PRIMARY AND HOSPITAL CARE
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Offizielles Organ Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin | Haus- und Kinderärzte Schweiz | Kollegium für Hausarztmedizin PRIMARY AND HOSPITAL CARE Die Zeitschrift für Allgemeine Innere Medizin in Hausarztpraxis und Spital Ausgabe 2 8. Februar 2023 11 Masern, Masernimpfung Nadja Baldesberger, Pia Lucas Ramanathan, Bernhard Wingeier, et al. 20 Akutes Nierenversagen 30 Soziale Notlagen in der 32 Compassion Hans Felix Hofmann, Markus Béchir, Arztpraxis Steffen Eychmüller, Andreas Bock René Rüegg, Eva Horat, Claudia Kessler, et al. Sibylle Felber Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Prim Hosp Care | 2023;23(2):3 3 Editorial Happy Smarter 2023! Ich weiss, ich weiss, wir haben bereits Februar. Wissenschaftliche Daten und Vorschläge «Dry January» ist zu Ende, es lebe der Karneval! existieren [1], wir wissen, dass wir besser Vorbei die guten Vorsätze für das neue Jahr. werden und oftmals mit geringeren Mitteln Erlauben Sie mir dennoch, Ihnen im Namen auskommen müssen. Sicherlich zum Preis des KHM alles Gute für 2023 zu wünschen! mancher Veränderung, die auch schmerzhaft sein kann, doch können wir das … wollen wir Und wenn wir dieses Jahr zu einem «Smarter das? François Héritier 2023» machten? Präsident Kollegium für Hausarztmedizin KHM, Ich glaube an unsere Fähigkeit, uns abzustim- Bern Und wenn wir mit all dem guten Willen des men und gemeinsame Lösungen zu finden, francois.heritier[at] unisante.ch Jahresbeginns tatsächlich eine «Smarter wenn sich alle Seiten auf konstruktive und Medicine» praktizierten? Und wenn wir nachhaltige Ziele fernab von ideologischen nunmehr die Top-5-Liste von smartermedicine. Gräben einigen. ch umsetzten? All diese unnötigen, Angst auslösenden oder gar gefährlichen Untersu- Und wenn von solchen intelligenteren, chungen und Behandlungen, die wir vermeiden smarteren Massnahmen nicht nur unsere könnten, wenn die wahren Bedürfnisse unserer Zukunft als Versicherte im Gesundheitswesen Patientinnen und Patienten Berücksichtigung abhinge, sondern sogar das Überleben der fänden, wenn wir weniger den falschen Menschheit? wirtschaftlichen Anreizen unseres Tarifsystems unterlägen. Generell und über den Gesundheitsbereich hinaus haben wir mit unserer konsumorientier- In tiefer Überzeugung von der Bedeutung des ten und ressourcenverbrauchenden Lebens- Problems hat der Stiftungsrat des KHM die weise die Grenzen des Planeten überschritten. Smarter Medicine als Thema des Jahres 2023 für Sind wir durch das 101. Smartphone, das uns seinen Forschungsfonds gewählt. Hinweis an die Werbung immer teurer verkauft, glücklicher? die Forscherinnen und Forscher: Ihre Fantasie, Ihre Kreativität und Ihre Gründlichkeit sind Können wir in unserem Privat-, Beziehungs- gefordert. Übermitteln Sie uns bis zum 15. und Geistesleben ausserhalb dieser Höllen Oktober Ihre Projekte! Weitere Informationen spirale des konsumorientierten Wachstums finden Sie auf der Website des KHM. aufblühen? Zu Jahresbeginn sind die Gedanken möglicher- Ich glaube daran und strebe danach durch ein weise noch benebelt von den Feiertagen, lassen «Smarter Life», das reflektierter und nüchterner Sie mich träumen … Und wenn 2023 die Politik ist und sich auf die Werte der Verbundenheit smarter würde? und des Hörens, auf den anderen und auf die Natur ausrichtet. Und wenn unser Gesundheitswesen weniger von der Kostenfrage besessen wäre und Für das Jetzt und die Zukunft meiner Kinder. vielmehr danach trachtete, die Bedürfnisse der Korrespondenz Bevölkerung zu definieren und zu priorisieren? Das ist meine Verantwortung … Dr. med. François Héritier Präsident c/o Kollegium für Durch eine umfassende Reflexion über die Happy Smarter 2023! Hausarztmedizin KHM Rue de l’Hôpital 15 Nachhaltigkeit des Systems, während manche Postfach 1552 Grenzwerte bereits überschritten wurden und CH-1701 Freiburg francois.heritier[at] sich die Furcht vor Rationierung mit jeder Literatur unisante.ch Sparmassnahme mehr und mehr konkretisiert … 1 Santé et environnement, Nicolas Senn et coll., RMS Editions 2022. Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
4 2023;23(2):4 | Prim Hosp Care Inhaltsverzeichnis 11 FORTBILDUNG 11 Masern, Masernimpfung Nadja Baldesberger, Pia Lucas Ramanathan, Bernhard Wingeier, et al. 16 Spinnenbisse und Skorpionstiche – Ein Leitfaden für die Praxis Joan Fuchs, Cornelia Reichert 20 CASE REPORTS 20 Akutes Nierenversagen: Anamnese, Labor und MRI-Befund führen zur Diagnose 11 Hans Felix Hofmann, Markus Béchir, Andreas Bock 24 Nicht «nur» Unterzuckerung Katja Schnidrig, Monika Dornbierer, Roman Trepp 3 Editorial: Happy Smarter 2023! François Héritier 27 ARBEITSALLTAG 6 NEWS 27 Der Room of Horrors für Haus- und Kinderarztpraxen Katrin Gehring, Andrea Niederhauser, 6 mfe: Gemeinsam die Patientinnen und P atienten David Schwappach, Lea Brühwiler unterstützen Sandra Hügli-Jost, Nicole Fivaz 30 Soziale Notlagen und betreuende Angehörige in der Arztpraxis 8 SGAIM: Prof. Stefano Bassetti übergibt P räsidium René Rüegg, Eva Horat, Claudia Kessler, et al. an PD Dr. Robert Escher Lars Clarfeld, Ursula Käser 32 REFLEXIONEN 9 SGAIM: EPAs für die Allgemeine Innere Medizin – just do it! 32 Compassion Sonia Frick, Stefano Bassetti, Robert Escher, Ursula Käser Steffen Eychmüller, Sibylle Felber 10 SGAIM: Prix Lumière – der Preis für die innovative Lösung 10 SGAIM: Jetzt Forschungsprojekt einreichen Online only: SGAIM Foundation Grant Lesen Sie online weitere Artikel unter https://primary-hospital-care.ch/online-magazine/ 10 SGAIM: Partnerschaft smarter medicine list Impressum Primary and Hospital Care Autors genannt wird, das Werk nicht für kommerzielle Zwecke verwendet wird und das Werk in keiner Weise Offizielles Organ von mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz, der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine bearbeitet oder in anderer Weise verändert wird. Die kommerzielle Nutzung ist nur mit ausdrücklicher vor- Innere Medizin SGAIM, von pädiatrie schweiz, des Kollegiums für Hausarztmedizin KHM, der Schweizeri- gängiger Erlaubnis von EMH und auf der Basis einer schriftlichen Vereinbarung zulässig. schen Akademie für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin SAPPM, Jungen Hausärztinnen und -ärz- te Schweiz JHaS sowie der Swiss Young Internists SYI. Es ist Mitglied des «Committee on Publication Ethics» Verlag: EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, (COPE) und ist gelistet im «Directory of Open Access Journals» (DOAJ), womit es die Vorgabe des SIWF an Tel. +41 61 467 85 55, www.emh.ch eine Zeitschrift mit Peer-Review erfüllt. Kontakt: Tel. +41 61 467 85 52, office@primary-hospital-care.ch, www.primary-hospital-care.ch. Manuskripteinreichung online: www.manuscriptmanager.net/phc Anzeigen: Markus Will, Tel. +41 61 467 85 97, markus.will@emh.ch und Philipp Lutzer, Tel. +41 61 467 85 05, philipp.lutzer@emh.ch Redaktion im Verlag: Matthias Widmer (Managing Editor a.i.); Jasmin Hell (Managing Editor); Eveline Maegli (Redaktionsassistentin) Abonnemente: EMH Kundenservice, Postfach, 4601 Olten, Tel. +41 58 510 29 73, emh@asmiq.ch Wissenschaftliche Redaktion: Prof. Dr. Stefan Neuner-Jehle, Zürich (Chefredaktor); PD Dr. Roman Hari, Bern (Stellvertretender Chefredaktor); Prof. Dr. Thomas Dieterle, Arlesheim; Prof. Dr. Jacques Donzé, Neu- Hinweis: Alle in dieser Zeitschrift publizierten Angaben wurden mit der grössten Sorgfalt überprüft. Die mit châtel; Dr. Alexandra Röllin Odermatt, Bern; Dr. Alexandre Ronga, Lausanne; Dr. Manuel Schaub, Bern Verfassernamen gezeichneten Veröffentlichungen geben in erster Linie die Auffassung der Autorenschaft und Redaktionelle Zuständigkeit für das standespolitische Ressort «Aktuelles»: Sandra Hügli-Jost (mfe), nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder. Die angegebenen Dosierungen, Indikationen und Lea Muntwyler (SGAIM), Claudia Baeriswyl (SGP), François Héritier (KHM), Niklaus Egloff (SAPPM), Applikationsformen, vor allem von Neuzulassungen, sollten in jedem Fall mit den Fachinformationen der Regula Kronenberg (JHaS), Tobias Tritschler (SYI) verwendeten Medikamente verglichen werden. ISSN: Printversion: 2297-7155 / elektronische Ausgabe: 2297-7163. Gestaltungskonzept: Agentur Guido Von Deschwanden © EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG (EMH), 2023. Das Primary Hospital Care ist eine Open-Access- Druck: Vogt-Schild Druck AG, www.vsdruck.ch Publikation von EMH unter der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 «Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitung 4.0 international» die das zeitlich unbeschränkte Recht gewährt, das Werk zu vervielfältigen, zu Fotos: Alle Fotos sind, sofern nicht anders angegeben, zur Verfügung gestellt. Titelbild: © Andrii Biletskyi | verbreiten und öffentlich zuganglich zu machen unter den Bedingungen, dass der Name der Autorin/des Dreamstime.com Kollegium für Hausarztmedizin KHM Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
6 2023;23(2):6–7 | Prim Hosp Care mfe News (Foto: Domenico Sposato für CARITAS beider Basel) Sozialberatung in der Hausarztpraxis. Tag der Kranken 2023 Gemeinsam die Patientinnen und Patienten unterstützen Das Leben mit Krankheiten und Beeinträchtigungen ist mit vielerlei Emotionen verbunden. Die soziale Teilhabe, die Alltagsbewältigung und die facettenreichen Herausforderungen gut zu meistern sowie die diversen Termine für medizinische Belange, aber auch sozialversicherungstechnische Fragen zu koordinieren, ist für Betroffene und ihre Familien nicht immer einfach. Viele wünschen sich eine Fachperson als Lotse oder Lotsin an ihrer Seite. Sandra Hügli-Josta, Nicole Fivazb a Kommunikationsbeauftragte mfe Haus- und Kinderärzte; b Leiterin Geschäftsstelle Tag der Kranken «Jede und jeder von uns wird irgendwann in wiesen – sei es von Fachpersonen, Familien Neue Modelle sind gefragt seinem Leben selbst oder durch Angehörige angehörigen, Freunden oder von Freiwilli Ganz oft ist das Gesundheitswesen nicht auf die mit einer Krankheit, einem Unfall, einer Be genorganisationen. «Gemeinsam unterwegs Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet, denen einträchtigung oder einer Behinderung kon bedeutet, dass man in schwierigen Situatio es zugutekommen soll. Ansätze, um dies zu frontiert. Deshalb haben wir uns entschieden, nen zusammensteht, gemeinsam vorwärts verändern, sind vorhanden und zeigen bereits für den Tag der Kranken am 5. März 2023 das geht und miteinander nach Lösungen sucht», heute Wirkung. So gibt es beispielsweise Pro Motto “Gemeinsam unterwegs” zu wählen», ergänzt die langjährige Public-Health-Ex jekte, die bei der Schnittstelle zwischen dem erklärt die Präsidentin des «Tag der Kranken», pertin Doris Fischer-Taeschler. Der Verein Gesundheits- und Sozialwesen ansetzen und Doris Fischer-Taeschler. Gemäss Bundesamt «Tag der Kranken» hat verschiedene Fach die Zusammenarbeit zwischen den Gesund für Statistik sind derzeit rund 2,3 Millionen personen sowie Betroffene – als Expertinnen heitsfachpersonen und der Sozialen Arbeit Menschen aller Altersstufen in der Schweiz und Experten aus Erfahrung – eingeladen, fördern. Es gilt zudem, die Übergänge besser zu von einer chronischen Krankheit betroffen. ihre Gedanken zum diesjährigen Motto zu gestalten – wie beispielsweise vom stationären Sie sind im Alltag auf Unterstützung ange teilen. in den ambulanten Bereich oder bei kranken Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Prim Hosp Care | 2023;23(2):6–7 7 mfe News Über 80 Jahre Engage- ment für kranke und be- einträchtigte Menschen Hinter dem Tag der Kranken steht der gleichnamige Trägerverein, der die Bevöl- kerung immer am ersten Märzsonntag, dieses Mal am 5. März 2023, auf ein besonderes Thema aus dem Bereich «Gesundheit und Krankheit» sensibilisie- ren will. Mitglieder sind sowohl Patien tenorganisationen als auch Gesundheitsli- gen, Branchen- und Fachverbände wie mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz, die Hannes Lüthi, Geschäftsleiter bei aha! Allergiezentrum Schweiz und Co-Projektleiter REAS. Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren Jugendlichen, wenn es um den Wechsel vom mit ihrem ganzheitlichen Blick auch die psy (GDK) sowie andere im Gesundheitswesen Kinder- zum Hausarzt geht – sowie Über chosozialen Faktoren und deren Einfluss auf tätige Vereinigungen und Verbände. In der gangsphasen fachlich zu begleiten, etwa bei die Krankheit und die Lebensqualität erfas Rubrik «Aktivitäten» der Website www. einer Arbeitsunfähigkeit hin zur Rückkehr an sen», sagt Hannes Lüthi, Vorstandsmitglied des tagderkranken.ch sehen Interessierte, den Arbeitsplatz. Gefordert wird weiter, die Be Schweizerischen Fachverbands Soziale Arbeit welche Veranstaltungen wann und wo handlungspfade stärker auf die Patientinnen im Gesundheitswesen, kurz SAGES. Er ist stattfinden, und sie finden Informationen und Patienten auszurichten. Nachhaltige und überzeugt, dass es insbesondere in komplexen zur Postkartenaktion. Auch eigene Aktivi- ganzheitliche Modelle der Zusammenarbeit im Fällen hilfreich für den besseren Umgang mit täten können dort angemeldet werden. Sinne eines bio-psycho-sozialen Verständnis Erkrankungen ist, jemanden an der Seite zu Der Verein finanziert sich über Mitglieder- ses von Krankheit und Gesundheit können haben, der die Übersicht behält, Koordina beiträge und Spenden. Spendenkonto hierbei Unterstützung bieten. Sie gilt es zu tionsaufgaben wahrnimmt und die Betroffenen IBAN Nr.: CH24 0900 0000 8918 7572 0 stärken und weiterzuentwickeln. Interprofes dabei unterstützt, Bewältigungsstrategien zu sionelle Zusammenarbeit entsteht nicht von finden. Derzeit laufen Projekte, die genau in selbst, es braucht Initiativgeist sowie engagierte diese Richtung zielen. Ein solch innovatives antonen Bern, Schaffhausen und Waadt, mit K Fachpersonen. Projekt ist die Präsenz von Sozialarbeiterinnen Hannes Lüthi als Co-Projektleiter, das Men und Sozialarbeitern in den Arztpraxen. Nieder schen mit mehreren chronischen Erkrankun Zusammenarbeit zwischen Gesund- schwellig unterstützen und entlasten sie die gen im Fokus hat. Auch hier werden Betroffene heitswesen und Sozialer Arbeit fördern Ärztinnen und Ärzte bei psychosozialen Frage in komplexen Problemsituationen über eine Wenn jemand längerfristig krank oder be stellungen und begleiten die Patientinnen und längere Phase hinweg von Sozialarbeitenden einträchtigt ist, dann beeinflusst dies über alle Patienten in deren Gesundungsprozess. Mehr unterstützt und begleitet, die über fundierte Lebensphasen hinweg sämtliche Lebensberei dazu erfahren Sie auf Seite 30–31. Erfahrung im Gesundheitswesen und in der che wie Freizeit, Mobilität, Sozialleben, Woh Arbeit mit chronisch kranken Menschen sowie nen, Familie und Partnerschaft. «Ich habe die Menschen mit Mehrfacherkrankungen über eine spezifische Zusatzschulung im sozial Erfahrung gemacht, dass wichtige Aspekte besser unterstützen therapeutischen Case Management verfügen. verloren gehen, wenn man Menschen mit chro Im Jahr 2020 gestartet, läuft derzeit eben «Die Unterstützung durch Sozialarbeitende nischen Erkrankungen nur mit der Gesund falls das Projekt REAS der Schweizerischen verbessert die Therapieerfolge und hat einen heitsbrille betrachtet. Die Soziale Arbeit kann Gesundheitsligen-Konferenz (Geliko) in den positiven Einfluss auf die Alltagsbewältigung und die Lebensqualität der Betroffenen. Zu dem lassen sich Folgekosten durch Klinik aufenthalte, Notfalleinweisungen, Jobverlust oder Sozialhilfeabhängigkeit reduzieren», fasst Sandro Bertschinger, Geschäftsführer des Schweizerischen Fachverbandes Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (SAGES), die Wirkung der Zusammenarbeit von Gesundheits- und Sozialwesen zusammen. Redaktionelle Verantwortung Sandra Hügli-Jost Kommunikationsbeauftragte mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz Geschäftsstelle Effingerstrasse 2 CH-3011 Bern Sozialarbeiter Sandro Bertschinger ist sowohl beim Verband als auch in der Praxis tätig. sandra.huegli[at]hausaerzteschweiz.ch Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
8 2023;23(2):8 | Prim Hosp Care SGAIM News Weiterbildungskommission Prof. Stefano Bassetti übergibt Präsidium an PD Dr. Robert Escher Lars Clarfelda, Ursula Käserb a Dr. med., MASHEM, Generalsekretär SGAIM; b Verantwortliche Bereich Qualität, Weiter- und Fortbildung SGAIM und die definierte Rolle der AIM im ambu lanten und stationären Bereich sowie in der Forschung sind auch die Basis für die zu künftige Entwicklung des Weiterbildungspro- gramms AIM. Die SGAIM dankt Stefano Bassetti für sein wertvolles und grosses Engagement sowie seine hervorragende Leistung für die Weiterbildung der Allgemeinen Inneren Medizin in den ver- gangenen Jahren. Neuer Präsident: PD Dr. Robert Escher Der Vorstand der SGAIM hat PD Dr. Robert Prof. Stefano Bassetti PD Dr. Robert Escher Escher per 1. Januar 2023 als neuen Präsiden- ten der Weiterbildungskommission gewählt. PD Dr. Escher ist Chefarzt und Leiter der Medizinischen Klinik des Spitals Emmental in Burgdorf. Er ist Vorstandsmitglied der Schwei- Mit dem Rücktritt von Prof. Stefano Bassetti als Präsident der zerischen Gesellschaft für internistische Chef- Weiterbildungskommission per Ende 2022 geht eine bedeutende und Kaderärzte (ICKS) und amtierte bis 31.12.2022 als deren Sekretär. PD Dr. Escher Ära zu Ende: 2018 hat der Bund erstmals den zusammengeführten verfügt zusätzlich über einen weiteren Fach- Facharzttitel für Allgemeine Innere Medizin (AIM) akkreditiert. arzttitel für Hämatologie. Vor einem Jahr ist zudem eine umfassende Revision des Weiter Redaktionelle Verantwortung bildungsprogramms AIM mit dem neuem Lernzielkatalog in Kraft Lea Muntwyler getreten. Dass diese wichtigen Meilensteine erfolgreich erreicht Verantwortliche Kommunikation/Marketing Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere worden sind, ist in erster Linie der Weiterbildungskommission zu Medizin (SGAIM) Monbijoustrasse 43 verdanken. Seit 1. Januar 2023 steht PD Dr. Robert Escher an der Postfach CH-3001 Bern Spitze der Weiterbildungskommission. lea.muntwyler[at]sgaim.ch Prof. Stefano Bassetti ist seit 2011 Mitglied der Zusammenführung der Allgemeinen Weiterbildungskommission und hat im Sep- und der Inneren Medizin zum gemein- tember 2013 deren Präsidium übernommen. samen Facharzttitel Er ist auf eigenen Wunsch per Ende Dezember Die Zusammenführung zum gemeinsamen 2022 als Präsident zurückgetreten, engagiert Facharzttitel Allgemeine Innere Medizin (AIM) Lesen Sie auch das Interview mit Prof. Ste- sich aber nach wie vor als Mitglied der Kom- bedingte unter anderem, dass die SGAIM das fano Bassetti und PD Dr. Robert Escher auf mission. Prof. Bassetti vertritt weiterhin die neue Weiterbildungsprogramm für die Akkre- der Website des «Primary and Hospital SGAIM in der European Federation of Internal ditierung des Facharzttitels AIM durch den Care» zum Präsidiumswechsel der Weiter- Medicine (EFIM) und in der EFIM Working Bund weiter ausarbeiten musste. Als wichtigste bildungskommission. Group for Professional Issues and the Quality Grundlage für das Weiterbildungsprogramm of Care, sowie zusammen mit Thomas Rose- und die Akkreditierung wurde das Berufsbild mann im Vorstand des Schweizerischen Insti- der Allgemeininternistinnen und -internisten tuts für ärztliche Weiter- und Fortbildung und die Rolle der AIM im Gesundheitssystem (SIWF). neu erarbeitet und formuliert. Das Berufsbild Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Prim Hosp Care | 2023;23(2):9 9 SGAIM News «Entrustable Professional Activities» EPAs für die Allgemeine Innere Medizin – just do it! Mit den EPAs entstehen neue Perspektiven, aber auch Herausforderungen in der ärztlichen Weiter bildung. Mit dem neuen Lernzielkatalog der Allgemeinen Inneren Medizin wurde die Basis für die Einführung der «Entrustable Professional Activities» (EPAs) geschaffen. Diese werden nun von einer Projektgruppe entwickelt, die aus acht Mitgliedern der Haus- und Spitalärzteschaft aus allen Regionen der Schweiz besteht. Dies ist eine aufwändige und anspruchsvolle Aufgabe, zugleich aber auch eine Chance für die Allgemeine Innere Medizin, als Fachgebiet ihr Profil zu schärfen. Sonia Fricka, Stefano Bassettib, Robert Escherc, Ursula Käserd a KD Dr. med., Chefarzt Stellvertreterin stationäre Innere Medizin, Spital Limmattal, MAS Medical Education, Mitglied Weiterbildungskommission SGAIM, Einführungsverantwortli- che EPA AIM, EPA-Review-Komitee SIWF; b Prof. Dr. med., Chefarzt Innere Medizin, Universitätsspital Basel, Mitglied Weiterbildungskommission SGAIM, Vorstandsmitglied SIWF; c PD Dr. med. Robert Escher, Chefarzt Innere Medizin, Spital Emmental, Präsident Weiterbildungskommission SGAIM; d Ursula Käser, Verantwortliche Bereich Qualität, Weiter- und Fortbildung SGAIM Die neuen Lernziele der Allgemeinen Inneren Foundation hat ein Projekt gefördert, das die Die EPAs müssen anschliessend mit dem Lern- Medizin (AIM) sind am 01.01.2022 im Rah- grosse, primäre Aufgabe geleistet hat. Dabei ist zielkatalog verknüpft werden. men des revidierten Weiterbildungspro- eine erste Liste mit übergeordneten EPA-Titeln gramms in Kraft getreten [1]. Sie sind in einem entstanden [3]. Literatur 1 Lernziele Allgemeine Innere Medizin: www.siwf.ch/ ersten Schritt in die kompetenzbasierte Medi- files/pdf16/aim_anhang_1_d.pdf. zin (CBME) und, in Anlehnung an die «PRO- 2 PROFILES: www.profilesmed.ch/ FILES» (Lernziele des Humanmedizin-Stu- «Die grosse Herausforde- 3 Valding B, Monti M, Junod Perron N, Frick S, Jaques C, Nendaz M, Gachoud D. Entrustable professional diums) [2], als «Situations as Starting Points» rung besteht darin, activities for residency in general internal medicine: a (SSP) formuliert worden. sowohl die breite Vielfalt systematic review. Swiss Med Wkly. 2022;152:40002. Der zweite Schritt in der Implementierung von CBME ist die Einführung der «Entrustable der Allgemeinen Inneren Redaktionelle Verantwortung Professional Activities» (EPAs). Die SGAIM Medizin abzubilden als Lea Muntwyler auch das Profil, die Rolle Verantwortliche Kommunikation/Marketing Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere und die Aufgaben der Medizin (SGAIM) Allgemeinen Inneren Monbijoustrasse 43 Postfach Mitglieder der SGAIM- Medizin zu schärfen und CH-3001 Bern Projektgruppe EPA klar zu positionieren.» lea.muntwyler[at]sgaim.ch Der Projektgruppe gehören die folgenden Fachleute an: SGAIM-Projektgruppe erarbeitet EPAs • KD Dr. med. Sonia Frick, Spital Limmattal Der Vorstand der SGAIM hat eine Projekt- • Dr. med. Marek Nemec, Gesundheitszent- gruppe unter der Leitung von KD Dr. med. So- rum Unterengadin, Scuol nia Frick damit beauftragt, basierend auf der Videos «EPA – just do it» • Dr. med. Elisa Stoira, Medicina interna geleisteten Vorarbeit bis Ende 2023 konkrete Ospedale Regionale di Locarno EPAs für die Allgemeine Innere Medizin zu Was sind EPAs genau? Wie sieht ein Bei- • Dr. med. Reka Verress, Praxis Widnau, entwickeln. Das primäre Ziel ist, ein optimales spiel eines EPAs aus? Wie sollen EPAs in wissenschaftliche Mitarbeiterin Stiftung Weiterbildungsniveau für Allgemein-Internis- der täglichen klinischen Arbeit angewen- WHM tinnen und -Internisten abzubilden. Die grosse det werden? Zur Erklärung und Illustration • Dr. med. Matteo Monti, Service de méde- Herausforderung besteht darin, sowohl die hat das Schweizerische Institut für ärztli- cine interne, CHUV breite Vielfalt der Allgemeinen Inneren Medi- che Weiter- und Fortbildung (SIWF) zu die- • Dr. med. David Gachoud, Service de mé- zin abzubilden als auch das Profil, die Rolle und sen und weiteren Fragen Videos e ntwickelt. decine interne, CHUV die Aufgaben der Allgemeinen Inneren Medi- • Dr. med. Noelle Junod, HUG zin zu schärfen und klar zu positionieren. Aus • Dr. med. Mathieu Nendaz, Centre de mé- einem Guss sollten nicht nur das theoretische decine de premier recours, HUG Wissen, sondern auch die nötigen praktischen professionellen Tätigkeiten abgebildet werden. Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
10 2023;23(2):10 | Prim Hosp Care SGAIM News SGAIM Foundation Grant Jetzt Projekt einreichen! Jetzt Forschungs Prix Lumière – der Preis für die projekt einreichen innovative Lösung Die SGAIM fördert die Forschung im Bereich der Allgemeinen Inneren Medizin mit vier For schungsgrants in der Höhe von je 50 000 CHF. Innovation zum Nachahmen Es sollen Forschungsprojekte zum Thema Mit dem «Prix Lumière» möchte die «Diagnostic quality and excellence» unterstützt SGAIM alltagstaugliche und kreative Lö werden, die retrospektiv oder prospektiv Dia sungen von Allgemeininternistinnen und gnosequalität (z.B. anhand von Qualitäts -internisten beleuchten. Ziel ist es auch, indikatoren), Diagnoseprozesse und/oder Die SGAIM lanciert einen neuen Innova dass «best practice»-Beispiele Visibilität diagnostische Fehler in der ambulanten oder tionspreis in der Höhe von 10 000 CHF. erhalten und andere Personen oder Insti stationären Allgemeinen Inneren Medizin Mit dem «SGAIM Prix Lumière» werden tutionen davon lernen und diese selbst untersuchen. Frist: 28. Februar 2023. innovative Ideen beleuchtet, welche die einsetzen können. Eingabeberechtigt sind Arbeitsbedingungen im Fachgebiet der Einzelpersonen, Teams sowie Institutionen Mehr Informationen: Allgemeinen Inneren Medizin verbessern. in der ambulanten oder stationären Allge Das Themenspektrum ist absichtlich breit meinen Inneren Medizin, wobei sich die gehalten. Hier einige Beispiele: Ideen bereits bewährt haben müssen. – Erleichterter Wiedereinstieg in den Beruf Publikumsliebling gewinnt – Jobsharing-Arbeitsmodelle Eine Jury bestehend aus den sieben – Innovative Fort- und Weiterbildungs SGAIM Vorstandsmitgliedern wird bis zu angebote fünf Projekte auswählen, die am Publi – Nachwuchsförderungs- oder Coaching kumswettbewerb teilnehmen. Der Wettbe smarter medicine gefässe werb findet im Rahmen des 7. SGAIM- – Attraktive Arbeitsbedingungen Frühjahrskongress am 11. Mai 2023 von Partnerschaft – Massnahmen zur Steigerung des «Phy 15.00 bis 16.00 Uhr im Congress Center sician Wellbeing» Basel statt. Die ausgewählten Projektgrup smarter medicine – Förderung der betrieblichen Nachhal pen haben jeweils fünf Minuten Zeit, um tigkeit ihr Projekt in einem Pitch dem Publikum Der gemeinnützige Verein «smarter medi – Massnahmen zum Teambuilding vorzustellen. Letzteres entscheidet nach cine – Choosing Wisely Switzerland», der von – Initiativen, welche die Freude an der einer Fragerunde darüber, wessen Projekt der SGAIM mitgegründet wurde, setzt sich für Arbeit steigern zum Sieger gekürt wird. die optimale Patientenversorgung ein. Immer mehr Spitäler, medizinische Fachgesellschaften oder ambulante Netzwerke schliessen sich als Partner an, zuletzt das Kantonsspital Baden, SGAIM Prix Lumière 2023 der Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte vsao, die Schweize Das Projekt ist bis zum 30. März 2023 via dem Online-Formular auf der Webseite rische Gesellschaft für Radiologie und Med www.sgaim.ch/PrixLumiere einzureichen. base. Gemeinsam kämpfen die Partnerspitäler gegen die medizinische Über- und Fehlversor Folgende Voraussetzungen sind für eine Bewerbung zu berücksichtigen: gung in der Schweiz und tauschen sich in der • Die bereits abgeschlossenen Projekte sollen eine neue, innovative Idee beinhalten, Arbeitsgruppe «smarter hospitals» aus. welche die Arbeit im Umfeld der AIM verbessert beziehungsweise die Freude an der Arbeit in der AIM steigert. Mehr Informationen unter • Es können sich Personen bewerben, die in ambulanten und stationären Einrichtun- www.smartermedicine.ch gen der Allgemeinen Inneren Medizin tätig sind. • Mindestens ein Mitglied der Bewerbergruppe weist eine SGAIM-Mitgliedschaft auf. • Die Einführung der Innovation darf nicht länger als 5 Jahre zurückliegen. Der Mehr- wert des Projektes kann aufgezeigt werden. • Auch bereits prämierte Projekte können eingereicht werden. Redaktionelle Verantwortung Lea Muntwyler Verantwortliche Kommunikation/Marketing Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) Monbijoustrasse 43 Mehr Informationen unter www.sgaim.ch/PrixLumiere Postfach CH-3001 Bern lea.muntwyler[at]sgaim.ch Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Prim Hosp Care | 2023;23(2):11–15 | 10.4414/phc-d.2023.10486 11 Peer reviewed article | Fortbildung Teil 1: Klinik, Impfwirksamkeit Masern, Masernimpfung Die Masern sind eine ernst zu nehmende Erkrankung. Wegen der erhöhten Komplikationsrate ist die Masernimmunität besonders bei Säuglingen und im Jugend- und Erwachsenenalter wichtig. Dafür steht nur die Impfung zur Verfügung, weil heute die Gelegenheiten zur natürlichen Immunisierung durch die Infektion meist fehlen. Die erfolgreichen Impfprogramme haben die Masernhäufigkeit sehr deutlich gesenkt, aber auch zu neuen Herausforderungen beigetragen. Mit einem Nachholen verpass- ter oder verzögerter Impfungen bis spätestens zum Eintritt in die Pubertät wäre die Mehrheit der heutigen Masernfälle effektiv zu verhindern. Nadja Baldesbergera,b, Pia Lucas Ramanathana,b, Bernhard Wingeierc, Gisela Etterd, Caesar Gallmanne, Lisa Schmid-Thurneysena,f, Klara Posfay-Barbeg, Michael J. Demlh, Charles Béguelini,j, Benedikt M. Huberk, Philip Tarra a Medizinische Universitätsklinik, Infektiologie und Spitalhygiene, Kantonsspital Baselland, Bruderholz, Universität Basel; b Pharmaceutical Research Care Group, Universität Basel; c Kinder- und Jugendmedizin, Klinik Arlesheim, Arlesheim; d FMH Allg. Innere Medizin, FA Homöopathie (SVHA), Präsidentin UNION Schweizerischer komplementärmedizi- nischer Ärzteorganisationen, Richterswil; e Allg. Innere Medizin FMH, Au ZH; f Herzentalpraxis, Dornach SO; g Unité des maladies infectieuses pédiatriques, Hôpital des Enfants; Hôpitaux Universitaires de Genève; h Université de Genève, Faculté des sciences de la société, Institut de recherches sociologiques; i Medizinische Klinik, Infektiologie und Spitalhygiene, Centre Hospitalier, Bienne; j Universitätsklinik für Infektiologie, Universitätsspital Bern, Universität Bern; k Zentrum für Integrative Pädiatrie, Klinik für Pädiatrie, HFR Fribourg – Kantonsspital, Fribourg Einleitung zur Grippeimpfung [20] geschrieben. Nun Die Impfkommunikation betonte in der möchten wir den Haus- und Kinderärztinnen Infektiologie-Serie Schweiz bisher die hohe Wirksamkeit und Si- praktische Informationen zu Masern und zur cherheit von Impfungen. Die Erkenntnisse aus Masernimpfung vermitteln. Infektionen und Immunabwehr sind in der unserem Nationalen Forschungsprogramm Praxis wichtige Themen. Sie bieten hervor- NFP74 zu Impfskepsis [5, 6] zeigen: Mit diesen Gibt es in der Schweiz überhaupt noch ragende Gelegenheiten zu interdisziplinä- traditionellen Impfbotschaften werden vor al- Masern? rer Zusammenarbeit, Überprüfung von lem die 70–75% nicht-impfskeptischen Perso- Ja. Die Schweiz erlebte 2007–2009 eine grosse gängigen Konzepten und Integration kom- nen in der Bevölkerung erreicht. Wir ermutigen Masernepidemie und war in Europa das Land plementärmedizinischer Sichtweisen. Phi- Kolleginnen, Kollegen und Behörden, vermehrt mit der bei Weitem höchsten Maserninzidenz lip Tarr ist Internist und Infektiologe am ausgewogen die Vor- und die Nachteile von [21] (Abb. 1). Damals waren die Masernimpf- Kantonsspital Baselland und leitet das Na- Impfungen zu diskutieren und eine patienten- raten tief (83% bzw. 85% mit 2 Dosen bei den tionale Forschungsprojekt NFP74 zu Impf- zentrierte Haltung zu kultivieren, bei der wir die 2- und 16-Jährigen); seither sind sie deutlich skepsis. Ihm liegt viel an einer patienten- Autonomie der Eltern bei ihren medizinischen gestiegen, und die Maserninzidenz hat um zentrierten Medizin und an praxisrelevan- Entscheiden in den Vordergrund stellen und sie 94% abgenommen [9, 15, 24] (Kasten 1). In ten Artikeln, die wir in der Folge in Primary (falls erwünscht) in Impfentscheide einbezie- den Jahren 2021 und 2022 traten in der ganzen and Hospital Care regelmässig publizieren hen [7–9]. Wir sollten nicht mehr befürchten, Schweiz gar keine Masernfälle auf. werden. dass wir so unsere Patientinnen impfskeptisch machen – im Gegenteil, Forschungsergebnisse von uns und anderen zeigen: So erreichen wir Masern: Klinik impfkritisch eingestellte Eltern, Ärztinnen und Die wichtigsten Informationen sind in Kasten Ärzte viel eher, nehmen ihre Anliegen ernst, 1 zusammengefasst. verbessern die Impfberatung [10–14], erhöhen das Vertrauen in die Behörden und vermeiden Wie ansteckend sind die Masern? Verschwörungstheorien [16]. Die Masern gehören zu den ansteckendsten In produktiver Zusammenarbeit mit ärzt- Infektionskrankheiten überhaupt. Wenn ein lichen Kollegen aus der Komplementärmedi- Kind Masern hat, so erkranken 52–91% der zin, die differenzierte Haltungen gegenüber nicht-immunen Geschwister im selben Haus- Impfungen vertreten [17], haben wir bisher halt ebenfalls [4, 26–31]; bei Kindern 14 Jahren liegt das Ansteckungsrisiko Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
12 2023;23(2):11–15 | Prim Hosp Care Fortbildung tiefer, 15–30% [29, 31]. Zum Vergleich: Bei den Varizellen sind es 60–80% [26, 31–33] und bei Influenza 10–25% [32, 34–36]. Unsere Eltern hatten Masern als Kinderkrankheit und haben sie – wie fast alle – folgenlos überstanden. Warum soll die Masernimpfung heute eine derart hohe Priorität haben? Die Masernimpfung ist sicher teilweise Opfer ihres eigenen Erfolges geworden und hat so eine Verharmlosung der Masern bewirkt [37]. Als ungefährlich können wir die Masern aber nicht bezeichnen: Das Risiko für schwere Komplikationen besteht auch heute, und in reichen Ländern können etwa 1–3 von 10 000 Betroffenen sterben, in armen Ländern sogar 100-mal mehr [38–41]. Die Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit. Abbildung 1: Anzahl der Masernfälle pro Jahr in der Schweiz, 1999 bis 2021 (Quelle: modifiziert nach [25]. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Bundesamts für Gesundheit). Wie verlaufen Masern konkret? Im Kindesalter zeigen Masern einen charakte- ristischen Verlauf: Auf ein Prodromalstadium mit Schnupfen, Husten, Konjunktivitis und ho- hem Fieber folgt (oft nach Fieberabfall und merksame enorale Untersuchung quasi immer früher für die Hälfte aller infektionsbeding- kurzfristiger Besserung) das Exanthem-Stadi- Koplik-Flecken, zumindest im Prodromalsta- ten Todesfälle verantwortlich gewesen sein um (Kasten 1). Zu erwarten ist ein krankes dium und in den ersten Tagen des typischen [56]. Nach der Masernimpfung wird die Im- Kind mit erneut hohem Fieber (bis 40/41°) und Exanthems (Kasten 1). mun-Amnesie nicht beobachtet [55]. In der hartnäckigem Husten, das 1–2 Wochen lang Praxis gibt es auch anekdotische Berichte elterliche Zuwendung und intensive Pflege zu Welches sind mögliche Komplikationen von Kindern, die während der Epidemien Hause benötigt [3]. Mindestens ein Elternteil der Masern? 2007–2009 und 2019 an Masern erkrankten wird bei der Arbeit freinehmen müssen. Auch Im Vordergrund stehen bakterielle Sekundär- und eine gewisse Zeit danach als «gesünder» bei unkompliziertem Verlauf kann das Kind infektionen infolge der masernbedingten Im- beschrieben wurden. tagelang apathisch im Bett liegen, wird kaum munschwäche [55, 56]; am häufigsten ist die sprechen und nur wenig essen und trinken [4]. Otitis media (bei 7–9% der Betroffenen). Die Wie verlaufen Masern in der Komplikation, die am meisten zu Hospitalisa- Schwangerschaft? Sind die Masern bei Adoleszenten tionen und Todesfällen beiträgt, ist die Pneu- Auch impfskeptische Eltern und Ärzte sind und Erwachsenen gefährlicher als im monie [2, 27, 37, 51, 57, 58]. Gefürchtet sind sich meist einig: Eine Frau soll Masern nicht in Kindesalter? besonders ZNS-Komplikationen [23], vor al- der Schwangerschaft, sondern (wenn über- Ja. Fünf- bis 14-jährige Kinder dürfen einen lem die Enzephalitis (bei ca. 0.1% der Fälle, v.a. haupt) im Kindesalter durchmachen oder unangenehmen, aber meist unkomplizierten ab Pubertät), und die subakute sklerosierende (besser) geimpft werden. Dies gewährleistet Masernverlauf erwarten [2, 37, 42]. Bei Klein- Panenzephalitis (mehr dazu in PHC 2023/03). auch den passiven (Nest-)Schutz der Säuglinge kindern (v.a. im ersten Lebensjahr) und ab 15 in den ersten Lebensmonaten. Die Masern- Jahren [23, 43–45] können Masern schwerer Was passiert immunologisch bei symptomatik ist bei Schwangeren vergleichbar verlaufen [46–50], und die Komplikationsra- Masern? mit nicht Schwangeren [64–66]. Das Risiko für ten sind höher [51–54]: Etwa 25% der Erwach- Das Masernvirus infiziert und führt zur Eli- Komplikationen und schwere Krankheits senen suchen die Notfallstation auf, aber nur mination von Immun-Gedächtniszellen, vor verläufe ist aber erhöht [2, 23, 67–69]: mehr etwa 9% der Kinder/Jugendlichen [51]. allem B- und T-Lymphozyten. Dadurch Spitaleinweisungen (circa 60%), Pneumonien kommt es bei 95% der Erkrankten zu einer (circa 25%) und ein 3-fach erhöhtes Sterbe Wie diagnostiziere ich Masern? charakteristischen Immunschwäche [2]. risiko [64, 67, 69]. Bis zu 1/3 erleiden eine Die Prodromi sind unspezifisch. Bei Fieber, Kinder mit Masern verlieren vorübergehend Frühgeburt oder einen Spontanabort [67, 68], typischem Hautausschlag, Vorliegen einer Ex- 11–73% (durchschnittlich 40%) ihres gesam- insbesondere in den ersten 14 Tagen nach Ex- position (z.B. in der Schule, im Rahmen eines ten existierenden Antikörper-Repertoires anthembeginn [67, 70], mit erhöhtem Risiko Ausbruchs), fehlender Impfung und den als [55]! Diese sogenannte Immun-Amnesie im ersten Trimester [64, 66, 70]. Rund 13–25% pathognomonisch geltenden Koplik-Flecken [56, 59–62] dauert nicht, wie früher ange- der Schwangeren mit Masern bringen ein bestehen wenig diagnostische Zweifel (Kasten nommen, Wochen bis Monate, sondern häu- Kind mit kongenitalen Masern (makulopapu- 1). Schwieriger zu erkennen sind Masern bei fig 2 bis 3 Jahre [56], begünstigt sekundäre löses Exanthem bei Geburt oder innerhalb der Personen, bei denen nach 2–3 Tagen der Aus- Infektionen und erhöht auch in reichen Län- ersten 10 Lebenstage nach intrauteriner Ma- schlag vollständig konfluierend zu sein scheint dern statistisch das Risiko für Spitaleinwei- sernexposition) auf die Welt [67, 71]. Ein er- – Einzelläsionen finden sich typischerweise sungen [63] und die Mortalität aufgrund von höhtes Risiko für Fehlbildungen ist nicht do- auf den Unterschenkeln; zudem zeigt eine auf- Infektionen [55, 56, 59]. So könnten Masern kumentiert [65–67, 70, 72]. Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Prim Hosp Care | 2023;23(2):11–15 13 Fortbildung Kasten 1: Masern und Masern-Impfung (modifiziert nach [2–4]). Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
14 2023;23(2):11–15 | Prim Hosp Care Fortbildung Masern bei Immunsuppression – ist die Die Einführung der kombinierten Masern- Ja [3, 92]: Der Ausschlag ist eventuell nur mi- Präsentation anders? Mumps-Rubella-Impfung (MMR) führte ab nimal, und Husten, Konjunktivitis und Ja, die klinische Präsentation ist häufig aty- 1971 in den USA (und seit 1976 in der Schweiz Schnupfen können fehlen (sog. «modifizierte pisch [44, 69, 73, 74], z.B. ohne Ausschlag [23, [2]) zu Reduktionen von Morbidität, Mortali- Masern»). Die Diagnose kann erschwert sein; 43, 44], und Komplikationen sind häufiger, vor tät und Kosten, die schon 1985 als «gewaltig» nach «sekundärem Impfversagen» scheint die allem die Pneumonie - diese ist für die meisten bezeichnet wurden [77]. Die weltweite Ma- Maserntransmission auf andere Personen sel- Todesfälle verantwortlich [43, 44, 74]. Die zel- sernsituation bleibt aber unbefriedigend. Jähr- ten [93]. luläre Immunität ist entscheidend für den Ver- lich sterben mehr als 100 000 Kinder an Ma- lauf: Kinder mit T-Zell-Defekten werden sern (in der Ära vor der Impfung waren es >2 Und wie verlaufen Masern bei Erwach- schwer krank, aber Kinder mit Antikörper- Millionen) – zu >99% in armen Ländern mit senen, die vor vielen Jahren korrekt mangelsyndromen (z.B. Agammaglobulinä- inadäquaten Impfprogrammen [3]. gegen Masern geimpft wurden? mie) haben kein erhöhtes Komplikationsrisiko Ebenfalls mit meist verkürzter und weniger [44, 51, 75]. Wie wirksam ist die Masernimpfung? schwerer Erkrankung [90, 94–99]. Die Schutzwirkung der Masernimpfung nach Wieso wird Masern von gewissen 2 Dosen beträgt 95–98% [2, 27, 78]. Die 2 erwachsenen Männer, die in der Eltern, Ärztinnen und Ärzten als Schweiz 2019 an Masern gestorben sind «Entwicklungskrankheit» wahrgenom- Wieso braucht es 2 Impfdosen? – was waren die Umstände? men? Die erste Dosis löst bei etwa 5% der geimpften Die beiden Männer im Alter von 30 und 70 Manche Eltern, vor allem aus dem anthropo- Personen [1, 27], laut BAG sogar bei bis zu Jahren waren ungeimpft. Der 30-Jährige wur- sophischen Umfeld, stehen der Masernimp- 10% [37], keine ausreichende Immunreaktion de 67 Stunden nach Exposition geimpft, er- fung nicht nur wegen möglicher Nebenwir- aus (sog. «primäres Impfversagen», primäre krankte aber dennoch und starb kurz nach kungen kritisch gegenüber. Für sie sind «Non-Responder»). Dieser Anteil beträgt nach Auftreten der ersten Masernsymptome [100, Erkrankungen, insbesondere fieberhafte Er- zwei Dosen noch rund 4% [1, 81]; einige Per- 101]. Der 70-Jährige stand wegen Krebs unter krankungen, keine blossen Defekte (vorüber- sonen, die auf die erste Dosis nicht anspre- immunsuppressiver Therapie und starb an ei- gehende Befälle durch Viren), die es zu behe- chen, entwickeln also nach der zweiten Dosis ner Masernpneumonie [100, 101]. Ebenso ben gilt. Sie sehen darin auch einen möglichen eine schützende Immunität [1, 82, 83], im Sin- starb im Jahr 2017 ein 26-jähriger Mann, der Sinn – eine günstige Gelegenheit für die Rei- ne einer Nachholimpfung. Die zweite Dosis zweimal geimpft war, an einer masernbeding- fung des kindlichen Immunsystems und die erhöht damit die Bevölkerungsimmunität ten Pneumonie. Aufgrund einer Leukämie allgemeine kindliche Entwicklung [76]. Bei [84], hat aber nichts mit einem Booster-Effekt (CLL) hatte eine Rituximab-haltige Chemo- Masern ist dies durch ihr besonderes klini- für die 1. Dosis zu tun. therapie erhalten und dadurch seinen Masern- sches Erscheinungsbild und das ursprüngli- schutz verloren [43]. che Auftreten im Vorschulalter noch vermehrt Masern obwohl zweimal geimpft – der Fall. Was ist hier los? Können also Geimpfte ihren Masern- Ja, das kommt vor, wenn auch sehr selten [37, schutz nach immunsupprimierender Ist diese Sichtweise sinnvoll? 79, 85, 86]. Keine Impfung schützt zu 100% [1, Therapie verlieren? Das Durchmachen der Masern muss heute 81]. Etwa 5% aller Masernfälle in der EU im Ja. Auch korrekt zweifach Geimpfte können klar als zu riskant eingestuft werden [48]. Die Jahr 2017 traten bei zweimal korrekt geimpf- nach T-Zell-Depletion wegen Organ-, insbe- masernbedingte Immunschwäche während ten Personen auf [2]. Eigentliche Masernaus- sondere nach Stammzelltransplantation und Monaten bis Jahren ist gut dokumentiert. Die brüche sind in Gegenden mit hoher 2-Dosis- Chemotherapie ihren Masernschutz verlieren Genesung des Kindes muss durch schonenden Impfquote allerdings ausserordentlich selten [102–104]. Diese Personen können wir nur Umgang mit Fieber sowie kompetente, ver- [87]. mit der Impfung der immunkompetenten Be- trauensvolle Pflege und Betreuung unterstützt völkerung (Herdenimmunität) wirksam vor werden. Dies können viele Eltern, Kinderärz- Wann kommt der impfbedingte Masern schützen. tinnen und -ärzte heute nicht mehr leisten. Masernschutz, und wie lange hält er an? Zudem muss die Umgebung vor Masernaus- Der Schutz besteht spätestens zwei Wochen Gibt es unspezifische günstige brüchen geschützt werden; man muss also in nach der Impfung [88]. Wer zweimal gegen Wirkungen der Masernimpfung? jedem Fall sehr verantwortungsvoll mit Ma- Masern geimpft ist, bleibt gemäss BAG lebens- Die Masernimpfung ist eine sog. Lebendimp- sern umgehen. Durch das bewusste, sorgsame lang immun [37] – wissen tun wir das jedoch fung mit abgeschwächten Masernviren. Ge- Durchmachen anderer viraler fieberhafter Er- nicht mit Sicherheit, denn die älteren Jahrgän- mäss Studien in Entwicklungsländern können krankungen sowie die liebevolle Pflege ist eine ge sind heute noch immer natürlich und noch Lebendimpfungen wie die Masernimpfung gesunde Entwicklung des Kindes auch ohne nicht impfbedingt masern-immun [89]. Ein das kindliche Immunsystem über die spezifi- Masern möglich. eventuelles Nachlassen der impfinduzierten sche Masernimmunität hinaus auch unspezi- Immunität ist ein Phänomen («sekundäres fisch in seinen Abwehrleistungen gegenüber Impfversagen» [2]), das Wachsamkeit [90] anderen Infektionen stimulieren [105, 106] Masern-Impfung: Wirksamkeit und weitere Studien erfordert [81, 91]; dies ist und so zur Reduktion der Gesamtmortalität auch die Einschätzung der Cochrane-Gruppe im Kindesalter beitragen [107–113] – ein Ef- Ist die Masernimpfung eine Erfolgs [1]. fekt, der bei sogenannten Totimpfstoffen nicht geschichte? beobachtet wurde [108, 109, 112, 113]. Diese In den 1970er Jahren gab es in der Schweiz vor Wenn das Kind trotz Impfung Masern Zusammenhänge gilt es zu beachten, auch Einführung der Impfung jährlich etwa 85 000 kriegt – kann es zumindest mit einem wenn solche Effekte bei uns wahrscheinlich Masernfälle und 20–30 Todesfälle [2, 42]. abgeschwächten Verlauf rechnen? weniger ins Gewicht fallen. Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Prim Hosp Care | 2023;23(2):11–15 15 Fortbildung Verdankung Wir bedanken uns bei Dr. Christian Kahlert, Kinderinfek- tiologe und Leitender Arzt am Ostschweizer Kinder spital, St. Gallen, für seine kritische Durchsicht des Manuskripts. Korrespondenz Prof. Dr. med. Philip Tarr Medizinische Universitätsklinik und Infektiologie/ Spitalhygiene Kantonsspital Baselland Universität Basel CH-4101 Bruderholz philip.tarr[at]unibas.ch Die 8 wichtigsten Referenzen 2 Bundesamt für Gesundheit und Eidgenössische Kom- mission für Impffragen. Richtlinien und Empfehlungen. Empfehlungen zur Prävention von Masern, Mumps und Röteln (MMR), 2019: https://www.bag.admin.ch/dam/ bag/de/dokumente/mt/i-und-b/richtlinien-empfehlun- gen/empfehlungen-spezifische-erreger-krankheiten/ mmr-varizellen/praevention-masern-mumps-roeteln. pdf.download.pdf/praevention-masern-mumps-roeteln- de.pdf. 3 Moss WJ. Measles. Lancet. 2017;390(10111):2490– 502. 23 Strebel PM, and W.A. Orenstein, Measles. New Eng- land Journal of Medicine. 2019;381(4):349–57. 27 Centers for Disease Control and Prevention. Pink- book Measles. 2015. https://www.cdc.gov/vaccines/ pubs/pinkbook/downloads/meas.pdf 40 Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutsch- land e.V. (GAÄD). Merkblätter Anthroposophische Medi- zin: Masern, 7. Auflage, Mai 2019. https://www.gaed. de/merkblaetter/masern.html 55 Mina MJ, et al. Measles virus infection diminishes preexisting antibodies that offer protection from other pathogens. Science. 2019;366(6465):599–606. 89 Hughes SL. The effect of time since measles vacci- nation and age at first dose on measles vaccine effecti- veness – A systematic review. Vaccine. 2020;38:460–9. 116 Richard JL, et al. Approaching measles elimination in Switzerland: changing epidemiology 2007–2018. Swiss Med Wkly. 2019;149:w20102. Literatur Die vollständige Literaturliste finden Sie in der Online-Version des Artikels unter www.primary-hospital-care.ch Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
16 10.4414/phc-d.2023.10498 | 2023;23(2):16–18 | Prim Hosp Care Fortbildung © Foto: Joan Fuchs Einheimische Wespenspinne (Argiope bruennichi) mit Ei-Kokon. Tox Info Suisse: Über 50 Jahre Beratung bei Vergiftungen – Folge 12 Spinnenbisse und Skorpionstiche – Ein Leitfaden für die Praxis Spinnentiere (Arachniden), zu denen neben Spinnen und Skorpionen auch Milben, Zecken, Weber knechte und andere gehören, sind weltweit verbreitet. Die meisten Spinnen und Skorpione sind harm los, dennoch gibt es einige wenige Arten, die dem Menschen gefährlich werden können. Keine dieser Arten kommt natürlicherweise in der Schweiz vor, allerdings werden Spinnen und Skorpione auch gerne in Terrarien gehalten. Deshalb sind Intoxikationen durch gefährlichere Arten möglich. Joan Fuchsa, Cornelia Reichertb a Universitätsspital Zürich; b Tox Info Suisse, Assoziiertes Institut der Universität Zürich Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Prim Hosp Care | 2023;23(2):16–18 17 Fortbildung Einleitung B) Einheimische Skorpione mittelschweren Fall kam es zu einer anaphy In den Jahren 2016–2021 erhielt Tox Info Skorpione sind in der Schweiz nur mit einer laktischen Reaktion mit Atemnot und Juck Suisse jährlich durchschnittlich 61 Anrufe Gattung und drei Arten (Euscorpius italicus, reiz. Weitere Symptome durch Spinnenbisse (Range 45–75) zu Expositionen mit Arachni alpha und germanus) vertreten und vor allem waren lediglich leichte lokale Schmerzen. den, mit einem Peak im August. Dabei handel im Tessin zu Hause. Die Tiere sind bis maxi Von den neun Skorpionstichen verliefen te es sich bei 72% um Anfragen zu einheimi mal 5 cm gross, braun-schwarz, mit dicken sieben leicht, einer mittelschwer und einer schen Spinnentieren. Vor allem im Frühjahr Klauen (Pedipalpen) und dünnem Schwanz. schwer. Beim mittelschweren Verlauf kam es und Frühsommer kommt es zu Anfragen zu heftigen, kurz dauernden lokalen Schmer zu vermeintlichen Sichtungen der stark zen nach dem Stich durch einen Skorpion aus giftigen Sydney Trichternetzspinne (Atrax sp.). Die Haltung exotischer Namibia (Opisthophthalmus lamorali). Nach Die Trichternetzspinne sieht der einheimi Arachniden untersteht einem Stich durch einen Skorpion aus Mada schen Tapezierspinne (Atypus sp.) sehr ähn keiner Meldepflicht. gaskar (Grosphus ankarana) kam es zu starken lich. Die Tapezierspinne ist aber nur minim Schmerzen, die nur durch Opiate und eine giftig und deutlich kleiner als die australische Plexusanästhesie kontrollierbar waren. Syste Trichternetzspinne. Die Gefahr durch Spin Sie leben vorzugsweise unter Steinen und er mische Symptome traten in keinem der Fälle nenbisse oder Skorpionstiche wird in der Be nähren sich vorwiegend von Insekten. Bei Be auf. völkerung oft überschätzt, zumindest durch drohung stechen Skorpione mit dem an ihrem einheimische Arten besteht kaum Gefahr. Zu Schwanzende befestigten Stachel, der in eine A) Exotische Spinnen stärkeren Symptomen kann es hingegen nach Giftdrüse mündet. Die genaue Giftzusammen Weltweit gibt es ca. 47 000 Spinnenarten, da Bissen respektive Stichen durch diverse exoti setzung der einheimischen Arten ist nicht be von sind nur ca. 0,5% für den Menschen ge sche Arten kommen, die in Terrarien gehalten kannt, aber sie sind wenig giftig. Nach einem fährlich [2]. Hauptsächlich problematisch sind werden. Stich können Symptome wie nach einem Wes penstich auftreten: Schmerz, Schwellung, leichte Parästhesien an der Einstichstelle. Die Einheimische Arachniden se Symptome sind kurzdauernd und bedürfen Problematisch sind kaum je einer Therapie. Trichternetzspinnen, A) Einheimische Spinnen Bananenspinnen, sowie In der Schweiz leben circa 1000 Spinnenarten, Exotische Arachniden in Terrarien Schwarze Witwen. von denen aber nur wenige Dutzend über und deren Gefahren haupt in der Lage sind, die menschliche Haut Die Haltung von exotischen Spinnen und bei einem Biss zu durchdringen [1]. Dazu ist Skorpionen untersteht in der Schweiz keiner australische Trichternetzspinnen (Atrax sp., eine Körperlänge von mindestens 1 cm nötig, Meldepflicht, man kann diese legal in der Zoo Hadronyche sp.), Bananenspinnen (Phoneu- damit die Beissklauen (Cheliceren) gross ge tierhandlung und an Ausstellungen kaufen; tria sp.) aus Südamerika sowie die weltweit nug sind, um die menschliche Haut penetrie auch der Handel via Internet boomt [2]. Diese vorkommenden Schwarzen Witwen (Latro- ren zu können. Eine von Tox Info Suisse be Tiere sind meist bis auf die Art identifiziert. gleitete Studie über 2 Jahre zeigte, dass von 19 Bei den Spinnen werden meist Vogelspinnen durch identifizierte Spinnen verursachte Bisse (Synonym: Taranteln, Familie Theraphosidae) nur in einem Fall mehr als wespenstichartige gehalten. Bei den Skorpionen ist der ungiftige Kaiserskorpion (Pandinus imperator) neben diversen giftigeren Gattungen, wie beispiels Die Gefahr durch Spin- weise dem nordafrikanischen Androctonus nenbisse oder Skorpion- sp., ein beliebtes Haustier. stiche wird überschätzt. Eine Auswertung von Tox Info Suisse zeig te, dass Anfragen zu Bissen und Stichen durch als Haustiere gehaltene exotische Arachniden Symptome auftraten [1]. Die involvierten im Vergleich zu Anfragen zu einheimischen Spinnen waren vor allem die Dornfinger Arachniden sehr selten sind und kaum zu me spinne (Cheiracanthium punctorium) und die dizinisch relevanten Symptomen führen [3]. Kräuseljagdspinne (Zoropsis spinimana). Über die letzten 44 Jahre erhielt Tox Info Suisse Diese beiden Spinnenarten sind ursprünglich 81 Anfragen zu Bissen oder Stichen durch als aus Südosteuropa eingewandert und hier Haustier gehaltene exotische Vogelspinnen heimisch geworden. Vor allem bei der oder Skorpione. Der medizinische Verlauf war Dornfingerspinne sind bei sensiblen Personen in 18 dieser Fälle bekannt [3]. auch leichte Allgemeinsymptome wie Kopf Bei den neun Spinnenbissen handelte es schmerzen, Schwäche und selten auch Fieber sich um verschieden Vogelspinnen, sieben der möglich. Fälle verliefen mittelschwer und zwei leicht. In Foto: Karen Gutscher In Europa gibt es auch etwas gefährlichere sechs der mittelschweren Fälle kam es zu teil Spinnen wie die schwarze Witwe (Latrodectus weise generalisierten Muskelkrämpfen, auch tredecimguttatus) und die Einsiedlerspinne entfernt vom Bissort. Die Muskelkrämpfe tra (Loxosceles rufescens). Diese wurden in der ten mit bis zu zwei Tagen Verzögerung auf und Schweiz bisher noch nicht beobachtet. hielten bis zu vier Wochen an. Beim siebten Abbildung 1: Avicularia versicolor (Martinique). Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
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