Raumordnungsprognose 2020 - Regionen und Städte im demographischen Wandel - BBSR

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Informationen zur Raumentwicklung
Heft 3/4.2004

  Raumordnungsprognose 2020
  Regionen und Städte im demographischen Wandel

Gegenstand der Raumordnungsprognose           Eigenschaften der Raumordnungsprognose         Hansjörg Bucher
Das Bundesamt für Bauwesen und Raum-          Die neuen Prognosen der Bevölkerung, pri-      Hans-Peter Gatzweiler
ordnung (BBR) arbeitet kontinuierlich an      vaten Haushalte und Erwerbspersonen leis-
Raumordnungsprognosen, aktuell mit dem        ten nicht nur eine Aktualisierung der Da-
Prognose-Horizont 2020. Die neuen Prog-       tenbasis und die Erweiterung des Prognose-
nosen zur Entwicklung der Bevölkerung so-     horizontes. Sie wurden auch räumlich
wie der privaten Haushalte und Erwerbs-       weiter ausdifferenziert. Die kleinsten Prog-
personen wurden bereits fertiggestellt; ge-   noseeinheiten für die Bevölkerung sind
plant sind darüber hinaus noch Prognosen      nunmehr die 440 Landkreise und kreisfrei-
zur Entwicklung des Wohnungsmarktes           en Städte. Beim Haushalts- und beim Er-
und der Siedlungsflächeninanspruchnah-        werbspersonenmodell wird weiterhin auf
me. Die Prognosen der privaten Haushalte      der Regionsebene prognostiziert, jedoch
und der Erwerbspersonen werden in die-        wurden Ergänzungsmodelle konstruiert,
sem Heft erstmals veröffentlicht. Die Er-     die ausgewählte Ergebnisse von den Regio-
gebnisse der Bevölkerungsprognose liegen      nen auf die zugehörigen Kreise verteilen.
bereits seit 2003 auf der CD-ROM „INKAR       Durch diese räumliche Ausdifferenzierung
PRO“ in tiefer sachlicher und räumlicher      vervielfacht sich die anfallende Datenmen-
Gliederung vor.                               ge – sowohl beim Prognoseinput als auch
Speziell als Ergänzung zu diesem IzR-Heft     bei der Produktion von Prognoseergebnis-
wird das BBR etwa im Juli 2004 noch die       sen. Dies musste Konsequenzen haben für
CD-ROM „ROP 2020“ veröffentlichen. Sie        die Datenaufbereitung, für die Annahmen-
wird umfangreiches Tabellenmaterial zur       setzung und für die Ergebnisweitergabe.
Raumordnungsprognose 2020 sowie aus-          Der Annahmenfindungsprozess wurde in
gewählte Karten und Abbildungen mit Pro-      großen Teilen „mechanisiert“, ohne dass
gnoseergebnissen enthalten und – wie auch     die Vielfalt der räumlichen Trends dadurch
INKAR PRO – beim Selbstverlag des BBR zu      verloren gegangen wäre. Dabei werden
beziehen sein. Vorab finden Sie im Anhang     Grundregeln festgelegt und Basisannah-
dieses Heftes, dem sog. „grauen Teil“,        men getroffen, um in einem mehrstufigen
schon eine ausgewählte Reihe von Tabellen     Prozess die Modellparameter in jener Di-
mit wichtigen Ergebnissen für verschiede-     mensionierung zu erhalten, die das zuvor
ne Raumbezüge.                                konstruierte Modell erwartet.
Erstmals enthalten diese Tabellen auch ei-    Die Komplexität der Modelle erschwert de-
nige Prognoseergebnisse, die nicht der        ren Darstellbarkeit. Mit seinen beiden zu-
Raumordnungsprognose (ROP) des BBR            sätzlichen Datenquellen, den CD-ROM
entstammen. Die Prognose der Arbeitsplät-     „INKAR PRO“ und „ROP 2020“, versucht das
ze bzw. deren regionaler Anteile bis 2010     BBR das Gebot der Transparenz und Nach-
wurde von F.-J. Bade (Universität Dort-       vollziehbarkeit zumindest teilweise einzu-
mund) erstellt und wird von ihm in diesem     lösen. Allerdings birgt die Weitergabe sol-
Heft auch ausführlich beschrieben. Die        cher Datenmengen in feiner Differenzie-
                                                                                             Dr. Hansjörg Bucher
Prognose des Wohnungsbedarfs auf der          rung mit der Möglichkeit zur intensiveren
                                                                                             Dr. Hans-Peter Gatzweiler
Basis der BBR-Wohnungsprognose 2020           Nutzung ihrer Ergebnisse Chancen und Ri-       Bundesamt für Bauwesen
steht noch aus. Gleichwohl wurden die Er-     siken, wie erste Erfahrungen mit INKAR         und Raumordnung
gebnisse der vorliegenden Haushaltsprog-      PRO sehr deutlich machen. Ein Prognose-        Deichmanns Aue 31 – 37
nose 2020 von M. Waltersbacher vorab          verwender, der die ganze Problematik der       53179 Bonn
                                                                                             E-Mail:
schon dazu genutzt, einige Konsequenzen       Prognoseerstellung nicht überblickt, kann
                                                                                             Hansjoerg.Bucher
der Haushaltsdynamik für den Wohnungs-        leicht dazu neigen, die Ergebnisse – wie       @bbr.bund.de
neubau in den alten Ländern zu quanti-        auch immer – überzubewerten und das            Hans-Peter.Gatzweiler
fizieren.                                     ganze Instrumentarium zu überfrachten.         @bbr.bund.de
II   Hansjörg Bucher, Hans-Peter Gatzweiler: Einführung

     Deshalb kann nicht oft genug auf die Eigen-    • Fristigkeit
     schaften der Raumordnungsprognose und          Demographische Prozesse setzen sich aus
     die damit verbundenen Einschränkungen          regelhaften und zufälligen Ereignissen zu-
     hingewiesen werden: ihre Bedingtheit,          sammen. Die regelhaften Komponenten
     Zweckgebundenheit, Fristigkeit und räum-       können ihrerseits kurzfristige und langfris-
     liche Differenzierung.                         tige Ursachen haben. Das Bevölkerungs-
                                                    prognosemodell ist für Aussagen zur lang-
     • Bedingtheit                                  fristigen Entwicklung konzipiert. Mit zeit-
     Prognosen stellen bedingte Behauptungen        reihen–analytischen Methoden werden die
     auf zu künftigen Ereignissen. Drei wesent-     langfristigen Trends aus der bisherigen
     liche Bestandteile der Prognose sind (1) ein   Entwicklung herausgefiltert und in das Mo-
     theoretisches Modell zur Beschreibung der      dell übernommen. Die prognostizierte Ent-
     kausalen Zusammenhänge, (2) eine Daten-        wicklung wird dadurch geglättet, kurzfristi-
     basis, die das Modell mit Realitätsgehalt      ge und zufällige Entwicklungen werden
     versieht und (3) ein intuitiver/spekulativer   nicht berücksichtigt. Deshalb taugt das Mo-
     Teil, in dem Annahmen über die zukünftige      dell auch nur begrenzt für kurzfristige Vor-
     Entwicklung der strategischen Parameter        hersagen.
     des Modells getroffen werden. Hier ist die
     Nahtstelle zwischen Theorie und Empirie,       • Räumliche Differenzierung
     denn immer wird ein theoretisches Gebäu-       Ziel der ROP sind Zukunftsinformationen
     de (Prognosemodell) mit Erfahrungen aus        für ganz Deutschland, jedoch in feiner
     der Vergangenheit (Datenbasis) und intui-      räumlicher Differenzierung. Die Teilergeb-
     tiven oder spekulativen Annahmen künfti-       nisse der Regionen dienen als „Mosaik-
     ger Größen (Modellinput) verknüpft. Der        steinchen“, um dieses Gesamtbild zusam-
     Wenn–dann-Charakter von Prognosen wie          menzusetzen, und sind nicht primär Ziel
     der ROP 2020 stellt genau diese Abhängig-      der Prognose. Deren Wert besteht darin,
     keit zwischen den Annahmen und den Pro-        dass die Regionalergebnisse untereinander
     gnoseergebnissen dar.                          in einem abgestimmten Verhältnis stehen
                                                    und sie in ihrer Summe immer einen plau-
     • Zweckgebundenheit                            siblen, vom Prognostiker gewollten und
     Bei einer Prognose zum Zweck der Politik-      kontrollierten Wert ergeben. Räumliche Be-
     beratung wird zwischen autonomen, unab-        sonderheiten gehen nur teilweise in die
     hängigen Trends und politisch beeinfluss-      Prognosen ein. Insofern liefern regionale
     baren Trends unterschieden. In der Regel       Ergebnisse lediglich die relative Position in-
     werden die beeinflussbaren Trends dann         nerhalb gesamtdeutscher Prozesse und
     mit der Status-quo-Annahme einer Weiter–       sind zu ergänzen um Expertenwissen vor
     wie–bisher–Politik verknüpft. Der Wenn-        Ort.
     dann-Charakter der Annahmen konzen-            Erfahrungen mit der bisherigen Nutzung
     triert sich dadurch auf das politische         der BBR-Bevölkerungsprognose haben
     Handeln, lässt Reaktionen auf die Status-      mehrfach gezeigt, dass die mit diesen Ei-
     quo-Prognose hin völlig offen. Das Progno-     genschaften der Raumordnungsprognose
     seergebnis ist schleunigst der genauen Prü-    verbundenen      Einschränkungen      nicht
     fung zu unterziehen, ob es so erwünscht ist    immer gesehen werden. Einerseits ist dies
     oder nicht. Ein wesentliches, aus der Sta-     verständlich, denn in Zeiten des demogra-
     tus-quo-Prognose abgeleitetes Ergebnis ist     phischen Wandels und verstärkter Un-
     der politische Handlungsbedarf, der sich       gewissheit ist der Bedarf an verlässlichen
     aus der Diskrepanz zwischen prognosti-         Zukunftsinformationen besonders groß.
     zierter und erwünschter Entwicklung ablei-     Andererseits kann es jedoch nicht Aufgabe
     ten lässt. Wird erfolgreich gehandelt, führt   des Prognostikers sein, dem zukunftgerich-
     dies zu einer Veränderung des zunächst         tet handelnden Planer oder Investor sein
     prognostizierten Trends und zur Vermei-        Entscheidungsrisiko abzunehmen.
     dung unerwünschter Entwicklungen. Das
                                                    Die Raumordnungsprognose 2020 bean-
     Ausbleiben der zunächst prognostizierten
                                                    sprucht nicht mehr zu sein als der Versuch,
     Entwicklungen bewertet der Prognostiker
                                                    „Schneisen in die Zukunft zu schlagen“. Sie
     dann eher als Erfolg denn als Misserfolg.
                                                    ist vor allem notwendig, um eine voraus-
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 3/4.2004                                                                                 III

schauende, vorsorgende und aktive Politik      Würde dieses Ziel so weiterverfolgt, wollte
vorzubereiten und zu unterstützen. Denn        man also die wachsende Lücke zwischen
ohne Prognosen wissen wir erst recht nicht,    normativem Anspruch und realer Entwick-
was auf uns zukommt – wie die Raum- und        lung stets schließen, brächte dies enorme –
Stadtentwicklung z. B. verlaufen wird oder     angesichts knapper werdender öffentlicher
verlaufen könnte. Mit Prognosen wissen         Mittel schwer leistbare – Anstrengungen
wir es zwar auch nicht genau und zuverläs-     mit sich. Die Möglichkeit, das Postulat
sig, aber wir gewinnen zumindest einige        gleichwertiger Lebensverhältnisse zu lo-
Anhaltspunkte und setzen uns bewusst mit       ckern, um neue Wege der „Schrumpfungs-
der Zukunft auseinander.                       planung“ einzuschlagen, wird – bisher
                                               zumindest – selten offen ausgesprochen.
                                               Dies würde leichter fallen, bewertete man
Schlussfolgerungen aus der                     die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse
Raumordnungsprognose 2020                      nicht allein aus der deutschen Perspektive
                                               heraus. So ist im europäischen Maßstab der
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Er-   Zugang zu Angeboten der Daseinsvorsorge
gebnisse aller Teilprognosen, dass die Ent-    auch in den ländlichen/peripheren Räu-
wicklungsdynamik regional auch weiterhin       men Deutschlands noch relativ gut.
gespalten bleiben wird. Einer – immer grö-     Das siedlungsstrukturelle Leitbild der de-
ßer werdenden – Gruppe von Kreisen mit         zentralen Konzentration als räumliches
Schrumpfungstendenzen steht eine – klei-       Ordnungsmodell für die Sicherstellung
ner werdende – Gruppe mit teils kräftigem      einer angemessenen regionalen Infrastruk-
Wachstum gegenüber. Der Vielfalt von Ent-      turausstattung ist bei Schrumpfungsten-
wicklungstendenzen entspricht eine Viel-       denzen möglicherweise noch wichtiger als
zahl von Problemkonstellationen, die die-      bei Wachstumsprozessen. Denn die Suche
ser Gleichzeitigkeit von Wachstums- und        nach Synergien verbleibender Einrichtun-
Schrumpfungsprozessen entwachsen. Der          gen zur Schließung der Lücken fortfallen-
politische Handlungsbedarf wird sehr un-       der wird zunehmend wichtiger und das Er-
terschiedlich sein; Empfehlungen können        reichen von Minimalauslastungen erfor-
sich nicht mehr auf Patentrezepte berufen.     dert besonders optimale Standortwahlen.
Als Schlussfolgerungen aus den in diesem       Nichtsdestotrotz bedarf das Leitbild der de-
Themenheft veröffentlichten Prognoseer-        zentralen Konzentration für ländliche peri-
gebnissen lassen sich auf Bundesebene für      phere Räume mit starkem Bevölkerungs-
die Politikbereiche Raumordnung, Städte-       rückgang einer Konkretisierung hinsicht-
bau und Wohnungswesen folgende Aufga-          lich der Grade der Konzentration bzw.
ben und Handlungsfelder ableiten:              Dekonzentration.

• Raumordnerische Ziele und Leitbilder         • Den Koordinierungsauftrag der Raum-
  ergebnisoffen prüfen                           ordnung aktiver wahrnehmen

Die Sicherstellung einer angemessenen re-      Träger von Einrichtungen und Diensten der
gionalen Infrastrukturausstattung unter        öffentlichen Daseinsvorsorge sind i. d. R.
den Bedingungen des demographischen            die raumwirksamen Fachpolitiken. Ihnen
Wandels erfordert eine Überprüfung der         gegenüber hat die Raumordnung einen
Auslegung traditioneller Ziele der Raum-       Koordinierungsauftrag. Raumbedeutsame
ordnung. Das deutsche Raumordnungs-            Planungen oder Maßnahmen sowie der
recht regelt den Sachverhalt einer             Einsatz raumwirksamer Mittel sind unter-
„Schrumpfung“ nicht. Der Gesetzgeber           einander und mit den Erfordernissen der
ging seit Erlass des Raumordnungsgesetzes      Raumordnung abzustimmen. Gerade die
(ROG) 1965 bis zu jüngsten Novellen dieses     aufgrund des demographischen Wandels
Gesetzes von einem Entwicklungsbegriff         unabdingbare Aufgabe der Anpassung
aus, der in erster Linie Wachstum von          regionaler Versorgungsstrukturen verlangt
Quantitäten vorsah. In der bisherigen In-      nach neuen raumordnerischen Weichen-
terpretation bedeutet das Ziel „Anglei-        stellungen hinsichtlich der Wahrnehmung
chung ungleichwertiger Lebensverhältnis-       dieses Koordinierungsauftrags.
se“ eine Angleichung an den Bundesdurch-
schnitt „nach oben“.
IV                                  Hansjörg Bucher, Hans-Peter Gatzweiler: Einführung

                                    Vorgeschlagen werden in diesem Zusam-        servierung (Schwerpunkt: Nutzungsoptio-
                                    menhang u.a.1                                nen offen halten) bis hin zur Renaturierung
                                    – die Weiterentwicklung des Einsatzes        (Schwerpunkt: kreislauforientierte Flä-
                                      raumwirksamer Finanzmittel über Ana-       chennutzung).2
                                      lysen der Ausgabenstruktur, der Aufbau     Gefordert sind integrierte Stadtentwick-
                                      eines Wirkungsmonitorings raumwirk-        lungskonzepte, die einen ressourcenbe-
                                      samer Mittel sowie die Prüfung sekto-      wussten Umgang mit der Stadt als Lebens-
                                      renübergreifender Finanzmittelbudgets      raum zum Maßstab der Politik erheben. Es
                                      oder die Durchführung von Förderkon-       wird eine Vielzahl von kleinen Projekten
                                      ferenzen für den integrierten Mittel-      und Maßnahmen sein, die diesen Weg mar-
                                      einsatz zur Umsetzung von Anpas-           kieren. Gleichwohl sind diese einzubetten
                                      sungsstrategien;                           in eine gesamtstädtische Strategie. Gerade
                                    – die Überprüfung der Wirkungsmecha-         knapper werdende Ressourcen verlangen
                                      nismen einwohnerbezogener Schlüssel-       nach einem Konzept, das den großen Bo-
                                      zuweisungen in Regionen mit starkem        gen spannt vom detaillierten Einzelobjekt,
                                      Bevölkerungsrückgang und Entwicklung       z. B. der Wiedernutzung einer innerstädti-
                                      alternativer Finanzierungsansätze für      schen Brachfläche, bis hin zu interkommu-
                                      ausgewählte Regionen unter der Voraus-     nalen Kooperationsformen mit den Nach-
                                      setzung, dass sie eigenständig Prioritä-   bargemeinden, z. B. bei der regionalen
                                      ten setzen und so ihre Entwicklungsopti-   Flächennutzungsplanung oder der Sicher-
                                      onen optimal nutzen; und schließlich       stellung einer angemessenen stadtregio-
                                    – die Prüfung von Vorgaben der Fachpla-      nalen Infrastrukturversorgung. Der 2002
                                      nungen hinsichtlich der Flexibilisierung   durchgeführte Bundeswettbewerb Stadt-
                                      von Standards, Kapazitäten und Ein-        umbau Ost hat eindrucksvoll deutlich ge-
                                      zugsbereichen und die Integration der      macht, dass integrierte Stadtentwicklungs-
                                      sich wandelnden Strukturmodelle der        konzepte eine unverzichtbare Grundlage
                                      Fachplanungen in die raumordneri-          für eine „Schrumpfungsplanung“ sind, die
                                      schen Strukturmodelle (Beispiel: Wech-     zumindest im Osten als Daueraufgabe ver-
                                      selwirkung zwischen Verringerung der       standen werden muss.
                                      Mindestschülerzahlen      bei   „kleinen   Für die Städtebauförderung im weitesten
                                      Grundschulen“ und Zentrale-Orte-Net-       Sinne, d. h. für alle wesentlichen investiven
                                      zen).                                      Instrumente der Stadtentwicklungspolitik
                                                                                 stellt sich die Frage, ob und wie weit sie ge-
                                    • Nachhaltige Stadtentwicklung in            eignet sind, rückläufige Entwicklungen
                                      schrumpfenden Städten als neue             durch gebündelten Mitteleinsatz räumlich
                                      Gestaltungsaufgabe begreifen und           und funktional zu steuern. Dabei geht es
                                      fördern                                    zum einen um die Frage förderungsbedürf-
                                    Stadtentwicklungspolitik wird nicht länger   tiger/-würdiger Städte und Gemeinden:
                                    nur dadurch bestimmt sein, Wachstum          Sind z. B. die schrumpfenden Klein- und
                                    räumlich zu verteilen. Anders als in der     Mittelstädte Schwerpunkte der Förderung
                                    Vergangenheit gilt es stattdessen künftig,   bzw. sollen sie es werden? Zum anderen
                                    rückläufige Entwicklungen unter sozialen,    geht es um die Frage neuer Förder-
(1)
Für die Raumordnung auf Bun-        ökonomischen und ökologischen Gesichts-      gebietskategorien (jenseits von Sanierungs-
desebene werden entspre-                                                         und Entwicklungsgebieten) und neuer För-
chende       Schlussfolgerungen
                                    punkten umfassend nachhaltig zu gestal-
vom Institut für Stadtforschung     ten. Stadtentwicklung heißt in Zukunft in    dertatbestände (jenseits von baulichen De-
(IfS) Berlin gezogen. Das IfS ist   erster Linie „Bestandsentwicklung“. Dies     fiziten). Die Weiterentwicklung der Städte-
vom BBR mit der Begleitfor-
schung des Modellvorhabens          betrifft die Stadtplanung vor Ort wie auch   bauförderung i. w. S. als Stadtumbauförde-
der Raumordnung „Anpas-             die Städtebauförderung.                      rung darf nicht die Finanzierung eines
sungsstrategien für ländliche/                                                   „resignativen Rückzugs“ leiten. Vielmehr
periphere Regionen mit star-        Für eine bestandsorientierte Stadtentwick-
kem Bevölkerungsrückgang in                                                      gilt es, eine neue, gezielte „Qualitätsoffen-
den neuen Ländern“ beauf-
                                    lung bieten sich unterschiedlichste Hand-
                                                                                 sive“ für den Lebensraum Stadt zu starten
tragt.                              lungsoptionen: Weiternutzung durch An-
                                                                                 und Schrumpfung als Chance zur Schaf-
(2)                                 passung (Schwerpunkt: Modernisierung),
                                                                                 fung von mehr Lebensqualität in den Städ-
Siehe hierzu auch IzR 10/           Wiedernutzung durch Neubau (Schwer-
11.2003 „Stadtumbau. Eine                                                        ten zu nutzen.
Daueraufgabe mit neuen Her-         punkt:    Nutzungswandel),     Umnutzung
ausforderung“                       (Schwerpunkt: Nutzungsänderung), Kon-
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 3/4.2004                                                                                V

• Wohnungs- und Städtebaupolitik               entgegengewirkt werden. Als sozial stabi-
  stärker verzahnen                            lisierende Maßnahmen sollten von woh-
Speziell unter dem Gesichtspunkt einer         nungspolitischer Seite auch kommunale
stärkeren Verzahnung von Wohnungs- und         Belegungsrechte sensibel wahrgenommen,
Städtebaupolitik stellen sich u. a. folgende   Anreize zu individuellen Wohneigentums-
Aufgaben:                                      bildungen gegeben und eigentumsnahe
                                               Genossenschaften unterstützt werden.
• Verbesserung der Wohnqualität: Ursa-
che für Bevölkerungs-, insbesondere Wan-
                                               • Mit regionalisierter Wohnungspolitik
derungsverluste der Städte sind auch quali-
                                                 auf unterschiedliche Entwicklungen
tative Defizite des Wohnungsangebots und
                                                 antworten
des Wohnumfeldes. Vor allem in wirt-
schaftlich noch prosperierenden Städten        Die ROP 2020 zeigt: Räumliche Unterschie-
mit Nachfragedruck auf dem Wohnungs-           de nehmen zu, und damit wird die räum-
markt gilt es deshalb, insbesondere die        liche Dynamik noch stärker als in der Ver-
städtische Wohnqualität für Familien zu        gangenheit zu einer der Triebkräfte der
verbessern, unterstützt durch eine entspre-    Wohnungsmarktentwicklung. Neben Teil-
chende Wohnungsförderung von Bund und          räumen mit immer noch wachsender
Ländern.                                       Nachfrage nach Wohnungen und tenden-
                                               zieller Unterversorgung treten zunehmend
• Änderung der Eigentumsverhältnisse: In
                                               Teilräume mit einem quantitativen Woh-
Städten mit entspannten Wohnungsmärk-
                                               nungsüberhang bzw. Wohnungsleerstän-
ten steht der Umbau des vorhandenen Ge-
                                               den. Hinzu kommt eine zunehmende
bäudebestandes im Vordergrund. Ein gro-
                                               soziale Differenzierung der Wohnungs-
ßes und zunehmendes Potenzial stellen
                                               nachfrage nach Einkommen, Nationalität,
dabei die häufig günstig gelegenen, aber
                                               Lebensformen, Milieus etc.
eher kleinen Wohnungen der 1950er und
60er Jahre dar. Hier kann eine Privatisie-     Zurzeit sind es im Wesentlichen Haushalts-
rung vornehmlich an die Mieter zu den          engpässe, die den Impuls für wohnungs-
positiven Effekten einer stärkeren Quar-       politische Veränderungen geben. Die
tiersbindung der Bewohner sowie Vermö-         Schwerpunktverschiebung umfasst aber
gensbildung und Altersvorsorge führen.         wesentlich mehr als nur die Kürzung von
Dass es ein erhebliches Nachfragepotenzial     Etats, es geht auch um die zukünftige Rolle
für neue Wohnbauprojekte auf Recycling-        des Staates und seines Handelns. Die zu-
grundstücken für den Eigentumserwerb im        künftige Rolle der öffentlichen Hand als
Bestand der Innenstädte gibt, zeigen For-      aktivierender Staat muss noch formuliert
schungsergebnisse des BBR zur Wohnei-          bzw. gefunden werden. Neben dem Aufga-
gentumsbildung und Stadterneuerung in          bentableau der Wohnungspolitik werden
den neuen Bundesländern.                       derzeit auch die Zuständigkeiten im födera-
                                               len Aufbau der Bundesrepublik diskutiert.
• Stabilisierung gefährdeter Quartiere:
                                               Vor dem Hintergrund der tiefgreifenden
Struktureller Wohnungsmangel ist in ent-
                                               Umbrüche wird eine wohnungspolitische
spannten Märkten – abgesehen von be-
                                               Neuorientierung im Sinne einer regionali-
stimmten Problemkonstellationen – nicht
                                               sierten Wohnungspolitik wahrscheinlich.
zu erwarten. Konflikte zwischen heteroge-
                                               Eine regionalisierte Wohnungspolitik wird
nen Bevölkerungsgruppen sind jedoch ab-
                                               Aufgaben von der gesamtstaatlichen Ebene
sehbar. Es gibt einen Trend zur sozialen
                                               auf die Regionen verlagern. Der Bund sollte
Entmischung, zur Segregation insbeson-
                                               sich jedoch seiner Steuerungsfunktion
dere in den Kernstädten der Großstadt-
                                               nicht entkleiden, sondern auf die räumliche
regionen. Vor allem weniger attraktive
                                               Verteilung der Mittel Einfluss nehmen.
Wohngebiete (Großsiedlungen, Stadterwei-
terungen etc.) sind davon besonders be-        Angesichts der zurückgehenden Reichweite
troffen. Dieser Entwicklung kann durch ge-     der Politik muss sich die Wohnungspolitik
zielten Rückbau und bauliche Aufwertung        zukünftig stärker auf das Funktionieren der
gefährdeter Quartiere, durch die Förderung     Märkte verlassen können. Die Marktakteu-
lokaler Arbeits- und Ausbildungsmöglich-       re bedürfen der Markttransparenz. Insofern
keiten sowie durch die Stärkung der sozia-     muss der Politik stärker an der Bereitstel-
len Integrationskraft der Nachbarschaften      lung von Informationen gelegen sein. Der
VI                                Hansjörg Bucher, Hans-Peter Gatzweiler: Einführung

                                  Ausbau von Wohnungsmarktbeobach-               Das raumordnerische Aktionsprogramm
                                  tungssystemen und die Installation von         „Modellvorhaben      der    Raumordnung“
                                  Kommunikationszirkeln auf allen räum-          (MORO) gibt der Bundesraumordnung die
                                  lichen Ebenen und in regionalisierter Form     Möglichkeit, exemplarisch konkrete Projek-
                                  ist zu fördern.                                te zu fördern: Vor Ort in den Regionen, in
                                                                                 Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren
                                  • Über Information und Kommunikation           werden innovative raumordnerische Hand-
                                    Problembewusstsein schaffen und neue         lungsansätze projektbezogen entwickelt
                                    Lösungsansätze vermitteln                    und erprobt. Ein aktueller Schwerpunkt des
                                                                                 Programms ist u. a. das Thema „Infrastruk-
                                  Anpassungsprozesse in den Regionen und
                                                                                 tur und demographischer Wandel“. In
                                  Städten werden sich nicht von allein ein-
                                                                                 zurzeit sechs Modellvorhaben werden hier
                                  stellen. Politikänderungen setzen voraus,
                                                                                 Strategien und Konzepte zur Sicherung
                                  dass sie zu einem ernsthaft diskutierten
                                                                                 einer angemessenen Infrastrukturversor-
                                  öffentlichen Thema werden. Die räum-
                                                                                 gung entwickelt und erprobt (siehe Karte).
                                  lichen Folgen des demographischen Wan-
                                  dels und deren Bewältigung scheinen die-       Im Städtebau gehört der Umbau der Städte
                                  sen Status noch nicht erreicht zu haben.       als Reaktion auf Schrumpfungsprozesse
                                  Lediglich im Osten Deutschlands ist            bereits zu den wichtigsten Aufgaben in Ost
                                  Schrumpfung von Gesellschaft und Politik       und West. Das Thema Schrumpfung wird
                                  als dringendes Problem erkannt und akzep-      dort endlich nicht mehr tabuisiert, sondern
                                  tiert. Auch im Westen gibt es bereits Regio-   breit und offen als gesellschaftliches Pro-
                                  nen und Städte mit Schrumpfungstenden-         blem diskutiert. Den Anstoß dazu gaben
                                  zen. Doch sind Anpassungsprozesse dort         das Bundesprogramm „Stadtumbau Ost“
                                  offenbar schwierig zu kommunizieren,           – insbesondere der in seinem Vorlauf
                                  zumal es um mittel- und langfristige Ent-      durchgeführte Bundeswettbewerb „Stadt-
                                  wicklungen geht. Die näher liegenden Pro-      umbau Ost – für lebenswerte Städte und at-
                                  bleme und Aufgaben im Bereich der sozia-       traktives Wohnen“ – und die Initiierung des
                                  len Sicherungssysteme (Rente, Gesundheit,      Forschungsfeldes „Stadtumbau West“ im
                                  Pflege) binden zudem bereits genug politi-     Forschungsprogramm         Experimenteller
                                  sche Aufmerksamkeit. Deshalb ist es wich-      Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) (siehe
                                  tig, umfassend und laufend über den de-        Karte). „Stadtumbaustädte“ im Osten und
                                  mographischen Wandel und seine räumli-         im Westen sind als Modellstädte Vorreiter
                                  chen Folgen zu informieren und die             für neue Strategien und Konzepte im Um-
                                  Diskussion darüber zu intensivieren. Ziel      gang mit Schrumpfungsprozessen.
                                  muss es sein, den vom demographischen
                                  Wandel besonders betroffenen Räumen            Fazit: Demographischer und wirtschafts-
                                  und räumlichen Handlungsebenen die not-        struktureller Wandel und die damit verbun-
                                  wendige Aufmerksamkeit zu sichern und          denen Anpassungserfordernisse regionaler
                                  ihre Probleme auf die politische Agenda bei    und städtischer Strukturen stellen die
                                  Bund und Ländern zu bringen, u.a. durch        räumliche Planung und Politik vor große
(3)                               Veröffentlichungen und Veranstaltungen.3       Herausforderungen. Ein Paradigmenwech-
So veranstalten das BBR und
                                  Schaffung von mehr Problembewusstsein          sel von „gesteuertem Wachstum“ auf „Ge-
die ARL am 17./18. Juni 2004 in
Magdeburg gemeinsam die           ist der erste Schritt, die Erarbeitung von     staltung von Schrumpfung“ zeichnet sich
große Tagung „Demographi-
                                  Lösungs- und Handlungsansätzen durch           ab. Ihn gilt es zu kommunizieren, anzuneh-
scher Wandel im Raum: Was                                                        men und umzusetzen. Dies wird umso eher
tun wir?“. Ziele der Veranstal-   angewandte Forschung der zweite. So sind
tung sind eine breite Diskussi-   für Raumordnung und Städtebau auf Bun-         gelingen, wenn dieser Wandel nicht als Ver-
on der Auswirkungen des de-                                                      lust, sondern als Gewinn von Lebensquali-
mographischen Wandels auf         desebene seit Jahren Modellvorhaben ein
die Raum- und Stadtentwick-       wichtiges Instrument, um ein stärker pro-      tät und regionaler bzw. örtlicher Standort-
lung sowie der Handlungs-
                                  zess-, aktions- und projektorientiertes Pla-   attraktivität erkannt und vermittelt wird.
möglichkeiten für räumliche
Planung und Politik.              nungsverständnis umzusetzen.                   Modellvorhaben der Raumordnung und
                                                                                 des Städtebaus können und sollen dies leis-
                                                                                 ten. Sie sind deshalb ein wichtiges Hand-
                                                                                 lungsfeld des Bundes.
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 3/4.2004                                                                                                                                                                                                 VII

    Regionen und Städte im Umbau - Gute Beispiele

                                                                                                                               Barth
                                                                                                                                   3
                                                          Technologie-Region K.E.R.N.                                                               Wolgast

                                                                                         Lübeck                                                         3
                                                                                                     Wismar
                                                                                                         3                     Stavenhagen                        Ueckermünde
                                                                                                                                                             2.
                                  Wilhelmshaven
                                                        Bremerhaven                                                                    3                      2 Eggesin
                                                                                                        1    Schwerin
                                                                                                                                                             2 Torgelow
                                                                                                    2    Hagenow              Modellregion
                                                                           Hamburg                                     Mecklenburgische Seenplatte

                                                                                                                                                                   1   Schwedt/Oder
                                                       Bremen
                                                                                                               1       Wittenberge
                                                                                                    3
                                                                                               Salzwedel                                   Marzahn-Hellersdorf
                                                                                                                   2    Stendal                     1
                                                                                                                                                                       2   Frankfurt/Oder
                                                                                  Salzgitter

                                                                                               Oschersleben                                   Modellregion
                                                                                                     3                  Dessau              Lausitz-Spreewald
                             Oer-Erkenschwick                                                                              3       Gräfenhainichen
                                                               Regionalverband                                                                                3
                                                             Südniedersachsen e.V.                                             1                     Calau
                                                                                                              Eisleben
                                                                                       Sangerhausen                                         3                 3   Schipkau
                                                                                                                           Halle/S.
                     Essen            Gelsenkirchen                            Leinefelde
                                                                                                        1 3            3               Torgau       1
                                                                                    1          2                               2                        Gröditz
                                                                                                         1
                                                                                     Sondershausen                         Leipzig
                                                                                                             Roßleben                           2   Döbeln

                                                       Schwalm-Eder-Kreis (West)                                                                                             2    Zittau

                                                                                                   Modellregion                    3   Zwickau
                                                                                                   Ostthüringen
                                                                                                                               3
                                                                                                                                  Reichenbach
                                                                                                                           1
                                                                                                                               Plauen

                                                                           Wildflecken
                                                                                                                       Selb

                     Völklingen

                                           Pirmasens
                                                           Regionalveband
                        Saarbrücken                       Heilbronn-Franken

                                                                Albstadt                                                                                                                    © BBR Bonn 2004

          100 km

    Aktionsprogramm
                                                                                     Pilotstädte im ExWost-Forschungsfeld "Stadtumbau West"
    Modellvorhaben der Raumordnung
        Schwerpunkt Infrastruktur und                                                               Themenschwerpunkt Stadt/Ortsteil
        demographischer Wandel                                                                      im Strukturwandel

        Schwerpunkt Anpassungsstrategien
        für ländliche/periphere Regionen mit                                                        Themenschwerpunkt Wohngebiet
        starkem Bevölkerungsrückgang in                                                             im Wandel
        den neuen Ländern

    Siedlungsstrukturelle Kreistypen                                                     Preisträger Bundeswettbewerb "Stadtumbau Ost"
        Kernstädte
                                                                                         1         1. Preis                        2        2. Preis                   3     3. Preis
        Verdichtete Umlandkreise
        Ländliche Kreise
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