PRESS REVIEW Wednesday, June 9, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal

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PRESS REVIEW Wednesday, June 9, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
PRESS REVIEW

         Daniel Barenboim Stiftung
Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal

        Wednesday, June 9, 2021
PRESS REVIEW Wednesday, June 9, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
PRESS REVIEW                                                   Wednesday, June 9, 2021

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Dröhnendes Schweigen: Die Staatskapelle Dresden und ihr Chef Christian Thielemann

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Nora Schmid soll die Semperoper leiten

Berliner Morgenpost
Eine düstere Prognose wagt Regisseur Stefan Herheim. Intendant Dietmar Schwarz widerspricht,
Dirigent Sir Donald schweigt

Die Welt
Im Apennin-Dörfchen Marradi wurden der 800. Todestag Dantes, ein 229 Jahre altes Theater und ein
verrückter Dichter gefeiert. Und der Dirigent Riccardo Muti

Rbb Inforadio
Mondtags: “It's going to get worse” im Gorki

Berliner Zeitung
Freier Eintritt ins Museum

Der Tagesspiegel
Kultur ist seelenrelevant
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9.6.2021                                              https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467091/11

        F.A.Z. - Feuilleton                                                                                        Mittwoch, 09.06.2021

                                     Dissonanzen in größter Harmonie
        Dröhnendes Schweigen: Die Staatskapelle Dresden und ihr Chef Christian Thielemann.
        Von Michael Ernst, Wien

        Seine Tondich­tung „Ein Helden­le­ben“ hat Richard Strauss zwar schon vor gut hundert­zwan­zig Jahren
        voll­endet, vor allem wohl als Wunsch-Spie­gel­ku­lis­se seiner selbst, doch man könnte sie auch bestens als
        Klang­bild für den heuti­gen Zustand der Säch­si­schen Staats­ka­pel­le deuten. Denn ordent­lich Krach gibt
        es sowohl im Opus 40 des musi­schen Baju­wa­ren als auch im Zusam­men­hang mit der Kapel­le aus Dres­-
        den. Die gilt tradi­tio­nell als exzel­len­tes Strauss-Orches­ter und war nun just mit dieser Tondich­tung zu
        ihrem ersten Auslands­gast­spiel seit dem Ausbruch der Pande­mie unter­wegs – zu zwei Konzer­ten im
        Golde­nen Saal des Wiener Musik­ver­eins.

        Hier wie da, im „Helden­le­ben“ wie in der Kapel­le, scheint neben dem Binnen-Getöse nach außen hin
        alles zu stim­men, auf dass noch jede Disso­nanz in schöns­te Harmo­nie erlöst werde. Da wird ausge­wo­-
        gen bis hinrei­ßend musi­ziert, alles hero­isch Schrof­fe heraus­ge­mei­ßelt und in den Raum gewor­fen, der
        ohne­hin schon so prall gefüllt ist, als könne es nie wieder Platz geben für leise, gar nach­denk­li­che Töne.
        Doch aus aller Viel­stim­mig­keit, die in sich durch­aus auch streit­bar gellen kann, erhebt sich das wonni­ge
        Solo der Violi­ne und entführt in eine Welt des Frie­dens, die Helden gar nicht nötig hat.

        Es sind aber nicht nur die gera­de­zu himm­li­schen Soli, die Konzert­meis­ter Matthi­as Wollong auf seiner
        Guar­ne­ri-Geige von 1676 anstimmt, sondern wohl auch das Wieder-zu-Hause-Gefühl von Orches­ter
        und Chef­di­ri­gent im präch­ti­gen Musik­ver­eins­saal. Zu „gesun­den“ Zeiten galten die Kapel­le und Chris­ti­-
        an Thie­le­mann hier quasi als Stamm­gäs­te. Nun zähl­ten sie mit zu den Ersten, die an diesem symbol­haf­-
        ten Ort wieder vor Publi­kum auftre­ten konn­ten. Ohne Nega­tiv­tests gab es keinen Zutritt, dennoch blie­-
        ben für die nach Musik gieren­den Besu­cher Abstands­ge­bot und Masken­pflicht im Saal vorge­schrie­ben.
        Der Aufwand für die rund hundert Musi­ker war beträcht­lich größer, schlie­ß­lich saß man dicht bei dicht
        auf der Bühne und hatte auf der Zugfahrt von Dres­den nach Wien zwei Gren­zen zu über­que­ren. Die
        ursprüng­li­chen Tour­nee­plä­ne mit Flügen von Amster­dam bis Athen wurden beizei­ten annul­liert, ledig­-
        lich die beiden Wiener Konzer­te blie­ben übrig. Die aber waren Ereig­nis.

        Sach­sens Regie­rung war verär­gert

        über den Streit an der Opern­spit­ze

        Wäre es nach Thie­le­mann gegan­gen, hätte das Werk schon zu Jahres­be­ginn in Dres­den erklin­gen
        können, was aber aufgrund der Corona-Regeln und dem streng folg­sa­men Opern­in­ten­dan­ten Peter
        Thei­ler verhin­dert wurde. Ein medial ausge­tra­ge­ner Streit, der wohl auch die poli­ti­schen Verant­wor­-
        tungs­trä­ger in Sach­sen geär­gert haben dürfte. Im Mai wurde die Reiß­lei­ne gezo­gen und der Öffent­lich­-
        keit mitge­teilt, dass Thie­le­manns 2024 auslau­fen­der Vertrag nicht verlän­gert und der von Thei­ler nur
        um eine Spiel­zeit bis eben­falls zum Sommer in drei Jahren ausge­wei­tet werde. Der Aufschrei des
        Entset­zens über eine solche Weichen­stel­lung durch die Poli­tik hallt immer noch nach. Im Kontrast dazu
        steht das Schwei­gen von Oper und Orches­ter sowie vor allem von Thei­ler und Thie­le­mann. Viel­leicht
        sagt es mehr als das banale State­ment des Inten­dan­ten: „Die Entschei­dung des Minis­te­ri­ums, ab der
        Spiel­zeit 2023/24 die Weichen für die Semper­oper unter dem Motto Zukunfts­per­spek­ti­ve
        ,Semper2030‘ neu stel­len zu wollen, kann ich nach­voll­zie­hen.“ Es sagt auch mehr als die sich in alle
        Rich­tun­gen rück­ver­si­chern­de Stel­lung­nah­me der Kapel­le: „Der Konzert- und Opern­be­trieb in zehn
        Jahren wird ein ande­rer sein als heute. Auf das Ange­bot der Staats­mi­nis­te­rin, an dieser Entwick­lung
        konstruk­tiv und aktiv mitzu­wir­ken, gehen wir gerne ein.“ Ein orches­tra­les Bekennt­nis zu Thie­le­mann,
        seit 2012 Chef­di­ri­gent in Dres­den, hätte anders klin­gen müssen.

https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467091/11                                                                                1/2
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9.6.2021                                              https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467091/11

        Die Säch­si­sche Staats­ka­pel­le ist nun völlig verun­si­chert

        Der Riss aber ging und geht quer durch die Reihen dieses ebenso selbst­be­wuss­ten wie nunmehr verun­-
        si­cher­ten Klang­kör­pers. Man wolle sich nun erst einmal finden, heißt es verstoh­len, müsse sich neu
        orien­tie­ren und werde sich erst zu gege­be­ner Zeit wieder öffent­lich äußern.

        Beim zwei­tä­gi­gen Gast­spiel in Wien war von all diesen Quere­len nichts zu spüren. Vor allem mit einem
        reinen Strauss-Konzert hat das Orches­ter gepunk­tet, obwohl nach sechs Orches­ter­lie­dern zu Texten von
        Clemens Bren­ta­no und Gott­fried August Bürger, in denen die Sopra­nis­tin Erin Morley enorme Souve­rä­-
        ni­tät ausstrahl­te, noch eine öster­rei­chi­sche Erst­auf­füh­rung anstand. Dieses Werk des 1964 gebo­re­nen
        Kompo­nis­ten Thomas Hennig mag Teile des Publi­kums vorab irri­tiert haben, doch auch die „Nacht“ für
        Sing­stim­me und Orches­ter klang ganz nach Strauss. Hennig hatte dessen noch nach den „Vier letz­ten
        Liedern“ entwor­fe­nes und nicht fertig­ge­stell­tes Werk aus des Meis­ters Skiz­zen­buch mit dem Versuch
        größ­ter Stil­treue voll­endet. Nach einem in der Semper­oper aufge­zeich­ne­ten Live-stream für Arte
        Concert und MDR Kultur erklang dieses Lied zu einem Text von Hermann Hesse nun erst­mals vor
        Publi­kum. Die Binnen­dra­ma­tik dieses Stücks mit märchen­haf­tem Horn­fi­na­le ging ebenso zu Herzen
        wie die fein­füh­li­ge Inter­pre­ta­ti­on der Solis­tin, die über den sie voller Umsicht beglei­ten­den Diri­gen­ten
        dem Orches­ter aufs engste verbun­den schien.

        Einmal mehr kamen so die Quali­tä­ten der Säch­si­schen Staats­ka­pel­le als Opern­or­ches­ter zur Geltung,
        das um die Kunst des Beglei­tens ebenso weiß wie um die sinfo­ni­sche Selbst­be­haup­tung. In der Zusam­-
        men­ar­beit mit Chris­ti­an Thie­le­mann wirkt es seit Jahren gera­de­zu perfekt aufein­an­der einge­stimmt,
        was natür­lich in beson­de­rer Weise bei der Musik von Richard Strauss, einem seiner Herzens­kom­po­nis­-
        ten, zum Tragen kommt. Als sollte ein durch nichts zu trüben­des Glücks­ge­fühl vermit­telt werden, übten
        sich der Maes­tro und sämt­li­che Stimm­grup­pen in einem osten­ta­tiv zur Schau getra­ge­nen Wohl­be­fin­-
        den, das sich zusätz­lich zum leben­di­gen Schön­klang auch in mimi­scher Freund­lich­keit äußer­te. Thea­-
        tra­lik gibt es eben auch im Konzert.

        In den Wiener Feier­stun­den zeigte sich jeden­falls keine Spur davon, dass es ein – wie auch immer gear­-
        te­tes – Zerwürf­nis zwischen dem Chef­di­ri­gen­ten und zumin­dest Teilen seines Orches­ters geben könnte.
        Alle Kritik an persön­li­chem Umgang, Stil und Arbeits­wei­se stand uniso­no hinter dem künst­le­ri­schen
        Ergeb­nis zurück, um ein wahres Helden-Erle­ben zu zele­brie­ren.

https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467091/11                                                                     2/2
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9.6.2021                                               https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467091/9

        F.A.Z. - Feuilleton                                                                                        Mittwoch, 09.06.2021

                                                   Dresdens Neuanfang
                                                 Nora Schmid soll die Semperoper leiten

        Wer sich noch im vergan­ge­nen Herbst mit Nora Schmid unter­hielt, hätte nicht für möglich gehal­ten,
        dass die Inten­dan­tin der Oper Graz ernst­haft daran denken würde, ihr Haus zu verlas­sen. Sie schätz­te
        ihren Wirkungs­ort als freie Spiel­wie­se, die ihr – ähnlich wie zur Amts­zeit von Gerd Brun­ner in den
        Acht­zi­ger- und Neun­zi­ger­jah­ren – die Möglich­keit bot, inhalt­lich zu expe­ri­men­tie­ren, Rari­tä­ten auf den
        Spiel­plan zu setzen und jungen Regie­ta­len­ten ein Podium zu bieten.

        Nun aber soll, wie Sach­sens Kultur­mi­nis­te­rin Barba­ra Klepsch gestern in Dres­den bekannt gab, Schmid
        vom Sommer 2024 an die Nach­fol­ge von Peter Thei­ler in der Inten­danz der Semper­oper antre­ten.
        Damit tut sich die Frage auf, ob Schmid die bishe­ri­ge Frei­heit des Gestal­tens in Graz dem Dresd­ner
        Bedürf­nis nach Reprä­sen­ta­ti­on opfern oder das Pracht­haus am Elbufer inhalt­lich umkrem­peln wird. In
        Dres­den ist Schmid, die 1978 in Bern gebo­ren wurde, keine Unbe­kann­te. Schon 2011 war sie erst­mals
        als Chef­dra­ma­tur­gin an die Semper­oper gekom­men und ein Jahr später persön­li­che Refe­ren­tin der
        dama­li­gen Inten­dan­tin Ulrike Hess­ler gewor­den. Nach deren frühem Tod im Juli 2012 über­nahm
        Schmid inte­ri­mis­tisch sogar die Inten­danz der Säch­si­schen Staats­oper, bis sie 2015 den Ruf nach Graz
        erhielt.

        Für die Posse, die sich Sach­sens Regie­rung mit der Beru­fung von Serge Dorny als Nach­fol­ger Ulrike
        Hess­lers und dessen Kündi­gung vor Amts­an­tritt geleis­tet hatte, kann Schmid über­haupt nichts. Ebenso
        wenig kann ihr Schwei­zer Lands­mann Peter Thei­ler etwas dafür, der im Sommer 2018 die lange Phase
        der unsi­che­ren Leitung been­de­te und nur andert­halb Spiel­zei­ten lang Gele­gen­heit hatte, seine Hand­-
        schrift als Inten­dant zu zeigen. Ihm hatte die Minis­te­rin Mitte Mai genau­so wie dem Chef­di­ri­gen­ten der
        Staats­ka­pel­le, Chris­ti­an Thie­le­mann, in einer recht befremd­li­chen Erklä­rung beschie­den, nicht
        zukunfts­fä­hig zu sein. Beider Verträ­ge wurden über deren Auslau­fen im Sommer 2024 hinaus nicht
        verlän­gert. „Wir sehen dabei das, was heute gut ist, und denken trotz­dem an das Über­mor­gen der
        Oper“, hieß es zur Begrün­dung der Entschei­dung. „Und eine Oper in zehn Jahren wird eine andere als
        die Oper von heute sein: Sie wird teil­wei­se neue Wege zwischen tradier­ten Opern- und Konzert­auf­füh­-
        run­gen und zeit­ge­mä­ßer Inter­pre­ta­ti­on von Musik­thea­ter und konzer­tan­ter Kunst gehen müssen.“ Die
        Begrün­dung, warum dieser Weg mit dem jetzi­gen Spit­zen­per­so­nal nicht gang­bar sei, blieb die Minis­te­-
        rin schul­dig.

        Nora Schmid steht ohne Zwei­fel für inno­va­ti­ve Spiel­plä­ne. In Graz ging sie seit 2015 behut­sam vom
        Rand-Reper­toire des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts in die Gegen­wart (F.A.Z. vom 5. Novem­ber 2020) und
        hat für die ihr verblei­ben­den Jahre sogar Urauf­füh­run­gen geplant. Dieser Ehrgeiz einer ästhe­ti­schen
        Moder­ne wird von ihr geschickt gegen­fi­nan­ziert durch Auffüh­run­gen von Musi­cals und Operet­ten, die
        auch die stei­ri­sche Land­be­völ­ke­rung ins Opern­haus holen.

        Bislang hat sie die Grazer Oper rela­tiv geräusch­los, ohne spek­ta­ku­lä­re Krisen und sehr effek­tiv und
        erfolg­reich gelei­tet – übri­gens gut koor­di­niert mit ihren Ansprech­part­nern in der Poli­tik. In der Sache
        beharr­lich, als Takti­ke­rin geschickt, verschaff­te sie ihrem Haus damit über­re­gio­na­les Anse­hen. Dass die
        ukrai­ni­sche Diri­gen­tin Oksana Lyniv während Schmids Amts­zeit als Musik­di­rek­to­rin nach Graz beru­fen
        wurde, das Haus frei­lich 2019 auch wieder verließ, nährt Speku­la­tio­nen, dass Lyniv für die Dresd­ner
        Nach­fol­ge Thie­le­manns in Betracht gezo­gen werden könnte. Doch dazu müsste sich die Staats­ka­pel­le
        äußern. (Siehe Seite 11.) Jan Brach­mann

https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467091/9                                                                                 1/1
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           KULTUR                                                                                         SEITE 10 | MITTWOCH 9. JUNI 2021

           „Wir feiern den Tod der Oper“
           Eine düstere Prognose wagt Regisseur Stefan Herheim. Intendant Dietmar Schwarz widerspricht, Dirigent
           Sir Donald schweigt

           Intendant Dietmar Schwarz (l.), Regisseur Stefan Herheim (Mitte) und Dirigent Sir Donald Runnicles in der Deutschen Oper.
           Maurizio Gambarini FUNKE Foto Services

           Von Volker Blech

           Auch mit dieser Premiere ist man reichlich verspätet dran, in der Berliner Kultur-
           szene spricht man nicht umsonst vom Premierenstau. Ursprünglich sollte an der
           Deutschen Oper mit dem „Rheingold“ im vergangenen Juni der neue Zyklus „Der
           Ring des Nibelungen“ eröffnet werden. In einer Lockdown-Pause schob sich dann
           die „Walküre“ davor. Jetzt soll der Auftakt des vierteiligen Zyklus’ am Sonnabend
           seine Premiere feiern. Eigens dafür luden Generalmusikdirektor Sir Donald Runni-
           cles, Regisseur Stefan Herheim und Intendant Dietmar Schwarz am Dienstag ins
           Foyer der Charlottenburger Oper.

https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/951/articles/1366529/10/2                                          1/3
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           Dass die Drei nicht wirklich viel Neues
           mitzuteilen hatten, hing zuerst damit zu-
           sammen, dass der Dirigent und der Re-
           gisseur ihre Köpfe tief in den Proben
           hatten. Richard Wagners Weltenzyklus,
           der mit dem „Rheingold“ beginnt und in
           der zerstörerischen „Götterdämmerung“
           endet, kann schon schwer auf der Seele
           lasten. Irgendwann nach einer guten
           halben Stunde begann der norwegische
           Regisseur mit düsteren Reflexionen
           über die Demokratie und die Oper. Er
           sage es auch dem Ensemble, so Her-
           heim: „Leute, wir sind hier zusammen-
           gekommen, um den Tod dieser Kunst-
           form, den Tod der Oper gemeinsam zu
           feiern. Ich sehe weniger und weniger
           die Voraussetzungen der Gesellschaft,
           um auf dieser Ebene Inhalte kommuni-
           zieren zu wollen.“ Es geht den Künst-
           lern um Gesellschaftsdiskussionen, die
           in einer sinnlichen Weise stattfinden
           müssen. „Ich finde es zum Teil wahn-      Szene aus „Rheingold“ an der Deut-
           sinnig schwer, diese Art Übersetzungs- schen Oper Bernd Uhlig
           arbeit zu versuchen“, so Stefan Her-
           heim. „Aber wie ich immer sage: Sterben ist irgendwo wie Liebe machen, und nir-
           gendwo kommen Tod und Eros dichter zusammen als bei Wagner. Man kann vor al-
           lem eines: Versuchen, mit Würde zu sterben.“
           Intendant Dietmar Schwarz wollte sich auf das Thema nicht weiter einlassen. „Es
           geht uns wirtschaftlich durch die Kurzarbeit ganz gut“, sagte er. „Der Sterbeprozess,
           den Stefan Herheim im Künstlerischen benannte, hat sich so noch nicht eingeleitet.“
           Aber dann fügte er mit Blick auf seinen Regisseur hinzu: „Wir lachen noch darüber,
           aber in ein paar Jahren wissen wir nicht, ob wir noch darüber lachen.“ Dirigent Sir
           Donald schwieg.

https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/951/articles/1366529/10/2   2/3
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           „Das Rheingold“ wird im Juni sechs Mal gezeigt. Noch gelten strenge Hygienevor-
           schriften und eine verringerte Platzkapazität. In der Deutschen Oper hat man sich
           entschieden, weiterhin auf Sicht zu fahren. Das ist ein anderer Weg als in der Staats-
           oper, wo man bereits seine Saisonvorschau ausgebreitet hat und glaubt, ab Novem-
           ber wird ein ganz normaler Spielbetrieb herrschen. Dietmar Schwarz will seine
           Pläne Ende des Monats vorstellen, der Vorverkauf beginnt am 12. August. Der Plan
           wird zunächst bis in den Oktober reichen. Überhaupt setzt man auf den neuen
           „Ring“-Zyklus als Zugpferd. In großen Opernhäusern der Welt sind die Wagner-Zy-
           klen traditionell die Höhepunkte der Saison.
           Der „Ring“ von Stefan Herheim, der die Longseller-Inszenierung von Götz Friedrich
           ablöst, startet in der Pandemie mit einiger Verwirrung. „Die Walküre“ hatte bereits
           Premiere, „Das Rheingold“ folgt am Sonnabend. Das Finale mit der „Götterdämme-
           rung“ soll am 17. Oktober Premiere haben, „Siegfried“ zieht erst am 12. November
           nach. Er findet dann im Rahmen der ersten „Ring“-Aufführung statt. Drei komplette
           „Ringe“ sind an der Deutschen Oper geplant. Der erste findet vom 9. bis 14. Novem-
           ber, der zweite vom 16. bis 21. November und der dritte vom 4. bis 9. Januar statt.
           „Eines ist mir noch nie so klar gewesen wie nach all dem Streaming, den Videos,
           den digitalen Experimenten: Die Emotionalität, die wir mit Musik und Gesang aus-
           lösen, braucht Resonanz“, resümierte Dietmar Schwarz im hauseigenen Opernmaga-
           zin. „Wenn eine Sängerin vor 2000 Menschen steht, schießt ihr ein Hormoncocktail
           durch den Körper. Dieses Lampenfieber lässt sich nicht künstlich herstellen.“ Dafür
           brauche es das Publikum.
           „Das Rheingold“ am 12 Juni (Premiere), 15., 19., 22., 25. und 27. Juni. Drei „Ring“-
           Zyklen ab 9. November.

           Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten.

https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/951/articles/1366529/10/2     3/3
PRESS REVIEW Wednesday, June 9, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
22 FEUILLETON                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           DIE WELT         MITTWOCH, 9. JUNI 2021

E
„Ich war strikt gegen das Sternchen“
             in „Experiment“ ist nicht                                                            Amanda Gorman ist die Dichterin, die bei der                                                                                   sich schließlich nicht für „Sklav*innen“,

                                                                                                  Inauguration von Joe Biden für Furore sorgte.
             nur das Übersetzen eines                                                                                                                                                                                            was zunächst im Raum stand, entschie-
             Gedichts innerhalb von                                                                                                                                                                                              den, sondern für das generische Femi-

                                                                                                  Dann entbrannte eine hitzige Debatte:
             zwei Wochen durch drei                                                                                                                                                                                              ninum „Sklavinnen“, womit Strätling

                                                                                                  Darf die schwarze Lyrikerin von einer weißen
             Personen, von denen nur                                                                                                                                                                                             dann am Ende auch einverstanden ge-
eine professionelle Übersetzerin ist.                                                                                                                                                                                            wesen sei. So habe man mit einer weib-

                                                                                                  Person übersetzt werden? Jetzt melden sich
Auch der Freitagabend im Literarischen                                                                                                                                                                                           lichen Linie, mit feministischen Per-
Colloquium Berlin, an dem man über                                                                                                                                                                                               spektiven gespielt. Schließlich überset-

                                                                                                  die deutschen Übersetzerinnen zu Wort
diese ungewohnte Herausforderung                                                                                                                                                                                                 ze man die intersektionale Feministin
spricht, hat experimentellen Charakter,                                                                                                                                                                                          Gorman für eine bestimmte Leser-
vollzieht sich hier doch so etwas wie der                                                                                                                                                                                        schaft, nämlich für eine plurale Migra-
Übergang von einer digitalen Lock-                                                                                                                                                                                               tionsgesellschaft.
down-Eventkultur in eine des Liveauf-                                                                                                                                                                                               Gegen das Gendern, so Strätling, ha-
tritts unter freiem Sommerhimmel.                                                                                                                                                                                                be sie hauptsächlich etwas gehabt, „weil
                                                                                                                                                                                                                                 es den Rhythmus stört.“ Ihr sei „das
       VON MARIE-LUISE GOLDMANN                                                                                                                                                                                                  Klangliche“ am wichtigsten gewesen
                                                                                                                                                                                                                                 und das käme sich mit dem Politischen
   Ein allmählicher Prozess, denn nur                                                                                                                                                                                            eben oft in die Quere. Gerade bei einem
zwei der drei Übersetzerinnen sind per-                                                                                                                                                                                          Gedicht, stimmt Haruna-Oelker zu, sei
sönlich vor Ort – Hadija Haruna-Oelker                                                                                                                                                                                           man in dieser Hinsicht mit einem dop-
und Uda Strätling. Kübra Gümüşay be-                                                                                                                                                                                            pelten Problem konfrontiert, weil Lyrik
findet sich in der altbewährten Zoom-                                                                                                                                                                                            eben auch klingen müsse. Gümüşay da-
Schalte, man kann sie also am Wannsee                                                                                                                                                                                            gegen erhebt Einspruch gegen den Ur-
nicht sehen, nur hören, was aber nichts                                                                                                                                                                                          ban Myth, die gerechte Sprache verhun-
ausmacht, weil auch die Gesichter der                                                                                                                                                                                            ze das Deutsche. Vielmehr erkennt sie
Anwesenden vom Gegenlicht der herab-                                                                                                                                                                                             im gerechten Sprechen ein Experiment:
sinkenden Abendsonne verdunkelt wer-                                                                                                                                                                                             „Wie kann man mit Sprache tanzen?“
                                              LITERARISCHES COLLOQUIUM/ BERLIN, LCB.DE MEDIATHEK (3)

den. Wie aus den vergangenen Monaten                                                                                                                                                                                                Wie das Tänzeln um die richtigen
gewohnt, bittet der Veranstalter das Pu-                                                                                                                                                                                         Worte im Detail ausgesehen hat, führt
blikum zu Beginn um Geduld, das Inter-                                                                                                                                                                                           das Übersetzerteam anhand eines Bei-
net sei noch nicht so weit. So kann man                                                                                        Tänzeln um die richtigen                                                                          spiels vor: Gormans „norms and noti-
die Wartezeit aber wenigstens nutzen,                                                                                          Worte: Uda Strätling                                                                              ons“ sei dunkel, das habe Gewicht, er-
um sich einen Wein an der Bar zu holen                                                                                         (oben links), Hadija                                                                              klärt Strätling. Bei der Übertragung ins
und auf den See zu blicken anstatt zu                                                                                          Haruna-Oelker (oben                                                                               Deutsche müsse man nun darauf ach-
Hause allein auf den eigenen Bildschirm.                                                                                       rechts) und Kübra Gümüşay                                                                        ten, dass die Alliteration erhalten blei-
   Der Name „Amanda Gorman“ fällt                                                                                              (links) haben Amanda                                                                              be, dass beide Nomen denselben Artikel
nur selten. Kein Wunder, wo sich die                                                                                           Gorman (großes Bild)                                                                              besäßen, darüber hinaus Abstrakta sei-
Debatte seit ihrem Inaugurationsge-                                                                                            ins Deutsche übersetzt                                                                            en, damit man keinen Plural brauche, es
dicht für Joe Biden am 20. Januar längst                                                                                                                                                                                         komme also auf Genus, Kongruenz,
von ihrer Person losgelöst hat und eige-                                                                                                                                                                                         aber auch auf die richtigen Vokale an. So
ne Wege gegangen ist. Bei der Veran-                                                                                                                                                                                             habe das Deutsche zu viele „i“ und „e“,
staltung, die jetzt auch online nachzu-                                                                                                                                                                                          also helle Vokale, und Zischlaute. Ent-
hören ist, sprechen die drei Übersetze-                                                                                                                                                                                          schieden habe man sich schließlich für
rinnen der deutschen Fassung von „The         rungswelle sein kann, das gehört zu den                                     habe nicht wirkungsmächtiger hätte ein-                                                                die Kombination „Anschauung und Aus-
Hill We Climb“ mit der Moderatorin            viel diskutierten Grundsatzfragen der                                       fordern können, wenn es um die Über-                                                                   legung“, die von vielen Rezensenten als
Insa Wilke zum ersten Mal öffentlich          Auseinandersetzung mit Cancel Cultu-                                        setzung eines weißen Mannes gegangen                                                                   misslungen beurteilt wurde. Nach
über die heiß diskutierte Übersetzung         re. Statt hermeneutisch wohlwollend                                         wäre. Doch hier sitzt ein eingespieltes                                                                Strätlings Deklination durch die ver-
des Gedichts, das eine der größten Lite-      das Anliegen derjenigen zu verstehen,                                       Team auf der Bühne, kein Panel mit un-                                                                 schiedenen Möglichkeiten und ihre Fal-
raturdebatten der jüngsten Vergangen-         die den Rücktritt Rijnevelds mit Bedau-                                     terschiedlichen Positionen, sodass Rei-                                                                len, weiß man nun, warum man sich
heit befeuerte. In ihrem Zentrum die          ern oder sogar Ärger kommentierten,                                         bungen gar nicht möglich sind.                                                                         eines Verrisses lieber enthält.
Frage: Wer darf das Gedicht einer jun-        und statt nachzuvollziehen, welche vali-                                       Wer heute nichts falsch machen will,                                                                   Schon allein, weil es auch dem Trio
gen, schwarzen Amerikanerin überset-          den Argumente womöglich in dieser                                           der achtet darauf, aus eins grundsätz-                                                                 selbst keineswegs um Perfektion ging.
zen? Konkreter: Wie jung und schwarz          Kritik stecken könnten, erklärt Gü-                                         lich drei zu machen. Nicht nur die ge-                                                                 Beim Übertragen von Worten in eine
muss man für den Job sein?                    müşay schlichtweg, dass sie sich ange-                                     plante „Sex and the City“-Fortsetzung                                                                  andere Sprache komme sowieso immer
   Weil Gorman sich selbst nie zu die-        sichts der Reaktionen vieler respekta-                                      ersetzt die Figur der Samantha durch                                                                   ein ganz neuer Text heraus, der nicht
ser Frage geäußert hat, europäische In-       bler Personen und Feuilletontexte                                           drei People of Color. Auch zum Über-                                                                   mehr viel mit dem zu tun habe, was vor-
terviewanfragen lange unbeantwortet           fremdgeschämt habe. Wie habe man die                                        setzen eines Gedichts braucht es offen-                                                                her da war. Es folgen Metaphern der
ließ, um dann allen lediglich Antworten       Sache nur so falsch verstehen können?                                       bar mehr als eine Person, die das Hand-                                                                Hoffnungslosigkeit: Übersetzen sei wie
auf eine kleine Auswahl von Fragen zu-        Dann gibt sie einen Tipp: Wenn ihr je-                                      werk professionell gelernt hat. Eine                                                                   „durch ein Nadelöhr eine ganze Welt
kommen zu lassen, müssen hier also ih-        mand die „Darf man noch?“-Frage stel-                                       Rahmung an beiden Rändern muss her,                                                                    hindurchzudrängen“, so Gümüşay, eine
re Stellvertreterinnen in Person der          le, frage sie immer gleich zurück: „Ist                                     die sicherstellt, dass Kontexte, Her-                                                                  Unmöglichkeit also. Übersetzt, so ist
Übersetzerinnen einspringen. Deren            das der Mensch, der du sein willst?“                                        kunft und Framings von Wörtern nicht                                                                   man sich einig, werden hier nämlich
Antwort: Die Frage war von Anfang an             Der Verdacht drängt sich auf, dass                                       unter den Tisch fallen.                                                                                nicht Wörter, sondern ein Land, ein
falsch gestellt. Mehr noch, die „Dürfen-      Haruna-Oelker, Strätling und Gümüşay                                          Dabei lernen sich Haruna-Oelker                                                                     ganzes Beziehungsgeflecht. Ein Text sei
Frage“ sei sogar „die falscheste Frage,       selbst Strohmänner der Kritiker ge-                                         und Strätling heute zum ersten Mal                                                                     „The Hill We Climb“ laut Strätling ei-
die man stellen kann“, so Haruna-Oel-         brauchen, denen sie Strohmannargu-                                          persönlich kennen. Die zweiwöchige                                                                     gentlich sowieso nicht, vielmehr „ein
ker, die erklärt: „Jeder darf alles und im    mente vorwerfen, also die Konstruktion                                      Übersetzungsarbeit, die glücklicher-                                                                   Ereignis“ an einem sehr heiklen Punkt
besten Fall lebt er oder sie mit den Kon-     eines nicht existenten Feindbildes, ge-                                     weise schon vor der identitätspoliti-                                                                  in der Geschichte.
sequenzen.“                                   gen das sich leicht argumentieren lasse.                                    schen Debatte beendet gewesen sei, ha-                                                                    Am Ende bedanken sich die Überset-
   Was wurde dann moniert, als Marie-         Denn natürlich hat die andere Seite zu                                      be sich rein virtuell abgespielt. Strät-                                                               zerinnen für den wohltuenden Liveap-
ke Lucas Rijneveld – jung, weiß und           keinem Zeitpunkt behauptet, mit „nicht                                      ling habe da ihr Smartphone gerade mal                                                                 plaus, auf den man so lange verzichten
nonbinär – für die Übersetzung des Ge-        dürfen“ sei „gesetzlich verboten“ ge-                                       ein halbes Jahr besessen, das simultane                                                                musste. Als Zuschauer wünscht man
dichts ins Niederländische beauftragt         meint. Dass sich auf der Bühne eine süf-                                    Arbeiten in einem Google Doc sei für                                                                   sich, auch andere Möglichkeiten des
wurde? Laut dem Übersetzertrio: ledig-        fisante Drohung an die andere reiht,                                        sie schwierig gewesen: „Und plötzlich                                                                  Liveauftritts wären genutzt worden:
lich eine „verpasste Chance“. Es sei um       macht die Sache nicht besser.                                               ist die Zeile weg.“ Für Gümüşay be-                                                                   das Zulassen von Publikumsfragen et-
Fragen des Zugangs und der Verteilung            Wenn die identitätspolitische Forde-                                     stand in dieser Form des „egobefrei-                                                                   wa, nachdem auf der Bühne nicht ein-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    LAIF/ REDUX/ NYT/ TONY LUONG

gegangen. Fast klingt es auf einmal so,       rung tatsächlich nicht in der befremdli-                                    ten“ Arbeitens auch ein gewisser Reiz:                                                                 mal die Hälfte der sich aufdrängenden
als sei Rijneveld freiwillig zurückgetre-     chen Identität von Dichter und Überset-                                     „Der Text stand im Fokus“.                                                                             Themen gestreift wurden. Oder das
ten, verboten habe man ihr die Überset-       zer besteht, sondern, viel ehrenwerter,                                        Nur bei einem Thema habe es größe-                                                                  Vortragen des Gedichts, das wie die
zung schließlich nicht, den Auftrag ent-      in der Teilhabe an einem System, das ei-                                    re Diskussionen gegeben: beim Gen-                                                                     Person Amanda Gormans über den
zogen auch nicht.                             nige wenige begünstigt und andere aus-                                      dern. „Ich war strikt gegen das Stern-                                                                 Abend hinweg eine stets spürbare Leer-
   Aber wie freiwillig eine Entscheidung      schließt, dann muss die Frage zumindest                                     chen“, bekennt Strätling. Bei der Über-                                                                stelle blieb. Man könnte sagen: Eine
nach einer nationalen digitalen Empö-         aufgeworfen werden, ob man diese Teil-                                      setzung des Wortes „slaves“ hätten sie                                                                 verpasste Chance.

Eine Kulturlandschaft erwacht

E
Im Apennin-Dörfchen Marradi wurden der 800. Todestag Dantes, ein 229 Jahre altes Theater und ein verrückter Dichter gefeiert. Und der Dirigent Riccardo Muti
       in Mini-Dante in Rot mit Käpp-         die. Und Riccardo Muti hat recht, wenn                                      reich gegen die hegemonialen Ansprü-                                                                   der 3. Orchestersuite folgte Verdis Des-                                           kommen war und den neu erschlossenen        nalbahnlinie „Faentina“, die insgesamt
       chen. Ein Mini-Vergil mit Tunika       er neuerlich betont: „Kultur beginnt neu                                    che seines Geburtsortes Florenz vertei-                                                                demona-Gebet mit der großartigen So-                                               Dante-Weg einweihte, lauschte andächtig     drei Stunden für die 150 Kilometer
       und goldenem Lorbeerkranz. Ein         in kleinen Dörfern, in kleinen Theatern,                                    digt. Obwohl die vergessenen Knochen                                                                   pranistin Rosa Feola und zart verklin-                                             in der Mittelloge. Corona-bedingt waren     braucht und erstmals 1893 die Apennin-
paar verkleidete Kinder mit Maske hal-        bei jungen Leuten.“ Und er weiß natür-                                      erst im 19. Jahrhundert wiedergefunden                                                                 genden Geigen. Dem schloss sich – Ju-                                              die wenigen Plätze im Theater nur schüt-    Überquerung möglich machte von Flo-
ten ein Trikoloreband. Der weltberühm-        lich: Die Wiedereröffnung eines traditi-                                    und pompös bestattet worden waren.                                                                     gend voran – das erste Divertimento KV                                             ter besetzt, aber das Ereignis, von dem     renz nach Ravenna. Hier endete der kul-
te Dirigent Riccardo Muti, ebenfalls mit      onsreichen Theaters mit drei Rängen in                                         Mit seiner im vulgären Italienisch und                                                              136 des kindlichen Mozart an. Dicht ge-                                            die Dorfchronik noch lange zehren wird,     turelle Familienausflug unter Regenwol-

                                                                                                                                                                                                                                            ,,
Mundschutz, schneidet es durch. Damit         einem 3500-Einwohner-Kaff wie Marradi                                       nicht im gebildeten Latein geschriebenen                                                               packt sind die knapp 30 Streicher auf                                              war auch auf einer Leinwand auf der         ken, nicht Sternen.
ist das 229 Jahre alte, frisch renovierte     ist eine schöne Schlagzeile, aber ihr müs-                                  „Commedia“ – das „göttliche“ ist erst ein                                                              die enge Bühne gepfercht. Dahinter                                                 Piazza Le Scalelle zu sehen, wo lockere        „A riveder le stelle“ – „die Sterne wie-
Theater des Apennin-Dorfes Marradi, ir-       sen Taten folgen. Renaissance als Chan-                                     späterer Zusatz – schenkte der Schrift-                                                                geht es gleich zum Mercato centrale, wo                                            Volksfeststimmung herrschte.                dersehen“, der in diesen Monaten in Ita-
gendwo an der Grenze zwischen Tosca-          ce. Wieder mal.                                                             steller und rebellische Politiker dem zer-                                                             sie sich umgezogen haben.                                                             Und zwischen den Noten regierte die      lien als Motto viel zitierte letzte Vers des
na und Emilia, wiedereröffnet.                   1792 wurde dieses Theater von einigen                                    rissenen Land ein erstes, einendes litera-                                                                Kulturminister Dario Franceschini, der                                          Sprache, denn die Schauspielerin Elena      „Inferno“ aus der „Göttlichen Komödie“
                                              Adelsfamilien für die Accademia degli                                       risches Meisterwerk. Und jetzt möchte                                                                  mit dem historischen „Dante-Zug“ ge-                                               Bucci huldigte mit pathetisch ausge-        scheint natürlich auch beim Ravenna Fe-
            VON MANUEL BRUG                   Animosi mit ihrem Fesselballon als Logo                                     das sonst höchstens für seine Kastanien                                                                                                                                                   streckten Händen nicht nur Dante, son-      stival auf. „Dedicato a Dante“, so steht
                                              der entfesselten Fantasie gegründet. Die                                    touristisch berühmte Marradi auch etwas                                                                                                                                                   dern auch dem hier nachhaltigeren Lite-     es auf der Festspielbroschüre unter
  Applaus rauscht auf, der italienische       Familien hatten sich im grünen Lamone-                                      Sahne vom Jubiläumskuchen haben.                                                                                                                                                          raturlokalgenius: Dino Campana, auch        einem Schwarz-Weiß-Foto, das Licht am
Kulturminister und der schärpenbe-            Tal angesiedelt, das am verkehrsgünstig                                        Riccardo Muti, der bei einem Freund                                                                                                                                                    bekannt als Italiens verrückter Dichter.    Ausgang eines Tunnels verheißt.
hängte Bürgermeister nicken beifällig.        direkten Weg von Florenz nach Faenza,                                       in der Nähe weilte, hatte von dem ver-                                                                                                                                                    Campana, 1885 in Marradi geboren, war          Dantes Meisterwerk soll vor allem im

                                                                                                                                                                                                                                            KULTUR BEGINNT
Die rot bewestete Banda popolare spielt       Ravenna und zur Adriaküste liegt. Ihre                                      gessenen Theaterchen gehört, das ver-                                                                                                                                                     eine Art Stiefel-Rimbaud, bipolar, aber     September und Oktober für die traditio-
mit viel Blechblaskraft die schmetternd-      Paläste in den beiden Parallelstraßen des                                   nachlässigt, zerbombt, wiederaufge-                                                                                                                                                       genial, der 1932 im Irrenhaus starb. Sei-   nelle Trilogia d’Autunno variiert und

                                                                                                                                                                                                                                            NEU IN KLEINEN
tänzerische Nationalhymne. Alles wie-         historischen Zentrums künden noch da-                                       baut, als Kino zweckentfremdet worden                                                                                                                                                     nen 1914 im Selbstverlag in 500er Auflage   neu interpretiert werden – im Tanz, in
der gut im uralten Kulturland, das sich       von. Hier könnte auf seinem Weg ins                                         war. Jetzt war er im Eröffnungskonzert                                                                                                                                                    mit nur 44 lokal eingeworbenen Subskri-     der Musik, im Wort. Dafür stehen Na-
                                                                                                                                                                                                                                            DÖRFERN, IN
eben nach dem zweiten langen Lock-            Exil nach 1301 auch Dante Alighieri Stati-                                  mit seinem Jugendorchester Luigi Che-                                                                                                                                                     benten veröffentlichten Zyklus der          men wie Sergei Polunin, Johann Wolf-

                                                                                                                                                                                                                                            KLEINEN THEATERN,
down wieder streckt?                          on gemacht haben, dessen 800. Todestag                                      rubini zu Gast. Das hatte vorher noch in                                                                                                                                                  „Canti Orfici“, der „orphischen Gesän-      gang von Goethe und Robert Schumann,
  Natürlich nicht. In Italien ist der igno-   man landesweit in diesem Jahr begeht                                        Bari zu spielen, kam aber, als Pro-                                                                                                                                                       ge“, widmete er als „Tragödie des letzten   Elio Germano. Und Riccardo Muti will

                                                                                                                                                                                                                                            BEI JUNGEN LEUTEN
rante Umgang mit der Kunst, vor allem         und auf dessen zeitweilige Anwesenheit                                      grammpunkt des von Mutis Frau be-                                                                                                                                                         Deutschen in Italien“ Kaiser Wilhelm II.    weiter kämpfen, dass die vielen italieni-
der darstellenden, seit Jahrzehnten eine      fast jeder Ort in der Gegend Anspruch                                       gründeten Ravenna Festival extra in den                                                                                                                                                      Nach dem Konzert tuckerten Minister      schen Theater wieder öffnen. Dass eine
nicht enden wollende Inszenierung – ir-       erhebt. Nicht nur Ravenna, wo er begra-                                     Appenin; mit Bach, Verdi und Mozart im                                                                                                                                                    und Musiker in dem betagten Dante-Zug       Kulturlandschaft wiedergeboren wird.
gendwo zwischen Tragödie und Komö-            ben liegt und man die Gebeine erfolg-                                       Gepäck. Auf das instrumentale Air aus                                                                             RICCARDO MUTI                                                           weiter auf der hochsymbolischen Regio-      Wann, wenn nicht nach Corona?

                                                                                                                                             © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
9.6.2021                                             Mondtags "It's going to get worse" im Gorki | Inforadio

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Mi 09.06.2021 | 06:55 | Kultur
Mondtags "It's going to get worse" im Gorki
Die Berliner Theater feiern gerade so etwas wie Ersan Mondtag-Festspiele: Innerhalb von
zwei Wochen werden gleich drei Stücke des Regisseurs uraufgeführt, das zweite davon
heißt "It's going to get worse" und war am Dienstag im Gorki Theater zu sehen. Von Ute
Büsing

Stand vom 09.06.2021

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https://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/kultur/202106/09/572972.html                                1/1
9.6.2021                                      https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937884/12-13

               Mittwoch, 09. Juni 2021, Berli­ner Zeitung /

               Freier Eintritt ins Museum

                Wer war noch nicht in der James-Simon-Galerie auf der Museumsin‐
                                       sel? dpa/Sören Stache

               INGEBORG RUTHE

               B
                          erlins Stadtväter und -mütter haben sich Zeit gelassen mit dieser guten
                          Nachricht. Es gab ein jahrelanges Für und Wider im Abgeordnetenhaus.
                          Meist ging es ums Monetäre, um die Eintrittsgelder, die den Museen
                          entgehen, wenn man freie Sonntage gewährt. So wie es andere Museen
               in europäischen Städten, London etwa, schon länger tun, zumindest für
               Dauerausstellungen.

https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937884/12-13                                                 1/2
9.6.2021                                      https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937884/12-13

               Ein Jahr lang leistete das Württembergische Landesmuseum Stuttgart Pionierarbeit
               mit dem Testlauf. Nun folgt Berlin: Ab Sommer ist der Eintritt in den Museen der
               Stadt an jedem ersten Sonntag im Monat frei. Gratis sind der 4. Juli, 1. August, 5.
               September. 3. Oktober, 7. November und 5. Dezember. Der vielzitierte Bildungs-
               und Ästhetik-Auftrag der Museen wird konsequenter eingelöst für alle. Immerhin
               ist das ein Angebot für eine Menge Leute in Berlin, für die Museen nicht mehr elitär
               sein sollen, weil sie nicht einfach mal so locker das Eintrittsgeld über den Kassent‐
               resen reichen können. Statistisch sind das 18 Prozent der Berliner Bevölkerung.

               „Die Berliner Museen sind für alle da“, heißt es in der eben bekannt gegebenen In‐
               itiative des Landes Berlin, eine Kooperation mit den Beauftragten der Bundesregie‐
               rung für Kultur und Medien und dem Landesverband der Museen. Land und Bund
               werden die Eintrittsgeld-Ausfälle kompensieren. Dafür wolle man mehr Menschen
               für das vielfältige kulturelle Angebot der Stadt begeistern, Familien und Freundes‐
               kreise zu Entdeckungstouren in den 170 Museen Berlins einladen.

               Die Museumspädagogen der landeseigenen Kulturprojekte GmbH betonen, dass es
               aber nicht reicht, die Häuser an den eintrittsfreien Sonntagen nur aufzuschließen.
               Wichtig sind Vermittlungsprogramme etwa für Menschen, die auch wegen der
               Sprachbarriere sonst nie ins Museum gehen. Für Kinder und Jugendliche war der
               Eintritt schon immer gratis.

               Für viele allerdings erschöpfte sich das Museumserlebnis durch seltene, von Schule
               und Kindergarten organisierte Besuche. Aber nun können auch einmal im Monat
               die Erwachsenen gratis mitkommen – ein Gemeinschaftserlebnis. Als etwas, das
               bleibt, woraus Neugier und Lust wachsen auf das, was die Kulturen aus der Vergan‐
               genheit bewahren. Damit wir wissen, woher wir kommen. Wer wir sind. Und wohin
               wir wollen.

https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937884/12-13                                                 2/2
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        Mittwoch, 09.06.2021, Tagesspiegel / Titel

        Berlinale-Eröffnung

        Kultur ist seelenrelevant
        Von Christiane Peitz

        Kunst kommt von Feiern. Lange haben wir darauf verzichtet, mit dem Infekti-
        onsschutzgesetz schien auch diese Frühjahrssaison gelaufen zu sein. Die Kultur
        war auf null gesetzt, die Sehnsucht wurde umso größer.

        Wie groß, beweisen die im Nu ausverkauften Berlinale-Filme und der Run auf
        die Theater- und Konzerttickets, jetzt, wo die Künste wieder mitspielen dürfen.
        An diesem Mittwoch wird die Sommer- Berlinale eröffnet, in zahlreichen Open-
        Air-Kinos der Stadt. Die Nächte sind lau, bestimmt wird es ein Fest. Und alle gro-
        ßen Bühnen der Stadt laden zu neuen Stücken, alleine vier Musiktheater-Pre-
        mieren stehen am Wochenende ins Haus.

        In all den Lockdown-Monaten hat die Politik der Kultur durchaus unter die
        Arme gegriffen. Zwei Milliarden Euro für das „Neustart Kultur“-Programm des
        Bundes verdoppeln das Jahresbudget von Kulturstaatsministerin Monika Grüt-
        ters. Viele Hilfen lassen auf sich warten, aber gut, die Programme laufen bis
        Ende 2022. Anders als in Ländern ohne staatliche Subventionen, in den USA
        oder Großbritannien, sind die meisten Player deshalb noch da. Gleichzeitig gilt:
        Die Solisten, die Selbstständigen haben es verdammt schwer. Und in den hitzi-
        gen Bund- Länder-Runden spielte die Kultur kaum eine Rolle. Die erhebliche
        Einschränkung der im Grundgesetz verankerten Kunstfreiheit wurde im Parla-
        ment nicht mal erwähnt – anders als die Ausgangssperre.

        Das ist ärgerlich, weil Kunst eben nicht nur von Feiern kommt. Sondern auch
        von Nachdenken, vom Erkunden unserer selbst. Wenn die Kultur jetzt vielfach
        ins Freie geht, die Kunst aufs Feld, der Berlinale-Film unter den Sternenhimmel,
        ist das nur eine Übergangslösung. Denn die Kultur braucht Innenräume, intime
        Orte.

        Warum gehen wir ins Theater, hören Musik, gucken Filme? Weil wir dort wie im
        Brennglas erleben, was uns und die Welt im Innersten ausmacht. Weil wir Auf-
        regendes erfahren über die Liebe und die Gewalt, die Höhenflüge und die niede-
        ren Instinkte, die Schwächen, die Schmerzen, die Macht, die Einsamkeit. Das,

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        was nicht zu fassen ist, was sich nicht auf Slogans und Schlagzeilen verkürzen
        lässt.

        Die Politik hat all das wohl im Hinterkopf, kann es aber nicht auf ihrer Agenda
        verhandeln. Deshalb ist Kultur kein Sahnehäubchen, sie beschränkt sich nicht
        auf Freizeitgestaltung. Kunst mag nicht systemrelevant sein, sie ist aber seelen-
        relevant. Und was wären die „Systeme“ ohne ihre Beseelung durch die Visionen,
        Bedürfnisse und Taten der Menschen.

        Das Nachdenken über die eigene Relevanz hat der Kultur dabei nicht geschadet.
        Wer sind wir ohne die Zuschauer, beim Drehen ohne Filmstart, beim Proben
        ohne Premiere?, fragten sich viele. Kunst ist kein Selbstzweck: Mehr Publi-
        kumsnähe wagen, niedrigschwelliger werden, nachhaltiger, sich öffnen auch für
        die Digital Natives – das dürfen keine frommen Vorsätze bleiben. Vor allem nicht
        bei den staatlichen Institutionen.

        Wobei die größte Herausforderung noch bevorsteht, wenn sich die darbenden
        Kommunen nach der Krise zu Kulturkürzungen gezwungen sehen – es deutet
        sich schon an. Die Rückkehr zum Regelbetrieb, überhaupt zum „Betrieb“, kann
        nur ein Anfang sein. Mehr Marktgängigkeit, mehr Mainstream ist erst recht
        keine Lösung, denn die Verengung auf das Gefällige geht auf Kosten der Vielfalt
        und des Nachwuchses. Sie wäre ein Verrat an der Sehnsucht, am Glücksverspre-
        chen dieser Sommer-Berlinale.

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