalls gut
daran, diesem geschenkten Gaul sehr genau ins Maul zu schauen.“ (Abendschau des SWF
vom 14.5.79, zit. nach: Burger/Buhofer/Sialm 1982, 79) (nach: einem geschenkten Gaul
sieht/schaut/guckt man nicht ins Maul - an einem Geschenk soll man nicht herummäkeln);
„Übrigens werden wir mitunter auch vor unvollendete Tatsachen gestellt“ (Eule 38/88, zit.
nach: Wotjak 1992, 152) (nach: jmdn. vor die vollendete Tatsache stellen – jmdn. mit einem
eigenmächtig geschaffenen Sachverhalt konfrontieren).

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