PRESS REVIEW Tuesday, May 4, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of

Die Seite wird erstellt Anna-Lena Winter
 
WEITER LESEN
PRESS REVIEW Tuesday, May 4, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
PRESS REVIEW

         Daniel Barenboim Stiftung
Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal

          Tuesday, May 4, 2021
PRESS REVIEW Tuesday, May 4, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
PRESS REVIEW                                                           Tuesday, May 4, 2021

Allgemeine Zeitung, BSA
Konzert der Kulturstrom-Reihe wird aufgezeichnet / Villa Musica-Stipendiatin Shira Majoni glänzt mit
der Viola

Berliner Zeitung
Komische Oper gibt Saison auf. Andere Berliner Häuser machen noch Pläne

Berliner Zeitung
Die Bayreuther Festspiele sollen stattfinden – auf dem Grünen Hügel laufen die Vorbereitungen

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Politikerworte und eine unerbittliche Parabel auf das Leben: Die Ruhrfestspiele eröffnen mit einem
Festakt und Yoshi Oidas „Seidentrommel“

Süddeutsche Zeitung
Sind Kulturschaffende das neue Proletariat? Zum Beginn der Ruhrtriennale

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Chöre sterben. Neue Studie zu Corona

Der Tagesspiegel
Der Cellist und Festivalmacher Jan Vogler macht sich Gedanken über die Zukunft der Klassik

Berliner Morgenpost
Das BKA-Theater feiert 33. Geburtstag mit einer Gala im Livestream – ein bunter Kleinkunst-Mix mit
kleinen Momenten, die man nicht braucht

Süddeutsche Zeitung
Aufgetaucht: Die LP von Hasaan Ibn Ali, der Coltrane prägte
PRESS REVIEW Tuesday, May 4, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
Print
Quelle:        Allgemeine Zeitung, Bad Kreuznach Bad Sobernheim Kirn vom 04.05.2021, S.12 (Tageszeitung / täglich ausser Sonntag, Bad Kreuz-
               nach)
Auch in:       2 weiteren Quellen »
                                               Reichweite:    11.268
                                               Autor:         Sören Heim                       Quellrubrik:   Allgemeine Zeitung Bad Kreuz-
Auflage:       5.241                           Ressort:       Lokales                                         nach

           Erlesenes Programm im leeren Saal
           Konzert der Kulturstrom-Reihe wird aufgezeichnet / Villa Musica-Stipendiatin Shira Majoni glänzt
           mit der Viola
           BINGEN. Der Abend versprüht ein                     stellen. Es gehe auch darum, wie man                      Für die Aufzeichnungen zum Kul-
           wenig     Meisterkonzert-Atmosphäre.                sich in das internationale Programm                   turstrom ist die Szenerie natürlich
           Die beliebte Konzertreihe setzt mitt-               einfüge und in der Zusammenarbeit                     wieder ideal. Die Innenräume der Vil-
           lerweile seit über einem Jahr aus,                  mit Dozenten und Stipendiaten mit                     la allein ermöglichen beeindruckende
           doch die Aufzeichnungen für den Kul-                eigenen Initiativen und Konzepten                     Bilder.
           turstrom am Nachmittag im Konzert-                  überzeuge. Und hier habe sich Majoni                      Wie aber geht es nun weiter mit
           saal von Villa Sachsen bringen ein we-              immer wieder hervorgetan. Majoni sei                  den beliebten Meisterkonzerten? Da-
           nig des erlesenen Ambientes der                     natürlich längst keine Unbekannte                     zu weiß Patricia Neher von der Binger
           Meisterkonzerte zurück. Verantwort-                 mehr, wie Barbara Harnischfeger er-                   Tourismus- und Kongress GmbH
           lich dafür ist Villa Musica-Stipendia-              innert, die Vorsitzende des Freundes-                 schon etwas mehr: "Wir haben uns
           tin Shira Majoni, die dort drei Stücke              kreises der Villa Musica. Harnischfe-                 entschlossen, die für die erste Jahres-
           auf der Viola darbietet. Am Klavier                 ger führt durch das Programm. "Un-                    hälfte geplanten Konzerte in den Kul-
           begleitet sie Paul Rivinius. Als die ers-           sere Stipendiaten stehen nicht ganz                   turstrom zu integrieren. Für die zwei-
           ten Töne von "Yizkor (in memoriam)"                 am Anfang ihres Weges, sondern sind                   te Hälfte planen wir vorerst reguläre
           im fast leeren Konzertsaal erklingen,               erfolgreiche junge Berufsmusiker, die                 Konzerte mit Zuschauern. Allerdings
           ist das wirklich ein Genuss. Allein die             in der Villa Musica zusammenfinden",                  nicht in Villa Sachsen, denn dort ist
           Musik und der Raum: Ein ideales                     sagt sie. Majoni war unter anderem                    das Abstandhalten im notwendigen
           Umfeld für das nach dem jüdischen                   schon Stipendiatin der America-Israel                 Maß einfach nicht möglich." Das Kon-
           Trauergottesdienst benannte Werk                    Cultural Foundation, der Barenboim                    zert "Epoca Baroca" werde in der Hil-
           von Ödön Partos, das sich wie eine                  Said Stiftung und des New England                     degard-Gedächtniskirche stattfinden,
           melancholische Klage im Saal ausbrei-               Conservatory.                                         alle weiteren Konzerte, so Neher, wür-
           tet.                                                   Das Programm ist erlesen. Auf                      den ins Rheintal-Kongresszentrum
               Mit Majoni hat die Reihe Kultur-                "Yizkor" folgt "Pièce de concert" von                 verlegt. "Natürlich steht diese Pla-
           strom eine der herausragenden Sti-                  George Enescu, dem bedeutendsten                      nung unter dem Vorbehalt, dass die
           pendiatinnen der Villa Musica in den                Komponisten Rumäniens und unter                       Corona-Pandemie bis zur zweiten
           letzten Jahren eingeladen. Im Rah-                  anderem Geigenlehrer von Yehudi                       Jahreshälfte auf ein Maß eingedämmt
           men der Videoaufzeichnung bekommt                   Menuhin. Den Abschluss bildet dann                    ist, das solche Konzerte erlaubt",
           sie den diesjährigen Preis "Stern der               Yehezkel Brauns "Jesters Klage". Ein,                 schildert Neher.
           Villa Musica" aus den Händen des                    wie Harnischfeger erklärt, von den
           künstlerischen Direktors Professor                  Dissonanzen her anspruchsvolles                          TERMIN Shira Majoni @Villa Sach-
           Alexander Hülshof verliehen.                        Stück, das sich an jüdische Synago-                      sen feiert am Donnerstag, 6. Mai, ab
               Der erklärt: Preisträger der Villa              genmusik und gregorianischen Ge-                         20.15 Uhr auf YouTube Premiere.
           Musica hätten nicht nur ihre musika-                sang anlehne.
           lischen Fähigkeiten unter Beweis zu
           Alle weiteren Quellen: Allgemeine Zeitung Ingelheim-Bingen • allgemeine-zeitung.de (Allgemeine Zeitung
           Mainz)
           zum Anfang dieses Artikels                                                        zum Inhaltsverzeichnis

                                                                                                                                                               3
PRESS REVIEW Tuesday, May 4, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
3.5.2021                                      https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15

               Dienstag, 04. Mai 2021, Berliner Zeitung /

               Komische Oper gibt Saison
               auf
               Andere Berliner Häuser machen noch Pläne

               SUSANNE LENZ, ULRICH SEIDLER

               A
                          ls erste Berliner Bühne hat die Komische Oper Berlin entschie‐
                          den, ihren regulären Spielbetrieb in der laufenden Saison nicht
                          wieder aufzunehmen. Kurz: Die Saison ist abgesagt, sie hätte
                          am 1. Juli geendet. Ausnahmen bilden voraussichtlich zwei
               Vorstellungen der Neuproduktion von „Der ‚Zigeuner‘baron“. In Abspra‐
               che mit der Senatsverwaltung für Kultur plant das Haus die Premiere im
               Rahmen des Berliner Pilotprojekts „Perspektive Kultur“ durchzuführen,
               voraussichtlich Ende Juni. „Die Termine werden bekannt gegeben, sobald
               absehbar ist, dass die Lage weitere Planungsschritte zulässt“, hieß es in der
               Mitteilung der Komischen Oper vom Montag. Voraussetzung ist, dass die
               Inzidenzzahl unter 100 sinkt. Ein Sinfoniekonzert am 18. Juni werde als
               Stream realisiert.

               „Wenn die Inzidenzzahlen sinken, können wir im Juni vielleicht noch et‐
               was ansetzen“, sagte Andrea Röber, die Sprecherin der Komischen Oper.
               Aber für den regulären Spielplan, der ohnehin nur noch ein Notspielplan
               war, hätte der Vorverkauf bereits am 10. Mai beginnen müssen, also in ei‐
               ner Woche. Die Komische Oper sei zwar in Berlin das erste Haus, das sich
               zu diesem Schritt entschieden hätte, aber deutschlandweit nicht das einzi‐
               ge: Auch die Semperoper in Dresden und sämtliche Theater in Köln hätten
               die Saison abgesagt.

               Die Proben laufen weiter

               Die Proben am Haus laufen weiter. Nun richten sich die Energien auf die
               nächste Spielzeit. Derzeit werden Neuproduktionen und Wiederaufnah‐
               men für die Saison 2021/2022 geprobt, die am 29. August mit der Premiere
               der Oper „Oedipe“ von George Enescu eröffnet wird. Das vollständige Pro‐
               gramm für die nächste Saison wird am 21. Juni bekanntgegeben und am
               22. Juni auf der Website der Komischen Oper veröffentlicht.

https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15                                                 1/2
3.5.2021                                      https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15

               Die großen Berliner Sprechtheater, die auf ihre Streaming- und Online-
               Spielpläne hinweisen, haben die Saison noch nicht ganz aufgegeben. Auch
               an den beiden wegen Problemen abseits von Corona krisengeschüttelten
               Häusern, der Volksbühne und dem Gorki-Theater, laufen offiziell die Pla‐
               nungen für etwaige Präsenzveranstaltungen weiter. Die Volksbühne betrifft
               die Pandemie in besonderer Weise, weil ab der nächsten Saison René Pol‐
               lesch die Leitung des Hauses übernimmt, und damit die meisten aktuellen,
               teilweise noch gar nicht oder nur per Videoübertragung zur Premiere ge‐
               kommenen Produktionen für immer vom Spielplan verschwinden.

               Das Deutsche Theater und das Berliner Ensemble geben sich kämpferisch,
               wenn auch nicht sehr optimistisch. Man wartet noch ab. Beide Häuser ha‐
               ben auch Vorkehrungen für eine Freiluftbespielung getroffen. Und wenn
               die Inzidenzen im Mai oder Anfang Juni noch unter 100 fallen, dann kom‐
               me es darauf an, wie schnell das Land reagiert, denn dann greifen die Re‐
               geln der Bundesnotbremse nicht mehr. „An uns soll es nicht liegen.“

               Das Theatertreffen, das am 13. Mai beginnt, ist digital durchgeplant. Es
               wird keine Präsenzveranstaltungen geben, die Zehnerauswahl der bemer‐
               kenswertesten Inszenierungen wird per Live-Aufzeichnung oder Live-
               Stream präsentiert. Auch alle Gesprächsformate laufen im Internet.

               Die Schaubühne rechnet frühestens im Juni mit Präsenzveranstaltungen.
               Dafür hat das Haus die Theaterferien abgesagt. Wenn alles gut geht, spielt
               das Theater den Sommer durch.

https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15                                                 2/2
3.5.2021                                      https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15

               Dienstag, 04. Mai 2021, Berliner Zeitung /

               Koste es, was es wolle
               Die Bayreuther Festspiele sollen stattfinden – auf dem
               Grünen Hügel laufen die Vorbereitungen

                  Das Richard-Wagner-Festspielhaus in Bayreuthdpa/Daniel
                                       Kahrmann

               BRITTA SCHULTEJANS

               D
                            ie Kultur ist eine der am schwersten gebeutelten Branchen in
                            der Corona-Krise. Doch auf dem Grünen Hügel in Bayreuth
                            gibt man sich optimistisch. Die Festspiele sollen in diesem
                            Jahr stattfinden – koste es, was es wolle. Das hat der Verwal‐
               tungsrat der Festspiele nun beschlossen.

               Es sei „eine wichtige Sitzung“ gewesen, betont der Verwaltungsratsvorsit‐
               zende Georg Freiherr von Waldenfels. „Wir sind optimistisch, dass sich das
               bis zum Sommer ändert. Dann werden wir eine höhere Impfquote haben.
               Außerdem ist der Sommer der natürliche Feind des Virus.“ Festspiel-Che‐
               fin Katharina Wagner hatte sich in den vergangenen Monaten ebenfalls zu‐
               versichtlich gezeigt.

https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15                                                 1/2
3.5.2021                                      https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15

               Die nun gefallene Entscheidung gegen eine Absage ist darum von Bedeu‐
               tung, weil es – je näher der 25. Juli, das klassische Datum für den Start der
               Festspiele, rückt – immer schwieriger wird, von geschlossenen Verträgen
               mit Musikern oder Regisseuren möglicherweise noch zurückzutreten. Die
               Kosten, auf denen die Festspiele sitzen bleiben würden, müsste das Klas‐
               sik-Spektakel im schlechtesten aller Fälle doch noch abgesagt werden, stie‐
               gen also.

               Von Waldenfels hofft nun, die derzeit in Konzepten zugrunde gelegte Besu‐
               cherzahl von nur 235 statt normalerweise rund 2000 im Festspielhaus auf
               dem Grünen Hügel noch anheben zu können: „Wir wollen so viel wie mög‐
               lich aufstocken.“ Zuletzt war davon die Rede, dass im besten aller Fälle
               1000 Zuschauer zugelassen werden könnten.

               Und mit jedem leeren Platz verlieren die Festspiele bares Geld. Normaler‐
               weise bestreiten sie den laufenden Betrieb zu 65 Prozent aus Einnahmen.
               Das fehlende Geld werden die Gesellschafter – die Bundesrepublik
               Deutschland, der Freistaat Bayern, die Stadt Bayreuth und die Gesellschaft
               der Freunde von Bayreuth – ausgleichen müssen. Im vergangenen Jahr, als
               die Richard-Wagner-Festspiele zum ersten Mal seit ihrer Wiederaufnahme
               nach dem Zweiten Weltkrieg ausfielen, fehlten rund 15 Millionen Euro.

               „Kultur ist teuer“, sagt von Waldenfels dazu. Künstler und die Kultur hätten
               in der Corona-Krise besonders gelitten. „Da wollen wir ein bisschen Stabi‐
               lität geben.“

               Bayerns Kunstminister Bernd Sibler (CSU) hatte zuletzt gesagt, Corona-
               Schnelltests könnten in diesem Jahr eine wichtige Rolle spielen. Und auch
               wenn die Rahmenbedingungen dafür sorgen dürften, dass es die wohl un‐
               gewöhnlichsten Festspiele der Geschichte werden – ein Blick ins Pro‐
               gramm verrät davon erst mal nicht viel.

               Neben der Neuproduktion „Der fliegende Holländer“, bei der mit Oksana
               Lyniv erstmals eine Frau in Bayreuth am Pult stehen soll, sind Wiederauf‐
               nahmen der Produktionen „Die Meistersinger von Nürnberg“ und „Tann‐
               häuser“ geplant. Weitere Höhepunkte sind die Rückkehr des lettischen
               Star-Dirigenten Andris Nelsons und die Teilnahme von Hermann Nitsch,
               der in diesem Jahr die Ring-des-Nibelungen-Oper „Die Walküre“ inszenie‐
               ren soll. Alles nach Plan also auf dem Grünen Hügel 2021 – und doch ganz
               anders. (dpa)

https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15                                                 2/2
3.5.2021                                               https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466895/9

        F.A.Z. - Feuilleton                                                                                        Dienstag, 04.05.2021

           Jugend tanzt, Jugend lebt, Jugend kennt kein Mitleid
           Politikerworte und eine unerbittliche Parabel auf das Leben: Die Ruhrfestspiele eröffnen mit
                                einem Festakt und Yoshi Oidas „Seidentrommel“

        Auf dem Gemälde, vor dem sie den grußwortspendenen Bundespräsidenten in seinem Berli-
        ner Schloss für gewöhnlich platzieren, steht Schiller unter freiem Himmel im Tiefurter Park
        und trägt dem Weimarer Musenhof seine Gedichte vor. Es ist die Blütezeit der Kultur in
        Deutschland, Goethe, Wieland, die Humboldt-Brüder, Herzogin Amalia, Herder – sie alle
        haben sich in dieser fiktiven Szene um den freiheitstrunkenen Dichter gruppiert und bezeu-
        gen den hohen Kurs der Kunst um 1800. Zweihundertzwanzig Jahre später ist er tief gefallen.
        Steinmeier sagt das, was sich die Politiker inzwischen angewöhnt haben zu sagen: dass etwas
        fehlt. Dass Kultur „ein Lebensmittel“ sei und „Zehntausende Kunstschaffende“ von der
        Pandemie hart getroffen würden. Und weil er zur Eröffnung der vom Deutschen Gewerk-
        schaftsbund ausgerichteten Ruhrfestspiele spricht, sagt er auch noch etwas Soziales: dass es
        ein Unding sei, dass vielen unverschuldet arbeitslos gewordenen Künstlerinnen und Künst-
        lern jetzt der Ausschluss aus der Künstlersozialkasse drohe.

        Warme Worte, die der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens noch einmal auf seine Weise
        wiederholt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, zitiert Armin Laschet Matthäus,
        sondern von Experimenten mit neuen Formen, wie zum Beispiel mit Hybridformaten wie
        denen von „Ruhr digital“: Neunzig Produktionen werden aus Anlass des 75-jährigen
        Bestehens der Festspiele bis zum 20. Juni gezeigt. Dass vorher noch Aufführungen vor
        Zuschauern erlaubt werden, glaubt so recht keiner. Die Festrednerin Enis Macis jedenfalls
        macht wenig Mut, an die von ihr im Gestus der Untertreibung eingeforderte „Macht der
        Verwandlung“ zu glauben. Die 1993 in Gelsenkirchen geborene Theaterschriftstellerin
        kündigt zwar an, über „die Bühne“ zu sprechen, redet dann aber vor allem über die Folgenlo-
        sigkeit ihrer Worte, Fernsehserien mit Virusvarianten und die Toten von Hanau.

        Als Festspiele nicht nur „für Literaten und Auserwählte“, sondern für „die Kumpels“ aus dem
        Industrierevier waren die Ruhrfestspiele nach dem Krieg ursprünglich gegründet worden,
        von Hamburger Theaterleuten, die sich mit Kunst für die Kohle bedanken wollten, die ihnen
        feinsinnige Bergarbeiter an den englischen Besatzern vorbei in ihre ausgebombten Theater
        geschmuggelt hatten. Viel geblieben ist von dem Anspruch nicht. Heute werden auf dem
        „Grünen Hügel“ in Recklinghausen oft genauso hürdenreiche Inszenierungen gezeigt wie
        anderswo auch. Obwohl die Etablierung einer modernen Zirkussparte und eine gewisse Star-
        Quote zumindest Echos auf das ursprüngliche Credo versuchen.

        Insbesondere mit seiner Vorliebe für die allgemeingültigen Wirkungen des sogenannten
        „einfachen Theaters“ versucht der seit 2018 amtierende Intendant Olaf Kröck dem Grün-
        dungsgedanken seines Festivals auf eigene Weise Rechnung zu tragen. Vor zwei Jahren zeigte
        er eine überwältigende Arbeit von Peter Brook, in diesem Jahr hat er mit dem japanischen
        Schauspieler Yoshi Oida erneut einen Helden aus dem Brook’schen Kosmos eingeladen.
        Gemeinsam mit der Tänzerin und Choreographin Kaori Ito präsentiert der siebenundachtzig-
        jährige Oida ein modernes No-Spiel, basierend auf einem Text des bahnbrechenden Schrift-
        stellers Yukio Mishima. „Die Seidentrommel“ ist das vom kürzlich verstorbenen Jean-Claude

https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466895/9                                                                                 1/2
3.5.2021                                               https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466895/9

        Carrière übertragene Stück überschrieben. Ein alter Putzmann verliebt sich in eine junge
        Tänzerin, die er während seiner Reinigungsschicht bei ihren Proben beobachtet. Vom plötzli-
        chen Aufflammen eines heftigen Begehrens erfasst, offenbart er ihr seine Sehnsucht und
        erkennt in ihr den schönsten Traum seines sich neigenden Lebens. Die Tänzerin aber, von
        der überwältigenden Andacht des alten Mannes nur belustigt, führt ihn vor, verspricht, sich
        ihm hinzugeben, wenn es ihm gelingen sollte, aus einer Seidentrommel nur einen Ton
        herauszuschlagen. Verzweifelt versucht der alte Mann alles, um ihre Forderung zu erfüllen,
        scheitert aber kläglich. Verraten und durch die überhebliche Anmut der Tänzerin gedemü-
        tigt, nimmt er sich das Leben. Und erscheint ihr wenig später als blutüberströmter Dämon.

        Was Oida und die ungefähr halb so alte Ito mit sanft choreographierten Bewegungen und nur
        wenigen gesprochenen Worten, unterlegt vom Klang einer durchdringenden Perkussion,
        vorführen, ist eine Parabel über den Hochmut der Jugend, die sich leichtfertig über das
        Schicksal des Alters erhebt und dafür bestraft wird. „Achtet die Alten“ scheint diese Auffüh-
        rung mit jedem Wort, jeder Bewegung, jedem Augenaufschlag zu sagen und damit einen ganz
        eigenen, poetischen Punkt auf dem wild beschriebenen Plan der gegenwärtigen Lage zu
        machen: In Zeiten der Pandemie gebührt dem Alter ein besonderer Schutz und eine besonde-
        re Achtung – nicht allein aus ethischen, sondern auch aus Schicksalsgründen.

        Die seltsam ungefüge Art aber, in der die zwei so unterschiedlich alten Körper hier zusam-
        menkommen, führt auf der anderen Seite in jedem Moment auch ihre unüberwindliche
        Distanz vor Augen. Es ist, als ob sie mit jeder ihrer Bewegungen ausdrücken würden, was sie
        voneinander trennt, was ihnen an Vertrautheit fehlt. Wenn sie versuchen, zusammen zu
        tanzen, dann prallen nicht nur zwei Geschlechter, sondern vor allem zwei Generationen, zwei
        Zeitalter gegeneinander und taumeln wie benommen zurück. Zurück an ihren von der Zeit
        zugewiesenen Platz, in ihre Einsamkeit, in ihr Leiden. „Souffrance. Naissance. La Vie“ reimt
        der alte Mann, „Leid. Geburt. Das Leben“, und die junge Tänzerin, im roten Body mit
        ironisch weißer Blume im Haar, antwortet ihm schnippisch: „Je danse. Je vis“ („Ich tanze.
        Ich lebe“). Hier auf der Bühne entpuppt sich Mishimas unerbittliche Parabel als böser
        Traum. Hier siegt die selbstbewusste Überheblichkeit der Jugend. Mit lasziver Geste stellt die
        schöne Tänzerin dem Alten am Schluss ein Radio vor die Füße und lässt ihn stehen, allein im

        leeren Raum mit ihrem Lieblingslied: „Dance.Dance.Dance“ von Lykke Li. Sie hat ihm trium-
        phierend gezeigt, was er nie mehr bekommen wird, zufrieden vor Augen geführt, wie vergan-
        gen sein Leben ist. Zu den Klängen einer ihm fremden Musik versucht er trotzdem noch ein
        paar Bewegungen, schwingt vorsichtig die Hüfte, wippt leicht mit dem Kopf – vielleicht
        schaut sie ja doch noch einmal zurück, sieht ihn und sein Bemühen, hat Mitleid. Nein, alles,
        was ihm bleibt, ist der

        Wischmopp und ein Eimer. Und das Licht, das er löschen darf.

        Nach dem Black kippt die feine Traurigkeit des Stücks abrupt in dumpfe Tragik: wenn sich
        der alte Schauspieler und die Tänzerin nämlich vor dem leeren Festspielhaus in die Kameras
        verbeugen und unwillkürlich auf Applaus warten. Ein paar schmerzhaft stille Augenblicke
        vergehen, dann erbarmen sich schließlich ein paar Techniker und klatschen kurz verhalten
        von hinten. Und zu Hause, allein vor dem Bildschirm, denkt man, dass eigentlich nichts
        schlimmer, nichts demütigender für die Kunst ist als so ein bisschen Klatschen in einem
        menschenleeren Theater. SIMON STRAUSS

https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466895/9                                                          2/2
3.5.2021                                       https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/806617/10

       Kunst kommt von Arbeit

       Sind Kul tur schaf fen de das neue Pro le ta ri at? Zum Be ginn der Ruhr tri en na le

       Bei der feierlichen Di gi tal-Eröff nung der 75. Ruhr fest spie le konn te man den Ein druck gewin nen,
       dass Künst ler die neue Ar bei ter klas se sind. Nicht mehr der hart ma lo chen de Pro let un ter Erde oder
       am Fließ band lie fert heu te den An stoß für Mah nun gen zur öko no mi schen Ge rech tig keit. So li da ri tät
       für die Men schen am un te ren En de der Ein kom mens py ra mi de forder ten die Fest red ner zum Ju bi lä -
       um des eins ti gen Ar bei ter kul tur fests al lein für die Kul turschaf fen den.

       Be son ders Bun des prä si dent Frank-Wal ter Stein meier warf sich en er gisch für die Kul tur in die Bre -
       sche. Zehn tau sen de Künst le rin nen und Künst ler seien durch man geln de Hil fen der Po li tik in ih rer
       Exis tenz be droht, er klär te er in sei ner Vi deo-Mah nung aus dem Schloss Bel levue. Und dass dann die -
       je ni gen, die versuchen, durch nicht künst le ri sche Tä tig kei ten ihr Überle ben zu sichern, auch noch aus
       der Künst lerso zi al kas se (KSK) flö gen, da für feh le ihm „je des Verständ nis“.

       Mit derar tig kla rer Kri tik an der Re gie rung war der zwei te Fest red ner na türlich nicht so forsch. Der
       Kanz ler kan di dat der CDU und Mi nis ter prä si dent des Ruhr pott länd les, Ar min La schet, muss ge ra de
       Wer bung für sich selbst ma chen. Al so lob te La schet eben sich selbst: 15000 Sti pen dien für frei schaf-
       fen de Künst ler im Wert von 90 Mil lio nen Eu ro ha be er in Nord rhein-West fa len für ei ne Bran che er-
       mög licht, die ge ra de „ei ne sehr schwe re Zeit“ hat. „Glück auf“ wünsch te er ih nen in ei nem Bun des -
       land, in dem laut Kul tur rat-NRW Über brückungs hil fen „be son ders ab ge fragt“, al so be nö tigt werden.

       Nach die ser Be schwö rung des neuen Kul tur pro le ta ri ats, dem ge hol fen werden muss, hät te die ei gent -
       liche Fest re de der Au to rin Enis Maci na türlich Ge le gen heit ge bo ten, et was Klar text zu spre chen. Et wa
       über die Rea li tät von Men schen, die in ei nem Ge strüpp an Vorschrif ten über an geb lich schnel le und
       un bü ro kra ti sche Not hil fen ver zwei feln, und dann auch noch aus der KSK flie gen. Oder über grö ße re
       Zu sam men hän ge, et wa was die Idee ewi gen Wirt schafts wachs tums mit die ser und al len an de ren Kri-
       sen zu tun hat.

       Doch die jun ge Au to rin aus Gel sen kirchen, die für ih re poe tisch-po li ti schen Thea terstücke viel Lob
       er fuhr, prä sen tier te zum Fes tivalthe ma „Uto pie und Un ru he“ ei nen Wir bel aus The men split tern. An -
       sät ze von Ge dan ken und As so zia tio nen, priva te Erleb nis se und Me ta phern folg ten ein an der, bis Maci
       in der Mit te der Re de end lich ih re Me tho de er klär te: „Woran ich glau be: Flüch tig sein bis ans En de al-
       ler Ta ge.“

       Sie er zähl te vom Ba de man tel ih rer Freun din und un terstell te der deut schen Po li zei in dif fu sen Wor-
       ten ei ne „blu ti ge“ Mit schuld an den Morden von Ha nau. Sie kam von Duis bur ger Punks zum En de des
       Ver bren nungs mo tors, er fand ei nen „Tsu na mi aus Schei ße“ und be schrieb aus dem Zen trum ih rer
       Berli ner Woh nung ei ne Welt sub jek tiver Frag men te, in der al les ir gendwie hip, ab ge klärt und poe -
       tisch ist. Selbst ih re Forde rung für mehr Ge mein be sitz klang in die ser Ge dicht re de an ge be risch ra di-
       kal, hin gewor fen zwi schen Ca net ti-Zi tat und Par tysze ne. „Mei ne Uto pie heißt: Der An fang ei ner neu-
       en All men de.“ Der Text hät te Spreng stoff werden kön nen auf ei nem Fes tival, das sei ne Wur zeln in der
       Ar bei ter kul tur hat, die ein mal Al ter na tiven zum Ka pi ta lis mus such te. Aber die se Idee ge hört dann
       eben aus ge führt.

       Des we gen ist die neue Ar bei ter klas se der Kul turschaf fen den in die ser Form für die Po li tik so leicht zu
       igno rie ren: Sie dreht sich um sich selbst, und davon geht kei ne po li ti sche Ge fahr aus. Aber die Ruhr-
       fest spie le rich ten sich auch schon lan ge nicht mehr an revo lu tio nä re Ge sell schafts schich ten. Sie sind
       ei nes der be deu tends ten Kul turereig nis se in Deutsch land, wo das Be son de re ge fragt ist. Doch auch

https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/806617/10                                                           1/2
3.5.2021                                       https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/806617/10

       die ses Spek ta ku lä re lei det un ter Co ro na. Das Fes tival läuft bis auf Wi der ruf di gi tal. Nur Veran stal-
       tun gen im Ju ni werden noch tap fer als Live-Ereig nis se an ge kün digt.

       Zur Kron juwe len hoch zeit von Kunst und Koh le ist die Abwe sen heit von Pu bli kum na türlich be son -
       ders bit ter. Aber die Pre mie re zur Eröff nung verlief so al ters wei se und still, dass sie den feh len den
       Re so nanz raum der Zu schauer bes ser ver trug als opu len tes deut sches Dampf thea ter. Yo shi Oidas
       Sehn suchts dra ma „Die Sei den trom mel“ er zählt über die Macht ei ner Krän kung. Ei ne hüb sche Tän ze -
       rin lockt ei nen al ten Haus meis ter erst mit ver füh re ri schen Ges ten, und ver höhnt ihn dann für sei ne
       Ge füh le. Der Mann nimmt sich be schämt das Le ben und ver folgt das Mäd chen als Dä mon. Die se tra -
       di tio nel le Ge schich te aus dem ja pa ni schen Nō-Thea ter ver wan delt der 87-jäh ri ge Oi da in ein Tanz-
       thea ter der Kon tras te.

       Er selbst mit stei fen Bewe gun gen vol ler In brunst lässt sich füh ren und ent täu schen von dem ein ge -
       bil de ten Mäd chen, der ein drucks vol len Tän ze rin Kao ri Ito, die in ih ren verschlun ge nen Cho reo gra fi-
       en ein al tes Ge dicht über Lei den, Le ben und Lie ben las ziv in ter pre tiert. Der al te Ar bei ter und die jun -
       ge Künst le rin wis sen nichts von neuen Klas sen und be droh lichen Kri sen. Ih re Uto pie ist voll kom men
       in trover tiert, ih re Un ru he führt zum Un mit tel ba ren, dem Ge fühl zwi schen Men schen. Das ist sehr
       schön und er bau lich. Aber ver mut lich hilft es nicht, wenn das Schrei ben von der KSK kommt. Till
       Brieg leb

https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/806617/10                                                             2/2
3.5.2021                                              https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466895/11

        F.A.Z. - Feuilleton                                                                                        Dienstag, 04.05.2021

                                                         Chöre sterben
                                                             Neue Studie zu Corona

        Von der Corona-Krise wird sich das Chor-Leben im deutschsprachigen Raum lange nicht
        erholen. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die unter der Leitung der Eichstätter Professorin
        für Musikwissenschaften Katrin Schlemmer entstand und jetzt veröffentlicht wurde. Fast
        sechzig Prozent aller befragten Ensembles erwarteten, nach der Pandemie nicht mehr in
        früherer Besetzungsstärke weiterarbeiten zu können. Fünfzehn Prozent befürchteten einen
        deutlichen Rückgang des Interesses von Sängern durch die lange Zwangspause. An der
        Umfrage haben 4300 Chöre in Deutschland, Österreich und der Schweiz teilgenommen.
        Besondere Sorge bereiten den Angaben zufolge Nachwuchs-Chöre. Diese seien ohnehin
        einer größeren Fluktuation als Chöre mit erwachsenen Mitgliedern ausgesetzt. Von mehr als
        580 befragten Kinder- und Jugendchören ist fast jeder achte nicht mehr existent. epd

https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466895/11                                                                                1/1
3.5.2021                                       https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476247/24-25

       Dienstag, 04.05.2021, Tagesspiegel / Kultur

       Seine Natur ist Dur
       Der Cellist und Festivalmacher Jan Vogler macht sich Gedanken
       über die Zukunft der Klassik
       Von Frederik Hanssen

                                                                                                   © Marco Grob

                                        Allegro molto. Der 1964 in Berlin geborene Jan Vogler.

       Jan Vogler ist ein unerschütterlicher Optimist. Mit der Tatkraft, die der Cellovir-
       tuose ausstrahlt, könnte er lässig ein komplettes Streichquartett versorgen. Und
       es gibt eigentlich auch kein Problemfeld, dem der 57-Jährige nicht einen positi-
       ven Aspekt abgewinnen könnte. Selbst für das Streaming von Konzerten kann er
       sich erwärmen – und er ist sich sicher, dass diese Notlösung, die Klassikfans in
       Pandemiezeiten als schwachen Trost für Liveerlebnisse zu akzeptieren gelernt
       haben, nach dem Ende der Coronakrise fortbestehen wird.

       „Die digitale Konzerte werden die Live-Veranstaltungsbranche nicht bedrohen“,
       sagt Jan Vogler im Telefoninterview, „denn das eine ersetzt nicht das andere:
https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476247/24-25                                                  1/3
3.5.2021                                       https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476247/24-25

       Das Streamingformat wird als ergänzendes Erlebnis daneben bestehen. Und es
       wird uns helfen, in der technikaffinen jungen Generation mehr Fans für die
       Klassik zu gewinnen.“

       Die Vorteile des digital übertragenen Konzertes sieht er zum einen in der Nähe
       des Zuschauers zu den Musikern, die sich durch die Kameraführung herstellen
       lässt. Zum anderen in der Möglichkeit zur Interaktion der User untereinander:
       „Während man der Musik lauscht, kann man sich gleichzeitig im Chat unterhal-
       ten“, schwärmt er. „Der eine schreibt: Ich bin in Kalkutta!, ein anderer sendet
       Grüße aus New York. So fühlt sich das Publikum auch über Tausende von Kilo-
       metern hinweg als Gemeinschaft.“ In diesem Lagerfeuer-Effekt liegt für Vogler
       die „Magie der technischen Zukunft“.

       Gestärkt wird seiner Meinung nach außerdem der Verbund zwischen Künstlern
       und Publikum. „Wir haben die digitale Revolution noch nicht richtig für uns ge-
       nutzt!“, sagt der Cellist. „Nämlich, um Musik in einer Art zu verbreiten, die die
       Lebendigkeit der klassischen Musik vermittelt.“ Und der Ort, an dem man die
       Leute denkbar niedrigschwellig erreichen kann, ist nun einmal das Internet. Die
       Art und Weise, wie wir künftig Klassik konsumieren, könnte sich den Gewohn-
       heiten der Fußballfans anpassen, sinniert Jan Vogler: „Mal schaut man sich ein
       Spiel im Fernsehen an, mal geht man ins Stadion. Wer im Netz einen Künstler
       entdeckt, den er faszinierend findet, bei dem wird der Wunsch entstehen, ihn
       auch einmal live zu erleben.“

       Gleichzeitig denkt er auch an Umweltfragen. In seiner gewohnten globalisierten
       Form wird das Konzertbusiness künftig nicht mehr möglich sein. Orchesterhop-
       ping von Kontinent zu Kontinent, Solisten, die für ein einziges Konzert Tau-
       sende Kilometer An- und Abreise in Kauf nehmen – hier muss sich die Einstel-
       lung der Veranstalter wie auch der Künstler:innen selbst ändern. Hin zu mehr
       Nachhaltigkeit, die sich beispielsweise dadurch erreichen lässt, dass bei Tour-
       neen weniger Ort angesteuert werden, dort dann aber jeweils mehrere Auftritte
       stattfinden, vom großen Event bis zur Vermittlungsarbeit für Kinder und
       Jugendliche.

       Für Jan Voglers musikalisches Leben hätte so ein Umdenken weitreichende Fol-
       gen. Denn er hat eine typische Jetset-Karriere gemacht, fliegt seit 35 Jahren un-
       ablässig um die Welt, um auf allen Kontinenten Präsenz zu zeigen. Seine Le-
       bensmittelpunkte sind sowohl New York als auch Dresden. In Sachsen sorgte er
       bis zum Corona-Lockdown zudem als Leiter der traditionsreichen Dresdner
       Musikfestspiele dafür, dass die Crème der internationalen Klassikwelt jedes
       Jahr im Frühsommer nach Elbflorenz reist. Das Hong Kong Philharmonic Or-
       chestra sollte eigentlich das diesjährige Festival am 14. Mai eröffnen.

https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476247/24-25                                                  2/3
3.5.2021                                       https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476247/24-25

       Daraus wird natürlich nichts, und nach der Verabschiedung des neuen Bundes-
       Infektionsschutzgesetzes sah sich der Intendant jetzt sogar genötigt, sein Festi-
       val zu splitten: Da im Mai kein Spielbetrieb vor Publikum möglich sein wird, hat
       er einige Programmpunkte in den Herbst verlegt, andere hofft er im Juni als
       Freiluftvariante realisieren zu können. Und für die letzte Mai-Woche sind nun
       einige Streaming-Konzerte geplant.

       Dabei hatte er noch vor kurzem so hoffnungsfroh in die Zukunft geschaut: „Ich
       will nicht aufgeben“, betont er mehrfach im Gespräch. Gerade auch, weil er in
       den vergangenen Monaten sehr viele Zuschriften vonseiten des Publikums er-
       halten habe, in denen die Bitte geäußert wird, die Dresdner Musikfestspiele in
       diesem Jahr nicht komplett abzusagen. „Wir müssen in der Lage sein, den Leu-
       ten, die so hungrig sind auf Kultur, etwas anzubieten, auch wenn es vielleicht
       nicht das sein kann, was derzeit noch angekündigt ist. Aber die Flexibilität der
       Künstler ist enorm, sie wollen auftreten und sind darum bereit, spontan zu re-
       agieren, mehr und anderes zu machen.“

       Er habe noch nie so hart gearbeitet wie im letzten Jahr, sagt Vogler auch – und
       das obwohl fast nichts stattfinden konnte. Vor der Pandemie war die wirtschaft-
       liche Situation der Musikfestspiele blendend, die Eigeneinnahmequote lag über
       60 Prozent, was absolut außergewöhnlich in Deutschland ist. Darauf ist Jan Vog-
       ler zu Recht stolz. Dank dieser Ausgangsbasis hat sein Festival gute Chancen, die
       unsicheren nächsten Monate zu überstehen, selbst wenn die Pandemieentwick-
       lung auch noch seinen jetzt entwickelten Plan C zunichtemachen sollte. Frede-
       rik Hanssen

https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476247/24-25                                                  3/3
3.5.2021                                                                Berliner Morgenpost

            KULTUR                                                                                   SEITE 9 | DIENSTAG 4. MAI 2021

            Eine Bühne im besten Jesusalter
            Das BKA Theater feiert 33. Geburtstag mit einer Gala im Livestream – ein bunter
            Kleinkunst-Mix mit kleinen Momenten, die man nicht braucht
            Von Ulrike Borowczyk

            Eine Laudatio muss wuchtig
            sein. Da darf man einfach
            nicht mit Superlativen geizen.
            Glücklicherweise kennt Kaba-
            rettist Matthias Egersdörfer
            das Geheimnis einer gelunge-
            nen Lobhudelei. Und gratu-
            liert dem BKA Theater mit
            warmen Worten: „Meiner
            Meinung nach das höchstgele-
            gene Theater Deutschlands im Die Dragqueen Jurassica
            12. oder 14. Stock“, stimmt er Parka führt durch Geburts-
            seine Hymne auf 170 Jahre          tagssause. Heimberg
            an. Okay, damit schrammt er
            ein kleines bisschen an der
            Realität vorbei. Vielleicht gibt es in seiner fränkischen Heimat
            einfach keine Altbauten, die höher sind als eine dörfliche Kirch-
            turmspitze. Das BKA Theater am Mehringdamm liegt bekannt-
            lich unterm Dach, über dem vierten Stock. Gefühlt kann der
            Fußmarsch dorthinauf allerdings deutlich länger sein. Fakt ist
            auch, dass die Kreuzberger Bühne gerade mal 33 Jahre jung ge-
            worden ist. Bestes Jesusalter. So was muss gefeiert werden.
            Auch in Zeiten der Pandemie.

https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/917/articles/1345744/9/9                                    1/3
3.5.2021                                                                Berliner Morgenpost

            Aus bekannten Gründen wurde die große Geburtstagssause be-
            reits zu einer kleinen Show umgeplant. Jetzt ist daraus eine je-
            derzeit im Internet abrufbare Gala im Livestream auf dem haus-
            eigenen YouTube- und Facebook-Kanal geworden. „Wegen Co-
            rinna“, wie Moderatorin Jurassica Parka den tödlichen Virus-Pla-
            gegeist liebevoll nennt. Begleitet von Pianist Uwe Matschke
            führt die Berliner Dragqueen im BKA Theater durch den Abend.
            Prall gefüllt mit wenigen Live-Acts, einigen Live-Schalten, vie-
            len Grußworten, wie von Olaf Schubert und René Marik, und
            noch mehr pandemiebedingt vorab aufgezeichneten Beiträgen.
            Der Tod etwa, der ja seit einigen Jahren als Comedian versucht,
            sein negatives Image aufzupolieren, hat sich wahnsinnig gefreut,
            mal zu einem Geburtstag eingeladen zu werden. Sonst ist er da
            total unerwünscht. Er zeigt eine Diashow seiner liebsten Reise-
            ziele. Dem Ort Grab gibt er dabei eine uneingeschränkte Reise-
            empfehlung. Äußerst lebendig indes ist Kabarett-Star Bodo
            Wartke, der mit einem selbstgeklöppelten Ständchen aufwartet.
            Natürlich fehlen auch die wilden Weiber von Neukölln nicht:
            Edith Schröder, Jutta Hartmann und Biggy van Blond heizen live
            auf der Bühne ein.
            Präsentation der großen Programmvielfalt

https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/917/articles/1345744/9/9   2/3
3.5.2021                                                                Berliner Morgenpost

            Ein bunter Kleinkunst-Mix, der die breitgefächerte Programm-
            vielfalt der Bühne zeigt. Der Humor ist jedoch nicht immer al
            dente. So hätte man sich die Minisongs von Robert Alan gern
            erspart. Genau wie die Einlage aus der Reihe „Unerhörte Mu-
            sik“, in der Anna Clementi den Fifties-Gassenhauer „Egon“ zeit-
            genössisch zerdehnt singt. Andererseits weiß man nun genau,
            was man sich im BKA Theater nicht anschauen möchte. Insge-
            samt aber überwiegen die gelungenen Momente. Wobei sich
            Kultursenator Klaus Lederer eine lobende Erwähnung redlich
            verdient hat. Gibt er doch in einer Skype-Schalte den komplett
            volkstümlichen Politiker. Mit Blumengirlanden um den Hals, 1a-
            Laune und einer selbstgedrehten Tüte, die verdächtig nach einem
            Joint aussieht, aber wohl nur harmlosen Tabak enthält.
            Immerhin kommt das BKA Theater dann doch noch zu gutem
            Stoff. Ariane Müller und Julia Gámez Martin schmeißen eine
            Runde Futschis, das hochprozentige Neuköllner Nationalgetränk.
            Die beiden Musikkabarettistinnen heißen als Duo schließlich
            nicht umsonst Suchtpotenzial.
            Infos und Abruf unter www.bka-theater.de

            Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten.

https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/917/articles/1345744/9/9   3/3
3.5.2021                                       https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/806617/10

       Der irre Nachbar

       Auf ge taucht: Die LP von Ha sa an Ibn Ali, der Col tra ne präg te

       Der Pia nist Ha sa an Ibn Ali war sei ner Zeit weit voraus, was kaum je mand weiß, weil er auch ei ne gewal ti ge Ner ven -
       sä ge war. In den Jazz clubs von Phil adel phia drück te er Pia nis ten öf ter mal von der Büh ne und spiel te selbst wei ter.
       Was meist da zu führ te, dass die Blä ser aus stie gen, weil es fast un mög lich war, sei nen Ide en zu fol gen. An fang der
       Sech zi ger jah re wa ren sei ne Ge dan ken sprün ge, sei ne Quart-Vor hal te, sei ne Klang wän de und ver zahn ten Rhyth men
       ein fach nur ir re. Er selbst ja auch.

       Er leb te als er wach se ner Mann noch bei sei nen El tern in North Phil adel phia. Sein Va ter war Koch, sei ne Mut ter ar-
       bei te te als Haus halt hil fe. Stun den lang saß er im Haus her um und üb te. Un ter Mu si kern galt er als schwie ri ger Ei-
       gen bröt ler, auch wenn er an fangs noch für durch rei sen de Stars wie Mi les Davis, J. J. John son oder Clif ford Brown
       ar bei te te. Es wa ren vor al lem sei ne Nach barn, die sei ne Ide en in die Welt tru gen. Der Pia nist Mc Coy Ty ner leb te in
       der Ge gend, der Bas sist Jim my Gar ri son, der Sa xo fo nist John Col tra ne. Es heißt, dass Ibn Alis Ide en Col tra ne zur
       har mo ni schen Tour de Force „Gi ant Steps“ und zu sei nen „sheets of sound“ im Spät werk in spi rier ten. Ge mein sam
       ge spielt ha ben sie viel bei Ali da heim. Nur nicht in der Öf fent lich keit und nicht im Stu dio.

       Jetzt erscheint sein lang verschol le nes Al bum „Me ta physics“ (Om nivo re). Es war das ein zi ge Mal, dass er un ter sei-
       nem selbst gewähl tem Na men auf neh men durf te (ge bo ren wurde er als Wil li am Lang ford). Im Som mer 1965 war
       das, in den At lan tic Stu dios in New York. 1964 hat te er dort ein Al bum auf ge nom men, das als „The Max Roach Trio
       fea turing the le gen da ry Ha sa an“ erschien, obwohl al le Stücke darauf sei ne Kom po si tio nen wa ren. Roach hat te das
       Ge nia le in ihm er kannt und sei ne Plat ten fir ma über re det, ihn auf neh men zu las sen. Die hat ten Vor be hal te, ei nem
       Un be kann ten ein Al bum zu überlas sen. Roach war da ge gen als ei ner der Pio nie re des Be bop und Bür ger rechts -
       kämp fer ein Star.

       Weil das Er geb nis so auf re gend war, ga ben sie Ha sa an Ibn Ali dann doch ei ne Chan ce. Er stell te sich ein Quar tett
       zu sam men. Ne ben dem Schlag zeu ger Kha lil Ma di und dem Bas sis ten Art Davis ge hör te der Sa xo fo nist Ode an Po pe
       da zu, den Ali im mer wie der zu sich nach Hau se ein ge la den hat te. Weil sie sich so fort verstan den. Po pe er in ner te
       sich spä ter an die Ta ge, als sie atem be rau ben de Har mo nien und Rhyth men aus pro bier ten. Ali trug bis zum frü hen
       Abend Ba de man tel. Mit tags ser vier te ih nen der Va ter et was zum Es sen, sie spiel ten noch et was Schach, um dann
       den Rest des Nach mit ta ges wei ter zu üben. Abends spiel ten sie in Häu sern mit Klavier für Trink gel der und Zi ga ret -
       ten.

       Kurz nach den Auf nah men wurde Ha sa an Ibn Ali we gen Dro gen be sitz ver haf tet und konn te nicht zum Ab mi schen
       kom men. At lan tic Re cords ließ die Bän der im La ger verschwin den. Das La ger brann te ab. Ha sa an Ibn Ali zog sich
       nach der Ent täu schung mit At lan tic von der Mu sik zu rück. Als 1972 das Haus sei ner El tern nie der brann te, erlitt er
       ei nen Schlag an fall und konn te nie wie der spie len. Er ver brach te die letz ten Le bens jah re bis zu sei nem Tod 1980 in
       ei nem Pfle ge heim.

       Jetzt ist in den Archiven von War ner Re cords ei ne Ko pie auf ge taucht. Wie schon auf dem Max-Roach-Al bum hört
       man die sen mu si ka li schen Über mut, mit der er und Ode an Po pe vir tuos um Har mo nien und Rhyth men her um spie -
       len. Im mer oh ne sie ganz auf zu bre chen, wie ih re Zeit ge nos sen im Free Jazz. Der Pia nist Mat t hew Shipp be schrieb
       die sen An satz neu lich in ei nem Es say als „Black Mys te ry School Pia nists“. The lo nious Monk war der Pa te die ser Be -
       we gung, zu der Shipp un ter an de rem Mal Wald ron, Ran dy Wes t on, An d rew Hill, Sun Ra und den frü hen Ce cil Taylor
       zählt. Sie al le spiel ten au ßer halb der gewohn ten For men, aber in ner halb der mu si ka li schen Re geln.

       Auf „Me ta physics“ strick ten Ha sa an Ibn Ali und Ode an Po pe aus die sem An satz ein so dich tes Flecht werk aus mu si-
       ka li schen Ide en und emo tio na len Hö hen flü gen, dass man sich zwei, drei Mal darauf ein las sen muss, bis sich die
       Trag wei te erschließt, die die se Mu sik vor 56 Jah ren hat te. Die Ge schich te des Al bums passt na türlich auch gut in
       die ak tuel len De bat ten um die ras sis ti sche Dro gen po li tik der USA, um die tra gi schen Fol gen psychi scher Er kran -
       kun gen, die da mals nur man gel haft be han delt wurden, wenn Rausch gift ins Spiel kam. Doch auch oh ne den ge sell-
       schafts ge schicht lichen Kon text öff net „Me ta physics“ ei nen Spalt breit die Tür in ein mu si ka li sches Le ben, das zum
       größten Teil für im mer ein Ge heim nis blei ben wird.An dri an Kreye

https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/806617/10                                                                         1/1
Sie können auch lesen