PR0GRAMMZEITUNG Das Kulturmagazin für den Raum Basel - Stimmungsvolles Cello-Festival Europa-Erkundungen am Theaterfestival Basel Feminismus ...
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PR0GRAMMZEITUNG Das Kulturmagazin für den Raum Basel Juli + August 2006 Stimmungsvolles Cello-Festival Nr. 209 | 19. Jahrgang | CHF 6.90 | Euro 5 | Abo CHF 69 Europa-Erkundungen am Theaterfestival Basel Feminismus, Kampf und Kunst
sommer 1 0. 8. – 1 7. 9. 2 0 0 6 moderne 1 heinz holliger, Englischhorn und Leitung Samstag, 19. August silvia nopper, Sopran / kai wessel, Countertenor Lukaskirche felix renggli, Flöte / sabine gertschen, elmar 11.00 Uhr schmid Klarinette / olivier darbellay, Horn The House of Sand jürg dähler, Viola, Violine / daniel haefliger, Violoncello / matthias würsch, Schlagzeug, Cimbalum / ursula holliger, Harfe FRAUEN Werke von Anton Webern, György Kurtág, Heinz Holliger (UA), Harrison Birtwistle, Vinko Globokar IM KINO moderne 2 les jeunes solistes / rachid safir, Leitung Samstag, 26. August Josquin des Préz: «Miserere mei, Deus» Lukaskirche Carlo Gesualdo: Responsoria 11.00 Uhr Klaus Huber: «Miserere Hominibus …» (UA) moderne 3 ensemble intercontemporain THE HOUSE OF SAND Sonntag, 27. August susanna mälkki, Leitung Luzerner Saal, kkl Luzern luisa castellani, Mezzosopran von Andrucha Waddington, Brasilien, ab 20. Juli 20.00 Uhr Matthias Pintscher: Study II for «Treatise on Drei Frauen, die Wüste und ewig die Liebe the Veil» (Uraufführung), «tenebrae» Luciano Berio: O King, Sequenza III, Calmo GRBAVICA Franco Donatoni: Spiri von Jasmila Žbanic´, Bosnien, ab 24. August moderne 4 festival strings lucerne Sonntag, 10. September achim fiedler, Leitung / robert koller, Bariton Esmas Geheimnis, Goldener Bär Berlin 2006 Luzerner Saal, kkl Luzern walter grimmer, Violoncello 11.00 Uhr Wolfgang Amadé Mozart: Serenata notturna MADEIN USA D-Dur KV 239 Hans Ulrich Lehmann: «Nachts ist der Himmel von Claudia Llosa, Peru, ab 21. September näher als am Tag» Tochter der Anden Beat Furrer: Neues Werk (Uraufführung) Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 60 C-Dur Hob. I:60 DUNIA «Il distratto» von Jocelyne Saab, Ägypten, ab 16. November moderne 6 vokalisten und ensemble der lucerne Dienstag, 12. September festival academy / daniel reuss, Leitung Dunias befreiender Tanz Luzerner Saal, kkl Luzern Arnold Schönberg: Psalm 130 op. 50b «de profundis» 20.00 Uhr Luigi Nono: Sarà dolce tacere György Ligeti: Drei Fantasien nach Hölderlin Sofia Gubaidulina: Jetzt immer Schnee moderne 7 ensembles der lucerne festival academy Die erste Adresse für herausragende Mittwoch, 13. September pierre boulez, Leitung Filme und DVDs aus Süd und Ost Luzerner Saal, kkl Luzern 20.00 Uhr Luigi Dallapiccola: Piccola musica notturna Luciano Berio: Corale (Sequenza VIII), Chemins II www.trigon-film.org Luigi Nono: Canti per 13 Ruben Sverre Gjertsen: Circles (Uraufführung) Arnold Schönberg: Serenade op. 24 moderne 8 lucerne festival academy orchestra and Donnerstag, 14. September vocalists / pierre boulez, Leitung Konzertsaal, kkl Luzern luisa castellani, Mezzosopran 19.30 Uhr Arnold Schönberg: Kammersinfonie Nr. 2 op. 38 Anton Webern: Entflieht auf leichten Kähnen op. 2 und op. 2b, Das Augenlicht op. 26 Pierre Boulez: cummings ist der dichter Matthias Pintscher: Monumento V Luciano Berio: Calmo moderne 9 neue vocalsolisten stuttgart Samstag, 16. September ensemble ascolto Luzerner Saal, kkl Luzern Michel Roth: Die auf dich zurückgreifende Zeit 11.00 Uhr Misha Käser: Präludien 1. Buch (Nr. 1–8) Annette Schmucki: arbeiten/verlieren. die Stimmen www.lucernefestival.ch t +41 (0)41 226 44 80 f +41 (0)41 226 44 85 Grbavica
HAUSKULTUR BAUSTELLE GLEICHSTELLUNG Personalia Editorial Mitte Juni wurde es hochoffiziell verkündet, Es war ein schöner Zufall, dass am 14. Juni erneut eine Frau in den Bundesrat gewählt welchen Posten unser Verlagsleiter Klaus Egli wurde. Auch wenn man Doris Leuthards politische Einstellung (z.B. zum Asylgesetz) Anfang August übernehmen wird: Er wird nicht teilt, kann man sich darüber freuen, dass Frauen in der Politik zunehmend wich- Direktor der ABG (Allgemeine Bibliotheken tige Positionen besetzen. Immerhin hat das Jahr 2006 mehrfach gleichstellungspoliti- der GGG). Anlässlich unserer bald zwanzig- sche Bedeutung: Seit 35 Jahren (erst!) gilt das Allgemeine Stimm- und Wahlrecht, vor jährigen Firmengeschichte – Ende August 25 Jahren wurde der Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung verankert, vor 15 feiert die ProgrammZeitung ihren 19. Ge- Jahren – am 14. Juni eben! – protestierten am ersten nationalen Frauenstreiktag eine burtstag! – sollte man die Karrieren unserer Verlagsleiter mal genauer unter die Lupe neh- halbe Million Teilnehmende gegen die anhaltende Missachtung dieses Grundsatzes, men; die Erfahrungen bei uns scheinen sie für und am 1. Juli vor 10 Jahren trat das Gleichstellungsgesetz in Kraft. Doch selbst damit hohe Ämter zu prädestinieren. Das ist auch ist die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern, etwa im Erwerbsleben, kein Wunder, muss der bzw. die Betreffende noch lange nicht erreicht; immer noch verdienen Frauen im Schnitt 20 Prozent weni- doch beinahe alles können. Klaus Egli jeden- ger als Männer. Zwar hat sich das Gesetz in der Praxis bewährt, etwa bei Lohndiskrimi- falls hat die mannigfaltigen Anforderungen nierungen, verhinderter Beförderung wegen Schwangerschaft, sexueller Belästigung bestens gemeistert, wofür wir ihm herzlich und Rachekündigung, doch ist die Anzahl Klagen geringer als angenommen. Sind die danken! Als versierte Stütze des Betriebs las- Frauen vielleicht gar nicht so unzufrieden? Das wäre ein Trugschluss, wie u.a. Unter- sen wir ihn ungern ziehen, aber mit den besten suchungen des Bundesamtes für Justiz zeigen. Jedoch müssen die Betroffenen ihre Wünschen für seine anspruchsvolle Zukunft. Rechte selber durchsetzen, was viele überfordert. Sie wollen nicht unangenehm auf- Seine Nachfolge ist zwar noch nicht restlos fi- fallen, halten den Druck nicht aus, bangen – oft sehr berechtigt – um ihre Stellen. Sich xiert, aber auf sehr gutem Weg; mehr dazu im nächsten Heft. zu wehren, braucht Mut! Deshalb haben die Gleichstellungsbüros der beiden Basel Abschied zu nehmen gilt es auch von zwei und die grossen Frauenorganisationen der Region eine breit angelegte Kampagne lan- langjährigen Mitgliedern unseres Verwal- ciert. Mit Plakaten und Postkarten in Trams und Bussen, einem Leporello zum Gleich- tungsrates: Yvonne Meier und Beatrice Oeri. stellungsgesetz mit konkreten Beratungsmöglichkeiten sowie dem aktualisierten Zuverlässig und entschieden, grosszügig und kantonalen Gender-Report ‹Zahlen? Bitte.› bieten sie Facts und Hintergründe zum aufmerksam haben sie den Betrieb mitgestal- Stand der (Un-)Gleichstellung. Eine Lektüre, die sich lohnt und die zu denken gibt. tet und eine geraume Weile als Kopräsiden- Weil es z.B. trotz Fortschritten (höhere Frauenanteile an der Uni und im Parlament, tinnen gewirkt. Ihr Engagement, ihr Witz und mehr erwerbstätige Mütter) bei der Studienwahl nach wie vor grosse geschlechter- ihre Hellhörigkeit werden uns fehlen. Wir typische Unterschiede gibt und Frauen im Kader oder partnerschaftliche Haus- und danken für die reichen gemeinsamen Jahre Erwerbsarbeit immer noch die Ausnahme sind. und wünschen ihnen bei ihren vielfältigen Dass Kultur auf dem Weg zur Gleichstellung von Frau und Mann eine wichtige Rolle Aufgaben Erfüllung und Erfolg. Als Nach- rückende heissen wir die Baselbieter Gleich- spielt, besonders die Kultur für Kinder, weiss auch das Eidgenössische Gleich- stellungsbeauftragte Sabine Kubli und den stellungsbüro. Seit 1991 verleiht es jährlich den Kinder- und Jugendmedienpreis ‹Die Mitinhaber von Schwabe AG Druck und Ver- Rote Zora› – aus Sparmassnahmen des Bundes heuer freilich zum letzten Mal. Die mit lag, Hans-Rudolf Bienz, herzlich willkommen 10 000 Franken dotierte Auszeichnung ging soeben an den Basler Kinderbuchfonds im Team! Baobab und seine langjährige Leiterin Helene Schär. Die von Entwicklungsorgani- Eher im Hintergrund, aber unentbehrlich, war sationen getragene Initiative fördert und gibt seit über zwanzig Jahren Bücher für Karin Müller für uns tätig, die während vielen Kinder und Jugendliche heraus, die andere Lebenswelten als gleichwertig darstellen. Jahren jede Ausgabe korrekturlas. Auch ihr Wer noch Ferienlektüre für Kinder sucht, findet hier sinnvolle Anregungen. danken wir für die sorgfältige und kompetente Last but not least befasst sich auch die kommende Ausstellung ‹Cooling Out› im Begleitung. Kunsthaus Baselland mit Geschlechterfragen, Feminismus und Kunst. Rund 20 Nicht ungern erinnern wir daran, dass diese Kunstschaffende aus dem In- und Ausland präsentieren ihre z.T. witzigen und subver- Ausgabe für zwei Monate gilt, und dass wir ferienhalber nur reduziert live erreichbar sind. siven Recherchen nach aktuellen Frauenbildern. | Dagmar Brunner Tipps für Urlaubslektüre und -ausflüge finden Gender-Report ‹Zahlen? Bitte.› Gleichstellung in BS und BL. Zu beziehen unter: Sie auf den folgenden Seiten! Und falls Sie www.gleichstellung.bs.ch oder www.gleichstellung.bl.ch einen Batzen übrig haben: Das Sudhaus sam- Kinderbuchfonds Baobab, www.baobabbooks.ch; ‹Cooling Out› im Kunsthaus Baselland ÞS. 16 melt für eine bessere Sicherheitstechnik und Abb. Postkartenmotiv Gleichstellungsbüro, Foto: Regine Flury (Ausschnitt) Lärmdämmung (ÞS. 27). | Dagmar Brunner JULI + AUGUST 2006 | PROGRAMM ZEITUNG | 3
IMPRESSUM Herausgeberin ProgrammZeitung Nr. 209 ProgrammZeitung Verlags AG Juli/August 2006, 19. Jahrgang, ISSN 1422-6898 Gerbergasse 30, Postfach 312, 4001 Basel Auflage: 6 500, erscheint 11 Mal pro Jahr T 061 262 20 40, F 061 262 20 39 Einzelpreis: CHF 6.90, Euro 5 info@programmzeitung.ch Jahresabo (1 1 Ausgaben inkl. ‹kuppler›): www.programmzeitung.ch CHF 69, Ausland CHF 74 Ausbildungsabo: CHF 49 (mit Ausweiskopie) Verlagsleitung Förderabo: ab CHF 169 * Klaus Egli, egli@programmzeitung.ch Tagesagenda gratis: www.programmzeitung.ch Redaktionsleitung Redaktionsschluss Ausgabe September Dagmar Brunner, brunner@programmzeitung.ch Veranstalter-Beiträge ‹Kultur-Szene›: Mi 2.8. Kultur-Szene Redaktionelle Beiträge: Fr 7.8. Barbara Helfer, helfer@programmzeitung.ch Agenda: Do 10.8. Inserate: Fr 11.8. Agenda Erscheinungstermin: Do 31.8. Ursula Correia, agenda@programmzeitung.ch Verkaufsstellen ProgrammZeitung Inserate Ausgewählte Kioske, Buchhandlungen und Claudia Schweizer, schweizer@programmzeitung.ch Kulturhäuser im Raum Basel Abo/Administration Sonja Fritschi, fritschi@programmzeitung.ch Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt die Redaktion keine Haftung; COVER Shen Wei mit ‹Connect/Transfer› Marketing für Fehlinformationen ist sie nicht verantwort- db. Der Choreograf, Tänzer, Maler und Designer Sandra Toscanelli, toscanelli@programmzeitung.ch lich. Textkürzungen und Bildveränderungen Shen Wei wurde in Hunan, China, geboren und Korrektur behält sie sich vor. Die AutorInnen verantworten studierte ab seinem 9. Lebensjahr Chinesische Karin Müller, karin.mueller@nextron.ch den Inhalt ihrer Beiträge selbst. Abos verlängern sich nach Ablauf eines Jahres automatisch. Oper. 1995 zog er nach New York City und Gestaltung gründete im Jahr 2000 die Formation ‹Shen * Die ProgrammZeitung ist als gemeinnützig Anke Häckell, haeckell@programmzeitung.ch Wei Dance Arts›, mit der er nun erstmals am anerkannter Kulturbetrieb auf finanzielle Druck Unterstützung angewiesen. Beiträge von mindes- Theaterfestival Basel auftritt. In seiner viel- Schwabe AG, Farnsburgerstrasse 8, Muttenz tens CHF 100 über den Abo-Betrag hinaus schichtigen Arbeit verschmelzen verschiedene T 061 467 85 85, www.schwabe.ch sind als Spenden vom steuerbaren Einkommen Kunstformen sowie westliche und östliche Tra- ditionen zu einer neuen Art Tanz. ÞS. 11 abziehbar. Helfen auch Sie uns durch ein Förder- Visuelles Konzept abo (ab CHF 169). Besten Dank! Foto: David Massio Studios Susan Knapp Stars und Emotionen vor bezaubernder Kulisse. Open-Air-Kinos machen bewegende und bezaubernde Werke des Filmschaffens zu unvergesslichen Erlebnissen. Was Emotionen und Begeisterung auslöst, ist das Resultat von Professionalität, Teamarbeit und dem Willen, gemeinsam Einzigartiges zu schaffen. Wir unterstützen Open-Air-Kinos in der ganzen Schweiz, weil wir an die nachhaltige Kraft eingespielter Partnerschaften glauben. Täglich Tickets zu gewinnen! Weitere Informationen auf unserer Website. www.ubs.com/sponsoring 4 | PROGRAMM ZEITUNG | JULI + AUGUST 2006
INHALT REDAKTION Stimmungsvoller Musikgenuss Das 3. Festival ‹Viva Cello› ist ‹Stimmungen› gewidmet | Alfred Ziltener 7 Zeigen, was nur die Kunst kann Der rote Faden des 8. Theaterfestivals Basel ist ‹Europa› | Alfred Schlienger 11 Paradoxien des Feminismus Das Kunsthaus Baselland thematisiert in ‹Cooling Out› Frauenbilder | Isabel Zürcher 16 Umschlagplatz für Klänge Die ‹basel sinfonietta› bespielt den Basler Rheinhafen | Dagmar Brunner 6 Notizen Kurzmeldungen, Tipps und Hinweise | Dagmar Brunner (db) 6—18 West-Ost-Dialog Das Swiss China Cello Orchestra schlägt Brücken zwischen den Kulturen | Alfred Ziltener 7 Mutterliebe auf dem Prüfstand Jasmina Zbanics Spielfilm erzählt vom Leben nach dem Krieg | Michael Lang 8 Maskenfall in der DDR Der Spielfilm ‹Das Leben der Anderen› schildert einen morschen Staat | Michael Lang 9 Jahrhundertwerk — mit Lücken Das erste Theaterlexikon der Schweiz lädt zum Schmökern ein | Alfred Schlienger 10 Kreative Sprachforschung Otto Nebels literarisch-musikalische ‹Neun-Runen-Fuge› | Corina Lanfranchi 12 Litera-pur Miniatur ‹Die Lilie› | Adelheid Duvanel 12 Gastro.sophie Im Restaurant Zum Goldenen Sternen gibts mehr als ‹eine sichere Bank› | Oliver Lüdi 13 Spielerisch lernen Im elsässischen Steintal ist ein Museum dem Reformer Oberlin gewidmet | Andrea-Silvia Végh 14 Kunst, Küche, Klöster Ein Reise-Lesebuch zu Leben, Arbeit und Kultur im Burgund | David Marc Hoffmann 15 Museen im Sommer Die Basler Museen haben auch in der Ferienzeit einiges zu bieten | Isabel Zürcher 15 Vielstimmiges Begehren Die Fondation Beyeler beleuchtet den Eros in der Kunst | Heinz Stahlhut 17 Juraklippen am Bau Im Goetheanum-Gebäude begegnen sich Architektur und Natur | Alfred Ziltener 18 Rocknews Mitteilungen des Rockfördervereins der Region Basel (rfv) | Ramon Vaca 20/21 Foto: Mikimoto Pearl Island (Ausschnitt) Theaterfestival Basel 2006 KULTUR-SZENE Gastseiten der Veranstaltenden 22—43 Kunst Plattform.bl 37—40 ARK | Ausstellungsraum Klingental 41 Fondation Beyeler 36 Film Kunsthaus Baselland 42 Kultkino Atelier | Camera | Club | Movie 23 Museum für Gegenwartskunst 41 Theater | Tanz Museum Tinguely 35 Ex/Ex Theater 24 Vereinigung der Freunde antiker Kunst 42 Tango Schule Basel 29 Diverse Theatergruppe Rattenfänger 40 Akustisches Seifenkistenrennen 30 Theater Roxy 38 Circus Monti 2006 30 Theater im Teufelhof Basel 25 Feldenkrais — Bewegung — Raum 28 Treibstoff 07 | Theatertage Basel 24 Kulturbüro Rheinfelden 22 Waves — 5-Rhythms-Ecstatic-Dance 29 Münstersommer Freiburg 2006 32 Musik Museum am Burghof 43 Basel Sinfonietta 40 Naturhistorisches Museum Basel 43 Capriccio Basel 33 Offene Kirche Elisabethen 28 Festival Rümlingen 2006 39 Römerstadt Augusta Raurica 37 Gesellschaft für Kammermusik 33 Unternehmen Mitte 26 Museum Tinguely | Paul Sacher Stiftung 34 Werkraum Warteck pp 27 Musik-Festival | Musique-Festival 33 Verlosung Tickets Theaterfestival Basel 57 Open-Air Freaktal 30 Stimmen 06 31 The Bird’s Eye Jazz Club 32 Viva Cello 2006 39 AGENDA 44—67 Mehr Kulturanlässe in der kosten- SERVICE Museen | Kunsträume 68—71 losen Tagesagenda Veranstalteradressen 72 | 73 www.programmzeitung.ch/heute Restaurants, Bars & Cafés 74 JULI + AUGUST 2006 | PROGRAMM ZEITUNG | 5
MUSIK leg UMSCHLAGPLATZ FÜR KLÄNGE Musikalische Intervention im Rheinhafen Dass die ‹basel sinfonietta› nicht ‹irgendein› Orchester ist, be- weist sie neben ihrer hohen musikalischen Qualität und ihren demokratischen Strukturen immer wieder mit originellen, grenz- und spartenüberschreitenden Programmen, namhaften GastdirigentInnen, unkonventionellen Auftritten. Damit zieht sie auch Menschen an, die sonst wenig Neigung für ‹klassische› oder Neue Musik haben. Die nächste Saison etwa wird das Ensemble im Basler Rhein- hafen eröffnen – mit einer Uraufführung von Daniel Ott. Ott ist im Appenzell geboren, wuchs später in der Region Basel auf, studierte und unterrichtete Klavier und engagierte sich in diver- sen Theaterprojekten. 1990 gründete er das Festival ‹neue mu- sik rümlingen›, das heuer im September ansteht, kreierte im Jahr 2000 den Klangkörper für den Schweizer Pavillon von Peter Zumthor auf der Expo Hannover und wirkt seit 2005 als Professor für Komposition und Experimentelles Musiktheater an der Universität der Künste Berlin. Für seine aktuelle Produk- wird dabei an bekannte Melodien erinnern, etwa an Wagners tion, die als Kompositionsauftrag der ‹basel sinfonietta› ent- ‹Rheingold›, an Schumanns ‹Rheinische Symphonie›, an antifa- standen ist und nur gerade drei Mal zu erleben sein wird, liess er schistische Widerstandslieder usw., doch der Gesamteindruck sich vom Basler Rheinhafen inspirieren. wird eine raumerweiternde akustische Performance sein. Eine faszinierende Akustik herrscht in dieser Region der Stadt, Die so nicht wiederholbare Aktion wird von Jürg Henneberger Naturgeräusche von Wasser, Steinen, Wind und Möwen mi- dirigiert und zudem von der Produktionsgenossenschaft ‹point schen sich mit Maschinenlauten von Eisenbahn, Kränen und de vue› videografisch begleitet. Ihr Mitbegründer und Ge- Schiffen. In Otts Komposition ‹hafenbecken I & II› verdichten schäftsleiter Reinhard Manz hat schon früher mit Daniel Ott sie sich mit instrumentaler Unterstützung zu einer einzigarti- zusammengearbeitet. Mit versierten Kameraleuten wird das gen Klangwelt. 68 MusikerInnen werden das Gelände während Geschehen eingefangen und bis Ende Jahr zu einer eigenstän- zweieinhalb Stunden an verschiedenen Orten solistisch oder digen, vielschichtigen, rund einstündigen Videofassung ent- kollektiv bespielen, das Publikum folgt den Klängen flanierend, wickelt. | Dagmar Brunner und jede/r erlebt so ein ganz individuelles Konzert. Manches Konzert-Installation ‹hafenbecken I & II›: So 27.8., 19.30, Sa 2./So 3.9., jeweils 19.15, Rheinhafen, Ecke Westquaistr./Hafenstrasse ÞS. 40 NOTIZEN Kultur in Freiburg Kultur im Fluss Gesangs-Kultur db. Wem Basel im Sommer kulturell zu eng db. Seit sechs Jahren ankert im Sommer db. «Jeder Mensch hat eine Stimme, es ist an wird, der findet in Freiburg eine Fülle von An- jeweils das Kulturfloss von Tino Krattiger im ihm, sie zu finden.» Mit diesem Motto eröffnet geboten. Anfang Juli etwa kann man das Rhein und belebt mit einem bunten Musik- die Jazzschule Basel im August ihr ‹Vocal De- berühmte Konzerthaus an einem ‹Tag der offe- programm das Kleinbasler Ufer. Die Open- partment›. An dieser ‹Schule für die Stimme› nen Tür› kennen lernen. Der einst heftig um- airkonzerte ziehen viel lokales, aber auch tou- vermitteln Fachleute an Interessierte jeden Al- strittene Neubau wurde soeben zehn Jahre alt ristisches Publikum an; und seit einige Lärm- ters und Niveaus in Einzel- oder Gruppenun- und hat sich zu einem erfolgreichen Kultur- klagen von Anwohnenden 2004 vom Bundes- terricht, als Workshops oder zur Vorbereitung raum ‹für alle› entwickelt. Er beherbergt heute gericht abgewiesen wurden, hat sich die auf eine Profilaufbahn ein breites Fächerange- drei namhafte Orchester und hat eine Ausla- Initiative endgültig etabliert. Die Programmie- bot: Gesangstechnik, Stimmbildung, Improvi- stung von knapp 80 Prozent. Verschiedenar- rung hat Krattiger nun versierten Musikken- sation, Chor, Harmonielehre, Gehörschulung, tige Klänge sind auch am 24. Zeltmusikfestival nern übertragen; Chrigel Fisch, Dänu Siegrist Rhythmik, Performance etc. Dabei werden ver- ‹Zeltkick› zu hören, bei dem u.a. Al Jarreau, und Tobit Schäfer sind für das diesjährige schiedene Musikrichtungen gepflegt, und die Cesaria Evora, Nigel Kennedy und die Gruppe ‹im Fluss› verantwortlich. Mit ihrer Auswahl Studierenden treten mit Konzerten auch öf- BAP auftreten (inkl. Fussballübertragungen). möchten sie die Neugier auf gehaltvolle zeit- fentlich auf. Zu den Lehrpersonen gehören Und im Rahmen des ‹Münstersommers Frei- genössische Musik wecken. Neben Bands aus u.a. die für das künstlerische Konzept zustän- burg› finden weitere Konzerte, Lesungen, der Region und der übrigen Schweiz treten dige Petra Vogel sowie Gina Günthard, Lisette Filme und Ausstellungen statt, viele davon erstmals auch internationale Acts auf, z.B. die Spinnler, Christian Zehnder und Balthasar openair, z.B. am dreitägigen ‹Fest der Innen- Freiwillige Selbst-Kontrolle (FSK) aus Mün- Ewald. Die Jazzschule Basel reagiert mit der höfe & Museumsnächte› oder am ‹Gipfel du chen, deren Mitglieder aus Kunst und Musik neuen Abteilung auf die Nachfrage nach Ge- Jazz›. Überhaupt geizt die Stadt nicht mit Rei- stammen und die ein exklusives Bob-Dylan-Set sangsausbildungen, die in den letzten Jahren zen und ist im Sommer besonders attraktiv. präsentieren werden, oder der britische Tech- enorm zugenommen habe. Konzerthaus Freiburg, ‹Tag der offenen Tür›: no/Soul-Pionier Jamie Lidell. Während über Vocal Department, Jazzschule Basel, Reinach- So 2.7., 11.00—18.00 drei Wochen werden jeden Abend ausser sonn- erstrasse 105, T 061 333 13 13, weitere Infos: 24. ZMF ‹Zeltkick›: bis So 16.7., www.zmf.de tags zwei halbstündige Konzerte zu hören sein www.vocaldepartment.ch Münstersommer Freiburg: bis Di 26.9. ÞS. 32 – notabene kostenlos. Kulturfloss ‹im Fluss›: Mo 31.8. bis Mi 23.8., www.imfluss.ch 6 | PROGRAMM ZEITUNG | JULI + AUGUST 2006
MUSIK Geigenbauschule Brienz WEST-OST-DIALOG Swiss China Cello Orchestra Aus Basel und Bejing, aus Genf und Shanghai, aus Zürich, Tianjin und Wuhan kommen sie, die 20 Cello-Studierenden des Swiss China Cello Orchestra (SCCO), das im August in der Basler Elisabethenkirche auftreten wird. Ini- tiant und Leiter des ungewöhnlichen Orches- ters ist der in Basel lebende Cellist und Diri- gent Albert Roman. Er gibt seit einigen Jahren Kurse an chinesischen Musikhochschulen und hat bereits zweimal ein Cello-Orchester mit chinesischen StudentInnen in die Schweiz gebracht. In China, erzählt er, herrsche ein sehr reges Interesse an ‹klassischer› west- licher Musik, die entsprechenden Konzerte seien ausverkauft und der Andrang an den STIMMUNGSVOLLER MUSIKGENUSS Konservatorien gross. Das Studium sei aller- 3. Festival ‹Viva Cello› in Liestal dings teuer, und oft könnten die jungen Talen- te nur dank beträchtlicher finanzieller Opfer Am diesjährigen Cellofestival geht es mehrdeutig um ‹Stimmungen›. Bekannte Namen ihrer Eltern studieren. und junge Talente präsentieren ein reiches Angebot. Mit dem neuen Orchester geht er nun einen Für ein August-Wochenende wird Liestal zur Metropole des Cellos – beim 3. Festival Schritt weiter: Einheimische und chinesische ‹Viva Cello›. Der Cellist Patrick Demenga, zum zweiten Mal künstlerischer Leiter des MusikerInnen werden zwei Wochen zusam- Anlasses, hat unter dem Motto ‹Stimmungen› ein dichtes Programm zusammenge- men proben, eine CD aufnehmen und dann in stellt. Einerseits ist damit Stimmung im Sinn von Atmosphäre, seelischer Gestimmt- der Schweiz und in China auf Tournee gehen. heit gemeint. Das Cello mit seinem weiten Klangspektrum vom Bass bis zum Sopran, Im intensiven Zusammenleben sollen sie die führt Demenga aus, habe auch eine breite Ausdruckspalette. Es könne strahlen wie ein jeweils andere Kultur besser kennen und ver- Tenor, es könne auch melancholisch singen, es könne sogar komisch sein. Im Eröff- stehen lernen. Solche Kontakte zwischen Ost und West sind Roman wichtig, als Ergänzung nungskonzert mit dem Sinfonieorchester Basel beispielsweise loten Tschaikowskys zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit, bei der ‹Rokoko-Variationen› und Dvoraks Cellokonzert diesen Reichtum des Instruments es um andere Prioritäten gehe. aus. ‹Morgenstimmungen› heisst ein Rezital mit Musik des 1946 geborenen Letten Warum aber ein reines Cello-Orchester? En- Peteris Vasks’, der Finnin Kajia Saariaho, von Grieg und Rachmaninow. In Vasks’ ‹Das sembles in üblicher Besetzung gebe es schon Buch› wird die junge Cellistin Sol Gabetta auch singen, und auch andere Konzerte ver- genug, erklärt Roman, und das Cello eigne binden Cello und Stimme. sich besonders gut für Bearbeitungen auch Das Motto meint ferner die Stimmung der Saiten, die sich im Laufe der Musik- von grösseren Chor- und Orchesterwerken, geschichte ja immer wieder verändert hat. Im barocken Italien, erzählt Demenga, sei dank seines Klangfarbenreichtums und seines die Stimmung sogar von Stadt zu Stadt unterschiedlich gewesen und auch heute noch grossen Tonumfangs. Im Programm stehen müsse er, wenn er in Wien spiele, die Saiten etwas höher stimmen als in der Schweiz. neben Werken von Bizet, Fauré, Musorgskij Ein Rezital mit Basler Mitwirkenden demonstriert die barocke französische Stimmung und Rimskij-Korsakov zwei Uraufführungen. Der auch bei uns bekannte Chinese Tan Dun, an Werken von Bach und seinem Zeitgenossen Jean Barrière. Eher ungewöhnlich ist ein Brückenbauer zwischen Ost und West, hat das künstlerische Mittel der Scordatura, des Umstimmens einzelner Saiten. In Bachs seine Komposition ‹Secret Land› für die zwölf Suite c-moll wird die A-Saite einen Ton tiefer gestimmt, was einen dunkleren Gesamt- Cellisten der Berliner Philharmoniker und klang ergibt: In der Cellosonate von Kodaly werden gar zwei Saiten verstimmt. Diese grosses Orchester eigens für das SCCO neu und andere Beispiele erklingen in einem Rezital mit dem Titel ‹Umstimmungen›. bearbeitet. Und der Schweizer Alfred Knüsel Konzerte, Referate, Workshops, Ausstellungen verbindet in ‹Drei Analogien› westliches Kom- Stimmungen sind aber auch Schwingungen. Wie in den Chladnischen Klangfiguren ponieren mit Anklängen an traditionelle chi- nesische Musik. | Alfred Ziltener solche Schwingungen sichtbar gemacht werden können, führt in einem Referat der Spezialist Alexander Lauterwasser vor. In weiteren Vorträgen beschäftigen sich der Konzert Swiss China Cello Orchestra: Sa 5.8., 20.15, Offene Kirche Elisabethen ÞS. 28 Berner Organist und Akustik-Fachmann Edwin Peter mit Harmonik und Proportionen Eintritt CHF 25/15, Vorverkauf: Musik Hug in Musik und Architektur und die Geigenbauerin Francine Humbert-Droz mit dem Einfluss des Bogens auf den Klang der Instrumente. Wie schon im letzten Jahr vermit- telt eine Ausstellung Einblicke in den Geigenbau. Erneut ist es Demenga gelungen, eine ganze Reihe bekannter Namen nach Liestal zu holen. Dazu kommen begabte junge MusikerInnen, die neben Werken von Bach, Brahms und anderen die ‹Stimmungen für vier Celli› des Westschweizers Laurent Mettraux (geb. 1970) uraufführen, ein Auftragswerk des Festivals. Öffentliche Meister- klassen mit Frans Helmerson für das klassisch-romantische Repertoire und mit dem Barockcellisten Christophe Coin ergänzen das Angebot. | Alfred Ziltener Festival ‹Viva Cello›: Fr 25. bis So 27.8., diverse Orte in Liestal, www.vivacello.ch Vorverkauf in Basel: Musik Wyler, Stadtcasino Vorverkauf in Liestal: Musikladen Decade, Musik Schönenberger Abb. ‹basel sinfonietta› (links); Geigenbauschule Brienz JULI + AUGUST 2006 | PROGRAMM ZEITUNG | 7
FILM MUTTERLIEBE AUF DEM PRÜFSTAND Spielfilm ‹Grbavica› Die bosnische Filmemacherin Jasmila Zbanic erzählt in ihrem Kinoerstling vom Um- NOTIZEN gang mit dem Erbe des Balkankriegs. Esma ist eine Frau im besten Alter, aber mit einer üblen Vergangenheit. Schlimmes hat sie erlitten in den Kriegszeiten im ehemaligen Jugoslawien. Das Geschehen unweit Kino-Umbau unserer Grenzen ist zwar nur wenige Jahre her und doch vielerorts fast vergessen, zu- db. Anfang April hat der Schweizer Studio- mindest verdrängt. Aber die Betroffenen – wehrlose Opfer sinnloser Waffengänge und film-Verband u.a. erneut die Programmation Machtintrigen – sind auf ewig traumatisiert. Und so ist es gut, das Jasmila Zbanic (32) der Basler ‹kult.kinos› ausgezeichnet. Nun in- vestieren diese – nicht zuletzt im Hinblick auf in ihrem ersten Spielfilm eine Brücke schlägt vom Gestern ins Morgen. Und unspekta- die Multiplex-Eröffnung – in einen lange ge- kulär von heutigen Menschen erzählt, die Unsägliches erduldet haben und von denen planten Umbau der beiden Camera-Säle im notabene etliche als MigrantInnen mit uns leben. Kleinbasel. Das Camera war das erste Basler Esma ist die Mutter der pubertierenden, rebellischen Sara. Als Alleinerziehende hat Studiokino. Als Revolverküche Maxim wurde sie es schwer, sich und ihrem Kind eine gesicherte Existenz zu garantieren. Tagsüber es vor über 30 Jahren von engagierten linken arbeitet Esma in einer Schuhfabrik, abends kellnert sie in einer tristen Bar für einen Filmfans übernommen, die dort u.a. die ‹Bon- schmierigen Chef. Nicht nur materiell gesehen muss Esma kämpfen: Sie leidet see- film›-Auswahl zeigten. Bis heute haben sich lisch, wenn sie nächtens von Angstzuständen heimgesucht wird und die Erinnerungen Trägerschaft und Programmation nur wenig an furchtbare Erniedrigungen in ihr aufsteigen. geändert. In Zukunft werden hier immer noch Esma und Sara leben in Sarajewo, im Bezirk Grbavica. An einem Ort, wo die Narben anspruchsvolle, aber weniger ‹sperrige› Filme der Vergangenheit noch lange nicht verheilt sein werden und manchmal eitern. Wie gezeigt, die möglicherweise mehr junges Pu- blikum anziehen. Und mit dem kompletten zum Beispiel dann, wenn eine Klassenfahrt von Sara bevorsteht. Aber warum? Von den Umbau der Säle (das Foyer wurde bereits reno- Reisekosten befreit sind alle bosnischen Kinder, deren Väter offiziell den Status viert) soll auch der ‹Tiefgaragencharme› ver- ‹Kriegsheld› erlangt haben. Den Schulbehörden muss nur ein amtliches Papier vorge- schwinden. Stattdessen sorgen zwei junge legt werden, welches das bestätigt. Sara ist sicher, dass auch sie ein solches Papier er- Innenarchitekten für eine Lounge-ähnliche halten wird. Denn hat nicht die Mama immer wieder vom Vater berichtet, der für das Atmosphäre. Der Mittelgang wird aufgehoben, Vaterland gestorben ist? man betritt den grossen Saal seitlich durch Schreckliches Geheimnis einen Tunnel, findet dann komfortable (dafür weniger) Sitze, eine neue Wand- und Bodenge- Das Papier aber taucht nicht auf, und Esma macht Überstunden, um das Reisegeld zu- staltung sowie bessere Licht- und Tonanlagen sammenzukratzen. Nun wird ihre Tochter misstrauisch. Zumal die Kameradinnen in vor. Die alten Sitze wurden in einer Benefiz- der Schule hämische Fragen stellen. Sara will also endlich mehr wissen über ihre Aktion für den Hirschi-Keller verkauft. Zur Herkunft. Doch richtige Fragen im falschen Moment können das Klima vergiften. Eröffnung werden eine Woche lang neue Genau davon erzählt Jasmila Zbanic in ihrem Film über eine Frau, die ein furchtbares Filme für alle Generationen gezeigt. Geheimnis hütet und plötzlich angehalten ist, die Schleier zu lüften. Anhand kleiner Eröffnung: Fr 14.7., 18.00, ‹kult.kino camera›, Episoden aus dem Lebensalltag versteht man Esmas Furcht vor zu viel Männernähe Rebgasse 1 ÞS. 23 besser. Und begreift ihre Distanziertheit der Tochter gegenüber, die ihr doch unein- geschränkt das Allerliebste sein müsste. Silokino im Exil db. Einer der luftigsten Orte für Freiluftkino ‹Grbavica› will keine Aufarbeitung der jüngeren Zeitgeschichte im ehemaligen Jugo- ist gewiss die Siloterrasse im Hafen, die je- slawien sein. Aber er erlangt als subtile kammerspielartige Beschreibung individueller weils sommers vom Neuen Kino bespielt wird. Schicksale eine universal verständliche Dimension. Man nimmt Anteil an der Suche Nun wird das Silo saniert, doch Filme werden einer couragierten Frau nach dem Lebensmut trotz allem. Und wird beflügelt von der trotzdem gezeigt, wenn auch im Exil. Nämlich übersprudelnden Energie eines Teenagers mit dem Blick in eine lichtere Zukunft. auf dem Schiff, auf dem Bauernhof Untere Jasmila Zbanics glänzend gespielter Erstlingsfilm ist im Frühjahr mit dem ‹Goldenen Bütschen in Reigoldswil und beim Wagenmei- Bären› der Internationalen Filmfestspiele in Berlin ausgezeichnet worden. Damit hat ster auf dem nt-Areal. Gezeigt werden Klassi- die Jury ein politisches Zeichen gesetzt. Doch ‹Grbavica› ist weit mehr als das: eine ker von Subiela, Solanas, Sorbas, Yersin, von enorm berührende Liebesgeschichte zwischen Mutter und Tochter. | Michael Lang Praunheim und Rios. Silo Exilo: Do 20. bis Sa 22.7., Fr 28./Sa 29.7., Der Trigon-Film läuft ab Ende August in einem der Kultkinos. Mo 1. bis Mi 3.8., www.neueskinobasel.ch 8 | PROGRAMM ZEITUNG | JULI + AUGUST 2006
FILM Filmsstills aus ‹Grbavica› (links) und ‹Das Leben der Anderen› MASKENFALL IN DER DDR Spielfilm ‹Das Leben der Anderen› Florian Henckel von Donnersmarcks Erstlingsfilm schildert weder verklärend noch verhetzend ein überholtes Staatswesen. Seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem Ende der Deut- schen Demokratischen Republik hat das Kino dann und wann den Versuch gewagt, Themen jener Zeit abzuhandeln. Nicht ungern erinnert man sich etwa an satirisch-unterhaltsame Filme wie ‹Sonnenallee› oder ‹Good Bye Lenin›. Gewitzte, in- telligente Beiträge zum Innenleben der DDR , die heute schnell mit dem Etikett ‹Ostalgie› versehen werden. Was oft heisst: So arg war es damals hinter dem Eisernen Vorhang nicht, wenn schönen, eigenwilligen, pragmatischen Frau. Sie fraternisiert man nur clever genug war, die richtigen Tricks und Kniffe erotisch mit dem Kulturminister Bruno Hempf (Thomas kannte, Mittel und Wege fand, dem holzschnittartigen Bürokra- Thieme), und dem ist nun daran gelegen, dass man auf der tismus des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker ein Schnipp- blütenweissen Weste des Nebenbuhlers einen ideologischen chen zu schlagen. Schmutzfleck findet. Gut und recht, aber es wurde höchste Zeit für einen Film, der Vom Spitzel zum Landesverräter versucht, die diktatorischen Methoden des DDR -Ministeriums Den beflissenen Agenten Wiesner kratzen solche intriganten für Staatssicherheit – im Volksmund Stasi genannt – tiefer Motive anfangs nicht. Sie gehen ihn ja nichts an. Er wittert neue gehend und präziser zu beleuchten. Schliesslich handelte es Karrierechancen und stürzt sich in die Überwachungsarbeit. Er sich dabei um ein faszinierend durchorganisiertes staatliches lässt des Autors Wohnung verwanzen und verwandelt mit sei- Kontrollinstrument, das den Vergleich mit Geheimdiensten wie nen Gehilfen den Estrich des Hauses in eine Abhörzentrale. dem amerikanischen CIA oder dem israelischen Mossad nicht Fortan wird dort vom Wortfetzen bis zum Liebesgestöhn alles zu scheuen brauchte. protokolliert. Und obwohl Wiesner zwangsläufig auch über das Dramatiker im Visier Doppelleben der Schauspielerin Seeland und seine Vorgesetz- Der Film ‹Das Leben der Anderen› beginnt mit einer erschüt- ten immer mehr erfährt, bleibt er lange Zeit loyal. Erst nach ternden Szene: Der marionettenhafte Stasi-Hauptmann Gerd dramatischen Ereignissen wird er kritischer und hellhörig Wiesner (brillant dargestellt von Ulrich Mühe) vernimmt 1984 gegenüber einem Machtapparat, der unter dem Deckmantel des einen jungen Mann, der einem Freund zur Flucht in den lebenswerten Sozialismus die Gewinnvermehrung einer macht- Westen, zu so genannter Republikflucht, verholfen haben soll. geilen Schickeria befördert. Und so mutiert Wiesner bis zum Beweise sind nicht vorhanden, und drum setzt man auf das Ende der DDR-Epoche vor sechzehn Jahren vom Stasi-Roboter bewährte Zermürbungsprozedere der Willensbrechung. Der zum ‹Landesverräter› und mausert sich schlau und wendig zum Beschuldigte wird rund um die Uhr verhört, mit immer gleichen besseren Mit-Menschen. Fragen konfrontiert. Dann wieder mit halbherzigen Verspre- ‹Das Leben der Anderen› ist das Erstlingswerk des erst 33-jähri- chungen gelockt und durch Drohungen eingeschüchtert. Der gen Florian Henckel von Donnersmarck. Ein erstaunlich reifes, gnadenlos systemtreue Spitzen-Spitzel Wiesner zelebriert sein düsteres, gefühlsmässig aufwühlendes Werk. Und der gelun- trauriges Handwerk mit emotionsloser Hingabe. Er weiss, dass gene Versuch, abseits von nostalgischer Verklärung oder plaka- er gewinnen wird und seine Erkenntnisse sogar als Dozent an tiver Verhetzung in die Eingeweide eines Systems zu blicken, der Stasi-Hochschule vermitteln darf. das sich durch Korruption und menschenverachtende Arroganz Man ahnt, dass dieser Staatsdiener für höhere Aufgaben beru- letztlich selber demontiert hat. Was filmisch schwer zu vermit- fen ist. Und tatsächlich: Sein ehemaliger Studienkollege und teln ist, gelingt: Der Film hält die Balance zwischen glaubhafter, Vorgesetzter, Oberstleutnant Anton Grubitz (Ulrich Tukur), er- quellengestützter Authentizität und den hohen Ansprüchen an teilt ihm den Auftrag, den populären Theaterautor Georg Drey- gediegene Kino-Unterhaltung. | Michael Lang mann ins Visier zu nehmen. Zwar gilt der Kulturschaffende als Der Film läuft vorausichtlich ab Ende Juli in einem der Kitag-Kinos. sauber, ist ein mit höchsten Auszeichnungen geschmücktes Aushängeschild der DDR. Leider aber ist er mit der Schau- spieldiva Christa-Maria Seeland (Martina Gedeck) liiert, einer JULI + AUGUST 2006 | PROGRAMM ZEITUNG | 9
THEATER | LITERATUR NOTIZEN Theaterfrauen db. Als Ergänzung zum soeben erschienenen ‹Theaterlexikon der Schweiz› (siehe Text ne- benan) lässt sich das Buch der Freiburger Germanistin und Philosophin Ingeborg Gleichauf lesen. Es stellt 15 deutschsprachige Dramatikerinnen des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart vor, darunter die in Basel lebende Autorin Katharina Tanner. Der Band schildert anschaulich die Entwicklung weib- JAHRHUNDERTWERK — MIT LÜCKEN licher Theaterarbeit, gibt Einblicke in die Schweizer Theaterlexikon Werke und persönlichen Hintergründe der ‹Dramen-Damen› und ihre Präsenz im aktuel- Nach achtjähriger, aufwändiger Recherchierarbeit, betrieben von rund 250 AutorIn- len Theaterbetrieb. In dem Berliner Verlag nen, festgehalten in über 3600 Artikeln auf über 2000 Seiten liegt es endlich vor: das sind übrigens weitere Titel zu Frauen in der erste ‹Theaterlexikon der Schweiz›. Die dreibändige Enzyklopädie ist zweifellos ein Kunst- und Kulturgeschichte lieferbar. Jahrhundertwerk, und wer mit Theater in all seinen Erscheinungsformen zu tun hat, Ingeborg Gleichauf, ‹Was für ein Schauspiel!›, wird es freudig begrüssen. Denn während in allen an die Schweiz angrenzenden Län- Aviva-Verlag, Berlin 2003. 216 S., gb., CHF dern seit Jahren gleich mehrere Theaterlexika vorliegen, existierte «im Land der wohl 34.30, www.aviva-verlag.de höchsten Dichte von Theateraktivitäten in Europa», wie der Projektleiter und Heraus- Sommertheater geber Andreas Kotte betont, kein vergleichbares Werk. db. 1985 wurde der Verein Kultur in Brüglin- Kotte, Direktor des Instituts für Theaterwissenschaft der Uni Bern, vertritt einen wei- gen gegründet, um das Gebiet des Botanischen ten Theaterbegriff. Im Lexikon sind deshalb neben dem Schauspiel, dem Musikthea- Gartens bei St. Jakob (ehemalige ‹Grün 80›) ter und dem Tanz auch das Kabarett, das Volks-, Figuren-, Kinder- und Jugendtheater auch kulturell zu nutzen und zu beleben. Von dokumentiert. Erfasst wird das Bühnenschaffen in der viersprachigen Schweiz seit Mai bis Mitte September sind z.B. jeden Sonn- seinen Anfängen, wobei das Schwergewicht selbstverständlich im 20. Jahrhundert tagvormittag Musik- und Theatergruppen vor liegt. Neben den Profis aller Sparten und Funktionen, von der Autorin bis zum Ko- oder im Kutschenmuseum zu Gast, und im stümbildner, sind auch Amateure repräsentiert, genauso wie freie Truppen neben den August steht eine grosse Produktion auf dem städtischen Bühnen. Programm; diesmal Friedrich Smetanas Komi- Es macht Spass, in diesem Lexikon zu stöbern. Und dass man dabei auch auf Lücken sche Oper ‹Die verkaufte Braut› mit dem Chor des Theaters Biel-Solothurn unter Adrian und Fehler stösst, gehört zu den Gattungsgesetzlichkeiten solcher Mammut-Unter- Stern, und mit einer Tanzeinlage. Vor den ins- nehmungen. Dennoch schade, dass z.B. beim Theater Basel ausgerechnet der Verweis gesamt neun Freilichtaufführungen gibts in auf Stefan Koslowskis gewichtige Dissertation zur Basler Theatergeschichte des 19. der ‹Dorfschenke› böhmische Spezialitäten. Jahrhunderts fehlt; erstaunlicher schon, dass das theaterpolitisch einschneidende ‹Die verkaufte Braut›: Sa 5. bis Sa 26.8., Zörner-Debakel von 1994 nicht erfasst wurde. Schlicht unverständlich, wie der Redak- 20.00 (Essen ab 18.00), Kutschenmuseum tion ein Stefan Kaegi und Rimini Protokoll entgehen konnten, die schon seit über vier Brüglingen, www.kultur-in-brueglingen.ch Jahren, auch international, den Theaterbegriff innovativ und nachhaltig erweitern. Das alles lässt sich bei einer nächsten Auflage – in zehn Jahren? – verbessern. Dabei Hörspiel & Co. db. In den Sommermonaten sendet Schweizer drängt sich gleich die Frage auf: Warum hat man für die Veröffentlichung nicht die Radio DRS 2 jeden Mittwoch- und Samstag- zeitgemässere Online-Form gewählt, die ständig verbessert und aktualisiert werden abend Hörspiele zum Thema Liebe. Die Texte könnte? Zudem: Die rund 3000 Personeneinträge enthalten sich meist einer künstle- von ‹klassischen› und zeitgenössischen Auto- rischen Gewichtung und Bewertung und wirken dadurch, vor allem bei den Schau- rInnen (u.a. Sibylle Berg, Igor Bauersima und spielerInnen-Porträts, seltsam blutleer. Anstelle der reinen Personenzentrierung Dani Levy) pendeln lustvoll und eindringlich hätte man sich auch eine stärkere Durchmischung mit thematischen Beiträgen vor- zwischen Happy End und Suizid. stellen können, die den Bezug des Theaters zu gesellschaftlichen und ästhetischen Hörspiele ‹Alles Liebe›: Sa 1.7., 21.00 bis Mi Entwicklungen und zu anderen künstlerischen Ausdrucksformen berücksichtigten. 30.8., 20.00, www.drs2.ch Ausserdem ‹Hörpunkt›-Tage zu den Themen Das könnte vielleicht das nächste theaterwissenschaftliche Grossprojekt sein. ‹Weltreligionen› (So 2.7.), ‹Schweizer Reise› | Alfred Schlienger (Mi 2.8.), 6.00—24.00, DRS 2 Andreas Kotte (Hrsg.), ‹Theaterlexikon der Schweiz›, Chronos-Verlag, Zürich 2005. 3 Bände, 2168 S., 800 Abb., CHF 198 10 | PROGRAMM ZEITUNG | JULI + AUGUST 2006
THEATER ZEIGEN, WAS NUR DIE KUNST KANN Theaterfestival Basel formen verschmelzen. Der Belgier Alain Platel hat zum Glück sein Wort, nicht mehr für die Bühne arbeiten zu wollen, gebro- Knapp ein Dutzend Produktionen von innovativen Gruppen chen und bringt das viel gerühmte ‹vsprs› nach Basel, eine kluge aus Europa und den USA sind nach den Sommerferien in der tanzakrobatische Adaption der wunderbaren Musik von Monte- Kaserne Basel zu erleben. verdi. Fragt man Susanne Winnacker nach ihrer ganz persön- Man darf sich erinnern: Vor zwei Jahren richtete Susanne Win- lichen Lieblingsproduktion, dann nennt sie die Performance nacker, erfahren sowohl als Theaterwissenschaftlerin wie als ‹We are all Marlene Dietrich FOR › der Isländerin Erna Omars- Festivalpraktikerin, ihr erstes Theaterfestival für Basel aus. dottir und des Slowenen Emil Hrvatin. «Da greift so vieles inein- Unter dem Motto ‹Politik ist sexy. Liebe ist aussichtslos. Doch ander: Männer/Frauen, Kriegsmaschinerie, Kulturzusammen- nichts ist ungeheurer als der Mensch› hatte sie ein Programm prall, unterschiedlichste Darstellungsformen – da kann man zusammengestellt, das deutlich den experimentellen, perfor- sich gar nicht sattsehen.» mativen, postdramatischen Theaterformen verpflichtet war. Zweifellos das konsequenteste und radikalste Konzept aller bis- Lust auf neue Theaterformen herigen sieben Ausgaben dieses Festivals – und damit auch ein Ohne auf alle Produktionen einzugehen, die in der Reithalle, im künstlerisch überzeugendes Statement gegen die Beliebigkeit, Jungen Theater, in der Klingentalhalle, im Roxy und in der wie sie gerade auf dem Festivalkarussell so oft grassiert. Kunsthalle Basel (‹Kontaktbögen/Einar Schleef als Fotograf›) Manche werden sich auch daran erinnern: Es war die grosse gezeigt werden, sei doch hingewiesen auf den Lorca-Abend der Stunde des neuen Kulturchefs der neuen ‹baz›, der zu einem sei- Theaterlegende Roberto Ciulli, auf eine wilde, energiegeladene ner raren Kommentare ausholte: Nichts, aber auch gar nichts ‹Penthesilea› aus Weimar, die auch ein junges Publikum an- habe das Festival geboten «für ein Publikum, das einfach mal sprechen dürfte, sowie auf ‹Frederick›, die Sonnenstrahlen- einen netten Abend verbringen wollte». So klar wie beiläufig war sammlermaus aus dem berühmten Kinderbuch, für die Jüng- damit das Kulturverständnis der gelifteten Zeitung definiert. sten. Alle Produktionen sind erstmals in Basel zu sehen, zwei Drittel auch erstmalig in der Schweiz. «Die Themen», sagt Su- Auf zum heissen Südpol! sanne Winnacker, «sind immer die gleichen. Was mich interes- Das scheint Susanne Winnacker und Leonhard Burckhardt, als siert, sind neue Formen, wie sie in Stadttheaterbetrieben nicht Präsident des Trägervereins ‹Welt in Basel› ihr direkter Vorge- entstehen können. Zurzeit herrscht im ganzen Kulturbereich setzter, freilich wenig zu kümmern, wie man an der Medienori- ein extremer Rechtfertigungsdruck. Ich will mit diesem Festival entierung zur achten Ausgabe dieses Festivals erleben durfte. zeigen, dass Kunst uns etwas geben kann, was nichts und nie- Spannungsbögen sind das, was die Festivalleiterin interessie- mand sonst uns geben kann – ausser die Kunst.» ren. Richtete sie vor zwei Jahren ihr Augenmerk im Spektrum Zugegeben, man geht auch mit etwas wehmütigen Gefühlen aus neuer Theaterformen quasi auf den kühlen Nordpol, nimmt sie einem Gespräch mit Susanne Winnacker. In einer Stunde mit uns diesmal mit zum heissen Südpol. Leidenschaft, Sinnlich- ihr erfährt, spürt, erlebt man mehr über modernes Theater als in keit, Obsession und Körperlichkeit seien Auswahlkriterien für drei Jahren bei Kasernenhauswart Urs Schaub. Wir erinnern die Ausgabe 2006. Weniger direkt politisch sei das Programm uns: Vor sechs Jahren putschte der damalige Kasernenchef Eric vielleicht, meint Winnacker, aber wenn man nach der geheimen Barth gegen den Festivalleiter Christoph Stratenwerth. Das Linie suchen wolle, die das Festival durchziehe, dann sei dies freute uns damals wenig. Heute wünschte man sich entschieden ‹Europa›. Was ist das für eine politische und kulturelle Land- mehr Drive: Frau Winnacker, übernehmen Sie! Vorläufig für schaft? Wohin richten wir unsere Utopien? Ist dieses Europa zehn Tage im September, wenn theatermässig endlich wieder eine Gegenkraft zu den USA ? Ist es ein Museum? Und gehört etwas läuft in der wunderbaren Kaserne! | Alfred Schlienger die Schweiz dazu? Theater Festival Basel: Do 31.8. bis Sa 9.9., Kaserne Basel, Programm: Perlentaucherinnen zieren das Festivalplakat, und tatsächlich www.theaterfestival.ch. Festivalpass CHF 180, VV: www.tictec.ch tut man gut daran, sich die zehn Abende in der Agenda bereits Abb. (v.l.n.r.) Werktheater Basel, 1982, Foto: Christian Altorfer; heute rot zu markieren. Aus den USA kommt der Choreograf, ZT Hollandia, Foto: Ben van Duin; Roberto Ciulli, Foto: Andreas Köhring Tänzer, Maler und Designer Shen Wei und zeigt die Tanz- produktion ‹Connect/Transfer›, in der vielfältigste Kunst- JULI + AUGUST 2006 | PROGRAMM ZEITUNG | 11
LI TE R A TU R KREATIVE SPRACHFORSCHUNG Buchbesprechung :uchbespr echung Setzen Sie sich in einen Sessel, legen Sie die CD ein und hören Sie einfach nur zu: «Ein 15/ Ein Et Ein I/ Ein Fnn/ Ein Eff/ Ein Ge/ Ein Zelt/ Ein Te/ Ein Err/ Neun Runen nur/ neun nur/ nur neun/ neun Runen feiern eine freie Fuge nun/ Unfug erfriert/ Feuer fing Engen/ Unfug zerfriert/ Enge fing Feuer/ neunzig Zentner runtertreten Neun Buchstaben nur benötigt der 1892 in Berlin geborene Otto Nebel, um im Klang der Worte eine ebenso verblüffende wie irritierende, zuweilen auch abstrus-witzige Sprachwelt z u erschaffen. Z u entdecken is t diese musikalisch-sprachliche For- schungsreise in seinem Zyklus , aus dem auch die oben zitierten Zeilen stammen. Entstanden ist in den Jah- ren 1923/24, als, so Otto Nebel, «Ergebnis umfangreicher Sprachforschungen». Der Band umfasst 25 Texte mit unterschiedlichem Umfang, erdichtet allesamt mit dem Material der neun Buchstaben (siehe oben). Teile davon erschienen damals in der Zeit- schrift . Nebel, der in Berlin auch als Maler wirkte, musste 1933 in die Schweiz emigrieren, wo er bis zu seinem Tod 1973 in Bern lebte. Daniel Berner und Andreas Mauz haben nun LITERA-PUR den vollständigen Text nach der Endfassung von 1956 (inklusive einer Lesung des Au- tors auf CD) neu ediert - eine überaus lohnenswerte (Wieder-)Entdeckung nicht nur Die Lilie für passionierte Lyrik-Lesende. I m aufschlussreichen Nachwort erörtern die Heraus- Die Lilie, die Papa bei seinem letzten geber Nebels eigenwillige Runen-Fugen-Poetik, die f ür das dichterische Schaffen des Besuch gebracht hat und die zuerst eine Autors von grosser Bedeutung ist. Nebel selbst schreibt: «Der verbildete Mensch unse- grünlich-weisse Knospe, dann eine rer Tage ist worttaub und bildblind. Was er liest, das hört er nicht. Was er schreibt, das silbern schimmernde Blüte und zuletzt eine sieht er nicht ( 4 Schon das schöne Wort erlebt er nicht mehr. Sieht die bräunliche, müde Haut war, stand letzte Buche weder, noch den Stab. Hört die Buche nicht mehr rauschen (...)». Woche aufrecht vor der Hauswand im Abfall- Zwischen Text und Ton ereignet sich Welt. Nebels unkonventionelles Schreibverfah- sack. Als Jan aus der Schule kam, hatte ren zielt denn auch auf den klanglich-rhythmischen Sprachgebrauch, zwischen Wort jemand die welke Blume abgerissen und am und Klang entstehen Sinnebenen - unerwartet und neu. Oder anders: Nebels Texte of- Boden zertreten; nur der Stiel ragte noch in die Luft. fenbaren sich in ihrer Musikalität, dort ist das Ereignis, das über den buchstäblichen Wortgehalt hinausweist. Adelheid Du va n e l (1 9 3 6 -1 9 9 6 ), Bei allem Ernst der Sache: Die streng komponierten Fugen sind auch ein Spiel mit Ba sle r D ich t e rin und M a le rin Buchstaben und Lauten, welches die Möglichkeiten von immer wie- Der Text stammt aus dem ersten der anders feiert und dabei Klang- und Bedeutungsebenen findet - und neu erfindet. Erzählband , I Co rin a L a n f ra n ch i GS-Verlag, Basel, 1979. Das Bild ist im Privatbesitz des Buchantiquariats Otto Nebel, (U n f e ig . Ein e Neun-Runen-Fuge, zu r U n ze it g e g e ig t ). H g . D a n ie l Be rn e r u n d An d re a s , Schnabelgasse 6, Mauz. C o m p a ct -Bu ch m it CD. M it e in e m Be it ra g vo n Oska r Pa st io r, e in e r L e su n g d e s Au t o r s u n d www.antiquariat-libelle.ch vie r f a ksim ilie rt e n Ru n e n fa h n e n . U r s En g e le r Ed it o r, Ba se l/ We il a m Rh e in , 2 0 0 6 . 9 6 S., g b ., CD (73 M in .), CHF 4 2 , www.engeler.de ANZ EIGE Buchtipp aus dem Narrenschiff In einem Baselbieter Bauerndorf wird ein Ehepaar tot Jürg Weibe! aufgefunden. Zunächst weist alles auf einen Suizid hin, Doppelmord aber je mehr Ernst Wicki, der Detektiv der Kantons- am polizei sich mit der Situation auseinandersetzt, desto Wisenberg verwirrender wird sie. Ist die Welt am Wisenberg wohl doch nicht so heil, wie sie auf den ersten Blick aussieht? DasNarrenschiff Geisteswissenschaften Literatur Buchhandlung SchwabeAG Jürg Weibel Im Schmiedenhof lo Doppelmord am Wisenberg CH-ool Basel Orte-Verlag AG, 2006 Tel. 061261 19 82 ort e-k rimi 182 S., paperback, Fr. 26.- Fax 061 26391 84 3 narrenschiteschwabe.ch - 8 12 P R O G R A M M Z E I T U N G I JU5L I + AU GU ST 2 0 0 6
GASTRO | BÜCHER Also, was die Kardinalssorge betrifft, können wir heute wohl guten Mutes sein. Den Gasthof Zum Goldenen Sternen gibt es jetzt schon so lange (seit 1412), dass er wohl noch ein paar Jahr- hundertchen weiter bestehen wird. Schliesslich ist es die älteste Wirtschaft der Stadt und nebenbei ein Kuriosum. Vor rund 60 Jahren wurde der Sternen nämlich – das sieht man auch nicht so oft – Stein für Stein in der Aeschenvorstadt abgetragen und ins St. Alban-Tal spediert. Seither steht er dort an schönster Lage und tut so, als sei es seit immer. Das wäre für sich genommen schon einen Besuch wert. Wenn dann aber noch eine ideenreiche Küche ohne Tadel dazukommt und ein aufmerksamer, sympathischer, echt freundlicher Ser- vice – also wir haben gesagt, dass das nicht unser letzter Besuch war. Statt nun aber ins Detail zu gehen und die überschaubare GASTRO.SOPHIE Speisekarte zu würdigen (samt ‹Lucullus-Mahl› und allem), Eine sichere Bank schweife ich kurz ab und frage mich, warum im Sternen nicht Zwei Sorgen sinds, die einen Gastrosophen nicht rasten noch selten Geschäftsleute verkehren sollen. ruhen lassen: Erstens die, ein hier besprochenes Restaurant Stellen wir uns vor, Finanzchef A der Pharmafirma B lädt In- könnte bei Erscheinen der Zeitschrift schon nicht mehr existie- vestmentbanker C zum Business-Dinner, man ist sich praktisch ren, ergo innert Monatsfrist bachab gegangen sein, rumms, schon einig. Möchte dann A (wo es doch grad darum geht, ob die Rollläden runter. Das bitte nie! Zweitens jene gelegentlich auf- Investition 8 oder 9 Nullen hat) sich betreffs Ambiente, Menü, tretende Sorge, die Fantasie könnte einmal nicht mehr hinrei- Weinset und Service noch gross Gedanken machen müssen? chen. Wie? Möchte er natürlich nicht. Und in der Tat stimmt im Goldenen Ganz einfach, die ProgrammZeitung ist ein Monatsheft mit ent- Sternen einfach alles; auch für uns, die wir vor so vielen Nullen sprechendem Vorlauf in der Produktion. Und schon sind wir kapitulieren. beim Punkt. Beim Wetter nämlich. Wie soll man sich am Ende Zuletzt noch ein wehmütiger Abschiedsblick. Hinten raus in eines masslos verregneten und geradezu bösartig kühlen Mo- den Hof, wo ein Brunnen traulich vor sich hin plätschert. Und nats Mai wohl den Juli vorstellen können? Wie einen Terrassen- vorne raus auf Basels schönsten Boulevard, am Rhein und unter oder Gartenbetrieb kritisch würdigen, wenn es immer nur run- Kastanienbäumen. Im Juli dann wird alles gut, versprochen. termacht? Sollte ich gar nur so tun, als sei ich dort gewesen | Oliver Lüdi (Fantasie!), frischfrech Lampions, den lauen Nachtwind, Som- Restaurant Zum Goldenen Sternen, St. Alban-Rheinweg 70, merschwüle und Trägerhemdchen erfinden? Nimmer! T 061 272 16 66, Mo bis Sa 11.00—24.00, So 11.00—22.00 Abb. Brunnen im Hof, Foto: Anke Häckell FERIENLEKTÜRE Randzonen Europas Eisenbahn & Co. Zukunft durch Kooperation db. Einen faszinierenden ‹Atlas des ver- db. Ausgiebig feiert Olten seine Liaison mit db. Vor zwei Jahren wurde in Kärnten (A) der schwindenden Europas› haben kürzlich zwei der Bahn, die schon 150 Jahre währt und zur Verein ‹Landschaft des Wissens› gegründet, engagierte und ausgewiesene Kennerinnen rasanten Entwicklung und Industrialisierung der sich in Theorie und Praxis mit Perspekti- Osteuropas herausgegeben. Der Band versam- der Stadt beigetragen hat. Ein Kilometer-Null- ven für den ländlichen Raum beschäftigt, ent- melt unter dem Titel ‹Last & Lost› dreissig Stein im Bahnhof erinnert daran, dass von hier sprechende Vorhaben initiiert, begleitet und Text- und (eigenständige) Bildbeiträge von z.T. aus ursprünglich das Schweizer Schienennetz dokumentiert. Im ersten Band der gleichnami- namhaften AutorInnen. Sie sind Orten und vermessen wurde. Olten als Eisenbahnknoten- gen Buchreihe werden sieben aussergewöhnli- Landschaften gewidmet, die durch menschli- punkt bedeutete Arbeitsplätze, und noch heute che Projekte in sechs europäischen Ländern che Willkür oder Naturgewalt vom Vergessen ist die Stadt für den Schienenverkehr wichtig. porträtiert, die zukunftsfähige ‹Strategien des und Verschwinden bedroht sind: Stadtviertel, Zum Jubiläum hat u.a. das Kunstmuseum eine Handwerks› beleuchten. Dass Kooperation da- Industriebrachen, ehemalige Feriendörfer, Ausstellung mit dem Titel ‹Reisenbahnen› or- bei ein Schlüsselwort ist, wird an den anschau- Küstenstriche. Es sind melancholisch-poeti- ganisiert. Rund 40 Schweizer Kunstschaf- lich beschriebenen Initiativen und Unterneh- sche, respektvolle, erschütternde Schilderun- fende, darunter etliche aus Basel, zeigen mit men beeindruckend deutlich. Vorgestellt gen von Gefährdung, Verwahrlosung und Zer- unterschiedlichen Medien geschaffene Werke werden Netzwerke und Betriebe, die u.a. Mass- fall (virtuos der Beitrag über die Freak-‹Insel› zum Thema Reisen. Als literarische Ergän- schuhe, Filztextilien, Färbemittel, Stühle, Bau- Amsterdams!) und sie betreffen neben ost- zung empfiehlt sich die Anthologie ‹Im techniken, Keramik- und Glasobjekte produ- europäischen Gebieten u.a. Gegenden in Nor- ganzen Land schön›, zu der 15 AutorInnen bei- zieren und dafür beispielhafte Strukturen und wegen, England, Frankreich, Deutschland und getragen haben. Mit einer Tageskarte ausgerü- nachhaltige Strategien entwickelt haben. Jede Spanien. Persönliche Reportagen, die Zeit- stet, haben sie die Heimat auf Rädern erkun- Reportage fasst die Projekterkenntnisse zu- und Sozialgeschichte mal anders erzählen und det und variantenreich beschrieben. Ein Band, sammen, die auch für andere Branchen und zu Entdeckungen vor der eigenen Haustür der mehr von Land und Leuten verrät als man- Regionen inspirierend sein können. Das sorg- anregen. ches herkömmliche Reisebuch. fältig gestaltete Buch (mit Fadenheftung und ‹Last & Lost›. Ein Atlas des verschwindenden Ausstellung ‹Reisenbahnen›: bis So 9.7. im Leseband) endet mit weiterführender Literatur Europas. Hg. Katharina Raabe und Monika Sna- Kunstmuseum Olten und sämtlichen Adressen der Beteiligten. jderman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt, 2006. ‹Im ganzen Land schön›. Die Schweiz mit der ‹Strategien des Handwerks›. Verlag Paul 336 S., gb., farb. Abb., CHF 52.70 Tageskarte. Hg. Dieter Bachmann, Limmat Ver- Haupt, Bern 2006. 368 S., Abb., gb., CHF 48 lag, Zürich, 2006. 208 S., gb., CHF 36 JULI + AUGUST 2006 | PROGRAMM ZEITUNG | 13
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