Poetische Wanderungen in und um Zürich - Ursula Kohler (Hrsg.), Katinka Ruffieux, Christian Baertschi - Vertrieb für ZWEI

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Poetische Wanderungen in und um Zürich - Ursula Kohler (Hrsg.), Katinka Ruffieux, Christian Baertschi - Vertrieb für ZWEI
Ursula Kohler (Hrsg.),
            Katinka Ruffieux, Christian Baertschi

er sind m

Poetische Wanderungen
      in und um Zürich
Poetische Wanderungen in und um Zürich - Ursula Kohler (Hrsg.), Katinka Ruffieux, Christian Baertschi - Vertrieb für ZWEI
Einleitung
                                                                                          Zürich und seine Landschaften regen Schriftstellerinnen und Schrift­
                                                                                          steller seit Jahrhunderten zum Schreiben an. Für die einen wurde der Zü­
                                                                                          richsee zur Heimat, andere entdeckten die nahen Berge im Zürcher Ober­
                                                                                          land. Wieder andere lebten oder arbeiteten im weniger bekannten
                                                                                          Unterland. Die Stadt selbst war und ist Anziehungspunkt für viele Litera­
                                                                                          tinnen und Literaten.
                                                                                             Wenn wir den Spuren der schreibenden Frauen und Männer folgen, ler­
Impressum
                                                                                          nen wir Stadt und Kanton Zürich aus einem neuen Blickwinkel kennen.
Alle Angaben in diesem Buch wurden von den Autoren                                        Mit Gottfried Kellers «grünem Heinrich» im Gepäck wandern wir etwa
nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und von                                          übers Land nach Glattfelden. James Joyce wiederum zeigt uns die Stadt
­i hnen und dem Verlag mit Sorgfalt geprüft. Inhaltliche                                  Zürich über die Sprach- und Kulturgrenze hinaus. Else Lasker-Schüler
 Fehler sind dennoch nicht auszuschliessen. Daher
                                                                                          weist uns den Weg nach Kilchberg, wo ihr Sohn einst Hilfe im Sanatori­
 ­erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autoren
  noch Verlag übernehmen Verantwortung für etwaige                                        um fand. Am oberen Zürichsee geniessen wir wie schon Robert Walser
  Unstimmigkeiten.                                                                        die Ruhe und Schönheit der Natur. Mascha Kaléko bringt uns ins städti­
                                                                                          sche Zürich zurück, wo sie am Friesenberg ihre letzte Ruhestätte fand.
Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen
des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen
Wiedergabe.                                                                               Literarische Gegenwart
                                                                                          Es freut uns ausserordentlich, dass wir mit modernen Schriftstellerinnen
© 2021 Werd & Weber Verlag AG                                                             und Schriftstellern in unserem Reiseführer auch in der literarischen Ge­
Gwattstrasse 144, 3645 Thun / Gwatt
                                                                                          genwart angekommen sind. Charles Lewinsky, Ruth Schweikert, Bern­
Texte und Fotos                                                                           hard Schlink, Melinda Nadj Abonji, Peter Stamm, Isolde Schaad, Petra
Ursula Kohler, Katinka Ruffieux Szöke, Christian                                          Ivanov und Viola Rohner – wir haben Handlungsorte aus ihrem Werk auf­
­Baertschi, Chiara Kohler und Jonas Güntensperger                                         genommen, sind einer biografischen Spur gefolgt oder an einen Lieblings­
                                                                                          ort gereist, den sie uns verraten haben. Die Vertiefung in ihr Werk war
Werd & Weber Verlag AG
Covergestaltung: Sonja Berger                                                             eine Bereicherung, für die wir dankbar sind.
Gestaltung und Satz: Sonja Berger, Milena Portenier                                         20 Persönlichkeiten mit einem Bezug zu Zürich und seiner Landschaft
Bildbearbeitung: Adrian Aellig                                                            haben wir ausgewählt. Es war uns wichtig, verschiedene Zeitepochen ab­
Lektorat: Madeleine Hadorn                                                                zudecken und eine Ausgewogenheit zwischen den Geschlechtern zu er­
Korrektorat: Heinz Zürcher
                                                                                          reichen. Es bleibt eine persönliche Auswahl, die das Interesse und den
ISBN 978-3-03922-102-8                                                                    Hintergrund des Autorenteams abbildet. Ein Leichtes wäre es, 20 weitere
                                                                                          empfehlenswerte Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu porträtieren.
Der Verlag Werd & Weber wird vom Bundes­a mt
für ­Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre
2021 – 2024 unterstützt.

                                                                       neutral
www.werdverlag.ch                                                   Drucksache
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Poetische Wanderungen in und um Zürich - Ursula Kohler (Hrsg.), Katinka Ruffieux, Christian Baertschi - Vertrieb für ZWEI
Unterwegssein                                                                Sie können dieses Buch an einer beliebigen Stelle aufschlagen und zu
Der Besuch von Schauplätzen wird mit einer attraktiven Wandertour ver­       ­lesen beginnen. Jedes Kapitel steht für sich allein. Ein ganzes Team hat
knüpft. Ob Spaziergang, sportliche Tour oder gar mit dem Velo – jeder Le­     für Sie recherchiert. Katinka Ruffieux, Autorin, und Christian Baertschi,
ser, jede Leserin findet unter den verschiedenen Varianten den passenden      Historiker, bilden mit der Herausgeberin ein Team, das den Hauptteil des
Ausflug. Mit dem Wandern allein ist es noch nicht getan. Wir stellen Ih­      Werkes verfasst hat. Chiara Kohler, Bachelor Germanistik/Anglistik, und
nen jede Persönlichkeit vor und haben ein Buch aus ihrem Gesamtwerk           Jonas Güntensperger, Bachelor Germanistik, haben das Werk mit zwei be­
ausgewählt, das wir in den Mittelpunkt rücken. Im Aufbau folgt der vor­       ziehungsweise einem Kapitel ergänzt. Ihnen allen möchte ich von Herzen
liegende Reiseführer dem «Literarischen Reisefieber», das literarische        für die ausgezeichnete Zusammen- und Mitarbeit danken. Das Buch wäre
Touren in der Schweiz vorstellt. Ein grosses Anliegen bleibt es, sich ver­    ohne ihren grossen Einsatz nicht entstanden. Ich bin überzeugt, dass das
tieft mit dem Werk der Schreibenden auseinanderzusetzen. Und vielleicht       Engagement und die Freude des Autorenteams auf den folgenden Seiten
geht es Ihnen wie uns, liebe Leserin, lieber Leser: Sie beginnen ein Buch     spür- und sichtbar ist.
zu lesen, ein nächstes ... entdecken einen weiteren Schriftsteller, hören
vom neuen Werk einer Schriftstellerin usw. Genauso ist es mit dem Un­        Wir waren für Sie im Kanton Zürich unterwegs, haben Interessantes er­
terwegssein in der Landschaft. Wir starten an einem Punkt, machen hier       lebt, Neues entdeckt, Fotos gemacht, unzählige Bücher von und über
oder dort einen Abstecher, gelangen ans vorgesehene Ziel oder auch           Schriftstellerinnen und Schriftsteller gelesen. Die Verbindung von Litera­
nicht – und kehren mit einer Vielzahl an neuen Ideen nach Hause zurück.      tur, Natur und Erlebnis hat sich in unsere Schritte eingegraben. Es ist eine
Was gibt es Inspirierenderes?                                                Reise, die nie endet. Und doch machen wir hier eine Rast und übergeben
   Die Kombination von Wandern und Lesen steht im Zentrum dieses Bu­         Ihnen den Wanderstab, liebe Leserinnen und Leser. Sie können damit in
ches. Es ist eine Freizeitgestaltung, die ebenso einfach wie anregend ist.   der Nähe unterwegs sein und gleichzeitig weit reisen.
Sie bietet viel und kostet doch so wenig.

Stadt und Land                                                                                                                    Für das Autorenteam
Es passt zu unserer Zeit, dass wir entdecken, wie viel wir in der Nähe er­
leben können. Ein, zwei Stunden reichen für einen Szenenwechsel aus.
Schnell lassen wir einen belebten Ort hinter uns, um in der Stille der Na­
tur anzukommen. Die Landschaft rund um Zürich zeichnet sich durch
Wiesen, Hügel, Seen und Wälder aus. Reizvoll ist das Wechselspiel zwi­                                                                   Ursula Kohler
schen Natur und Besiedelung, was aber auch bedeutet, dass Wanderwege                                                                     Herausgeberin
streckenweise über Asphalt führen. Die Zürcher Wanderwege unterhal­
ten jedoch ein vorbildliches Wegnetz, das uns erlaubt, in der Nähe zu wan­
dern.
   Im Laufe der Vorbereitungen zu dieser Publikation haben wir – wie
alle – die Erfahrung gemacht, unter Umständen vor geschlossenen Türen
zu stehen. Alle vorgeschlagenen Touren finden draussen statt und sind
in der Regel in einem Halbtag machbar. Mit dem Proviant im Rucksack
steht den Wanderungen nichts im Wege, auch wenn wir uns freuen, auf
(wieder-)geöffnete Türen zu stossen.

4                                                                                                                                                      5
Poetische Wanderungen in und um Zürich - Ursula Kohler (Hrsg.), Katinka Ruffieux, Christian Baertschi - Vertrieb für ZWEI
Inhaltsverzeichnis

10 Arthur Honegger        Ursula Kohler                           94 Johann Wolfgang von Goethe           Christian Baertschi
Die Fertigmacher                                            14   Die Leiden des jungen Werther                                   98
Auf der Suche nach Heimat                                   17   Besuch beim «philosophischen Bauern» in Katzenrüti              101
Von Rüti über Bubikon und Grüningen nach Gossau             17   Vom Bucheggplatz über Höngg und Affoltern nach Katzenrüti
Arthur Honegger – der Vater                                 26   und um den Katzensee                                            101

28 Ruth Schweikert       Ursula Kohler                            110 Mascha Kaléko          Katinka Ruffieux
Ohio32                                                           In meinen Träumen läutet es Sturm                               114
Eine Annäherung an den Rhein                                35   Ein Evergreen im Winterkleid                                    117
Zu Fuss von Eglisau nach Flaach                             35   Eine Winterwanderung zu Mascha Kalékos Grab                     117

44 Kurt Guggenheim         Katinka Ruffieux                       126 Charles Lewinsky         Christian Baertschi
Riedland48                                                       Melnitz130
Ölrausch in der Linthebene                                  51   Auf Melnitz‘ Spuren im Studenland                               133
Von Schmerikon über die Aabachbrücke ins Naturschutzgebiet        Von Niederweningen (ZH) nach Endingen (AG)                      133
­Kaltbrunner Riet                                           51   Juden auf dem Gebiet der heutigen Schweiz                       142

60 Melinda Nadj Abonji        Katinka Ruffieux                    144 Robert Walser          Jonas Güntensperger
Tauben fliegen auf                                          64   Der Gehülfe                                                     148
In Melinda Nadj Abonjis «West-Hemisphäre»                   67   Ein Spaziergang für Robert Walser                               151
Vom Idaplatz sihlaufwärts aus der Stadt und wieder zurück   67   Vom Wädenswiler Stadtkern über Wald und Wiesen nach Horgen      151
                                                                  «Wie liebe ich dieses Haus!»                                    160

78 Peter Stamm
                                                                  162 Else Lasker-Schüler
                      Ursula Kohler
Weit über das Land                                          82                                   Ursula Kohler
Stadt oder Land?                                            85   Gedichtbuch für Hugo May                                        166
Von Winterthur Zentrum über den Brühlberg nach Wülflingen         Highlights am Zürichsee                                         169
und via Totentäli nach Töss                                 85   Von Wollishofen bis Horgen durch die Gemeinden des Zürichsees   169
                                                                  Sanatorium Kilchberg – der Zauberberg am Zürichsee              178

6                                                                                                                                    7
180 Thomas Mann          Ursula Kohler                         262 Gottfried Keller         Christian Baertschi
Lotte in Weimar                                         184   Der grüne Heinrich                                         266
Weltliteratur am Zürichsee                              187   Auf Gottfried Kellers Spuren                               269
Auf den Spuren von Thomas Manns Lebensstationen         187   Flusswanderung von Niederglatt nach Glattfelden            269

196 Isolde Schaad        Chiara Kohler                         280 Viola Rohner           Katinka Ruffieux
Giacometti hinkt                                        200   42 Grad: Erzählungen                                       284
Künstlerisch der Limmat entlang spazieren               203   Auf der «Goldseite»                                        287
Vom Kunsthaus Zürich bis zur Werdinsel                  203   Von Erlenbach über die Blüemlisalp auf die Hochwacht und
                                                               ­w ieder ­zurück an den See                                287

212 Bernhard Schlink
                                                               296 Jakob Bosshart
                              Ursula Kohler
Die Heimkehr                                            216                                Christian Baertschi
Glücksmomente auf der Insel Ufenau                      219   Ein Rufer in der Wüste                                     300
Von Altendorf über den Seedamm nach Rapperswil und auf         Im Reich der Gegensätze                                    303
die Ufenau                                              219   Vom Grand Hotel Dolder in Zürich nach Stürzikon            303

228 Doris Morf        Christian Baertschi                      312 Petra Ivanov          Katinka Ruffieux
Die Entgolder                                           232   Entführung316
Gen Westen                                              235   Auf mörderischen Wegen                                     319
Vom Hauptbahnhof bis zum Kloster Fahr                   235   Vom Bahnhof Stettbach über den Zoo auf den Loorenkopf und
Der Kinderwagen von Doris Morf                          245   ­w ieder ­zurück                                           319
                                                                Hans Waldmann – Feldherr und Staatsmann                   329

246 Ida Bindschedler
                                                               332 James Joyce
                              Katinka Ruffieux
Die Turnachkinder im Sommer                             250                             Chiara Kohler
Im grünen Kreis 8 und noch weiter                       253   Dubliner336
Mit dem Limmatboot zum Zürichhorn und durch das                Die Stadt Zürich mit den Augen von James Joyce sehen       339
­Wehrenbachtobel bis zur Trichtenhausermühle            253   Vom Friedhof Fluntern über Umwege zum Sechseläutenplatz    339
                                                               Anspielungen auf Zürich in «Finnegans Wake»                348

8                                                                                                                            9
«Manchmal hatte ich das Gefühl,
­allein zu sein auf dieser Welt.»
Aus: «Wovon ich rede»

                       Arthur Honegger 1924–2017

10                                                  11
«Du                 WIRST VERSORGT», sagt der Vormund zum 14-­
                    jähri­gen Arthur. ­Wenige Tage später, am 5. Januar 1939,
wird der Junge ins Pestalozziheim nach Schlieren – ein Heim für schwer
                                                                                Türen öffnen sich
                                                                                1949 – zehn Jahre nach der Einweisung ins Pestalozziheim in Schlieren –
                                                                                 heiratet Arthur Honegger Heidi Vogelbach. Das junge Paar muss weitere
erzieh­bare Kinder – gebracht. Warum, weiss er nicht. Es ist ein tiefer Ein­    Hindernisse überwinden, zieht von Ort zu Ort, um sich eine Existenz auf­
schnitt in sein junges Leben – und zugleich der Eintritt in ein Schul- und       zubauen. I­ mmer wieder wird Arthur Honegger von seinen Widersachern
Erziehungssystem, das von Gewalt durchdrungen ist. Es ist aber nicht der         eingeholt. Es ist zum Verzweifeln. Drei Kinder – Heidi, Vera und Hans­
Anfang einer ungerechten Behandlung, sondern nur deren Fortsetzung.              jörg – kommen zwischen 1950 und 1958 zur Welt. Ab 1960 zeichnet sich
Schlüsselfiguren sind einer­seits ein herzloser Vormund, andererseits eine       ein neuer Weg ab. A   ­ rthur Honegger wird Sekretär der SP des Kantons
überfromme Pflegemutter, bei der der Junge ein Jahr nach s­ einer Geburt        Thurgau und Hilfsredaktor bei der Thurgauer Arbeiterzeitung. Das öffnet
vom 27. September 1924 untergebracht wird. Lange Zeit ist sich Arthur            ihm die Türen zur Schweizer Tages­zeitung Blick, bei der er ab 1962 sieben
nicht bewusst, dass er ein Pflegekind ist, dass er nicht wirklich zur Fami­     Jahre lang als Reporter arbeiten wird. In Bülach findet die Familie ein Zu­
lie gehört, ja, dass er nur wegen des Pflegegeldes an diesem Platz ist. Er       hause. 1974 erscheint das erste wegweisende Buch, «Die Fertigmacher»,
wächst in Tann auf, geht hier zur Schule, hat seine Freunde, mag seinen          beim Benziger Verlag. Zu dieser Zeit ist Arthur ­Honegger Chefredaktor beim
Pflegevater, der leider zu schwach ist, um sich für seinen Pflegesohn ein­      Diners Club Magazin. Bis ins Jahr 2012 folgen 18 Bücher. Sie erscheinen
zusetzen.                                                                        ab 1977 beim Huber Verlag Frauenfeld. Für sein umfangreiches Werk wird
                                                                                Arthur Honegger mit Preisen und Auszeichnungen geehrt, zuletzt im Jahr
Ein halbes Leben lang verfolgt                                                  2015 mit dem Anna-Göldi-Menschenrechtspreis.
Dem aufgeweckten und guten Schüler werden immer mehr Steine in den                 In den 70er-Jahren zieht Arthur Honegger mit seiner Frau ins Toggen­
Weg gelegt. Arthur Honegger wird die Kantonsschule verweigert, gar eine          burg, das ihm bis ans Lebensende zu einer späten Heimat wird. 2003 er­
Lehre als Schriftsetzer beim Tages-Anzeiger. Stattdessen wird er nach der        scheint der Dokumentarfilm «Turi – Ein Film über Arthur Honegger».
 Sekundarschule bei einem Bauern in Schlieren verdingt. Kaum Essen und          ­Recherchen der F  ­ ilmemacherin Lotty Wohlwend decken auf, dass der
wenig menschliche Interaktion – abgesehen von Schlägen – gibt es. 1941           minderjährigen Elsa H   ­ onegger ihr unehelicher Sohn nach der Geburt
wird Arthur ohne Begrün­dung in die Arbeitserziehungsanstalt Uitikon            weggenommen wurde. Seine im Jahr 2001 verstorbene Mutter konnte Ar­
 eingewiesen. Hier verbringt er harte Jahre. Als er 1944 entlassen wird,         thur Honegger nicht mehr persönlich kennenlernen.
weiss er noch nicht, dass ihm diese drei Jahre und insbesondere der An­
 staltsadjunkt Werner Fankhauser weiterhin das Leben zur Hölle machen
werden.
   Er arbeitet als Knecht, als Gelegenheitsarbeiter, als Ausläufer, als Kell­
 ner usw. Bei jeder Anstellung wiederholt sich das gleiche Spiel. Adjunkt
­Fankhauser meldet sich beim Vorgesetzten und schwärzt Arthur Honeg­
 ger als Zuchthäusler an. Die Entlassung folgt in der Regel noch am selben
Tag.

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Die Fertig­macher

                                          Bülach im Jahr 1972. Arthur H    ­ on­egger   macher» liest, dem läuft oft ein              weil der Stil erzäh­lend und nicht
                                          lebt mit seiner Familie seit Jahren in        Schauer über den Rücken. Unvorstell­             ­anklagend oder wehleidig ist, erschüt­
                                            der Zürcher Ortschaft. Er ist 48 Jahre      bar, wie K
                                                                                                 ­ inder, aus armen und be­            tert der Text die Lesenden. Die Kür­
                                            alt, hat erfolg­reiche Jahre als Redak­     nachteiligten Verhält­n issen stam­             zungen am Text sind unter anderem
                                          tor beim Blick hinter sich und ist            mend, von ­Behörde und Gesell­schaft              darum erfolgt, weil der Verleger
                                          nun Chefredaktor beim ­Diners Club            behandelt und gequält w  ­ urden.                 ­davon ausging, dass die Fülle an
                                        ­Magazin. Über 30 Jahre ist es her,                                                            Schlechtigkeiten für die Leserin­nen
                                            dass er als junger Mann in der Erzie­       Ein junges Leben                               und Leser nicht glaubwürdig seien.
                                          hungsanstalt ­Uiti­kon ad­m inistrativ        steht auf dem Spiel                            Heute, nach Bekanntmachung
                                        versorgt wurde. Eine weit zurück­               «Ich bring dir ein neues Heft, du                 der Skandale rund um die Heim-
                                          liegende Zeit – könnte man meinen.               heisst ­A rthur Honegger, nicht A­ rthur    und Verdingkinder, wissen wir es
                                          Da geschieht etwas, was die Lauf­             ­Fischer.» Diese Worte des Sekundar­           ­leider besser. ­A rthur Honegger
                                          bahn des Schriftstellers Hon­egger in            lehrers ­eröffnen dem 13-Jährigen,          hat mit ­d iesem und seinen zahlrei­
                                          Gang setzt. Adjunkt Fankhauser                   dass er ein Pflegekind ist. In seinem        chen Folgebüchern historische
Ausgewählte Werke                         aus der Uitikoner Ar­beits­erzie­hungs­­         jungen Leben musste er zwar                Aufarbeitungs­arbeit geleistet.
     1974 Die Fertigmacher                anstalt, der Arthur Honegger sein                 schon einiges hören: «Aus dir wird               «Die Fertigmacher» wird heute
     1976 Freitag oder die Angst vor
                                         ­Leben lang bei dessen ­A rbeitgebern             nichts», «du wirst noch im Zucht­           im Verlag elfundzehn herausgegeben.
          dem ­Z ahltag
     1979 Der Ehemalige                   angeschwärzt hat, versucht dies ein              haus enden», du bist ein «Kind der         Mitabgedruckt ist ein Gespräch
     1981 Alpträume                       letztes Mal beim Bülacher Gemeinde­              Sünde». Aber als Kind konnte er            von Charles Linsmayer mit Arthur
     1988 Dobermänner reizt man           präsidenten. Mit Unterstützung                   ­d iese Worte nicht einordnen. Jetzt       ­Honegger aus dem Jahr 2003. Es
          nicht                           ­seiner F­ amilie und von Freunden            verdunkeln sich die Wolken im                   ­bietet einen grossen Erkenntnis­gewinn
     1994 Armut
     1996 Bernies Welt
                                        wehrt sich Arthur Honegger, zieht                ­Leben des Knaben schnell. Wir ver­           und gibt Einblick in die Hinter­gründe
     2002 Bühler                         Polizei und Anwalt bei. Und er wehrt              folgen seinen Weg ins Pestalozziheim         zu diesem und zu zahlreichen an­
     2007 Der rote Huber                   sich mit ­einem ganzen Buch. «Ich               Schlieren (im Buch Fellenbergheim             deren Werken des Autors.
     2012 Wovon ich rede                   sah keinen anderen Weg, als alles              Oetwil genannt), sein Nicht-mehr-
                                          aufzuschreiben.» 1000 Seiten umfasst          willkom­men-Sein im Dorf Tann-Rüti
                                          das erste Manuskript, das in seiner           (im Buch Bachtann), die Jahre in
                                         Endfassung auf 224 Buchseiten                      der Erziehungsanstalt Uitikon, die Ver­
                                           schrumpft. 1974 erscheint «Die Fertig­           dingjahre bei einem Bauern. Mehr
                                          macher». Das Buch gibt nicht nur                 als einmal ist Arthur Honegger in
                                       ­A rthur Honegger eine Stimme, son­                  seinen Jugendjahren knapp dem
                                            dern – vom Autor gewollt – auch             Tode entkommen.
                                           ­a nderen diskriminierten Kindern                   Arthur Honegger erzählt seine
                                          und ­Jugendlichen. Wer «Die Fertig­             ­G eschichte in klaren Worten. Gerade

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