RAUS AUS DER DEFENSIVE - STELLUNGNAHME - VENRO
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STELLUNGNAHME RAUS AUS DER DEFENSIVE Humanitäres Völkerrecht stärken und humanitäre Helfer_innen weltweit schützen Die Zahl der Menschen, die weltweit auf humani- wird die essentielle Bedeutung des Schutzes huma- täre Hilfe angewiesen sind, ist in den vergangenen nitärer Helfer_innen unterstrichen.4 Während sei- Jahren stetig gestiegen. Gleichzeitig schrumpft der ner Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat 2019-2020 Raum für humanitäre Organisationen, um diese und der Ratspräsidentschaft der Europäischen Menschen zu unterstützen. Humanitäre Helfer_in- Union (EU) von Juli bis Dezember 2020 setzte nen werden immer öfter Opfer von gezielten Angrif- Deutschland einen Schwerpunkt auf die Stärkung fen, die sich in den letzten 20 Jahren vervielfacht des humanitären Völkerrechts und die Wahrung des haben. Allein im Jahr 2019 wurden 277 schwere Handlungsraumes humanitärer Organisationen. Vorfälle mit 483 betroffenen humanitären Hel- fer_innen dokumentiert.1 Diese Entwicklung trifft Auch im Jahr 2020 gab es zahlreiche Berichte über alle humanitären Akteur_innen, von den Organisati- Angriffe auf humanitäre Helfer_innen. Humanitäres onen der Vereinten Nationen (UN), über die Rot- Völkerrecht und humanitäre Prinzipien werden kreuz- und Rothalbmond-Bewegung bis zu internati- weltweit missachtet. Nach wie vor garantieren onalen, nationalen und lokalen Nichtregierungsor- diese Grundsätze den Schutz der betroffenen Zivil- ganisationen (NRO). Nationale und lokale Helfer_in- bevölkerung und der humanitären Helfer_innen, so- nen sind den Gefahren jedoch in besonderem Maße dass Deutschland weiterhin für ihre uneinge- ausgesetzt: Von den 483 Betroffenen 2019 waren schränkte Achtung eintreten muss. Dabei gilt es, ein 456 Personen nationale und 27 internationale Hel- besonderes Augenmerk auf die Verurteilung und fer_innen. Aufklärung von Verbrechen gegen nationale und lo- kale Helfer_innen zu richten. Der Schutz humanitärer Helfer_innen ist ein zentra- les Anliegen des humanitären Völkerrechts und der Politischen Druck erhöhen und Menschenrechte. Beispielsweise gehören laut Römi- bestehende Initiativen umsetzen schem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs „vorsätzliche Angriffe auf Personal, Einrichtungen, Weltweit stellen humanitäre Helfer_innen mit gro- […], die an einer humanitären Hilfsmission […] be- ßem persönlichen Einsatz die Versorgung der notlei- teiligt sind“, in bewaffneten Konflikten zu den denden Zivilbevölkerung sicher. Es ist Aufgabe und Kriegsverbrechen.2 Dies bekräftigte der UN-Sicher- Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft, ih- heitsrat 2003.3 Auch in jüngeren UN-Resolutionen ren Schutz zu garantieren und konkrete Schritte zur ⎯⎯⎯⎯ ⎯⎯⎯⎯ 1 4 Aid Worker Security Database (2020): ↘ Major attacks UN-Sicherheitsrat (2014): ↘ Security Council resolu- on aid workers: Summary statistics tion 2175 (2014) on protection of humanitarian per- 2 Artikel 8 (2) des ↘ Römischen Statut des Internationa- sonnel and UN and associated personnel in armed len Strafgerichtshofs conflict und UN-Sicherheitsrat (2016): ↘ Security 3 UN-Sicherheitsrat (2003): ↘ Resolution 1502 (2003) on Council resolution 2286 (2016) on protection of the Protection of United Nations personnel, associated per- wounded and sick, medical personnel and humani- sonnel and humanitarian personnel in conflict zones tarian personnel in armed conflict.
STELLUNGNAHME Umsetzung der vorhandenen Resolutionen und Re- fördern, beispielsweise über das Trainingscen- gelungen des humanitären Völkerrechts zu ergrei- ter des Internationalen Komitees vom Roten fen. Kreuz und für nichtstaatliche bewaffnete Ak- teur_innen über NRO wie Geneva Call. Hierbei trägt Deutschland als einer der größten Ge- ber humanitärer Hilfe eine besondere Verantwor- • in der Ertüchtigungsinitiative und bei Maßnah- tung. Wir begrüßen daher den 2019 von Deutsch- men zur Sicherheitssektorreform Fortbildungs- land und Frankreich initiierten „Humanitarian Call komponenten zum humanitären Völkerrecht für for Action“5 als internationale Initiative, um huma- staatliche Sicherheitsakteur_innen zu verstär- nitäres Völkerrecht zu stärken. Bisher unterstützen ken. 46 Länder diese Initiative. Der Call for Action ist ein wichtiger Schritt, der aber noch Wirkung für den • der Politisierung von humanitärer Hilfe, insbe- Schutz humanitärer Helfer_innen entfalten muss. sondere in komplexen Konfliktsituationen, ent- gegenzuwirken, um eine Gefährdung der Mitar- Wir erwarten von der Bundesregierung, beitenden humanitärer Organisationen zu be- grenzen. Die Empfehlungen zur Interaktion zwi- • weiterhin alle Angriffe auf humanitäre Hel- schen VENRO-Mitgliedsorganisationen und der fer_innen und ihre Infrastruktur zu verurteilen Bundeswehr von 20136 können hier als Orien- und sich dafür einzusetzen, dass diese Angriffe tierung dienen. Die Sichtbarkeit der Bundesre- Gegenstand unparteiischer und unabhängiger gierung als Fördermittelgeberin in besonders Ermittlungen und strafrechtlicher Verfolgung sensiblen Konfliktregionen sollte im Hinblick auf werden. Sicherheitsrisiken flexibel gehandhabt werden. • die Umsetzung des „Humanitarian Call for Ac- Angriffe auf humanitäre Helfer_innen tion“ voranzutreiben und einen entsprechen- lückenlos dokumentieren und den Arbeitsplan zu entwickeln. Straflosigkeit aktiv bekämpfen • mit Frankreich die Einrichtung einer Gemeinsa- Es gibt bisher keine zentrale, international aner- men Kommission zu prüfen. In dieser Kommis- kannte Stelle für eine systematische Dokumentation sion sollten sich die Unterzeichnerstaaten des von Angriffen. Diese könnte zusätzliche Aufmerk- „Humanitarian Call for Action“, nationale und samkeit für die Situation der Helfer_innen und die internationale NRO, internationale Organisatio- verschiedenen Risikofaktoren schaffen und dadurch nen sowie Expert_innen regelmäßig über den zu einem besseren Schutz von Helfer_innen beitra- Umsetzungsstand und bewährte Verfahren aus- gen. So gibt es beispielsweise unterschiedliche Risi- tauschen. ken für lokale und internationale Helfer_innen, aber auch geschlechtsabhängige Risikofaktoren. Männer • Bemühungen für eine bessere Vermittlung von haben insgesamt ein höheres Risiko, im Rahmen ei- Kenntnissen über humanitäres Völkerrecht und ner humanitären Arbeit Opfer schwerer Angriffe humanitäre Prinzipien zu unterstützen. Die Bun- wie Tötungen oder Entführungen zu werden, als desregierung sollte Schulungen von staatlichen Frauen. Im Vergleich sind Helferinnen jedoch über- und nichtstaatlichen Akteur_innen vermehrt ⎯⎯⎯⎯ ⎯⎯⎯⎯ 5 6 Auswärtiges Amt (2019): ↘ Humanitarian Call for Ac- VENRO (2015): ↘ Empfehlungen zur Interaktion zwi- tion schen VENRO-Mitgliedsorganisationen und der Bundes- wehr www.venro.org 2
STELLUNGNAHME proportional stark von sexueller Gewalt wie Verge- • politischen Druck auf nationale Regierungen waltigungen betroffen.7 Eine zentrale Stelle könnte auszuüben, die nicht gewillt sind, Angriffe auf den Forderungen, die Täter_innen zur Rechenschaft humanitäre Helfer_innen in ihrem Land aufzu- zu ziehen, mehr Gewicht verleihen. klären und die Täter_innen strafrechtlich zu verfolgen. Die Bundesregierung sollte hierzu ge- Eine der größten Herausforderungen bei Angriffen meinsam mit europäischen und internationalen auf humanitäre Helfer_innen stellt die strafrechtli- Partner_innen diplomatische und außenpoliti- che Verfolgung der Täter_innen dar. Die internatio- sche Maßnahmen prüfen. Dabei muss sie si- nale Gemeinschaft muss die notwendigen Kapazitä- cherstellen, dass die ergriffenen Maßnahmen ten bestehender internationaler und nationaler Jus- die Bereitstellung humanitärer Hilfe nicht be- tizmechanismen für eine unabhängige strafrechtli- einträchtigen. che Verfolgung stärken, um die weitverbreitete Straflosigkeit zu beenden. Deutschland übernimmt • sich zusätzlich zu bemühen, gemeinsam mit an- in der internationalen Strafverfolgung eine Vorrei- deren Staaten, Fälle von Angriffen auf humani- terrolle, beispielsweise bei der Umsetzung des täre Helfer_innen an geeignete Justizmechanis- Weltrechtsprinzips.8 Hiervon zeugt zum Beispiel der men zu überweisen, beispielsweise an den In- weltweit erste Prozess zu Staatsfolter in Syrien vor ternationalen Strafgerichtshof. dem Oberlandesgericht in Koblenz. Auch bei der strafrechtlichen Verfolgung von Angriffen auf huma- • gemäß dem Weltrechtsprinzip die strafrechtli- nitäre Helfer_innen sollte Deutschland diesem An- che Verfolgung von Angriffen auf humanitäre spruch gerecht werden. Helfer_innen in Deutschland zu ermöglichen. Hierfür sollte die Bundesregierung die Kapazitä- Wir erwarten von der Bundesregierung, ten deutscher Gerichte und Behörden stärken. • die Einsetzung eines oder einer Sonderbericht- • praktische Unterstützung für betroffene huma- erstatter_in für den Schutz humanitärer Hel- nitäre Helfer_innen unabhängig ihrer Nationali- fer_innen bei den UN voranzutreiben. Dieses tät zu leisten. Dies umfasst den Zugang zu psy- Amt muss finanziell und personell angemessen chosozialer Unterstützung, Rechtshilfe sowie fi- ausgestattet sein und braucht ausreichenden nanzieller Hilfe. Zudem bedarf es der Ausstel- politischen Rückhalt. Der oder die Sonderbe- lung humanitärer Visa oder Visa für eine tempo- richterstatter_in sollte in Zusammenarbeit mit räre Umsiedlung humanitärer Helfer_innen, die dem Büro der Vereinten Nationen für die Koor- sich in unmittelbarer Gefahr befinden, durch dinierung humanitärer Angelegenheiten An- Deutschland. Die Bundesregierung fordern wir griffe auf humanitäre Helfer_innen systema- auf, sich dabei eng mit europäischen Part- tisch dokumentieren und regelmäßig an rele- ner_innen abzustimmen und mittelfristig eine vante UN-Gremien berichten, auch über den europäische Initiative nach dem Vorbild des EU Stand der strafrechtlichen Verfolgung. Human Rights Defenders Mechanism9 anzustre- ben. ⎯⎯⎯⎯ ⎯⎯⎯⎯ 7 Aid Worker Security Report 2019 (updated): ↘ Speaka- ers. Access to Justice in Europe for Victims of Interna- ble: Addressing sexual violence and gender-based risk tional Crimes 9 in humanitarian aid EU Human Rights Defenders Mechanism: ↘ ProtectDe- 8 FIDH, ECCHR, REDRESS (2020): ↘ Breaking Down Barri- fenders.eu www.venro.org 3
STELLUNGNAHME Maßnahmen zur Terrorismus- • zusätzlich dafür einzutreten, dass die Auswir- bekämpfung dürfen sich nicht negativ kungen von Sanktionsregimen auf die Zivilbe- auf humanitäre Hilfe auswirken völkerung und auf humanitäre Maßnahmen von der UN und der EU systematisch überwacht Die Anstrengungen zur nationalen und internationa- werden. Rückmeldungen von NRO zu den hu- len Bekämpfung des Terrorismus wurden in den manitären Auswirkungen von Sanktionen müs- vergangenen Jahren verstärkt. In zahlreichen Reso- sen berücksichtigt werden. lutionen der UN und der EU sowie in nationalen Ge- setzen sind Kontrollmaßnahmen festgelegt, um den • über die deutschen Auslandsvertretungen und Terrorismus einzudämmen. Im Finanzsektor reagie- gemeinsam mit der EU den Dialog mit Staaten ren Banken auf Gesetze und Regelungen zuneh- zu suchen, deren nationalen Gesetze und Sank- mend mit Strategien der Risikovermeidung.10 Ange- tionen die Leistung humanitärer Hilfe beein- sichts der vielfältigen internationalen und nationa- trächtigen, und für die Aufnahme humanitärer len Regelungen fehlt es häufig an eindeutigen Vor- Ausnahmen zu werben. Ein prominentes Bei- gaben und einem gemeinsamen Verständnis der be- spiel ist die Regierung der USA. stehenden Bestimmungen. • rechtliche Unklarheiten hinsichtlich der Anwen- Das Spannungsfeld zwischen Maßnahmen zur Ter- dung von Sanktionen und dem Erlangen huma- rorismusbekämpfung und humanitärer Hilfe wächst. nitärer Ausnahmegenehmigungen auszuräu- Anti-Terrorismus-Maßnahmen schaffen vermehrt men und Erwartungen und Regelungen inner- Sicherheits- und Rechtsrisiken für humanitäre Orga- halb der Zuwendungspraxis zu erläutern. Die nisationen und ihre Mitarbeitenden. Wer für eine Bundesregierung sollte hierfür klare Ansprech- humanitäre Organisation im Gaza-Streifen oder in personen für NRO bei der Bundesbank und dem oppositionskontrollierten Gebieten in Syrien arbei- Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle tet, könnte strafrechtlich verfolgt werden. Anti-Ter- benennen und ein kurzes Verfahren für die Ge- rorismus-Maßnahmen erhöhen die operationellen nehmigung von Ausnahmeregelungen festle- Kosten für Hilfsmaßnahmen. Der Zugang zu essenzi- gen. ellen Finanzdienstleistungen wie Banküberweisun- gen wird genauso erschwert wie der Zugang zu not- • öffentlich zu bekräftigen, dass die Bundesregie- leidenden Bevölkerungsgruppen. Ohne Ausnah- rung und ihre Ministerien innerhalb ihrer Zu- meregelungen für humanitäre Operationen stehen wendungspraxis im Zusammenhang mit huma- Anti-Terrorismus-Maßnahmen damit im Wider- nitären Hilfsmaßnahmen weder eine Sicher- spruch zum humanitären Völkerrecht und den hu- heitsüberprüfung von Empfänger_innen der manitären Prinzipien. Maßnahmen noch die Erhebung und Übermitt- lung persönlicher Daten der Empfänger_innen Wir erwarten von der Bundesregierung, fordern wird. Die Bundesregierung sollte diese Haltung auch innerhalb der EU und der Good • sich für die regelmäßige Aufnahme humanitärer Humanitarian Donorship Initiative vertreten. Ausnahmen in relevanten Sanktionsregimen und Resolutionen des UN-Sicherheitsrates und • einen regelmäßigen Dreiparteien-Dialog zwi- der EU einzusetzen. schen Regierung (Kanzleramt, Auswärtiges Amt, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- ⎯⎯⎯⎯ ⎯⎯⎯⎯ 10 VENRO (2020): ↘ Preventing terrorist financing in the (2019): ↘ Noch Ausnahme oder schon Normalfall? Die NPO sector: Measures to mitigate the risk of terrorist fi- Zusammenarbeit mit fragilen Staaten nancing in the NPO sector in Germany und VENRO www.venro.org 4
STELLUNGNAHME menarbeit und Entwicklung sowie Bundesan- stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht), Banken- verband und VENRO zu etablieren. Dieser sollte auf Leitungsebene stattfinden und mit dem Ziel geführt werden, die Behinderungen humanitä- rer Maßnahmen zu vermeiden. Mit dem Jahr 2020 endete auch Deutschlands Mit- gliedschaft im UN-Sicherheitsrat und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Die Stärkung des humanitä- ren Völkerrechts, der Schutz humanitärer Helfer_in- nen und die Gestaltung einer Terrorismusbekämp- fung, die die Bereitstellung lebensnotwendiger hu- manitärer Hilfe nicht beeinträchtigt, bleiben we- sentliche Aufgaben der internationalen Gemein- schaft. Wir fordern die Bundesregierung auf, auch weiterhin Verantwortung zu übernehmen und diese Anliegen auf internationaler und europäischer Ebene aktiv voranzutreiben. IMPRESSUM Herausgeber Redaktion Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe Maya Krille deutscher Nichtregierungsorganisationen e. V. (VENRO) Stresemannstraße 72, 10963 Berlin Endredaktion Janna Völker Telefon: 030/2 63 92 99-10 E-Mail: sekretariat@venro.org Berlin, Januar 2021 www.venro.org 5
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