DISCUSSION PAPER - Das Progressive Zentrum
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2_2017 DISCUSSION PAPER Oktober 2017 von Fedor Ruhose Umgang mit der AfD im parlamentarischen Alltag: 15 Handlungsempfehlungen aus der Praxis Mit dem Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) ist erstmals eine klar rechtspopulistische bis völkisch-rechtsextreme Fraktion im Bundestag vertreten. Dies stellt andere Fraktionen und Abgeordnete vor neue Herausforderungen im parlamentarischen Alltag. Aus den Bundesländern gibt es bereits praktische Erfahrungen im Umgang mit der AfD, die 2014 erstmalig in einen Land- tag einzog und mittlerweile in 13 von 16 Landtagen vertreten ist. Von den Erfahrungen auf der Länderebene sollten nun auch die demokratischen Kräfte im Bundestag profitieren. Dieses Pa- pier leitet aus den bisherigen Erkenntnissen auf Landesebene 15 Handlungsempfehlungen dafür ab, wie der AfD im parlamentarischen Alltag mit Haltung begegnet werden kann. Einleitung Die Alternative für Deutschland (AfD) ist aus der Bundestagswahl 2017 als drittstärkste Kraft hervorge- Dass sich die AfD im parlamentarischen gangen und zieht in den Bundestag ein. Damit gibt es Alltag selbst entzaubert oder – wie im Bundestag erstmals seit der Gründung der Bundes- frühere rechte Phänomene – von selbst republik eine rechtspopulistische Fraktion, deren wieder verschwindet, ist mehr als fraglich. Mitglieder und Anhänger zu einem beträchtlichen Anteil aus Rechtsextremisten bestehen. Das hohe Das sich stetig wandelnde Auftreten der AfD, die kalku- Wahlergebnis von 12,6 % und die damit einherge- lierte Provokation ihres Personals und die regelmäßige hende Legitimation durch Wählerinnen und Wähler Selbstdarstellung als Opfer der „Altparteien“ er- bringen der AfD neben der bereits großen öffentlichen schweren eine Auseinandersetzung im Rahmen der Aufmerksamkeit nun auch finanzielle und personelle bisher praktizierten politischen Mechanismen. Nicht Ressourcen. zu unterschätzen sind auch die Unterstützung in den
2_2017 DISCUSSION PAPER sozialen Netzwerken sowie die Verunsicherung bei den konservative CDU der 80er Jahre, während ein weiterer etablierten Medien hinsichtlich des Umgangs mit die- signifikanter Flügel als Sammelbecken rechtsextremer sem relativ neuen politischen Akteur. Dies hat der AfD Kräfte fungiert. Die dritte und mittlerweile schwäch- schon bisher überproportionale Sichtbarkeit beschert. ste Strömung in der Partei sind wirtschaftsliberale An- Zudem speist sich der Wahlerfolg der AfD aus verschie- hänger von Parteigründer Bernd Lucke oder Hans-Olaf denen Quellen: einem Gefühl der Verunsicherung in Henkel (der inzwischen ebenfalls ausgetreten ist). Dies- vielen Bevölkerungsteilen, dem Bedürfnis nach Protest- er Flügel, mittlerweile repräsentiert von der Spitzenk- wahl und aus der Mobilisierung von Konservativen andidatin Alice Weidel, wird von einer durchaus rele- und Rechten, die früher ihre Heimat in der Union und vanten Zahl von Basismitgliedern unterstützt, obwohl in Parteien rechts von ihr fanden. Die AfD fährt dafür Alice Weidel im Bundestagswahlkampf in geschickter zweigleisig: Sie ist Ventil für die über Jahre aufgestaute Arbeitsteilung mit dem zweiten Spitzenkandidaten Frustration zahlreicher Bürgerinnen und Bürger und Alexander Gauland gezielt an einer Verschärfung des gleichzeitig Katalysator für fremdenfeindliche Ressen- Tones der AfD mitgewirkt hat. timents: dies erklärt auch die Wählerwanderung (eine Million Stimmen von der Union, 500.000 von der SPD In den neuen Bundesländern, wie z.B. in Sachsen-An- und 400.000 von den Linken) sowie die große Mobilis- halt, gibt es durchaus Kräfte, die eine auf soziale The- ierung von Nichtwählern. men fokussierte Agenda befürworten. Diese Gruppe der AfD, die linke Sozialpolitik und Wirtschaftsnationalis- Die Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und mus präferiert, ist aber noch keine eigenständige Kraft Fremdenhass ist nun im Plenarsaal angekommen. innerhalb der AfD. Ihre Bundestagswahlkampagne Parteien, Abgeordnete und Medienvertreter müs- basierte daher vor allem auf den bekannten Themen sen jetzt Haltung und einen Umgang mit der AfD im des neuen Markenkerns der Partei: Flüchtlinge, Einwan- praktischen parlamentarischen Alltag entwickeln, die derung, Islam, Familie, deutsche Kultur, Entfremdung gewährleistet, dass die Partei bei der nächsten Bunde- und Kritik an linker Ideologie. stagswahl nicht noch stärker abschneidet oder, idealer- weise, es nicht erneut ins Parlament schafft. Die 13 Landtagsfraktionen der AfD werden von außerparlamentarischen Kräften und Um die nun anstehende Auseinandersetzung sinnvoll zu gestalten, der AfD mit Haltung zu begegnen und Strömungen, besonders aus dem Kontext nicht ungewollt in ihre Hände zu spielen, sollten Frak- der „Neuen Rechten“, beeinflusst. tionen und Abgeordnete die neue Herausforderung mit Bedacht und Umsicht angehen. Außerdem sollten sie Dies geht bis hin zur Übernahme bekannter ideol- aus dem Erfahrungswissen schöpfen, das bereits seit ogischer Bausteine von der „Umvolkung“ oder dem 2014 in der parlamentarischen Praxis der Bundesländer „Souveränitätsverlust“, die in den Denkfabriken der im täglichen Umgang mit der AfD aufgebaut wurde. „Neuen Rechten“ vorgedacht werden. Zudem drängen die Anhänger über die sozialen Medien auf ein radi- kales Auftreten der AfD in der politischen Auseinand- ersetzung. Ein ähnlicher Einfluss auf die im Entstehen befindliche Bundestagsfraktion ist zu erwarten. Inside AfD: Parteiflügel und Parteieinflüsse Die neugewählte AfD-Fraktion im Bundestag wird aus mindestens drei Flügeln bestehen, die unterschiedli- ches Gewicht in der neuen Organisation besitzen: Ein großer Teil der Abgeordneten repräsentiert die www.progressives-zentrum.org 2
2_2017 DISCUSSION PAPER 3. Die AfD pflegt ihre Oppositionsrolle. Die Arbeitsweise der Die Fraktionen in den Landtagen nutzen klassische Op- AfD-Fraktionen in den positionsinstrumente wie Kleine Anfragen oder Frag- estunden an die Regierung sehr intensiv. Damit stärkt Bundesländern die AfD ihre Selbstwahrnehmung als politische Kraft, die angebliche Missstände „aufdeckt“ oder „entlarvt“. Die AfD nutzt ein Parlament anders als etablierte Kräfte. Das lässt sich seit 2014 anschaulich in der politischen 4. Die AfD sieht sich als „Anwalt der Bürgerinnen und Arbeit der Landtage beobachten: Bürger“. 1. Die AfD betreibt Dauerwahlkampf im Parlament. Die AfD ist sehr bemüht, eine Grenze zwischen sich und anderen Parteien zu ziehen und positioniert sich In den öffentlichen Plenarsitzungen der Landtage sucht mit ihren Fraktionen als vermeintlich einzige „Stimme die AfD durchweg die gezielte Konfrontation. Sitzun- der Bürger“. Zu ihren gängigen Behauptungen zählt, gen werden dazu genutzt, Öffentlichkeitsarbeit in den dass nur in der AfD „normale“ Bürger Politik machten, sozialen Medien mit Gesprächsstoff und Eskalation- während andere Parteien nur aus BerufspolitikerIn- spotenzial anzureichern. In den Fachausschüssen der nen bestünden. Zudem ruft die AfD stets nach mehr Parlamente, die entweder unter Ausschluss der Öffen- Bürgerbeteiligung und forderte daher im Wahlkampf tlichkeit oder mit sehr geringer medialer Beachtung auch Volksbefragungen auf Bundesebene. Nicht nur tagen, halten sich AfD-Abgeordnete hingegen meist aufgrund der öffentlichen Kritik setzt sie auf eigene zurück oder bleiben den Sitzungen vollständig fern. kleinteilige Regionalveranstaltungen und unterstützt Zudem zeigen einige Abgeordnete offenes Desinteresse systematisch Demonstrationen von Wutbürgern in an der fachlichen Arbeit des Parlaments. Ostdeutschland. In hartem Kontrast zum Anspruch der Bürgernähe steht allerdings, dass AfD-Fraktions- mitglieder oftmals keine Abgeordnetenbüros in den Das Hauptinteresse scheint eher dem Wahlkreisen unterhalten und nur wenige Veranstaltun- „Facebook-Sharepic“ hinterher, als der gen der Zivilgesellschaft besuchen. Diese Beobachtung politischen Mitgestaltung während der trifft allerdings vor allem auf die westlichen Bunde- Parlamentsdebatte zu gelten. sländer zu. 5. Die AfD fokussiert sich auf alternative 2. Die AfD forciert ihren Markenkern. Kommunikationswege. Bei parlamentarischen Initiativen dreht sich die The- Soziale Medien, AfD-TV, Blogs/Nachrichtenportale, mensetzung immer um den politischen Markenkern WhatsApp-Gruppen – die AfD bedient zahlreiche Kom- der AfD: die Zuwanderungs- und Asylpolitik. Auch munikationskanäle jenseits der traditionellen Medien. wenn andere Abgeordnete davon unabhängige The- All das erzeugt eine beachtliche Reichweite. Allerdings men setzen, wie etwa Initiativen in der Familien- oder werden in den alten Bundesländern die finanziellen Wohnungsbaupolitik, verbindet die AfD diese durch- Ressourcen, die den Landtagsabgeordneten für die weg mit Fragen der Einwanderung und Asylpolitik. Die Wahlkreisarbeit zustehen, bislang kaum für die Errich- Ankündigung der AfD, unmittelbar nach der Konstitu- tung von Bürgerbüros genutzt. Es scheint, dass die vor- ierung des Bundestags einen Untersuchungsausschuss handenen Ressourcen unmittelbar zur Unterstützung zur Flüchtlingspolitik Angela Merkels einzurichten, ze- der Fraktionsarbeit genutzt werden. Nach dem Wahler- ugt davon, dass sie diesen Kurs der starken Themen- folg im Bundestag wird die AfD jedoch wahrscheinlich fokussierung auch auf Bundesebene fortsetzen wird. einen Wandel vollziehen und vor Ort sichtbarer werden – insbesondere im Osten. www.progressives-zentrum.org 3
2_2017 DISCUSSION PAPER Zwischenrufe, Ordnungsrufe, Proteste gegen die Sitzu- ngsführung sowie Sondersitzungen des Ältestenrats Strategie-Baukasten: werden zunehmen. All das hat in den Bundesländern Handlungsempfehlungen zum schon stattgefunden. Fraktionen, deren Mitglieder in der bisherigen politischen Normalität Deutschlands Umgang mit der AfD groß geworden sind, müssen deshalb umdenken. Zudem ist zu erwarten, dass die AfD-Bundestagsfrak- Es gibt gegen die AfD keine „One size fits all”-Strategie. tion – analog zu ihren Landeskollegen – ihre neuen Generell gilt, dass Progressive immer im Kontext der parlamentarischen Ressourcen dafür einsetzen wird, politischen Situationen, der handelnden Personen und Informationen einzuholen, um Politik und Verwaltung der Strategie des Gegenübers (also der AfD) handeln auch im Detail zu kritisieren. Darauf müssen andere müssen. Dabei geht es vor allem darum, politisch selbst Parteien auf zweierlei Art reagieren: Erstens müssen sie zu agieren statt lediglich zu reagieren. Betrachtet man inhaltlich und kommunikativ auf Angriffe vorbereitet die Arbeitsweise der AfD, ergeben sich verschiedene sein. Und zweitens sollten sie ihre Energie darauf richt- Handlungsansätze, die Fraktionen, Parteien und Medi- en, eigene Debattenakzente zu setzen, statt sich dem en helfen können, der AfD mit Haltung zu begegnen, Framing der AfD zu unterwerfen. ohne unfreiwillig deren Strategie zu unterstützen. Die Handlungsansätze können fortwährend im parlamen- 3. Verwehrt nicht die Wahl von AfD-Kandidaten! tarischen Alltag angewandt werden und setzen zum Teil bereits sehr früh in den nun anstehenden formel- In den Ländern ist es vorgekommen, dass die etablier- len Schritten, z.B. bei der Konstituierung des Bunde- ten Fraktionen die Wahl von AfD-Kandidaten in Gre- stages, an. mienposten verhindert haben, die der Fraktion formell zustanden (wie z.B. als Mitglied der PKK/G10-Kommis- 1. Führt die Auseinandersetzung scharf – aber ohne sionen oder als Mitglieder des Landtagspräsidiums). Tricks! Dieses Vorgehen hat den Opfermythos der AfD gestärkt und damit ihre Möglichkeiten zum eigenen Fram- Die AfD sollte nicht mit parlamentarischen Geschäfts- ing der politischen Debatte verbessert. Allein deshalb ordnungstricks diskriminiert werden. Auch das Ändern dürfen parlamentarische Gepflogenheiten nicht den parlamentarischer Gepflogenheiten, z.B. bei der Aus- Rechtspopulisten geopfert werden, zumal die AfD sich wahl von Alterspräsidenten, ist kein adäquates Mittel, bewusst dann außerhalb des parlamentarischen Kon- um der AfD wirksam zu begegnen. Dies ist zum einen senses stellt, wenn ihr dies nutzt. Das bedeutet aber der Fall, weil diese Ansätze praktisch nur innerhalb der nicht, dass es keine Grenzen gibt oder dass jegliche politischen Blase wahrgenommen werden; zum an- KandidatInnen der AfD für andere Fraktionen wählbar deren sind solche Mittel schlicht der demokratischen wären. Wo aber die Grenze im Einzelfall zu ziehen ist, Debatte unwürdig. Progressive Kräfte müssen ver- muss sorgfältig erwogen werden. meiden, der AfD durch den Griff zu Verfahrenstricks die Gelegenheiten zu geben, sich als verfolgte Opfer zu 4. Richtet Eure eigene Pressearbeit nicht an der AfD präsentieren. Die formale Beteiligung der AfD am Par- aus! lamentarismus darf nicht verhindert werden! Im politischen Alltag sollten nicht alle Pressemittei- 2. Setzt starke Akzente gegen den AfD-Debattenton! lungen der AfD und ihre kommunikativen Vorstöße kommentiert werden. Dies zu tun hieße, über jedes Der bisherige Debattenstil im Bundestag wird sich strategische Stöckchen der AfD zu springen. Mediale ändern. Schon Alexander Gaulands erste Äußerungen Reaktionen auf die Kommunikation der AfD sollten nach der Wahl („Wir werden Merkel jagen“) zeigen: gut abgewogen erfolgen, besonders was ihren Zeit- Der Ton wird rauer. Es wird in vielen Debatten nicht punkt angeht. Andere Fraktionen sollten Rechtspopu- mehr um die Frage des besseren Arguments gehen. listen vielmehr im Parlament inhaltlich stellen und dort www.progressives-zentrum.org 4
2_2017 DISCUSSION PAPER versuchen, die Kommunikationsmuster der AfD aufzu- wieder aus der Mitte der Gesellschaft verdrängen. decken. Gauland und seine Gesinnungsgenossen ver- suchen, völkischen Nationalismus und ethnische Ho- 7. Betreibt kein Agenda-Cutting! mogenität wieder zu Leitbildern unserer Gesellschaft zu machen. Sie hängen dem „Phantasma eines eth- Nur weil Integrationsdefizite angesprochen oder Sor- nisch-kulturell homogenen Deutschlands“ (Melanie gen über Zuwanderung geäußert werden, sind nicht Amann) an und weben diese Haltung kontinuierlich in alle Wählerinnen und Wähler der AfD zwangsläufig sachthematische Debatten ein. Das kann auch in der rechtsextrem oder fremdenfeindlich. Progressive soll- Pressearbeit unaufgeregt entlarvt werden. Es sollte ten sich deshalb trauen, gerade auch umstrittene The- außerdem nicht auf jede noch so abseitige Meinung men anzusprechen, in den Dialog zu treten und wied- mit moralischer Empörung reagiert werden. er Alternativen zu formulieren. Man muss dabei auch zugeben, wenn die AfD berechtigte Fragen gestellt hat 5. Lasst Provokationen im Parlament ins Leere laufen! und Tabubrüche nicht den Rechten überlassen. Anstatt „Agenda Cutting“ zu betreiben, müssen progressive Während der Parlamentsdebatte sollten progressive Kräfte wieder den Kontakt zu Menschen herstellen, die Parlamentarier gezielte Provokationen der AfD ins nicht der gleichen Meinung sind wie sie. Leere laufen lassen. Dies gilt besonders dann, wenn es sich um Selbstinszenierungen als „Opfer“ der etablier- 8. Stellt die AfD in Alltagsfragen! ten Parteien handelt, die meist die einzige Funktion haben, später auf Social Media-Kanälen als vermeint- Der Bundestagswahlkampf hat es gezeigt und die Er- lich heldenhafter Widerstand gegen „das System“ fahrungen in den Landesparlamenten legen es nahe: präsentiert zu werden. In zahlreichen geschlossenen Die diskursive Ausgrenzung der AfD ist gescheitert. Ihr Facebook-Gruppen werden in der Folge die Timelines muss nun eine Auseinandersetzung über Inhalte und mit Falschmeldungen und tendenziösen Berichten Personen folgen, aber keine Anfeindung der Wähler- gefüllt. Andere Fraktionen sollten diese populistische innen und Wähler, die der AfD ihre Stimme gegeben „Weiterverwendung“ der parlamentarischen Debatte haben, weil sie ihre Anliegen durch etablierte Parteien im Hinterkopf behalten und abwägen, ob und wie sie nicht abgedeckt sehen. Frank Decker, Cas Mudde und auf Provokationen eingehen. Es muss wiederholt ver- andere renommierte Populismusforscher haben darge- deutlicht werden, dass Widerspruch nicht Tabuisierung legt, dass Populisten oft die durchaus richtigen ge- ist, sondern legitime demokratische Gegenrede. sellschaftlichen Fragen aufwerfen. Progressive Politik muss diese beantworten, die schlechten Antworten der 6. Zieht rote Linien! AfD widerlegen und sich mit ihr im parlamentarischen Alltag sachpolitisch auseinandersetzen. Progressive Bei allem Rat zu besonnenem Agieren muss zugleich sind dann erfolgreich, wenn sie gute eigene Antworten sehr rasch klargemacht werden, welche Ideologien mit geben und so die Nachfrage der Wählerinnen und der AfD nun ihre bundespolitische parlamentarische Wähler nach populistischer Politik klein halten. Form gefunden haben. Die Zugehörigkeit der AfD-Mit- glieder des Deutschen Bundestags zu rechtsextremen 9. Entzaubert das Demokratieverständnis der AfD! Seilschaften sollten offengelegt werden. Ebenso sollte verhindert werden, dass Ausschussvorsitze in sensi- Die AfD betont in ihrer Rhetorik immer ihre Bürger- blen Politikbereichen mit Menschen besetzt werden, nähe und die Stärkung der direkten Demokratie. In die Kontakte zur organisierten Rechten hatten oder ha- Wirklichkeit hat sie basisdemokratische Elemente ben. Generell gilt, was Erhebungen des Allensbach-In- bisher stets nur simuliert oder deren Ergebnisse nicht stituts deutlich zeigen: Politik und Gesellschaft sind berücksichtigt, z.B. bei der Befragung zum Wahlpro- heute kräftiger und demokratischer als noch vor einem gramm. Progressive müssen dies thematisieren, die Vierteljahrhundert. Allerdings gilt auch: Nur mit klar- Behauptung der rechtspopulistischen und rechtsex- en roten Linien lassen sich die rechtsextremen Kräfte tremen Akteure, sie würden „das Volk“ repräsentieren, www.progressives-zentrum.org 5
2_2017 DISCUSSION PAPER ad absurdum führen und sich zugleich selbstbewusst selbst populistisch agieren, sondern müssen deutlich für die repräsentative Demokratie stark machen. Die machen, dass autoritäre Vorschläge und Politikmodelle Widersprüchlichkeit und Verlogenheit der AfD-Posi- keine wirklichen Lösungen bieten. Progressive Kräfte tionierung zu thematisieren, ist zielführender, als die müssen wieder Alternativen für unsere Gesellschaft AfD immer nur als „Nazipartei“ zu bezeichnen. entwickeln und entschlossen für eine andere, solidar- ische Gesellschaft eintreten. 10. Bietet progressive Alternativen an! 12. Stellt Eure Präsenz vor Ort wieder her! In der Zeit bis 2021 muss es den progressiven Kräften gelingen, den Fokus der politischen Auseinandersetzu- Präsenz vor Ort ist für die etablierten Parteien und ihre ng wieder auf eigenes Terrain, also auf eigene Themen Fraktionen ein wesentlicher Bestandteil im Umgang und vor allem gesellschaftliche Visionen zu verschie- mit dem Rechtspopulismus. Damit das Vertrauen der ben. Dazu gehört die deutliche Thematisierung sozialer Bevölkerung durch Präsenz zurückgewonnen werden Missstände und ihre Verbesserung. Progressive stehen, kann, muss über andere Formen der Wahlkreisarbeit wie es Hajo Funke und Walid Nakschbandi bezeich- nachgedacht werden. Angelehnt an der Quartiersar- nen, für die Raison d’être der Gesellschaft nach dem beit sollten dort neue Initiativen ausprobiert werden, Nationalsozialismus: Sie müssen in Zeiten wie diesen wo politische und gesellschaftliche Beteiligung nied- wieder dafür kämpfen, dass Politik nicht Angst schürt, rig und die sozioökonomischen Strukturen schwach nicht Ressentiments entfesselt und nicht innere oder sind. Progressive Abgeordnete und Fraktionen sollten äußere Feinde beschwört. Progressive Politik muss ihre lokalen Büros als physische Zeichen gegen die wieder laut und deutlich werden. Sie muss der Verro- gefühlte Repräsentationslücke begreifen. Wenn sich hung der politischen Kultur durch Normalisierung teils Bundestagsabgeordnete und ihre Büros wieder als rechtsextremer Inhalte entgegenwirken. Alle anderen Andockstelle für zivilgesellschaftliches Engagement Fraktionen sollten sich für eine tolerante und weltoff- verstehen und die Bürgerinnen und Bürger vor Ort in ene Gesellschaft, für soziale Sicherheit, Aufstiegschan- gesellschaftliches Zusammenleben einbinden, kann cen und eine sichere ökonomische Existenz für alle verlorenes Vertrauen durch konkrete Aktion zurückge- Menschen einsetzen und dafür greifbare Vorschläge wonnen werden. Dafür müssen Abgeordnete aber erst liefern. Damit setzen sie sozialer Ungerechtigkeit und einmal wieder in den betroffenen Regionen vertreten dem von vielen Menschen empfundenen Kontroll- sein. Die teilweise erschütternden Wahlergebnisse und verlust etwas entgegen und schwächen letztlich den die niedrige Zahl von Parteimitgliedern in diesen Re- Rechtspopulismus der AfD. gionen zeigen, wie schwer dieser Weg sein wird. Deswe- gen bedarf es neuer Bündnisse und auch Änderungen 11. Bietet echte Differenz statt künstlich erzeugter der Parteistrukturen, um diese Aufgabe zu bewältigen. Debatte! 13. Seid selbstbewusst im Netz! Es ist nicht hilfreich wenn das Gefühl entsteht, dass Auseinandersetzungen zwischen etablierten Partei- Auf die Stärke der AfD in den sozialen Medien muss en inszeniert sind. In der breiten politischen Debatte eine Antwort gefunden werden. Die etablierten Partei- muss es wieder um echte Alternativen gehen. Dafür en haben diese lange Zeit nicht ernst genug genom- wird es auch wichtig sein, dass SPD und CDU ihre Po- men. Nicht nur in ihren Offline-Aktivitäten, sondern sitionen kontrovers diskutieren und so verunsicher- verstärkt auch online müssen sich Progressive daher ten Wählerinnen und Wählern wieder eine politische mit dem Rechtspopulismus auseinandersetzen. Die Heimat bieten. Für den Umgang mit der AfD bedeutet eigene Social Media-Community muss in größerem das: Anstatt AfD-Politiker und Politikerinnen lediglich Maße als bislang aktiviert werden – als Gegenentwurf in ihrer Rolle als Populisten anzugreifen, müssen sie zu den Personen, die bei der AfD besonders aktiv sind. im parlamentarischen Alltag in der Sache gestellt Die Erfahrungen mit den Social Bots der AfD aus dem werden. Zudem dürfen progressive Kräfte nicht Bundestagswahlkampf zeigen, dass hier eine ernste www.progressives-zentrum.org 6
2_2017 DISCUSSION PAPER Gefahr für den demokratischen Austausch im Internet besteht. Die Parteien sollten ihre Kommunikationsans- trengungen im Internet nach den nun durchgeführten Fazit Bundestagskampagnen keineswegs reduzieren, son- Seit 2014 sind im Umgang mit den Fraktionen der AfD dern stärken. in den Landtagen verschiedene Strategien auspro- biert worden. Auch auf der Bundesebene wird es viel 14. Beobachtet rechte Netzwerke genau! „Trial and Error“ geben. Politische Akteure im Bunde- stag tun gut daran, das Phänomen AfD nicht auf die Derzeit veröffentlichen Zeitungen viele Porträts über leichte Schulter zu nehmen und als etwas von alleine die neuen AfD-Abgeordneten. Es kommt jedoch nicht Vorübergehendes zu behandeln. Der offene und aktive nur auf diese an: Das rechte Netzwerk wird auch mit- Austausch zum Umgang mit der AfD unter progressiv- tels wissenschaftlicher Referentinnen und Referenten en Kräften und besonders unter Abgeordneten sowie versuchen, neue Zugänge in den Bundestag zu erlan- ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wird in den gen. Deswegen: Beobachtet das gesamte rechte Um- nächsten Jahren enorm wichtig dafür sein, die AfD feld. wirksam zurückzudrängen. Dieses Papier hat hierfür erste Handlungsempfehlungen gegeben und ist ein 15. Treibt die europäische Vernetzung voran! Plädoyer dafür, voneinander zu lernen. Niemand weiß, ob die AfD aus dem Bundestag perspektivisch wieder Viele europäische Länder haben bereits Erfahrungen verschwindet. Umso wichtiger ist es, ab sofort konzen- mit populistischen Parteien im Parlament gemacht. triert für dieses Ziel und die Stärkung der Demokratie Darum sollte Deutschland den europäischen zu arbeiten. Austausch suchen, in neuen Formaten Erfahrungen austauschen und Kooperationen vertiefen. Auch das trägt zur Zurückdrängung rechter Kräfte bei, die sich wiederum selbst international vernetzen. Progressive sollten ihre bestehenden Formen der Vernetzung und wissenschaftlichen Beratung stärken und sich bemühen, in ihre Debatten breite soziale Milieus einzuschließen. Ebenso sollte das Lernen aus der Landespolitik, zu dem dieses Papier einen Anstoß gibt, in Konferenzen, Workshops und kontinuierlichen Netzwerken verstetigt werden. www.progressives-zentrum.org 7
2_2017 DISCUSSION PAPER Autor Das Progressive Zentrum Das Progressive Zentrum ist ein unabhängiger und gemeinnütziger Think-Tank mit Sitz in Berlin. Ziel des Progressiven Zentrums ist, neue Netzwerke progressiv- er Akteure unterschiedlicher Herkunft zu stiften und eine tatkräftige Politik für den ökonomischen und ge- sellschaftlichen Fortschritt mehrheitsfähig zu machen. Dabei bezieht das Progressive Zentrum besonders junge VordenkerInnen und EntscheidungsträgerInnen aus Deutschland und Europa in progressive Debatten ein. Die Discussion Papers des Progressiven Zentrums richten sich vor allem an politische Entscheidungsträ- gerInnen und EntscheidungsvorbereiterInnen in Minis- terien, Parlamenten und Parteien, aber auch an Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Ziel ist es, neue Entwicklungen aufzuzeigen, Rechtspopu- lismus zu begegnen und mit Denkanstößen für eine fortschrittliche und gerechte Politik progressive Debat- ten in Deutschland und Europa anzutreiben. Impressum Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten des Progressiven Zentrums auch in Auszügen ist nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. Fedor Ruhose ist Policy Fellow des Progressiven Zen- trums und beschäftigt sich dort schwerpunktmäßig © Das Progressive Zentrum e.V., 2017 mit der Zukunft der Demokratie und Bund-Länder Ausgabe: Oktober 2017 Beziehungen. V.i.S.d.P.: Dominic Schwickert c/o Das Progressive Zentrum e.V. Institutionelles Format dafür ist der Bund-Länder Werftstraße 3, 10577 Berlin Gesprächskreis, eine vertrauliche Runde progressiver Vertreterinnen und Vertretern von Bundes- und Lande- Vorstand: Dr. Tobias Dürr, Michael Miebach, Katarina sministerien sowie Bundestags- und Landtagsfrak- Niewiedzial tionen. Sein Ziel ist es, die Vernetzung von Progres- Geschäftsführer: Dominic Schwickert siven der Landes- und Bundesebene zu fördern, um voneinander zu lernen und gemeinsame Strategien für www.progressives-zentrum.org ebenenübergreifende Herausforderungen zu identifi- mail@progressives-zentrum.org zieren. www.facebook.com/dasprogressivezentrum twitter: @DPZ_Berlin Hauptberuflich ist Fedor Geschäftsführer der SPD-Frak- Gestaltung: 4S und Collet Concepts tion im Landtag Rheinland-Pfalz. Davor war der Dip- Layout: Niklas Tomkowitz lom-Volkswirt in unterschiedlichen Funktionen im Leitungsstab der Ministerien für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau sowie für Soziales, Ar- beit, Gesundheit und Demografie des Landes Rhein- land-Pfalz tätig. www.progressives-zentrum.org 8
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