PRODUKTIVITÄT: KOMMT NUN DER GROSSE SCHUB?

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PRODUKTIVITÄT: KOMMT NUN DER GROSSE SCHUB?
WIRTSCHAFTSPOLITIK

                                                 PRODUKTIVITÄT:
                                                 KOM M T N U N DE R
                                                 GROSSE SCHUB?
                                                 TROTZ DIGITALISIERUNG LIEGT DAS PRODUK­
                                                 TIVITÄTSWACHSTUM SEIT JAHREN UNTER DEN
                                                 ERWARTUNGEN. WIRD DIE CORONA­KRISE
                                                 DIES ÄNDERN? WAS KANN DIE WIRTSCHAFTS­
                                                 POLITIK HIER TUN?

                                                         P
                                                                roduktivitätszuwächse sind eine zentrale
                                                                Ursache für nachhaltiges wirtschaftliches
                                                                Wachstum. Sie können zum Beispiel durch
                                                         verbesserte Arbeitsabläufe und Organisations-
                                                         strukturen, technischen Fortschritt oder einen         Baumol’sche Kostenkrankheit), mindert dies das
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                                                         Strukturwandel entstehen. Auch mit der digitalen       aggregierte Wachstum der Arbeitsproduktivität
                                                         Transformation wird die Erwartung grundlegender        (Sachverständigenrat, 2015). Derartige Verschie-
                                                         Innovationen sowie kostensenkender und effizi-         bungen der Wertschöpfungsstruktur sind auch
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                                                         enzsteigernder Prozesse verbunden. Stattdessen         in Deutschland erkennbar. Solche strukturellen
                                                         beobachten wir bislang jedoch eine ausgeprägte         Anpassungsprozesse sind jedoch grundsätzlich
                                                         Produktivitätsschwäche. In den vergangenen 20          unproblematisch, auch wenn sie sich dämpfend
                                                         Jahren nahm die Arbeitsproduktivität (je erwerbs-      auf das Produktivitätswachstum auswirken.
                                                         tätige Person) im Euroraum pro Jahr im Durch-
                                                         schnitt nur um 0,6 % zu (ohne 2020, Abbildung 1,       2. Die Transformation läuft noch
                                                         Seite 40). Dies wird auch als „Produktivitäts-Para-    Der anhaltende Strukturwandel weist auch darauf
                                                         doxon“ bezeichnet. Warum hat die Digitalisierung       hin, dass sich die Wirtschaft noch in der Umset-
                                                         keinen nachhaltigen Produktivitätsschub bewirkt,       zungsphase der digitalen Transformation befin-
                                                         und ist damit noch zu rechnen? Vier Erklärungen        det, etwa mit Blick auf die industrielle Produktion
                                                         können hier weiterhelfen:                              (Stichwort Industrie 4.0). Entscheidend ist dabei
                                                                                                                auch das Anwenderwissen, um die digitalen Inno-
                                                         1. Erwartbare Folge des Strukturwandels                vationen produktiv einsetzen zu können. Dies
                                                         Die digitale Transformation ist ein kontinuierlicher   erfordert entsprechende Aus- und Fortbildungs-
                                                         Prozess, der zum Teil parallel zum Strukturwandel      maßnahmen. Daher könnten sich Produktivitäts-
                                                         verläuft. Wegen der für fortgeschrittene Volkswirt-    steigerungen durch die Digitalisierung erst zeit-
                                                         schaften typischen Verlagerung der Nachfrage hin       verzögert in der Breite manifestieren.
                                                         zu Dienstleistungen steigt auch deren Beschäfti-
                                                         gungs- und Wertschöpfungsanteil. Da die Dienst-        3. Von der Messung nicht vollständig erfasst
                                                         leistungsbranchen in der Regel strukturell geringere   Ein dritter Erklärungsansatz wirft die Frage auf,
                                                         Produktivitätsniveaus aufweisen (die sogenannte        inwiefern digitale Güter und Dienstleistungen wie
                                                                                                                der Onlinehandel oder Dienste der Sharing Eco-
                                                                                                                nomy bei der Messung von Wertschöpfung und Pro-
                                                                                                                duktivität durch die amtliche Statistik vollständig
                                                                                                                erfasst werden. Vielfach wird den Folgen der
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WIRTSCHAFTSPOLITIK

                                                 ABBILDUNG 1: VERÄNDERUNG DER ARBEITSPRODUKTIVITÄT PRO ERWERBSTÄTIGE PERSON IM EURORAUM

                                                 Quelle: European Central Bank (2020), Statistical Data Warehouse: Labour productivity (per person, in euro area 19), abgerufen am 21.08.2020. Die Grafik zeigt kalender- und saisonbereinigte
                                                 Wachstumsraten bezogen auf das ganze Jahr. Ohne den durch die Corona-Krise bedingten Einbruch der Arbeitsproduktivität Anfang 2020 beträgt die durchschnittliche Wachstumsrate 0,6 %.

                                                 Digitalisierung durch vorhandene Methoden bereits
                                                 adäquat Rechnung getragen (Statistisches Bundes-
                                                 amt, 2016). Dennoch gibt es eine Tendenz, den Effekt
                                                 zu unterschätzen, zum Beispiel durch eine unvoll-
                                                 ständige Berücksichtigung von Qualitätsverbes-
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                                                 serungen oder digitalen Produkten, die analoge
                                                 ersetzen (Reinsdorf und Schreyer, 2019). Jüngere                                   4. Unterschiedliche Transformations -
                                                 Studien deuten darauf hin, dass infolge einer Ver-                                 geschwindigkeiten
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                                                 zerrung bei der Preismessung vom Markt (z. B. durch                                Schließlich ist auffällig, dass zwar fast alle Indus-                              IN KÜRZE
                                                 innovativere, digitale Produkte) verdrängter Güter                                 trieländer spätestens seit der globalen Finanz- und
                                                 die reale Wertschöpfung unterschätzt werden kann                                   Wirtschaftskrise 2008/09 eine Produktivitätsschwä-                                 Digitale Techno-
                                                                                                                                                                                                                       logien sind in
                                                 (Aghion et al., 2019). Eine Studie für Deutschland                                 che aufweisen, im internationalen und sektoralen
                                                                                                                                                                                                                       Branchen und
                                                 beziffert diesen Effekt auf etwa einen halben                                      Vergleich jedoch erhebliche Unterschiede erkenn-
                                                                                                                                                                                                                       Unternehmen
                                                 Prozentpunkt des Bruttoinlandsprodukts (BIP)                                       bar sind. Eine Reihe jüngerer Studien zeigt, dass die                              sehr ungleich
                                                 pro Jahr zwischen 1998 und 2016 (Schreiber und                                     Verbreitung digitaler Technologien bei den Unter-                                  verbreitet.
                                                 Schmidt, 2020).                                                                    nehmen sehr ungleichmäßig verläuft und im
                                                       Weitere Studien argumentieren, dass die                                      Zusammenhang mit der Produktivitätsschwäche
                                                 nahezu kostenlose Verfügbarkeit von Informatio-                                    stehen könnte (OECD, 2019a). So verlangsamte sich
                                                 nen und Dienstleistungen als zentrales Merkmal                                     das Produktivitätswachstum der fortschrittlichsten
                                                 der digitalen Wirtschaft dazu führt, dass Wohl-                                    Firmen (frontiers) auf der ganzen Welt kaum, wäh-
                                                 fahrtseffekte der Informationsnutzung nicht durch                                  rend die Produktivität in vielen anderen Firmen
                                                 klassische Transaktionen am Markt generiert wer-                                   stagnierte (laggards). Entsprechend zeigt sich eine
                                                 den, sondern unmittelbar beim Konsumenten                                          wachsende Leistungslücke zwischen hochproduk-
                                                 anfallen (zum Beispiel bei der Nutzung sozialer                                    tiven und weniger produktiven Unternehmen, ins-
                                                 Plattformen oder kostenloser Apps). Diese Effekte                                  besondere in IT-Dienstleistungsbereichen.
                                                 werden bei der konventionellen Berechnung des                                            Im internationalen Vergleich stimulierte der
                                                 BIP aber nicht berücksichtigt.                                                     digitale Wandel das Produktivitätswachstum in
                                                                                                                                    Deutschland merklich schwächer als etwa in den
                                                                                                                                    USA. Analysen deuten darauf hin, dass die deutsche
                                                                                                                                    Wirtschaft vor der Wirtschafts- und Finanzkrise
                                                                                                                                    2008/09 insgesamt weniger intensiv in moderne
                                                                                                                                    Informations- und Kommunikationstechnolo-
                                                                                                                                    gien (IKT) investierte und die damit verbundenen
PRODUKTIVITÄT: KOMMT NUN DER GROSSE SCHUB?
WIRTSCHAFTSPOLITIK

                                                       DIGITALE
                                                       TECHNOLOGIEN
                                                       KÖNNEN DIE
                                                       PRODUKTIVITÄT
                                                       FÖRDERN.

                                                       geltenden Einschränkungen haben einerseits ne-
                                                       gative Folgen für die Produktivität (Abbildung 1).
                                                       Andererseits legt die verstärkte Nutzung digitaler
                                                       Technologien eine mögliche Beschleunigung der
                                                       Produktivität nahe, etwa durch effektivere Kom-

                                                                                                              41
                                                       munikationsformen sowie verstärkten Onlinehan-
                                                       del. Unabhängig vom Einsatz digitaler Technolo-
                                                       gien ist auf Ebene einzelner Unternehmen auch

                                                                                                              S C H L A G L I C H T E R O K T O B E R 2 02 0
                                                       angesichts spürbarer Umsatzeinbußen und einer
                                                       Bedrohung der unternehmerischen Existenz ein
                                                       effizienterer Ressourceneinsatz und damit ein
                                                       Anstieg der Produktivität zu erwarten (Fuest, 2020
                                                       und Klös, 2020). Auch wenn es für eine Beantwor-
                                                       tung der Frage, ob die Krise zu einem Produktivi-
                                                       tätsschub führen kann, noch zu früh ist, lassen sich
                                                       auf Grundlage vorläufiger Evidenzen erste Über-
                                                       legungen dazu anführen:
Produktivitätspotenziale weniger konsequent aus-
geschöpft hat als beispielsweise die US-amerikani-     A. Produktiver im digitalisierten
sche Wirtschaft. Gründe hierfür könnten unter ande-    Arbeitsalltag?
rem eine unzureichende digitale Infrastruktur (wie     Digitale Dienste für Online-Meetings und Video-
zum Beispiel die Breitbandverfügbarkeit), die unter-   konferenzen werden während der Pandemie
schiedliche Regulierung von Güter- und Arbeits-        vermehrt im Arbeitsalltag genutzt (Abbildung 2,
märkten oder auch verschiedene Unternehmens-           Seite 42). Je mehr Unternehmen diese Dienste
kulturen und Firmenstrukturen sein (OECD, 2019b).      nutzen und je kompatibler diese miteinander
                                                       sind, desto eher ergeben sich positive Effekte auch
PRODUKTIVITÄTSSCHUB DURCH DIE                          für ganze Unternehmenscluster. Investitionen in
CORONA­KRISE?                                          digitale Anwendungen können sich eher lohnen,
                                                       wenn die Alternative darin besteht, die Arbeit zu
In der öffentlichen Diskussion wird eine mögliche      unterbrechen.
beschleunigte Digitalisierung im Zuge der COVID-
19-Pandemie thematisiert: Das Herunterfahren
der Wirtschaft zu Beginn der Krise und die weiter
WIRTSCHAFTSPOLITIK

                                                 Zudem spart die Nutzung virtueller Kommunika-
                                                 tionsmöglichkeiten Zeit sowie Fahrt- und Über-
                                                 nachtungskosten (es gibt unter anderem weniger
                                                 Dienstreisen). Die eingesparten Mittel bzw. die ein-
                                                 gesparte Zeit können in alternative, produktivere
                                                 Zwecke investiert werden.
                                                       Ob im Homeoffice produktiver gearbeitet                      IN KÜRZE                 satz zur industriellen Beschäftigung, die stärker von
                                                 wird als im Präsenzbetrieb oder nicht, wird kont-                                           Automatisierung betroffen ist, bislang nur geringe
                                                 rovers diskutiert. Zum einen kann zum Beispiel das                 Unterschiedliche         Produktivitätssteigerungen beobachtet wurden (zum
                                                                                                                    Auswirkungen auf
                                                 Wegfallen von Pendelzeiten und Dienstreisen die                                             Beispiel Lehrpersonal, medizinische Berufe). Digita-
                                                                                                                    die Produktivität
                                                 Produktivität erhöhen. Zum anderen können aber                                              lisierungsmaßnahmen in diesen Sektoren (digitaler
                                                                                                                    im Homeoffice.
                                                 sowohl eine schlechtere Büroausstattung am Heim-                                            Unterricht, Videosprechstunde, Onlinekulturange-
                                                 arbeitsplatz als auch das Fehlen des beruflichen Um-                                        bote etc.) können zwar zunächst zu einem Anstieg
                                                 felds die Produktivität verringern (Künn, Seel und                                          der Fixkosten führen, aber gleichzeitig die variablen
                                                 Zegners, 2020). Verschiedene Wirtschaftszweige                                              Kosten senken. Auch in anderen Sektoren sind durch
                                                 werden mit Blick auf die vorherrschenden Arbeits-                                           die Pandemie für die Unternehmen neue Anreize
                                                 weisen voraussichtlich eine unterschiedliche Pro-                                           entstanden, zukünftig vermehrt automatisierte Pro-
                                                 duktivitätsentwicklung im Laufe der Pandemie                                                zesse und digitale Technologien einzusetzen, was
                                                 erleben. Branchen, in denen Homeoffice und digi-                                            die Produktivität steigern könnte.
                                                 tales Arbeiten bereits verbreiteter sind, könnten
                                                 einen geringeren Produktivitätsverlust bzw. sogar                                           B. Makroökonomische Effekte
                                                 -gewinne erwarten, da sie bereits vor der Krise auf                                         Gleichzeitig wird die Pandemie auch negative Ef-
                                                 besondere Bedürfnisse besser eingestellt waren.                                             fekte auf die Produktivität haben. Erste erhobene
                                                       Auch Berufe, die üblicherweise eine geringere                                         Daten bestätigen dies (Abbildung 1). Da viele Unter-
                                                 Produktivität aufweisen, könnten eine positive                                              nehmen Kurzarbeit angemeldet, den Betrieb ein-
                                                 Produktivitätsentwicklung erleben. Das betrifft vor                                         gestellt oder heruntergefahren haben, kann es
                                                 allem Dienstleistungsberufe, bei denen im Gegen-                                            kurzfristig zu einer Unterauslastung der Produk-
42

                                                                                                                                             tionskapazitäten kommen. Langfristig betrachtet
                                                                                                                                             könnte die (Arbeits-)Produktivität zurückgehen,
                                                                                                                                             wenn Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit über einen
S C H L A G L I C H T E R O K T O B E R 2 02 0

                                                                   ABBILDUNG 2: CORONA­BEDINGTE ÄNDERUNGEN IM ARBEITSSALLTAG

                                                                   Quelle: ifo Institut (2020), Sonderfragen im 2. Quartal 2020: Homeoffice und Digitalisierung unter Corona, Randstad-ifo-Personalleiterbefragung
                                                                   vom 03.08.2020.
WIRTSCHAFTSPOLITIK

                                                             64 %
                                                                UM

                                                                             ist die Nutzung von virtuellen
                                                                                 Konferenzen laut einer ifo
                                                                                          Studie gestiegen.

                                                        einen dazu führen, dass die Intensität des Wettbe-
                                                        werbs sinkt. Als Folge könnte es zudem weniger An-
                                                        reize für die verbleibenden Unternehmen im Markt
                                                        geben, innovativ tätig zu werden (Bertelsmann Stif-
                                                        tung, 2020). Gleichzeitig kann die Krise einen Prozess
längeren Zeitraum zu einem Verlust von Human-           der „schöpferischen Zerstörung“ fördern, bei dem
kapital (Qualifikation) führen. Insbesondere im sich    gerade die weniger wettbewerbsfähigen und inno-
schnell wandelnden digitalen Arbeitsumfeld könnte       vativen Unternehmen aus dem Markt ausscheiden.
dieser Effekt besonders stark ausfallen.                Dies könnte über eine effizientere Ressourcenallo-
                                                        kation oder auch eine Beschleunigung des Struktur-
                                                        wandel zu einer langfristigen Stärkung des Potenzi-
AU S B L E I B E N D E R U N T E R ­                    alwachstums und der Produktivität führen.
RICHT HAT ERHEBLICHE                                          Schließlich sind globale Effekte zu berücksich-

                                                                                                                 43
                                                        tigen. Ein Rückgang der internationalen Arbeitstei-
FOLGEKOSTEN. EINE                                       lung kann zum Beispiel die Produktivität insbeson-
W E I T E R E M Ö G L IC H E                            dere im verarbeitenden Gewerbe dämpfen, wenn

                                                                                                                 S C H L A G L I C H T E R O K T O B E R 2 02 0
                                                        Wertschöpfungsketten nicht mehr so reibungslos
F O LG E D E R PA N D E M I E :                         funktionieren wie vorher. Gegenläufige Impulse für
ZUNEHMENDE MARKT ­                                      die Globalisierung könnten sich hingegen im Dienst-
                                                        leistungssektor ergeben, zum Beispiel durch eine ver-
KONZENTRATION.
                                                        stärkte Auslagerung von Bildschirmarbeit in Länder
                                                        mit geringerem Lohnniveau aufgrund breiter ver-
Ein ähnlicher Effekt lässt sich auch durch die Folgen   fügbarer Telearbeitsmöglichkeiten (Baldwin, 2020).
des Unterrichtsausfalls vermuten. Die empirische
Literatur legt nahe, dass ausbleibender Unterricht      EIN ERSTES FAZIT
erhebliche Folgekosten hat. So könnte der komplette
Ausfall eines Schuljahrdrittels Einbußen des Er-        Auch wenn in einzelnen Bereichen positive Effekte
werbseinkommens über das gesamte Berufsleben            infolge der Corona-Krise auf die Produktivität durch
von im Durchschnitt 3 bis 4 % nach sich ziehen, die     die verstärkte Nutzung digitaler Technologien beob-
sich in ähnlicher Größenordnung auch im BIP nie-        achtet werden können, ist kurzfristig zu erwarten,
derschlagen (Wößmann, 2020). Wenn ein Teil der          dass die gesamtwirtschaftliche Produktivität durch
Schulstunden digital durchgeführt wird, ist zwar zu     die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie
erwarten, dass der Einkommenseffekt niedriger aus-      und die daraus folgende Rezession gedämpft wird.
fällt, ein vollständiges Substitut für den Präsenzun-   Die Bundesregierung geht für das Jahr 2020
terricht ist dies jedoch vermutlich nicht.
       Darüber hinaus wird die Pandemie auch den
Wettbewerb beeinflussen. Eine Zunahme der Markt-
konzentration infolge von Marktaustritten aufgrund
von Unternehmensinsolvenzen, weniger Marktein-
tritten aufgrund gestiegener Risiken oder fehlender
Finanzierungsmöglichkeiten für Start-ups kann zum
WIRTSCHAFTSPOLITIK

                                                        -5 %
                                                                   EINE UM

                                                                      niedrigere Arbeitsprodukti-                                    MEHR ZUM THEMA
                                                                      vität erwartet die
                                                                      Bundesregierung 2020.                    LITERATURVERZEICHNIS
                                                                                                               • Aghion, P., Bergeaud, A., Boppart, T., Klenow, P.J. und Li, H.
                                                                                                                 (2019): „Missing growth from creative destruction“, American
                                                                                                                 Economic Review, 109(8), S. 2795-2822.
                                                                                                               • Baldwin, R. (2020): „Corona belebt die Globalisierung wieder“,
                                                                                                                 Gastbeitrag in der FAZ vom 05.07.2020.
                                                 von einem Rückgang der Arbeitsproduktivität (BIP
                                                                                                               • Bertelsmann Stiftung (Hrsg., 2020): „Produktivität und
                                                 je Erwerbstätigen) von -5 % aus. Wie sich die Aus-              inklusives Wachstum“, Mai 2020.
                                                 wirkungen der globalen Rezession mittel- und lang -           • Fuest, C. (2020): „Wie wir unsere Wirtschaft retten: Der Weg
                                                 fristig mit Blick auf das Produktivitätswachstum                aus der Corona-Krise“, Kapitel 5: „Die Digitalisierung
                                                 darstellen werden, ist hingegen noch nicht abseh-               beschleunigt sich“, Aufbau Verlag.
                                                 bar und hängt auch davon ab, wie die Rezession                • ifo (2020): „Sonderfragen im 2. Quartal 2020: Homeoffice und
                                                 wirtschaftspolitisch weiter flankiert werden wird               Digitalisierung unter Corona“, Randstad-ifo-Personalleiterbe -
                                                                                                                 fragung vom 03.08.2020.
                                                 (Petersen, 2020).
                                                                                                               • Klös, H.-P. (2020): „Nach dem Corona-Schock: Digitalisierungs-
                                                                                                                 potenziale für Deutschland“, IW-Policy Paper 14/20,
                                                 WIE SOLLTE DIE WIRTSCHAFTSPOLITIK                               28. Mai 2020.
                                                 REAGIEREN?                                                    • Künn, S., Seel, C. und Zegners, D. (2020): „Cognitive Performance
                                                                                                                 in the Home Office – Evidence from Professional Chess“, IZA
                                                 Eine zentrale Aufgabe für die Wirtschaftspolitik                Discussion Paper No. 13491, Juli 2020.
                                                 besteht erstens darin, Unsicherheiten für die Unter-          • OECD (2019a): „Productivity Growth in the Digital Age“, OECD
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                                                                                                                 Going Digital Policy Note, OECD Publishing, Paris.
                                                 nehmerinnen und Unternehmer zu verringern. Die
                                                                                                               • OECD (2019b): „OECD Compendium of Productivity Indicators
                                                 kurzfristige Bereitstellung von Kreditsicherheiten              2019“, OECD Publishing, Paris.
                                                 und Liquiditätshilfen durch die Bundesregierung
S C H L A G L I C H T E R O K T O B E R 2 02 0

                                                                                                               • Petersen, T. (2020): „Corona-Pandemie – Schub oder Bremse
                                                 trägt dazu bei, Planungssicherheit zu geben. Das                für die Produktivität?“, https://inclusive-productivity.de/
                                                 stabilisiert auch die Investitions- und Digitalisie-            corona-pandemie-schub-oder-bremse-fuer-die-produktivitaet/
                                                 rungspläne der Unternehmen.                                     (letzter Zugriff 05.08.2020).
                                                       Zweitens begünstigt eine langfristige Steige-           • Reinsdorf, M. und Schreyer, P. (2019): „Measuring consumer
                                                                                                                 inflation in a digital economy“, OECD Statistics Working Paper
                                                 rung der öffentlichen Investitionen in Digitalisie-
                                                                                                                 No. 2019/01, OECD Publishing, Paris.
                                                 rung, Bildung und nachhaltige Technologien die                • Sachverständigenrat (2015): „Jahresgutachten 2015/2016“,
                                                 digitale Transformation von Wirtschaft und Gesell-              Kapitel 7: „Produktivität“.
                                                 schaft. Die Maßnahmen des Anfang Juni 2020 ver-               • Schreiber, S. und Schmidt, V. (2020): „Missing growth measure -
                                                 abschiedeten Konjunktur- und Zukunftspakets sind                ment in Germany“, IMK Working Paper No. 205, Juni 2020.
                                                 zu einem wesentlichen Teil darauf ausgerichtet.               • Statistisches Bundesamt (2016): „Methodeninformation –
                                                       Drittens kommen eine Intensivierung bezie-                Auswirkungen der Digitalisierung auf die Preisstatistik“.
                                                                                                               • Wößmann, L. (2020): „Folgekosten ausbleibenden Lernens:
                                                 hungsweise Verlängerung bestehender Krisenpro-
                                                                                                                 Was wir über die Corona-bedingten Schulschließungen aus
                                                 gramme, die Digitalisierung fördern, in Betracht.               der Forschung lernen können“, ifo Schnelldienst 6/2020,
                                                 Ebenso könnte die temporäre Flexibilisierung von                73. Jahrgang, 10. Juni 2020.
                                                 Regeln beibehalten oder sogar ausgeweitet werden
                                                 (zum Beispiel digitale Versammlungen im Gesell-               KONTAKT
                                                 schaftsrecht oder digitale Sprechstunden).                    DR. ANNA AUF DEM BRINKE
                                                                                                               Referat: Grundsatzfragen der Wirtschaftspolitik, Projektgruppe
                                                                                                               „Digitale Wirtschaftspolitik“

                                                                                                               DR. DIRK NEUMANN
                                                                                                               Referat: Wirtschaftspolitische Analyse, Projektgruppe
                                                                                                               „Digitale Wirtschaftspolitik“

                                                                                                               schlaglichter@bmwi.bund.de
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