POLICY BRIEF Pathways to Success - Erfolgreiche Einwandererkinder und ihre Aufstiegs-karrieren im urbanen und internationalen Vergleich
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POLICY BRIEF Pathways to Success Erfolgreiche Einwandererkinder und ihre Aufstiegs- karrieren im urbanen und internationalen Vergleich Worum geht es? „ELITES – Pathways to Success“ ist ein europäisches Forschungsprojekt, das sich mit den er- folgreichen Bildungs- und Berufskarrieren von Nachkommen von Einwanderern in sechs Ländern beschäftigt. In Deutschland wurde das Projekt von der Stiftung Mercator gefördert, es analysierte die Werdegänge von über 70 Persönlichkeiten, deren Eltern aus der Türkei eingewandert sind und die in den Bereichen Jura, Wirtschaft, Verwaltung und Schule tätig sind. Die meisten von ihnen arbeiten in verantwortungsvollen und führenden Positionen. Die Interviews wurden in Berlin, in Frankfurt am Main und im Ruhrgebiet im Zeitraum 2012-14 durchgeführt. Das Projekt interessiert sich insbesondere für den Einfluss von institutionellen Faktoren und deren Zusammenspiel mit familiären Faktoren und Persönlichkeitsmerkmalen der Einzelnen. Zu den institutionellen Faktoren gehören zum Beispiel die Offenheit einer Schule für Kinder aus eingewanderten Familien oder die Rolle von Stereotypen bei der beruflichen Einstel- lungspraxis, bei den familiären Faktoren gehören etwa der Bildungsgrad und die Sprach- kenntnissen der Eltern. Als Vergleichsgruppe dienen Personen aus Familien ohne Zuwande- rungsgeschichte, die ebenfalls einen Bildungsaufstieg vollzogen haben. Mit diesem Perso- nenkreis wurden weitere 20 Interviews geführt. 1
Die wichtigsten Ergebnisse Glück hatten, auf die spezielle Förderung durch eine Schlüsselperson zählen zu kön- nen. Das waren zum Beispiel Lehrkräfte, Bildung die sich einzelner Kinder besonders ange- Die meisten der (aufgrund ihrer be- nommen haben, NachbarInnen oder die ruflichen Position ausgewählten) Befrag- Eltern von SchulfreundInnen. Die Studie ten haben das Gymnasium besucht und konnte somit erstmals zeigen, dass Schul- sind darüber zu Abitur und Hochschulab- erfolg unter sozialen AufgesteigerInnen schluss gekommen. Sie gehörten damit zu mit und ohne familiäre Zuwanderungsge- einer kleinen Minderheit: nur sehr wenige schichte häufig vom Zufall abhängig ist. Kinder aus türkeistämmigen Arbeiterfami- Eine starke Rolle haben bei der weit lien schafften es in den vergangenen Jahr- überwiegenden Zahl der Befragten die zehnten in Deutschland auf das Gymnasi- Eltern und Familien gespielt. Auch wenn um, während dies in anderen EU-Staaten die Eltern fachlich kaum helfen konnten, weit häufiger der Fall ist. Auf die Schwie- haben sie sich in der Regel bemüht, eine rigkeiten dieses Wegs weisen viele Berich- möglichst lernfördernde Umgebung zu te hin über diskriminierende Erlebnisse schaffen – sei es durch die Finanzierung und Benachteiligung aufgrund des nicht- von Nachhilfe oder die klare Priorisierung deutschen bzw. nicht-akademischen Hin- von Schule und Studium vor allem ande- tergrunds. ren. Auch unter den Geschwistern war Dank der höheren Dichte an Ge- gegenseitige Unterstützung häufig zu fin- samtschulen und Aufbaugymnasien für den, bis hin zur Beteiligung an der Finan- Schüler mit Mittlerem Schulabschluss sind zierung des Studiums durch schon berufs- im Ruhrgebiet und in Frankfurt/Main tätige Geschwister. deutlich mehr Befragte auf indirektem Weg auf die Universität oder Fachhoch- schule gelangt als in Berlin. Übergang in den Arbeitsmarkt Die im Grundsatz vorhandenen Mög- Karrieren in den Bereichen Jura und lichkeiten einer „langen Route“, bei der Schule sind nur möglich mit einem Hoch- verschiedene Qualifikationsstufen aufein- schulstudium, aber auch für Interviewte, ander folgen (z.B. Hauptschulabschluss – die als UnternehmerInnen oder Manage- Berufsfachschule – Fachoberschule – rInnen in der freien Wirtschaft tätig sind, Fachhochschule), werden kaum genutzt, war es nur in Ausnahmefällen der Weg weil der möglichst lange Verbleib im Bil- über die Berufsausbildung, der zur aktuel- dungssystem zu wenig gefördert und len Position geführt hat. Meist wurde nach stattdessen einseitig auf die berufliche der Ausbildung oder berufsbegleitend ein Ausbildung gesetzt wird. Studium angeschlossen. In keinem der drei in Deutschland Im Übergang in den Arbeitsmarkt betrachteten regionalen Schulsysteme stehen Kriterien, die sich an tatsächlicher wurden die Befragten systematisch und Leistung orientieren, Spielräumen gegen- verlässlich entsprechend ihrer Begabun- über, in denen so genannte „Gatekeeper“ gen gefördert. Sehr viele Interviewte be- auch nach nicht sachbezogenen Kriterien richteten davon, dass ihre Schulen weder den weiteren Berufsverlauf entscheidend Interesse noch Glauben an ihre Talenten beeinflussen können. Das können bei- zeigten. Sie konnten sich oft nur deshalb spielsweise Prüfende im Staatsexamen durchsetzen, weil sie entweder besonders oder bei der Lehrprobe sein oder auch begabt und willensstark waren oder das Vorgesetze bzw. Personalverantwortliche, 2
die über eine Einstellung zu entscheiden auch, dass ein vergleichbarer Erfolg für die haben. Türkeistämmige BewerberInnen zweite – und auch die dritte – Generation müssen immer wieder damit rechnen, in Deutschland bis heute keinesfalls dass ihr „ethnischer Hintergrund“ von An- selbstverständlich ist. deren in stereotypen Bildern und sach- Die Befragten stellen nicht nur hin- fremd als Entscheidungskriterium für die sichtlich ihrer Karriereverläufe Ausnahmen Vergabe von Stellen herangezogen wird. dar, sondern sie sind vielfach auch außer- Auch am Arbeitsplatz steht der gewöhnliche Persönlichkeiten, für die die „Migrationshintergrund“ immer wieder im Überwindung von immer wiederkehren- Vordergrund – obwohl praktisch alle Be- den strukturellen Hindernissen eine Her- fragten bereits in Deutschland geboren ausforderung und zusätzlicher Ansporn wurden und/oder hier aufgewachsen sind. waren. Das macht sie zu wichtigen Prota- In den meisten Fällen handelt es sich „nur“ gonistInnen eines gesellschaftlichen Wan- um ethnisierende Zuschreibungen (z.B. dels, in dem ein routinierter Umgang mit sich im Ton vergreifende scherzhaft ge- Vielfalt und eine kompetente interkultu- meinte Bemerkungen). Aber auch von relle Orientierung immer wichtiger wer- Diskriminierung und dem Gefühl der Un- den. gleichbehandlung im Zugang zu höheren Die Interviews der Studie machen in bisher Verantwortungsbereichen („gläserne De- nicht vorhandener Deutlichkeit erkennbar, cke“) wird sowohl aus der freien Wirt- dass noch immer zu wenige Institutionen schaft als auch dem Öffentlichen Dienst auf diesen gesellschaftlichen Wandel vor- berichtet. bereitet und eingestellt sind. So bleibt das Für beide Aspekte – Übergang in den besondere Potenzial, das die hoch kompe- Beruf und die Situation am Arbeitsplatz – tente zweite Generation für die aktive hat die Studie damit sehr detaillierte Da- Gestaltung der sich wandelnden Gesell- ten und Berichte über Diskriminierung und schaft beisteuern kann, noch vielfach un- Benachteiligung, aber auch Chancen und erkannt und ungenutzt. Ressourcen in der hochqualifizierten zwei- ten Generation erfasst. Zugehörigkeit und Identitäten Verschiedene Studien (TIES u.a.) haben gezeigt, dass Diskriminierungser- lebnisse zu den stärksten negativ beein- flussenden Faktoren für das Zugehörig- keitsgefühl gehören. Das Gefühl oder gar die Erkenntnis, von „der“ Mehrheitsgesell- schaft trotz allen Bemühens als nicht selbstverständlich zugehörig betrachtet zu werden, durchziehen das Interviewmate- rial. Angesichts dessen ist bemerkenswert, dass sich die meisten Interviewten prak- tisch uneingeschränkt in Deutschland und auch am Wohnort zuhause fühlen. Sie sind stolz auf den erreichten Bildungs- und be- ruflichen Erfolg, gleichzeitig sehen sie aber 3
Empfehlungen an die Politik und der Realschulabschluss als Regelab- schluss angestrebt werden. Dies wird bis- her kaum diskutiert, obwohl es ohne gro- Bildungspolitischer Bereich ßen Aufwand umgesetzt werden könnte. Aus den Erfolgsbiographien der Befragten Übergänge in die Sekundarstufe II im internationalen Vergleich und aus der und der Zugang zumindest zum Fachabitur Tatsache, dass sie in Deutschland immer sollten erleichtert und ebenfalls als „Re- noch weitgehend als Ausnahmen gesehen gelweg“ etabliert werden. In fast allen werden müssen, lassen sich Schlussfolge- Bundesländern gibt es neben dem Gymna- rungen ableiten, die zum großen Teil mit sium nur noch eine Form der Gesamtschu- den „Problemzonen“ des Bildungssystems le, auch diese sollte aber überall regelhaft zusammenhängen, die seit langem be- auch über eine Oberstufe verfügen (siehe kannt und vielfach benannt worden sind: z.B. Bremen und Hamburg). Kinder aus eingewanderten Famili- Der „Normalfall Vielfalt“ ist noch en, ebenso wie Kinder aus nicht akademi- immer institutionell kaum verankert. Das schen Familien, profitieren besonders von gilt für die Lehramtsausbildung ebenso einem möglichst frühen Eintritt in die ers- wie für die Zusammensetzung der Kolle- te Bildungsinstitution. Die Studie bestätigt gien. Hier ist ein größeres Engagement zur die Forderung nach flächendeckenden Ausbildung und Rekrutierung von Lehr- Angeboten für frühkindliche Bildung, die kräften mit Zuwanderungsgeschichte nö- aber nicht durch die Erhebung von zum tig. Gute Beispiele wie das Lehramtssti- Teil beträchtlichen Gebühren konterka- pendium „Horizonte“ oder das Projekt riert werden sollten. „Schülercampus: Mehr Migranten werden Gerade bei Kindern mit nicht- Lehrer“ sollten weitergeführt und ausge- deutscher Herkunftssprache führt die frü- baut werden. he Selektion nach nur vier bzw. sechs Jah- Das Thema Diskriminierung ist von ren Grundschule sehr häufig zu Schulemp- zentraler Bedeutung, wird aber im Bereich fehlungen, die das tatsächliche Potenzial Schule immer noch weitgehend ignoriert. und Talent der Kinder nicht abbilden. Da Hier sind Kooperationsbeziehungen mit eine Verlängerung der Grundschulzeit po- unabhängigen Beratungsstellen sowie litisch in Deutschland zur Zeit nicht durch- mehr geschultes Fachpersonal in den Auf- setzbar wäre, sollten vor allem spätere sichtsbehörden und den Schulen selbst Korrekturmöglichkeiten für Fehlentschei- nötig. Dazu gehört auch, Diskriminie- dungen und für „Spätblühende“ in Form rungserfahrungen „ansprechbar“ zu ma- einer besseren horizontalen Durchlässig- chen und den Schulen die Angst vor der keit zwischen den verschiedenen Schul- Bearbeitung und Lösung von vorgebrach- formen geschaffen werden. Diese Diskus- ten Fällen zu nehmen. sion wird bisher kaum geführt bzw. zu Auch der Hochschulbereich muss sehr auf die weitere Verbreitung von Ge- sich stärker auf die zunehmende Zahl an samtschulen reduziert. Diese sind aber nur Studierenden aus nicht-akademischen dann eine wirkliche Alternative zum Gym- Elternhäusern einstellen: Neben der flä- nasium, wenn die bisherige Dreigliedrig- chendeckenden Einführung dualer Stu- keit und die Undurchlässigkeit zwischen diengänge gehört dazu, dass auch in klas- den Zweigen nicht intern weiter gepflegt sisch universitären Studiengängen Kontak- werden. te zu potentiellen Arbeitgebern gefördert Der Hauptschulabschluss sollte an werden. Insbesondere in „traditionellen“ Regelschulen nur noch die Ausnahme sein Fächern wie Jura und Medizin sollten 4
Betreuungsformen und Orientierungsmög- Integrationspolitischer Bereich lichkeiten verbessert werden. Eine gute Selbst Kinder und Enkel von Zugewander- Möglichkeit dazu bieten Mentoring- ten wachsen in Deutschland in dem Be- Programme. wusstsein auf, nicht dazu zu gehören. Poli- tik und Medien transportieren dies ebenso wie eine Alltagssprache, die nach wie vor Arbeitsmarktpolitischer Bereich zwischen „Deutschen“ und „Migranten“ Da der politische Einfluss auf Unterneh- unterscheidet. Mit dem Begriff „Migrati- men der freien Wirtschaft im Allgemeinen onshintergrund“ droht eine Zementierung eher gering ist, sollte der Öffentliche des „Andersseins“ auch für die vierte und Dienst zum Vorreiter für die stärkere in- fünfte Generation. terkulturelle Öffnung auch der Führungs- Nötig sind die Schaffung und öffent- etagen werden. Dazu einige Ansätze: liche Förderung von Maßnahmen zur Stär- Selbstverpflichtung auf Quoten für kung der medialen, politischen und gesell- Personen mit nicht-akademischem und/ schaftlichen Akzeptanz von Vielfalt als oder Zuwanderungshintergrund in der Normalfall. Dazu könnten Schulungen für Ausbildung und bei der Vergabe von lei- Medienmachende ebenso gehören wie die tenden Stellen. Einführung von offiziellen Sprachregelun- Dazu werden auch aktive Maßnah- gen mit einem gewissen Symbolgehalt men benötigt, wie etwa eine verstärkte (z.B. Vermeidung von Begriffen wie Werbung für die Beschäftigungsmöglich- „Deutschtürken“). keiten, die gezielte Ermutigung junger Ein inkludierender Diskurs muss die Menschen verschiedenster Hintergründe, in Deutschland geborenen und aufwach- eine Laufbahn im Öffentlichen Dienst an- senden jungen Menschen adressieren, zustreben oder der Abbau struktureller aber auch in viel stärkerem Maße als bis- Barrieren im Zugang zu Stellen (z.B. An- her die Mehrheitsgesellschaft und ihre stellung von RichterInnen und Staats- Diskurskonventionen im Hinblick auf die anwältInnen nicht allein auf Grundlage der kulturelle und ethnische Vielfalt der Ge- Examensnoten). Hier gibt es bisher nur sellschaft. vereinzelte Ansätze. Auch hier können Behörden, Minis- Einführung eines verpflichtenden terien und die politische Leitungsebene Monitorings zu Antidiskriminierungsmaß- mit gutem Beispiel vorangehen. Einen be- nahmen auf allen behördlichen Ebenen in sonderen Symbolgehalt hätten dabei vor Zusammenarbeit mit den Antidiskriminie- allem die folgenden Themenbereiche: rungsstellen des Bundes und der Länder – Anerkennung der uneingeschränkten sowie mit unabhängigen Beratungsstellen. Zugehörigkeit der zweiten Generation Maßnahmen zur symbolischen Stär- – Zur Sprache bringen und Ächten von kung der innerbetrieblichen Akzeptanz Diskriminierungen struktureller und von Vielfalt als Normalfall. Dazu können verbaler Art. In vielen Ländern haben Instrumente zur Förderung der interkultu- sich Bußgeldkataloge für z.B. rassisti- rellen Öffnung der Organisationen und der sche Bemerkungen bewährt. „Verwaltungskultur“ ebenso beitragen wie – Anerkennung der Lebensleistung der die Begleitung von kleinen und mittleren Generation der so genannten „Gast- Unternehmen. Auch dazu gibt es viel ver- arbeiter“ und ihres Beitrags zum sprechende Ansätze, die aber bisher we- Wohlstand in Deutschland. der flächendeckend noch langfristig konzi- piert sind. 5
Ein Konsortium von Forschungsinstituten PROJEKTERGEBNISSE in acht europäischen Ländern hat 2012 eine Untersuchung von knapp 10.000 Be- Ausgangslage fragten vorgelegt, die TIES-Studie, die sich erstmals in Europa auf die so genannte Aus zahlreichen Studien ist bekannt, dass „zweite Generation“ konzentriert hat – Kinder aus eingewanderten Familien in also die in Europa geborenen Kinder von allen zentralen Indikatoren der strukturel- größtenteils ArbeitsmigrantInnen („Gast- len Teilhabe schlechter abschneiden als arbeitern“) aus der Türkei, aus dem ehe- der Gesamtdurchschnitt der Bevölkerung: maligen Jugoslawien und aus Marokko. Sie verfügen über niedrigere Bildungsab- Ergebnis: Insbesondere die erreichten Bil- schlüsse und schlechtere Berufsqualifika- dungsabschlüsse unterscheiden sich er- tionen, sie sind häufiger von Arbeitslosig- heblich von Land zu Land. keit betroffen und verdienen weniger Geld. Da dies nicht in gleichem Maße für Tabelle 1 zeigt dies für die Nachkommen alle Einwanderergruppen gilt, suchen Poli- von Eingewanderten aus der Türkei, deren tik, Verwaltung und Medien ebenso wie Eltern dort nur wenige Jahre zur Schule die Wissenschaft in der Regel nach Ursa- gegangen sind. Die Tabelle weist in der chen, die mit Unterschieden zwischen den mittleren Spalte diejenigen aus, die in der Einwanderergruppen zu tun haben (z.B. EU als „Early School Leavers“ gelten, weil „Bildungsorientierung“). sie das Bildungssystem maximal mit einem Abschluss verlassen haben, der für einen Länderübergreifende Vergleichsstudien qualifizierten Zugang zum Arbeitsmarkt (z.B. PISA) weisen dagegen auf, dass es nicht ausreichend ist. Die rechte Spalte auch große Unterschiede zwischen den zeigt dagegen das „Top-Segment“ derjeni- Ländern gibt, was etwa die Chancen- gen, die überdurchschnittlich gebildet sind gleichheit im Bereich Bildung angeht. Die und viel versprechende Aussichten auf gut gleichen Einwanderergruppen schneiden bezahlte Jobs haben. In beiden Spalten in den verschiedenen Ländern unter- finden wir große Unterschiede: die Nieder- schiedlich ab – damit verschiebt sich der lande weisen die stärkste Polarisierung auf Fokus der Erklärung von sozialen Un- mit vielen zu kurzen Schulkarrieren, aber gleichheiten auf die Unterschiede zwi- auch vielen Hochschulabgängern; in der schen den Ländern, z.B. in Bezug auf die Schweiz dagegen ist die Zahl der Niedrig- Chancengerechtigkeit in den jeweiligen qualifizierten vergleichsweise niedrig, aber Bildungssystemen. es finden auch nicht viele den Weg auf die Tabelle 11 max. mittlerer Schulabschluss Hochschule Österreich 32% 15% Belgien 34% 18% Frankreich 16% 36% Deutschland 33% 5% Niederlande 26% 27% Schweden 9% 29% Schweiz 13% 15% TIES 2008 6
Hochschule. Schweden weist hier beinahe Stiftung Mercator in Deutschland und der ideale Zahlenverhältnisse auf: Nirgendwo Schweiz sowie dem Europäischen For- verlassen so wenige Jugendliche aus ge- schungsrat (ERC) wurden in den Nieder- ring gebildeten Elternhäusern vorzeitig das landen, der Schweiz, Spanien, Belgien, Schulsystem, zugleich ist die Zahl der Italien und Deutschland etwa 450 Angehö- HochschulabsolventInnen sehr hoch. rige der zweiten Generation befragt, die Deutschland bildet den negativen Kon- über einen Hochschulabschluss, eine Füh- trastfall: In keinem anderen Land finden rungsposition oder ein überdurchschnitt- wir so hohe Zahlen für die „Early School lich hohes Einkommen verfügen. Leavers“ und so extrem niedrige Zahlen In Deutschland legt das an der Universität für die Hochschulzugänge bei Kindern aus Osnabrück angesiedelte Projekt „Pathways türkischen Arbeiterfamilien. to Success“ hiermit erste Ergebnisse vor. Das hat langfristige Folgen für die Teilhabe Für das Projekt wurden in Berlin, Frank- und insbesondere für die soziale Mobilität furt/Main und dem Ruhrgebiet insgesamt im Generationenverlauf. In Schweden, den über neunzig Persönlichkeiten im Alter Niederlanden und Frankreich finden wir zwischen Ende 20 und Ende 40 aus den bereits in der Generation der Kinder der Bereichen Wirtschaft, Jura, Schule und „Gastarbeiter“ eine nennenswerte neue Öffentliche Verwaltung ausführlich zu ih- Mittelschicht, die gut verdient und ihren ren Werdegängen im Bildungssystem und Kindern wiederum noch bessere Perspek- im Beruf befragt. Alle Interviewten haben tiven bieten kann. In Deutschland und einen sozialen Aufstieg vollzogen, gut drei Österreich ist dagegen der soziale Aufstieg Viertel davon sind türkeistämmig und in den Familien eher die Ausnahme als die zwanzig Personen ohne familiäre Zuwan- Regel. Es ist allein der hohen Gesamtzahl derungsgeschichte. von Eingewanderten aus der Türkei zu Ziel des Projekts war festzustellen, welche verdanken, dass es auch in Deutschland Faktoren dazu beigetragen haben und heute viele hoch gebildete und gut qualifi- beitragen können, dass Kinder aus Arbei- zierte Fachkräfte mit türkeistämmigem ter- und Einwandererfamilien erfolgreich Hintergrund gibt. werden: Welche Wege und Strategien haben Das Forschungsprojekt „Wege zum sich bewährt? Erfolg“ Welche Hindernisse sind zu überwin- den (gewesen)? Warum ist das so? Was haben z.B. die Bil- Gibt es Institutionen und Berufsfelder, dungssysteme in Schweden und den Nie- die Zugänge für „soziale AufsteigerIn- derlanden anders gemacht in den siebzi- nen“ eher ermöglichen – oder eher ger bis neunziger Jahren des letzten Jahr- behindern? hunderts, als die heute Erfolgreichen zur Was lernen wir aus den Erfolgskarrie- Schule gegangen sind? Und was bedeutet ren auch über diejenigen, die weniger das für die Kinder der zweiten Generation, erfolgreich sind? die zurzeit das Schulsystem durchlaufen? Und schließlich: Was muss sich än- Diesen Fragen widmet sich seit 2011 eine dern, damit junge Menschen in Gruppe von Forschungsinstituten aus Deutschland ihre Talente und Persön- sechs europäischen Ländern, die zum gro- lichkeiten entsprechend ihren tatsäch- ßen Teil auch an der TIES-Studie beteiligt lichen Möglichkeiten entfalten kön- waren. Gefördert unter anderem von der nen? 7
Bildungswege gen“ Verläufen wider. Gleichzeitig gelingt es aber vielen nicht, den guten Bildungs- Erfolgskarrieren folgen nicht nur einem abschluss auf dem Arbeitsmarkt entspre- bestimmten Muster. Grundsätzlich ist al- chend zu verwerten – u.a. weil die Konkur- lerdings in allen europäischen Ländern der renz mit denjenigen ohne familiäre Zu- erreichte formale Bildungsgrad eine der wanderungsgeschichte auf diesem Bil- wichtigsten Voraussetzungen für berufli- dungsniveau größer ist. Deshalb ist in die- chen Erfolg. Trotz der Bedeutung der dua- sen beiden Ländern die Zahl der „Abstie- len Ausbildung in Deutschland und der ge“ viel höher als in Deutschland und den Schweiz: für viele Berufsfelder und Füh- Niederlanden, wo dies schon wegen der rungspositionen sind Hochschulabschlüsse vielen niedrigen Schulabschlüsse kaum erforderlich. Zudem werden in akademi- möglich ist. In der Summe ist dennoch der schen Berufen durchschnittlich höhere Anteil der Erfolgreichen in Frankreich und Einkommen erzielt. Schweden anderthalb mal bzw. mehr als Philipp Schnell und Yaël Brinbaum, die doppelt so hoch wie in Deutschland. unter Leitung des Schweizer „Pathways to Interessant sind auch die Unterschiede in Success“-Teams quantitative Analysen der Zusammensetzung der „AufsteigerIn- durchgeführt haben, gehen von vier nen“: In den Niederlanden war es für fast Grundformen von Karriereverläufen aus: die Hälfte der zweite Bildungsweg über 1. konstant niedrig: niedrige Bildungsab- Ausbildung, (Fach-) Abitur und Studium, schlüsse – niedrige berufliche Position der zum Erfolg führte; dort stellt die „lan- 2. „Abstieg“: hohe Bildungsabschlüsse, ge Route“ eine der wichtigsten „Repara- aber keine hohe Position im Beruf turmaßnahmen“ für die frühe Selektion 3. konstant hoch: hohe Bildungsabschlüs- und überproportionale Zuordnung von se – hohe berufliche Position Kindern aus eingewanderten Familien in 4. Aufstieg: niedrige Bildungsabschlüsse, die Schulformen mit dem niedrigsten Bil- aber Aufstieg im Beruf oder über den dungsniveau und Prestige dar. In Deutsch- zweiten Bildungsweg und dann Auf- land ist dieser Weg zwar durchaus mög- stieg zur Führungsposition im Laufe lich, das Problem der extrem niedrigen der beruflichen Karriere. Bildungsabschlüsse in der türkeistämmi- gen zweiten Generation wird damit aber Die Karriereverläufe von Nachkommen in viel geringerem Maße ausgeglichen als aus türkeistämmigen Einwandererfamilien in den Niederlanden. weisen im Ländervergleich interessante Unterschiede auf – siehe Tabelle 2. Die Das „Pathways to Success“-Projekt hat oben beschriebenen markant höheren sich der Frage des Bildungs- und berufli- Bildungsabschlüsse in Frankreich und chen Erfolgs von der anderen Seite genä- Schweden spiegelt sich hier in einem deut- hert, indem es die Erfolgreichen zu ihren lich geringeren Anteil an „konstant niedri- Biographien und Karriereverläufen befragt Tabelle 2 Deutschland Niederlande Frankreich Schweden konstant niedrig 71% 65% 53% 36% „Abstieg“ 17% 18% 29% 37% konstant hoch 2% 6% 8% 11% Aufstieg 10% 11% 11% 17% TIES 2008 8
hat. Bei ihnen ist vor allem die hohe Zahl und der geringen eigenen Bildung kaum an „konstant hohen“ Verläufen auffällig: direkt schulisch helfen konnten, haben sie Über die Hälfte der türkeistämmigen Be- bei den allermeisten Befragten die Schul- fragten in Berlin, Frankfurt und dem Ruhr- karrieren auf vielfältige Weise unterstützt: gebiet ist auf direktem Weg durch das z.B. finanziell, durch das Freistellen von Gymnasium zum Abitur und dann zur Uni- Hausarbeit, durch Stärkung von Motivati- versität gelangt, einige auch auf dem on und Selbstvertrauen sowie durch emo- gymnasialen Zweig einer Gesamtschule. tionale Sicherheit. Sie gehören also zu der kleinen Minderheit in Deutschland von zwei Prozent, denen Hindernisse im obigen Ländervergleich der direkte Weg zum Erfolg gelungen ist. Das bedeu- Es ist bekannt, dass der Übergang von der tet im Umkehrschluss, dass es in Deutsch- Grundschule zur weiterführenden Schule land sehr schwierig ist, in hochqualifizierte eine der zentralen Weichenstellungen für berufliche Positionen zu kommen, wenn die weitere Bildungskarriere in Deutsch- man diesen Weg nicht gegangen ist. land darstellt. Zwar sind auch später noch Etwa ein Viertel der Befragten hat sich im Wechsel zwischen den Schulformen mög- Schulsystem „hochgearbeitet“, von der lich, de facto vollziehen aber nur wenige Haupt- und/oder Realschule über eine Prozent eines Jahrgangs noch innerhalb spezialisierte Oberstufe (z.B. an einem der Sekundarstufe I den Wechsel etwa von Wirtschaftsgymnasium) oder innerhalb der Realschule auf das Gymnasium. der Gesamtschule vom Haupt- oder Real- Eine wichtige Rolle spielen die Schulemp- schulzweig in die gymnasiale Oberstufe fehlungen, die die Grundschulen ins Ab- zum (Fach-)Abitur. Nur eine kleine Gruppe schlusszeugnis schreiben. Ein gravierendes ist den Weg über den zweiten Bildungs- Problem ist dabei, dass sie viel zu häufig weg nach Abschluss oder begleitend zu aufgrund von Kriterien vergeben werden, einer beruflichen Ausbildung gegangen. die nicht im Verhältnis stehen zu der fakti- Diese grundsätzliche Offenheit des Bil- schen Bedeutung, die diese Empfehlungen dungssystems ist de facto also kaum ge- für den weiteren Bildungsverlauf haben nutzt worden. können. Zum Beispiel: Es stehen mögli- Im Vergleich zwischen Berlin, Frankfurt cherweise beste Absichten dahinter, ei- und dem Ruhrgebiet ist erkennbar, dass nem Kind mit noch fehlerhaften Deutsch- die Erfolgreichen stark davon profitieren, kenntnissen den Besuch einer Förderschu- wenn es eine ausgebaute Infrastruktur le zu empfehlen. Es bleibt dabei aber un- von Schulformen gibt, die Chancen für berücksichtigt, dass es meist sehr schwer „Spätblühende“ bereithalten – also eine ist, von dieser wieder in die Regelschule zu spätere Entscheidung für das (Fach-)Abitur wechseln, auch wenn das Kind etwa eine und auch indirekte Wege zu höheren Bil- gute Begabung für Mathematik zeigt. Das dungsabschlüssen ermöglichen. Dazu ge- gilt analog für die Empfehlungen für die hören grundsätzlich die Gesamtschulen, Haupt- oder Realschule: Sehr viele Befrag- aber auch z.B. die Oberstufenzentren in te haben trotz guter Noten nur deshalb Berlin und die beruflichen Gymnasien in keine Gymnasialempfehlung bekommen, Hessen und NRW. weil ihre Eltern sie nur begrenzt unterstüt- zen könnten. Bei fast einem Drittel derje- Ein weiterer relevanter Aspekt ist die häu- nigen, die nach der Grundschule direkt auf fig stark unterschätzte Rolle der Familien. das Gymnasium gewechselt sind, ist dies Auch wenn die Eltern wegen fehlender gegen die Empfehlung der Grundschule Sprachkenntnisse, langer Arbeitszeiten erfolgt. Zwei Beispiele: 9
Die Lehrer haben es sich einfach gemacht, die miert und selbstbewusst genug, um den haben dann gesagt: „Der kann das nicht. Der soll in Zugang zu erkämpfen. die Sonderschule.“ Und meine Eltern haben dann gekämpft einfach und meine Schwester, die (…) Ein weiteres wichtiges, aber in der Regel war auch ein bisschen älter, die hat gesagt: „Nein, stark unterschätztes Hindernis ist Diskrimi- das geht nicht“ und so, und dann haben (…) die das nierung. Aus der TIES-Studie wissen wir, noch hingekriegt, dass ich dann nicht in die Son- derschule komme, dass ich doch das schaffen dass Schule in Deutschland einer der ge- kann. (…) Nach der sechsten bin ich dann in die sellschaftlichen Bereiche ist, aus dem am Realschule. Da wollten die Lehrer (…), dass ich in häufigsten von Diskriminierung berichtet die Hauptschule gehe, obwohl meine Noten ei- wird. Das trifft auch für den weit überwie- gentlich so mittelmäßig waren: nicht fürs Gymna- genden Teil der Befragten in diesem Pro- sium geeignet, aber auch nicht für die Hauptschu- le. (…) Aber die Lehrer haben dann immer wieder jekt zu. Die Bandbreite reicht von dem gesagt, das wär doch nur gut für mich, obwohl das häufig eher subtilen Gefühl, für die glei- eigentlich nicht gut für mich war. (…) Das wollten chen Noten härter arbeiten zu müssen, die nicht so einsehen, aber wir haben’s also dann über ethnisierende oder abfällige Bemer- doch geschafft, dass ich in die Realschule komme. kungen bis zu Momenten der aktiven (Lehrer in Frankfurt) Laufbahnbehinderung. Auch hierzu einige Und dann hab ich jedes Jahr meine Lehrer ange- Beispiele: fleht. Sechste, siebte, achte, neunte Klasse, jedes Ich war immer die Ausländerin in der Klasse. Man Jahr bin ich zu meinem Klassenlehrer gegangen hat mir weniger zugetraut als den anderen Kin- und hab ihm gesagt: „Herr Soundso, ich möchte dern, ja? Und ich meine, auch da bei der einen auf die Realschule!“ - „Nein nein!“ Der Grundtenor oder anderen Notengebung nicht hinreichend war immer gleich, aber es gab jedes Jahr so ver- beachtet worden zu sein. Also man hat mich jetzt schiedene Versionen. Mal hieß es: „Ach, probier’s nicht systematisch schlechter behandelt, aber 'ne nächstes Jahr! Mach erstmal deinen qualifizierten gewisse Benachteiligung – ohne jetzt da jemanden Hauptschulabschluss!“ Das war gegen Ende. Am angreifen zu wollen – habe ich schon beobachtet. Anfang hieß es: „Du wirst es nicht packen! Das ist (Juristin im Staatsdienst in Nordrhein-Westfalen) viel zu schwierig für dich!“ Dabei war ich eine der Klassenbesten. Und so ging es weiter: nach der Zunächst denkt man immer, wenn der Lehrer der neunten Klasse (...) stellte mir der Klassenlehrer ‘n Ansicht ist, dann dürfte das so richtig sein. Und Übertrittszeugnis, worin ich aus seiner Perspektive dann machten sich so Sachen bemerkbar, wenn nur für die Hauptschule geeignet war, und wenn man zu zweit mal Hausaufgaben gemacht hat, die ich auf die Realschule gehen wollen würde, hätte eigentlich inhaltsähnlich waren, und wenn dann ich dann zwei Jahre wiederholen müssen oder so. der eine 'ne 2+ (…) bekommt und der andere be- Und das war mir dann einfach zu viel, das war die kommt 'ne 6, dann find ich das schon aussagekräf- größte Enttäuschung meines Lebens. Und da hab tig. Also 'ne 6 ist auch schon harter Tobak für 'ne ich meinen Eltern gesagt: „Leute, ich will einfach Leistung, die man abgibt. (Richter im Ruhrgebiet) nicht mehr. Ich liebe dieses Land, aber ich will ‘ne bessere Bildung!” Und: „Schickt mich in die Tür- Ich habe zum Beispiel gesagt bekommen, dass ich kei!“ Das ist so’n Irrwitz, dass ich dann als jemand, sowieso Ausbildung beim Aldi mache. Oder: ich der in Deutschland geboren ist, für ’n Jahr in die hab bei ’ner Musterschülerin ein Protokoll abge- Türkei geh! [Die Interviewpartnerin, heute eine schrieben, haargenau dasselbe, und sie hat ’ne 1 Rechtsanwältin in Berlin, macht dann die 10. Klasse bekommen und ich ’ne 4. Und das prägt einen in der Türkei und kommt mit einer Empfehlung für dann natürlich schon, wenn man irgendwie sieht, das Gymnasium zurück, auf dem sie nach drei Jah- dass man wirklich ungerecht behandelt wird und ren ein gutes Abitur macht.] eigentlich dagegen gar nichts machen kann, weil: Sehr oft waren es in diesen Fällen die El- Wie will man das nachweisen? (…) Und man hat auch zuhause nicht so wirklich den Rückhalt, weil tern oder andere Schlüsselpersonen, die die Eltern einem da auch nicht wirklich helfen kön- auf den Wechsel zum Gymnasium ge- nen und sich dann irgendwie beschweren gehen drängt haben, z.B. einzelne Lehrkräfte, oder so. Ne? Also da bleibt man schon auf der ältere Geschwister oder deutsche Bekann- Strecke. (stellv. Projektleiterin in der Berliner Ver- te. Bei anderen gab es weder diese Schlüs- waltung) selpersonen noch waren die Eltern infor- 10
Manchmal fielen halt schon so Bemerkungen: "Wie sozialer Ungleichheit als für gesellschaftli- kann es sein, dass die Ausländerin in Deutsch die che Integration zuständig fühl(t)en. Note eins schreibt hier an 'nem bayrischen Gymna- sium und ihr schafft das nicht?" Das wurde offen in Auf der anderen Seite berichten ebenfalls der Klasse gesagt. Also da wurde man, auch wenn's sehr viele Interviewte von einzelnen Lehr- positiv gemeint war, man wurde dann schon in 'ne kräften, die sie nachhaltig positiv beein- Ecke gestellt. (Risikomanagerin in einer Frankfurter Bank) flusst und damit möglicherweise entschei- dend dazu beigetragen haben, dass sie auf Und es kam dann leider auch in der 10. Klasse mal dem Bildungsweg nicht „verloren gegan- die Aussage von unserer Klassenlehrerin: "Naja, (…) gen“ sind. Das Problem „im System“ ist an die kleinen Türkinnen, die werden ihr Abitur eh dieser Stelle, dass es praktisch dem Zufall nicht schaffen, (…) da weiß ich ja, wo ihr enden werdet." Das war ihr Satz und bei uns in der Klasse überlassen ist, ob ein Kind aus einer nicht- haben alle ihr Abitur erfolgreich gemeistert und akademischen und/oder eingewanderten haben jetzt alle 'n Hochschulabschluss. (Lehrerin in Familie auf eine solche Lehrkraft trifft. Berlin) Diskriminierungserlebnisse in der Schulzeit Bei einigen Lehrern hatte ich wirklich einen sehr haben bei einigen unserer erfolgreichen schweren Stand, was auch immer die Gründe wa- Befragten zu einer Art Trotzhaltung ge- ren. Da hat beispielsweise ein Schüler 'ne Tür ka- führt, die sie teilweise sogar beflügelt hat. putt geschlagen. Der Lehrer ist zum Ort des Ge- schehens gekommen, wusste überhaupt nicht, was Aus anderen Untersuchungen wissen wir passiert ist, und hat ganz laut meinen Namen ge- allerdings, dass das Gefühl, diskriminiert brüllt. Das hab ich eigentlich niemals vergessen zu werden (berechtigt oder nicht), einen und so vergleichbare Sachen mit kaputten Fens- signifikant negativen Einfluss auf Bil- tern und Türklinken hab' ich eigentlich regelmäßig dungserfolge haben kann. Unabhängig erlebt. (Rechtsanwalt in Dortmund) davon hat es auch bei unseren erfolgrei- Dann hab ich in der zehnten Klasse die Schule ge- chen Interviewten das bis heute andau- wechselt, weil mich meine Deutschlehrerin damals ernde Gefühl genährt, immer wieder als quasi rausgeekelt hat aus der Schule. Die meinte „anders“ und als nicht zugehörig betrach- dann: "Du wärst der erste Türke, der hier Abitur tet zu werden. macht, das würde ich nie zulassen. Du hast keine Chance, ich lass dich jetzt durchfallen", und dann hat sie mich sitzenbleiben lassen. Dann haben wir hinter verschlossener Tür 'n Deal ausgemacht, weil Der Übergang in die Arbeitswelt ich die Nachprüfung bei ihr gemacht habe. Ich hab gesagt, wenn ich die bestehe, verlass ich die Schu- le. Dann hat sie gesagt „okay“ und hat mir dann 'ne Bei den untersuchten Berufsbereichen – einfache Prüfung gemacht. (Informatiker in einem Jura, Lehramt, Öffentliche Verwaltung und internationalen Konzern in Berlin) Unternehmen bzw. Selbstständige – gibt Berichte dieser Art beziehen sich beson- es deutliche Unterschiede im Hinblick auf ders häufig auf Gymnasien. Zum einen die Strukturierung der Wege in den Beruf. sind die Befragten dort oft die einzigen In Jura und im Lehramt besteht mit dem „Ausländer“ gewesen oder Teil einer klei- Referendariat eine Phase der praktischen nen Minderheit – die Schulzeit liegt bei Berufsausübung, die staatlich organisiert vielen ja bereits über 20 Jahre zurück. Zum und unabhängig von Leistungsunterschie- anderen scheint dort grundsätzlich das den garantiert ist. Neben den Noten in Verständnis für die Vielfalt sozialer und den beiden Examina erhalten Absolven- kultureller Hintergründe geringer zu sein tInnen in beiden Berufen die Möglichkeit, als etwa an den Gesamtschulen. Aus den berufliche Erfahrung und Netzwerke auf- berichteten Erlebnissen lässt sich ableiten, zubauen sowie sich in der Praxis zu „be- dass sich viele Gymnasien in ihrem Selbst- weisen“. Für unsere Befragten eröffnete verständnis eher für die Reproduktion das Chancen, war aber auch mit besonde- 11
ren Hürden verbunden. Interessant ist hier Befragten haben auf dem Weg ins Lehr- vor allem die Gleichzeitigkeit von „meri- amt zudem als Vertretungskraft auf Hono- tokratischen“ Elementen, also der Orien- rarbasis gearbeitet, um die Wartezeit auf tierung an Leistungsparametern wie z.B. eine freie Stelle zu überbrücken. Auch Noten, und eben doch vorhandenen Spiel- dabei lernen sich Schulen und angehende räumen, die sich positiv oder negativ auf Lehrkräfte kennen und es entstehen nütz- Karriereverläufe auswirken können. liche Verbindungen, die den Zugang zu einer regulären Stelle begünstigen kön- Beispiel Jura: Voraussetzung für den Zu- nen. Bei der Einstellung gibt es gewisse gang zu einer Tätigkeit im Staatsdienst (im Spielräume: Zwar muss ein offizieller Be- Richterberuf oder in der Staatsanwalt- darf für die entsprechende Fächerkombi- schaft) oder in einer größeren Wirt- nation an der Schule bestehen, doch liegt schaftskanzlei ist ein so genanntes Prädi- es meist auch im Ermessen der Schullei- katsexamen. Dies zu erreichen bedeutete tung, mit der Berufung (oder der Ableh- für unsere türkeistämmigen Befragten die nung) einer Lehrkraft mit z.B. türkischer Überwindung verschiedener (struktureller) Muttersprache Akzente zu setzen. Es ist Barrieren. Allein ein langes Studium in daher wenig überraschend, dass die meis- einem Massenstudiengang erfolgreich und ten interviewten Lehrkräfte an Schulen noch dazu mit einer überdurchschnittlich mit vielfältiger Schülerschaft eingestellt guten Note abzuschließen, ist für Studie- worden sind. rende aus nicht-akademischen Elternhäu- sern eine besondere Herausforderung. Im Bereich der freien Wirtschaft gibt es Dazu kann Benachteiligung bei der Noten- deutlich weniger formale Voraussetzun- gebung kommen: Während die schriftli- gen für den Zugang zu attraktiven Stellen. chen Staatsexamina anonymisiert sind, Berufliche Erfahrungen und Kontakte besteht bei den mündlichen Prüfungen scheinen dagegen eine große Rolle zu Spielraum in der Bewertung. Mehrere Be- spielen. fragte äußern die Vermutung, dass sich ihr Unsere Befragten profitierten beim Über- familiärer Hintergrund negativ ausgewirkt gang in den Arbeitsmarkt von der dualen haben könnte. Ein Interviewpartner in Ausbildung und/oder von Studiengängen Berlin wurde sogar im Vorfeld vor einem mit einer engen Verzahnung zwischen Prüfer gewarnt, der es sich zur Aufgabe Hochschule und Wirtschaft. Der Großteil gemacht habe, „Migranten“ im juristi- absolvierte das Studium an einer Fach- schen Staatsdienst zu verhindern, und ihn hochschule und konnte über Praktika, dann bei der Prüfung tatsächlich kaum zu Werkstudententätigkeiten oder Abschluss- Wort kommen ließ. Der Interviewpartner arbeiten, die in Unternehmen selbst ge- arbeitet heute trotz des fehlenden Prädi- schrieben wurden, berufliche Erfahrungen kats bei einer großen Wirtschaftskanzlei, sammeln und Kontakte zu zukünftigen weil er aus dem Referendariat die sehr Arbeitgebern knüpfen. In diesen Fällen positive Beurteilung einer anderen Wirt- verlief der Übergang in die Arbeitswelt schaftskanzlei vorlegen konnte und diese weitgehend problemlos. dann bei der Einstellungsentscheidung den Ausschlag gab. Einige wenige Befragte begannen ihre Be- rufskarriere mit einer Ausbildung im Un- Auch im Lehramt kommt dem Referenda- ternehmen. Doch auch in der freien Wirt- riat eine wichtige Vermittlungsfunktion zu, schaft kommt man mit einem Hochschul- denn wer sich als fähig und zum Kollegium studium weiter und höher. Entsprechend passend erweist, wird von der jeweiligen haben fast alle der Befragten, die (nach Schule gerne übernommen. Viele unserer dem Abitur) zunächst eine Ausbildung 12
absolviert haben, im Anschluss oder be- Im Beruf rufsbegleitend ein Studium aufgenom- men. Im Berufsleben selbst scheinen einschnei- dende Diskriminierungserlebnisse weit In der Öffentlichen Verwaltung erwies es weniger präsent zu sein als in der Schul- sich zunächst generell als sehr schwierig, zeit. Dennoch spielt die Tatsache, aus ei- überhaupt türkeistämmige Beschäftigte ner eingewanderten Familie zu stammen, als InterviewpartnerInnen zu finden. Ins- eine andere Muttersprache und Religion besondere in höheren oder gar leitenden zu haben und möglicherweise „fremdlän- Positionen sind Beschäftigte mit familiärer disch“ auszusehen, fast immer und überall Einwanderungsgeschichte noch die abso- eine Rolle. Das kann sich auf unterschied- lute Ausnahme. Teilweise hängt dies si- lichen Ebenen äußern: cherlich mit den begrenzten Einstellungs- korridoren in vielen Verwaltungen auf- 1. Nachfragen, „Witze“ und Bemerkun- grund von Vorgaben zum Personalabbau gen aus dem Kollegenkreis: Im besten Fall zusammen. Doch auch fehlende Informa- stehen dahinter echte Neugier und tionen über Beschäftigungsmöglichkeiten Freundschaftlichkeit, in weniger ange- im Öffentlichen Dienst sowie ein wenig nehmen Fällen geht es vorrangig um Ste- attraktives Bild von Behörden stellen eine reotype oder gar „ethnisierte“ Ablehnung. Zugangshürde dar: So haben die wenigs- Auch in Lob versteckte Stereotypisierun- ten unserer Befragten nach einer Stelle im gen werden in der Regel als ausgrenzend Öffentlichen Dienst gesucht; häufiger wa- empfunden. ren es Zufälle oder Hinweise von Dritten, 2. Das Gefühl, mehr leisten zu müssen die zur Bewerbung führten. Den Einstieg in als andere, um dieselbe Anerkennung und den Öffentlichen Dienst erschwert zudem dieselben Aufstiegschancen zu erhalten. eine symbolische Barriere, in der der lange bestehende rechtliche Ausschluss von Ein- 3. Die Zuständigkeit für Arbeitsbereiche, gewanderten (als „Ausländern“) aus die- in denen entweder die türkische Sprache sem nationalstaatlich organisierten Be- und Vertrautheit mit „der türkischen Kul- reich nachwirkt. tur“ oder Netzwerke und Landeskenntnis- se in der Türkei eine Rolle spielen. Auch Diskriminierung kann beim Übergang in den Beruf eine Rolle spielen und scheint Die Fälle 1 und 2 treten in allen Arbeitsbe- vor allem männliche Bewerber zu treffen. reichen auf. Es hängt letztlich vom konkre- Mehrere Befragte, die sich nach dem Stu- ten Kollegenkreis, der Organisationskultur dium „frei“ auf Stellen beworben haben, und der Grundhaltung der Führungsebene berichten von der Erfahrung, dass ihre ab, in welcher Weise und Intensität der Bewerbungen aus nicht nachvollziehbaren türkische Hintergrund eine Rolle spielt. In Gründen abgelehnt wurden, was sie mit internationalen Unternehmen mit multi- ihrem türkischen Namen in Verbindung nationaler und -kultureller Mitarbeiter- brachten. Oder sie bekommen Diskrimi- schaft gilt er oft eher als „weitere Farbe“ nierung beim Zugang zu Stellen in der Fa- und damit Bereicherung, auch wenn es gar milie und im Bekanntenkreis mit – auch keinen konkreten Bedarf etwa an türki- Diskriminierungen offener Art, wenn etwa schen Sprachkenntnissen gibt. Insbeson- Frauen ausdrücklich eine Stelle nur des- dere in Bereichen mit sehr hohen Arbeits- halb nicht bekommen, weil sie Kopftuch und Leistungsanforderungen (z.B. Wirt- tragen. schaftskanzleien, Investment Banking) besteht ein großer Anpassungsdruck an eine bestimmte Arbeitsethik, die gleich- machend wirken und Hautfarbe, Name 13
oder ethnische Zugehörigkeiten in den digen RechtsanwältInnen. Türkischkennt- Hintergrund treten lassen kann. nisse und der türkische Name erleichtern den Zugang zu MandantInnen, die für Kol- In „traditionell deutsch“ geprägten Berei- legInnen ohne entsprechende Sprach- chen wie der Öffentlichen Verwaltung kenntnisse schwerer zu erreichen sind. Die dagegen trifft man häufiger auf die Erfah- Ansprache dieser Klientel stellt eine Res- rung, dass der „Hintergrund“ einen Unter- source, aber auch eine Notwendigkeit dar, schied macht: Hier steht das betonte Stre- wie der folgende Ausschnitt aus einem der ben nach Öffnung für Beschäftigte „mit Interviews zeigt: Migrationshintergrund“ im Kontrast zu alltäglichen stereotypen Fragen und Zu- Ich war kein besonders guter Jurist, deswegen schreibungen – und in manchen Fällen kamen per se eigentlich auch nicht so viele Mög- lichkeiten in Frage. Ich konnte mich jetzt nicht bei auch dem Vorwurf, dass die Position nur großen Kanzleien bewerben oder für'n Staats- aufgrund eines „Migrantenbonus“ erreicht dienst. (...) Wer nichts wird, wird Rechtsanwalt, wurde. Auch sind es vor allem Befragte und dann bin ich (halt) Rechtsanwalt geworden, (...) aus dem Öffentlichen Dienst, die mit ras- und ich dachte mir: „naja, Du musst halt Dein Al- sistischen Kommentaren über türkei- leinstellungsmerkmal irgendwie wirtschaftlich sinnvoll nutzen und dann suchst Du Dir halt Deine stämmige Kundinnen und Kunden aus Leute (lachend) (...), die wahrscheinlich dann zu Dir dem Kollegenkreis konfrontiert sind. kommen werden“, ne? So ganz realistisch gesehen. Und so war's dann auch. (...) Erst nachdem ich Fall 3 gilt in erster Linie für Lehrkräfte – Anwalt geworden bin, hab ich mich überhaupt und sei es nur, weil sie an Schulen mit viel- gegenüber der türkischen Community geöffnet fältiger Schülerschaft von Eltern und Schü- hier, vorher hatte ich ja damit überhaupt nichts am lerInnen selbst anders angesprochen wer- Hut hier. Erst seit acht Jahren verkehre ich in der den als ihre KollegInnen mit „deutschem“ türkischen Community hier. (...) Man darf da gar keinen Hehl draus machen, als türkischer Anwalt Hintergrund. Die große Mehrheit der be- bekommen Sie türkische Mandanten. Da kommt fragten türkeistämmigen Lehrkräfte hat kein Hans Müller hierhin und klingelt, weil er zu mir Fächer wie Englisch, Deutsch, Mathematik will oder so. (...) Zu 'nem türkischen Anwalt geht oder Sozialkunde studiert und nicht etwa kein Nicht-Türke. Türkisch oder islamischen Religionsunter- Dieser Rechtsanwalt in Berlin hat von sei- richt. Sie stehen daher vor der ständigen ner Sozialisation, seinen sozialen Bezie- Herausforderung, die richtige Balance zu hungen und seinen kulturellen Vorlieben finden zwischen der quasi „automati- her eigentlich wenig Bezug zum „Türkisch schen“ Zuständigkeit für die Familien „mit sein“ in Deutschland. Er wohnt in einem Migrationshintergrund“, der Betonung Szeneviertel und seine Partnerin ist eben- ihrer fachlichen Kompetenz und dem Blick so „ethnisch deutsch“ wie der größte Teil für die Bedürfnisse aller SchülerInnen. seines Freundeskreises. Auch die anderen Auch etliche derjenigen, die in Unterneh- Kollegen in der Kanzlei sind alle ohne fami- men oder Wirtschaftskanzleien tätig sind, liäre oder eigene Zuwanderungsgeschich- bearbeiten den „Turkish Desk“. Im Ideal- te. Und trotzdem scheint ihm nicht viel fall geschieht dies, weil sie über gute Tür- anderes übrig zu bleiben, als ein „türki- kischkenntnisse und relevante Netzwerke scher Anwalt“ zu sein. in die Türkei verfügen bzw. diese leichter Das Phänomen hat zwei Seiten: Zum einen aufbauen können. Diese Spezialisierung gibt es ein gewisses Maß an Selbstethni- kann auch ein Alleinstellungsmerkmal ge- sierung in der „türkischen Community“, genüber den KollegInnen und daher eine das sich z.B. darin äußert, dass viele gerne Chance für berufliches Fortkommen dar- die vorhandene „türkische Infrastruktur“ stellen. Besonders gut zeigt sich das darin von Reisebüros bis Arztpraxen nutzen, enthaltene „Dilemma“ bei den selbststän- obwohl sie in Deutschland geboren und 14
aufgewachsen sind und möglicherweise Unter dem Schlagwort „demographische besser Deutsch als Türkisch sprechen. Die Entwicklung“ wird in Deutschland primär Ansprache und Nutzung der „türkischen das Phänomen der Überalterung disku- Community“ ist also durchaus eine ratio- tiert, während die schnell zunehmende nale Geschäftsstrategie. ethnisch-kulturelle Diversifizierung vor allem der städtischen Bevölkerung bis Zum anderen ist aber auch die Einschät- heute kaum eine Rolle spielt. In nur weni- zung realistisch, dass „ethnisch deutsche“ gen Jahren wird es jedoch – wie schon MandantInnen nicht zu „türkischen“ An- heute in Amsterdam oder London – keine wältInnen (ähnliches dürfte für ÄrztInnen Mehrheitsgesellschaft im bisherigen Sinne gelten) gehen. Die von der so genannten mehr geben. „Mehrheitsgesellschaft“ immer noch als identitätsstiftend betrachtete Grund- Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung, unterscheidung zwischen „Deutschen“ aber auch angesichts der Tatsache, dass und „Ausländern“ bzw. „Migranten“ be- ein wachsender Anteil der Kinder und En- steht fort. Die Tatsache, dass es in beinahe keln von Eingewanderten hier geboren allen Lebenslagen und -aspekten relevant und aufgewachsen ist, geht die noch im- zu sein scheint, ob und welchen „Migrati- mer unter der Überschrift „Integration“ onshintergrund“ eine Person hat, kann als geführte politisch-gesellschaftliche Debat- Indiz dafür gewertet werden, dass te an der Lebenswirklichkeit der zweiten Deutschland „mental“, in Bezug auf soziale Generation weitgehend vorbei. Im Falle Beziehungen, in der Sprache seiner Sym- der hoch gebildeten und beruflich erfolg- bole und im politischen wie medialen Dis- reichen Teilnehmenden der Studie wird kurs eben doch noch kein „erwachsenes“ dies besonders deutlich, aber es gilt im Einwanderungsland ist. Grundsatz auch für diejenigen, deren Kar- rieren weniger herausragen und die den- Auch der Öffentliche Dienst spiegelt in noch ein „normales deutsches Leben“ füh- keiner Weise die über ein halbes Jahrhun- ren. dert aufgebaute einwanderungsbedingte Vielfalt der Gesellschaft wider. Die demo- graphischen Veränderungen sind lange Dr. Jens Schneider übersehen oder gar geleugnet worden Christine Lang, M.A. und manche wollen sie bis heute nicht in Prof. Dr. Andreas Pott allen ihren Konsequenzen zur Kenntnis nehmen. Ausgehend von der Polizei haben zwar in den letzten Jahren immer mehr Bereiche des Öffentlichen Dienstes das Problem erkannt und begonnen gegenzu- steuern. Allerdings geschieht dies fast aus- schließlich „von unten nach oben“ und im mittleren Dienst (und eher in der kommu- 1 Quelle: Crul, Maurice / Schneider, Jens / Lelie, Frans nalen als in der Landes- und Bundesver- (Hg.)(2012): The European Second Generation Com- waltung). Explizite und gelenkte Prozesse pared : Does the Integration Context Matter? Am- sterdam University Press, S. 378; der „interkulturellen Öffnung“ in den Füh- siehe auch: dies. (2015): Generation Mix. Die super- rungsetagen sind dagegen kaum zu erken- diverse Zukunft unserer Städte und was wir daraus nen. machen. Münster: Waxmann. 15
Das Projekt wird gefördert von: Kontakt Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) Universität Osnabrück Neuer Graben 19/21 49069 Osnabrück Fon: 0541/969-4159 oder 040/436 802 Fax: 0541/969-4380 Mail: jens.schneider@uni-osnabrueck.de Web: www.ELITESproject.eu 16
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