Port de Sóller 2019 - Weit-Wandern
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Ein Loblied der Routine Port de Sóller, den 21. Mai 2019 Der Chefredakteur hat mich vor Jahren in einen Arbeitskreis beordert, weil mich eine besondere Veränderungsbereitschaft auszeichne. So seine Aussa- ge. Nun, das Beispiel zeigt, wie sehr sich selbst ein Chefredakteur in seinen Mitarbeitern täuschen kann. Vergangene Woche habe ich auf der empfeh- lenswerten Seite www.erlaufen.de einmal zusammengezählt: Seit 2013 sind Anita und ich bis 2017 jedes Jahr einmal in der Serra de Tramuntana gewe- sen. Davon viermal im Hotel Eden in Port de Sóller und einmal mit den Kin- dern in Sóller. Heuer nun das sechste Mal, wieder im Eden. Nach Oberbay- ern möchte ich bald von einer dritten Heimat sprechen. Wenn wir uns in 20 Minuten auf dem Weg nach Valdemosa machen, um von dort den Bergsat- tel nach Deià zu übersteigen, ist uns die Bushaltestelle bekannt und der Fakt, dass es Kleingeld mitzubringen gilt. Ich werde lediglich 1,5 Liter Was- ser als Proviant mitschleppen. In Deià erwarten uns kleine Bars und ein Läd- chen mit gekühlten Getränken, Eis und Snacks für den Notfall. Die Regenja- cken sind gleich ganz in Deutschland geblieben. Der Wetterbericht sagt vier Tage nahezu pure Sonne voraus. Deshalb allerdings Brillenband und ein klei- nes Handtuch in den Rucksack packen. Routine eben. Eine Routine, die al- lerdings einen solchen Kurzurlaub gefühlt deutlich verlängert. Für Verände- rung und Abwechslung sorgt die moderne Zeit ganz von selbst. Als Spätfol- ge der Germania-Insolvenz schickt uns Jahn Reisen geplant über Stuttgart auf die Insel. Beim Zwischenstopp steigen etliche junge Paare mit kleinen Kindern zu. Wie kommt man auf so eine Idee? Viel zu heiß hier für die lie- ben Kleinen. Außerdem mit an Bord: Eine Gruppe von Menschen mit leich- tem geistigen Handicap. Anita teilt die Stuhlreihe mit einem jungen Mann, der ungefragt das halbe Flugzeug mit seinen Erlebnisse vom Bierkönig an Playa de Palma. Zum Ausgleich freut sich Frau Anderson in Port de Sóller über eine positive Überraschung: Das Hotel Eden hat neu verkleidete Bal- kons, die Zimmer sind frisch möbliert sowie mit einem eigenen Lichtkonzept ausgestattet. Der Koch allerdings ist, Gottseidank, der alte geblieben und sorgt für grandiose Sardinen, leicht gegrillte Auberginen, natürlich eine wunderbare rote Paella, Wildschweinpastete undsoweiter. Dafür gehe ich selbst von Valdemosa nach Deià zu Fuß. Doch dazu am Abend mehr. 2
Die Angst vor dem Abgrund Port de Sóller, den 21. Mai 2019 Im Rother-Wanderführer von Rolf Goetz stand, dass es die Steilwand durch dichten Wald hinab nach Deià geht. Und ich Rindvieh habe das geglaubt. Warum hat mich die Formulierung „Deià aus Vogelschau“ nicht stutzig ge- macht? Hätte mir doch klar sein müssen, dass die Frau Anderson wieder mal eine Desensibilisierungsstrecke gegen Höhenangst eingeplant hat. An- fangs geht es von Valdemosa vergleichsweise gemächlich 630 Höhenmeter nach oben. So wird der Proband in Sicherheit gewiegt und eingelullt. Aber dann wird der Hammer ausgepackt. Auf der Hochebene geht es schon ein- mal über schmale Pfade in Richtung Meer. Ja super, das liegt nur 870 Meter Abstieg weiter unten. Dann kommt tatsächlich der Wald. Der wird aber von Stücken unterbrochen, wo es keinen Wald mehr gibt, sondern links die Fels- wand und rechts den Abgrund. Jetzt gilt es. Immer schön auf den Felsen gu- cken, laut mit sich selbst sprechen, nicht anfangen zu hyperventilieren. Nach unten schwitze ich dreimal so viel wie nach oben. Dann wieder ein Stück dichterer Wald. Mein Freund der Baum. Ich umarme einen nach dem anderen. Da kann man sich festhalten. Steineichen. Herrlich. Hauptsache es kommt nicht noch so ein Stück mit „Vogelschau“. Die Nerven flattern, die Oberschenkel sind steif vor lauter Verspanntheit. Ich würde lieber noch drei Hochpartien schlagen, als das mitzumachen. Der Wald wird dichter und dichter, Oberschenkel lockern. Geschafft. 3
Freude schöner Götterfunken Port de Sóller, den 23. Mai 2019 In gewisser Hinsicht sieht es in Port de Sóller nicht anders aus als in Rade- beul. Überall hängen die Plakate zur Europawahl. Letztlich ist die Insel das schwimmende Beispiel für die Idee des gemeinsamen Kulturraums Europa. Beginnen wir beim Frühstück am Mittwoch im Hotel Eden: Croissants und Brioche warten frisch gebacken auf die Franzosen. Daneben steht für die Engländer Orangenmarmelade. Für mich Alten Weißen Mann brät der Koch früh schon Sombrasada sowie die wunderbare Kalbswurst. Undsoweiter, undsoweiter. Am Abend zuvor sind wir am Straßenbahnhof von P.d.S. Danie- la in die Fänge gegangen. Sehr zu unserem Vorteil. Die in Form gealterte, deutsche Blondine verkauft länger Tickets für die Bootsfahrten zu und von der malerischen Bucht Tuent als die hiesige Weiße Flotte. Jahrzehnte lebt sie bereits auf Mallorca und hat sich mit ihren geführten Wanderungen eine Existenz aufgebaut. Die Anfang- bis Mitfünfzigerin (lässt sich heute nicht mehr so genau bestimmen) redet ohne Pausen, hat vermutlich nie einen Marketingkurs besucht und ist doch ein wahres Marketinggenie. Europa ist für sie täglich gelebte Realität. Wir folgen ihrem Ratschlag und beginnen 5
unsere Wanderung am Mittwoch bereits in Soller, Von dort hinauf zum Mi- rador de ses Barques, weiter durch das Hochtal von Balitx, den Pass von Bi- niamar hindurch an der Künste entlang bis zur Bucht von Tuent. Die an- schließenden zwei Stunden über eine öde Straße zur Bucht Sa Calobra spa- ren wir uns auf ihren Hinweis hin. Dank der Europäerin Daniela können wir im Biergarten des Restaurants Es Vergeret entspannt zuschauen und zuhö- ren, wie sich am Tisch neben uns die Generation Cappuccino (Nachfolger der Generation Haus Bergmann) die Kante gibt. Die Engländer sind sportli- cher unterwegs. Die Männer kommen geradelt, die Frauen gewandert. Auch eine Möglichkeit. Zwei Tische weiter erlebt ein spanischer Galan sei- nen dritten Frühling. Auf ihr aller Wohl trinke ich am Abend ein Original Märzenbier der Estrella-Damm-Brauerei aus Barcelona (sic!) mit Hallertauer Hopfen. Gegründet hat das Unternehmen 1876 der Elsässer August Ku- entzmann Damm. Freude schöner Götterfunken. 6
150 Jahre Alpenverein Port de Sóller, den 23. Mai 2019 Wie muss man sich das vorstellen?: In das kleine Örtchen Bunyola, sich an- schmiegend an die südlichen Ausläufer der Sierra de Tramuntana, führt eine Platanenallee. Kleinstämmige Platanen. Links und rechts stehen Bürgerhäu- ser. Jedes hat sich feingemacht. Mit besonderem Stuck, mit besonderen Zäunen, mit einem blühenden Garten. Alles dezent zurückhaltend, nicht prunkend. Understatement, so würde es der Engländer formulieren. Links gegenüber der Kirche steigen Treppen empor in Richtung des die Stadt öst- lich umklammernden Höhenzugs. Dahinter treten wir ein in die scheinbar unendlichen Steineichenwälder der Serra de Tramuntana. Die Szenen glei- chen sich über alle Wanderungen: Reste von Köhlerhütten, von Kalköfen, zusammenfallende Trockenmauern aus dem gelbroten Gestein des Gebir- ges bilden Terrassen für Olivenbäume. Wir laufen über Schotter und über die Reste alter Karrensteige, die bis in die entferntesten Winkel führen. Wei- tere Wege zweigen ab. Randmauern sind gesetzt. Was für eine Sisyphos-Ar- beit muss es gewesen sein, dieses Pflaster zu setzen, diese Mauern zu schichten. Nun, die Arbeit war Ausdruck bitterster Armut. Der letzte Winkel musste erschlossen werden, um auf dieser kargen Insel Holzkohle in Mei- lern zu bereiten, um Brennholz zu sammeln, die Ziegen zu suchen, welche in den Wald getrieben werden mussten, weil in den Ebenen unter der bren- nenden Sonne kein Futter mehr gedieh. Doch diese Landschaft hat Charme, hat Talent, kann sich sehen lassen. Warum treffen wir hier heute von Bunyola zum Rastplatz Cas Carriguer nur zwei Wanderer? Ganz einfach: Es fehlt an Ausschilderung, es fehlt an Hütten, es fehlt an guten Wegen, an Sesselliften und Seilbahnen. Damit schließt sich der Zirkel zur Überschrift. Der Deutsche Alpenverein, dem Teile der Familie Anderson (Welche wohl?) angehören, hat es in den vergangenen 150 Jahren geschafft, die Serra de Tramuntana des Nordens für den Massen-Tourismus zu erschließen. Die Voraussetzungen dafür waren kaum anders als in der Serra de Tramuntana heute. Auf der anderen Seite, wie hat Botho Strauß 1958 geschrieben. „Der Tourismus zerstört, was er sucht, indem er es findet.“ 9
Postskripten (ungeordnet) 1. Im Tal von Balitx sehen wir über dem zur Küste hin ansteigenden Kamm Mönchsgeier kreisen. Riesige Vögel. 2. So zeitig wie dieses Jahr waren wir noch nie auf Mallorca. Tatsäch- lich scheint die Saison noch relativ frisch zu sein. Die Wanderbusse etwa sind nicht bis auf den letzten Platz gefüllt. 3. Im Weingut Tianna Negre in Binissalem empfängt uns erneut eine vitale Blondine älteren Semesters. Deutsche. Das Spiel funktioniert: Wir schauen uns um. Sie fragt, ob wir probieren wollen. Wollen wir und gehen mit zwei Flaschen für 25 Euro raus. Rund 54 Hektar. Die Hälfte bio. Letztes Jahr ganz bio. Kein Befallsdruck. So müssen Weineinkäufe laufen. Wir denken an den Jokus im Banat mit dem einen Glas für vier Leute zurück und an die gelungene Weinprobe in Eger. 10
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