POSTPATRIARCHALE FÜHRUNG - PRAXISLEITFADEN

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POSTPATRIARCHALE FÜHRUNG - PRAXISLEITFADEN
PRAXISLEITFADEN

POSTPATRIARCHALE
FÜHRUNG
WIE FAMILIENUNTERNEHMEN
EINE NEUE FÜHRUNGSSTRUKTUR
ENTWICKELN KÖNNEN

        von
        Rudolf Wimmer
POSTPATRIARCHALE FÜHRUNG - PRAXISLEITFADEN
IMPRESSUM

VERANTWORTLICH:
Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU)
Department für Management und Unternehmertum
Fakultät für Wirtschaft und Gesellschaft
Universität Witten/Herdecke

Prof. Dr. Tom A. Rüsen
Prof. Dr. Heiko Kleve
Alfred-Herrhausen-Straße 50
58448 Witten

Redaktion: Monika Nadler
Gestaltung: Designbüro Schönfelder GmbH, Essen
Titelfoto: Shutterstock
Foto S. 30: Wittener Institut für Familienunternehmen
(WIFU)

Hinweis: Das Wittener Institut für Familienunterneh-
men (WIFU) bekennt sich zu einer genderneutralen
Sprache. Sollte dieses Ziel in diesem Praxisleitfaden
nicht in jedem einzelnen Falle erreicht werden, bittet
das WIFU um wohlwollende Nachsicht. An einzelnen
Stellen mag es aus Gründen des Leseflusses (wie
beispielsweise in Aufzählungen) oder aus Platz-
gründen (wie etwa in Überschriften oder in Schau-
bildern) vorkommen, dass das Maskulinum als
nicht-markierte Form für das Genus von Personen-
bezeichnungen gewählt wurde.

ISSN (Print) 2626-3424
ISSN (Online) 2626-3432                                  natureOffice.com | DE-

Stand: April 2021
POSTPATRIARCHALE FÜHRUNG - PRAXISLEITFADEN
INHALT

1    Einführung: zur Relevanz dieses Themas                                                                                4

2    Wann geraten die Führungsverhältnisse unter existenziellen Veränderungsdruck?                                         7
     2.1 Die eigene Wachstumsdynamik überfordert die Routinen der Problemlösung........                                    7
     2.2 Disruptive Veränderungen entziehen den gewohnten Abläufen die Grundlage......                                     8
     2.3 Der Generationswechsel ­verändert die ange­stamm­ten Führungsverhältnisse.......                                  8

3    Worin bestehen im Detail die prägendsten Merkmale des für Familien-
     unternehmen typischen Führungsgeschehens?                                                                            10
     3.1 Strategische Führung durch unternehmerische Intuition.........................................                   10
     3.2 Wachstumsschritte sind kundengetrieben...............................................................            11
     3.3 Ein sparsamer Umgang mit dem erwirtschafteten Kapital......................................                      11
     3.4 Eine fraglos akzeptierte Autorität und Führung durch Mehrdeutigkeit....................                          12
     3.5 Kenntnis der Beziehungs­netze verringert den Kommunikations­­aufwand. .............                              14

4    Schlüsselstellen in der Transformation der angestammten Führungs- und
     Organisationsverhältnisse                                                                                            16

5    Einzelne Schritte im Anstoßen des angestrebten Transformationsprozesses                                              19
     5.1 Der Gesellschafterkreis verständigt sich über das Veränderungsvorhaben.............                              19
     5.2 Die Ausgangslage für Veränderungen kann ganz u
                                                      ­ nterschiedlich aussehen...........                                20
     5.3 Eine gemeinsame Vorstellung für die geschäftspolitische Strategie finden...........                              21
     5.4 Eine strategieadäquate Organi­sation und Führung entwickeln...............................                       21
     5.5 Wie sehen die ­einzelnen Schritte für den Struktur­wandel aus?...............................                    23
     5.6 Das Etablieren neuer Kommunikationsroutinen.......................................................               24

6    Merkmale, die postpatriarchale Führungs- und Organisationsverhältnisse
     kennzeichnen                                                                                                         25
     6.1 Das Zusammenspiel von Management, Aufsicht und Gesellschaftern...................                                25
     6.2 Eine leistungsfähige Wissensinfrastruktur zur wirtschaftlichen Steuerung............                             26
     6.3 Verantwortungsverteilung für die Betreuung der relevanten
		 Außenbeziehungen....................................................................................................   26
     6.4 Regeln machen die Koordination des operativen Geschäfts handhabbar...............                                27
     6.5 Personalpolitik ist sich des Spannungsfeldes bewusst und managt es.................                              27

7    Literatur		                                                                                                          29

Kontakt			                                                                                                                30

                                                                                                                               3
POSTPATRIARCHALE FÜHRUNG - PRAXISLEITFADEN
1 | EINFÜHRUNG: ZUR RELEVANZ DIESES THEMAS

    D    as Thema Führung (heute spricht man lieber
         von Leadership) hat derzeit wieder Hochkon-
    junktur. Es schiebt sich in der gesellschaftlichen
                                                             spezifischen Besonderheiten dieses Unterneh-
                                                             menstypus zu sehen. Der entscheidende Unter-
                                                             schied zum herkömmlichen Führungsverständnis
    Aufmerksamkeit in periodischen Abständen immer           liegt nämlich in dem Umstand, dass an der Spitze
    wieder einmal ganz nach vorne, wenn einschnei-           von Familienunternehmen Unternehmer und Unter-
    dende Veränderungen allgemein geteilte Orientie-         nehmerinnen stehen, die drei unterschiedliche
    rungen und stabile Zukunftsgewissheiten radikal          Funktionen in ihrer Hand vereinen: die des Eigen-
    wegbrechen lassen und damit massive Verun­               tums am Unternehmen, die der Führung desselben
    sicherungen im Leben der Menschen und ihrer              und die des Oberhaupts der Unternehmerfamilie.
    Organi­sationen erzeugen. Aktuell sind es die weit-      Diese Einheit an der Spitze des Unternehmens lässt
    verzweigten Begleiterscheinungen der digitalen           üblicherweise in den frühen Phasen im Lebens­
    Trans­formation, die nicht mehr zu leugnenden            zyklus dieser Unternehmen ganz eigentümliche
    ökologischen Gefährdungslagen unserer Gesell-
    ­                                                        unverwechselbare Führungs- und Organisations­
                                                             ­
    schaft und obendrein die Covid-19-Pandemie, die          verhältnisse wachsen, eingebettet in eine dazu pas-
    die verantwortlichen Entscheidungsträgerinnen und        sende, stark wertegetriebene Organisationskultur.
    Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Ge-
    sellschaft vor bislang nicht gekannte Herausforde-          Das hervorstechendste Merkmal dieser Funktions-
    rungen stellt. Da wird der Ruf nach „guter“ Führung,     einheit besteht darin, dass sie der Unternehmens-
    nach neuen wirksamen Lösungen, die die Unsicher-         spitze eine außergewöhnliche Autoritätsposition
    heit wieder wegnehmen, unüberhörbar. Dieses Be-          verschafft. Wenn der unternehmerische Start er-
    dürfnis zeigt sich allerdings in den einzelnen gesell-   folgreich gelungen ist, dann bündelt und festigt sich
    schaftlichen Bereichen mit ganz unterschiedlichen        an der Spitze bei allen Beteiligten die Erwartungs­
    Ausprägungen und Konsequenzen.                           sicherheit, dass dort eine gesamthafte Verant­wor­
                                                             tungsübernahme für alle relevanten Entscheidun-
        Im Unternehmenskontext sind dies immer Zeiten,       gen wirksam unterstellt werden kann. Mit dieser
    in denen neue Konzepte und Lösungsversprechen            weitreichenden Verantwortungsbündelung geht in
    ins Leben treten und vorübergehend viel Aufmerk-         der Regel eine klare Arbeitsteilung Hand in Hand.
    samkeit auf sich ziehen. Im Moment ist es das            Alles, was irgendwie mit Führungsaufgaben, d. h.
                                                             ­
    ­Zurückschrauben von Hierarchie in Verbindung mit        mit im Alltag anfallenden Entscheidungserfordernis-
     agileren Arbeitsformen, unterstützt durch „collabo-     sen, verknüpft ist, wird von der Spitze erwartet und
     rative“ Leadership, die in den einschlägigen Publi­     ist dort zumeist auch in guten Händen. Der Rest der
     kationen und Diskussionsforen gerade die Hoheit         Organisation kann sich auf die Umsetzung dieser
     über die managerialen Stammtische zu gewinnen           Entscheidungen und die Erledigung all dessen, was
     versuchen. Diese „innovativen“ Lösungsangebote          arbeitsmäßig gerade ansteht, konzen­trieren.
     bilden vielfach den Stoff für das Entstehen von
     neuen Managementmethoden, die für eine gewisse             In diesem Zusammenspiel erübrigt es sich, fein-
     Zeit die Veränderungsanstrengungen in Unterneh-         ziselierte hierarchische Ebenen auszudifferenzie-
     men anleiten.                                           ren und die Führungsverantwortung sorgfältig ab-
                                                             gestuft auf viele Schultern zu verteilen. Deshalb
       Lassen sich familiengeführte Unternehmen von          sind in solchermaßen geführten Unternehmen
    solchen Entwicklungen beeindrucken? In der Regel         keine formell festgelegten und allgemein verbind-
    nicht. Familienunternehmen repräsentieren in der         lich kommunizierten Organigramme anzutreffen.
    Art, wie sie geführt werden, eine ganz eigene Welt.      Letztlich gibt es nur eine wirklich wichtige Füh-
    Diese Welt kommt in der weitverzweigten und              rungsbeziehung und das ist die zum Inhaber oder
    ganze Bibliotheken füllenden Führungsforschung           zur Inhaberin an der Unternehmensspitze, auch
    der letzten Jahrzehnte allerdings nicht ernsthaft        wenn es da in der Praxis je nach Unternehmens­
    vor. Für diesen blinden Fleck der Forschung gibt es      größe natürlich große Abstufungen gibt. Unterneh-
    allerdings gute Gründe und diese sind wohl in den        merinnen und Unternehmer versuchen deshalb

4
POSTPATRIARCHALE FÜHRUNG - PRAXISLEITFADEN
1 | EINFÜHRUNG: ZUR RELEVANZ DIESES THEMAS

auch, durch das Herstellen und Aufrechterhalten       starken Unternehmenskultur, die im Kern eine Hand-
einer persönlichen Beziehung zu den Beschäftigten     voll von gemeinsam geteilten Grundüberzeugungen
den mit einer solchen Führungskonstellation ver-      und Werthaltungen beinhaltet, die im Alltag das
bundenen emotionalen Erwartungen solange es           ­Verhalten untereinander koordinieren, ohne dass
­irgendwie geht auch tatsächlich gerecht zu werden.    darüber viel geredet werden muss. Dazu zählt auf
                                                       der einen Seite die tiefe Loyalität der Beschäftigten
    Hinsichtlich des Organisationsaufbaus bedeuten     dem nachhaltigen Wohlergehen des Unternehmens
solche Führungsverhältnisse, dass im Zuge des          und seiner Eignerfamilie gegenüber, eine Loyalität,
Wachstums, wenn eine klarere organisatorische          die regelmäßig zu einer außergewöhnlichen Ein-
Aufgabenteilung unvermeidlich wird, diese Aufga-       satzbereitschaft führt. Dem steht auf der anderen
benzuordnung um langgediente, bewährte und             Seite die Gewissheit der Beschäftigten gegenüber,
­vertrauenswürdige Leistungsträgerinnen und Leis-      dass sie bei entsprechenden Unternehmensent-
 tungsträger herum erfolgt. So entstehen im Laufe      scheidungen auch als Personen mit ihren je indivi-
 der Zeit organisationsintern Subeinheiten und Be-     duellen Besonderheiten und Problemlagen zählen.
 reiche, deren genauen Aufgabenzuschnitt man nur       Diese ganz spezifische familienhafte Reziprozität,
 verstehen kann, wenn man sieht, um welche Per­        die die kulturelle Stärke gut geführter Familien­
 sonen herum aus welchem Anlass dieser Zuschnitt       unternehmen ausmacht, ist das Fundament, auf
 geformt worden ist. In diesem Organisationsmuster     dem sich die charakteristischen Führungspraktiken
 folgen die Aufgaben und die damit verbundenen         von Inhabern und Inhaberinnen an der Spitze ihrer
 Verantwortlichkeiten den Personen und nicht um-       Unternehmen entfalten können. Weil diese Prakti-
 gekehrt. So entsteht im Zuge der Wachstumsent-        ken vieles von dem widerspiegeln, wie auch in
 wicklung des Unternehmens um die Spitze herum         ­Familien das Miteinander der Partner wie auch das
 ein größer werdender Kreis an langgedienten Ver-       Verhältnis zum Nachwuchs gesteuert wird, werden
 antwortungsträgern und Verantwortungsträgerin-         diese Muster gerne als „patriarchalisch“ bezeich-
 nen, die sich auf ein besonderes Vertrauens- und       net. Diese Begrifflichkeit bringt keineswegs einen
 Näheverhältnis zu Inhaber oder Inhaberin stützen       negativen bzw. kritischen Beigeschmack zum Aus-
 können und in ihrer Summe die wesentlichen Funk-       druck. Denn es sind gerade diese Familienhaftigkeit
 tionsbereiche repräsentieren.                          und die damit verbundenen Gestaltungsprinzipien
                                                        des alltäglichen Miteinanders, die die vielfach
   Die alltägliche Zusammenarbeit funktioniert ohne     bewunderte Leistungsfähigkeit dieses Unterneh-
                                                        ­
aufwendige Abstimmungsprozesse und ohne for-            menstypus ausmachen.
mal festgelegte Strukturen der Regelkommunika­
tion. Der Bedarf an bürokratischen Regelwerken zur       Die angesprochenen Leistungsvorteile, die mit der
Steuerung des operativen Arbeitsgeschehens wird,      Einheit von Eigentum und Führung, also mit dem
soweit es irgend geht, möglichst gering gehalten.     Unternehmertum an der Spitze von Unternehmen
Diese Form des regelarmen, kommunikations­            zumeist verbunden sind, sind in der Literatur viel-
sparenden Miteinanders ist möglich, weil man sich     fach beschrieben worden1: Kurze Entscheidungs-
dank der langen Zugehörigkeit gegenseitig sehr gut    wege, eine unternehmerisch kalkulierte Risikobe-
kennt und um die jeweiligen Stärken und Schwä-        reitschaft, ein sparsamer Umgang mit Ressourcen,
chen sehr genau Bescheid weiß, und weil jede und      verbunden mit einer langfristig ausgerichteten In-
jeder darauf vertrauen kann, dass alle anderen auch   vestitionspolitik, eine hohe Umsetzungsgeschwin-
ihre gesamte Energie in den Dienst des Unterneh-      digkeit bei erkannten Handlungsnotwendigkeiten,
mens stellen und deshalb engagierte Kooperation       eine konsequente Ausrichtung am Kundennutzen
im Sinne der gemeinsamen Sache als selbstver-         und vielfach (dadurch angeregt) eine kontinuier­
ständlich erwartet werden kann.                       liche Innovation des eigenen Leistungsportfolios,
                                                      ein fairer Umgang mit den erfolgskritischen Part-
  Die Funktionstüchtigkeit solcher Führungsverhält­   nern in der eigenen Wertschöpfungskette, eine
nisse steht und fällt mit dem Vorhandensein einer     außer­gewöhnliche Einsatzbereitschaft der eigenen

1
    Vgl. Wimmer et al. (2018).

                                                                                                               5
1 | EINFÜHRUNG: ZUR RELEVANZ DIESES THEMAS

       Belegschaft und dergleichen mehr. All dies zusam-        dieser (für inhabergeführte Unternehmen typischen)
       mengenommen sorgt unter ganz bestimmten Rah-             Führungskonstellationen ist auf Marktgegebenhei-
       menbedingungen für jene typischen Wettbewerbs-           ten angewiesen, die ein organisches Wachstum
       vorteile, die eine überdurchschnittliche Ertragskraft    ­erlauben, und zwar mit einer Geschwindigkeit und
       und damit eine nachhaltige Wachstumsentwick-              Dynamik, die unternehmensintern mit den einge-
       lung ermöglichen.                                         spielten Bearbeitungsmustern gut verdaut werden
                                                                 kann. Diese interne „Verdaubarkeit“ ermöglichende
          Vor diesem Hintergrund kann man sich fragen, wo        Synchronizität von unternehmensinterner und -exter­
       nun angesichts dieser Erfolgsmuster das Problem           ­ner Entwicklung ist angesichts einer spürbaren Ver-
       liegt. Genau mit dieser Frage beschäftigt sich der         änderungsdynamik hin zu deutlich komplexer wer-
       vorliegende Praxisleitfaden. Die besonderen Erfolgs-       denden Verhältnissen zurzeit in einer Reihe von klar
       chancen der geschilderten Führungskonstel­     lation,     benennbaren Fällen jedoch nicht mehr zu erwarten.
       die nach wie vor bei mehr als zwei Dritteln vor allem      Hier will dieser Praxisleitfaden den Weg heraus aus
       der kleineren und mittelgroßen Familienunterneh-           den gewohnten inhaberzen­     trier­
                                                                                                     ten Führungsprak­
       men anzutreffen ist, sind nämlich an klar benenn­          tiken hinein in eine postpatriarchale Welt weisen –
       bare Voraussetzungen geknüpft, die aber gerade bei         eine Welt, in der nach Möglichkeit der ureigenste
       wachstumsstarken Familienunternehmen vielfach              Charakter unternehmerisch geführter Familienunter­
       nicht mehr gegeben sind. Die Funktionstüchtigkeit          nehmen bewahrt werden kann.

6
2 | WANN GERATEN DIE FÜHRUNGSVERHÄLTNISSE
        ­U NTER EXISTENZIELLEN VERÄNDERUNGSDRUCK?

D      ie Annahme, dass der Abschied von den typi-
       schen Führungs- und Organisationsverhältnis-
                                                       2.1 | DIE EIGENE WACHSTUMS-
                                                       DYNAMIK ÜBERFORDERT DIE
sen der Pionierzeit in den späteren Phasen des         ROUTINEN DER PROBLEMLÖSUNG
­Lebenszyklus ganz unvermeidlich ansteht, ist in der
 Forschung zu Familienunternehmen weit verbrei-
 tet.2 Die im Zuge der Generationswechsel komple-
xer werdenden Strukturen der Unternehmerfamilie
und des Gesellschafterkreises legen irgendwann
                                                       G     erade gut aufgestellte Familienunternehmen
                                                             mit einem strategisch soliden Geschäfts­
                                                       modell generieren mit ihren Wettbewerbsvorteilen
die Trennung von ­Eigentum und Führung nahe und        kontinuierlich Wachstumspotenziale, deren Nicht-
machen damit den Weg frei für eine konsequente         ausschöpfung bedeuten würde, die schon errungene
Professionali­sierung des unternehmensbezogenen        Marktposition zu gefährden. Die mit der Realisie-
Führungs­geschehens. Mit diesen Prozessen gehen        rung dieser Potenziale einhergehenden Entwick-
dann auch schrittweise die spezifischen Merkmale       lungsimpulse können durch einen beschleunigten
familiengeführter Unternehmen verloren. Der Unter-     organischen Ausbau der eigenen Leistungsfelder
schied zu den Nicht-Familienunternehmen ver­           aufgegriffen werden und/oder durch die Über­
schwin­det. Familien­unternehmen werden in dieser      nahme von geeigneten Unternehmen, also durch
Betrachtungsweise also als eine zeitlich vorüber­      anorganische Wachstumsschritte. Bedingt durch
gehende Form angesehen, die entweder mangels           die verstärkte Konsolidierung, die zurzeit in vielen
Erfolgs vom Markt wieder verschwinden oder sich        ­Branchen zu beobachten ist, ist das Ergreifen von
gerade wegen ihres Erfolgs in managergeführte           anorganischen Wachstumschancen auch für Fami-
Unternehmen transformieren.3                            lienunternehmen inzwischen nichts Außergewöhn-
                                                        liches mehr.
     Diesen in der Managementforschung weit ver-
breiteten Vorstellungen, wie der „natürliche Lauf         Beide Modi, um in relativ kurzer Zeit erhebliche
der Dinge“ bei Familienunternehmen aussieht,           Wachstumssprünge zu bewältigen, konfrontieren
­können wir uns nicht anschließen. Weder ist der       diese Unternehmen intern mit einem Komplexitäts-
 Wechsel hin zu einer postpatriarchalen Führungs-      zuwachs, der die vorhandenen Routinen der Prob-
 welt ein quasi automatisch auftretendes Ereignis      lembearbeitung radikal überfordert. Man merkt das
 im Lebenszyklus dieses Unternehmenstypus noch         an zunehmenden Abstimmungs- und Koordina­
 bedeutet dieser Wechsel den Verlust der charak­       tionsproblemen: Missverständnisse nehmen zu, die
 teristischen Eigentümlichkeiten desselben. Diese      Prozesse verlangsamen sich, Entscheidungen kom-
 ­Einschätzungen gilt es im Folgenden argumentativ     men schwieriger zustande und verlieren ihre Treff-
  zu erhärten und durch aus der Praxis gewonnene       sicherheit, Beschwerden von Kunden häufen sich,
  Beobachtungen mit Plausibilität zu versorgen. Wie    das Klima wird insgesamt hektischer, konflikthafter
  gesagt, es sind ganz bestimmte Rahmenbedingun-       und deutlich gereizter.
  gen, die den historisch gewachsenen Zustand von
  Führung und Organisation so unter Druck bringen,        Wenn angesichts solcher Symptome die zugrunde
  dass eine weitreichende Transformation dieser        liegende grundsätzliche Überforderungsproblematik
  ­Dimension unausweichlich wird.                      des Gesamtunternehmens nicht rechtzeitig erkannt
                                                       und in gewohnter Weise, die Probleme personalisie-
  Wir sehen im Wesentlichen drei unterschiedliche      rend, an Detailfragen herumgedoktert wird, dann
Triebkräfte, die einzeln oder auch in ihrem gleich-    verstärkt sich die destruktive Dynamik und es
zeitigen Miteinander den Ausgangspunkt für die         wird immer schwieriger, die Abwärtsentwicklung
Einleitung entsprechender Veränderungen bilden         zu stoppen. Deshalb ist es wesentlich vorteilhafter,
können.                                                vorausschauend auf Basis von strategischen Über-

2
    Vgl. Klein (2010).
3
    Vgl. Chandler (1990).

                                                                                                              7
2 | WANN GERATEN DIE FÜHRUNGSVERHÄLTNISSE U
                                              ­ NTER EXISTENZIELLEN VERÄNDERUNGSDRUCK?

        legungen den internen Umbau der Führungs- und                              führt bei disruptiven Entwicklungen in eine exis-
        Organisationsstrukturen proaktiv in Gang zu setzen                         tenzgefährdende Sackgasse, die nicht selten zu
        und nicht darauf zu warten, bis die ausgelösten                            spät als solche erkannt wird. Auch das sind Aus-
        krisenhaften Phänomene keine Alternative mehr
        ­                                                                          gangsbedingungen, die einen grundlegenden Mus-
       ­zulassen.                                                                  terwechsel in Führung und Organisation nahelegen,
                                                                                   und zwar deshalb, weil die Aufrechterhaltung der
                                                                                   eigenen unternehmerischen Antwortfähigkeit es in
       2.2 | DISRUPTIVE VERÄNDERUNGEN                                              solchen Situationen erforderlich macht, neben der
       ENTZIEHEN DEN GEWOHNTEN                                                     gezielten Effizienzsteigerung des bestehenden Ge-
       ABLÄUFEN DIE GRUNDLAGE                                                      schäfts in die innovative Entwicklung alternativer
                                                                                   Geschäftsmodelle zu investieren. Die Gleichzeitig­
                                                                                   keit dieser so gegensätzlichen Organisationswelten

       W       ie bereits angedeutet, entwickeln sich Fami-
               lienunternehmen üblicherweise in einer klar
       definierten Nische in enger Abstimmung mit ihren
                                                                                   erfolgreich zu managen, generiert Führungsheraus-
                                                                                   forderungen, die mit den tradierten Mitteln nicht zu
                                                                                   stemmen sind.5
       Kunden und deren Bedarfen. In diesem subtilen
       Wechselspiel zwischen unternehmerisch erkannten
       Problemstellungen bei bestehenden bzw. poten­                                2.3 | DER GENERATIONSWECHSEL
       ziellen Kunden und einer klugen Anpassung des                               ­V ERÄNDERT DIE ANGE­S TAMM­T EN
       ­eigenen Leistungsrepertoires an dieselben erneu-                            FÜHRUNGSVERHÄLTNISSE
        ern sich diese Unternehmen auf eine evolutionäre
        Weise ohne aufwendige Change-Prozesse. Dieses
        Muster einer kontinuierlichen inkrementellen Selbst-
        erneuerung ist höchst erfolgreich, weil die Innova­
        tionen ressourcenschonend nah am operativen
                                                                                  W        ie schon angedeutet, beruht die eindrucks-
                                                                                           volle Schlagkraft von traditionell geführten
                                                                                   Familienunternehmen auf einer genialen Symbiose
        Geschäft erfolgen und deshalb unschwer in die
        ­                                                                          zwischen der unternehmerischen Intuition und dem
        ­bestehenden Abläufe integriert werden können.4                            Weitblick des Inhabers oder der Inhaberin an der
                                                                                   Spitze und einer konsequent darauf eingespielten
          Wenn es aber am Markt zu weitreichenderen Ver-                           Belegschaft. Diese Symbiose beruht auf harter
       änderungen kommt, wie wir es beispielsweise jetzt                           ­Arbeit aller Beteiligten, wodurch das wechselseitige
       im Zusammenhang mit der Digitalisierung erleben,                             Zutrauen in die Leistungsfähigkeit und Leistungs-
       die vielen etablierten Geschäftsmöglichkeiten den                            bereitschaft aller wie auch das persönliche Ver­
       Boden entzieht, dann greifen die beschriebenen                               trauen in die Tragfähigkeit der reziproken Loyalität
       Innovationsmuster zu kurz. Die rechtzeitige Ent-
       ­                                                                            wächst.
       wicklung von unternehmerischen Antworten auf
       solchermaßen geänderte Marktherausforderungen                                 Es ist gut nachvollziehbar, dass dieses Zusam-
       hängt letztlich von der Wachheit und dem Gespür                             menspiel bei einem personellen Wechsel an der
       des Inhabers oder der Inhaberin und seiner/ihrer                            Spitze zerbricht. Es ist durchaus möglich, dass eine
       engsten Wegbegleiter an der Unternehmensspitze                              Wiederherstellung dieses symbiotischen Miteinan-
       ab. Je länger dort jemand in der Verantwortung ist,                         ders durch einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin
       umso größer ist die Gefahr, dass an dem bislang                             aus der Familie gelingen kann, wenn sich die Anfor-
       ­erfolgreich praktizierten geschäftspolitischen Weg                         derungen an Führung im Zuge des Generations-
        festgehalten wird. Diese für viele inhabergeführte                         wechsels nicht nennenswert ändern, und der/die
        Unternehmen nicht ungewöhnliche strategische                               Nachfolger/in willens und in der Lage ist, im Grund-
        Pfadabhängigkeit, die unter dazu passenden Markt-                          satz den Erwartungen an einen patriarchalisch ge-
        gegebenheiten zweifelsohne ein Erfolgsgarant ist,                          prägten Führungsstil gerecht zu werden. Dann wird

       4
           Vgl. Wimmer (2020a).
       5
           Erhellend hierzu Christoph Beumer, CEO der Beumer Group, Beumer & Schumacher (2020).

8
2 | WANN GERATEN DIE FÜHRUNGSVERHÄLTNISSE U
                                                                  ­ NTER EXISTENZIELLEN VERÄNDERUNGSDRUCK?

sich im Zeitverlauf wieder ein sicherheitsspenden-         flusspoten­ziale gut aufeinander abgestimmt dafür
des Miteinander einspielen, gerade wenn die neue           nutzen, den Rest des Unternehmens in diesem
Generation zeigen kann, dass sie dem Unterneh-             ­Musterwechsel glaubwürdig mitzunehmen.
men zeitgemäß ihren eigenen unternehmerischen
Stempel aufzuprägen in der Lage ist.                          Ganz und gar unvermeidlich wird solch ein Mus-
                                                           terwechsel, wenn bei einem Generationsübergang
      Die Fortsetzbarkeit der geschichtlich gewachse-      an der Unternehmensspitze ausschließlich familien­
nen Führungspraxis ist heutzutage im Generations-          fremde Verantwortungsträger und Verantwortungs-
wechsel keineswegs als selbstverständlich zu er-           trägerinnen wirksam werden. Diese Art der Umfor-
warten und unternehmerisch vielfach auch nicht             mung der Führungskonstellation an der Spitze
funktional, weil das Unternehmen für seine erfolg-         schafft eine Ausgangslage, die ein Neuerfinden
reiche Weiterentwicklung eine andere Art von               des Führens in einem bislang inhabergeführten
­Führung braucht. Diesem Erfordernis nach einem            Unternehmen unausweichlich macht – das alles
                                                           ­
 weitreichenden Wechsel steht häufig der Kon­              eingebettet in ein Redesign der gesamten Gover-
 tinuitätswunsch der Senior-Generation entgegen.           nance-Strukturen, in denen die Gesellschafter und
 Insofern hat der Generationswechsel immer dann,           Gesellschafterinnen und die Familie weiter steuern-
 wenn mit ihm auch eine Neustrukturierung der              den Einfluss wahrnehmen.
 Führungs- und Organisationsgegebenheiten ver-
 ­
 knüpft ist, gleichzeitig zwei Herausforderungen zu           In der Praxis kommt es durchaus häufig vor, dass
 stemmen: Es geht einerseits um die wirksame                die genannten Triebkräfte für die ins Auge ge­
 ­Festigung und Etablierung der nächsten Generation         fassten Veränderungen nicht isoliert auftreten, son-
  an der Unternehmensspitze und in diesem Zuge              dern in irgendeiner Variante der wechselseitigen
  andererseits auch um eine Transformation des
  ­                                                         Verzahnung, ein Umstand, der die Erfolgschancen
  ­Unternehmens, um die Führbarkeit desselben auf           tendenziell eher erhöht. Wie auch immer sich die
   die Zukunftsherausforderungen auszurichten. Diese        Ausgangssituation darstellt, die erfolgreiche Be­
   Gleichzeitigkeit ist keine leichte Übung und verlangt    wältigung solcher Transformationsprozesse stellt
   allen Beteiligten enorm viel ab.                         zweifelsohne (wann immer im Lebenszyklus genau
                                                            diese Veränderungen anstehen) eine der größten
   An sich ist der Generationswechsel für solche            Herausforderungen für familiengeführte Unterneh-
Veränderungen ein günstiges Zeitfenster. Der Über-          men dar, um die weitere Überlebensfähigkeit als
gabeprozess setzt immer einiges an Veränderungs-           ­Familienunternehmen zu sichern.
energie frei, die unvermeidlich auf korrespondieren-
de Beharrungskräfte stößt, die miteinander in eine             Im Weiteren wird noch genauer auf die Merkmale
an der Zukunft des Unternehmens orientierte Aus-            jener Führungspraxis eingegangen, die sich regel-
handlung eingebracht werden müssen. Dieses par-             mäßig rund um die Einheit von Eigentum, Führung
tout nicht zu vermeidende Spannungsfeld zwischen            und Familienoberhaupt an der Spitze solcher Unter-
Kontinuität und Erneuerung gilt es gerade dann              nehmen entwickelt. Mit dieser Beschreibung wird
konstruktiv zu nutzen, wenn mit dem Generations-            bereits deutlich, wie enorm anspruchsvoll und
wechsel ein Übergang zu postpatriarchalen Füh-              ­voraussetzungsreich die angestrebten Veränderun-
rungs- und Organisationsverhältnissen verknüpft              gen sind. Sie lassen in ganz zentralen Dimensionen
ist. Dies ist beispielsweise regelmäßig der Fall,            des Führungsgeschehens keinen Stein auf dem
wenn mehrere Geschwister gemeinsam in die Ver-             ­anderen.
antwortung für die Führung des Unternehmens
­eintreten. Sein Gelingen wird vor allem dann wahr-
 scheinlicher, wenn die beiden involvierten Gene­
 rationen ihre doch ganz unterschiedlichen Ein­

                                                                                                                   9
3 | WORIN BESTEHEN IM DETAIL DIE PRÄGENDSTEN
              MERKMALE DES FÜR FAMILIENUNTERNEHMEN
                 ­T YPISCHEN FÜHRUNGSGESCHEHENS?

     3.1 | STRATEGISCHE FÜHRUNG DURCH                       und „Herr“ der eigenen Existenz zu sein. Sie kennen
     UNTERNEHMERISCHE INTUITION                             einen erheblichen Teil der unternehmensinternen
                                                            ­
                                                            Prozesse sehr genau, sie sind durch eigene inten­
                                                            sive Befasstheit in viele Entscheidungen involviert

     D      ie strategische Ausrichtung entwickelt sich
            in Familienunternehmen (bekanntermaßen in
     ­enger Auseinandersetzung mit den Eigenheiten der
                                                            und können deshalb gut abschätzen, was in der
                                                            jeweiligen Situation intern machbar ist und was
                                                            ­
                                                            nicht.
      Unternehmerpersönlichkeit an der Spitze) natürlich
      immer eingebettet in das spezifische geschäfts­         Dieses hautnahe Dransein am Kunden wie auch
      politische Umfeld, in dem sich dieses Unternehmer-    am unternehmensinternen Geschehen sorgt für
      tum erfolgreich realisiert. Die Forschung hat sich    eine ständig mitlaufende Verfeinerung ihres Ein-
      bislang recht schwergetan, das Besondere, das         schätzungsvermögens und für eine Festigung jener
      erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer
      ­                                                     Faustregeln, mit deren Hilfe sie schnell und mit
      letztlich ausmacht, exakt zu beschreiben.             minimaler Information ein Problem identifizieren
                                                            ­
                                                            und realistische Lösungen anstoßen.
       Unternehmer und Unternehmerinnen stützen sich
     immer auf eine intime Kenntnis der mehr oder weni-          Unternehmerische Intuition fußt also auf einer
     ger verdeckten Spielregeln ihrer Branche und auf         menschlichen Begabung, die durch lange Übung zu
     ein hohes Einfühlungsvermögen hinsichtlich des-          einer außergewöhnlichen Fähigkeit geworden ist,
     sen, was Kundinnen und Kunden wirklich brauchen          die dem Akteur bzw. der Akteurin verfügbar ist,
     und angesichts der gegebenen Angebotspalette             ohne dass er oder sie diese genauer beschreiben
     am Markt letztlich oft auch vermissen. Auf dieser        und explizieren könnte. Solche einmal aufgebauten
     Grundlage können sie die etablierten Mechanismen         Fähigkeiten stehen den Betroffenen „quasi natür-
     und Spielregeln ihrer Branche unternehmerisch ge-        lich zur Verfügung und ermöglichen schnelle und
     zielt ausnutzen, gegebenenfalls auch unterlaufen,        einfache Lösungen für komplexe Probleme“.6 Die
     Lücken und günstige Gelegenheiten entdecken,           besondere Intelligenz des intuitiven Vorgehens liegt
     technologische Innovationen setzen etc. Durch          genau darin, dass Entscheider und Entscheiderin-
     eine hohe Kontaktintensität zu Schlüsselkunden,        nen, ohne viel nachzudenken und sich mit anderen
     zu ­Lieferanten, zu Mitbewerbern sorgen sie dafür,     lange auszutauschen, wissen, welche Lösung in
     dass sie permanent am Puls der Entwicklung blei-       welcher Situation vermutlich funktionieren wird.
     ben, Veränderungen frühzeitig mitbekommen und          Dies führt zu einer Grundhaltung, die von der betrof-
     sich rechtzeitig auf diese einstellen können. Das      fenen Umgebung üblicherweise als autokratisch
     daraus gewonnene unternehmerische „Gespür“             bezeichnet wird. Dass hinter diesem impliziten
     unter­mauert strategische Weichenstellungen, de-       Wissen – vielfach gerne auch als unternehmeri-
                                                            ­
     ren Treff­sicherheit und Weitblick im Umfeld solcher   sches „Bauchgefühl" bezeichnet – eine auf viel
     Persönlichkeiten regelmäßig sehr bewundert wird.       ­Erfahrung und Fleiß beruhende, unbewusste Intel­
                                                             ligenz steckt, die auch verloren gehen kann, dies
       Unternehmerinnen und Unternehmer können in            ­erschließt sich den meisten Beobachtern nicht. Im
     der Regel auf ein außergewöhnliches persönliches         Wechselspiel mit diesem unternehmerischen Fä-
     Energiepotenzial zurückgreifen, auf ein Leistungs-       higkeitspotenzial prägen sich unternehmensintern
     vermögen und eine Antriebskraft, die ihre Umge-          im Lauf der Jahre Organisations- und Führungsver-
     bung immer wieder in Erstaunen versetzt und viel         hältnisse aus, die eine kongeniale Ergänzung zum
     Bewunderung mobilisiert. Dieses Energiepotenzial         Unternehmer resp. zur Unternehmerin darstellen.
     hat viel damit zu tun, dass sie schöpferisch tätig       Mit ein Ergebnis dieses Wechselspiels ist die spe­
     werden, also etwas Bleibendes erfolgreich in die         zifische Art und Weise, wie diese unternehmer­
     Welt setzten wollen, um persönlich unabhängig            geführten Unternehmen üblicherweise wachsen.

     6
         Hierzu Gigerenzer (2008), S. 27.

10
3 | WORIN BESTEHEN IM DETAIL DIE PRÄGENDSTEN MERKMALE DES FÜR FAMILIENUNTERNEHMEN
                                                                                        TYPISCHEN FÜHRUNGSGESCHEHENS?

3.2 | WACHSTUMSSCHRITTE                                            kalkulierbare unternehmerische Risiken. Es werden
SIND KUNDENGETRIEBEN                                               ja keine kostenproduzierenden Kapazitäten aufge-
                                                                   baut, die nicht bereits weitestgehend durch Kun-
                                                                   denaufträge gedeckt sind. Kapazitätserweiternde

Ü      blicherweise sind die Bewältigungsstrategien
       von Wachstumsanforderungen in solchen Un-
ternehmen von den Erfahrungen der Pionierzeit
                                                                   Investitionen erfolgen in der Regel also reaktiv.
                                                                   Man kann davon ausgehen, dass sie sich rechnen
                                                                   werden. Dieses Muster folgt der Logik organischen
­geprägt. Hier ist man Schritt für Schritt mit den                 Wachstums, angetrieben von konkreten Auftrags-
 zunehmenden Anfragen seitens der Kunden und
 ­                                                                 chancen, die die vorhandenen Ressourcen regel­
 Kundinnen mitgewachsen. Diese setzen letztlich die                mäßig überfordern und deshalb eine Erweiterung
 entscheidenden Wachstumsimpulse. Zunehmende                       erforderlich machen.
 Aufträge, veränderte Anforderungen oder neue, mit
 den Kunden entwickelte technologische Lösungen
 erhöhen den Anspannungsgrad der vorhandenen,                      3.3 | EIN SPARSAMER UMGANG MIT
 unternehmensintern aufgebauten Kapazitäten. Ge-                   DEM ERWIRTSCHAFTETEN KAPITAL
 trieben von dem dadurch erzeugten, nicht mehr zu
 bestreitenden Anspannungsgrad wächst das Unter-
 nehmen organisch um die oft improvisierte Lösung
 der je aktuellen Kapazitätsengpässe herum. Be-
 währte Leistungsträgerinnen und Leistungsträger
                                                                  D        iesen Prinzipien folgend, kann das Wachstum
                                                                           normalerweise aus dem Cashflow heraus
                                                                   bzw. auf Basis bereits thesaurierter Gewinne sicher
 bekommen dann neue Aufgaben hinzu. Jüngere                        finanziert werden. Mit dieser Praxis kommt ein
 Potenzialträger werden in komplexere Aufgaben­                    wichtiger Grundsatz zum Ausdruck, wie familien­
 felder nachgezogen, sodass das periodische Ando-                  geführte Unternehmen üblicherweise ihre Finanzie-
 cken von (überwiegend) Berufseinsteigerinnen und                  rungsherausforderungen lösen: Sie sorgen in der
 Berufseinsteigern, die im eigenen Betrieb ausge­                  Regel für eine hohe Eigenkapitalquote, indem sie
 bildet wurden, im Wesentlichen ausreicht. Das                     den größeren Teil der erwirtschafteten Erträge im
 ­Rekrutieren von bereits hochqualifizierten Querein-              Unternehmen belassen und reinvestieren. Man will,
  steigern wird so vermieden. Organisatorisch wer-                 soweit es geht, die Abhängigkeit von fremden Kapi-
  den diese auftragsgetriebenen Wachstumsanfor­                    talgebern vermeiden und Herr im eigenen Haus
  derungen durch interne Zellteilung bewältigt. Um                 ­bleiben. Dieser Präferenz für eine Finanzierung aus
  vertraute, erfahrene Leistungsträger und Leistungs-               der eigenen Finanzkraft heraus lässt sich in beson-
  trägerinnen herum entstehen so die erforderlichen                 ders kapitalintensiven Branchen natürlich nur sehr
  neuen Einheiten, die ihrerseits in einem pionier­                 schwer folgen. Hier braucht es gemeinsam mit
  haften Engagement mit hohem persönlichem Ein-                     sorgfältig ausgewählten externen Finanzierungs-
  satz das Leistungsvermögen des Unternehmens                       partnern klug durchdachte Lösungen, die die eigene
  insgesamt erweitern.                                              unternehmerische Souveränität nicht unangemes-
                                                                    sen einschränken. Letztlich geht es bei dieser
  In diesem Wachstumsmuster steckt eine hohe                        Suche nach geeigneten Finanzierungslösungen
Erfolgswahrscheinlichkeit. Es fußt auf der Nutzung                  immer darum, sorgfältig darauf zu achten, nur
                                                                    ­
und Weiterentwicklung der bislang schon aufge-                      jene Risiken einzugehen, die die unternehmerische
bauten Kernkompetenzen. In der Regel wird Neues                     ­Autonomie und Unabhängigkeit des Unternehmens
aus der Reichweite dessen, was man bereits be-                       bzw. der Eigentümerfamilie auch dann nicht ge­
herrscht, aufgegriffen und konsequent in die Tat                     fährden, wenn sie eintreten. Diese vorsichtigen
umgesetzt. Das Unternehmen wächst so in einer                        ­Finanzierungsmuster können unter Umständen den
gesunden Verknüpfung von Innovation und Tradition.                    Verzicht auf die eine oder andere zusätzliche
Dieses Wachstumsmuster vermeidet außerdem un-                         Wachstumschance implizieren.7

7
    Vgl. dazu auch Berthold (2010).

                                                                                                                          11
3 | WORIN BESTEHEN IM DETAIL DIE PRÄGENDSTEN MERKMALE DES FÜR FAMILIENUNTERNEHMEN
 TYPISCHEN FÜHRUNGSGESCHEHENS?

        Mit diesen charakteristischen Umgangsformen         Eigentümerinteressen und Kontinuitätshoffnungen
     mit Finanzfragen, die allesamt auf eine möglichst      der Familie bzw. der Familiengesellschafter.
     sparsame Handhabung knapper Ressourcen hinaus-
     laufen, ist bei den Verantwortlichen an der Spitze         Diese außergewöhnlich starke Autoritätsaufla-
     regelmäßig auch die Neigung verbunden, möglichst       dung an der Spitze (wenn diese verloren geht, steht
     wenigen im Unternehmen und in der Familie genau-       jedes Familienunternehmen ohnehin immer vor ganz
     ere Einblicke in die jeweils aktuellen wirtschaft­     großen Problemen) erzeugt unweigerlich komple­
     lichen Gegebenheiten der Firma zu gewähren. Das        mentäre Verhältnisse auf den Ebenen darunter. Die-
     Wissen um diese Gegebenheiten zählt zur exklusi-       ses charakteristische unternehmensinterne Koope-
     ven Informationsbasis, mit der Inhaber die unter-      rationsumfeld der Spitze ermöglicht in der Regel
     nehmerische Seite der Firma steuern. Mit dem           genau jene hohe Flexibilität und außergewöhnliche
     Schutz dieser Exklusivität soll vermieden werden,      Geschwindigkeit in der Leistungserbringung, die
     dass bei wichtigen Stakeholderinnen und Stake­         den schwer kopierbaren Wettbewerbsvorteil vieler
     holdern (im Unternehmen, in der Familie, bei Kun-      „Hidden Champions“ ausmachen. Das unmittelbare
     den und Lieferanten) unangemessene Begehrlich-         Kooperationsumfeld des Unternehmers oder der
     keiten und Forderungshaltungen entstehen. Eine         Unternehmerin wird ab einer bestimmten Größen-
     unvermeidliche Nebenwirkung dieses Umgangs mit         ordnung zumeist von einer Handvoll enger, lang
     dem Wissen um den wirtschaftlichen Zustand des         ­gedienter Weggefährten und Weggefährtinnen ge-
     Unternehmens ist der Umstand, dass die Control-         bildet. Soweit dies formell überhaupt ausgewiesen
     ling-Funktionen zumeist auffällig unterentwickelt       ist, bilden diese mit der Spitze gemeinsam de
     bleiben. Ab einem bestimmten Komplexitätsgrad der       facto den engsten Führungskreis, der das operative
     wirtschaftlichen Aktivitäten der Firma kann die­se      Geschehen im Unternehmen managt. Dieser engste
     ­Intransparenz allerdings sehr gefährlich ­werden.      Kreis an Mitstreitern und Mitstreiterinnen ist mit
                                                             dem Unternehmen und seinem Erfolg in hohem
                                                             Maße identifiziert und hat dies in der Vergangenheit
     3.4 | EINE FRAGLOS AKZEPTIERTE                          in vielen schwierigen Situationen nachhaltig unter
     AUTORITÄT UND FÜHRUNG DURCH                             Beweis gestellt.
     MEHRDEUTIGKEIT
                                                                 Es sind dies alles pragmatische Generalisten und
                                                            Umsetzer, die von vielen Themenfeldern im Unter-

     D    as für Familienunternehmen vielfach typische
          Führungsgeschehen weist im alltäglichen Mit-
     einander eine Reihe recht subtiler Merkmale auf. An
                                                            nehmen eine Ahnung haben, weil sie mit den zuneh-
                                                            menden Anforderungen selbst mitgewachsen sind.
                                                            Sie denken in ihren Lösungen möglichst gesamt-
     der Spitze gibt es im Normalfall ganz klare Verhält-   haft, sie haben dabei einen guten Blick für das
     nisse. Dort sind alle relevanten Autoritätserwartun-   ­Naheliegende, für das, was aktuell gerade ansteht.
     gen von außen wie von innen gebündelt. Sie ist im       Sie sind zupackend aus eigenem Antrieb, sie brau-
     Zweifel bei allen Entscheidungen immer die letzte       chen für ihr Tätigwerden keine Anweisungen von
     Instanz und kann davon ausgehen, dass all ihre Ent-     oben. Sie stehen stets in einem engen persönlichen
     scheidungen fraglos Geltung gewinnen und nicht          Kontakt mit der Unternehmensspitze und loten hier
     weiter hinterfragt werden. Das ist im eigentlichen      aus, in welche Richtung dort gerade gedacht wird.
     Wortsinn mit Autorität gemeint. Der Rest des Unter-     Um selbst aktiv zu werden, genügen oft Andeutun-
     nehmens kann darauf vertrauen, dass die relevan-        gen des Unternehmers, seine Leute sind darauf
     ten Aufgaben der Unternehmensführung an der             ­trainiert, „zwischen den Zeilen zu lesen“. Sie gehen
     Spitze im Sinne eines langfristig orientierten Fort-     dann eigenständig auf die Suche nach Lösungen,
     bestandes der Firma wahrgenommen werden und              stets im vermuteten Interesse der Spitze. Dafür
     dort auch gut aufgehoben sind. Hier an der Unter-        braucht es keinen großen Kommunikationsauf-
     nehmensspitze vereinigen sich ja die Existenz­           wand. Man unterstellt wechselseitiges Verstehen
     sicherungserwartungen der Belegschaft mit den            und kann deshalb in der Regel auf formelle Bespre-

12
3 | WORIN BESTEHEN IM DETAIL DIE PRÄGENDSTEN MERKMALE DES FÜR FAMILIENUNTERNEHMEN
                                                                          TYPISCHEN FÜHRUNGSGESCHEHENS?

chungsroutinen und umfangreiche Abstimmungs-                Der Unternehmer oder die Unternehmerin führt
foren verzichten. Um in der Kooperation untereinan-     so letztlich über eine Vielzahl ganz persönlicher
der, auf gleicher Ebene, Entscheidungen abzusichern     Kontakte ins Unternehmen hinein, die stets anlass-
und zu begründen, genügt der Verweis auf den            bezogen aus dem konkreten Arbeitsgeschehen
Willen der Spitze. Die Berufung auf das, was „oben“     heraus, zumeist unter vier Augen oder im ganz klei-
gewollt wird, versorgt jeden in seinem Handeln mit      nen Kreis, zustande kommen. In diesen Kontakten
ausreichender Autorität, d. h., sie erhöht die Akzep-   entsteht und erneuert sich das Wissen der Beteilig-
tanzwahrscheinlichkeit in der wechselseitigen Ab-       ten um den je eigenen Platz im Unternehmen. Auf
stimmung und Koordination. Treten trotzdem ernst-       diesem Wege entscheidet sich letztlich auch die
hafte Meinungsverschiedenheiten und Konflikte           ­Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zum enge-
untereinander auf, so sind selten klare Entschei­        ren Führungskreis um die Unternehmensspitze
dungen und Vorgaben von oben zu erwarten. Die            ­herum, obwohl die Grenzen hier selten allzu scharf
Spitze vermeidet normalerweise eine konkrete              gezogen werden.
Partei­nahme und erwartet, dass die Betroffenen
ihre ­Differenzen schon irgendwie miteinander klären.     Die Mitglieder dieses Kreises an bewährten Weg-
                                                        gefährten und Weggefährtinnen des Unternehmers
   Dieses Führungsmuster, das in diesem inneren         oder der Unternehmerin stützen sich ihrerseits auf
Kreis nach Möglichkeit eindeutige Festlegungen          ein festes Netzwerk an persönlich vertrauten Mit-
und klare Anweisungen von oben vermeidet, er-           arbeiterinnen und Mitarbeitern. In diesem Netz wie-
weist sich bei näherem Hinsehen in hohem Maße           derholt sich im Grunde genommen das Führungs-
als funktional. Es stimuliert die Eigeninitiative der   geschehen, wie es an der Spitze vorgelebt wird,
Akteure. Sie legen selbst fest, was konkret zu tun      vielleicht nuanciert um die persönlichen Eigenhei-
ist, und übernehmen dafür die Verantwortung. Ihr        ten der jeweiligen Zentralfiguren in den einzelnen
persönlicher Einsatz, ihr permanentes Mitdenken         Unternehmensbereichen.
für das Voranbringen des Unternehmens ist ge-
fragt. Dies schafft eine dauerhafte Motivation, den        Was in solchen Unternehmen die erstaunliche
Intentionen der Spitze ohne Zögern zum Durch-           ­ oordinationsleistung, Geschwindigkeit und Flexibili­
                                                        K
bruch zu verhelfen. Geht mal etwas schief, so           tät im internen Zusammenspiel sicherstellt, solange
muss derjenige dafür geradestehen, der die Initia­      sie mit einer dosierten Geschwindigkeit organisch
tive vorangetrieben hat. Der Unternehmer bzw. die       wachsen, ist eine bestimmte Form der Wissens­
Unternehmerin kann so im Nachhinein immer sagen,        aneignung. Sie folgt im Wesentlichen dem Prinzip
dass die Entscheidung in der getroffenen Form           der Imitation. Man lernt von anderen, indem man
nicht seinen/­ihren eigentlichen Intentionen entspro-   sich erfolgreiche Praktiken abschaut und diese in
chen hat. Das Prinzip der Mehrdeutigkeit schützt die    die eigenen Routinen integriert. Unausgesprochen
Spitze normalerweise davor, Fehlentscheidungen          steht die Erwartung im Raum, dass jede und jeder
sich selbst zurechnen zu müssen. Sie lernt an den       gut daran tut, sich an den Erfolgsmustern lang­
konkreten Auswirkungen der Entscheidungen des           gedienter Leistungsträger und Leistungsträgerin-
engeren Führungskreises gleichsam indirekt selbst       nen im Unternehmen zu orientieren. Auf diesem
mit und schärft so ihre eigene Intuition für das        Wege werden gleichzeitig konkretes Problemlö­
Machbare, ohne dass dieses Mitlernen vom Umfeld         sungswissen wie auch die zentralen Elemente der
als solches beobachtbar wäre. Das Bild von der          Unternehmenskultur weitergegeben und laufend
­großen Treffsicherheit und der strategischen Weit-     ­erneuert. Wie schon erwähnt, sind dies eine hohe
 sicht des Unternehmers bleibt auf diesem Wege           Eigeninitiative, eine durchgängige Verantwortungs-
 unan­getastet, weil das Risiko des „Scheiterns“ von     übernahme für das Unternehmen (niemand kann
 anderen im Unternehmen übernommen wird. Ihnen           sich darauf berufen, nicht zuständig zu sein), eine
 wird das Fehlermachen auch zugestanden, insofern        pragmatische Orientierung am bereits Bewährten,
 sie daraus für die Zukunft lernen und unaufgefor-       eine gewisse Risikobereitschaft und der Verzicht
 dert die richtigen Konsequenzen ziehen.                 auf die Flucht in Ausreden, wenn etwas schiefge-

                                                                                                                 13
3 | WORIN BESTEHEN IM DETAIL DIE PRÄGENDSTEN MERKMALE DES FÜR FAMILIENUNTERNEHMEN
 TYPISCHEN FÜHRUNGSGESCHEHENS?

     gangen ist, sowie, ohne viel zu reden, die Bereit-      Orientierung und wechselseitige Erwartungssicher-
     schaft, Lernkonsequenzen daraus zu ziehen. Wer          heit vor allem durch die genaue Kenntnis der han-
     das nicht tut, zeigt, dass er oder sie nicht zum        delnden Personen und des Beziehungsnetzes, in
     ­Unternehmen passt. Nachahmung als dominantes           das sie eingebunden sind. Diese Form, Orientierung
      Lernmuster sorgt für die Weitergabe bewährter          zu gewinnen, verlangt persönliches Eintauchen.
      Routinen, es impliziert aber auch die Veränderung      Erst durch dieses Mittun und das Produzieren von
      in homöopathischen Dosen, weil in einer solchen        „Fehlern" entsteht Schritt für Schritt Vertrautheit mit
      Umgebung jemand auf Dauer nur erfolgreich sein         den eingespielten Abläufen und Prozessen, die sich
      kann, wenn diese Form des Lernens dazu genutzt         irgendwann um die persönlichen Vorlieben von
      wird, seinen ganz eigenen Weg zu finden. In dieser     wichtigen Leistungsträgerinnen und Leistungsträ-
      Tradition der Wissensweitergabe werden offiziell       gern herum entwickelt haben und zumeist nicht
      eingerichtete Weiterbildungsprogramme nur ganz         mehr hinterfragt werden, solange man damit erfolg-
      selten benötigt.                                       reich zurechtkommt, auch wenn diese Leistungsträ-
                                                             ger längst nicht mehr im Unternehmen sein sollten.
     In von der Größe her noch halbwegs überschau­
     baren, inhabergeführten Familienunternehmen ist            Fast immer sorgt in solchen Unternehmen eine
     Führung deshalb normalerweise kein sichtbares,           geringe Fluktuation für hohe Kontinuität im Zu­
     explizit so benanntes Geschehen. Es „führt“, wenn        sammenwirken der relevanten Personen. Zwischen
     man so will, das gemeinsame Anliegen, rasch zu           ihnen entsteht so im alltäglichen Tun ganz selbst-
     tragfähigen Lösungen für die gerade anstehenden          verständlich ein geteiltes Wissen um das, was für
     Aufgaben und Problemstellungen zukommen. Die-           den Erfolg jeweils ausschlaggebend ist. Dieses vor-
     sem Anliegen fühlen sich alle verpflichtet. Führung     wiegend implizite Wissen fußt letztlich auf einem
     geschieht in diesem Sinne letztlich implizit, durch     über lange Zeiträume hinweg gewachsenen Ver-
     die kulturell fest verankerten Regeln und wechsel-      trauen in die Akteurinnen und Akteure und deren
     seitigen Erwartungen, sie geschieht durch Selbst-       persönliche Kompetenz. Um sie herum ist die Orga-
     führung jedes Einzelnen im Sinne der erschließ­         nisation gebaut und sie entwickelt sich durch
     baren Intentionen des/der jeweiligen Vorgesetzten       ­personelle Veränderungen und wachstumsbeding-
     und der Unternehmensspitze. Führung realisiert sich      te Zellteilungen weiter.
     letztlich aber auch über die tief verankerten wech-
     selseitigen Loyalitätsverpflichtungen, die in den           Untermauert und getragen werden diese von
     aufgebauten zwischenmenschlichen Beziehungen            ­ ußen nur schwer durchschaubaren Koordinations-
                                                             a
     und der damit verbundenen persönlichen Vertrau-         mechanismen durch einen extrem familialen, per-
     ensbasis stecken und für Glaubwürdigkeit sorgen.        sönlich getönten Kommunikationsstil. In solchen
                                                             Unternehmen kennt man den Unterschied zwischen
                                                             formeller und informeller Kommunikation gar nicht.
     3.5 | KENNTNIS DER BEZIEHUNGS­                          Jeder hat zu jedem direkten Zugang, wenn es aus
     NETZE VERRINGERT DEN                                    der Arbeit heraus erforderlich ist. Es gibt keine
     KOMMUNIKATIONS­­AUFWAND                                 ­formellen Barrieren und hierarchischen Schranken.
                                                              Die eingefleischte Präferenz für mündliche Verstän-
                                                              digung, basierend auf hoher persönlicher Verläss­

     J    eder und jede, der/die neu in ein Familienunter-
          nehmen kommt, staunt, wie das Ganze mit so
     wenig aufgeschriebenen Regeln und formal fest­
                                                              lichkeit und einer Handschlagqualität in den Abma-
                                                              chungen, sichert enorm kurze Entscheidungswege.
                                                              Im Prinzip geht Schnelligkeit im Tun vor langwierige
     gelegten Strukturen funktionieren kann. Erstaunli-       interne Abstimmungs- und Absicherungsschleifen.
     cherweise sind diese Firmen auf eine ganz andere         Mit Kommunikationszeit wird in Familienunter­
     Weise erfolgreich, als sich dies betriebswirtschaft-     nehmen extrem sparsam umgegangen. Wo immer
     lich geschulte Beobachterinnen und Beobachter            es geht, läuft wechselseitige Verständigung neben
     vorstellen. In solchen Unternehmen gewinnt man           der Arbeit einfach so mit. Zusammensitzen und

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3 | WORIN BESTEHEN IM DETAIL DIE PRÄGENDSTEN MERKMALE DES FÜR FAMILIENUNTERNEHMEN
                                                                           TYPISCHEN FÜHRUNGSGESCHEHENS?

Miteinanderreden in aufwendigen Besprechungen,           Positionierung natürlich auch die vermutete oder
regelmäßigen Meetings etc. gilt als Zeitverschwen-       tatsächliche Nähe und Akzeptanz seitens des
dung. Fest etablierte Settings der Regelkommuni-         ­Unternehmers oder der Unternehmerin und seiner/
kation sind deshalb eher selten anzutreffen. Diese        ihrer Familie eine große Rolle. Der einzelne Mit­
auffällige Verknappung des Kommunikationsauf-             arbeiter und die einzelne Mitarbeiterin besitzt in
wandes funktioniert aber nur, weil sie auf einer inti-    ­solchen, reichlich „diffusen" Organisationsverhält-
men wechselseitigen Vertrautheit der handelnden            nissen immer einen großen Gestaltungsspielraum,
Personen beruht. Diese Art von Vertrautheit hat            wenn er/sie ihn denn zu nutzen weiß, d. h., wenn er/
wiederum eine gewisse Überschaubarkeit in der
­                                                          sie sieht, was gerade ansteht, und wenn er/sie
Größe und Komplexität des Unternehmens zur                 ­entsprechend eigenverantwortlich zupackt. Ihn/sie
­Voraussetzung.                                             hindern dabei keine eifersüchtig bewachten Be-
                                                            reichsgrenzen und formellen Zuständigkeitsregeln.
  Familienunternehmen weisen vielfach keine for-            Familienunternehmen kennen in diesem Sinne ganz
mellen Rangunterschiede und hierarchischen Kom-             charakteristische Karrierepfade ihrer Leistungs­
petenzzuordnungen unterhalb der Firmenspitze                träger und Leistungsträgerinnen, fernab der hierar-
aus. In diesem Sinne verzichten sie gerne auf               chischen Rangstufen und formellen, hierarchischen
schriftlich ausdifferenzierte Organigramme. Der             Über- und Unterordnungen, wie sie aus anderen
Einzelne gewinnt seine Achtung durch die Kontinui-          Unternehmen bekannt sind. Die eigene Karriereent-
tät seiner Leistung, durch sein sichtbares Engage-          wicklung ist an dem kontinuierlich wachsenden
ment fürs Unternehmen und die ihm anvertrauten              Verantwortungsbereich abzulesen, am zunehmen-
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. All das zusam-            den Gewicht im internen Kooperationsnetzwerk und
men lässt den Respekt und das persönliche Geach-            natürlich auch an der besonderen Wertschätzung,
tetsein im jeweiligen Beziehungsnetz wachsen.               die einem durch den Inhaber oder die Inhaberin ent-
Letztlich spielen für diese unternehmensinterne             gegengebracht wird.

                                                                                                                  15
4 | SCHLÜSSELSTELLEN IN DER TRANSFORMATION
                 DER ANGESTAMMTEN FÜHRUNGS-
                UND ORGANISATIONSVERHÄLTNISSE

     F      ür die Erlebniswelt von inhabergeführten Fami­
            lienunternehmen ist das Aufrechterhalten ihrer
       angestammten Führungs- und Organisationsver-
                                                               Gleichzeitig braucht es die unmissverständliche
                                                             Botschaft, dass es unternehmensintern in wesentli-
                                                             chen Dimensionen des Miteinanders weitreichender
       hältnisse gleichbedeutend mit dem, was diesen         Veränderungen bedarf, um die künftige Leistungs­
       Unternehmenstypus in seiner Substanz letztlich        fähigkeit des Unternehmens zu sichern. Diese Ver-
       ausmacht. Deshalb sind ernsthafte Bemühungen          änderungsnotwendigkeiten resultieren in der Regel
       um Veränderung dieser Verhältnisse bei allen Betei-   nicht aus Versäumnissen der Vergangenheit, son-
       ligten unweigerlich mit großen Befürchtungen ver-     dern sie spiegeln das Erfordernis wider, den geänder-
       bunden, den Wesenskern als Familienunternehmen        ten Anforderungen an das bisherige Wachstum aus
       zu opfern und Entwicklungen in Gang zu setzen,        neuen Marktgegebenheiten, aus strate­gischen Wei-
      die den Unterschied zu Nicht-Familienunternehmen       chenstellungen etc. gerecht werden zu wollen. Im
      verschwinden lassen. Diese weitreichenden Ver-         Wesentlichen berühren diese Veränderungsnotwen-
      lustängste, die nicht nur bei den Beschäftigten        digkeiten drei miteinander eng verzahnte Schlüssel-
      ­losgetreten werden, sondern auch bei den Entschei-    bereiche des Unternehmensgeschehens:
       dungsträgern und Entscheidungsträgerinnen sowie
       im Gesellschafterkreis virulent sind, muss man sich   1.		die Art und Weise, wie die unternehmerische
       vor Augen halten, wenn man sich in Richtung einer         Führungsverantwortung auf mehrere Schultern
       postpatriarchalen Welt auf den Weg macht. Die             verteilt und wie das Zusammenspiel derselben
       Wirkmächtigkeit der tradierten Formen des Mit­            organisiert wird, um die einzelnen Verantwor-
       einanders, die jedem und jeder in dieser familial         tungsbereiche mit den erforderlichen Entschei-
     ­geprägten Gemeinschaft einen sicheren Platz ver-           dungen zu versorgen,
      leihen, ist nicht zu unterschätzen. Veränderungen
      in diesen identitätsstiftenden Kernbereichen des       2.		die funktionale Logik, nach der der Organisations-
      Unternehmens setzen ungeahnte Kräfte frei, die um          aufbau und die wesentlichen Arbeitsprozesse
      den Erhalt des Status quo kämpfen, und dies umso           strukturiert werden,
      heftiger, je mehr das Unternehmen auf eine lange
      Erfolgsgeschichte zurückblicken kann.                  3.		und schließlich die explizite Strukturierung des
                                                                 internen Kommunikationsgeschehens, das die
        Wegen dieser keineswegs einfachen Ausgangs-              wirksame Wahrnehmung der neuen Art von Füh-
     lage ist es von entscheidender Bedeutung, dass die          rung erst ermöglicht und die erforderliche Koor-
     Verantwortlichen viel in die Erwartungssicherheit           dination und Abstimmung möglichst reibungslos
     aller Beteiligten investieren, dass es bei dem in           sicherstellt.
     Gang gesetzten Entwicklungsprozess nicht darum
     geht, die Eigenart des Unternehmens als Familien-            Da die Umgestaltung einer jeden Dimension hef­
     unternehmen, seine besondere Kultur, Flexibilität       tige Lernzumutungen für alle Beteiligten, angefan-
     und Geschwindigkeit über Bord zu werfen und             gen von der Unternehmensspitze bis hin zu den
     sich strukturell an große Konzerne anzupassen.          ­Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen am Band, bereit-
     Für diese Art von Sicherheit können letztlich nur die    hält, ist es ratsam, diesen Veränderungsprozess
     anerkannten Autoritätsfiguren aus dem Eigentümer-        nicht einfach nur so geschehen zu lassen, sondern
     kreis und der Unternehmerfamilie auf eine glaub-         als gesamthafte Transformation zu konzipieren
     würdige Weise sorgen. An all dem, was diese Funk-        und als in sich stimmiges Unternehmensentwick-
     tionsträger und Funktionsträgerinnen in diesen           lungsvorhaben auch gezielt über einen längeren
     Prozessen zeigen und vorleben, wird der Rest der         Zeitraum umzusetzen. Dafür bietet es sich an,
     Organisation ablesen, wie weitreichend bei allem         ­re­lativ zeitnah aufeinander bezogen an mehreren
     Wandel der Charakter als Familienunternehmen              Schlüsselstellen der Unternehmensführung gleich-
     ­erhalten werden soll.                                    zeitig einen Musterwechsel in Gang zu setzen.

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