Protokolle für die Sicherheit - Deutsches Museum
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52 Kultur & Technik 3/2015 Am 6. Februar 1958 überrollte eine Ambassador Elisabethan die Startbahn des Flughafens München-Riem. An Bord befand sich das Fußballteam Manchester United. Insge- samt 23 Menschen starben bei diesem Unglück. Protokolle für die Sicherheit Fliegen gehört zu den sichersten Möglichkeiten, große Strecken rasch zu überwinden. Dennoch ist die Fortbewegung in der Luft für viele Menschen mit Ängsten verbunden. So selten Unfälle passieren, so dramatisch sind ihre Folgen. Aus jedem Unfall, jedem Absturz lernten und lernen Experten, um Ähnliches für die Zukunft zu verhindern. Von Barbara Grilz 52-56Grilz_RZ.indd 52 14.06.15 16:42
Magazin Flugsicherheit 53 Verformung bei voller Leistung: die Überreste von Rotorenblättern. B is zum 1. September 1998 oblag dem Luftfahrt- Bundesamt die Untersuchung von Unfällen. Seither gibt es in Deutschland sogar eine eigene Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU). 32 Mitarbeiter zählt die- se Behörde, deren Aufgabe es ist, Unfälle und Störungen im Betrieb ziviler Luftfahrzeuge innerhalb Deutschlands und – sofern es sich um ein in Deutschland zugelassenes Luftfahrzeug handelt – auch weltweit zu untersuchen. Seit den Anfängen haben die oft mühseligen und komplizier- ten Untersuchungen vor allem ein Ziel: die Ursachen zu identifizieren und die Schwachstellen zu beseitigen. Eine Ambassador-Elisabethan überrollte 1958 in Mün- chen-Riem mit voll laufenden Motoren das Ende der Startbahn sowie die 270 Meter lange Sicherheitsfläche, durchbrach die Flughafenumzäunung und stieß gegen ein Haus, wobei Teile der linken Tragfläche und des Leitwerks abbrachen und die Maschine in Brand geriet. Im Weiter- rutschen prallte das Wrack gegen den Betonsockel einer ten die Grundlage für die Untersuchungskommission des Holzbaracke, so dass der hintere Rumpf abriss, anschlie- Luftfahrt-Bundesamtes (LBA) und ließen jene nach einer ßend rutschte es noch 70 Meter weiter, bis es in Normal- elfmonatigen Untersuchung zu dem Schluss kommen, lage liegen blieb. 23 der 44 Menschen an Bord kamen bei dass vereiste Tragflächen an der Katastrophe schuld gewe- dem Unglück ums Leben. sen seien. Ob die Tragflächen tatsächlich vereist gewesen Schon kurze Zeit nach dem Unglück hegte man den Ver- waren, konnte allerdings nicht abschließend festgestellt dacht, vereiste Tragflächen könnten an dem Unfall schuld werden, denn in diesem Punkt unterschieden sich die Zeu- gewesen sein, aber auch die bereits im Vorfeld beanstan- genaussagen gravierend. Man einigte sich schlichtweg auf deten Ladedruckschwankungen der Motoren kamen als die höchste anzunehmende Wahrscheinlichkeit. Ursache infrage. Ihretwegen war der Start bereits zweimal Ein wenig mehr Glück hatten die Ermittler 1961, als abgebrochen worden. Auf der Parkposition des Flugzeugs eine Boeing 720 auf einem Checkflug im Dezember be- war das zwar mit der Technik besprochen worden, aber reits nach sechs Minuten in einen Sturzflug überging und da das Phänomen am Münchner Flughafen bekannt war, sich fast senkrecht bis zu fünf Meter tief in den Erdbo- gab es keine weiteren Untersuchungen und damit auch den grub. Zum Glück befanden sich keine Passagiere an keinen Eintrag im Technischen Logbuch (TLB). Genau Bord, aber die drei Besatzungsmitglieder starben. Auch dieser Eintrag hätte den Ermittlern aber einen wichtigen damals gab es noch keinen Flugschreiber oder Cockpit- Anhaltspunkt geliefert, denn Flugdaten oder aufgezeich- Voice-Recorder (CVR) an Bord. Technische Mängel an nete Cockpitgespräche gab es damals noch nicht. So gab der Maschine, die das Verhalten hätten erklären können, es als handfeste Fakten nur den Tonbandmitschnitt zwi- waren nicht bekannt und die Kommunikation zwischen Abbildungen: Lufthansa-Archiv schen den Piloten und dem Tower, die Tabellen des Flug- dem Tower und der Crew ließ keinen Rückschluss auf ein hafens über die Schneematschtiefe auf der Runway sowie Problem an Bord zu. die Wetterdaten mit der amtlichen Verbriefung, dass es Die Ermittler tappten im Dunklen, denn weder die geschneit hatte. Diese drei Tatsachen, kombiniert mit über geborgenen Triebwerke noch die Spindel des Stabilizers dreißig Zeugenaussagen und einigen Berechnungen von wiesen auf ein fehlerhaftes Verhalten hin. Aber wenige Instituten, die sich mit der Aerodynamik befassten, bilde- Wochen zuvor hatte es einen ähnlichen Vorfall gegeben, 52-56Grilz_RZ.indd 53 14.06.15 16:42
54 Kultur & Technik 3/2015 bei dem ein Kapitän berichtete, dass die Maschine wenige Minuten nach dem Start aus unerklärlichen Gründen die Nase steil anhob und mit voller Triebwerksleistung in den Himmel schoss. Im Originalbericht hieß es: »Das Flugzeug stieg stark nach oben und im künstlichen Horizont war nur ein weißes Feld zu sehen. […] Ich drückte instinktiv mit aller Kraft die Steuersäule langsam nach vorn, um wie- der Kontrolle zu erhalten. Hierbei trat naturgemäß eine negative G-Kraft auf, die das Durcheinander in der Kabine hervorrief.« Notizen eines Flugzeugkapitäns Der Kapitän landete die Maschine ohne weitere Zwi- schenfälle wenige Minuten später und hielt im Techni- schen Logbuch sämtliche Parameter fest, wie die Stel- lung seiner Schubhebel, Leistungen der Triebwerke oder leuchtende Warnlampen. So hatte die Flightcrew, die we- nige Tage nach diesem Zwischenfall mit derselben Ma- schine einen Testflug durchführte, einen Anhaltspunkt. In dem Originalbericht heißt es: »Das Flugzeug macht, wenn es nicht in Trim-Balance ist, unter diesen Bedin- Mehr als 1000 Parameter gungen eine sehr starke und ruckartige Bewegung um entwickelten Prototyps von 1956. Ein Novum, das die können heute von einem digitalen Flightdatarecorder die Querachse nach oben, so dass innerhalb von max. 3 Flugunfalluntersuchung fortan erleichtern sollte. (Black Box) aufgezeichnet Sekunden der Horizont restlos verschwindet. […] Durch Die praktische Anwendung sollte nicht lange auf sich werden. 1964 waren es die starke Fliehkraft, die durch den abrupten Steigflug warten lassen. Im Sommer 1964 starben drei Besatzungs- gerade einmal vier Parameter. hervorgerufen wird, ist es dem Piloten nur unter Auf- mitglieder an Bord einer Boeing 720, als jene sich wiede- wendung seiner ganzen Kraft möglich, das Flugzeug wie- rum auf einem Checkflug befand und es die Maschine der unter Kontrolle zu bekommen, ohne dass er mit der förmlich in der Luft zerriss. Die Trümmer des einstigen Trimmung arbeitet.« Fazit: Die Testcrew konnte das feh- Flugzeugs lagen über viele Quadratkilometer verteilt auf lerhafte Verhalten bestätigen und man fand bei der an- Wiesen und Feldern. Ein Sprengstoffattentat wurde nicht schließenden Fehlersuche einen nicht funktionierenden ausgeschlossen, doch die Untersuchungen konnten dies Trim-out-off-Schalter als Ursache. nicht bestätigen. Die Fundstelle wurde aus der Luft mehr- Allerdings war nicht zu ermitteln, ob dieser Schalter fach fotografiert und vor allem die Lage der Triebwerke auch Ursache für den Absturz vier Wochen später gewe- ausgemessen und in einer Zeichnung festgehalten. Alleine sen war, man konnte es nur annehmen. Der Vorfall zeig- aus dieser Zeichnung war zu ersehen, dass sich das Flug- te aber deutlich, wie wichtig es war, Flugdaten an Bord zeug nicht in einer flugüblichen Lage befand. unzerstörbar aufzuzeichnen. Ab 1963 wurde daher in Das beauftragte Institut der Deutschen Forschungsan- alle Boeing 707- und 720-Maschinen der Lufthansa ein stalt für Luft- und Raumfahrt, Abteilung Strahlantrieb, Flugdatenschreiber eingebaut. Dieses Gerät, welches die kam nach intensiven Untersuchungen zu dem Ergebnis, Geschwindigkeit, den Kurs, die Höhe und die vertikale dass die Triebwerke in Rückenlage des Flugzeuges ausge- Beschleunigung in eine Metallfolie eindrückt, war bereits brochen waren, aber ansonsten einwandfrei funktioniert eine Verbesserung des von dem Australier David Warren hatten. Dieses Ergebnis war für die Airline und den Trieb- 52-56Grilz_RZ.indd 54 14.06.15 16:42
Magazin Flugsicherheit 55 Die Überreste eines der ersten Flugschreiber. Vier Nadeln drückten Kurven in eine dünne Metallfolie. werden, so dass die Untersuchungskommission zu dem Schluss kam, die Maschine sei einer außergewöhnlichen Überbeanspruchung ausgesetzt gewesen und daran zer- borsten. Vielleicht war es dieser Absturz der den Punkt auf das i setzte, so dass fortan die Gespräche im Cockpit aufgezeich- net werden mussten. Der Cockpit Voice Recorder wurde zur Pflicht und er erleichterte in der Tat den Ermittlern ihre Arbeit. Denn nun erfuhr man auch von zwischen- menschlichen Uneinigkeiten im Cockpit, die vor allem in schwierigen Situationen ein enorm großes Sicherheitsrisi- ko darstellen, wie sich 1988 zeigte. Eine Meteor III geriet im Endanflug auf Düsseldorf in ein Gewitter, welches um- flogen hätte werden können. Ein Blitzschlag ließ die ge- samte elektrische Stromversorgung ausfallen, so dass das Flugzeug in einen unkontrollierbaren Zustand geriet und auseinanderbrach. Alle 21 Menschen an Bord starben. Der Flugdatenschreiber bestätigte den von der Flug- sicherheit beschriebenen Flugverlauf und brachte keine neuen Erkenntnisse. Doch durch die Aufzeichnung des Stimmrekorders wusste man, dass sich die Besatzung be- reits im Vorfeld nicht über den Flugweg im Bereich des Ge- witters einig gewesen war. Als das Flugzeug vom Blitz ge- troffen wurde, kämpfte sie mit Situationen, an die man als Unbedarfter niemals gedacht hätte. Die Ermittler entdeck- ten nicht nur technische Lücken in der Stromversorgung, sondern auch in den Flughandbüchern dieses Flugzeug- Aufbewahrte Trümmer ver- typs. Als Folge des Unfalls sprach die Flugunfalluntersu- werkshersteller eine Erleichterung, nicht jedoch für die unglückter Flugzeuge warten chungsstelle des LBAs mehrere Sicherheitsempfehlungen noch auf genauere Untersu- Untersuchungskommission. Diese erwartete mit Span- aus, wie den Einbau eines zusätzlichen stromunabhängi- chungen. nung die Auswertung der Flugdaten durch das Civil Ae- gen Kreiselhorizonts, einige Änderungen im elektrischen ronautic Board in Washington DC. Die vier aufgezeichne- Stromnetz sowie eine Überarbeitung des Flughandbuchs. ten Parameter waren der Schlüssel, auf den man baute, Rückblickend kann man eine Entwicklung erkennen, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Am Ende in der die Flugunfalluntersuchung nicht nur technische zeigte sich allerdings, das es noch viel hilfreicher gewesen Mängel an Fluggeräten aufdeckte und für deren Verbesse- wäre, auch die Gespräche der Besatzung zu kennen, denn rung sorgte, sondern sich zunehmend mit menschlichen Abbildungen: Lufthansa-Archiv die aufgezeichneten Flugdaten bestätigten das Ergebnis Verhaltensmustern auseinandersetzen musste. Denn das des Instituts für Luft- und Raumfahrt, dass das geflogene Zeitalter der Elektronik brachte nicht nur eine erhebliche Flugmanöver in keinem Fall Gegenstand des geforder- Verbesserung in der Überwachung von Systemen an Bord, ten Checkflugs gewesen sein konnte. Somit war auch ein es vertauschte zunehmend die Rollen. Traf der Pilot in den absichtliches Herbeiführen dieser Fluglage nicht mehr Anfängen sämtliche Entscheidungen, welche notwendig auszuschließen. Diese Frage konnte letztlich nie geklärt waren um von A nach B zu kommen, so wurde er mehr 52-56Grilz_RZ.indd 55 14.06.15 16:42
56 Kultur & Technik 3/2015 und mehr von dieser Verantwortung entbunden, denn die Computer haben den besseren Überblick und tref- fen völlig unbeeinflusst Entscheidungen. Für viele war es nicht leicht, dies zu akzeptieren und leider musste erst ein Unglück passieren, bevor der Computer seinen selbstver- ständlichen Platz im Cockpit einnehmen konnte. Der Computer übernimmt das Kommando Im Juli 2002 kollidierte bei Überlingen am Bodensee eine Tupolew 154 mit einer Boeing 757 in der Luft und 71 Men- schen kamen dabei ums Leben. Das Traffic Alert and Col- lision Avoidance System (TCAS), welches eben genau eine Kollision in der Luft verhindern sollte, war in beiden Flug- zeugen installiert und aktiv, und doch trafen sich die zwei Maschinen. Die dringlichste Frage war, ob diese Computer einwandfrei funktioniert hatten. Beide Computer wurden schwerstbeschädigt gefunden und die Techniker der BFU bauten die nichtflüchtigen Speicher der TCAS-Computer aus und setzten sie zu Testzwecken in funktionierende ein. Das Ergebnis: Die Computer arbeiteten einwandfrei. Die Technik hätte also dieses Unglück verhindern können. Zu jener Zeit überwogen allerdings noch bei Vielen die An ihm lag es nicht: Diesem Zweifel an der Zuverlässigkeit von Computersystemen. verständlicherweise – auch nicht alle Eventualitäten Computer konnte nachge- wiesen werden, dass er zum Aus diesem Grund verließen sich die Piloten der beiden im Blick gehabt hatten. Den Airlines und Besatzun- Zeitpunkt des Absturzes voll Unglücksmaschinen nicht auf die korrekten Kommandos gen war diese Einschränkung nicht bekannt und so- funktionsfähig war. ihrer Rechner, sondern vertrauten den Anweisungen der mit konnte dieses Flugzeugverhalten nie im Simulator Lotsen, die ihrerseits aufgrund falsch interpretierter Ra- trainiert werden. Dass bei einer derart schweren Stö- darinformationen Kommandos gaben, die am Ende zum rung des Flugbetriebs alle an Bord befindlichen Men- Absturz führten. Eine Verkettung höchst unglücklicher schen nur mit dem Schrecken davonkamen, war der Umstände. Die Ergebnisse der Untersuchung läuteten ei- Reaktion der Copilotin zu verdanken. In diesem Fall nen weltweiten Paradigmenwechsel ein: Im Regelfall ord- triumphierte der Mensch doch wieder über die Tech- net sich das Flugpersonal heute den automatisierten Steu- nik und machte damit deutlich, wie engmaschig das erungs- und Kontrollsystemen unter. Netz zwischen der menschlichen Reaktion und der Im März 2008 führten die Ermittler der BFU eine nach einer Matrix arbeitenden Technik gewoben ist. Untersuchung an einem Airbus A320 durch, welcher Die Arbeit der Flugunfalluntersuchung erleichtert beim Landen bei starkem Seitenwind in Hamburg das nicht unbedingt und die Sicherheitsempfehlungen mit der linken Fläche leichten Bodenkontakt hatte. werden immer weitgreifender. Sie gelten nicht mehr Bei dieser Untersuchung wurde schnell klar, dass alle ausschließlich den Flugzeugherstellern und Airlines, Systeme an Bord einwandfrei gearbeitet und auch die sondern auch Behörden wie dem LBA und der EASA Flightcrew nach den vorgeschriebenen Richtlinien der (Europäische Agentur für Flugsicherheit). Die jewei- Airline gearbeitet hatten. So kämpften sich die Er- ligen Empfehlungen werden stets schnellstmöglich mittler zwei Jahre durch praktikable Anflugverfahren, umgesetzt, da sich niemand nachsagen lassen möchte, Windmesstechniken, Flight Crew Operation Manuals er habe nicht alles unternommen, um einen erneuten und technische Feinheiten bestimmter Bordcomputer Unfall zu verhindern. Somit haben alle Flugunfallun- und am Ende war offensichtlich, dass Definitions- tersuchungen weltweit Auswirkungen auf Flugzeug- DIE AUTORIN schwierigkeiten in den Dokumenten schon zu Miss- hersteller, Airlines, Flughäfen, Bodenkontrollstatio- verständnissen beim Pilotentraining geführt hatten. nen und Behörden. Hundertprozentige Sicherheit wird es nicht geben Geistesgegenwart der Copilotin können, aber weltweit sind Helfer und Ermittler in Abbildung: Lufthansa-Archiv Doch weitaus gravierender war, dass die Quersteue- Flugunfalluntersuchungsstellen den wahren Umstän- Barbara Grilz rung des Flugzeugs eingeschränkt wurde, sobald die- de und Ursachen auf der Spur, um das Netz der Si- ist Flugzeugtechnikerin, Journalistin und Buchautorin. ses mit nur einem Fahrwerk Bodenkontakt hatte. Hier cherheit enger und fester zu knüpfen. ❘❙❚ Ihr besonderes Interesse gilt steckte der Fehler in einem winzig kleinen Detail, das der alten Verkehrsfliegerei. nur die Programmierer kennen konnten, die aber – 52-56Grilz_RZ.indd 56 14.06.15 16:42
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