Radfahren verbindet Anregungen für Organisationen und Personen der Bereiche Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Mobilität, Integration & Frauen- und ...

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Radfahren verbindet Anregungen für Organisationen und Personen der Bereiche Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Mobilität, Integration & Frauen- und ...
Radfahren verbindet
Anregungen für Organisationen und Personen
der Bereiche Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Mobilität,
Integration & Frauen- und Gesundheitsförderung,
die radinteressierte Frauen unterstützen wollen.

Wien, Oktober 2017
Radfahren verbindet Anregungen für Organisationen und Personen der Bereiche Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Mobilität, Integration & Frauen- und ...
Radfahren verbindet Anregungen für Organisationen und Personen der Bereiche Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Mobilität, Integration & Frauen- und ...
Inhalt
Vorwort ................................................................................................................................................... 2
Latente Radfahrbedürfnisse .................................................................................................................... 3
Nachhaltiger Bedarf an Radkursen für Frauen ........................................................................................ 4
Modell: Modulares Fördersystem für radinteressierte Frauen .............................................................. 5
Bewusstseinsarbeit: Warum sollen Migrantinnen (mehr) Fahrrad fahren? ........................................... 6
Radfahren – Mythen und Fakten ............................................................................................................ 7
Gestaltung von Informationsveranstaltungen zu Gesundheit und Radfahren ....................................... 9
Radfahrende Migrantinnen stärker öffentlich sichtbar machen .......................................................... 11
Migrantinnen sichtbar machen und Raderlebnisse verbinden ............................................................. 12
Implementierung von Radkursen mit unterschiedlichen Lernniveaus ........................................................ 13
Übungsmodul „Leihrad-Nutzung“ für leichteren Radzugang ................................................................ 18
Was wissen radinteressierte Migrantinnen über „Citybike Wien“? ..................................................... 20
Was wünschen sich Radkursteilnehmerinnen, um Radsicherheit zu gewinnen? ................................. 21
Internationale Good Practices Radförderung radinteressierter Frauen ............................................... 22
Fazit ....................................................................................................................................................... 26
AutorInnen ............................................................................................................................................ 27
Literatur ................................................................................................................................................. 28
Impressum ............................................................................................................................................. 29

1
Radfahren verbindet Anregungen für Organisationen und Personen der Bereiche Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Mobilität, Integration & Frauen- und ...
Vorwort
Seit 2010 ist der Klima- und Energiefonds für österreichische Städte und Stadtregionen ein wichtiger
Partner und Wegbegleiter auf ihrem Weg zur intelligenten, nachhaltigen Stadtentwicklung. Die
österreichischen Städte und Regionen haben in den vergangenen Jahren bei vielen Gelegenheiten
bewiesen, dass sie bereit sind, klimarelevante intelligente Lösungen zu entwickeln.

Die Gestaltung umweltverträglicher und bedürfnisorientierter Mobilitätslösungen ist für die
Umsetzung der Vorhaben der Pariser Klimakonferenz essentiell: Bis 2050 sollen die
Treibhausgasemissionen in den Industrieländern und damit auch in Österreich um mindestens
80 Prozent reduziert werden.

Um diese ambitionierten Ziele erreichen zu können ist es notwendig, im Bereich Mobilität den Umstieg
stärker als bisher voranzutreiben. Die gezielte Förderung emissionsloser Mobilitätsformen wie zu Fuß
gehen und Radfahren gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung. Gezielte Förderung heißt in diesem
Zusammenhang, alle sozialen Gruppen in einer zielgruppenadäquaten Form für nachhaltige Mobilität
zu adressieren. Dabei sollten auch bisher weniger beachtete Zielgruppen in den Fokus gerückt werden.
Um diese zu erreichen, ist es von großer Bedeutung, Erkenntnisse über diese sozialen Gruppen zu
gewinnen. Eine solche Gruppe sind beispielsweise Frauen mit Migrationshintergrund.

Es ist dem Klima- und Energiefonds in den vergangenen Jahren durch seine aktive Netzwerkarbeit
gelungen, eine entscheidende Brücke zwischen Forschung und Umsetzung innovativer Lösungen zu
schlagen. Wir unterstützen daher die Verbreitung der Forschungsergebnisse zur Mobilität von Frauen
mit Migrationshintergrund, die das Konsortium um das Institut für Höhere Studien erarbeitet hat. Mit
der vorliegenden Broschüre soll aktuelles Wissen über ungenutzte Mobilitätspotenziale bei
Migrantinnen sowie Wissen über überwindbare Barrieren, vor allem aber über nachahmenswerte
Good Practices zeitnah verbreitet werden.

Interessierte Städte und Organisationen können diese Forschungsergebnisse zur Radmobilität von
Migrantinnen für die Entwicklung und Umsetzung örtlicher Maßnahmen nutzen, ohne dass das Rad im
wahrsten Sinn des Wortes überall neu erfunden werden muss: Der weitere Ausbau der Vernetzung
zwischen ForscherInnen und VertreterInnen in Städten und Stadtregionen ist dabei durchaus
erwünscht!

Theresia Vogel
Geschäftsführerin des Klima- und Energiefonds

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Radfahren verbindet Anregungen für Organisationen und Personen der Bereiche Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Mobilität, Integration & Frauen- und ...
Latente Radfahrbedürfnisse
Über die Alltagsmobilität von Frauen mit Migrationshintergrund wissen wir bisher sehr wenig. Daher ging
das Forschungsprojekt „MigRad – Migrantinnen erobern das Fahrrad“ der Frage nach, ob Frauen mit
Migrationshintergrund Interesse am Radfahren haben und welche Rahmenbedingungen sie brauchen (vgl.
Segert et al. 2015).

Abbildung 1: Chancen und Barrieren für radinteressierte Migrantinnen, Quelle: Segert et al. 2015, 65

Zentrales Ergebnis der Studie                                      Vielfalt an Barrieren erfordert modulares
„MigRad – Migrantinnen erobern                                     Fördersystem:
das Fahrrad“
                                                                   1.        Erwachsenenradkurse mit
Viele Frauen mit Migrationshintergrund würden                                unterschiedlichen Lernniveaus speziell
gern Radfahren, sie werden aber daran durch                                  für Frauen
vielfältige Barrieren teils ein Leben lang
                                                                   2.        Hilfe beim Zugang zu einem
gehindert.
                                                                             fahrtüchtigen Fahrrad

Wichtige Barrieren:                                                3.        Bewusstseinsbildende und
Das Radfahren wurde in der Kindheit nicht                                    motivationsfördernde Events, um Ängste
erlernt. Die Frauen haben kein eigenes Rad und                               abzubauen und die Motivation, Rad zu
oft auch keinen Zugang zu einem Leihrad. Wenn                                fahren, zu stärken.
sich das Umfeld aber ändert, werden bisher
blockierte latente Bedürfnisse geweckt, und viele
Frauen werden aktiv.                                                    .

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Nachhaltiger Bedarf an
Radkursen für Frauen
Forschungsergebnisse der Befragung von Teilnehmerinnen an Radkursen im
Zeitraum 2012 bis 2017 [N=119]

Dreiviertel der Teilnehmerinnen können nach dem Besuch eines Erwachsenenradkurses für Anfängerinnen
eigenständig Fahrrad fahren. Wirklich sicher fühlen sich die meisten aber erst nach der Teilnahme an einem
Fortgeschrittenenkurs.

                             Selbsteinschätzung erworbener
                             Radfahrfähigkeiten nach Kursart

                 Fortgeschrittenenkurs            10%                51%                        31%       8%

                     Anfängerinnenkurs             12%      21%             30%                  37%

                   Ich fahre gut überall
                   Ich fahre gut auf Radwegen/ ruhigen Straßen
                   Ich fahre gut im Schonraum
                   Ich kann nicht/traue mich nicht außerhalb des Kurses zu fahren

Abbildung 2: Selbsteinschätzung erworbener Radfahrfähigkeiten, Quelle: Segert et al. 2017, 47

Nachhaltige Lernmotivation                                        Grundidee des Modells:
                                                                  Temporäre Einzelmaßnahmen reichen nicht.
35% der Teilnehmerinnen wünschen sich nach                        Es braucht ein aufeinander abgestimmtes
Abschluss des Anfängerinnenkurses eine weitere                    System mit 3 Förderschwerpunkten:
Teilnahme an einem Fortgeschrittenenkurs. 40%
wünschen sich geführte Ausflüge.                                  Zielgruppenadäquate Bewusstseinsarbeit

Damit mehr radinteressierte Frauen mit                            Radkurse unterschiedlicher Lernstufen
Migrationshintergrund ihren latenten
Radfahrwunsch realisieren, haben wir ein                          Hilfe beim Radzugang
modulares Fördermodell entwickelt.

                                                                                                               4
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Modell: Modulares Fördersystem
für radinteressierte Frauen

Abbildung 3: Modell „Modulares Fördersystem für radinteressierte Frauen“, Quelle: Segert et al. 2015, 69
Auf den folgenden Seiten wird die Arbeit an diesem Modell dargestellt.

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Bewusstseinsarbeit: Warum
sollen Migrantinnen (mehr)
Fahrrad fahren?
Forschungsergebnis                                  Bundesministerium für Gesundheit und Frauen,
Migrantinnen, die gern Radfahren würden, sind       2011).
nicht selten unschlüssig, ob das gut für ihre
Gesundheit ist.                                     Im Detail leiden Migrantinnen vergleichsweise
                                                    häufiger unter:
Daher ist Aufklärungsarbeit wichtig:
                                                       Diabetes
Radfahren hält gesund –
das gilt für alle, auch für Migrantinnen.              Bluthochdruck
Radfahren hat aber noch mehr Wirkungen: Es             Adipositas
kann helfen, gesundheitliche Belastungen zu
                                                       Schilddrüsenerkrankungen
lindern oder zu überwinden.
                                                       orthopädischen Erkrankungen
Migration ist per se kein Gesundheitsrisiko.           psychischen Erkrankungen.
Traumatische Migrationserfahrungen sowie damit
verbundene soziale und psychische
                                                    Alle diese Erkrankungen können durch mehr und
Mehrfachbelastungen bringen jedoch
                                                    gezielte Bewegung positiv beeinflusst werden.
gesundheitliche Risiken mit sich.                   Doch dieser Sachverhalt muss vielen Frauen erst
                                                    bewusst gemacht werden.
Mit dem Gesundheitszustand in Österreich
lebender MigrantInnen befasste sich 2015
detailliert ein von der Arbeiterkammer Wien und
dem Bundesministerium für Gesundheit in
Auftrag gegebener Bericht (vgl. Anzenberger et
al. 2015). Dabei wurde festgestellt, dass
Personen mit Migrationshintergrund in Österreich
seltener einen sehr guten oder guten
Gesundheitszustand angeben als Personen ohne
Migrationshintergrund.

Dies trifft in besonderem Ausmaß auf Personen
aus der Türkei sowie aus dem ehemaligen
Jugoslawien zu. Auch ihren psychischen
Gesundheitszustand beschreiben Menschen mit
Migrationshintergrund als schlechter im Vergleich
zu jenen ohne Migrationshintergrund. Hinzu
kommen noch frauenspezifische
Mehrfachbelastungen. Diese führen laut
österreichischem Frauengesundheitsbericht zu
einer statistisch nachweisbaren Potenzierung von
Gesundheitsrisiken bei Migrantinnen (vgl.

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Radfahren – Mythen und Fakten
                                                   Erwachsene Frauen könnten Radfahren
                                                    nicht mehr erlernen;
                                                   Erwachsene Frauen, die Radfahren zu
                                                    lernen versuchen, würden stürzen. Daher sei
                                                    das Risiko eines zusätzlichen
                                                    gesundheitlichen Problems sehr hoch.
                                                   Frauen würden nicht genug Kondition bzw.
                                                    Fitness besitzen, um mit dem Radfahren
                                                    noch als Erwachsene zu beginnen.

                                                Solche und andere Vorurteile bzw. Ängste
                                                hindern einen Teil der Migrantinnen, die
                                                eigentlich Lust haben, Rad zu fahren, daran,
                                                damit auch tatsächlich zu beginnen.

                                                Diese gesundheitsbezogenen Irrtümer und
Frau am Rad mit Spaß und ohne Angst.            Ängste werden durch soziale Ängste und
Foto: Eliza Brunmayr, Radlobby Wien             negative Erfahrungen verstärkt:
                                                   Angst, von der eigenen Familie oder anderen
Oft erschwert eine Vielzahl von Ängsten bei         MuslimInnen abgelehnt zu werden;
Migrantinnen die Bereitschaft dieser Frauen,
                                                   Ängste im Straßenverkehr, vor allem vor
Radfahren im Erwachsenenalter nachholend zu
                                                    dem Autoverkehr;
erlernen oder an verschütteten Fähigkeiten
                                                   Verletzungsängste beim Erlernen sowie beim
anzuknüpfen und diese wieder aufzufrischen.
                                                    Fahren.
Diese Ängste wurzeln oft in verbreiteten
Irrtümern und Unwissenheit über den                Manche Kopftuchträgerinnen haben Angst
Zusammenhang von Radfahren und Gesundheit           vor Gerede in ihrer Community, aber auch
bzw. Krankheiten.                                   auf der Straße ganz allgemein.

Folgende Mythen sind unter Migrantinnen         Viele Gesundheitsargumente
verbreitet:                                     sprechen für das Radfahren
 Frauen dürften während der Menstruation
    nicht Radfahren;                            Regelmäßiges Radfahren stärkt die Gesundheit
 Frauen, die einen Kaiserschnitt hinter sich   von:
    haben, dürften nicht Radfahren;             - Herz-Kreislauf-System:
 Bei Frauen nach einer weiblichen                   Radfahren regt den Blutkreislauf an, steigert
    Genitalverstümmelung sei Radfahren               das Schlagvolumen des Herzens und
    unmöglich;                                       vergrößert dabei das Blutvolumen. So wird
 Beim Radfahren könnte das                          das Herz mit der Zeit effektiver und
    Jungfernhäutchen reißen;                         leistungsfähiger. Regelmäßiges Radfahren
 Arthrose würde Radfahren unmöglich                 verringert das Risiko einer im mittleren
    machen;                                          Lebensalter häufig auftretenden Herz-
 Radfahren würde die Wirbelsäule kaputt             Kreislauf-Erkrankung um das Vielfache.
    machen;

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Radfahren verbindet Anregungen für Organisationen und Personen der Bereiche Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Mobilität, Integration & Frauen- und ...
-   Atemwege:                                         -   Immunsystem:
    Durch Radfahren wird die Lunge gleichmäßig            Was viele nicht wissen: Radfahren ist eine
    mit   Sauerstoff    versorgt    und    die            sehr vorteilhafte Bewegungsmethode zur
    Atemmuskulatur gekräftigt.                            Stärkung des Immunsystems.

-   Gelenke:                                          -   Überschüssige Fettpolster:
    Radfahren ermöglicht eine gelenkschonende             Beim Radfahren können unliebsame
    Bewegung, weil der Sattel das                         Fettpölsterchen abgebaut werden, was
    Körpergewicht trägt. Somit eignet sich                Frauen jeden Alters anspricht.
    Radfahren auch für Menschen mit
    Übergewicht oder Gelenksproblemen.                -   Wohlfühleffekt:
                                                          Radfahren hat für alle einen enormen
-   Durchblutung:                                         Wohlfühleffekt, der bei psychischen
    Durch die regelmäßige Bewegung werden                 Belastungen besonders positiv wirkt. Anders
    Muskulatur und Gelenke bestens durchblutet            gesagt: Radfahren macht glücklich. Bei
    und versorgt. Somit eignet sich Radfahren             psychischen Erkrankungen kann sich
    auch für Menschen mit vielfältigen                    zusätzlich der soziale Kontakt beim
    gesundheitlichen Problemen.                           Radfahren sehr positiv auswirken.

-   Rücken:                                           Fazit
    Radfahren kräftig die Rückenmuskulatur.
    Dadurch wird die Wirbelsäule stabilisiert und     Radfahren ist für jede Frau geeignet, die ihr
    die Bandscheiben werden geschont. Die             Herz-Kreislauf-System trainieren, dabei aber
    Beweglichkeit verbessert sich, und die            auch die Gelenke schonen möchte. Von
    Koordination wird gestärkt.                       Übergewicht Betroffene profitieren ebenso wie
                                                      Diabetikerinnen, Menschen mit Herz-Kreislauf-
-   Ausdauer:                                         Erkrankungen oder Gelenksabnützungen sowie
    Regelmäßiges Radfahren trainiert die              an Depressionen Erkrankte. Durch den
    Ausdauer, was vielfältige positive Effekte hat.   Wohlfühleffekt kann nicht selten die Einnahme
                                                      von Medikamenten reduziert werden.
-   Muskulatur:
    Radfahren    trainiert  nicht   nur      die
    Beinmuskulatur, sondern auch die Rücken-
    und Bauchmuskulatur sowie die Schulter- und
    Armmuskulatur.

                                                                                                      8
Gestaltung von Informationsver-
anstaltungen zu Gesundheit und
Radfahren
Die vielfältigen Wissenslücken und                  Zum einen sind manche Frauen mit
verbreiteten Mythen erfordern eine                  Migrationshintergrund mit starken Vorbehalten,
systematische Aufklärungsarbeit unter               insbesondere in ihren Familien und in ihren
Migrantinnen über die Vorteile des                  ethnischen Communities, konfrontiert. Zudem
Radfahrens.                                         entwickeln sie selbst Ängste aufgrund ihrer
                                                    Migrationserfahrungen.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich
Gesundheitsveranstaltungen aller Art, aber auch     Zum anderen gibt es aber Tendenzen zu einem
Basisbildungskurse, Sprachkurse, Vereins- und       neu entwickelten Bewusstsein für
Nachbarschaftstreffen oder -feste sehr gut dafür    umweltfreundliche Transportmittel. In den letzten
eignen.                                             Jahren findet das Fahrradfahren auch bei
                                                    Migrantinnen immer mehr Aufmerksamkeit und
                                                    das Interesse, selbst Radfahren zu erlernen oder
Anleitung zur Gestaltung von                        wieder zu praktizieren, wird geweckt. Es bedarf
Informationsveranstaltungen                         jedoch einiger Hilfsmittel, um Migrantinnen zu
                                                    erreichen und sie zu motivieren.
Die Zahl der Menschen, die das Rad in der Stadt
häufig nutzen, nimmt zu. Das Fahrrad vereinfacht    Bewährt haben sich in unserer Arbeit:
den komplexen Alltag enorm, denn es lässt sich      ✓   Präsentationen bei Infoveranstaltungen;
überall schnell, einfach und direkt vor der Tür
                                                    ✓   Gestaltung von Plakaten mit Testimonials;
abstellen. Es verbraucht dadurch wenig Platz.
Gleichzeitig ist ein Fahrrad kostensparend im       ✓   Mehrsprachige Broschüren.
Gebrauch, egal, ob es zum Einkaufen oder in die
Arbeit, privat oder beruflich genutzt wird. Das     Radfahren lernen die meisten Menschen in der
Fahrrad ist ein Transportmittel, das in unserer     Kindheit. Daher gehört für Frauen, denen dies
heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken ist.           verwehrt bleib, Mut dazu, sich im
                                                    Erwachsenenalter als Radfahranfängerin in der
Es wäre schön, wenn möglichst viele Menschen        Öffentlichkeit zu zeigen, insbesondere als
unterschiedlicher Herkunft, Geschlecht, Religion    kopftuchtragende Muslimin. Aus diesem Grund
und Sprache die unzähligen Vorteile, die das        ist es umso wichtiger, dass die praktische
Radfahren bereitet, erkennen und daran              Wissensvermittlung in einem „geschützten“
partizipieren.                                      Raum stattfindet.

Das Bewusstsein für das Radfahren bei
Migrantinnen zu wecken, sie zu motivieren und
zu informieren, stellt jedoch eine
Herausforderung dar. Denn Migrantinnen sind mit
vielfältigen Barrieren konfrontiert, die es ihnen
erschweren, ihre latenten Radfahrbedürfnisse
„zum Leben zu erwecken“.

9
Vorträge zum Thema Radfahren sollten …                  Frauenförderung, Kulturvereine, Moscheen
✓   wenn möglich, in der jeweiligen Erstsprache         usw. sein.
    abgehalten werden;                              ✓   Der zielgruppenadäquaten Gestaltung von
✓   von sprach- und kulturkompetenten                   Informationen über den niederschwelligen
    Vortragenden, die das Thema gut                     und kostenfreien Zugang zu Radfahrkursen
    beherrschen (um auf Fragen kompetent                sollte genügend Aufmerksamkeit gewidmet
    antworten zu können) gehalten werden;               werden.

✓   in einfacher Sprache/in kurzen Sätzen           ✓   Muttersprachliche Begleiterinnen sollten die
    vorgetragen werden;                                 Aufgabe der Wissensübermittlung,
                                                        Aktvierung und Sensibilisierung
✓   für leichte Verständlichkeit auch viele
                                                        übernehmen.
    Bilder/Illustrationen beinhalten;
                                                    ✓   Es ist wichtig, immer eine Kontaktperson, die
✓   interaktive Sequenzen enthalten;
                                                        Zugang zu den Frauen hat, zu finden!
✓   nicht zu lang sein;                                 (Vereinsobfrauen, Vereins-Frauenkomitee-
✓   viel Raum für Fragen und Diskussion lassen.         Vorsitzende, Vereins-Kulturbeauftragte,
                                                        usw.)

Inhaltlich ist wichtig, dass interessierte          ✓   Gruppen sind besser zu erreichen und zu
Frauen …                                                motivieren als Einzelpersonen!

✓   vieles über die vielfältigen gesundheitlichen
    Vorteile des Radfahrens erfahren;               Man muss das Rad nicht immer wieder neu
                                                    erfinden. Im Internet gibt es Materialien in
✓   über die vielen Mythen und Fakten, die das
                                                    vielen Sprachen, die man nutzen kann, um
    Erlernen erschweren, aufgeklärt werden;
                                                    Radfahren zu erlernen.
✓   Grundkenntnisse in Verkehrskunde vermittelt
    bekommen;                                       Bei der Verwendung ausländischer Materialien,
✓   Informationen zu Rechten und Pflichten beim     die Informationen zu Verkehrszeichen und
    Radfahren bekommen;                             Straßenverkehrsordnung enthalten, sollten bei
✓   Wissen erlangen, wo sie ein günstiges           den Verkehrsregeln die Unterschiede zu
    Fahrrad erwerben können;                        Österreich beachtet werden.

✓   notwendige Begrifflichkeiten (z.B.
                                                    Links zu mehrsprachigen Materialien:
    Mehrzweckstreifen, Radweg, etc.) sprachlich     http://www.germanroadsafety.de/
    erlernen;
                                                    https://www.adfc-radfahrschule.de/kurse-fuer-
✓   erkennen, dass Radfahren emanzipatorische       fluechtlinge.html
    Freiheit bedeutet;
                                                    http://hamburg.adfc.de/verkehr/themen-a-
✓   ein belastbares Selbstbewusstsein als           z/verhalten/verkehrsregeln-mehrsprachig/
    Radfahrerin gegenüber dem motorisierten
    Individualverkehr durch Motivation              http://www.schulterblick.at/portfolio/flyer-
                                                    verkehrsregeln-in-arabisch-und-farsi
    entwickeln können.
                                                    https://www.klimaaktiv.at/mobilitaet/mobilitaetsmanag
                                                    em/bildung/Literaturtipps/Mat_Radfahrpruefung.html
Folgendes sollte im Vorfeld bei der
Durchführung von Informations-                      http://sghanstedt.elbnetz.com/ueber-uns/
veranstaltungen für Migrantinnen beachtet
                                                    http://www.sportintegration.de/fahrradfahren-fuer-
werden:                                             fluechtlinge/
✓   Die Zielgruppe sollte in ihrem geschützten
                                                    http://www.jugendrotkreuz.at/oesterreich/angebote/ra
    sozialen Umfeld kontaktiert werden. Dies        dfahrpruefung/englisch-farsi-arabisch/
    können Frauenvereine bzw. Projekte zur

                                                                                                         10
Radfahrende Migrantinnen
stärker öffentlich sichtbar
machen
Eine unserer wichtigsten Erfahrungen:                  Das Plakat ist online abrufbar unter:
Radfahrende Migrantinnen müssen stärker                http://www.fem.at/FEM_Sued/fraueninfahrt.html
öffentlich sichtbar gemacht werden:
    Zum einen für Frauen, die Fahrrad fahren
     wollen, sich aber noch nicht trauen;
    Zum anderen für alle Menschen in
     Österreich, die glauben, es gäbe keine
     radinteressierten Migrantinnen.

Was tun?
Warum nicht in der Gemeinde gemeinsam mit
Migrantinnen ein Plakat entwickeln, um Rad
fahrende Migrantinnen sichtbar zu machen?

Sie können auch das Plakat nutzen, welches im
Rahmen des Projekts „Frauen in Fahrt“
entstanden ist. Wir nutzen es nicht nur für
Informationsstände über Gesundheit und
Radfahren bei Veranstaltungen, sondern auch
als Grundlage für Flyer, die wir für die Information
einsetzen.

                                                       Abbildung 4: Dieses Plakat entstand gemeinsam mit
                                                       radinteressierten Migrantinnen. Die beteiligten
                                                       Migrantinnen hatten viel Spaß beim Shooting, und sie
                                                       sind stolz, Testimonials für das Radfahren zu sein.
                                                       Quelle: Hilde Wolf, FEM Süd.

11
Migrantinnen sichtbar machen
und Raderlebnisse verbinden
30 Migrantinnen nahmen im April 2017 erstmals                   Migrantinnen bei der Radparade
gemeinsam an der RadpaRADe in Wien teil.                        Weil viele von diesen Migrantinnen kein eigenes
Obwohl ein Teil von ihnen Anfängerinnen oder                    Rad besitzen, hatte „Citybike Wien“
lange nicht Rad gefahren waren, sind fast alle                  unbürokratisch ein Rad zur Verfügung gestellt.
Teilnehmerinnen die gesamte Strecke                             Außerdem wurde die Aktion durch eine
mitgeradelt. Nur bei wenigen reichte die                        gemeinschaftsstiftende Schirmmütze unterstützt.
Fahrroutine oder die Kraft noch nicht ganz aus.                 Die Frauen waren begeistert.

Teilnehmerinnen mit Migrationshintergrund bei der Radparade 2017, Foto: Christian Fürthner, Mobilitätsagentur Wien

                                                                                                                     12
Implementierung von Radkursen
mit unterschiedlichen Lernniveaus
Zwei unserer wichtigen Erfahrungen bei der           Bei der Organisation des ersten Radfahrkurses
Implementierung von Radkursen für Frauen             für Frauen 2011/2012 wurde insbesondere auf
sind:                                                den leichten, niederschwelligen und kostenfreien
✓    OrganisatorInnen sollten stets offen für die    Zugang geachtet. Um den Erfolg des Radkurses
     Bedürfnisse von Frauen sein – so entstehen      sicherzustellen wurde ein professioneller
     neue Maßnahmen und Initiativen.                 Kursanbieter gesucht und in der Radlobby Wien
                                                     gefunden, mit der eine gute Zusammenarbeit
✓    Für so komplexe Initiativen wie „Radkurse für
                                                     entwickelt wurde und bis heute ein regelmäßiger
     erwachsene Frauen“ ist eine vertrauensvolle
                                                     Austausch stattfindet.
     Kooperation zwischen Organisationen
     unterschiedlicher Bereiche (Mobilität,
     Frauenförderung, Integration usw.)
     unabdingbar. Das zeigt die
     Implementierungsgeschichte der Radkurse in
     Wien.

Wie die Radkurse in Wien begannen

Ausgangspunkt der Erfolgsgeschichte der Wiener
Radkurse für Frauen waren die Wünsche von
Frauen mit Migrationshintergrund. Sie wurden
zunächst vom Frauenzentrum Piramidops
aufgenommen, ein erster Kurs wurde organisiert.

Durch die Kooperation mit der Radlobby Wien
und der Mobilitätsagentur Wien konnte das
Kursangebot bis 2017 verstetigt, ausgebaut
sowie professionalisiert werden.
                                                     Abbildung 5: Der erste Radkurs für Migrantinnen wurde
Eine Organisatorin erzählt den Anfang einer          mit dem „Integrationspreis Sport 2012“ des
Erfolgsgeschichte, die auf einem                     Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) ausgezeichnet.
Nachbarschaftsfest begann:                           Quelle: Gül Lüle, Piramidops, 2012

„Als einige türkische Frauen auf einem
Straßenfest gefragt wurden, ob sie gerne
Radfahren lernen würden, lachten sie und sagten
‚Ja!‘ Es sei aber eher ein ‚Traum aus ihrer
Kindheit‘. Diesen Frauen wurde der Traum vom
Radfahren durch die Organisation der ersten
Frauen-Radfahrkurse im Frühling 2012 durch den
Verein Piramidops Frauentreff wahr.“

13
Eine wichtige Unterstützung wurde der Wiener                   Entwicklung der Frauenradkurse
Radkursinitiative durch die Mobilitätsagentur                  in Wien
Wien zuteil. Von ihr wurden Räder und Roller
zum Üben gekauft, die jederzeit für die Kurse                  2012: 1 Radkurs für Anfängerinnen (finanziert
ausgeliehen werden können. Zudem werden die                    durch die WIG);
Radkurse finanziell gefördert, sodass sie im
                                                               2013: 3 Radkurse für Anfängerinnen (2 davon
Unterschied zu Kursen in anderen europäischen
                                                               finanziert durch die Mobilitätsagentur Wien, 1
Städten gratis angeboten werden können. In
                                                               durch die Österreichische Energieagentur), 1.
anderen Städten erheben die OrganisatorInnen
                                                               Trainerinnenausbildung;
einen Unkostenbeitrag von etwa 4 Euro pro
Trainingseinheit. Die Mobilitätsagentur Wien                   2014: 5 Radkurse für Anfängerinnen + 1 Kurs für
unterstützt zudem die Vernetzung verschiedener                 Fortgeschrittene (4 Kurse finanziert durch die
Akteure, die sich für Radkurse engagieren oder                 Mobilitätsagentur Wien & Charity-Projekt
die neu dafür gewonnen werden sollen.                          Bike2Help; 2 Kurse finanziert durch den
                                                               ÖAMTC);
Seit 2012 wurden 23 Kurse vom Trainerinnen-                    2015: 4 Radkurse für Anfängerinnen + 1 Kurs für
Team der Radlobby IG Fahrrad durchgeführt. Die                 Fortgeschrittene (3 Kurse finanziert durch die
öffentliche Anerkennung der Wiener Radkurse                    Mobilitätsagentur Wien & Charity-Projekt
zeigt sich auch darin, dass die Organisation dafür             Bike2Help; 1 Kurs finanziert durch die
2015 mit dem VCÖ-Mobilitätspreis 2015 in der                   Crowdfunding-Plattform „respekt.net“);
Kategorie „Gesellschaftlicher Wandel und
                                                               2016: 2 Radkurse für Anfängerinnen, 2 für
Mobilität“ ausgezeichnet worden ist.
                                                               Fortgeschrittene (3 Kurse finanziert durch die
                                                               Mobilitätsagentur Wien, 1 Kurs finanziert durch
                                                               die Caritas);
                                                               2017: 3 Radkurse für Anfängerinnen, 2 für
                                                               Fortgeschrittene (finanziert durch die
                                                               Mobilitätsagentur Wien); weitere Kurse möglich;
                                                               2. Trainerinnenausbildung.

                             Entwicklung der Frauenradkurse in Wien
                         6

                         5
      Anzahl der Kurse

                         4
                                                                                                 Anfängerinnen
                         3                                                                       Fortgeschrittene

                         2

                         1

                         0
                              2012   2013   2014    2015        2016        2017

Abbildung 6: Entwicklung der Radkurse, durchgeführt durch die Radlobby Wien, Quelle: Radlobby Wien 2017

                                                                                                                    14
Sie wollen in Ihrer Gemeinde einen
Radkurs für AnfängerInnen
organisieren?

Die Radlobby IG Fahrrad gibt ihre Erfahrung bei
der Organisation von Radkursen weiter und
bietet Schulungen an, in welchen zukünftige
RadtrainerInnen in der Methode des angstfreien
und selbstermächtigenden Radfahren-Lernens
unterrichtet werden.
Kontakt: wien@radlobby.at
                                                         Radanfängerinnen im Frühling 2017 mit der Trainerin
                                                         Somia Babiker (Mitte), die selbst als Erwachsene in
                                                         einem Kurs der Radlobby Radfahren gelernt hat.
                                                         Foto: Peter Provaznik

                                                         Als Erwachsene ist es gar nicht so einfach,
                                                         Radfahren zu lernen. Die Erfahrung zeigt, dass
                                                         unter behutsamer und professioneller Begleitung
                                                         durch Trainerinnen jedoch schnell überraschende
                                                         Fortschritte erzielt werden können. Benefits
                                                         daraus sind Bewegung, Gesundheit und Freude.
                                                         Aber auch zu Selbstbewusstsein,
Erklärungen der Radtrainerin bei einem                   Mobilitätsverbesserung, Unabhängigkeit und
Anfängerinnenkurs in Simmering: Die Pause wird für das   Integration tragen die Kurse bei!
Erlernen von Verkehrsregeln genützt.
Foto: Eliza Brunmayr, Radlobby Wien                      Häufig äußern sich Radkursteilnehmerinnen sehr
                                                         positiv über ihre Erfahrungen in den Kursen. Wie
                                                         die Aussage einer Teilnehmerin zeigt:
Bedeutung der Radkurse und
Organisation                                             „Jede Woche habe ich etwas geschafft, von dem
                                                         ich dachte, ich könnte das nie tun.“
Radfahren ist für viele Frauen keine
Selbstverständlichkeit. Kulturelle Regeln oder der
mangelnde Zugang zu einem Rad
verunmöglichen es Frauen aus manchen

Herkunftsländern, selbst Radfahren zu lernen
oder es als erwachsene Frauen weiter betreiben
zu können. Durch das neue Lebensumfeld
können sich diese kulturellen Regeln verändern.

                                                         Übungen im Anfängerinnen-Kurs 2015,
                                                         Foto: Eliza Brunmayr, Radlobby Wien

15
Neue Medien unterstützen die
Weitere Lernstufe nach oder parallel               Organisation von Radkursen und
zu den Radkursen:                                  die Kommunikation
Geführte Radausflüge
                                                   Forschungsergebnis der Befragung:
Neben den Anfängerinnen- und                       87% der Radkursteilnehmerinnen haben ein
Fortgeschrittenenkursen werden in Wien in          eigenes Handy. 40% davon nutzen eine
unregelmäßigen Abständen Radausflüge               Mobilitäts-App. Das ist eine gute Basis für die
durchgeführt. Sie werden in der Regel durch eine   Nutzung von WhatsApp, um radinteressierte
erfahrene Radtrainerin geführt.                    Frauen über Kurse und andere Events zu
                                                   informieren. Einige Radtrainerinnen nutzen daher
                                                   WhatsApp in ihrer Arbeit.

                                                                    XXXXXXXXX

Beim Radausflug. Foto: Aysel Kilic, Piramidops

Erfahrungen aus den Radkursen –
Radfahren lernen braucht regelmäßige Übung
– auch nach erfolgreichem Radkurs!

Die Organisation solcher Übungen kann von den
Trainerinnen der Radkurse an erfahrene
Radlerinnen aus anderen Vereinen übergehen
werden.

                                                              XXXXXXXXX

                                                   WhatsApp-Nachricht einer Radgruppe.
                                                   Foto: Aysel Kilic, Piramidops

                                                                                                16
Anhaltendes Problem:                                               Daraus resultierend: Unsicherheit, ob sich
Häufig kein eigenes Fahrrad auch                                    die Investition bereits lohnt;
nach der Kursteilnahme                                             Unzureichende Radfahrfähigkeiten;
                                                                   Gesundheitliche Probleme;
Forschungsergebnis der Befragung:
Selbst nach erfolgreichem Abschluss eines                          Keine sichere Abstellmöglichkeit für ein
Radkurses kaufen viele Frauen kein eigenes                          eigenes Rad in Wohnnähe;
Rad.                                                               Unzureichende Radwegestrukturen in
                                                                    Wohnnähe;
Aus den Fokusgruppen ergeben sich vielfältige
                                                                   Fehlende Zeit, um häufig Radfahren üben zu
Gründe, warum radinteressierte Frauen kein Rad
                                                                    können („Ein Kauf lohnt sich scheinbar
kaufen, obwohl sie es erfolgreich erlernt haben.
                                                                    nicht.“);

Zu diesen Gründen gehören:                                         Spezifische biografische Belastungen.

    Fehlende finanzielle Mittel;
    Unsicherheit in der Einschätzung der
     eigenen Radfahrfähigkeiten;

                 Zugang zu fahrtüchtigem Fahrrad nach
                     Teilnahme an einem Radkurs

                                           37%                        Eigenes Fahrrad
                  45%
                                                         55%          Kann Rad eines Familienmitgliedes leihen

                                                                      Kein eigenes Rad

                                    18%

Abbildung 7: Zugang von radinteressierten Migrantinnen zu fahrtüchtigem Rad.
Quelle: Segert et al. 2017, 46

17
Übungsmodul „Leihrad-Nutzung“
für leichteren Radzugang
Das Leihrad-Übungsmodul wurde als Teil der         2. Wie funktionieren Leihräder?
„Frauen in Fahrt-Radkurse“ der Radlobby IG            Erklären der Funktionsweise von
Fahrrad entwickelt, um die Funktionsweise des         Citybike Wien.
Leihradsystems „Citybike Wien“ zu vermitteln.
Leihräder sind eine kostenlose bis                 ✓   Entlehn- und Rückgabevorgang erläutern;
kostengünstige Möglichkeit, auch ohne Radbesitz    ✓   Tarifgestaltung erklären;
ein Rad zu nutzen. Damit die öffentlichen          ✓   Konzept von Bike-Sharing erklären (etwa,
Leihräder als Option wahrgenommen werden,              dass ein Rad an einer Station entlehnt wird
bieten wir in den Kursen Gelegenheit, den              und an einer beliebigen anderen Station
Ausleih- und Rückgabevorgang, die Handhabung           zurückgegeben werden kann);
und das Fahrverhalten der Citybikes unter
                                                   ✓   Beispiel bringen für eine typische Leihrad-
Begleitung praktisch kennenzulernen.
                                                       Fahrt (etwa in multimodaler Kombination mit
                                                       zu Fuß gehen und U-Bahn);
Erfahrungen mit dem Leihrad-Übungsmodul sind
sehr positiv, die Hemmschwelle nach dem Kurs       ✓   Einfache Sprache verwenden!
eigenständig ein Leihrad zu nutzen wird dadurch    ✓   Auf Fragen eingehen, Fragen klären. Gibt es
wesentlich herabgesetzt.                               Verständnisschwierigkeiten aufgrund von
                                                       sprachlichen Barrieren?
                                                        Vielleicht kann eine andere Teilnehmerin
Ablauf des Leihrad-Übungsmoduls                        übersetzen.

Vorab Checkliste für notwendige                    3. Wie kann man sich anmelden?
Materialien:
✓   Mitbringen: Radkarten, Citybike-Wien-          ✓   Erklären, was es für die Anmeldung braucht
    Anmeldeformulare & Citybike-Wien-Karten            und wo bzw. wie diese stattfinden kann.
    zur Entlehnung der Räder;                      ✓   Möglichkeit von Citybike-Wien-Karten (und
                                                       Partnerkarten) vorstellen.
Vermittlung von praktischem
Wissen:                                            4. Wie findet man Citybike-Stationen?
1. Einstieg: Schon von Citybikes
   gehört?                                         ✓   Am Beispiel der Radkarte Wien zeigen und
                                                       gemeinsam Stationen suchen: Wo ist die
✓   Gesprächsrunde und Wissensstand                    nächstgelegene Station? Wo sind Stationen
    ermitteln, mögliche Einstiegsfragen sind:          in der Nähe von Wohnorten der
        -   Wer hat Citybikes in der Stadt schon       Teilnehmerinnen?
            wahrgenommen?                          ✓   Vorzeigen: Stationssuche per Citybike-Wien-
        -   Wer kennt „Citybike Wien“?                 App.

        -   Wer weiß, wie das Ausleihen von        ✓   Erwähnen und vorzeigen: Suche von
            einem Leihrad funktioniert?                weiteren Stationen beim Terminal.

        -   Wer ist selbst schon einmal mit
            einem Leihrad gefahren?

                                                                                                   18
Praktische Übung bei einer Citybike-                   Die Teilnehmerinnen müssen aktiv
Wien-Station                                            aufgefordert werden, das Leihrad
                                                        auszuprobieren, da sie ansonsten bevorzugt
1. Gemeinsames Anmelden und                             zu den (gewohnten) Übungsrädern greifen.
   Entlehnen an einer Citybike-Wien-                   Wenig erfahrene Radfahrerinnen brauchen
   Station:                                             ausreichend Eingewöhnungszeit, bis sie das
                                                        Leihrad gut kontrollieren können.
    Wie funktioniert der Entlehn- und
     Rückgabevorgang (Wenn man bereits als             Bei Radkursen für Fortgeschrittene, wo mit
     Nutzerin angemeldet ist)?                          der Gruppe im Verkehr gefahren wird,
                                                        ermöglicht die Mitnahme und Nutzung von
    Eine Leihradstation in einer
                                                        einem bzw. einigen Citybikes eine höhere
     verkehrsberuhigten Zone bietet sich als
                                                        Flexibilität bei der Gruppengröße: Wenn
     entspannter Übungsort an.
                                                        mehr Teilnehmerinnen kommen als
    Mit einer Testkarte bzw. Citybike-Karte des        Kursräder vorhanden sind, ermöglichen die
     Kursanbieters vorzeigen, wie man ein               Citybikes eine Teilnahme für alle. Für den
     Leihrad entlehnt, aus der Station entnimmt         Fall, dass eine Teilnehmerin schon eine
     und wieder korrekt zurückgibt.                     halbe Stunde früher gehen muss, kann eine
    Die Teilnehmerinnen das Entlehnen, Leihrad         Leihrad-Station mit gutem ÖV-Anschluss
     entnehmen und Zurückgeben aktiv                    angefahren und das Rad dort abgegeben
     ausprobieren lassen.                               werden.
    Hilfreich ist, wenn die Teilnehmerinnen
     bereits bei „Citybike Wien“ angemeldet sind.   Bisherige Erfahrungen &
     Das kann ermöglicht werden, indem bereits      Adaptierungen
     in der ersten Kurseinheit eine gemeinsame
     Bestellung von Citybike-Karten organisiert     Anmeldevorgang:
     wird.
                                                    Ursprünglich war das Konzept so ausgelegt, dass
    Teilnehmerinnen, die noch nicht angemeldet
                                                    der Anmelde-Vorgang am Terminal gemeinsam
     sind, erhalten eine Citybike-Karte des
                                                    durchgeführt wird. Das hat sich nicht bewährt,
     Kursanbieters.
                                                    weil es eine lange Wartezeit für die anderen
                                                    Teilnehmerinnen bedeutet. Der Anmeldevorgang
2. Mit einem Leihrad fahren                         kann sich etwa durch die Wahl eines bereits
                                                    vergebenen Benutzernamens oder Probleme bei
    Vorurteile und Hemmnisse abbauen
                                                    der Bezahlung der Anmeldegebühr noch weiter
     (Citybikes sind zu schwer bzw. schwer zu
                                                    verzögern.
     fahren), Rücktrittbremse kennenlernen und
     anhand von Bremsübungen sicheres               Stattdessen wurde erprobt, dass interessierte
     Anhalten erlernen, Fahren mit Gepäck im        Teilnehmerinnen ein Formular für die Bestellung
     Lenkerkorb – Kurven- und Bremsübungen,         einer Citybike-Karte ausfüllen. Die ausgefüllten
     einhändig Fahren.                              Bestellformulare werden von der Kursleiterin
    Die Rücktrittbremse beim Leihrad erschwert     gesammelt an „Citybike Wien“ gesendet. Das hat
     zunächst das Losfahren mit dem Rad, da es      den Vorteil, dass die Teilnehmerinnen zugleich
     nicht so leicht möglich ist, das Pedal wie     auch eine Partnerkarte bestellen können, was
     gewohnt (und mit den Übungsrädern gelehrt)     von den meisten in Anspruch genommen worden
     vor dem Losfahren in die optimale              ist. Wartezeiten während der Kurseinheit werden
     Startposition zu bringen.                      mit diesem Vorgehen vermieden.

19
Was wissen radinteressierte
Migrantinnen über „Citybike
Wien“?

                Wissen über Leihräder sowie Leihradnutzung

        88%         91%
                                                 77%

                                                                                                          39%
                                    29%                                      33%
                                                                20%                            25%

      Allgemeines Wissen          Praktisches Wissen        Eigenständige Citybike-              Interesse an
                                                                   Nutzung                     Citybikenutzung

                      Radkurs ohne Leihrad-Training                   Radkurs mit Leihradtraining

Abbildung 8: Wissen und Leihradnutzung bei Radkursteilnehmerinnen mit Migrationshintergrund.
Quelle: Segert et al. 2017, 47.

Forschungsergebnis der Befragung                               Gleichzeitig sinkt:
                                                                   der Anteil der Frauen, die sich die
Durch das Übungsmodul zur Leihradnutzung                            Anmeldung in ihrer Muttersprache
steigt:                                                             wünschen.
   der Anteil der Frauen, die sich praktisch mit
    der Nutzung von „Citybike Wien“ auskennen;                 Daher lohnt es sich, ein Leihradtraining in die
   der Anteil der Frauen, die Leihräder                       Radkurse für Erwachsene zu integrieren.
    eigenständig nutzen.

                                                                                                                 20
Was wünschen sich
Radkursteilnehmerinnen, um
Radsicherheit zu gewinnen?
Forschungsergebnisse der                             Es ist allerdings auf Kinder zugeschnitten.
Befragung                                            Aus Sicht von Wiener RadexpertInnen könnten
                                                     dem Übungsbedürfnis von radlosen
Radkursteilnehmerinnen haben vielfältige             Anfängerinnen auch Gutscheine für
Wünsche. Jede zweite wünscht sich ein eigenes        Radkursabsolventinnen für die Nutzung eines
Rad. Leihräder kommen für einige von ihnen in        Leihrades an privaten Radleihstationen
Frage, wenn sie sich beim Radfahren etwas            entgegenkommen. Solche Gutscheine könnten
sicherer fühlen (zum Beispiel nach Abschluss         von der Stadt oder von Sponsoren gefördert
eines Fortgeschrittenenkurses). Dann wünschen        werden. Probiert wurde das aber noch nicht.
sie sich (mehr) Leihradstationen in der Nähe ihrer
Wohnungen. Die gerechte Verteilung von               Befund aus den Radkursen:
Leihradstationen in allen Stadtbezirken ist ein
wichtiger Faktor, um Migrantinnen bei ihrem           In Radkurse integrierte Beratungen beim
Wunsch, Rad zu fahren, effektiv zu unterstützen.       Radkauf, gemeinsame Besuche von
                                                       Flohmärkten und Radwerkstätten werden
Weitere Wünsche beziehen sich auf                      von den Frauen sehr gut angenommen und
anfängerinnenfreundlichere Radwege im                  helfen jenen radinteressierten Migrantinnen,
Wohnbezirk. Eine gerechte Verteilung von               für die Leihräder keine Option sind.
baulich getrennten und breiten Radwegen in
allen Stadtbezirken ist daher ein weiterer Faktor,
damit mehr radinteressierte Migrantinnen
tatsächlich im Alltag das Rad benutzen.

In den Befragungsergebnissen fällt auf, dass sich
29% der befragten Migrantinnen eine spezielle
Gratisausleihe von Leihrädern in einer
verkehrsberuhigten Zone in Wohnnähe
wünschen, wo sie eigenständig Radfahren üben
können, ohne dass sie (schon) ein eigenes Rad
besitzen müssen (Segert 2017 et al., 51).

Das Pariser Angebot „P’tit Vélib“ kommt in der
Organisationsstruktur diesen Wünschen
radinteressierter Anfängerinnen weitgehend
entgegen (siehe unten Seite 25).

21
Internationale Good Practices
Radförderung radinteressierter
Frauen
Radkurse für Migrantinnen oder Flüchtlinge gibt
es in vielen europäischen Städten. Nachfolgend
einige Beispiele für Good Practices der
Radförderung in anderen europäischen Städten:

Radschule Montreuil
http://www.veloecoledemontreuil.com/

                                                     Beim Radkurs in Hamburg,
                                                     Foto: Christian Burmeister

                                                     Radschule Clichy
Übungen in der Radschule Montreuil,                  http://mdb-idf.org/category/nos-relais-
Foto: Eliza Brunmayr, Radlobby                       locaux/clichy/
Viel Erfahrung mit Radkursen hat die Radschule
Montreuil (siehe Bild), am Rande von Paris. Sie      Die Radschule des MDB in Clichy bietet seit
bietet seit 2002 ehrenamtlich Radkurse für           2010 Radkurse für Frauen an. Auf einem
Erwachsene an, die sie von absoluten Anfängen        stadtnahen ruhigen Gelände erlernen sie
bis hin zum Meistern komplexer städtischer           zunächst die Grundtechniken des Radfahrens,
Verkehrssituationen begleitet. An einem              bei Regen findet das Training in einer Halle statt.
Wochenende nehmen bis zu 200                         Die Trainerinnen arbeiten ehrenamtlich im
RadschülerInnen verschiedenster Niveaus teil.        Rahmen des Vereins MDB.

„moveo ergo sum“ – Radfahrkurse für Frauen
Hamburg

Die Initiative hat sich der Qualitätssicherung für
Radkurse verschrieben. Es werden daher nicht
nur Kurse angeboten, sondern auch Prinzipien
des Radtrainings und neue Übungsformen
entwickelt.                                          Teilnehmerinnen und Trainerinnen der Velo Ecole Clichy
                                                     Foto: Patrick Roland, MDB Clichy

                                                                                                         22
Mädchenfahrradwerkstatt des Vereins kidbike
Radwerkstatt „Solicycle Clichy“ organisiert               e.V. im Mädchenzentrum Alia
von „etudes et chantiers“                                 http://kidbike.de/mfw
http://solicycle.org/
http://etudesetchantiers.org/                             In Berlin Kreuzberg, einem Bezirk, wo viele
                                                          MigrantInnen leben, bietet der Verein KidBike
                                                          e.V. eine Radwerkstatt nur für Mädchen an. Dort
                                                          können Mädchen und junge Frauen unter
                                                          fachgerechter Anleitung lernen, das eigene
                                                          Fahrrad zu reparieren. Wer keines hat, kann
                                                          auch aus gespendeten Rädern ein eigenes
                                                          Fahrrad zusammenbauen. Um radinteressierte
                                                          Mädchen anzusprechen, arbeitet der Verein mit
                                                          anliegenden Schulen zusammen.

                                                          Da unter den beteiligten Mädchen viele Kinder
                                                          mit Migrationshintergrund sind, von denen
                                                          manche die deutschen Worte für die
                                                          Radbestandteile nicht kennen, wird die
                                                          Werkstattzeit auch zum Lernen der deutschen
                                                          Sprache genutzt.

                                                          2016 hat der Verein erstmalig ein Projekt
                                                          angeboten, bei dem Mädchen Fahrräder für
                                                          Kinder von Flüchtlingen reparieren bzw.
                                                          aufbauen. Die fertigen Räder wurden an
                                                          Unterkünfte für Geflüchtete übergeben, mit
                                                          denen die OrganisatorInnen von KidBike e.V.
                                                          zusammenarbeiten.
Die Radwerkstatt Clichy ist sehr innovativ und arbeitet
u.a. alte Posträder zu Lastenrädern um.
Fotos: Patrick Roland, MDB Clichy                         Gratis Velo Verleih und Radwerkstatt
                                                          „Züri rollt“ des AOZ Zürich
Die Sozialorganisation „Etudes et chantiers Île de        https://www.stadt-
France“ organisiert in Clichy und anderen                 zuerich.ch/aoz/de/index/shop/veloverleih.html
französischen Städten eine Radwerkstatt.
Arbeitslose MigrantInnen erhalten für ein Jahr            Das AOZ Zürich organisiert seit 1994 im Rahmen
eine Stelle als RadmonteurInnen und reparieren            von gemeinnützigen Arbeitsplätzen (GEP) einen
unter professioneller Anleitung Fahrräder für             Radverleih sowie die technische Wartung dieser
AnwohnerInnen mit kleinem Geldbeutel. So wie              Räder in eigener Werkstatt.
in Österreich viele TürkInnen an Radinitiativen
beteiligt sind, sind es in Frankreich Frauen und          An den Ausleihstationen und in der Radwerkstatt
Männer aus diversen afrikanischen Ländern                 werden SozialhilfebezieherInnen unabhängig
(siehe Bild oben).                                        vom Aufenthaltsstatus eingesetzt. An den
                                                          Ausleihstationen sind sie auch im unmittelbaren
Regelmäßig kommen ehemalige                               KundInnenkontakt tätig. Sie bedienen selbständig
Radkursteilnehmerinnen von Clichy a vélo MDB,             bei der Ausleihe das Computersystem.
um ihr Rad zu reparieren oder ein eigenes Rad
zu erwerben.

23
Auch wenn zu Beginn der Maßnahme keine
Deutschkenntnisse verlangt werden, sind sie
dennoch willkommen und werden in parallel
angebotenen Sprachkursen gefördert. Durch
diese soziale und mobilitätsfördernde Maßnahme
profitieren alle ZüricherInnen und Gäste.

Recycelte Räder und Radkurse für Flüchtlinge
Radlobby, Rotes Kreuz und SOS Mitmensch
Korneuburg.
http://www.radlobby.org/noe/korneuburg-
radkurse-fuer-gefluechtete-als-schritt-in-die-
unabhaengigkeit/
https://www1.meinbezirk.at/korneuburg/c-
lokales/radl-fuer-fluechtlinge_a1691073

                                                            Abbildung 9: Plakat einer Radaktion der Radlobby
                                                            Korneuburg.

                                                            Außerdem erscheinen die Sammlung von
                                                            Radspenden und ihre Reparatur dort leichter als
                                                            die Organisation der Nutzung von Leihrädern von
                                                            „nextbike Niederösterreich“ für Flüchtlinge.

                                                            #BIKEYGEES e.V. Berlin
                                                            http://bikeygees-berlin.org/de/

Einer der aktiven „Schrauber“ in der Flüchtlingswerkstatt
in Korneuburg.
Foto: Richard Stawa, Radlobby Korneuburg

Radkurse werden nicht nur in Großstädten
organisiert. „Radl für Flüchtlinge“ in Korneuburg
                                                            Bei der Auszeichnung mit dem Hatun-Sürücü-Preis.
ist ein Beispiel für die gute Zusammenarbeit                Foto: Annette Krüger, #BIKEYGEES e.V. Berlin
eines Radvereins mit einer Sozialorganisation.
Das Beispiel zeigt: In kleineren Städten
                                                            Die Radkurse von #Bikeygees e.V. sind eine
funktioniert die Kommunikation zwischen
                                                            Initiative zweier Frauen, die inzwischen mit mehr
unterschiedlichen Organisationen oft informeller.
                                                            als 50 Helferinnen zusammenarbeiten. Sie alle
Das erleichtert die sektorübergreifende
                                                            unterstützen in ihrer Freizeit Flüchtlinge, das
Kooperation.
                                                            Radfahren zu lernen.

                                                                                                               24
Das Besondere an dieser Initiative ist zum einen,            So können Kinder kostengünstig Radfahren
dass sie sich der Förderung des Radfahrens                   üben, ohne dass ihre Eltern für sie (vorerst) ein
einer der schwächsten gesellschaftlichen                     eigenes Rad kaufen müssen.
Gruppen widmet. Zum anderen, bietet #bikeyjees
gemischte „offene Kurse“ für Frauen und Männer               Es ist nicht sicher, ob dieses Angebot auch nach
an. Das heißt, die Kurse finden nicht an                     dem Betreiberwechsel von Velib’ Paris
festgelegten Kurstagen, sondern an                           weitergeführt werden wird. Als Good Practice
Wochenenden statt, die kurzfristig vorher                    kann es jedoch als Anregung dafür dienen, nicht
bekannt gegeben werden. Es gibt keinen                       nur die vorhandenen Leihradsysteme auf ihre
Kurszwang, kommen kann, wer Lust dazu hat.                   Tauglichkeit für verschiedene
Diese Angebotsform verlangt den                              NutzerInnengruppen hin zu hinterfragen.
Organisatorinnen viel Kommunikations- und
Organisationsarbeit ab – sowohl mit den vielen               Hier wurden Leihrad Points als stationäre
ehrenamtlichen HelferInnen, als auch in der                  Anlaufpunkte für radinteressierte Anfängerinnen
Zusammenarbeit mit Flüchtlingsheimen und                     organisiert. Diese Idee geht davon aus, dass
Vereinen.                                                    Radfahren auch für Menschen, die (noch) kein
                                                             eigenes Rad besitzen, praktische Übung
2017 wurde die Initiative mit dem Hatun-Sürücü-              erfordert.
Preis ausgezeichnet.

P’tit Velib’ Paris                                           LESE-TIPP:
http://blog.velib.paris.fr/ptit-velib/
                                                             „SCHWUPPDIWUPP – Spielerische Übungen mit
P’tit Velib’ – das „kleine Rad-Verleihsystem“ in             und auf dem Fahrrad“ von Christian Burmeister,
Paris – ist ein saisonales Angebot der Stadt in              erschienen im R.G. Fischer Verlag.
Zusammenarbeit mit örtlichen Vereinen. An vier
punktuellen Radausleihstationen werden in den
Sommermonaten an drei Tagen pro Woche
Leihräder für Kinder unterschiedlichen Alters
angeboten. Vor Ort werden vier Euro Aufwands-
entschädigung eingehoben.

Weitere LINKS zu internationalen Good Practices

Radangebote von Integra
http://www.integra.or.at/fahrradservice/

Social Center „Second Home“
https://www.facebook.com/secondhomeljubljana/

Radkurse von DONNA Mobile München
https://www.donnamobile.org/info1
https://docs.wixstatic.com/ugd/c2311b_40f74c92cb324cdf88c663e8320af4cb.pdf

Radkurse für Frauen bei Vrouw en Vaart Amsterdam, New West
http://www.vrouwenvaart.nl/

Radwerkstatt des Vereins Rückenwind e.V.
http://rueckenwind.berlin/

Fietsvriendinnen – Radkurse von Mobycon
http://www.mobycon.com/action/news/item/1272/presenting-in-stockholm-on-cycling-for-women-and-ethnic-groups.html

25
Fazit
 Es gibt unter MigrantInnen ein verstecktes            Erfahrungen in Amsterdam, Paris, München
  Bedürfnis, Rad zu fahren.                             und Wien zeigen, ist es hilfreich,
                                                        Trainerinnen mit Migrationshintergrund
 Radkurse für Erwachsene bieten eine gute              auszubilden. Sie wirken gleichzeitig als
  Chance, solche Frauen auf’s Rad zu bringen.           Vorbilder und Kommunikatorinnen.

 Radkurse sollten in verschiedenen                  Nicht jede Gemeinde muss das Rad neu
  Lernstufen angeboten werden.                        erfinden, gute Ideen und Materialien finden
                                                      sich im Netz. Die Entwicklung vor Ort braucht
 Radausflüge und Events mit                          aber intensive Kommunikation von
  Radinformationen oder Probiermöglichkeiten          OrganisatorInnen unterschiedlicher
  ergänzen das Angebot sinnvoll.                      Institutionen.

 Die Organisation von Radkursen und ihren           Der Österreichische Radgipfel, der seit 2007
  Begleitmaßnahmen kann auf ehrenamtlicher            durch das Lebensministerium organisiert
  oder (teil-)geförderter Basis von NGOs aus          wird, könnte einmal alle nationalen
  unterschiedlichen Feldern wie Mobilität,            Radlinitiativen zu einem Treffen mit
  Integration, Nachbarschaftshilfe,                   internationalen VorreiterInnen einladen. Es
  Gesundheits- oder Frauenförderung                   gibt viele Themen, die gemeinsam beraten
  übernommen werden.                                  werden könnten.

 Eine Förderung durch die Gemeinden bei der
  Suche von Lernräumen, bei der Finanzierung
  von passenden Rädern, bei der Vernetzung
  und der Öffentlichkeitsarbeit ist hilfreich und
  notwendig.

 Dabei ist die sektorübergreifende
  Zusammenarbeit von Verwaltungseinheiten
  der Integration, der Gesundheit, der Mobilität
  und der Frauenförderung unabdingbar. Nur
  so kann ein nachhaltiges Finanzierungs-
  modell gesichert werden, das dem
  nachgewiesenen nachhaltigen Bedürfnis von
  Migrantinnen am Radfahren entspricht.

 Gute Beispiele der Radförderung profitieren
  in hohem Maße von einem starken
  politischen Commitment der
  Gemeindevertretung, am besten beginnend
  mit der/dem Bürgermeister/in.

 Eine entsprechende Schulung der
  Trainerinnen ist wichtig und kann unter
  info@radlobby.at angefragt werden. Wie die

                                                                                                26
AutorInnen
Eliza Brunmayr
Studierte Kultur- und Sozialanthropologie sowie Geographie an der Universität Wien und arbeitet seit 2013
für die Radlobby Wien in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und Radkurse. Die leidenschaftliche
Alltagsradfahrerin möchte einen Beitrag für ein zukunftsfähiges Verkehrssystem leisten und als Radtrainerin
und Leiterin der „FahrSicherRad“-Radfahrschule der Radlobby andere Menschen unterstützen, die Freude
am Radfahren zu entdecken und sicher unterwegs zu sein.
Kontakt: eliza.brunmayr@radlobby.at

Figen Ibrahimoglu
Diplomierte Sozialarbeiterin und seit 2010 Mitarbeiterin des Frauengesundheitszentrums FEM Süd im
Kaiser Franz Josef-Spital. Arbeitsschwerpunkte in der Sozialberatung für Frauen mit Migrationshintergrund,
vor allem in Türkisch sowie in der Gesundheitsförderung und -vorsorge.
Kontakt: femsued.post@wienkav.at

Gül Lüle
Geschäftsführerin des Frauenvereins Piramidops „Frauentreff“. Ausbildungen in Management, Beratung
und Training. Kompetenzen und langjährige Erfahrung in Gender-und Diversitätsarbeit; entwickelt
Empowerment-Projekte mit und für Migrantinnen.
Kontakt: piramidops@tele2.at

Aysel Kilic
Ausgebildete Diplomsozialbetreuerin. Arbeitet mit körperlich und geistlich behinderten Menschen.
Langjährige Erfahrung als Radfahrtrainerin und Wanderführerin. Großes Interesse an der Entwicklung von
Radfahrkursen und Mobilität von Frauen.
Kontakt: aysel60@yahoo.com

Astrid Segert
Promovierte Soziologin am Institut für Höhere Studien in der Forschungsgruppe „Sozialökologische
Transformationsforschung“ (SET). Sie arbeitet in den Themenfeldern „Theorien sozialer Praktiken“ und
„Milieuforschung“. Ihr besonderes Interesse gilt der Erforschung von Innovationen für eine nachhaltige
Entwicklung der Mobilität und hier insbesondere der Erforschung gleicher Mobilitätschancen auch für
Frauen mit Migrationshintergrund sowie der Vernetzung unterschiedlicher sozialer und ökologischer
AkteurInnen.
Kontakt: segert@ihs.ac.at

Hilde Wolf
Klinische und Gesundheitspsychologin und Arbeitspsychologin. Seit 1999 Geschäftsführerin des
Frauengesundheitszentrum FEM Süd im Kaiser Franz Josef-Spital in Wien, davor wissenschaftliche
Mitarbeiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Frauengesundheitsforschung. Ausbildungen in
Gesundheitsförderung und Sozialmanagement mit MBA-Abschluss.
Kontakt: hilde.wolf@wienkav.at

27
Literatur
ADFC. Die Effekte des Radfahrens. [Online] abrufbar unter:
https://www.adfc.de/Gesundheit/Gesund-bleiben/Die-Effekte-regelmaessigen-Radfahrens/Seite-6-Herz-
Kreislaufsystem.
Anzenberger, J., Bodenwinkler, A., Breyer, E. (2015): Migration und Gesundheit. Literaturbericht zur
Situation in Österreich. Im Auftrag der Arbeiterkammer Wien und des Bundesministeriums für Gesundheit.
Wien: Gesundheit Österreich GmbH.
Bundesministerium für Gesundheit. (2011): Österreichischer Frauengesundheitsbericht 2010/2011. Wien.

Grancy, Alice. (2017): Wenn das Fahrrad die Freiheit bringt. Presse am 29.06.2017. [online] abrufbar unter:
http://diepresse.com/home/science/5240154/Wenn-das-Fahrrad-die-Freiheit-bringt (04.09.2017).

Radlobby Korneuburg. Mittwoch ist Schraubtag. [online] abrufbar unter:
https://www.radlobby.at/sites/default/files/atoms/files/20160901_news_0.pdf. (04.09.2017).

Segert, A., Brunmayr, E., Ibrahimoglu, F. und Sarikaya, N. 2015. Migrantinnen erobern das Fahrrad.
Forschungsbericht. Endbericht. IHS Wien. [online] abrufbar unter:
http://irihs.ihs.ac.at/3238/1/IHSPR6661164.pdf. (07.07.2017).
Segert, A., Brunmayr, E., Ibrahimoglu, F., Kilic, A., Lüle, G., Sarikaya, N., Wolf, H. (2017): Frauen in Fahrt.
Research Report. Endbericht. IHS Wien. [i. E.]

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