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PRESS REVIEW Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal Tuesday, May 4, 2021
PRESS REVIEW Tuesday, May 4, 2021 Allgemeine Zeitung, BSA Konzert der Kulturstrom-Reihe wird aufgezeichnet / Villa Musica-Stipendiatin Shira Majoni glänzt mit der Viola Berliner Zeitung Komische Oper gibt Saison auf. Andere Berliner Häuser machen noch Pläne Berliner Zeitung Die Bayreuther Festspiele sollen stattfinden – auf dem Grünen Hügel laufen die Vorbereitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung Politikerworte und eine unerbittliche Parabel auf das Leben: Die Ruhrfestspiele eröffnen mit einem Festakt und Yoshi Oidas „Seidentrommel“ Süddeutsche Zeitung Sind Kulturschaffende das neue Proletariat? Zum Beginn der Ruhrtriennale Frankfurter Allgemeine Zeitung Chöre sterben. Neue Studie zu Corona Der Tagesspiegel Der Cellist und Festivalmacher Jan Vogler macht sich Gedanken über die Zukunft der Klassik Berliner Morgenpost Das BKA-Theater feiert 33. Geburtstag mit einer Gala im Livestream – ein bunter Kleinkunst-Mix mit kleinen Momenten, die man nicht braucht Süddeutsche Zeitung Aufgetaucht: Die LP von Hasaan Ibn Ali, der Coltrane prägte
Print Quelle: Allgemeine Zeitung, Bad Kreuznach Bad Sobernheim Kirn vom 04.05.2021, S.12 (Tageszeitung / täglich ausser Sonntag, Bad Kreuz- nach) Auch in: 2 weiteren Quellen » Reichweite: 11.268 Autor: Sören Heim Quellrubrik: Allgemeine Zeitung Bad Kreuz- Auflage: 5.241 Ressort: Lokales nach Erlesenes Programm im leeren Saal Konzert der Kulturstrom-Reihe wird aufgezeichnet / Villa Musica-Stipendiatin Shira Majoni glänzt mit der Viola BINGEN. Der Abend versprüht ein stellen. Es gehe auch darum, wie man Für die Aufzeichnungen zum Kul- wenig Meisterkonzert-Atmosphäre. sich in das internationale Programm turstrom ist die Szenerie natürlich Die beliebte Konzertreihe setzt mitt- einfüge und in der Zusammenarbeit wieder ideal. Die Innenräume der Vil- lerweile seit über einem Jahr aus, mit Dozenten und Stipendiaten mit la allein ermöglichen beeindruckende doch die Aufzeichnungen für den Kul- eigenen Initiativen und Konzepten Bilder. turstrom am Nachmittag im Konzert- überzeuge. Und hier habe sich Majoni Wie aber geht es nun weiter mit saal von Villa Sachsen bringen ein we- immer wieder hervorgetan. Majoni sei den beliebten Meisterkonzerten? Da- nig des erlesenen Ambientes der natürlich längst keine Unbekannte zu weiß Patricia Neher von der Binger Meisterkonzerte zurück. Verantwort- mehr, wie Barbara Harnischfeger er- Tourismus- und Kongress GmbH lich dafür ist Villa Musica-Stipendia- innert, die Vorsitzende des Freundes- schon etwas mehr: "Wir haben uns tin Shira Majoni, die dort drei Stücke kreises der Villa Musica. Harnischfe- entschlossen, die für die erste Jahres- auf der Viola darbietet. Am Klavier ger führt durch das Programm. "Un- hälfte geplanten Konzerte in den Kul- begleitet sie Paul Rivinius. Als die ers- sere Stipendiaten stehen nicht ganz turstrom zu integrieren. Für die zwei- ten Töne von "Yizkor (in memoriam)" am Anfang ihres Weges, sondern sind te Hälfte planen wir vorerst reguläre im fast leeren Konzertsaal erklingen, erfolgreiche junge Berufsmusiker, die Konzerte mit Zuschauern. Allerdings ist das wirklich ein Genuss. Allein die in der Villa Musica zusammenfinden", nicht in Villa Sachsen, denn dort ist Musik und der Raum: Ein ideales sagt sie. Majoni war unter anderem das Abstandhalten im notwendigen Umfeld für das nach dem jüdischen schon Stipendiatin der America-Israel Maß einfach nicht möglich." Das Kon- Trauergottesdienst benannte Werk Cultural Foundation, der Barenboim zert "Epoca Baroca" werde in der Hil- von Ödön Partos, das sich wie eine Said Stiftung und des New England degard-Gedächtniskirche stattfinden, melancholische Klage im Saal ausbrei- Conservatory. alle weiteren Konzerte, so Neher, wür- tet. Das Programm ist erlesen. Auf den ins Rheintal-Kongresszentrum Mit Majoni hat die Reihe Kultur- "Yizkor" folgt "Pièce de concert" von verlegt. "Natürlich steht diese Pla- strom eine der herausragenden Sti- George Enescu, dem bedeutendsten nung unter dem Vorbehalt, dass die pendiatinnen der Villa Musica in den Komponisten Rumäniens und unter Corona-Pandemie bis zur zweiten letzten Jahren eingeladen. Im Rah- anderem Geigenlehrer von Yehudi Jahreshälfte auf ein Maß eingedämmt men der Videoaufzeichnung bekommt Menuhin. Den Abschluss bildet dann ist, das solche Konzerte erlaubt", sie den diesjährigen Preis "Stern der Yehezkel Brauns "Jesters Klage". Ein, schildert Neher. Villa Musica" aus den Händen des wie Harnischfeger erklärt, von den künstlerischen Direktors Professor Dissonanzen her anspruchsvolles TERMIN Shira Majoni @Villa Sach- Alexander Hülshof verliehen. Stück, das sich an jüdische Synago- sen feiert am Donnerstag, 6. Mai, ab Der erklärt: Preisträger der Villa genmusik und gregorianischen Ge- 20.15 Uhr auf YouTube Premiere. Musica hätten nicht nur ihre musika- sang anlehne. lischen Fähigkeiten unter Beweis zu Alle weiteren Quellen: Allgemeine Zeitung Ingelheim-Bingen • allgemeine-zeitung.de (Allgemeine Zeitung Mainz) zum Anfang dieses Artikels zum Inhaltsverzeichnis 3
3.5.2021 https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15 Dienstag, 04. Mai 2021, Berliner Zeitung / Komische Oper gibt Saison auf Andere Berliner Häuser machen noch Pläne SUSANNE LENZ, ULRICH SEIDLER A ls erste Berliner Bühne hat die Komische Oper Berlin entschie‐ den, ihren regulären Spielbetrieb in der laufenden Saison nicht wieder aufzunehmen. Kurz: Die Saison ist abgesagt, sie hätte am 1. Juli geendet. Ausnahmen bilden voraussichtlich zwei Vorstellungen der Neuproduktion von „Der ‚Zigeuner‘baron“. In Abspra‐ che mit der Senatsverwaltung für Kultur plant das Haus die Premiere im Rahmen des Berliner Pilotprojekts „Perspektive Kultur“ durchzuführen, voraussichtlich Ende Juni. „Die Termine werden bekannt gegeben, sobald absehbar ist, dass die Lage weitere Planungsschritte zulässt“, hieß es in der Mitteilung der Komischen Oper vom Montag. Voraussetzung ist, dass die Inzidenzzahl unter 100 sinkt. Ein Sinfoniekonzert am 18. Juni werde als Stream realisiert. „Wenn die Inzidenzzahlen sinken, können wir im Juni vielleicht noch et‐ was ansetzen“, sagte Andrea Röber, die Sprecherin der Komischen Oper. Aber für den regulären Spielplan, der ohnehin nur noch ein Notspielplan war, hätte der Vorverkauf bereits am 10. Mai beginnen müssen, also in ei‐ ner Woche. Die Komische Oper sei zwar in Berlin das erste Haus, das sich zu diesem Schritt entschieden hätte, aber deutschlandweit nicht das einzi‐ ge: Auch die Semperoper in Dresden und sämtliche Theater in Köln hätten die Saison abgesagt. Die Proben laufen weiter Die Proben am Haus laufen weiter. Nun richten sich die Energien auf die nächste Spielzeit. Derzeit werden Neuproduktionen und Wiederaufnah‐ men für die Saison 2021/2022 geprobt, die am 29. August mit der Premiere der Oper „Oedipe“ von George Enescu eröffnet wird. Das vollständige Pro‐ gramm für die nächste Saison wird am 21. Juni bekanntgegeben und am 22. Juni auf der Website der Komischen Oper veröffentlicht. https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15 1/2
3.5.2021 https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15 Die großen Berliner Sprechtheater, die auf ihre Streaming- und Online- Spielpläne hinweisen, haben die Saison noch nicht ganz aufgegeben. Auch an den beiden wegen Problemen abseits von Corona krisengeschüttelten Häusern, der Volksbühne und dem Gorki-Theater, laufen offiziell die Pla‐ nungen für etwaige Präsenzveranstaltungen weiter. Die Volksbühne betrifft die Pandemie in besonderer Weise, weil ab der nächsten Saison René Pol‐ lesch die Leitung des Hauses übernimmt, und damit die meisten aktuellen, teilweise noch gar nicht oder nur per Videoübertragung zur Premiere ge‐ kommenen Produktionen für immer vom Spielplan verschwinden. Das Deutsche Theater und das Berliner Ensemble geben sich kämpferisch, wenn auch nicht sehr optimistisch. Man wartet noch ab. Beide Häuser ha‐ ben auch Vorkehrungen für eine Freiluftbespielung getroffen. Und wenn die Inzidenzen im Mai oder Anfang Juni noch unter 100 fallen, dann kom‐ me es darauf an, wie schnell das Land reagiert, denn dann greifen die Re‐ geln der Bundesnotbremse nicht mehr. „An uns soll es nicht liegen.“ Das Theatertreffen, das am 13. Mai beginnt, ist digital durchgeplant. Es wird keine Präsenzveranstaltungen geben, die Zehnerauswahl der bemer‐ kenswertesten Inszenierungen wird per Live-Aufzeichnung oder Live- Stream präsentiert. Auch alle Gesprächsformate laufen im Internet. Die Schaubühne rechnet frühestens im Juni mit Präsenzveranstaltungen. Dafür hat das Haus die Theaterferien abgesagt. Wenn alles gut geht, spielt das Theater den Sommer durch. https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15 2/2
3.5.2021 https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15 Dienstag, 04. Mai 2021, Berliner Zeitung / Koste es, was es wolle Die Bayreuther Festspiele sollen stattfinden – auf dem Grünen Hügel laufen die Vorbereitungen Das Richard-Wagner-Festspielhaus in Bayreuthdpa/Daniel Kahrmann BRITTA SCHULTEJANS D ie Kultur ist eine der am schwersten gebeutelten Branchen in der Corona-Krise. Doch auf dem Grünen Hügel in Bayreuth gibt man sich optimistisch. Die Festspiele sollen in diesem Jahr stattfinden – koste es, was es wolle. Das hat der Verwal‐ tungsrat der Festspiele nun beschlossen. Es sei „eine wichtige Sitzung“ gewesen, betont der Verwaltungsratsvorsit‐ zende Georg Freiherr von Waldenfels. „Wir sind optimistisch, dass sich das bis zum Sommer ändert. Dann werden wir eine höhere Impfquote haben. Außerdem ist der Sommer der natürliche Feind des Virus.“ Festspiel-Che‐ fin Katharina Wagner hatte sich in den vergangenen Monaten ebenfalls zu‐ versichtlich gezeigt. https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15 1/2
3.5.2021 https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15 Die nun gefallene Entscheidung gegen eine Absage ist darum von Bedeu‐ tung, weil es – je näher der 25. Juli, das klassische Datum für den Start der Festspiele, rückt – immer schwieriger wird, von geschlossenen Verträgen mit Musikern oder Regisseuren möglicherweise noch zurückzutreten. Die Kosten, auf denen die Festspiele sitzen bleiben würden, müsste das Klas‐ sik-Spektakel im schlechtesten aller Fälle doch noch abgesagt werden, stie‐ gen also. Von Waldenfels hofft nun, die derzeit in Konzepten zugrunde gelegte Besu‐ cherzahl von nur 235 statt normalerweise rund 2000 im Festspielhaus auf dem Grünen Hügel noch anheben zu können: „Wir wollen so viel wie mög‐ lich aufstocken.“ Zuletzt war davon die Rede, dass im besten aller Fälle 1000 Zuschauer zugelassen werden könnten. Und mit jedem leeren Platz verlieren die Festspiele bares Geld. Normaler‐ weise bestreiten sie den laufenden Betrieb zu 65 Prozent aus Einnahmen. Das fehlende Geld werden die Gesellschafter – die Bundesrepublik Deutschland, der Freistaat Bayern, die Stadt Bayreuth und die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth – ausgleichen müssen. Im vergangenen Jahr, als die Richard-Wagner-Festspiele zum ersten Mal seit ihrer Wiederaufnahme nach dem Zweiten Weltkrieg ausfielen, fehlten rund 15 Millionen Euro. „Kultur ist teuer“, sagt von Waldenfels dazu. Künstler und die Kultur hätten in der Corona-Krise besonders gelitten. „Da wollen wir ein bisschen Stabi‐ lität geben.“ Bayerns Kunstminister Bernd Sibler (CSU) hatte zuletzt gesagt, Corona- Schnelltests könnten in diesem Jahr eine wichtige Rolle spielen. Und auch wenn die Rahmenbedingungen dafür sorgen dürften, dass es die wohl un‐ gewöhnlichsten Festspiele der Geschichte werden – ein Blick ins Pro‐ gramm verrät davon erst mal nicht viel. Neben der Neuproduktion „Der fliegende Holländer“, bei der mit Oksana Lyniv erstmals eine Frau in Bayreuth am Pult stehen soll, sind Wiederauf‐ nahmen der Produktionen „Die Meistersinger von Nürnberg“ und „Tann‐ häuser“ geplant. Weitere Höhepunkte sind die Rückkehr des lettischen Star-Dirigenten Andris Nelsons und die Teilnahme von Hermann Nitsch, der in diesem Jahr die Ring-des-Nibelungen-Oper „Die Walküre“ inszenie‐ ren soll. Alles nach Plan also auf dem Grünen Hügel 2021 – und doch ganz anders. (dpa) https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937736/14-15 2/2
3.5.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466895/9 F.A.Z. - Feuilleton Dienstag, 04.05.2021 Jugend tanzt, Jugend lebt, Jugend kennt kein Mitleid Politikerworte und eine unerbittliche Parabel auf das Leben: Die Ruhrfestspiele eröffnen mit einem Festakt und Yoshi Oidas „Seidentrommel“ Auf dem Gemälde, vor dem sie den grußwortspendenen Bundespräsidenten in seinem Berli- ner Schloss für gewöhnlich platzieren, steht Schiller unter freiem Himmel im Tiefurter Park und trägt dem Weimarer Musenhof seine Gedichte vor. Es ist die Blütezeit der Kultur in Deutschland, Goethe, Wieland, die Humboldt-Brüder, Herzogin Amalia, Herder – sie alle haben sich in dieser fiktiven Szene um den freiheitstrunkenen Dichter gruppiert und bezeu- gen den hohen Kurs der Kunst um 1800. Zweihundertzwanzig Jahre später ist er tief gefallen. Steinmeier sagt das, was sich die Politiker inzwischen angewöhnt haben zu sagen: dass etwas fehlt. Dass Kultur „ein Lebensmittel“ sei und „Zehntausende Kunstschaffende“ von der Pandemie hart getroffen würden. Und weil er zur Eröffnung der vom Deutschen Gewerk- schaftsbund ausgerichteten Ruhrfestspiele spricht, sagt er auch noch etwas Soziales: dass es ein Unding sei, dass vielen unverschuldet arbeitslos gewordenen Künstlerinnen und Künst- lern jetzt der Ausschluss aus der Künstlersozialkasse drohe. Warme Worte, die der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens noch einmal auf seine Weise wiederholt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, zitiert Armin Laschet Matthäus, sondern von Experimenten mit neuen Formen, wie zum Beispiel mit Hybridformaten wie denen von „Ruhr digital“: Neunzig Produktionen werden aus Anlass des 75-jährigen Bestehens der Festspiele bis zum 20. Juni gezeigt. Dass vorher noch Aufführungen vor Zuschauern erlaubt werden, glaubt so recht keiner. Die Festrednerin Enis Macis jedenfalls macht wenig Mut, an die von ihr im Gestus der Untertreibung eingeforderte „Macht der Verwandlung“ zu glauben. Die 1993 in Gelsenkirchen geborene Theaterschriftstellerin kündigt zwar an, über „die Bühne“ zu sprechen, redet dann aber vor allem über die Folgenlo- sigkeit ihrer Worte, Fernsehserien mit Virusvarianten und die Toten von Hanau. Als Festspiele nicht nur „für Literaten und Auserwählte“, sondern für „die Kumpels“ aus dem Industrierevier waren die Ruhrfestspiele nach dem Krieg ursprünglich gegründet worden, von Hamburger Theaterleuten, die sich mit Kunst für die Kohle bedanken wollten, die ihnen feinsinnige Bergarbeiter an den englischen Besatzern vorbei in ihre ausgebombten Theater geschmuggelt hatten. Viel geblieben ist von dem Anspruch nicht. Heute werden auf dem „Grünen Hügel“ in Recklinghausen oft genauso hürdenreiche Inszenierungen gezeigt wie anderswo auch. Obwohl die Etablierung einer modernen Zirkussparte und eine gewisse Star- Quote zumindest Echos auf das ursprüngliche Credo versuchen. Insbesondere mit seiner Vorliebe für die allgemeingültigen Wirkungen des sogenannten „einfachen Theaters“ versucht der seit 2018 amtierende Intendant Olaf Kröck dem Grün- dungsgedanken seines Festivals auf eigene Weise Rechnung zu tragen. Vor zwei Jahren zeigte er eine überwältigende Arbeit von Peter Brook, in diesem Jahr hat er mit dem japanischen Schauspieler Yoshi Oida erneut einen Helden aus dem Brook’schen Kosmos eingeladen. Gemeinsam mit der Tänzerin und Choreographin Kaori Ito präsentiert der siebenundachtzig- jährige Oida ein modernes No-Spiel, basierend auf einem Text des bahnbrechenden Schrift- stellers Yukio Mishima. „Die Seidentrommel“ ist das vom kürzlich verstorbenen Jean-Claude https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466895/9 1/2
3.5.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466895/9 Carrière übertragene Stück überschrieben. Ein alter Putzmann verliebt sich in eine junge Tänzerin, die er während seiner Reinigungsschicht bei ihren Proben beobachtet. Vom plötzli- chen Aufflammen eines heftigen Begehrens erfasst, offenbart er ihr seine Sehnsucht und erkennt in ihr den schönsten Traum seines sich neigenden Lebens. Die Tänzerin aber, von der überwältigenden Andacht des alten Mannes nur belustigt, führt ihn vor, verspricht, sich ihm hinzugeben, wenn es ihm gelingen sollte, aus einer Seidentrommel nur einen Ton herauszuschlagen. Verzweifelt versucht der alte Mann alles, um ihre Forderung zu erfüllen, scheitert aber kläglich. Verraten und durch die überhebliche Anmut der Tänzerin gedemü- tigt, nimmt er sich das Leben. Und erscheint ihr wenig später als blutüberströmter Dämon. Was Oida und die ungefähr halb so alte Ito mit sanft choreographierten Bewegungen und nur wenigen gesprochenen Worten, unterlegt vom Klang einer durchdringenden Perkussion, vorführen, ist eine Parabel über den Hochmut der Jugend, die sich leichtfertig über das Schicksal des Alters erhebt und dafür bestraft wird. „Achtet die Alten“ scheint diese Auffüh- rung mit jedem Wort, jeder Bewegung, jedem Augenaufschlag zu sagen und damit einen ganz eigenen, poetischen Punkt auf dem wild beschriebenen Plan der gegenwärtigen Lage zu machen: In Zeiten der Pandemie gebührt dem Alter ein besonderer Schutz und eine besonde- re Achtung – nicht allein aus ethischen, sondern auch aus Schicksalsgründen. Die seltsam ungefüge Art aber, in der die zwei so unterschiedlich alten Körper hier zusam- menkommen, führt auf der anderen Seite in jedem Moment auch ihre unüberwindliche Distanz vor Augen. Es ist, als ob sie mit jeder ihrer Bewegungen ausdrücken würden, was sie voneinander trennt, was ihnen an Vertrautheit fehlt. Wenn sie versuchen, zusammen zu tanzen, dann prallen nicht nur zwei Geschlechter, sondern vor allem zwei Generationen, zwei Zeitalter gegeneinander und taumeln wie benommen zurück. Zurück an ihren von der Zeit zugewiesenen Platz, in ihre Einsamkeit, in ihr Leiden. „Souffrance. Naissance. La Vie“ reimt der alte Mann, „Leid. Geburt. Das Leben“, und die junge Tänzerin, im roten Body mit ironisch weißer Blume im Haar, antwortet ihm schnippisch: „Je danse. Je vis“ („Ich tanze. Ich lebe“). Hier auf der Bühne entpuppt sich Mishimas unerbittliche Parabel als böser Traum. Hier siegt die selbstbewusste Überheblichkeit der Jugend. Mit lasziver Geste stellt die schöne Tänzerin dem Alten am Schluss ein Radio vor die Füße und lässt ihn stehen, allein im leeren Raum mit ihrem Lieblingslied: „Dance.Dance.Dance“ von Lykke Li. Sie hat ihm trium- phierend gezeigt, was er nie mehr bekommen wird, zufrieden vor Augen geführt, wie vergan- gen sein Leben ist. Zu den Klängen einer ihm fremden Musik versucht er trotzdem noch ein paar Bewegungen, schwingt vorsichtig die Hüfte, wippt leicht mit dem Kopf – vielleicht schaut sie ja doch noch einmal zurück, sieht ihn und sein Bemühen, hat Mitleid. Nein, alles, was ihm bleibt, ist der Wischmopp und ein Eimer. Und das Licht, das er löschen darf. Nach dem Black kippt die feine Traurigkeit des Stücks abrupt in dumpfe Tragik: wenn sich der alte Schauspieler und die Tänzerin nämlich vor dem leeren Festspielhaus in die Kameras verbeugen und unwillkürlich auf Applaus warten. Ein paar schmerzhaft stille Augenblicke vergehen, dann erbarmen sich schließlich ein paar Techniker und klatschen kurz verhalten von hinten. Und zu Hause, allein vor dem Bildschirm, denkt man, dass eigentlich nichts schlimmer, nichts demütigender für die Kunst ist als so ein bisschen Klatschen in einem menschenleeren Theater. SIMON STRAUSS https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466895/9 2/2
3.5.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/806617/10 Kunst kommt von Arbeit Sind Kul tur schaf fen de das neue Pro le ta ri at? Zum Be ginn der Ruhr tri en na le Bei der feierlichen Di gi tal-Eröff nung der 75. Ruhr fest spie le konn te man den Ein druck gewin nen, dass Künst ler die neue Ar bei ter klas se sind. Nicht mehr der hart ma lo chen de Pro let un ter Erde oder am Fließ band lie fert heu te den An stoß für Mah nun gen zur öko no mi schen Ge rech tig keit. So li da ri tät für die Men schen am un te ren En de der Ein kom mens py ra mi de forder ten die Fest red ner zum Ju bi lä - um des eins ti gen Ar bei ter kul tur fests al lein für die Kul turschaf fen den. Be son ders Bun des prä si dent Frank-Wal ter Stein meier warf sich en er gisch für die Kul tur in die Bre - sche. Zehn tau sen de Künst le rin nen und Künst ler seien durch man geln de Hil fen der Po li tik in ih rer Exis tenz be droht, er klär te er in sei ner Vi deo-Mah nung aus dem Schloss Bel levue. Und dass dann die - je ni gen, die versuchen, durch nicht künst le ri sche Tä tig kei ten ihr Überle ben zu sichern, auch noch aus der Künst lerso zi al kas se (KSK) flö gen, da für feh le ihm „je des Verständ nis“. Mit derar tig kla rer Kri tik an der Re gie rung war der zwei te Fest red ner na türlich nicht so forsch. Der Kanz ler kan di dat der CDU und Mi nis ter prä si dent des Ruhr pott länd les, Ar min La schet, muss ge ra de Wer bung für sich selbst ma chen. Al so lob te La schet eben sich selbst: 15000 Sti pen dien für frei schaf- fen de Künst ler im Wert von 90 Mil lio nen Eu ro ha be er in Nord rhein-West fa len für ei ne Bran che er- mög licht, die ge ra de „ei ne sehr schwe re Zeit“ hat. „Glück auf“ wünsch te er ih nen in ei nem Bun des - land, in dem laut Kul tur rat-NRW Über brückungs hil fen „be son ders ab ge fragt“, al so be nö tigt werden. Nach die ser Be schwö rung des neuen Kul tur pro le ta ri ats, dem ge hol fen werden muss, hät te die ei gent - liche Fest re de der Au to rin Enis Maci na türlich Ge le gen heit ge bo ten, et was Klar text zu spre chen. Et wa über die Rea li tät von Men schen, die in ei nem Ge strüpp an Vorschrif ten über an geb lich schnel le und un bü ro kra ti sche Not hil fen ver zwei feln, und dann auch noch aus der KSK flie gen. Oder über grö ße re Zu sam men hän ge, et wa was die Idee ewi gen Wirt schafts wachs tums mit die ser und al len an de ren Kri- sen zu tun hat. Doch die jun ge Au to rin aus Gel sen kirchen, die für ih re poe tisch-po li ti schen Thea terstücke viel Lob er fuhr, prä sen tier te zum Fes tivalthe ma „Uto pie und Un ru he“ ei nen Wir bel aus The men split tern. An - sät ze von Ge dan ken und As so zia tio nen, priva te Erleb nis se und Me ta phern folg ten ein an der, bis Maci in der Mit te der Re de end lich ih re Me tho de er klär te: „Woran ich glau be: Flüch tig sein bis ans En de al- ler Ta ge.“ Sie er zähl te vom Ba de man tel ih rer Freun din und un terstell te der deut schen Po li zei in dif fu sen Wor- ten ei ne „blu ti ge“ Mit schuld an den Morden von Ha nau. Sie kam von Duis bur ger Punks zum En de des Ver bren nungs mo tors, er fand ei nen „Tsu na mi aus Schei ße“ und be schrieb aus dem Zen trum ih rer Berli ner Woh nung ei ne Welt sub jek tiver Frag men te, in der al les ir gendwie hip, ab ge klärt und poe - tisch ist. Selbst ih re Forde rung für mehr Ge mein be sitz klang in die ser Ge dicht re de an ge be risch ra di- kal, hin gewor fen zwi schen Ca net ti-Zi tat und Par tysze ne. „Mei ne Uto pie heißt: Der An fang ei ner neu- en All men de.“ Der Text hät te Spreng stoff werden kön nen auf ei nem Fes tival, das sei ne Wur zeln in der Ar bei ter kul tur hat, die ein mal Al ter na tiven zum Ka pi ta lis mus such te. Aber die se Idee ge hört dann eben aus ge führt. Des we gen ist die neue Ar bei ter klas se der Kul turschaf fen den in die ser Form für die Po li tik so leicht zu igno rie ren: Sie dreht sich um sich selbst, und davon geht kei ne po li ti sche Ge fahr aus. Aber die Ruhr- fest spie le rich ten sich auch schon lan ge nicht mehr an revo lu tio nä re Ge sell schafts schich ten. Sie sind ei nes der be deu tends ten Kul turereig nis se in Deutsch land, wo das Be son de re ge fragt ist. Doch auch https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/806617/10 1/2
3.5.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/806617/10 die ses Spek ta ku lä re lei det un ter Co ro na. Das Fes tival läuft bis auf Wi der ruf di gi tal. Nur Veran stal- tun gen im Ju ni werden noch tap fer als Live-Ereig nis se an ge kün digt. Zur Kron juwe len hoch zeit von Kunst und Koh le ist die Abwe sen heit von Pu bli kum na türlich be son - ders bit ter. Aber die Pre mie re zur Eröff nung verlief so al ters wei se und still, dass sie den feh len den Re so nanz raum der Zu schauer bes ser ver trug als opu len tes deut sches Dampf thea ter. Yo shi Oidas Sehn suchts dra ma „Die Sei den trom mel“ er zählt über die Macht ei ner Krän kung. Ei ne hüb sche Tän ze - rin lockt ei nen al ten Haus meis ter erst mit ver füh re ri schen Ges ten, und ver höhnt ihn dann für sei ne Ge füh le. Der Mann nimmt sich be schämt das Le ben und ver folgt das Mäd chen als Dä mon. Die se tra - di tio nel le Ge schich te aus dem ja pa ni schen Nō-Thea ter ver wan delt der 87-jäh ri ge Oi da in ein Tanz- thea ter der Kon tras te. Er selbst mit stei fen Bewe gun gen vol ler In brunst lässt sich füh ren und ent täu schen von dem ein ge - bil de ten Mäd chen, der ein drucks vol len Tän ze rin Kao ri Ito, die in ih ren verschlun ge nen Cho reo gra fi- en ein al tes Ge dicht über Lei den, Le ben und Lie ben las ziv in ter pre tiert. Der al te Ar bei ter und die jun - ge Künst le rin wis sen nichts von neuen Klas sen und be droh lichen Kri sen. Ih re Uto pie ist voll kom men in trover tiert, ih re Un ru he führt zum Un mit tel ba ren, dem Ge fühl zwi schen Men schen. Das ist sehr schön und er bau lich. Aber ver mut lich hilft es nicht, wenn das Schrei ben von der KSK kommt. Till Brieg leb https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/806617/10 2/2
3.5.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466895/11 F.A.Z. - Feuilleton Dienstag, 04.05.2021 Chöre sterben Neue Studie zu Corona Von der Corona-Krise wird sich das Chor-Leben im deutschsprachigen Raum lange nicht erholen. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die unter der Leitung der Eichstätter Professorin für Musikwissenschaften Katrin Schlemmer entstand und jetzt veröffentlicht wurde. Fast sechzig Prozent aller befragten Ensembles erwarteten, nach der Pandemie nicht mehr in früherer Besetzungsstärke weiterarbeiten zu können. Fünfzehn Prozent befürchteten einen deutlichen Rückgang des Interesses von Sängern durch die lange Zwangspause. An der Umfrage haben 4300 Chöre in Deutschland, Österreich und der Schweiz teilgenommen. Besondere Sorge bereiten den Angaben zufolge Nachwuchs-Chöre. Diese seien ohnehin einer größeren Fluktuation als Chöre mit erwachsenen Mitgliedern ausgesetzt. Von mehr als 580 befragten Kinder- und Jugendchören ist fast jeder achte nicht mehr existent. epd https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466895/11 1/1
3.5.2021 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476247/24-25 Dienstag, 04.05.2021, Tagesspiegel / Kultur Seine Natur ist Dur Der Cellist und Festivalmacher Jan Vogler macht sich Gedanken über die Zukunft der Klassik Von Frederik Hanssen © Marco Grob Allegro molto. Der 1964 in Berlin geborene Jan Vogler. Jan Vogler ist ein unerschütterlicher Optimist. Mit der Tatkraft, die der Cellovir- tuose ausstrahlt, könnte er lässig ein komplettes Streichquartett versorgen. Und es gibt eigentlich auch kein Problemfeld, dem der 57-Jährige nicht einen positi- ven Aspekt abgewinnen könnte. Selbst für das Streaming von Konzerten kann er sich erwärmen – und er ist sich sicher, dass diese Notlösung, die Klassikfans in Pandemiezeiten als schwachen Trost für Liveerlebnisse zu akzeptieren gelernt haben, nach dem Ende der Coronakrise fortbestehen wird. „Die digitale Konzerte werden die Live-Veranstaltungsbranche nicht bedrohen“, sagt Jan Vogler im Telefoninterview, „denn das eine ersetzt nicht das andere: https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476247/24-25 1/3
3.5.2021 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476247/24-25 Das Streamingformat wird als ergänzendes Erlebnis daneben bestehen. Und es wird uns helfen, in der technikaffinen jungen Generation mehr Fans für die Klassik zu gewinnen.“ Die Vorteile des digital übertragenen Konzertes sieht er zum einen in der Nähe des Zuschauers zu den Musikern, die sich durch die Kameraführung herstellen lässt. Zum anderen in der Möglichkeit zur Interaktion der User untereinander: „Während man der Musik lauscht, kann man sich gleichzeitig im Chat unterhal- ten“, schwärmt er. „Der eine schreibt: Ich bin in Kalkutta!, ein anderer sendet Grüße aus New York. So fühlt sich das Publikum auch über Tausende von Kilo- metern hinweg als Gemeinschaft.“ In diesem Lagerfeuer-Effekt liegt für Vogler die „Magie der technischen Zukunft“. Gestärkt wird seiner Meinung nach außerdem der Verbund zwischen Künstlern und Publikum. „Wir haben die digitale Revolution noch nicht richtig für uns ge- nutzt!“, sagt der Cellist. „Nämlich, um Musik in einer Art zu verbreiten, die die Lebendigkeit der klassischen Musik vermittelt.“ Und der Ort, an dem man die Leute denkbar niedrigschwellig erreichen kann, ist nun einmal das Internet. Die Art und Weise, wie wir künftig Klassik konsumieren, könnte sich den Gewohn- heiten der Fußballfans anpassen, sinniert Jan Vogler: „Mal schaut man sich ein Spiel im Fernsehen an, mal geht man ins Stadion. Wer im Netz einen Künstler entdeckt, den er faszinierend findet, bei dem wird der Wunsch entstehen, ihn auch einmal live zu erleben.“ Gleichzeitig denkt er auch an Umweltfragen. In seiner gewohnten globalisierten Form wird das Konzertbusiness künftig nicht mehr möglich sein. Orchesterhop- ping von Kontinent zu Kontinent, Solisten, die für ein einziges Konzert Tau- sende Kilometer An- und Abreise in Kauf nehmen – hier muss sich die Einstel- lung der Veranstalter wie auch der Künstler:innen selbst ändern. Hin zu mehr Nachhaltigkeit, die sich beispielsweise dadurch erreichen lässt, dass bei Tour- neen weniger Ort angesteuert werden, dort dann aber jeweils mehrere Auftritte stattfinden, vom großen Event bis zur Vermittlungsarbeit für Kinder und Jugendliche. Für Jan Voglers musikalisches Leben hätte so ein Umdenken weitreichende Fol- gen. Denn er hat eine typische Jetset-Karriere gemacht, fliegt seit 35 Jahren un- ablässig um die Welt, um auf allen Kontinenten Präsenz zu zeigen. Seine Le- bensmittelpunkte sind sowohl New York als auch Dresden. In Sachsen sorgte er bis zum Corona-Lockdown zudem als Leiter der traditionsreichen Dresdner Musikfestspiele dafür, dass die Crème der internationalen Klassikwelt jedes Jahr im Frühsommer nach Elbflorenz reist. Das Hong Kong Philharmonic Or- chestra sollte eigentlich das diesjährige Festival am 14. Mai eröffnen. https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476247/24-25 2/3
3.5.2021 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476247/24-25 Daraus wird natürlich nichts, und nach der Verabschiedung des neuen Bundes- Infektionsschutzgesetzes sah sich der Intendant jetzt sogar genötigt, sein Festi- val zu splitten: Da im Mai kein Spielbetrieb vor Publikum möglich sein wird, hat er einige Programmpunkte in den Herbst verlegt, andere hofft er im Juni als Freiluftvariante realisieren zu können. Und für die letzte Mai-Woche sind nun einige Streaming-Konzerte geplant. Dabei hatte er noch vor kurzem so hoffnungsfroh in die Zukunft geschaut: „Ich will nicht aufgeben“, betont er mehrfach im Gespräch. Gerade auch, weil er in den vergangenen Monaten sehr viele Zuschriften vonseiten des Publikums er- halten habe, in denen die Bitte geäußert wird, die Dresdner Musikfestspiele in diesem Jahr nicht komplett abzusagen. „Wir müssen in der Lage sein, den Leu- ten, die so hungrig sind auf Kultur, etwas anzubieten, auch wenn es vielleicht nicht das sein kann, was derzeit noch angekündigt ist. Aber die Flexibilität der Künstler ist enorm, sie wollen auftreten und sind darum bereit, spontan zu re- agieren, mehr und anderes zu machen.“ Er habe noch nie so hart gearbeitet wie im letzten Jahr, sagt Vogler auch – und das obwohl fast nichts stattfinden konnte. Vor der Pandemie war die wirtschaft- liche Situation der Musikfestspiele blendend, die Eigeneinnahmequote lag über 60 Prozent, was absolut außergewöhnlich in Deutschland ist. Darauf ist Jan Vog- ler zu Recht stolz. Dank dieser Ausgangsbasis hat sein Festival gute Chancen, die unsicheren nächsten Monate zu überstehen, selbst wenn die Pandemieentwick- lung auch noch seinen jetzt entwickelten Plan C zunichtemachen sollte. Frede- rik Hanssen https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476247/24-25 3/3
3.5.2021 Berliner Morgenpost KULTUR SEITE 9 | DIENSTAG 4. MAI 2021 Eine Bühne im besten Jesusalter Das BKA Theater feiert 33. Geburtstag mit einer Gala im Livestream – ein bunter Kleinkunst-Mix mit kleinen Momenten, die man nicht braucht Von Ulrike Borowczyk Eine Laudatio muss wuchtig sein. Da darf man einfach nicht mit Superlativen geizen. Glücklicherweise kennt Kaba- rettist Matthias Egersdörfer das Geheimnis einer gelunge- nen Lobhudelei. Und gratu- liert dem BKA Theater mit warmen Worten: „Meiner Meinung nach das höchstgele- gene Theater Deutschlands im Die Dragqueen Jurassica 12. oder 14. Stock“, stimmt er Parka führt durch Geburts- seine Hymne auf 170 Jahre tagssause. Heimberg an. Okay, damit schrammt er ein kleines bisschen an der Realität vorbei. Vielleicht gibt es in seiner fränkischen Heimat einfach keine Altbauten, die höher sind als eine dörfliche Kirch- turmspitze. Das BKA Theater am Mehringdamm liegt bekannt- lich unterm Dach, über dem vierten Stock. Gefühlt kann der Fußmarsch dorthinauf allerdings deutlich länger sein. Fakt ist auch, dass die Kreuzberger Bühne gerade mal 33 Jahre jung ge- worden ist. Bestes Jesusalter. So was muss gefeiert werden. Auch in Zeiten der Pandemie. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/917/articles/1345744/9/9 1/3
3.5.2021 Berliner Morgenpost Aus bekannten Gründen wurde die große Geburtstagssause be- reits zu einer kleinen Show umgeplant. Jetzt ist daraus eine je- derzeit im Internet abrufbare Gala im Livestream auf dem haus- eigenen YouTube- und Facebook-Kanal geworden. „Wegen Co- rinna“, wie Moderatorin Jurassica Parka den tödlichen Virus-Pla- gegeist liebevoll nennt. Begleitet von Pianist Uwe Matschke führt die Berliner Dragqueen im BKA Theater durch den Abend. Prall gefüllt mit wenigen Live-Acts, einigen Live-Schalten, vie- len Grußworten, wie von Olaf Schubert und René Marik, und noch mehr pandemiebedingt vorab aufgezeichneten Beiträgen. Der Tod etwa, der ja seit einigen Jahren als Comedian versucht, sein negatives Image aufzupolieren, hat sich wahnsinnig gefreut, mal zu einem Geburtstag eingeladen zu werden. Sonst ist er da total unerwünscht. Er zeigt eine Diashow seiner liebsten Reise- ziele. Dem Ort Grab gibt er dabei eine uneingeschränkte Reise- empfehlung. Äußerst lebendig indes ist Kabarett-Star Bodo Wartke, der mit einem selbstgeklöppelten Ständchen aufwartet. Natürlich fehlen auch die wilden Weiber von Neukölln nicht: Edith Schröder, Jutta Hartmann und Biggy van Blond heizen live auf der Bühne ein. Präsentation der großen Programmvielfalt https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/917/articles/1345744/9/9 2/3
3.5.2021 Berliner Morgenpost Ein bunter Kleinkunst-Mix, der die breitgefächerte Programm- vielfalt der Bühne zeigt. Der Humor ist jedoch nicht immer al dente. So hätte man sich die Minisongs von Robert Alan gern erspart. Genau wie die Einlage aus der Reihe „Unerhörte Mu- sik“, in der Anna Clementi den Fifties-Gassenhauer „Egon“ zeit- genössisch zerdehnt singt. Andererseits weiß man nun genau, was man sich im BKA Theater nicht anschauen möchte. Insge- samt aber überwiegen die gelungenen Momente. Wobei sich Kultursenator Klaus Lederer eine lobende Erwähnung redlich verdient hat. Gibt er doch in einer Skype-Schalte den komplett volkstümlichen Politiker. Mit Blumengirlanden um den Hals, 1a- Laune und einer selbstgedrehten Tüte, die verdächtig nach einem Joint aussieht, aber wohl nur harmlosen Tabak enthält. Immerhin kommt das BKA Theater dann doch noch zu gutem Stoff. Ariane Müller und Julia Gámez Martin schmeißen eine Runde Futschis, das hochprozentige Neuköllner Nationalgetränk. Die beiden Musikkabarettistinnen heißen als Duo schließlich nicht umsonst Suchtpotenzial. Infos und Abruf unter www.bka-theater.de Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/917/articles/1345744/9/9 3/3
3.5.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/806617/10 Der irre Nachbar Auf ge taucht: Die LP von Ha sa an Ibn Ali, der Col tra ne präg te Der Pia nist Ha sa an Ibn Ali war sei ner Zeit weit voraus, was kaum je mand weiß, weil er auch ei ne gewal ti ge Ner ven - sä ge war. In den Jazz clubs von Phil adel phia drück te er Pia nis ten öf ter mal von der Büh ne und spiel te selbst wei ter. Was meist da zu führ te, dass die Blä ser aus stie gen, weil es fast un mög lich war, sei nen Ide en zu fol gen. An fang der Sech zi ger jah re wa ren sei ne Ge dan ken sprün ge, sei ne Quart-Vor hal te, sei ne Klang wän de und ver zahn ten Rhyth men ein fach nur ir re. Er selbst ja auch. Er leb te als er wach se ner Mann noch bei sei nen El tern in North Phil adel phia. Sein Va ter war Koch, sei ne Mut ter ar- bei te te als Haus halt hil fe. Stun den lang saß er im Haus her um und üb te. Un ter Mu si kern galt er als schwie ri ger Ei- gen bröt ler, auch wenn er an fangs noch für durch rei sen de Stars wie Mi les Davis, J. J. John son oder Clif ford Brown ar bei te te. Es wa ren vor al lem sei ne Nach barn, die sei ne Ide en in die Welt tru gen. Der Pia nist Mc Coy Ty ner leb te in der Ge gend, der Bas sist Jim my Gar ri son, der Sa xo fo nist John Col tra ne. Es heißt, dass Ibn Alis Ide en Col tra ne zur har mo ni schen Tour de Force „Gi ant Steps“ und zu sei nen „sheets of sound“ im Spät werk in spi rier ten. Ge mein sam ge spielt ha ben sie viel bei Ali da heim. Nur nicht in der Öf fent lich keit und nicht im Stu dio. Jetzt erscheint sein lang verschol le nes Al bum „Me ta physics“ (Om nivo re). Es war das ein zi ge Mal, dass er un ter sei- nem selbst gewähl tem Na men auf neh men durf te (ge bo ren wurde er als Wil li am Lang ford). Im Som mer 1965 war das, in den At lan tic Stu dios in New York. 1964 hat te er dort ein Al bum auf ge nom men, das als „The Max Roach Trio fea turing the le gen da ry Ha sa an“ erschien, obwohl al le Stücke darauf sei ne Kom po si tio nen wa ren. Roach hat te das Ge nia le in ihm er kannt und sei ne Plat ten fir ma über re det, ihn auf neh men zu las sen. Die hat ten Vor be hal te, ei nem Un be kann ten ein Al bum zu überlas sen. Roach war da ge gen als ei ner der Pio nie re des Be bop und Bür ger rechts - kämp fer ein Star. Weil das Er geb nis so auf re gend war, ga ben sie Ha sa an Ibn Ali dann doch ei ne Chan ce. Er stell te sich ein Quar tett zu sam men. Ne ben dem Schlag zeu ger Kha lil Ma di und dem Bas sis ten Art Davis ge hör te der Sa xo fo nist Ode an Po pe da zu, den Ali im mer wie der zu sich nach Hau se ein ge la den hat te. Weil sie sich so fort verstan den. Po pe er in ner te sich spä ter an die Ta ge, als sie atem be rau ben de Har mo nien und Rhyth men aus pro bier ten. Ali trug bis zum frü hen Abend Ba de man tel. Mit tags ser vier te ih nen der Va ter et was zum Es sen, sie spiel ten noch et was Schach, um dann den Rest des Nach mit ta ges wei ter zu üben. Abends spiel ten sie in Häu sern mit Klavier für Trink gel der und Zi ga ret - ten. Kurz nach den Auf nah men wurde Ha sa an Ibn Ali we gen Dro gen be sitz ver haf tet und konn te nicht zum Ab mi schen kom men. At lan tic Re cords ließ die Bän der im La ger verschwin den. Das La ger brann te ab. Ha sa an Ibn Ali zog sich nach der Ent täu schung mit At lan tic von der Mu sik zu rück. Als 1972 das Haus sei ner El tern nie der brann te, erlitt er ei nen Schlag an fall und konn te nie wie der spie len. Er ver brach te die letz ten Le bens jah re bis zu sei nem Tod 1980 in ei nem Pfle ge heim. Jetzt ist in den Archiven von War ner Re cords ei ne Ko pie auf ge taucht. Wie schon auf dem Max-Roach-Al bum hört man die sen mu si ka li schen Über mut, mit der er und Ode an Po pe vir tuos um Har mo nien und Rhyth men her um spie - len. Im mer oh ne sie ganz auf zu bre chen, wie ih re Zeit ge nos sen im Free Jazz. Der Pia nist Mat t hew Shipp be schrieb die sen An satz neu lich in ei nem Es say als „Black Mys te ry School Pia nists“. The lo nious Monk war der Pa te die ser Be - we gung, zu der Shipp un ter an de rem Mal Wald ron, Ran dy Wes t on, An d rew Hill, Sun Ra und den frü hen Ce cil Taylor zählt. Sie al le spiel ten au ßer halb der gewohn ten For men, aber in ner halb der mu si ka li schen Re geln. Auf „Me ta physics“ strick ten Ha sa an Ibn Ali und Ode an Po pe aus die sem An satz ein so dich tes Flecht werk aus mu si- ka li schen Ide en und emo tio na len Hö hen flü gen, dass man sich zwei, drei Mal darauf ein las sen muss, bis sich die Trag wei te erschließt, die die se Mu sik vor 56 Jah ren hat te. Die Ge schich te des Al bums passt na türlich auch gut in die ak tuel len De bat ten um die ras sis ti sche Dro gen po li tik der USA, um die tra gi schen Fol gen psychi scher Er kran - kun gen, die da mals nur man gel haft be han delt wurden, wenn Rausch gift ins Spiel kam. Doch auch oh ne den ge sell- schafts ge schicht lichen Kon text öff net „Me ta physics“ ei nen Spalt breit die Tür in ein mu si ka li sches Le ben, das zum größten Teil für im mer ein Ge heim nis blei ben wird.An dri an Kreye https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/806617/10 1/1
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