DER KING UND DIE KOPPEL - Museum Nortorf

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DER KING UND DIE KOPPEL - Museum Nortorf
VINYL AUF DEM LAND

                                DER KING UND
                                 DIE KOPPEL
                                 1948 tat sich im schleswig-holsteinischen Nortorf Historisches.
                                    Und das in atemberaubendem Tempo: Die Telefunken-
                                  Schallplatten GmbH zog in den Ort und verwandelte eine
                                   ehemalige Lederfabrik in ein Presswerk. Bereits zwei Jahre
                                 später hatte das Unternehmen eine Million Platten hergestellt.
                                      Das DEUTSCHE SCHALLPLATTENMUSEUM hält
                                         dieses gewichtige Stück Musikhistorie lebendig.
                                        text: ingo scheel | fotos: henning kretschmer

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DER KING UND DIE KOPPEL - Museum Nortorf
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                                         Hier spielt die Musik: Das Deutsche
                                        Schallplattenmuseum liegt auf dem
                                           Land – und an historischer Stätte

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                      ieso heißt die Apotheke hier ei-
                     gentlich nicht Teldec-Apotheke?“,
                    entfährt es Thomas Perkuhn plötz-
                   lich. Wir laufen auf ein Einkaufszen-
                  trum zu, unser Ziel ist eine der einsti-
       gen Produktionshallen des Presswerks, das in
       Nortorf den Sitz hatte. Hinter uns liegt das
       Deutsche Schallplattenmuseum, durch das wir
       bis eben überaus lehrreich und unterhaltsam
       geführt wurden, vor uns der sogenannte Tel-
       dec-Park, also das Gelände, auf dem einst die
       Firma Telefunken Musik von Vico Torriani und
       Caterina Valente, Udo Lindenberg, Peter Maffay
       und Hunderten mehr in Vinyl-Form brachte
       und in die Welt verschickte.
          Die „Telefunken Gesellschaft für drahtlose
       Telegraphie“ zählt zu den Pionieren der
       Rundfunk-Geschichte in Deutschland. Sie
       produzierte die ersten Radios für private Haus-
       halte, darunter auch den legendären Arcofar,
       eine Kombination aus Radioempfänger und
       elektrischem Plattenspieler. Nach der Fusion
       mit dem AEG-Konzern nahm die Historie des
       Unternehmens schließlich richtig Fahrt auf.
       Viele der Tonträger wurden in den 30ern noch
       bei der Deutschen Grammophon in Hannover
       hergestellt, bis zum Ausbruch des Zweiten
       Weltkrieges bildeten neben Klassik auch Swing
       und Jazz die Schwerpunkte der Veröffentli-
       chungen, Künstler wie Django Reinhardt, Stan
       Brenders und Eddie Towers. Das Jahr 1948
       brachte dann einen entscheidenden Einschnitt
       – nicht nur für das Unternehmen Teldec, son-
       dern auch für die Stadt Nortorf.
          Dieses Kapitel deutscher Musikgeschichte
       lässt sich in den Räumen des Schallplattenmu-
       seums intensiv nacherleben. Das Museums-
       team aus Thomas Perkuhn, Achim Dröge und
       Bernd Lacher führt uns durch den äußerlich
       ein wenig unscheinbar wirkenden Bau aus
       dunkelrotem Backstein. „Den Anfang nahm
       alles noch vor dem Krieg. Ein Herr Heidenreich
       von Telefunken und ein Herr Köster der Nor-
       torfer Lederfabrik hatten sich auf einer Kur
       kennengelernt und Adressen ausgetauscht“,
       erzählt Perkuhn. „Nach Ende des Krieges nah-
       men die beiden wieder Kontakt auf.“ Dabei
       stellte man fest, dass es trotz der höchst unter-
       schiedlichen Geschäftsfelder auch grundlegen-
       de Gemeinsamkeiten gab. Trotz der Zerstörung
       zahlreicher Fabrikanlagen war es Telefunken
       gelungen, Werksmaschinen, Matrizen und
       einiges mehr in Sicherheit zu bringen. Beim
       Gedanken an einen Wiederaufbau fiel Heiden-
       reich der gute Köster wieder ein. „In der Nortor-
       fer Lederfabrik gab es alles, was man zur Her-
       stellung von Platten braucht: Pressen, Druckluft
       und heißes Wasser“, fährt Perkuhn fort. „So
       entstand das alles. 1948 wurden dann hier die
       ersten Schellackplatten gepresst.“
          Der Name Teldec entstammt der Fusion von
       Telefunken mit dem britischen Unternehmen
       Decca, deren Tochtergesellschaft in der
       Schweiz Musiker wie Hans Albers und Vico
       Torriani unter Vertrag hatte. Von Nortorf aus
       zog die Musik schließlich hinaus in deutsche            Teldec an der Wand, Udo auf dem Acker: Museumsführer Thomas Perkuhn
       Städte und in das europäische Ausland. Die            breitet zu fast jedem Exponat der Ausstellung eine charmante Anekdote aus

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          millionste hier gepresste Platte, in den        merkt man schnell – verbindet die Liebe für     Zwirn und versammelte sich um die Musik-
          Räumen des Museums zu bewundern, er-            Tonträger und historische Hardware. Lacher      truhe, um eine Schallplatte zu hören.“
          schien im Sommer 1950, eine Version des         ist dabei mehr fürs Technische, Perkuhn            „Hier kommen wir jetzt in die dunkle Zeit,
          legendären Harry Lime-Themas aus dem            eher für die historischen Aspekte zuständig.    da ist nicht nur der Koffer braun“, kommen-
          Film-Noir-Klassiker Der dritte Mann. Auch       „Thomas war eigentlich ein Besucher hier,       tiert Lacher das nächste Ausstellungsstück,
          alle Elvis-Presley-Platten, die Fans zwi-       dann habe ich ihn ein bisschen angesteckt,      ein Koffer-Abspielgerät aus der Zeit der
          schen Flensburg und Alt-Ötting wenige           und schließlich kam er mit ins Team“, erin-     Wehrmacht. Der Song, der darauf abgespielt
          Jahre später vom mühsam gesparten Geld          nert sich Lacher an den Beginn ihrer ehren-     wird, ist ungleich beschwingter als der politi-
          erstanden, wurden in Nortorf gepresst. Der      amtlichen Tätigkeit für das Museum.             sche Kontext, eine Originalversion von Sin-
          King und die Koppel, eine bis heute faszinie-      Der klangliche Exkurs beginnt Mitte des      gin’ In The Rain. Immer sind neben den Klas-
          rende Geschichte und gleichzeitig Beleg für     19. Jahrhunderts, mit der Sichtbarmachung       sikern auch jede Menge Kuriositäten zu fin-
          den Stellenwert des Plattenindustrie-Stand-     von Klang. Lacher dreht die Kurbel des          den, darunter Flexidiscs aus Fix-&-Foxi-
          orts Nortorf, der auch spätere Technologien     ersten Aufzeichnungsgeräts von Schallwel-       Heften, Werbe-Klappkarten für einen All-
          entscheidend mitentwickelt und vorange-         len, ein geisterhafter Gesang erklingt. Wenig   zweckkleber, in denen sich nicht nur die
          trieben hat, etwa das Direct Metal Mastering.   später sind es Spielzeugpuppen, aus denen       Schallfolie, sondern auch gleich noch eine
          Bis Ende der 80er wurden hier über 800          Stimmen – von kleinen Schallplatten im          Halterung mit Tonabnehmer befindet, und
          Millionen Tonträger hergestellt.                Innern abgespielt – erklingen, die nach         natürlich die sogenannten Pappschis: Die
                                                          „Mama“ rufen. Ein gutes Stichwort, auch         ausgestanzten Mittellöcher der Singles, in
          Singende Geister                                Heintje findet sich hier auf Singles-Covern,    den 50ern, 60ern und auch danach noch
          Der Weg von den Anfängen bis in die Zeit        aus voller Brust schmetternd und mit seli-      eine beliebte Schulhof-Währung in Nortorf
          der Moderne lässt sich im Schallplatten­        gem Blick. Dazu erklingt Enrico Caruso,         und Umgebung, wenn es ans Pinschern oder
          museum so praxisnah wie faszinierend            denn Lacher hat an einer weiteren Kurbel        Piedeln, Ditschen oder Zwillern ging, jenes
          nacherleben. Früheste Tonrollen reihen sich     gedreht: „Der erste multinationale Platten-     Spiel, bei dem Münzen oder Karten Richtung
          an Grammofone, es folgen Röhrenradios           star, wenn man so will. Die Lizenzen wur-       Wand geworfen werden und derjenige, der
          und der berühmte „Schneewittchen-Sarg“,         den weltweit vergeben, die Platten haben        am nächsten dran war, die Münzen – oder
          die stilprägende Kompaktanlage aus dem          sich millionenfach verkauft.“                   eben die Mittelstücke, die Pappschis – aus
          Hause Braun. Neben Perkuhn ist es vor al-          Die meisten Geräte und Apparate, die hier    dem Wurf behalten durfte. Regelmäßig ka-
          lem Lacher, der mit seinen Historien die        zu bewundern sind, wurden dem Museum            men damals Kinder zum Presswerk, um sich
          Geschichte vor Ort mit Leben füllt. In seinen   gestiftet, nicht selten von Privatpersonen.     die begehrten „Rundstücke“ abzuholen.
          Ausführungen verbindet er technische De-        „Das meiste sind Spenden“, sagt Lacher. „Es
          tails mit so verblüffenden wie amüsanten        kommen Leute zu uns, die etwas auf dem          Udo im Kuhstall
          Anekdoten; hier ist der Name des Museums-       Dachboden gefunden haben oder Teile einer       Eines der Highlights ist ein Exponat, mit
          führers gewissermaßen Programm. Zugleich        Erbschaft in unserem Museum gut aufgeho-        dem Udo Lindenberg sich in Nortorf ver-
          ist der Ingenieur Lacher ein Mann vom Fach,     ben wissen möchten. Sie überlassen sie uns      ewigt hat, dessen Platten hier ebenfalls bis
          der mit seiner Ausbildung beim ebenfalls im     als Exponate. Man muss sich vor Augen           1988 gepresst wurden. Museumschef Lutz
          hohen Norden ansässigen Unternehmen             halten, dass wir es hier mit historischem       Bertram hatte mit Zeitzeugen gesprochen,
          Elac die besten Voraussetzungen mitbringt,      High End zu tun haben. Die Geräte waren         deren Erinnerung an die Besuche des Panik-
          um die Besucher entlang der Exponate            sehr teuer, dafür gingen damals Monatsge-       rockers nicht nur mündlich überliefert,
          durch die deutsche Musikgeschichte zu           hälter drauf. Wenn es während des Kriegs        sondern auch in Gästebüchern und auf
          führen. „Dass heute bei Elac wieder Platten-    Bombenalarm gab, brachte man diese Sa-          Schwarz-Weiß-Aufnahmen festgehalten
          spieler hergestellt werden, freut mich natür-   chen als erstes in den Keller. Und benutzt      sind: Udo auf dem Acker. Udo im Kuhstall.
          lich ganz besonders“, bekennt Lacher und        wurden sie oft nur einmal die Woche: Am         Und Udo auf Vinyl – zusammen mit einer
          Perkuhn nickt lächelnd. Die beiden – das        Sonntag warf sich die Familie in schicken       skurrilen Band namens Hooge Singers, 1969

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                    „Man riecht fast noch das Bier und den Zigarettenqualm. Das ist die originale
                    Jukebox aus dem Silbersack, der legendären Kneipe auf dem Hamburger Kiez.“
                                                               THOMAS PERKUHN

       unter dem Titel Holidays auf Hallig Hooge       Stable Blues und Dixie Jass Band One Step          Im Keller und oben in den Büroräumen
       erschienen, am Schlagzeug Lindenberg            noch einmal ein, das Ganze wurde via            lagern weitere Schätze, etwa alte Konstruk-
       selbst. Die Widmung im Gästebuch ist zeit-      Teldec als 7-Inch-Single veröffentlicht und     tionspläne und das Originalmodell des
       los legendär und bis heute gültiges Udo-        fand selbstverständlich ebenfalls einen         Teldec-Werks, vor vielen Jahrzehnten vom
       Mantra: „Keine Panik!“                          festen Platz im Museum.                         Architekten Rüdiger Treichel gestaltet. So
          Es ist nicht der einzige Berührungspunkt       Damit hat die geschichtsträchtige Single      lebendig die Musikkultur in den Räumen
       zwischen Museum und Hamburger Kultur-           vielen Hunderten, ja Tausenden weiteren         des Museums wirkt, so melancholisch wird
       geschichte. Im Nebenraum steht, neben           Exponaten einiges voraus. Denn einen kur-       man hier. Denn das alte Kesselhaus ist zum
       etlichen Bandmaschinen (Perkuhns Faible)        zen Spaziergang später, über ein Stück tau-     Politikum verkommen. Längst sollten Pla-
       und diversen Plattenspielern der Neuzeit        nasse Wiese und an der besagten Apotheke        nungen für ein umfassendes, neues Muse-
       auch eine Jukebox. „Drückt mal einen            vorbei, stehen wir schließlich in der letzten   um anlaufen, doch auf den Modellen der
       Song!“, fordert Perkuhn uns auf. Der Blick      noch existierenden Halle der einstigen Le-      Studenten der Kunsthochschule in Kiel, die
       geht über die kleinen Schilder mit der Titel-   der- und späteren Plattenfabrik, dem Kessel-    im Rahmen eine Ideenwettbewerbs ent-
       aufschrift. Schlager und Stimmungslieder        haus. Darin lagern weitere musikhistorische     standen sind, hat sich eine Staubschicht
       ignorieren wir und entscheiden uns für          Schätze von beeindruckendem Ausmaß:             gebildet. „Es ist schon tragisch, dass hier
       Abbas The Name Of The Game. Lacher öffnet       zwei originale Plattenpress-Maschinen sowie     bislang nichts passiert ist. Das ist alles ein-
       die Truhe. „Hier sieht man den Grund dafür,     maßgeschneiderte LP-Regale auf Rollen, mit      malige Geschichte, die Fülle der Gegenstän-
       warum die Singles große Löcher haben,           denen einst die frisch gepressten Platten in    de, Dokumente und Originale ist immens“,
       warum es Pappschis überhaupt gab: damit         die Abteilung Qualitätssicherung gebracht       beklagt Lacher, während Perkuhn und Drö-
       die Greifarme der Musiktruhen die Platten       wurden. Die Aufgabe der dort Werktätigen:       ge bedächtig nicken.
       besser transportieren können“, erläutert er,    jede 200. Platte anhören, testen, auf Fehler       Tatsächlich: Die Räume des Schallplatten-
       während Agneta und Anni-Frid dazu im            untersuchen. Dazu gibt es antike TV-Geräte,     museums lassen erahnen, was noch möglich
       Hintergrund singen. „Und weißt du, woher        bestens erhalten, etwa den legendären Wega-     wäre, böte man diesem Stück deutscher
       das Teil stammt?“, fragt Perkuhn rhetorisch.    Monitor, Hunderte von Originalplakaten, alte    Kulturgeschichte den Raum, die angemesse-
       „Man riecht fast noch das Bier und den Ziga-    Werbetafeln, zig Tausende Schallplatten, die    ne Ausstellungsfläche. Seit Jahren jedoch
       rettenqualm. Das ist die originale Jukebox      auf Archivierung warten. An der Wand hängt      streiten Parteien, Arbeitsgruppen und Stadt-
       aus dem Silbersack, der legendären Kneipe       eine Kassetten-Kopier-Apparatur, meterhoch      verordnetenversammlung um Budgets und
       auf dem Hamburger Kiez.“                        bis unter die Decke, davor ein alter Tresen,    Finanzierung des Projektes. Nicht zuletzt
          Zu einem ganz besonderen Jubiläum            der sich prima im Empfangsbereich eines         damit der Elan und die Leidenschaft von
       gab es 2017 sogar noch einmal eine Ver-         neugestalteten Museums machen würde.            Idealisten wie Perkuhn, Lacher und Dröge
       öffentlichung unter dem Labelnamen              Ebenso wie die Anhörtheke mit den Telefon-      nicht versiegen, empfiehlt sich ein Besuch
       Teldec. Anlass war der 100. Jahrestag der       hörern und den beiden Plattenspielern, die      des Museums in Nortorf, dieser unterhalt-
       ersten Jazz-Schallplatte überhaupt, aufge-      von Lacher liebevoll auf Vordermann ge-         sam-lehrreiche Trip in die Annalen der
       nommen von der Original Dixieland Jass          bracht worden sind – so gut erhalten, als       Vinyl-Historie. Das Museum ist sonntags
       Band (später „Jazz“ geschrieben). Um es         hätte sich eben erst jemand eine frisch er-     zwischen 14 und 17 Uhr sowie nach Abspra-
       gebührend zu feiern, spielten Doc Koehlers      schienene Single von Fred Bertelmann oder       che geöffnet. Auf https://museum-nortorf.de
       Sultans Of Swing die beiden Songs Livery        den Archies darauf angehört.                    finden sich weitere Informationen.

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