DER KING UND DIE KOPPEL - Museum Nortorf
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VINYL AUF DEM LAND DER KING UND DIE KOPPEL 1948 tat sich im schleswig-holsteinischen Nortorf Historisches. Und das in atemberaubendem Tempo: Die Telefunken- Schallplatten GmbH zog in den Ort und verwandelte eine ehemalige Lederfabrik in ein Presswerk. Bereits zwei Jahre später hatte das Unternehmen eine Million Platten hergestellt. Das DEUTSCHE SCHALLPLATTENMUSEUM hält dieses gewichtige Stück Musikhistorie lebendig. text: ingo scheel | fotos: henning kretschmer 56 56-61 VinylLand_Plattenmuseum.indd 56 29.04.19 19:28
MINT MAI 2019 Hier spielt die Musik: Das Deutsche Schallplattenmuseum liegt auf dem Land – und an historischer Stätte 57 56-61 VinylLand_Plattenmuseum.indd 57 29.04.19 19:28
VINYL AUF DEM LAND W ieso heißt die Apotheke hier ei- gentlich nicht Teldec-Apotheke?“, entfährt es Thomas Perkuhn plötz- lich. Wir laufen auf ein Einkaufszen- trum zu, unser Ziel ist eine der einsti- gen Produktionshallen des Presswerks, das in Nortorf den Sitz hatte. Hinter uns liegt das Deutsche Schallplattenmuseum, durch das wir bis eben überaus lehrreich und unterhaltsam geführt wurden, vor uns der sogenannte Tel- dec-Park, also das Gelände, auf dem einst die Firma Telefunken Musik von Vico Torriani und Caterina Valente, Udo Lindenberg, Peter Maffay und Hunderten mehr in Vinyl-Form brachte und in die Welt verschickte. Die „Telefunken Gesellschaft für drahtlose Telegraphie“ zählt zu den Pionieren der Rundfunk-Geschichte in Deutschland. Sie produzierte die ersten Radios für private Haus- halte, darunter auch den legendären Arcofar, eine Kombination aus Radioempfänger und elektrischem Plattenspieler. Nach der Fusion mit dem AEG-Konzern nahm die Historie des Unternehmens schließlich richtig Fahrt auf. Viele der Tonträger wurden in den 30ern noch bei der Deutschen Grammophon in Hannover hergestellt, bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bildeten neben Klassik auch Swing und Jazz die Schwerpunkte der Veröffentli- chungen, Künstler wie Django Reinhardt, Stan Brenders und Eddie Towers. Das Jahr 1948 brachte dann einen entscheidenden Einschnitt – nicht nur für das Unternehmen Teldec, son- dern auch für die Stadt Nortorf. Dieses Kapitel deutscher Musikgeschichte lässt sich in den Räumen des Schallplattenmu- seums intensiv nacherleben. Das Museums- team aus Thomas Perkuhn, Achim Dröge und Bernd Lacher führt uns durch den äußerlich ein wenig unscheinbar wirkenden Bau aus dunkelrotem Backstein. „Den Anfang nahm alles noch vor dem Krieg. Ein Herr Heidenreich von Telefunken und ein Herr Köster der Nor- torfer Lederfabrik hatten sich auf einer Kur kennengelernt und Adressen ausgetauscht“, erzählt Perkuhn. „Nach Ende des Krieges nah- men die beiden wieder Kontakt auf.“ Dabei stellte man fest, dass es trotz der höchst unter- schiedlichen Geschäftsfelder auch grundlegen- de Gemeinsamkeiten gab. Trotz der Zerstörung zahlreicher Fabrikanlagen war es Telefunken gelungen, Werksmaschinen, Matrizen und einiges mehr in Sicherheit zu bringen. Beim Gedanken an einen Wiederaufbau fiel Heiden- reich der gute Köster wieder ein. „In der Nortor- fer Lederfabrik gab es alles, was man zur Her- stellung von Platten braucht: Pressen, Druckluft und heißes Wasser“, fährt Perkuhn fort. „So entstand das alles. 1948 wurden dann hier die ersten Schellackplatten gepresst.“ Der Name Teldec entstammt der Fusion von Telefunken mit dem britischen Unternehmen Decca, deren Tochtergesellschaft in der Schweiz Musiker wie Hans Albers und Vico Torriani unter Vertrag hatte. Von Nortorf aus zog die Musik schließlich hinaus in deutsche Teldec an der Wand, Udo auf dem Acker: Museumsführer Thomas Perkuhn Städte und in das europäische Ausland. Die breitet zu fast jedem Exponat der Ausstellung eine charmante Anekdote aus 58 56-61 VinylLand_Plattenmuseum.indd 58 29.04.19 19:28
MINT MAI 2019 millionste hier gepresste Platte, in den merkt man schnell – verbindet die Liebe für Zwirn und versammelte sich um die Musik- Räumen des Museums zu bewundern, er- Tonträger und historische Hardware. Lacher truhe, um eine Schallplatte zu hören.“ schien im Sommer 1950, eine Version des ist dabei mehr fürs Technische, Perkuhn „Hier kommen wir jetzt in die dunkle Zeit, legendären Harry Lime-Themas aus dem eher für die historischen Aspekte zuständig. da ist nicht nur der Koffer braun“, kommen- Film-Noir-Klassiker Der dritte Mann. Auch „Thomas war eigentlich ein Besucher hier, tiert Lacher das nächste Ausstellungsstück, alle Elvis-Presley-Platten, die Fans zwi- dann habe ich ihn ein bisschen angesteckt, ein Koffer-Abspielgerät aus der Zeit der schen Flensburg und Alt-Ötting wenige und schließlich kam er mit ins Team“, erin- Wehrmacht. Der Song, der darauf abgespielt Jahre später vom mühsam gesparten Geld nert sich Lacher an den Beginn ihrer ehren- wird, ist ungleich beschwingter als der politi- erstanden, wurden in Nortorf gepresst. Der amtlichen Tätigkeit für das Museum. sche Kontext, eine Originalversion von Sin- King und die Koppel, eine bis heute faszinie- Der klangliche Exkurs beginnt Mitte des gin’ In The Rain. Immer sind neben den Klas- rende Geschichte und gleichzeitig Beleg für 19. Jahrhunderts, mit der Sichtbarmachung sikern auch jede Menge Kuriositäten zu fin- den Stellenwert des Plattenindustrie-Stand- von Klang. Lacher dreht die Kurbel des den, darunter Flexidiscs aus Fix-&-Foxi- orts Nortorf, der auch spätere Technologien ersten Aufzeichnungsgeräts von Schallwel- Heften, Werbe-Klappkarten für einen All- entscheidend mitentwickelt und vorange- len, ein geisterhafter Gesang erklingt. Wenig zweckkleber, in denen sich nicht nur die trieben hat, etwa das Direct Metal Mastering. später sind es Spielzeugpuppen, aus denen Schallfolie, sondern auch gleich noch eine Bis Ende der 80er wurden hier über 800 Stimmen – von kleinen Schallplatten im Halterung mit Tonabnehmer befindet, und Millionen Tonträger hergestellt. Innern abgespielt – erklingen, die nach natürlich die sogenannten Pappschis: Die „Mama“ rufen. Ein gutes Stichwort, auch ausgestanzten Mittellöcher der Singles, in Singende Geister Heintje findet sich hier auf Singles-Covern, den 50ern, 60ern und auch danach noch Der Weg von den Anfängen bis in die Zeit aus voller Brust schmetternd und mit seli- eine beliebte Schulhof-Währung in Nortorf der Moderne lässt sich im Schallplatten gem Blick. Dazu erklingt Enrico Caruso, und Umgebung, wenn es ans Pinschern oder museum so praxisnah wie faszinierend denn Lacher hat an einer weiteren Kurbel Piedeln, Ditschen oder Zwillern ging, jenes nacherleben. Früheste Tonrollen reihen sich gedreht: „Der erste multinationale Platten- Spiel, bei dem Münzen oder Karten Richtung an Grammofone, es folgen Röhrenradios star, wenn man so will. Die Lizenzen wur- Wand geworfen werden und derjenige, der und der berühmte „Schneewittchen-Sarg“, den weltweit vergeben, die Platten haben am nächsten dran war, die Münzen – oder die stilprägende Kompaktanlage aus dem sich millionenfach verkauft.“ eben die Mittelstücke, die Pappschis – aus Hause Braun. Neben Perkuhn ist es vor al- Die meisten Geräte und Apparate, die hier dem Wurf behalten durfte. Regelmäßig ka- lem Lacher, der mit seinen Historien die zu bewundern sind, wurden dem Museum men damals Kinder zum Presswerk, um sich Geschichte vor Ort mit Leben füllt. In seinen gestiftet, nicht selten von Privatpersonen. die begehrten „Rundstücke“ abzuholen. Ausführungen verbindet er technische De- „Das meiste sind Spenden“, sagt Lacher. „Es tails mit so verblüffenden wie amüsanten kommen Leute zu uns, die etwas auf dem Udo im Kuhstall Anekdoten; hier ist der Name des Museums- Dachboden gefunden haben oder Teile einer Eines der Highlights ist ein Exponat, mit führers gewissermaßen Programm. Zugleich Erbschaft in unserem Museum gut aufgeho- dem Udo Lindenberg sich in Nortorf ver- ist der Ingenieur Lacher ein Mann vom Fach, ben wissen möchten. Sie überlassen sie uns ewigt hat, dessen Platten hier ebenfalls bis der mit seiner Ausbildung beim ebenfalls im als Exponate. Man muss sich vor Augen 1988 gepresst wurden. Museumschef Lutz hohen Norden ansässigen Unternehmen halten, dass wir es hier mit historischem Bertram hatte mit Zeitzeugen gesprochen, Elac die besten Voraussetzungen mitbringt, High End zu tun haben. Die Geräte waren deren Erinnerung an die Besuche des Panik- um die Besucher entlang der Exponate sehr teuer, dafür gingen damals Monatsge- rockers nicht nur mündlich überliefert, durch die deutsche Musikgeschichte zu hälter drauf. Wenn es während des Kriegs sondern auch in Gästebüchern und auf führen. „Dass heute bei Elac wieder Platten- Bombenalarm gab, brachte man diese Sa- Schwarz-Weiß-Aufnahmen festgehalten spieler hergestellt werden, freut mich natür- chen als erstes in den Keller. Und benutzt sind: Udo auf dem Acker. Udo im Kuhstall. lich ganz besonders“, bekennt Lacher und wurden sie oft nur einmal die Woche: Am Und Udo auf Vinyl – zusammen mit einer Perkuhn nickt lächelnd. Die beiden – das Sonntag warf sich die Familie in schicken skurrilen Band namens Hooge Singers, 1969 59 56-61 VinylLand_Plattenmuseum.indd 59 29.04.19 19:28
VINYL AUF DEM LAND „Man riecht fast noch das Bier und den Zigarettenqualm. Das ist die originale Jukebox aus dem Silbersack, der legendären Kneipe auf dem Hamburger Kiez.“ THOMAS PERKUHN unter dem Titel Holidays auf Hallig Hooge Stable Blues und Dixie Jass Band One Step Im Keller und oben in den Büroräumen erschienen, am Schlagzeug Lindenberg noch einmal ein, das Ganze wurde via lagern weitere Schätze, etwa alte Konstruk- selbst. Die Widmung im Gästebuch ist zeit- Teldec als 7-Inch-Single veröffentlicht und tionspläne und das Originalmodell des los legendär und bis heute gültiges Udo- fand selbstverständlich ebenfalls einen Teldec-Werks, vor vielen Jahrzehnten vom Mantra: „Keine Panik!“ festen Platz im Museum. Architekten Rüdiger Treichel gestaltet. So Es ist nicht der einzige Berührungspunkt Damit hat die geschichtsträchtige Single lebendig die Musikkultur in den Räumen zwischen Museum und Hamburger Kultur- vielen Hunderten, ja Tausenden weiteren des Museums wirkt, so melancholisch wird geschichte. Im Nebenraum steht, neben Exponaten einiges voraus. Denn einen kur- man hier. Denn das alte Kesselhaus ist zum etlichen Bandmaschinen (Perkuhns Faible) zen Spaziergang später, über ein Stück tau- Politikum verkommen. Längst sollten Pla- und diversen Plattenspielern der Neuzeit nasse Wiese und an der besagten Apotheke nungen für ein umfassendes, neues Muse- auch eine Jukebox. „Drückt mal einen vorbei, stehen wir schließlich in der letzten um anlaufen, doch auf den Modellen der Song!“, fordert Perkuhn uns auf. Der Blick noch existierenden Halle der einstigen Le- Studenten der Kunsthochschule in Kiel, die geht über die kleinen Schilder mit der Titel- der- und späteren Plattenfabrik, dem Kessel- im Rahmen eine Ideenwettbewerbs ent- aufschrift. Schlager und Stimmungslieder haus. Darin lagern weitere musikhistorische standen sind, hat sich eine Staubschicht ignorieren wir und entscheiden uns für Schätze von beeindruckendem Ausmaß: gebildet. „Es ist schon tragisch, dass hier Abbas The Name Of The Game. Lacher öffnet zwei originale Plattenpress-Maschinen sowie bislang nichts passiert ist. Das ist alles ein- die Truhe. „Hier sieht man den Grund dafür, maßgeschneiderte LP-Regale auf Rollen, mit malige Geschichte, die Fülle der Gegenstän- warum die Singles große Löcher haben, denen einst die frisch gepressten Platten in de, Dokumente und Originale ist immens“, warum es Pappschis überhaupt gab: damit die Abteilung Qualitätssicherung gebracht beklagt Lacher, während Perkuhn und Drö- die Greifarme der Musiktruhen die Platten wurden. Die Aufgabe der dort Werktätigen: ge bedächtig nicken. besser transportieren können“, erläutert er, jede 200. Platte anhören, testen, auf Fehler Tatsächlich: Die Räume des Schallplatten- während Agneta und Anni-Frid dazu im untersuchen. Dazu gibt es antike TV-Geräte, museums lassen erahnen, was noch möglich Hintergrund singen. „Und weißt du, woher bestens erhalten, etwa den legendären Wega- wäre, böte man diesem Stück deutscher das Teil stammt?“, fragt Perkuhn rhetorisch. Monitor, Hunderte von Originalplakaten, alte Kulturgeschichte den Raum, die angemesse- „Man riecht fast noch das Bier und den Ziga- Werbetafeln, zig Tausende Schallplatten, die ne Ausstellungsfläche. Seit Jahren jedoch rettenqualm. Das ist die originale Jukebox auf Archivierung warten. An der Wand hängt streiten Parteien, Arbeitsgruppen und Stadt- aus dem Silbersack, der legendären Kneipe eine Kassetten-Kopier-Apparatur, meterhoch verordnetenversammlung um Budgets und auf dem Hamburger Kiez.“ bis unter die Decke, davor ein alter Tresen, Finanzierung des Projektes. Nicht zuletzt Zu einem ganz besonderen Jubiläum der sich prima im Empfangsbereich eines damit der Elan und die Leidenschaft von gab es 2017 sogar noch einmal eine Ver- neugestalteten Museums machen würde. Idealisten wie Perkuhn, Lacher und Dröge öffentlichung unter dem Labelnamen Ebenso wie die Anhörtheke mit den Telefon- nicht versiegen, empfiehlt sich ein Besuch Teldec. Anlass war der 100. Jahrestag der hörern und den beiden Plattenspielern, die des Museums in Nortorf, dieser unterhalt- ersten Jazz-Schallplatte überhaupt, aufge- von Lacher liebevoll auf Vordermann ge- sam-lehrreiche Trip in die Annalen der nommen von der Original Dixieland Jass bracht worden sind – so gut erhalten, als Vinyl-Historie. Das Museum ist sonntags Band (später „Jazz“ geschrieben). Um es hätte sich eben erst jemand eine frisch er- zwischen 14 und 17 Uhr sowie nach Abspra- gebührend zu feiern, spielten Doc Koehlers schienene Single von Fred Bertelmann oder che geöffnet. Auf https://museum-nortorf.de Sultans Of Swing die beiden Songs Livery den Archies darauf angehört. finden sich weitere Informationen. 60 56-61 VinylLand_Plattenmuseum.indd 60 29.04.19 19:29
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