Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen - UKE
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Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen
Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen
Impressum Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen Stand 08/2020 © 2020 Herausgeber Prof. Dr. med. Albert Nienhaus Prof. Dr. med. Volker Harth Competenzzentrum Epidemiologie und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen (CVcare), Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) Bethanien-Höfe Eppendorf Martinistraße 52 CVcare 20246 Hamburg, Deutschland Competenzzentrum Epidemiologie und www.cvcare.de Versorgungsforschung bei Pflegeberufen Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin (ZfAM) Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)/ Behörde für Justiz und Verbraucherschutz (BJV) Seewartenstraße 10, Haus 1 20459 Hamburg, Deutschland www.uke.de/arbeitsmedizin Autorinnen und Autoren Dr. Tanja Wirth, M. Sc. Health Sciences (CVcare), Julia Lengen, M. Sc. Health Sciences (ZfAM), Dr. Janika Mette, M. Sc. Psych. (ZfAM), PD Dr. Dr. Stefanie Mache, Dipl.-Psych., MHA (ZfAM), Prof. Dr. med. Volker Harth, MPH (ZfAM), Prof. Dr. med. Albert Nienhaus, MPH (CVcare) Lektorat Angelika Buchholz, Frankfurt Layout und Satz Ethel Knop, Hamburg Druck OSTERKUS[S] gGmbH, Hamburg Fotos Shutterstock │ AdobeStock │ Depositphotos Gefördert von der Selbstverwaltung der
Inhalt Vorwort 7 1 Hintergrund 9 1.1 Zuwanderung und Wohnungslosigkeit in Deutschland 9 1.2 Rahmenbedingungen in der Sozialen Arbeit und der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe 9 1.3 Arbeitsbedingungen in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe 12 2 Arbeitsanforderungen und -ressourcen 15 2.1 Arbeitsinhalt 15 - Bedeutung der Arbeit und Erleben von Erfolgen 15 - Emotionale Anforderungen 17 - Arbeitsmenge 18 - Sprachliche und kulturelle Barrieren 19 - Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Klienten/-innen 20 2.2 Arbeitsorganisation 22 - Personalausstattung 22 - Arbeitszeiten 23 - Zeitdruck 24 - Zusammenarbeit mit Dritten/Netzwerke 25 2.3 Soziale Beziehungen 24 - Soziale Unterstützung im Team 26 - Unterstützung und Wertschätzung durch Führungskräfte 27 2.4 Arbeitsumgebung 28 2.5 Neue Arbeitsformen: Entgrenzung der Arbeit 29 3 Arbeit und Gesundheit 31 3.1 Arbeitszufriedenheit und -engagement 31 3.2 Präsentismus 31 3.3 Psychische Gesundheit 32 3.4 Resilienz 33 3.5 Berufsperspektive 33 4 Copingstrategien 35 4.1 Problemorientierte Copingstrategien 35 4.2 Emotionsorientierte Copingstrategien 35 4.3 Abgrenzungsfähigkeit 35 5 Unterstützung und betriebliche Gesundheitsförderung 37 5.1 Unterstützungsangebote 37 5.2 Angebote der Gesundheitsförderung 38 5.3 Vergleich der Trägerarten 38 5.4 Als hilfreich empfundene Unterstützungsangebote 38 5.5 Wünsche und Bedürfnisse 39 Literaturverzeichnis 41 Anhang 43 Anhang 1: Charakteristika der Teilnehmenden an den Interviews 43 Anhang 2: Charakteristika der Teilnehmenden an der Onlinebefragung 44 Anhang 3: Publikationsverzeichnis 46 Praxishandbuch_2020_Inhalt 5
Vorwort Dieser Bericht stellt die Ergebnisse aus dem tels validierter Skalen und speziell für die Projekt zur Arbeit, Gesundheit und zu dem Berufsgruppe entwickelter Fragen Angaben Unterstützungsbedarf von Beschäftigten zur ihrer Arbeits- und Gesundheitssituation in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und und zu vorhandenen und gewünschten Maß- wohnungslosen Menschen vor. Im Rahmen nahmen der Gesundheitsförderung machen des Projekts wurden die Arbeits- und Ge- konnten. Insgesamt nahmen 253 Beschäf- sundheitssituation der Beschäftigten unter- tigte aus Hamburg, Schleswig-Holstein, Berlin sucht und Handlungsempfehlungen für Maß- und Mecklenburg-Vorpommern an der Be- nahmen der betrieblichen Gesundheitsför- fragung teil. Die erhobenen Daten wurden derung und Prävention für diese Berufs- mittels statistischer Verfahren ausgewertet. gruppe abgeleitet. Die Ergebnisse sollen da- Bei einigen Skalen werden die Werte der zu beitragen, dem Thema Gesundheit der Onlinebefragung mit einer Vergleichsgrup- Mitarbeiter/-innen in den entsprechenden pe anderer Berufe aus der Datenbank des Einrichtungen zu mehr Beachtung zu ver- Copenhagen Psychosocial Questionnaire helfen und gemeinsam mit ihnen gesund- (COPSOQ-Datenbank) verglichen [1] . heitsförderliche Maßnahmen zu entwickeln. Tabellarische Übersichten der soziodemo- Die Ergebnisse aus diesem Projekt basieren grafischen Merkmale der Teilnehmenden an auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen aus den Interviews und der Onlinebefragung drei methodischen Ansätzen: sind im Anhang 1 und Anhang 2 aufgeführt. » Literaturübersicht Aus den wissenschaftlichen Ergebnissen In einem ersten Schritt wurde eine syste- dieser drei Studienabschnitte wurden für matische Recherche nach nationalen und in- dieses Praxishandbuch direkte Handlungs- ternationalen Studien zu den Arbeitsbedin- empfehlungen abgeleitet. Die Empfehlun- gungen und der psychischen Gesundheit gen wurden in zwei digitalen Workshops mit von Beschäftigten in der Geflüchteten- und Beschäftigten und Führungskräften aus der Wohnungslosenhilfe durchgeführt. Die Ergeb- Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe dis- nisse aus den Studien wurden thematisch kutiert und mit Bezug auf die Hinweise aus analysiert und zusammengefasst. der Praxis überarbeitet. Dadurch können nun wissenschaftlich fundierte und praxistaug- » Qualitative Interviews liche Handlungsempfehlungen für eine ge- mit Beschäftigten sundheitsförderliche Arbeitsgestaltung dar- gestellt werden. Im zweiten Schritt wurden 26 Beschäftigte aus der Geflüchteten- und Wohnungslosen- Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Ein- hilfe in Hamburg und Berlin interviewt. In den richtungen und Beschäftigten der Geflüchte- Interviews berichteten die Befragten über ihre ten- und Wohnungslosenhilfe, die mit ihrer Erfahrungen mit Belastungen bei der Arbeit, Teilnahme an den Interviews und der On- ihre Zufriedenheit und gesundheitliche Situa- linebefragung die erfolgreiche Durchführung tion sowie über Unterstützungsangebote des Projekts erst möglich gemacht haben. und Bedürfnisse. Die Interviews wurden an- Zudem sind wir der Selbstverwaltung der hand einer qualitativen Inhaltsanalyse aus- Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst gewertet. In diesem Praxishandbuch sind und Wohlfahrtspflege (BGW) sehr dankbar direkte Zitate aus den Interviews in Sprech- für die freundliche Unterstützung und Förde- blasen dargestellt. rung des Projekts. « » Quantitative Online- befragung Abschließend fand eine anonyme Online- befragung statt, in der Beschäftigte aus der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe mit- Praxishandbuch_2020_Vorwort 7
1.1 Zuwanderung und Wohnungslosigkeit in Deutschland Die Zahl der geflüchteten Menschen ist im vergangenen Jahrzehnt weltweit kontinuierlich gestiegen, z. B. durch Konflikte in Syrien und dem Nahen Osten. Im Jahr 2016 verzeichnete Deutschland die weltweit höchsten Asylantragszahlen [2]. Seitdem werden geflüchtete Men- schen auch in der Statistik zur Wohnungslosigkeit in Deutschland von der Bundesarbeits- gemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. (BAG W) miterfasst. Wohnungslose anerkannte Ge- flüchtete machen mittlerweile in der Statistik den größten Anteil aus (Abb. 1). Insgesamt ist die Anzahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gestiegen. Auch nach der Einführung eines verbesserten Schätzmodells geht die BAG W davon aus, dass die Anzahl auf insgesamt niedrigerem Niveau weiter ange- stiegen ist. Die Ursachen für diesen Anstieg liegen vor allem in einem zunehmenden Man- gel an bezahlbarem Wohnraum und Sozialwohnungen sowie der Verstetigung von Armut [4]. Die steigende Anzahl der Klienten/-innen unterstreicht die aktuelle Bedeutung des Tätigkeits- felds der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe innerhalb der Sozialen Arbeit. 1.2 Rahmenbedingungen in der Sozialen Arbeit und der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe Im Zuge der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit hat sich auch die Trägerlandschaft in diesem Bereich verändert. Kommunen sind seltener selbst in der Leistungserbringung tätig. Stattdessen vergeben sie diese an freie und privatgewerbliche Träger und schließen Leistungsverträge mit ihnen ab [5, 6]. Freigemeinnützige Träger (insbesondere Wohlfahrtsverbände) stellen den zent- ralen Leistungserbringer der Sozialen Arbeit dar. Insgesamt sind über 70 % der Beschäftigten in der Sozialen Arbeit bei Wohlfahrtsverbänden tätig [7]. In der vorliegenden Onlinebefragung ist ebenfalls die überwiegende Mehrheit der Befragten bei einem freien Träger beschäftigt. Beschäftigte von privatgewerblichen Trägern sind in der Befragung hingegen kaum vertreten (Abb. 2). » Einführung eines neuen 1.000.000 Schätzmodells 900.000 800.000 436.000 700.000 441.000 600.000 417.000 500.000 400.000 422.000 367.000 300.000 335.000 310.000 284.000 200.000 237.000 248.000 258.000 234.000 237.000 100.000 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Abb. 1 Schätzung der Anzahl wohnungsloser Menschen in Deutschland im Jahresverlauf [3] Praxishandbuch_2020_Hintergrund 9
Hintergrund Im Bereich der Sozialen Arbeit sind Be- Welchem Träger Welchem gehört Träger gehörtIhre IhreEinrichtung an? Einrichtung an? schäftigte mit unterschiedlichen Qualifika- tionen tätig: Zu den sogenannten Kernqua- 80 % 76,1 lifikationen der Sozialen Arbeit zählen vor allem Sozialarbeiter/-innen und Sozialpäd- 70 % agogen/-innen sowie Erzieher/-innen. Da- rüber hinaus sind Beschäftigte mit formalen 60 % Qualifikationen wie z. B. Pädagogen/-innen, 50 % Psychologen/-innen, Heilpädagogen/-innen, aber auch Ergänzungskräfte ohne eine ent- 40 % sprechende Berufsausbildung in diesem Be- reich tätig. Des Weiteren unterstützen viele 30 % ehrenamtliche Helfer/-innen die angestellten 22,7 Fachkräfte bei deren Arbeit [8]. 20 % In die vorliegende Onlinebefragung wurden 10 % ausschließlich hauptamtlich tätige Beschäf- 1,2 0% tigte eingeschlossen, die in Einrichtungen der Freier Träger Öffentlicher Privatgewerblicher Träger Träger Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe nach eigenen Angaben Tätigkeiten der Sozialen Ar- beit ausübten (direkte Betreuungs- und Be- Abb. 2 Einrichtungsträger der Befragten in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe ratungstätigkeiten). Auch hier spiegeln sich die vielfältigen Qualifikationen des Personals wider (Abb. 3). Die Mehrheit (62,4 %) verfügt jedoch über eine berufliche Qualifikation als Sozialarbeiter/-in oder Sozialpädagoge/-in. Insgesamt sind viele Beschäftigte in der Sozialen Arbeit im Rahmen öffentlich geförderter und zeitlich begrenzter Projekte tätig, weshalb es dort einen hohen Anteil an befristeten Arbeitsver- hältnissen gibt. Nach der Bundesagentur für Arbeit waren 58 % der im Jahr 2017 neu besetzten Stellen befristet [9]. Welche berufliche Qualifikation haben Sie erworben? Welche berufliche Qualifikation haben Sie erworben? Sozialarbeiter/-in/Sozialpädagoge/-in 62,4 Erzieher/-in 3,1 Heilerziehungspfleger/-in 1,6 Geisteswissenschaftler/-in 7,4 Rechts-/Wirtschafts-/Sozialwissenschaftler/-in 18,2 Gesundheitsbezogene Lehre 3,1 Wirtschaftsbezogene Lehre 1,6 Andere berufliche Qualifikation 2,7 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% Abb. 3 Berufliche Qualifikation der Befragten in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe (Mehrfachantworten möglich) 10 Praxishandbuch_2020_Hintergrund
Haben Sie einen befristeten Arbeitsvertrag? 100% 89,3 90% 85,7 80% 70% 60,8 60% 50% 39,2 40% 30% 20% 14,3 10,7 10% 0% Ja Nein Geflüchtetenhilfe (n = 97) Wohnungslosenhilfe (n =126) In beiden Bereichen (n = 28) Abb. 4 Arbeitsverträge der Befragten in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe Von den Befragten in der vorliegenden Studie sind insgesamt 23,4 % mit einem befriste- ten Vertrag bei ihrem Arbeitgeber angestellt. Dieser Anteil ist jedoch in der Geflüchteten- hilfe (39,2 %) deutlich höher als in der Wohnungslosenhilfe (14,3 %) und bei Beschäftigten, die sowohl mit geflüchteten als auch mit wohnungslosen Menschen arbeiten (10,7 %) (Abb. 4). Im Bereich der Sozialen Arbeit sind viele Beschäftigte in Teilzeit tätig. Insgesamt ist etwa jeder zweite Arbeitsplatz ein Teilzeitplatz. Die Teilzeitquote liegt damit deutlich höher als im Durchschnitt aller sozialvesicherungspflichtig Beschäftigten mit einem komplexen Aufgaben- profil [9]. Ergebnissen der Onlinebefragung von Beschäftigten in der Geflüchteten- und Wohnungslosen- hilfe zufolge arbeitet die Mehrheit der Befragten Vollzeit (59,1 %). Allerdings ist in der Woh- nungslosenhilfe auch etwa jede/-r zweite Teilzeit beschäftigt (Abb. 5). » Praxishandbuch_2020_Hintergrund 11
Hintergrund Arbeiten Sie Vollzeit? 90% 80% 78,6 70,1 70% 60% 54,0 50% 46,0 40% 29,9 30% 21,4 20% 10% 0% Ja Nein Geflüchtetenhilfe (n = 97) Wohnungslosenhilfe (n = 126) In beiden Bereichen (n = 28) Abb. 5 Arbeitszeiten der Befragten in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe 12 Praxishandbuch_2020_Hintergrund
1.3 Arbeitsbedingungen in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe Im Bereich der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe betreuen und beraten die Be- schäftigten der Sozialen Arbeit Menschen, die sich z. B. in Bezug auf ihre materielle Situa- tion, soziale Integration und Gesundheit in besonders prekären Lebenslagen befinden. Zudem- gibt es in der Bevölkerung zum Teil negative Meinungen über geflüchtete und wohnungs- lose Menschen [10-12]. Beschäftigte in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe können daher bei ihrer Arbeit vor großen emotionalen Anforderungen sowie besonderen Schwierigkei- ten in der Durchsetzung der Interessen ihrer Klienten/-innen stehen. Anhand der Analyse nationaler und interna- tionaler Studien zeigt sich, dass die häufigsten Arbeitsanforderungen in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe die Arbeitsinhal- te und die Arbeitsorganisaton betreffen. Da- zu gehören unter anderem das Erleben des Leids der Klienten/-innen, ein großes Fall- und Arbeitsaufkommen und die Arbeit in einem als bürokratisch empfundenen System. Wichtige Arbeitsressourcen liegen ebenfalls im Arbeitsinhalt (z. B. Sinnhaftigkeit der Ar- beit), aber auch in sozialen Beziehungen wie z. B. in der Unterstützung durch das Team. Die Abbildung 6 listet die in der Literatur am häufigsten identifizierten Arbeitsanforderungen und -ressourcen auf. Auf viele dieser Themen wird im Folgenden genauer eingegangen, da sie auch in den Interviews und der Onlinebefra- gung eine wichtige Rolle spielten. « Arbeitsanforderungen Arbeitsressourcen Arbeitsinhalt Arbeitsinhalt • Erleben des Leids der Klienten/-innen • Sinnhaftigkeit der Arbeit • Geringe Veränderungsmöglichkeiten/ • Arbeit repräsentiert eigene Werte/ Erfolge Interessen • Großes Fall- und Arbeitsaufkommen • Wertschätzung der Klienten/-innen • Aggressives Verhalten von Klienten/ Soziale Beziehungen -innen • Soziale Unterstützung im Team • Professionelle Distanz zu Klienten/ • Unterstützung durch Vorgesetzte -innen wahren • Geringer Handlungs-/Entscheidungs- spielraum • Sprachliche Barrieren Arbeitsorganisation • Arbeit im bürokratischen System • Geringe Bezahlung Abb. 6 Zentrale Arbeitsanforderungen und -ressourcen in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe Praxishandbuch_2020_Hintergrund 13
2 Arbeitsanforderungen und -ressourcen Die folgenden Abschnitte stellen einige arbeitsbedingte Anforderungen und Ressourcen von Beschäftigten in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe dar – eingeteilt nach dem Ar- beitsinhalt, der Arbeitsorganisation, den sozialen Beziehungen, der Arbeitsumgebung und neu- en Arbeitsformen [13]. 2.1 Arbeitsinhalt Bedeutung der Arbeit und Erleben von Erfolgen Beschäftigte in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe erleben ihre Arbeit als sehr sinn- voll und schreiben ihr eine größere Bedeutung zu als Beschäftigte anderer Bereiche (Abb. 7). Die Bedeutung der Arbeit ist ein wichtiger Faktor, der im Zusammenhang mit einer größeren Arbeitszufriedenheit und einem größeren Arbeitsengagement bei den Beschäftigten steht. Für die Beschäftigten ist es zudem besonders motivierend, positive Entwicklungen und Erfolge von Klienten/-innen mitzuerleben und deren Wertschätzung und Anerkennung für die eigene Arbeit zu erfahren. „Ein Erfolgserlebnis ist, wenn Dennoch beschreibt ein großer Anteil der Mitarbeiter/ jemand in die eigene Wohnung -innen, wenig Erfolge in ihrer Arbeit zu sehen und einzieht, und wenn man dabei noch Schwierigkeiten bei der Motivation der Klienten/- unterstützen konnte, erst recht.“ innen und dem Finden von Lösungsmöglichkeiten für Quereinsteiger, Wohnungslosenhilfe deren Probleme zu haben (Abb. 8). » Bedeutung 81 der Arbeit 74 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe (n = 253) Andere Berufe (n = 10.022) Abb. 7 Mittelwertvergleich der Skala zur Bedeutung der Arbeit Wie oft erleben Sie die folgenden Aspekte im Rahmen Ihrer Arbeitstätigkeit? 2,8 Wenig sichtbare Erfolge in der Arbeit 1,2 15,4 49,8 30,8 mit Klienten/-innen 3,2 Probleme Klienten/-innen 0,8 11,9 47,6 36,5 zu motivieren 3,2 Geringe Lösungsmöglichkeiten 0,4 10,3 41,7 44,4 für Probleme der Klienten/-innen 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Nie/fast nie Selten Manchmal Oft Immer Abb. 8 Erfolge und Schwierigkeiten bei der Problemlösung der Klienten/-innen Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen 15
Arbeitsanforderungen und -ressourcen „Ich sehe dann bei mir auch so eine Spirale Als Ursachen für diese Schwierigkeiten beschrei- oder Hilflosigkeit (...). Das ist für mich schon teilweise sehr traurig und frustrierend. ben Beschäftigte z. B. gesellschaftliche Barrieren Ich sage immer, ich hätte gerne eine Schub- für Klienten/-innen und schwierige Rahmenbe- lade mit 500 Wohnungen (...).“ dingungen am Wohnungmarkt. Manche sehen Sozialarbeiterin, Wohnungslosenhilfe das Hilfsangebot durch gesetzliche Vorgaben und für bestimmte Gruppen von Klienten/-innen wie EU-Zugewanderte, schwer traumatisierte oder suchtkranke Klienten/-innen, als eingeschränkt an. Für die Mitarbeiter/-innen ist das frustrierend und kann zu Gefühlen der Hilflosigkeit führen. Handlungsempfehlungen: Verhältnisorientiert Verhaltensorientiert • Erfolge sichtbar machen, z. B. Team- • Stecken realistischer Ziele/ sitzungen/Fallbesprechungen – kleinschrittiger Teilziele sofern passend – mit einer „Erfolgs- • Bewusstmachen kleiner Erfolge runde“ einleiten [14] (Selbstreflexion) • Angebot von Workshops zur Selbst- • Erfolge dokumentieren/visualisieren reflexion • Erfolge im Team gemeinsam „feiern“ • Methoden zum Bewusstmachen von Arbeitserfolgen in Fortbildungen integrieren Politische Forderung • Verbesserung der Rahmenbedingungen am Wohnungsmarkt (z. B. durch verstärkten sozialen Wohnungsbau) 16 Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
„Durch diese Probleme, (…), Emotionale Anforderungen von den Erzählungen, ja, das habe ich eine Weile mal Geflüchtete und wohnungslose Klienten/-innen befinden sich fast zu eigenen gemacht.“ in sehr prekären Lebenslagen und ein erheblicher Anteil von Quereinsteiger, ihnen leidet unter einer schweren Traumatisierung. Bei ihrer Wohnungslosenhilfe Arbeit erlangen die Beschäftigten häufig Einblick in die per- sönlichen Hintergründe und Geschichten ihrer Klienten/-in- nen. In der Onlinebefragung haben 59,3 % der Beschäftigten angegeben, oft mit schweren persönlichen Schicksalen der Klienten/-innen konfrontiert zu werden; 19,8 % erleben dies immer. Das Erleben dieser persönlichen Schicksale kann zu gro- ßen emotionalen Anforderungen durch die Arbeit führen. Für Beschäftigte sind z. B. die Traumatisierungen und Ängste, Fluchtgeschichten, Verwahrlosung, Todesfälle und Rückfälle von Klienten/-innen emotional belastend. Die Notwendigkeit, Emotionen wie Gefühle und Meinungen bei ihrer Arbeit zu verbergen, sowie die emotionalen Anforderungen halten Beschäftigte in der Geflüchteten- und Wohnungs- losenhilfe für ausgeprägter als Beschäftigte in anderen beruflichen Bereichen (Abb. 9). Beide Faktoren stehen im Zusammenhang mit dem Erleben von Stress sowie einer größeren Burnout-Gefährdung und wirken sich negativ auf die Arbeitszufriedenheit und das Arbeits- engagement aus. » Verbergen von 51 Emotionen 46 Emotionale 66 Anforderungen 52 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe (n = 253) Andere Berufe (n = 10.022) Abb. 9 Mittelwertvergleiche von Skalen zur Arbeit mit Emotionen Handlungsempfehlungen: Verhältnisorientiert Verhaltensorientiert • Regelmäßige Fallbesprechungen im • Nutzung aktiver/instrumenteller Team (mindestens monatlich) Bewältigungsstrategien [15] (z. B. soziale Unterstützung im beruflichen/ • Informeller Austausch im Team über privaten Umfeld, aktiver Austausch im emotionale Belastungen Kollegen/-innenkreis, Einholen von Informa- (siehe Kapitel soziale Unterstützung) tionen [16] z. B. zu spezifischen Beratungs- • Gruppensupervisionen zur Verarbei- anlässen) tung der emotionalen Belastungen • Wahrnehmen von Kursangeboten • Beschäftigten (bei Bedarf) Einzel- (z. B. zur Stärkung der Resilienz und zum supervisionen anbieten Erlernen adäquater Problemlösungs- bzw. Bewältigungsstrategien) [16] • Notfallpläne für besonders belas- tende Vorfälle (z. B. Suizidversuche, Todesfälle) entwickeln; Beschäftigten Zeit zur Verarbeitung geben • Bei Bedarf Fortbildungen zu Selbst- fürsorgethemen vermitteln Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen 17
Arbeitsanforderungen und -ressourcen Arbeitsmenge „Was so nebenbei noch eigentlich Die Arbeit in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe ist nicht immer alles anfällt (...). Man betrachtet nur: gleichmäßig verteilt. Einige Beschäftigte beschreiben das Arbeitspensum als „Die arbeiten mit vielen Leuten.“ Aber was sich organisatorisch wellenförmig, da sie sowohl ruhigere als auch sehr stressige Phasen wirklich noch nebenbei abspielt, erleben, was zum Teil mit schwankenden Zahlen von Klienten/-innen das ist unglaublich viel.“ zusammenhängt. Andere erleben die Arbeitsmenge als sehr groß sowie Ernährungswissenschaftlerin, Wohnungslosenhilfe belastend und führen dies z. B. auf die zahlreichen unterschiedlichen Ar- beitsaufgaben, eine zu große Anzahl an Klienten/-innen und die Übernahme zusätzlicher Aufgaben aufgrund von Personalausfällen zurück. Quantitative Anforderungen umfassen Aspekte wie schnelles Arbeiten, sich auftürmende Ar- beit, nicht genügend Zeit zur Erledigung von Aufgaben und das Ableisten von Überstunden. Die Befragten aus der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe bewerten ihre quantitativen Anforde- rungen auf vergleichbarem Niveau wie der Durschnitt anderer Berufe in Deutschland (Abb. 10). Dennoch sollten die quantitativen Anforderungen ausreichend beachtet werden. Es gibt star- ke direkte Zusammenhänge zwischen den quantitativen Anforderungen und dem Erleben von Stress sowie einer erhöhten Burnout-Gefährdung. Bei großen quantitativen Anforderungen kann somit die Gesundheit der Beschäftigten gefährdet sein. Quantitative 54 Anforderungen 55 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe (n = 253) Andere Berufe (n = 10.022) Abb. 10 Mittelwertvergleich der Skala zu den quantitativen Anforderungen Handlungsempfehlungen: Verhältnisorientiert Verhaltensorientiert • Die quantitativen Anforderungen • Priorisierung von Arbeitsaufgaben (Arbeitsmenge) der Beschäftigten an (siehe Kapitel Zeitdruck) das „Leistbare“ anpassen • Wahrnehmen von Kursangeboten • Adäquate Gestaltung der Zielvor- (z. B. zu Stressreduktion, Zeitmanagement) gaben (z. B. zu Beratungs- oder • Reflexion des eigenen Anspruchs; An- Belegungszahlen) passen an realisierbare Arbeitsmenge • Meldesystem für Überlastung in- und -qualität, individuell und im Team klusive wirkungsvoller Hilfemechanis- • Aufgabenverteilungen im Team bzw. mit men, die verbindlich Verbesserung der Führungskraft besprechen und da- erzielen rüber informieren • Überlastungen der Führungskraft melden Politische Forderung und gemeinsam nach Lösungen suchen • Reduktion von Fallzahlen bzw. Anpassung der Personalschlüssel Hinweise für Führungskräfte (siehe Kapitel Personalausstattung) • Vertrauensvolle Basis im Team schaffen, in der Mitarbeiter/-innen eine zu große Arbeitsbelastung melden können • Regelmäßig gezielt nach der Arbeitsbe- lastung im Team fragen und ggf. gemein- sam Lösungen entwickeln 18 Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
Sprachliche und kulturelle Barrieren Der Anteil nicht deutscher Klienten/-innen in der Wohnungslosenhilfe ist von 2007 bis 2017 von etwa 9 % auf knapp 26 % gestiegen. In manchen niedrigschwelligen Einrichtungen großer Städte beläuft sich dieser Anteil sogar auf über 50 % [17]. Sowohl in der Geflüchtetenhilfe als auch in der Wohnungslosenhilfe arbeiten die Beschäftigten daher mit Klienten/-innen unter- schiedlichster kultureller Herkunft zusammen. Viele Beschäftigte empfinden gerade diese Ein- blicke in andere Kulturen, Länder und Sprachen als sehr bereichernd. Andererseits erleben sie sehr häufig sprachliche Barrieren (Abb.11). Durch diese sprachlichen Barrieren und kulturellen Unterschiede kann die Beratung mehr Zeit in Anspruch nehmen, können Verhaltensweisen von Klienten/-innen schwerer nachzuvollziehen sein und Missverständnisse auftreten. Beschäf- tigte erleben zudem, dass nicht immer ausreichend Dolmetscher/-innen als Unterstützung bei der Betreuung und Beratung ihrer Klienten/-innen zur Verfügung stehen. » Wie oft erleben Sie sprachliche Barrieren in der Arbeit 80% mit Klienten/-innen? 67,9 70% 61,2 60% 50% 42,9 40% 32,5 30% 19,4 20% 16,7 16,3 14,3 7,1 7,1 10% 4,8 3,6 3,1 3,2 0 0% Nie/fast nie Selten Manchmal Oft Immer Wohnungslosenhilfe (n = 126) Geflüchtetenhilfe (n = 98) In beiden Bereichen (n = 28) Abb. 11 Sprachliche Barrieren im Kontakt mit Klienten/-innen Handlungsempfehlungen: Verhältnisorientiert Verhaltensorientiert • Mehrsprachiges Personal bzw. fachliche • Fortbildung zum Erlernen der Grundlagen Qualifizierung von Personen mit relevan- einer häufig vorkommenden Fremdsprache ten Fremdsprachenkenntnissen bzw. zur Förderung interkultureller Kom- • Verteilung der Fälle nach sprachlicher petenzen Kompetenz • Nutzung von Webseiten zum mobilen • Ausreichend Dolmetscher/-innen zur Ver- Übersetzen fügung stellen, wenn es im Arbeitskontext sinnvoll erscheint • Die Hilfen an das Sprachniveau der Klienten/-innen anpassen • Kooperation mit Projekten, die Sprachmitt- ler/-innen ausbilden/zur Verfügung stellen • Umgang mit kulturellen Barrieren (z. B. hinsichtlich Zuverlässigkeit und • Umgang mit sprachlichen Problemen z. B. im Kontext des Gesundheitswesens: Erwartungen): ➞ Hinzuziehen von Gesundheitsmediatoren ➞ Kulturelle Barrieren bzw. Unterschiede ➞ Nutzung von Sprachmittlungstools wie gemeinsam mit Klienten/-innen reflek- medizinische Sprachführer für Arztbesuche tieren • Netzwerkarbeit: Informationsaustausch über Sprachkenntnisse vergleichbarer sozialer Ein- ➞ den Klienten/-innen mit Geduld und richtungen, ggf. Empfehlungen, um „Angebot Ausdauer begegnen und Nachfrage“ zusammenzubringen ➞ an die Eigenverantwortung appellieren Politische Forderung ➞ Folgen des Verhaltens verdeutlichen • Forcierung der interkulturellen Öffnung der Verwaltung • Finanzierung von Deutschkursen für Ge- flüchtete (auch ohne Aufenthaltstitel), zur Realisierung deutschsprachiger Hilfen Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen 19
Arbeitsanforderungen und -ressourcen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Klienten/-innen Die enge Zusammenarbeit mit Klienten/-innen ist einer der Kernpunkte der Arbeit in der Ge- flüchteten- und Wohnungslosenhilfe. Dabei kommt es jedoch auch zu Schwierigkeiten. Etwa 54,1 % der Befragten aus der Onlineerhebung erleben immer oder oft, dass Klienten/-innen übersteigerte Erwartungen ihnen gegenüber haben. Im Zusammenhang mit großen und zum Teil unrealistischen Erwartungen berichten Beschäftigte „Wir werden auch nicht immer dass die Klienten/-innen z. B. die gesamte Verantwortung bei ihren Betreuen- mit offenen Armen empfangen, den sehen und sofortige oder persönliche Hilfe erwarten. Die Beschäftigten das heißt, wir werden aggressiv verbal beschimpft, es gibt auch haben manchmal Mühe, sich von solchen Forderungen abzugrenzen. nonverbale Aggressivität bzw. Gewalt gegen uns (…).“ Darüber hinaus nehmen Beschäftigte den Umgang mit aggressivem Verhalten Ouereinsteiger, Wohnungslosenhilfe von Klienten/-innen und Gewaltvorfällen in den Einrichtungen als besonders schwierig wahr. Konflikte können z. B. zwischen Klienten/-innen untereinander, aber auch mit Beschäftigten auftreten. Etwa 76,4 % der Befragten haben in den vergangenen zwölf Monaten verbale und 30,4 % körperliche Aggressionen durch Klien- ten/-innen erlebt (Abb. 12). » Haben Sie in den letzten 12 Monaten körperliche/verbale Aggressionen 80% durch Klienten/-innen erlebt? 69,6 70% 60% 50% 40% 28,0 30% 23,6 19,6 20% 13,0 12,8 16,0 11,5 10% 5,1 0,8 0% Nie 1x im Jahr 1x im Vierteljahr 1x im Monat Mind. 1x in der Woche Körperliche Aggressionen Verbale Aggressionen Abb. 12 Erfahrungen mit körperlichen und verbalen Aggressionen 20 Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
Handlungsempfehlungen: Verhältnisorientiert Verhaltensorientiert Gewaltprävention Gewaltprävention • Hausordnung/Regeln für Klienten/-innen [18] • Vermeiden von Situationen, die Klienten/- innen bedrängen könnten (psychisch und • Beratungsgespräche möglichst nicht physisch) unter Substanzeinfluss durchführen • Ggf. weiterführende Hilfen für die Probleme • Fallbearbeitung im Tandem; der Klienten/-innen finden (z. B. Verweisbe- Vermeidung von Alleinarbeit in ratung bei stärkeren psychischen Problemen kritischen Situationen oder Drogenabhängigkeit) • Bei schwierigen Beratungssituationen • Vor schwierigen Gesprächen mögliche sicherstellen, dass Kollegen/-innen in Lösungswege und Notfallpläne bedenken Sicht- bzw. Hörweite sind (in Wohnungen von Klienten/-innen auch • Möglichkeiten, Fälle an andere Kollgen/- Fluchtwege) innen bzw. Einrichtungen abzugeben • In Beratungsbüros Gegenstände, die poten- • Beratung und Informationen zur Gewalt- ziell als „Waffen“ dienen können, verstauen prävention durch die Polizei • Konflikt- und Deeskalationstraining; Informa- • Sichere Gestaltung der Arbeitsumgebung tion zum Umgang mit Gewaltvorfällen (z. B. Notfallknöpfe, Fluchtmöglichkeiten/- • Erlernen und regelmäßiges Auffrischen von türen, Rückzugsräume) [18] körperlichen Abwehrtechniken und mentaler • Anleitungen/Richtlinien zum Verhalten Abgrenzungsfähigkeit bei Gewaltvorfällen (Notfallplan) [18] • Ggf. Nachsorgeangebote nach Gewaltvor- • Erfassung/Dokumentation von Gewaltvor- fällen wahrnehmen (z. B. das Psychothera- fällen; ggf. Meldung als Arbeitsunfall [18] peutenverfahren der BGW) • Nachsorgekonzept für Gewaltvorfälle [18] Motivation und Erwartungen von Klienten/-innen Motivation und Erwartungen von • Klare Information über Zuständigkeiten; Klienten/-innen Über Grenzen der Hilfsangebote reflektieren, • Fortbildungen zum Thema Motivation von diese definieren und den Klienten/-innen Klienten/-innen aufzeigen Politische Forderung • Realistische Erwartungen an die Hilfen ver- • Verbesserung der Leistungsangebote für mitteln, um Konflikten durch übersteigerte Klienten/-innen (z. B. Wohnverhältnisse, Erwartungen vorzubeugen Therapieplätze, Freizeitangebote), um • Geduldig und konsequent die Regeln der Konflikten vorzubeugen; Öffentlichkeits- Beratung/Hilfen vermitteln und durchsetzen arbeit zu diesem Thema • Keine privaten Fotos oder Informationen im Blickfeld der Klienten/-innen, um professio- nelle Distanz zu wahren Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen 21
Arbeitsanforderungen und -ressourcen 2.2 Arbeitsorganisation Personalausstattung Sowohl in der Geflüchteten- als auch in der Wohnungslosenhilfe empfinden die Beschäftigten die Personalausstattung in ihrer Einrichtung zur Betreuung der Klienten/-innen häufig als nicht ausreichend (Abb. 13) „Das ist eigentlich der Hauptgrund, Viele Beschäftigte fühlen sich durch zu wenig Personal bzw. zu große warum wir hier an der und über der Grenze arbeiten, weil wir nämlich zu Betreuungsschlüssel überlastet. Im Einzelnen erleben Beschäftigte, wenig Personal hier haben.“ dass in den Einrichtungen Fachkräfte, z. B. mit speziellen Sprach- Quereinsteiger, Wohnungslosenhilfe kenntnissen, fehlen. Zudem werden sie in Diensten zeitweise allein oder nur mit wenigen anderen Beschäftigten eingesetzt. Dabei fühlen sie sich im Hinblick auf Konfliktsituationen mit Klienten/-innen überfordert und em- pfinden ihre Sicherheit als nicht gewährleistet. Vorübergehende personelle Probleme sind in der Vergangenheit auch durch den großen Bedarf an Fachkräften im Zuge der starken Flüchtlingszuwanderung sowie durch einen hohen Krankenstand und eine hohe Fluktuation innerhalb des eigenen Teams oder des Trägers entstanden. Wie oft erleben Sie, dass zu wenig Personal zur Betreuung der Klienten/-innen in der Einrichtung vorhanden ist? 40% 29,5 30% 25,5 20,3 20% 17,1 10% 7,6 0% Nie/fast nie Selten Manchmal Oft Immer Abb. 13 Empfundene Personalausstattung in den Einrichtungen Handlungsempfehlungen: Verhältnisorientiert Verhaltensorientiert • Attraktive und gesunde Arbeitsbedin- • Wertschätzender Umgang mit gungen schaffen, um Fluktuation Kollegen/-innen für ein gutes und krankheitsbedingte Arbeitsun- Betriebsklima fähigkeiten zu reduzieren • Kontinuierlich das Leistungsspektrum • Abschließen oder Ausweitung von gemeinsam im Team überprüfen und Tarifverträgen anstreben an die Personalsituation anpassen • Arbeitsverträge möglichst entfristen, (ggf. Aufgaben anders verteilen oder um Personal zu binden reduzieren) • Personalbedarf adressieren Politische Forderungen • Verbesserung der Personalschlüssel • Dem Fachkräftemangel durch Steige- rung der Attraktivität sozialer Berufe entgegenwirken 22 Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
Arbeitszeiten „Wünsche für Arbeitszei- Knapp 12 % der Befragten in der Geflüchteten- und Wohnungslosen- ten werden respektiert. hilfe sind im Schichtdienst tätig. Zwischen den Arbeitsbereichen zeigt Also es gibt verschiedene Schichten und du kannst sich dabei kein nennenswerter Unterschied (Abb. 14). deine Lieblingsschicht Beschäftigte im Schichtdienst empfinden diesen häufig als belastend. Dies sagen und du bekommst gilt insbesondere für einen unregelmäßigen Schichtrhythmus, geringe Ge- sie meistens auch immer.“ Sozialarbeiterin, staltungsmöglichkeiten und kurzfristige Änderungen am Schichtplan. Das Geflüchtetenhilfe Einbeziehen in die Dienstplangestaltung und eine Abstimmung im Team können den Beschäftigten beim Umgang mit dem Schichtdienst helfen. Bezüglich der Arbeitszeiten sind auch Überstunden für einige Beschäftigte ein wichtiges Thema. Viele leisten teilweise oder regelmäßig Überstunden. Eine Möglichkeit des Überstundenaus- gleichs wird dabei positiv wahrgenommen. Dennoch erleben Beschäftigte Konflikte zwischen ihrem Berufs- und Privatleben aufgrund langer Arbeitszeiten oder des Schichtdienstes. » Sind Sie im Schichtdienst tätig? 100% 92,9 89,4 86,5 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10,6 13,5 7,1 10% 0% Ja Nein Geflüchtetenhilfe (n = 94) Wohnungslosenhilfe (n = 126) In beiden Bereichen (n = 28) Abb. 14 Schichtdienst in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe Handlungsempfehlungen: Verhältnisorientiert Verhaltensorientiert • Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben • Verantwortungsbewusster Umgang individuell berücksichtigen mit Überstunden • Partizipation der Beschäftigten hinsichtlich • Zeit für Pausen einplanen und Arbeitszeiten (z. B. Wünsche bei Schicht- planungen berücksichtigen) Erholungspausen einlegen • Regelmäßiger Schichtrhythmus und diesen • Im Team auf die Einhaltung von nach gesundheitlichen Gesichtspunkten ge- Arbeits- und Pausenzeiten achten talten (vorwärts rotierende Schichtpläne) [19] • Frühzeitige Schichtplanung; kurzfristige Schichtänderungen vermeiden • Flexibles Arbeitszeitmodell implementieren, sofern feste Öffnungs- und Beratungszeiten dies zulassen • Erfassung von Überstunden und Möglichkeit zum Überstundenausgleich und/oder -abgeltung ‚ (Freizeitausgleich oder monetäre Entlohnung) [19] • Etablierung einer Unternehmenskultur, in der Überstunden möglichst vermieden [19] und Pausen eingelegt werden (bei rechtlichen Fragen hinsicht- lich Arbeitszeiten kann ggf. ein Betriebsrat unter- stützen) Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen 23
Arbeitsanforderungen und -ressourcen Zeitdruck „Es gibt viele Notfälle, die bei Viele Beschäftigte in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe müssen eine uns auftauchen (…). Und das große Arbeitsmenge bewältigen und häufig dringliche Aufgaben erledigen, Problem ist, dass man nicht die zeitlichen Kapazitäten hat, wodurch sie teilweise unter Zeitdruck arbeiten. Dies führt bei einigen zu einem diese Notfälle dann adäquat Gefühl der Überforderung und kann sich negativ auf ihre Gesundheit auswir- zu bedienen.“ ken. Manche Beschäftigte befürchten zudem, dass die Qualität ihrer Arbeit Sozialarbeiterin, Geflüchtetenhilfe unter dem Zeitdruck leiden könnte. In der Onlinebefragung haben lediglich 13,1 % der Beschäftigten angegeben, nie oder selten unter Zeitdruck bei ih- rer Arbeit zu stehen. Etwa 38,5 % erleben manchmal, 40,1 % oft und 8,3 % immer ein Gefühl von Zeitdruck. Häufige Arbeitsunterbrechungen (z. B. durch Anrufe oder An- liegen von Klienten/-innen oder Kollegen/-innen) und plötzlich auftretende dringend zu erle- digende Aufgaben tragen im höchsten Maß zu dem Erleben von Zeitdruck in der betrachteten Branche bei (Abb. 15). In welchem Maß tragen die folgenden Aspekte zu Ihrem In welchem Maß tragen die folgenden Aspekte zu Ihrem Erleben Erleben von Zeitdruck bei?bei? von Zeitdruck Häufige Arbeitsunterbrechungen 70,9* Plötzliche, dringliche Aufgaben 70,2 Gleichzeitig zu erledigende Aufgaben 67,7 Hoher Verwaltungs-/Dokumentationsaufwand 67,3 Hohe Anzahl zu betreuender Klienten/-innen 60,5 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 In sehr In sehr geringem Maß hohem Maß Abb. 15 Ursachen von Zeitdruck *Skalenmittelwerte Handlungsempfehlungen: Verhältnisorientiert Verhaltensorientiert • Strukturen möglichst effizient • Kollegialer Austausch im Hinblick auf gestalten Zeitmanagement und Prioritätensetzung • Arbeitsstrukturen mit wenig Unter- • Bei Arbeitsaufgaben Prioritäten setzen brechungen/Störungen schaffen (ggf. unwichtige Aufgaben streichen oder (z. B. Telefone/Handys können während verschieben, Aufgaben delegieren) der Beratung von Klienten/-innen lautlos • Verbesserung des eigenen Zeitmanage- gestellt oder umgestellt werden; Ampel- ments (z. B. genügend Zeit für Termine und system zum Anzeigen von Arbeitspha- Pausen zwischen Terminen einplanen) sen: ansprechbar bis hochkonzentriert) • Bedürfnisse der Klienten/-innen nicht • Arbeitsabläufe/Aufgabenverteilung zwangsläufig über eigene Bedürfnisse verbessern (z. B. Führungskräfte planen stellen (z. B. „Nein“ sagen lernen) und verteilen die Arbeit vorausschauend, um spontane Arbeitsaufträge zu reduzie- • Fortbildungen zum Zeitmanagement ren; Vertretungsregelungen bei Personal- besuchen ausfällen) • Entspannungsmethoden im Arbeitsalltag • Für verdichtete Arbeitsphasen Unter- anwenden stützungsstrukturen schaffen 24 Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
Zusammenarbeit mit Dritten/Netzwerke „Ich finde immer, Netzwerke sind total wichtig. Das entlastet Bei der Betreuung von Klienten/-innen arbeiten Beschäftigte in einfach, und wenn die gut funk- der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe häufig mit Dritten tionieren, dann ist eigentlich viel gewonnen.“ zusammen. Das können andere Hilfsangebote, Behörden/Ämter Heilerziehungspflegerin, und Jobcenter oder Netzwerke der Klienten/-innen, wie z. B. Vor- Geflüchtetenhilfe münder, Lehrer/-innen und Rechtsanwälte, sein. Eine gut funktio- nierende Zusammenarbeit kann für die Beschäftigten eine Entlas- tung darstellen. Oftmals birgt die Zusammenarbeit jedoch auch Herausforderungen. Bei der „Man hat da manchmal das Vermittlung von Klienten/-innen in andere Hilfen erleben Beschäftigte, dass die- Gefühl, man müsse gegen se überlaufen und die Wartezeiten für Termine lang sind. Zudem geben etwa Verwaltungen kämpfen, um für die Ratsuchenden 70 % der Befragten an, oft/immer rechtliche und bürokratische Hindernisse (z. B. etwas zu erreichen.“ komplizierte Antragsverfahren) und eine erschwerte Zusammenarbeit mit Behör- Erziehungswissenschaftler, Geflüchtetenhilfe den zu erleben (Abb. 16). Bezüglich der Zusammenarbeit mit Behörden/Ämtern und Jobcentern schildern Beschäftigte eine schlechte Erreichbarkeit, fehlende Ansprechpartner/-innen, lange Wartezeiten auf Rückmeldungen, intransparente Entscheidungen und unrealistische Anforderungen, die von diesen Stellen an Klienten/-innen gerichtet werden, wie das Ausfüllen unverständlicher Formulare. » Wie oft erleben Sie ... Rechtliche/bürokratische Hindernisse 0,4 5,5 22,9 51,0 20,2 Erschwerte Zusammenarbeit mit Behörden 0,8 7,9 21,3 54,5 15,4 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Nie/fast nie Selten Manchmal Oft Immer Abb. 16 Zusammenarbeit mit Behörden und bürokratische Hindernisse Handlungsempfehlungen: Verhältnisorientiert Verhaltensorientiert • Förderung von Netzwerken und • Netzwerkveranstaltungen besuchen/ regelmäßigem Austausch Networking • Kooperationen mit anderen Hilfe- • Konstruktive Zusammenarbeit mit angeboten Dritten anstreben (z. B. positiv an behörd- liche Stellen herantreten und ihnen mit • Beziehungspflege und Sensibilisie- Offenheit und Verständnis begegnen) rung von Behörden/Ämtern (z. B. kooperative Zusammenarbeit anstreben und feste Ansprechpartner/- innen für die eigene Einrichtung finden) Politische Forderungen • Abbau bürokratischer Hindernisse und Beschleuniung und Verschlan- kung von administrativen Prozessen Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen 25
Arbeitsanforderungen und -ressourcen 2.3 Soziale Beziehungen „Jeder arbeitet anders, jeder tickt anders und da dann irgend- Soziale Unterstützung im Team wie Kompromisse zu schaffen, (...), weil wir alle eigentlich an einem Ein gutes Teamklima stellt eine besonders wichtige Arbeitsressource für Strang ziehen müssen und alle Beschäftigte in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe dar und stärkt ähnlich arbeiten müssen, aber das ihre Freude an der Arbeit und ihr Wohlbefinden. In schwierigen Situationen funktioniert oftmals nicht. Und oder bei arbeitsbezogenen Problemen sind die Kollegen/-innen oftmals die dann entstehen auch im Team Konflikte.“ ersten Ansprechpartner/-innen. Sozialarbeiterin, Geflüchtetenhilfe Zu einem starken Zusammenhalt im Team tragen laut den Beschäftigten vor allem eine bereits längere Zusammenarbeit in dieser Konstellation, ein guter und regelmäßiger Austausch, die offene Klärung von Meinungsverschiedenheiten, eine enge Zusammenarbeit und das gemeinsame Meistern von Herausforderungen bei. Negativ auf das Team auswirken können sich dagegen eine hohe Fluktuation, eine große Arbeitsbelastung und unterschiedliche Sicht- und Arbeitsweisen, z. B. in Bezug auf die Ausübung von Druck auf und Sanktionen gegen Klienten/-innen und den Grad der Hilfestellung für Klienten/-innen. Insgesamt bewerten Beschäftigte in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe die erhaltene soziale Unterstützung durch Kollegen/-innen und unmittelbare Vorgesetzte mit einem Durch- schnittswert von 73 von maximal 100 Punkten vergleichsweise gut. Mehr soziale Unterstützung steht im Zusammenhang mit einer größeren Arbeitszufriedenheit bei den Beschäftigten. Handlungsempfehlungen: Verhältnisorientiert Verhaltensorientiert • Förderung des Betriebsklimas • Wertschätzenden Umgang mit Kollegen/- • Regelmäßige Teamsitzungen innen pflegen • „Positivrunde“ in Teamsitzungen ein- • Kollegen/-innen im Arbeitsalltag posi- führen (alle äußern sich kurz über etwas tives Feedback geben Positives, z. B. Positives in der Zusamen- • Gegenseitige Unterstützung: „offenes arbeit im Team, Wertschätzung von Ohr“ für Kollegen/-innen haben Kollegen/-innen, positive Ereignisse in der Arbeit allgemein) • Zusammenhalt im Team stärken (z. B. teambildende Maßnahmen, regelmäßig gemeinsame Mittagsrunden) • Zeit für kollegialen Austausch geben (für emotional belastende Themen ggf. Austausch in Kleingruppen ermöglichen) • Förderung einheitlicher Arbeitsweisen (z. B. durch Ablaufpläne und Vorgaben zur Betreuung der Klienten/-innen, gemein- sames, partizipativ entwickeltes Leitbild, umfassende Einarbeitung neuer Beschäf- tigter) • Möglichst beständige Teamzusammen- setzung • Angebot von Mediation für Meinungsver- schiedenheiten im Team 26 Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
Unterstützung und Wertschätzung durch Führungskräfte „(...) dass wir eine Chefin haben, die für uns ein offenes Ohr hat Die Unterstützung und Wertschätzung der eigenen Arbeit durch die und uns ernst nimmt. Das ist halt Führungskraft ist für Beschäftigte in der Geflüchteten- und Woh- auch schon viel wert (…) und das nungslosenhilfe ebenfalls eine wichtige Ressource. Unterstützung macht die Arbeit dann auch ein bisschen einfacher.“ kann für Beschäftigte bedeuten, dass Vorgesetzte ihnen z. B. in Kri- Sozialarbeiterin, Wohnungslosenhilfe sensituationen helfen, auf die Pauseneinhaltung achten oder Maß- nahmen zur Reduzierung der Arbeitsbelastung unterstützen. Beson- ders positiv und entlastend empfinden Beschäftigte es, wenn Vor- gesetzte für fachliche Fragen und Probleme ansprechbar sind. Wichtig ist den Beschäftigten zudem, dass die Entscheidungen der Führungskräfte transparent sind, dass diese Interesse für die Belange der Beschäftigten zeigen und deren Ideen und Wünsche berücksichtigen. Ein Großteil (44,3 %) der Befragten in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe erfährt in hohem oder sehr hohem Maß Anerkennung und Wertschätzung durch die Führung (Abb. 17). Jedoch geben auch 21 % an, dies nur in geringem oder sehr geringem Maß zu erhalten. » Erfährt Ihre Arbeit Anerkennung und Wertschätzung durch die Führung? 40% 34,8 30% 25,3 20% 19,0 9,9 11,1 10% 0% In sehr In geringem Zum Teil In hohem In sehr geringem Maß Maß Maß hohem Maß Abb. 17 Wertschätzung durch die Führung Handlungsempfehlungen: Verhältnisorientiert Verhaltensorientiert • Etablierung von Mitarbeiterjahres- Hinweise für Führungskräfte gesprächen (in denen u. a. Wünsche • Einbezug von Beschäftigten in wichtige und Erfolge der Mitarbeiter/-innen Entscheidungen besprochen werden) • Offenheit für fachliche Fragen und • Betriebliches Vorschlagswesen Probleme der Beschäftigten • Fort- und Weiterbildungen der • Gute Vertrauensbasis zu den Mitarbei- Führungskräfte ter/-innen schaffen (z. B. zum Thema Unterstützung und Wertschätzung von Mitarbeiter/-innen) • Arbeitsaufwand und Leistungen der Mitarbeiter/-innen anerkennen Politische Forderung • Verantwortungsbewusstsein für die • Leistungsgerechte Entlohnung Gesundheit der Beschäftigten der Beschäftigten • Zeit für Führungsarbeit nehmen (z. B. durch Delegation von inhaltlichen Aufgaben) Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen 27
Arbeitsanforderungen und -ressourcen 2.4 Arbeitsumgebung Eine gesunde und sichere Arbeitsumgebung, z. B. durch eine ergonomische Arbeitsplatzge- staltung und geeignete Arbeitsmittel, kann sowohl die körperliche als auch die psychische Arbeitsbelastung für die Mitarbeiter/-innen verringern[13]. Dabei spielt für die Beschäftigten nicht nur der eigene Arbeitsplatz eine Rolle, sondern gerade in Wohnheimen und Gemein- schaftsunterkünften auch die Unterbringung der Klienten/-innen. Sind die Einrichtungen überfüllt oder Klienten/-innen in Containerwohnheimen oder trotz psychischer Erkrankung in Mehrbettzimmern untergebracht, erschwert das auch die Arbeit der Beschäftigten. Ihnen stehen dann z. B. keine Gruppenräume für die Betreuung zur Verfügung und es entstehen schneller Spannungen zwischen Klienten/-innen. Sind die Klienten/-innen dagegen in Einzel- apartments untergebracht, müssen die Beschäftigten oftmals weniger Konflikte schlichten. Zu- dem kann für die Beschäftigten die Arbeit in Mehrpersonenbüros ungünstig sein, da bei ver- traulichen Gesprächen mit den Klienten/-innen deren Privatsphäre verletzt wird. Ein eigener Arbeitsplatz oder die Arbeit in großzügigen Zweierbüros führt hingegen zu einer größeren Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz. „Da sie sehen, wenn ich hier wieder reingehe – von der Toilette Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Arbeitsumgebung ist die Möglich- oder vom Essen –, gleich hinter- keit zur Pausengestaltung. Wenn den Mitarbeiter/-innen kein geeigneter herkommen und sagen: „Ich habe Pausenraum zur Verfügung steht, müssen die Pausen möglicherweise im noch dieses und jenes!“ Und dann Büro verbracht werden, was Störungen durch Klienten/-innen befördert. denke ich: „Das ist meine Pause!“ Dass es da so schwer ist, Eine adäquate Erholung ist für die Beschäftigten dann kaum möglich. sich abzugrenzen.“ Eine Vielzahl ihrer Tätigkeiten üben die Beschäftigten in der Geflüch- Quereinsteigerin, teten- und Wohnungslosenhilfe am Computer aus. Gibt es zu wenige Wohnungslosenhilfe Computer, nur geteilte Computerarbeitsplätze oder kleine Laptops, kann das für die Mitarbeiter/-innen ebenfalls hinderlich und belastend sein. Handlungsempfehlungen: Verhältnisorientiert Verhaltensorientiert • Ausreichend (bestenfalls eigene) • Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse PC-Arbeitsplätze der Kollegen/-innen • Beratungsbüros (für vertrauliche • Ggf. Gehörschutz für konzentriertes Gespräche mit Klienten/-innen) Arbeiten nutzen • Pausen- und Rückzugsräume (für Klienten/-innen nicht zugänglich) • Einhalten von Pausen- und Regene- rationszeiten • Lärmquellen reduzieren, ggf. Lärm- schutzmaßnahmen ergreifen • Ausreichende Beleuchtung • Regelmäßige Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen: ➞ Begehung der Räume ➞ Einbeziehung der psychischen Belastungen ➞ Umsetzung notwendiger Maßnahmen Politische Forderungen • Bereitstellung ausreichend großer Unter- künfte für Klienten/-innen (möglichst mit Einzelapartments und Gruppenräumen) • Überprüfung, ob gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilungen nach § 5 Arbeits- schutzgesetz durchgeführt werden 28 Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
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