Recht in der Berufspraxis des Ingenieurs - Hochschule Niederrhein Sommersemester 2019
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Recht in der Berufspraxis des Ingenieurs – Hochschule Niederrhein Sommersemester 2019 Dr. Christof Heußel Rechtsanwalt Fachanwalt für Erbrecht Hinweis: Die eingerahmten Textpassagen entsprechen den Folien der in der Vorle- sung verwendeten Präsentation. Der (klausurrelevante) Inhalt der Vorlesung er- schließt sich aus den Folien in Verbindung mit den jeweiligen Erläuterungen. Arbeitsrecht Arbeitsrecht ist eigentlich nur Dienstvertragsrecht (vgl. hierzu die Einheit BGB 1). Der Arbeitnehmer ist schlicht jemand, der sich zu bestimmten Diensten verpflichtet hat. Doch hat man im Laufe der Zeit die gesetzlichen Regelungen zum Dienstvertrag als nicht ausreichend für das Arbeitsleben angesehen. Das Dienstvertragsrecht bezieht unausgesprochen die Annahme ein, es bestehe Privatautonomie. Dieser zufolge sind private Verhandlungspartner gleich stark. Sie werden daher auch ein gerechtes Ergeb- nis ausverhandeln, in das die Rechtsordnung nicht eingreifen muss. Im Arbeitsrecht entspricht diese Annahme nicht der Wirklichkeit. Der Arbeitgeber begegnet dem Arbeit- nehmer typischerweise aus einer stärkeren Verhandlungsposition. Diese ist zum Bei- spiel bedingt durch die soziale Abhängigkeit, in der sich der Arbeitnehmer befinden kann: Er bestreitet mit den Einkünften aus dem Arbeitsverhältnis in aller Regel seinen Lebensunterhalt. Weil diese Verschiedenheit der Verhandlungsstärke typischerweise, aber nicht zwangsläufig in jedem Einzelfall gegeben ist, spricht man von einer „struk- turellen Überlegenheit“ des Arbeitgebers. Dem trägt das Arbeitsrecht insbesondere Rechnung durch zwingende Vorgaben (zwingend = abweichende Vereinbarungen ha- ben keine Wirkung) zu Gunsten des Arbeitnehmers, die sich auch durch vertragliche Vereinbarungen nicht umgehen lassen. Arbeitsrecht ist vor diesem Hintergrund in ho- hem Maße Recht des Arbeitnehmerschutzes. Überblick Teilbereiche Arbeitsrecht 1. Individuelles Arbeitsrecht 2. Kollektives Arbeitsrecht a) Tarifvertragsrecht b) Arbeitskampfrecht c) Betriebsverfassungsrecht / Mitbestimmungsrecht (Recht der AN-Mitbestimmung auf Ebene des Betriebs / des Unternehmens) 3. Öffentlich-rechtliche Bezüge des Arbeitsrechts Das Arbeitsrecht lässt sich einteilen in individuelles und kollektives Arbeitsrecht. Das individuelle Arbeitsrecht betrifft die Rechten und Pflichten, die unmittelbar aus dem Ar- beitsverhältnis erwachsen. Das kollektive Arbeitsrecht spielt sich ab auf den tatsächli- chen kollektiven Ebenen, die mit dem Arbeitsverhältnis verbunden sind: Zum einen die
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 2 Ebene von Betrieb und Unternehmen, zum anderen die darüber hinausgehende tarifli- che Ebene. Auf der tariflichen Ebene werden für ein bestimmtes räumliches Gebiet Zusammenhänge zwischen allen Unternehmen einer Branche oder mehrerer ähnlicher Branchen gebildet. Insbesondere können Arbeitsbedingungen insoweit zwischen Ver- bänden ausgehandelt werden. Sie haben dann unmittelbare Wirkung für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen einer Branche in dem betreffenden räumlichen Gebiet. Dar- aus erwachsen sind das Tarifvertragsrecht und das Arbeitskampfrecht. Schließlich ge- hört zum kollektiven Arbeitsrecht das Recht der Arbeitnehmermitbestimmung: So regelt das „Betriebsverfassungsrecht“ die Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf betrieblicher Ebene (also am räumlichen Ort, an dem die Arbeitsleistung erbracht wird, z. B. einem Fabrikgebäude). Das „Mitbestimmungsrecht“ regelt die Arbeitnehmer-Mitbestimmung auf der Ebene des Unternehmens, das auch mehrere Betriebe an verschiedenen Orten umfassen kann. Darüber hinaus weist das Arbeitsrecht auch öffentlich-rechtliche Bezüge auf. Immer da, wo der Staat von sich aus bestimmte Arbeitsbedingungen überwacht, entstehen solche Bezüge, etwa bei der Arbeitssicherheit, der Einhaltung von Höchstarbeitszeiten, beim Mindestlohn oder dem Jugendarbeitsschutz. Verstöße in diesen Sachbereichen wirken sich nicht nur auf die gegenseitigen vertraglichen Pflichten aus, sondern können auch Bußgelder nach sich ziehen. Allgemeines Arbeitsverhältnis wird begründet durch Arbeitsvertrag seinem Charakter nach besonderer Dienstvertrag mit Wirkung vom 1. April 2017 in § 611 a BGB als gesonderter Vertragstyp geregelt zentrale Vorschriften (früher wie heute): §§ 611 ff. BGB im Übrigen Arbeitsrecht über zahlreiche Gesetze zersplittert In der gesetzgeberischen Praxis ist das Arbeitsrecht davon gekennzeichnet, dass Kräfte mit sehr unterschiedlichen Interessen Kompromisse aushandeln mussten. Die gesetzgeberische Arbeit fand und findet immer nur punktuell, sozusagen projektbezo- gen, statt. Eine umfassende Arbeit wie das BGB in Gestalt eines „Arbeitsgesetzbuchs“ ist von der Praxis nicht zu erwarten. Stattdessen ist ein Flickenteppich aus unterschied- lichsten arbeitsrechtlich relevanten Vorschriften entstanden. Das macht die Arbeit mit dem Arbeitsrecht zum Teil etwas unübersichtlich. Bei gewissen Streitpunkten ist nicht zu erwarten, dass in absehbarer Zeit ein verlässliches Gesamtbild entstehen wird.
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 3 Allgemeines – § 611 a BGB § 611 a Arbeitsvertrag (1) Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängig- keit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tä- tigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Um- stände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnis- ses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an. (2) Der Arbeitgeber ist zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Die seit 1. April 2017 geltende Vorschrift definiert erstmals alle Merkmale eines Arbeits- verhältnisses in gesetzlicher Form. Das richtet sich auch gegen die Scheinselbständig- keit. Die Bindung an die Weisungen des Arbeitgebers ist dabei ein ebenso herausra- gendes Kriterium wie die persönliche Abhängigkeit. Allgemeines – Abgrenzung des Arbeitsvertrags zu anderen Vertragstypen Arbeitsvertrag ist abzugrenzen zu Werkvertrag (siehe Einheit BGB 1) Vertrag über freie Mitarbeit – nicht weisungsgebunden – eigene Organisation (Büro-/Betriebsräume) – keine Entlohnung bei Urlaub oder Krankheit – Mitarbeiter trägt „Unternehmerrisiko“ (=kein Auftrag – keine Entlohnung) anderen Verträgen über selbständige Arbeit Bei zahlreichen Arbeitsverhältnissen besteht in der Praxis kein Zweifel an der rechtli- chen Einordnung. Das gilt insbesondere dann, wenn das jeweilige Rechtsverhältnis wie ein Arbeitsverhältnis behandelt wird, insbesondere Beiträge zur Sozialversicherung ab- geführt werden. Unklarheiten entstehen dann, wenn auf Basis eines freien Dienstver- trags / Werkvertrags eine stark abhängige, Weisungen unterliegende Tätigkeit erbracht wird. Hier kann eine komplizierte Entscheidung im Einzelfall erforderlich sein, wenn nicht die Umstände deutlich ergeben, dass das Rechtsverhältnis bewusst die Regelun- gen des Arbeitsrechts umgehen will.
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 4 Allgemeines – Abgrenzung des Arbeitsvertrags zu anderen Vertragstypen Gründe für Abgrenzung Arbeitsrecht vorteilhaft für AN Sozialversicherungspflicht, somit z. B. Ansprüche auf Rente, Arbeitslosengeld Arbeitnehmerschutzrecht – Urlaubsanspruch nach Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) – Begrenzung der Arbeitszeit nach Arbeitszeitgesetz (ArbZG) – Entgeltfortzahlung bei Krankheit nach Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) Die Bedeutung der Abgrenzung liegt in der Anwendbarkeit des Arbeitsrechts. Wo das Arbeitsrecht nicht anwendbar ist, gilt Privatautonomie, d. h. das Gesetz und die Ge- richte gehen davon aus, dass beide Vertragspartner gleich stark sind und der Dienst- verpflichtete nicht geschützt werden muss. Der Schutz des Arbeitnehmers durchzieht das gesamte Arbeitsrecht. Ob die einzelne dienstleistende Person den Schutz jeweils wünscht, ist dabei nicht relevant. Schutz im Privatrecht kann ja nur erreicht werden, wenn die zu schützende Person auf den Schutz nicht verzichten kann. Ansonsten ließe sich der Schutz mit einer einzigen Vertragsklausel aufheben. Neben dem Schutzgedanken als allgemeine Maßgabe finden sich zahlreiche gesetzli- che Regelungen, die diesen Schutz verwirklichen wollen. So ist ein Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig. Durch seine Tätigkeit erwirbt er automatisch Ansprüche auf Versicherungsleistungen in Bedarfslagen. Das hat nicht nur für ihn Vorteile, sondern auch für den Staat, der im Notfall – zum Beispiel bei Ar- beitslosigkeit und bei Erreichen des Rentenalters – nicht mit Sozialleistungen einsprin- gen muss. Darüber hinaus schreibt das Bundesurlaubsgesetz vor, dass Arbeitnehmern im Jahr mindestens 24 Tage bezahlter Urlaub zustehen (das gilt bei einer 6-Tage-Woche; bei einer 5-Tage-Woche beträgt der Mindestanspruch anteilig 20 Tage, siehe im Einzelnen bei Beispielen für Vereinbarungen in Arbeitsverträgen). Die maximale tägliche Arbeits- zeit beträgt nach Arbeitszeitgesetz 8 Stunden (im 6-Monats-Durchschnitt, sonst 10 Stunden). Außerdem hat der Arbeitnehmer nach Entgeltfortzahlungsgesetz bei Er- krankung einen Anspruch auf Fortzahlung seines Entgelts – auch ohne Arbeit – für die Dauer von 6 Wochen. Bei erneuter Arbeitsunfähigkeit wegen einer anderen Krankheit können erneut bis zu 6 Wochen beansprucht werden – wegen derselben Krankheit al- lerdings frühestens nach 6 Monaten. All diese Schutzgesetze kann z. B ein freier Mitarbeiter nicht in Anspruch nehmen. Ent- sprechendes gilt selbstverständlich auch für den Kündigungsschutz, der im Zusam- menhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch näher erörtert wird (siehe unten).
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 5 Formbedürftigkeit im Arbeitsrecht Zur Erinnerung: Begriff der „Form“ – Textform, schriftliche Form, elektronische Form etc. Abschluss des Arbeitsvertrags formfrei Arbeitsvertrag kann mündlich, schriftlich, elektronisch geschlossen werden Vorteil schriftlicher Arbeitsvertrag: höhere Beweiskraft Nachteil aus AN-Sicht: Alles, was zum Nachteil des AN im Arbeitsvertrag stehen darf, steht auch im Arbeitsvertrag. Nachteil aus AG-Sicht: Arbeitsverträge sind in der Regel AGB Inhaltskontrolle nach AGB-Recht (siehe Einheit zu AGB) Formbedürftigkeit im Arbeitsrecht – Beispiele für Vereinbarungen im Arbeitsvertrag Notwendige Vertragsbestandteile – „Essentialia negotii“ Zeitpunkt für den Beginn des Arbeitsverhältnisses Tätigkeit Arbeitszeit Vergütung Formbedürftigkeit im Arbeitsrecht – Beispiele für Vereinbarungen im Arbeitsvertrag Typische schriftliche Vereinbarungen Probezeit = während Probezeit Kündigung mit verkürzter Frist möglich Überstunden, da nur zu leisten, wenn im Arbeitsvertrag vorgesehen Abtretung von Entgeltansprüchen ausgeschlossen Erhöhung gesetzlicher Urlaubsanspruch; Sonderregeln für Mehranspruch Gleichlauf Kündigungsfristen für AN und AG ggf. Befristung (zwingend schriftlich) Vertretungsregelung für Kündigung durch AG Verfallsfristen = Ansprüche müssen innerhalb Frist eingefordert werden – Probezeit: Ist eine Probezeit vereinbart, bedeutet dies, dass während dieser Zeit beide Seiten den Arbeitsvertrag mit einer Frist von zwei Wochen kündigen können. Die Kün- digung muss nicht zum Monatsende oder zum 15. erfolgen. Diese Regelung erhöht für beide Seiten die Flexibilität. Ist keine Probezeit vereinbart, dann gilt für die Beendigung
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 6 von Anfang an die gesetzliche Kündigungsfrist von vier Wochen zum 15. oder zum Monatsende. Die Probezeit darf höchstens 6 Monate betragen. – Überstunden: Ist im Arbeitsvertrag keine Verpflichtung vorgesehen, über die verein- barte Arbeitszeit hinaus Mehrarbeit zu leisten, so ist der Arbeitnehmer auch nicht dazu verpflichtet. – Abtretung von Entgeltansprüchen: Kreditgeber lassen sich zur Sicherheit gerne von ihren Vertragspartnern Gehaltsansprüche abtreten, damit sie – wenn der Kredit nicht wie vereinbart zurückgezahlt wird – das Gehalt beim Arbeitgeber einziehen können (bis zur gesetzlichen Pfändungsfreigrenze, d. h. dem Arbeitnehmer muss immer genug für seinen Lebensunterhalt verbleiben). Im Ernstfall bedeutet das für den Arbeitgeber läs- tigen Verwaltungsaufwand. Durch ein Abtretungsverbot im Arbeitsvertrag werden sol- che Abtretungen unwirksam, verlieren also für einen Kreditgeber ihren Nutzen. Daher enthalten Standard-Arbeitsverträge in der Regel ein Abtretungsverbot. In dem Fall ver- liert der Arbeitnehmer eine Möglichkeit, einem Kreditgeber Sicherheiten zu stellen. – Erhöhung gesetzlicher Urlaubsanspruch: Nach Gesetz stehen einem Arbeitnehmer im Kalenderjahr 24 Urlaubstage zu – bei 6 Arbeitstagen in der Woche. Bei 5 Arbeitstagen in der Woche beträgt dieser Anspruch anteilig 20 Tage. Viele Arbeitgeber akzeptieren höhere Urlaubsansprüche, z. B. 30 Tage bei einer 5-Tage-Woche. Die zusätzlich hin- zutretenden 10 Tage brauchen dann aber auch nicht dem gesetzlichen Standard un- terworfen zu werden, der für den Mindesturlaub gilt. So kann z. B. der Mindesturlaub nicht verfallen, wenn der Arbeitnehmer ihn wegen Krankheit bis Jahresende (und bis nachfolgenden 31. März) nicht nehmen kann. Für die 10 zusätzlichen Tage kann aber vereinbart werden, dass er in jedem Fall mit dem 31. März des Folgejahres verfällt. – Verlängerung Kündigungsfrist: Nach dem Gesetz können Arbeitgeber und Arbeitneh- mer das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von 4 Wochen zum 15. oder Letzten eines Kalendermonats kündigen. Die Kündigungsfrist, die der Arbeitgeber einhalten muss, verlängert sich aber desto mehr, je länger das Arbeitsverhältnis besteht. Die Frist, die der Arbeitnehmer einhalten muss, bleibt dagegen immer gleich (4 Wochen zum 15. oder Letzten eines Kalendermonats). In schriftlichen Arbeitsverträgen wird in der Regel vereinbart, dass die Frist für den Arbeitnehmer sich automatisch mit verlängert. Wenn also bei einem über 20 Jahre bestehenden Arbeitsverhältnis der Arbeitgeber eine Kün- digungsfrist von 7 Monaten einhalten muss, dann muss auch der Arbeitnehmer eine solche Frist einhalten, sofern er aus dem Unternehmen ausscheiden will. – Befristung: Eine Befristung des Arbeitsverhältnisses kann überhaupt nur schriftlich ver- einbart werden; anderenfalls wäre sie unwirksam. Sie bedeutet, dass das Arbeitsver- hältnis automatisch zum Datum der Befristung endet. Soll es also am 1. April beginnen und ist bis zum 30. September desselben Jahres befristet, dann ist es mit Ablauf des 30. September automatisch beendet. – Vertretungsregelung für Kündigung durch AG, in der Regel durch Erweiterung des Per- sonenkreises, der auf Arbeitgeberseite zur Kündigung befugt ist: Ist der Arbeitgeber eine Personengesellschaft (Gesellschaft bürgerlichen Rechts, oHG), dann müssen ent- weder alle Gesellschafter eine Kündigung durch den Arbeitgeber unterschreiben oder diejenigen, die dazu besonders bevollmächtigt sind. Sind die Unterschriften nicht von
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 7 allen Gesellschaftern geleistet und wird eine Bevollmächtigung nicht schriftlich nach- gewiesen, kann der Arbeitnehmer die Kündigung allein aus diesem Grund zurückwei- sen (aber nur umgehend, also maximal binnen weniger Tage). Bei mehreren Gesell- schaftern kann das während Urlaubszeiten zu praktischen Schwierigkeiten führen. Da- her sind oft schon im Arbeitsvertrag die Personen genannt, die auf Arbeitgeberseite zur Unterzeichnung einer Kündigung berechtigt sind – auch als Einzelpersonen. – Verfallsfristen (oder „Ausschlussfristen“) bedeuten, dass die Parteien ihre Ansprüche innerhalb bestimmter Fristen geltend machen müssen, in der Regel schriftlich. Gängig sind drei Monate (kürzere Verfallfristen sind meist unwirksam). Wird ein fälliger An- spruch nicht bedient – etwa Überstunden nicht vollständig vergütet – und fordert die betroffene Vertragspartei den Anspruch nicht binnen der Verfallsfrist ein, verfällt der Anspruch, er existiert dann einfach nicht mehr. So soll schnell Klarheit erreicht werden. Das ist auch nachvollziehbar, denn sonst könnte ein etwa entstandener Abrechnungs- fehler über Jahre zurückzurechnen sein. Die nachteilige Wirkung trifft allerdings in ers- ter Linie den Arbeitnehmer, denn meist ist er derjenige, dem die betroffenen Ansprüche zustehen. Formbedürftigkeit im Arbeitsrecht – Beispiele für Formvorschriften Schriftform zwingend für alle Rechtsgeschäfte, die Beendigung bewirken, das sind vor allem: Befristung Aufhebungsvertrag Kündigung Eine vorgeschriebene Schriftform besteht im Arbeitsrecht nur, wenn das jeweilige Rechtsgeschäft (Vereinbarung oder einseitige Erklärung) zur Beendigung führen soll. Das ist der Fall bei einer von Anfang an vereinbarten Befristung, bei einer einvernehm- lichen Beendigung durch Aufhebungsvertrag und bei einer Kündigung, also einer auf Beendigung gerichteten einseitigen Erklärung durch den Arbeitnehmer oder Arbeitge- ber. Das Besondere an der Kündigung ist ihre Einseitigkeit. Die bestehenden Rechtsver- hältnisse können also geändert = gestaltet werden, ohne dass beide Seiten des Ver- trags hierin übereinstimmen. Das ist bei einem Dauerschuldverhältnis unerlässlich, denn anderenfalls würde es einfach immer weiterlaufen. Eine solch ewige Bindung soll niemandem uneingeschränkt aufgelastet werden. Daher eröffnet der Gesetzgeber bei Dauerschuldverhältnissen generell die Möglichkeit der einseitigen Gestaltung durch Kündigung. Auf diesem Weg führt die Frage der Formbedürftigkeit zu einem weiteren Thema – der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 8 Beendigung des Arbeitsverhältnisses … ist geregelt in § 620 BGB: § 620 Beendigung des Dienstverhältnisses (1) Das Dienstverhältnis endigt mit dem Ablauf der Zeit, für die es eingegangen ist. (2) Ist die Dauer des Dienstverhältnisses weder bestimmt noch aus der Beschaffenheit oder dem Zwecke der Dienste zu entnehmen, so kann jeder Teil das Dienstverhält- nis nach Maßgabe der §§ 621 bis 623 kündigen. […] Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Befristung … ist geregelt in § 14 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG): (1) Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor, wenn 1. der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht, […] 5. die Befristung zur Erprobung erfolgt, […] (2) Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachli- chen Grundes ist bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamt- dauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines ka- lendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. […] Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Befristung Befristung in der Praxis Interessen für Befristung z. B. Erprobung / Flexibilität Kündigungsmöglichkeit während Befristungszeitraum meist mit vereinbart Umwandlung in unbefristetes Arbeitsverhältnis möglich durch – Vereinbarung „Entfristung“ – stillschweigendes Weiterarbeiten nach Ablauf der Befristung Bitte des AN um Entfristung daher ungeschickt (dennoch weit verbreitet wegen Risiken beim Arbeitslosengeld)
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 9 In der Praxis hat ein Arbeitgeber oft deswegen ein Interesse an Befristungen, weil er flexibel bleiben möchte. Bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen kann er nur kündigen und unterliegt dabei Beschränkungen. Mit Ablauf einer – wirksamen – Befristung da- gegen ist das Arbeitsverhältnis in jedem Fall beendet. Im Falle eines solchen Interes- ses wird der Arbeitgeber bemüht sein, die Befristung so lange wie möglich zu erstre- cken und möglichst mehrere Befristungen aneinander anzuschließen („Kettenbefristun- gen“). Ein anderes herausragendes Interesse ist die Erprobung. Der Arbeitgeber möchte eben für einen anfänglichen Zeitraum die Option offen haben, sich von einem Arbeit- nehmer auch wieder zu trennen, wenn ihn dessen Leistungen nicht überzeugen. In diesem Fall wird der Arbeitgeber sich zum Ablauf der Befristung die Frage stellen, ob er sich eine dauerhafte Zusammenarbeit vorstellen kann. Wenn das der Fall ist, wird er dem Arbeitnehmer eine „Entfristung“ des Arbeitsvertrags anbieten, also die Um- wandlung des befristeten in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Versäumen es die Vertragsparteien, über eine Entfristung zu verhandeln, ist das Ar- beitsverhältnis nach Ablauf der Befristung beendet. Erscheint der Arbeitnehmer aber weiterhin zur Arbeit und setzt seine Tätigkeit fort, ohne dass der Arbeitgeber wider- spricht, wandelt sich das Arbeitsverhältnis stillschweigend in ein unbefristetes Arbeits- verhältnis um. In kleineren Unternehmen kann es vorkommen, dass der Arbeitgeber den Ablauf er Befristung schlicht übersieht. Dennoch kommt es in der Praxis oft deswegen nicht zu einer stillschweigenden Entfristung, weil der Arbeitnehmer sich aktiv beim Arbeitgeber nach einer Entfristung erkundigt. Ansonsten muss er sich frühzeitig vor Ablauf der Be- fristung arbeitsuchend melden, um nach Ablauf seine Ansprüche auf Arbeitslosengeld nicht zu riskieren. Entweder lässt er es darauf ankommen und vertraut auf die Entfris- tung, oder er meldet sich arbeitsuchend, muss dann aber auch Bewerbungsaktivitäten entfalten. Diesen Drahtseilakt scheuen die meisten Arbeitnehmer. Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Kündigung Begriff und Inhalt Willenserklärung gestaltet (= ändert) rechtliche Verhältnisse, obwohl andere Partei nicht zustimmt „einseitiges Rechtsgeschäft“ Folge beim Arbeitsvertrag: Arbeitsverhältnis endet zwingend erforderlich: Schriftform! maßgeblicher Zeitpunkt: Zugang (wichtig bei Postversand)
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 10 Die Kündigung ist eine Willenserklärung (siehe dazu BGB 1, im Skript Seiten 5 und 6), also eine Erklärung, in dem Willen, sich rechtlich zu binden. Die rechtliche Bindung besteht in diesem Fall in der gestaltenden Wirkung. Die Kündigung wird nur von einer der beiden Vertragsparteien erklärt, und trotzdem kann sie den Status, in dem sich der Vertrag befindet, grundlegend ändern (ebenso beim Mietvertrag, siehe Skript BGB 1, Seite 17 unten), im Falle der Kündigung nämlich beenden. Das Gesetz schreibt zwingend vor, dass die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses schriftlich erfolgen muss. Anderenfalls ist sie ohne jede Wirkung. Für den Zeitpunkt, zu dem sie als erklärt gilt, ist daher maßgeblich, wann das Schriftstück mit der Kündigung dem Kündigungsgegner (Arbeitnehmer oder Arbeitgeber) „zugeht“. Das bedeutet ins- besondere, dass der Zeitpunkt der Absendung (des Poststempels) keine Bedeutung hat! Beim Postversand erfolgt Zugang, indem das Schriftstück in den Briefkasten des Empfängers gelangt und man auch annehmen darf, dass es zur Kenntnis genommen wurde. Gelangt es also etwa abends um 22:00 Uhr in den Briefkasten, ist von Kennt- nisnahme am selben Abend nicht mehr auszugehen; der Zeitpunkt der Kündigung wird daher auf den nächsten Tag fallen, was für die Einhaltung einer Kündigungsfrist ent- scheidend sein kann. Bei der Versendung als Übergabeeinschreiben oder Einschreiben mit Rückschein kann die Sendung nicht zugestellt werden, wenn der Empfänger bei der Ablieferung des Schreibens nicht angetroffen wird. Es wird dann eine Benachrichtigung im Briefkasten hinterlassen. Der Empfänger ist nicht verpflichtet, sich auf eine Benachrichtigung hin das Schreiben bei der Post abzuholen. Die bloße Benachrichtigung ersetzt nicht die Kenntnisnahme von dem eigentlichen Schreiben. Bleibt das Kündigungsschreiben bei der Post liegen, weil es nicht abgeholt wird und wird es letztlich an die kündigende Person zurückgesandt, dann ist die Kündigung nicht zugegangen und gilt als nicht er- klärt. Sollen daher wichtige fristgebundene Schreiben als Einschreiben verschickt werden, dann sollte man diese immer als Einwurfeinschreiben versenden. Bei dieser Versand- form gelangt das Schreiben in jedem Fall in den Briefkasten des Empfängers.
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 11 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Kündigung § 622 Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen (1) Das Arbeitsverhältnis […] kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden. (2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen 1. zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats, 2. fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats, 3. acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats, 4. zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats, 5. zwölf Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats, 6. 15 Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats, 7. 20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats. (3) Während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Mona- ten, kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. (4) [betrifft abweichende Regelungen in Tarifverträgen]] (5) Einzelvertraglich kann eine kürzere als die in Absatz 1 genannte Kündigungsfrist nur vereinbart werden, 1. wenn ein Arbeitnehmer zur vorübergehenden Aushilfe eingestellt ist; dies gilt nicht, wenn das Arbeitsverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortge- setzt wird; 2. wenn der Arbeitgeber in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer ausschließ- lich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt und die Kündigungs- frist vier Wochen nicht unterschreitet. […] [Berechnung der Zahl von 20 Arbeitnehmern] (6) Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer darf keine län- gere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber. Wichtig ist der Zeitpunkt, in dem die Kündigung erklärt wird, vor allem für den Lauf der Kündigungsfrist. Beispiel: Ein Arbeitgeber will das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer, das seit 3 Jahren besteht, kündigen. Er händigt dem Arbeitnehmer am 30. Juni persönlich ein Kündigungsschreiben aus. Die Kündigung ist auf diesem Wege am 30. Juni erklärt. Sie beendet (wenn sonst nichts entgegensteht) das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli. Gibt der Arbeitgeber das Schreiben stattdessen am 30. Juni zur Post und wird es am 1. Juli beim Arbeitnehmer in den privaten Briefkasten eingeworfen, dann ist es am 1. Juli zu- gegangen und die Kündigung im Rechtssinne an diesem Tag erklärt. Da die Kündigung
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 12 nur zum Monatsende wirken kann und bis zum 31. Juli kein ganzer Monat mehr Ab- stand ist, kann die Kündigung erst zum 31. August wirken. Die verlängerten Fristen aus § 622 Abs. 2 BGB betreffen nur die Kündigung durch den Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer kann grundsätzlich dauerhaft mit vierwöchiger Frist kündigen. Aus § 622 Abs. 6 BGB ergibt sich, dass diese Frist verlängert werden darf. Doch darf die Kündigung durch den Arbeitnehmer nie einer längeren Frist unterliegen als die Kündigung durch den Arbeitgeber. Siehe dazu oben bei den typischen Vertrags- klauseln. Kürzere Fristen können nach § 622 Abs. 5 BGB in besonderen Fällen vereinbart wer- den. Die Vorschrift hat aber keine besondere Relevanz, denn sie bezieht sich nur auf Abs. 1. Es kann also nur die 4-Wochen-Frist abgekürzt werden (also eine ohnehin nicht besonders lange Frist), die verlängerten Fristen des Abs. 2 wegen längeren Bestehens des Arbeitsverhältnisses lassen sich nicht abkürzen. In Abs. 5 Nr. 2 ist obendrein eine Verkürzung auf unter 4 Wochen ausgeschlossen. Das bedeutet, die einzige Abände- rung zu Abs. 1 kann noch darin bestehen, dass die Kündigung nicht zum 15. oder Mo- natsletzten erklärt werden muss. Das hat nur wenig praktischen Nutzen. Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Kündigung Einzelheiten Frist kann, muss aber im Kündigungsschreiben nicht genannt werden bei zu kurzer Frist Kündigung nicht hinfällig, sondern in der Regel Umdeutung in Kün- digung mit richtiger Frist Kündigung während Krankheit oder Urlaub nicht grundsätzlich unzulässig! (alles andere ist populärer Irrtum) Kündigungsgründe müssen im Kündigungsschreiben nicht genannt werden Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Kündigung Kündigungsverbote gegenüber Arbeitnehmerinnen im Mutterschutz (während Schwangerschaft und ≥ 4 Monate nach Entbindung) – § 17 Mutterschutzgesetz (MuSchG) Betriebsrat – falls vorhanden – ist vor der Kündigung anzuhören, anderenfalls Kündi- gung unwirksam – § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) Kündigung eines Arbeitnehmers mit Behinderung nur mit Zustimmung des Integrati- onsamts, anderenfalls unwirksam (§ 168 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch, SGB IX) (ordentliche) Kündigung eines BR-Mitglieds unwirksam, § 15 Kündigungsschutzgesetz
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 13 Mutterschutzgesetz: Eine Kündigung ist unzulässig gegenüber einer Arbeitnehmerin während ihrer Schwangerschaft, bis zum Ablauf von 4 Monaten nach einer Fehlgeburt nach der 12. Schwangerschaftswoche oder mindestens bis 4 Monate nach der Entbin- dung. Ausnahmsweise kann die oberste Landesbehörde die Kündigung für zulässig erklären. Ist ein Betriebsrat in dem Unternehmen vorhanden, ist dieser vor der Kündigung anzu- hören. Wurde die Anhörung versäumt, ist die Kündigung allein deswegen unwirksam. Die Anhörung kann nicht nachgeholt werden. Der Arbeitgeber kann allenfalls den Be- triebsrat zu einer weiteren beabsichtigten Kündigung anhören und anschließend die Kündigung erneut erklären. Je nach zeitlicher Lage wird er dann die beabsichtigte Frist nicht mehr einhalten. Denn der Betriebsrat muss eine Woche Zeit haben, Bedenken gegen die Kündigung vorzubringen. Die Kündigung eines Arbeitnehmers mit Behinderung (ab einem Grad von 50 %) ist nur zulässig, wenn das Integrationsamt vorher zugestimmt hat. Anderenfalls ist sie un- wirksam (§ 168 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch, SGB IX). Die Mitglieder des Betriebsrats sind nach § 15 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) nicht (ordentlich) kündbar. Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Kündigung Kündigungsschutz nach Kündigungsschutzgesetz (KSchG) § 1 KSchG – Sozial ungerechtfertigte Kündigungen (1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, des- sen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial unge- rechtfertigt ist. (2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in die- sem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. […] Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen. (3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerecht- fertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Be- triebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehin- derung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; […]
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 14 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Kündigung Kündigungsschutz nach KSchG Voraussetzungen Kündigungsschutz Gesetz nur anwendbar in Betrieben mit > 10 Arbeitnehmern (§ 23 KSchG) Kündigungsschutz nur für AN > 6 Monate Beschäftigungsdauer Inhalt Kündigungsschutz Kündigung durch AG darf nicht sozialwidrig (= sozial ungerechtfertigt) sein Kündigung ist sozialwidrig, wenn nicht gerechtfertigt durch – Gründe in der Person (z. B: krankheitsbedingt) oder – Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers (Vertragsverletzungen) – dringende betriebliche Erfordernisse (Wegfall des Arbeitsplatzes) wirksam nur personenbedingte, verhaltensbedingte u. betriebsbedingte Kündigungen in der Praxis meist nur betriebsbedingte Kündigung Erfolg versprechend Das Kündigungsschutzgesetz setzt den vom Arbeitgeber gegenüber Arbeitnehmern ausgesprochenen Kündigungen den Kündigungsschutz für Arbeitnehmer entgegen. Dieser gilt in Betrieben mit mehr als 10 Arbeitnehmern. Kleinbetriebe brauchen bei Kündigungen ihrer Arbeitnehmer das Kündigungsschutzgesetz nicht zu beachten. Der Unternehmensinhaber wird dabei nicht mitgerechnet, auch nicht die Auszubildenden. Der Kündigungsschutz bedeutet nach § 1 Abs. 2 KSchG, dass Kündigungen durch den Arbeitgeber nur wirksam sind, wenn sie durch personen- oder verhaltensbezogene Gründe oder durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt ist (= perso- nen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Kündigung). Zu allen drei Bereichen gibt es eine uferlose Rechtsprechung zu zahlreichen Einzelfällen. In der Praxis hat der Arbeit- geber in der Regel nur mit der betriebsbedingten Kündigung Aussicht auf Erfolg, indem er sich darauf beruft, der Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers sei weggefallen. Dem Wegfall des Arbeitsplatzes kann er nämlich eine eigene unternehmerische Ent- scheidung zu Grunde legen, die er nicht rechtfertigen muss – etwa, dass er eine be- stimmte Aufgabe künftig selbst erledigen oder sie einer anderen Abteilung übertragen will. Auch dann muss er aber begründen, warum die Wahl auf den betreffenden Arbeit- nehmer gefallen ist und er sich nicht für einen „sozial stärkeren Arbeitnehmer“ entschie- den hat (= kürzere Betriebszugehörigkeit, niedrigeres Lebensalter, weniger Unterhalts- pflichten), vgl. die Regelung in § 1 Abs. 3 KSchG. Erst das Kündigungsschutzgesetz unterwirft Kündigungen durch den Arbeitgeber einer realen inhaltlichen Hürde. Es ist eine der entscheidenden Komponenten eines sozial ausgestalteten Arbeitsrechts. Nach dem reinen Dienstvertragsrecht des BGB würde eine Kündigung im Wesentlichen nur die Kündigungsfristen einhalten müssen.
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 15 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Kündigung Kündigungsschutz nach KSchG § 4 KSchG – Anrufung des Arbeitsgerichtes Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wo- chen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Fest- stellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. § 7 Wirksamwerden der Kündigung Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam […] Dem weit reichenden Schutz durch das Kündigungsschutzgesetz stehen recht hohe prozessuale Anforderungen für den Arbeitnehmer entgegen, wenn er die Kündigung angreifen will. Jedenfalls was die Zügigkeit angeht: Wenn er die Kündigung erhalten hat, muss er binnen drei Wochen Klage erheben, wenn er die Unwirksamkeit der Kün- digung geltend machen will. Hält er diese Frist nicht ein, so gilt die Kündigung als von Anfang an wirksam. Einmal mehr ist der Zeitpunkt entscheidend, in dem die Kündigung zugegangen ist. Ist nur die Kündigungsfrist falsch berechnet, braucht der Arbeitnehmer (wohl) keine Klage zu erheben. Die (unwirksame) Kündigung mit zu kurzer Frist lässt sich in der Regel in eine (wirksame) Kündigung mit zutreffender Frist umdeuten. Gleichwohl wird geraten, auch in diesem Fall Klage zu erheben, denn auch über die Umdeutung lässt sich streiten. In der Praxis wird der Rechtsanwalt des Arbeitnehmers Kontakt mit dem Arbeitgeber aufnehmen und um umgehende Bestätigung der längeren Kündigungsfrist bitten. Bekommt er diese Bestätigung (am besten schriftlich), ist die Klage entbehrlich geworden. Wurde die Schriftform der Kündigung nicht eingehalten, ist ebenfalls keine Klage not- wendig, denn nur eine „schriftliche Kündigung“ löst nach dem Gesetzestext die Drei- Wochen-Frist des § 4 KSchG aus. Durch eine mündliche Kündigung beginnt die Frist also gar nicht zu laufen.
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 16 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Kündigung Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage zu erheben Arbeitsgericht beraumt kurzfristig gerichtlichen „Gütetermin“ an Gütetermin = ausschließlich Versuch einer Einigung, kein Urteil möglich 90 % der Kündigungsschutzverfahren enden mit Vergleich (=Einigung) im Gütetermin, i. d. R. Ausscheiden des AN gegen Abfindung, oft i. H. v. 1/2 Monatsgehalt je Beschäf- tigungsjahr falls keine Einigung, folgt neu anberaumter „Kammertermin“, erst im Kammertermin kann Urteil ergehen Nach Einreichung einer Kündigungsschutzklage beraumt das Arbeitsgericht einen so genannten Gütetermin an. Dabei handelt es sich um eine Gerichtsverhandlung, bei der ausschließlich versucht wird, eine Einigung zwischen den Parteien herzustellen. Die Wirksamkeit der Kündigung wird diskutiert, aber eher im Hinblick auf Prozesschancen und daraus erwachsende Einigungsbereitschaft. In mehr als der Hälfte der Fälle kommt es dann schon zu einer Einigung, meist in der Form, dass der Arbeitnehmer die Kün- digung akzeptiert, aber im Gegenzug eine Abfindung erhält. Die Höhe der Abfindung ist frei verhandelbar. Als Faustregel hat sich gleichwohl eingebürgert: 1/2 Monatsgehalt (aktuelle Gehaltshöhe) je Jahr, dem der Arbeitnehmer dem Betrieb angehörte. Die Ab- findung beträgt also 1/2 Monatsgehalt x Zahl der Beschäftigungsjahre. Ob dann dieser Betrag noch über- oder unterschritten wird, hängt von den Prozessaussichten für beide Seiten ab und ist letztlich Verhandlungssache. Das Gesetz schreibt hierfür nichts vor. Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Kündigung Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund (1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Ein- haltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzel- falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbar- ten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. (2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maß- gebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 17 Beendigung des Arbeitsverhältnisses – Kündigung Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB Kündigung wirkt ohne jede Frist mit Zugang kann mit „sozialer Auslauffrist“ verbunden werden zulässig nur aus „wichtigem Grund“ = Vertrauensverhältnis derart gestört, dass Weiterbeschäftigung bis Ablauf der Kündi- gungsfrist unzumutbar „Kündigungserklärungsfrist“ von 2 Wochen, § 626 Abs. 2 BGB ebenfalls Klage nach § 4 KSchG binnen 3 Wochen erforderlich! Recht zur außerordentlichen Kündigung kann nicht vertraglich ausgeschlossen werden Bei ganz gravierenden Gründen (= „wichtiger Grund“) ist auch die außerordentliche Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist möglich. Durch Abgrenzung der au- ßerordentlichen Kündigung lassen sich die zuvor erörterten – normalen – Kündigungen als „ordentliche Kündigungen“ bezeichnen. Wenn nicht massive kriminelle Handlungen oder unstreitige Vorgänge mit klarer Deu- tungslage – etwa beharrliche Arbeitsverweigerung – Grund für die Kündigung sind, wird die Chance des Arbeitgebers, sie durchzusetzen, noch schwächer sein als bei der or- dentlichen Kündigung. Die außerordentliche Kündigung hat gleichwohl eine praktische Bedeutung. Zum einen muss es bei eindeutigen Vorfällen auch ein scharfes Instrument geben; zum anderen würde bei Arbeitnehmern, für die die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung vertrag- lich oder tarifvertraglich ausgeschlossen ist, anderenfalls gar keine Beendigungsmög- lichkeit mehr bestehen. Auch die außerordentliche Kündigung muss der Arbeitnehmer binnen drei Wochen vor dem Arbeitsgericht angreifen; anderenfalls gilt sie als von Anfang an wirksam. Erhebt der Arbeitnehmer erst später Klage, kann er nicht mehr geltendmachen, dass kein wichtiger Grund vorlag. Inhaltlich kann sich dafür jeder Arbeitnehmer gegen eine au- ßerordentliche Kündigung wehren; es ist nicht erforderlich, dass das Beschäftigungs- verhältnis schon eine gewisse Zeit bestanden hat oder dass der Betrieb mehr als 10 Mitarbeiter hat.
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 18 Arbeitszeugnis – Anspruch auf Arbeitszeugnis Rechtsgrundlagen: § 630 BGB – Pflicht zur Zeugniserteilung Bei der Beendigung eines dauernden Dienstverhältnisses kann der Verpflichtete von dem anderen Teil ein schriftliches Zeugnis über das Dienstverhältnis und des- sen Dauer fordern. Das Zeugnis ist auf Verlangen auf die Leistungen und die Füh- rung im Dienst zu erstrecken. Die Erteilung des Zeugnisses in elektronischer Form ist ausgeschlossen. Wenn der Verpflichtete ein Arbeitnehmer ist, findet § 109 der Gewerbeordnung Anwendung. § 109 GewO Zeugnis (1) Der Arbeitnehmer hat bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Das Zeugnis muss mindestens Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten. Der Arbeitnehmer kann verlan- gen, dass sich die Angaben darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeits- verhältnis (qualifiziertes Zeugnis) erstrecken. (2) Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein. Es darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äu- ßeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. (3) Die Erteilung des Zeugnisses in elektronischer Form ist ausgeschlossen. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf ein Zeugnis ergibt sich aus § 109 Abs. 1 Satz 1 der Gewerbeordnung (GewO). Die Gewerbeordnung ist eine etwas wilde, stark von ihrer langen Historie gekennzeich- nete Mischung. Schwerpunktmäßig enthält sie öffentliches Recht. Sie soll das „öffent- lich-rechtliche Kerngesetz für Wirtschaft und Wirtschaftsverwaltung“ (Landmann/Roh- mer, Gewerbeordnung Einführung Rdnr. 1) sein. Daraus ergaben sich klassischer- weise auch Vorgaben für das Verhalten gegenüber den sog. „gewerblichen Arbeitneh- mern“. Eine Sonderbehandlung für gewerbliche Arbeitnehmer ist weitgehend überholt, die Vorschriften ergaben keinen Sinn mehr und sind inzwischen aufgehoben. An ihre Stelle hat der Gesetzgeber im Jahre 2003 mit den §§ 105 bis 110 allgemeine arbeits- rechtliche Vorschriften gesetzt, deren Inhalt zum Teil bereits durch die Rechtsprechung geprägt war und somit gesetzlich verfestigt wurde, die zum Teil aber auch inhaltsleer sind, weil sie Selbstverständlichkeiten enthalten. Was die Systematik angeht, drängt sich die Frage auf, was die spezifisch arbeitsrecht- lichen Vorschriften in der Gewerbeordnung zu suchen haben. Die Gewerbeordnung hat keine geschlossene Struktur mehr, weil ganze Abschnitte aufgehoben und in an- deren Gesetzen geregelt wurden. Die verbliebenen Regelungsinseln haben durchaus
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 19 hohe praktische Relevanz, aber nicht im Arbeitsrecht. Insofern hätten diese sehr grund- legenden arbeitsrechtlichen Regelungen eigentlich ins Dienstvertragsrecht des BGB oder in einen anderen arbeitsrechtlich geprägten Komplex gehört. Arbeitszeugnis – Anspruch auf Arbeitszeugnis Inhalt und Modalitäten des Anspruchs Anspruch geht nach freier Wahl des Arbeitnehmers auf – einfaches Arbeitszeugnis (Beschäftigung, Tätigkeiten), § 109 Abs. 1 Satz 1 GewO – qualifiziertes Arbeitszeugnis (zuzüglich Bewertung), § 109 Abs. 1 Satz 2 GewO Fälligkeit bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses; aber auch Anspruch auf Zwischenzeugnis während Arbeitsverhältnis Zweck des Zeugnisses: Vorlage bei künftigen Bewerbungen höhere praktische Relevanz: qualifiziertes Arbeitszeugnis, daher im Folgenden nur qualifiziertes Arbeitszeugnis erörtert Inhalt des Anspruchs sind entweder ein einfaches Arbeitszeugnis (§ 109 Abs. 1 Satz 1 GewO), das lediglich die Beschäftigung und die Tätigkeiten bescheinigt, oder ein qua- lifiziertes Arbeitszeugnis (§ 109 Abs. 1 Satz 2 GewO), das auch eine Bewertung ent- hält. Das Arbeitszeugnis ist fällig mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses – sofern es ver- langt wird. Bei besonderer Begründung kann aber auch während des laufenden Ar- beitsverhältnisses ein Zwischenzeugnis verlangt werden, das im Wesentlichen die- selbe Form hat wie das (Abschluss-)Arbeitszeugnis. Ein entsprechendes Verlangen des Arbeitsnehmers wird vom Arbeitgeber in der Regel so verstanden, dass der Arbeit- nehmer einen Wechsel seines Arbeitsplatzes in Erwägung zieht. Denn das Arbeits- zeugnis dient insbesondere dazu, bei einer Bewerbung vorgelegt zu werden. In aller Regel werden mit einer Bewerbung qualifizierte Arbeitszeugnisse eingereicht. Die Vorlage eines einfachen Arbeitszeugnisses würde daher sofort Misstrauen auslö- sen. Man würde es so verstehen, als habe der Arbeitnehmer sich für ein einfaches Zeugnis entschieden, um eine negative Bewertung zu umgehen. Die höhere praktische Relevanz hat aus diesem Grund das qualifizierte Arbeitszeugnis. Auf dieses beschrän- ken sich auch die folgenden Ausführungen.
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 20 Arbeitszeugnis – Inhalt des Anspruchs Was man den Vorschriften entnimmt: Grundsätze der Einheitlichkeit Vollständigkeit Wahrheit wohlwollenden Beurteilung Der Grundsatz der Einheitlichkeit bedeutet, dass es nur ein Zeugnis geben kann, nicht etwa mehrere für verschiedene Abschnitte der Beschäftigung. Darüber hinaus muss das Zeugnis vollständig sein, also etwa alle wesentlichen Tätigkeiten aufführen, die der Arbeitnehmer ausgeübt hat. Sachfremde Informationen dürfen nicht aufgenommen werden, so darf etwa nicht erwähnt werden, dass der Arbeitnehmer einer Gewerkschaft angehört oder dass er Mitglied des Betriebsrats war (es sei denn, er war aus diesem Grund von der Arbeitsleistung freigestellt). Der Grundsatz der Wahrheit wird theoretisch hochgehalten, ist aber in der Praxis Ein- schränkungen unterworfen. Zwar muss der Inhalt des Zeugnisses auf Tatsachen ba- sieren. Diese werden aber zwangsläufig durch die subjektive Sicht des Zeugnis-Ver- fassers gefiltert werden, ganz gleich, in welchem Maße dieser um Objektivität bemüht ist. Außerdem können gewisse Tatsachen im Konflikt mit einer wohlwollenden Beurtei- lung stehen, etwa Aussagen über die Art der Beendigung. Diese darf grundsätzlich im Zeugnis nicht erwähnt werden. Die wohlwollende Beurteilung bedeutet, dass für die Formulierungen das maßgeblich ist, was einer gemäßigten Verkehrsanschauung entspricht. So haben etwa Formulie- rungen zu unterbleiben, die üblicherweise als negativ verstanden werden, es sollten Formulierungen aufgenommen werden, deren Fehlen als negativ verstanden werden könnte etc. Zum Beispiel sollte für einen Arbeitnehmer, der Zahlungen veranlassen konnte, aufgenommen werden, dass er ehrlich / zuverlässig war; anderenfalls entsteht der Eindruck, es sei zu Unregelmäßigkeiten, absichtlichen Manipulationen, z. B: Ver- untreuungen gekommen.
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 21 Arbeitszeugnis – Gestaltung Was das Zeugnis enthalten muss: Tätigkeitsbeschreibung = Faktendokumentation, also konkrete Beschreibung der wesentlichen Tätigkeiten; Auswahl danach, ob charakteristisch für das Anforderungsprofil Leistungsbeurteilung – zunächst anhand objektiv messbarer Kriterien – zu bewertende Kriterien gemäß Erwartungen der Branche – dabei Zeugnisbrauch zu berücksichtigen, ansonsten evtl. versteckte negative Be- wertung Bewertungsmaßstab: objektive Beschreibungen ausreichend; in der Praxis eher übertriebene Formulierung für positive Bewertung erforderlich Die Tätigkeitsbeschreibung kann nicht alle jemals ausgeführten Tätigkeiten enthalten, son- dern muss diejenigen benennen, die für die Bewertung relevant sind. Das sind alle Tätig- keiten, die charakteristisch sind für das Anforderungsprofil. Tätigkeiten mit erhöhten Anfor- derungen können sich nicht in einer allgemeinen Beschreibung erschöpfen, sondern müs- sen durch entsprechende Details erkennen lassen, auf welchem Niveau sie erbracht wur- den. Die Leistungsbeurteilung kann zunächst mit Hilfe objektiv messbarer Parameter Aussagen treffen über Fertigkeiten, Geschicklichkeit, Sorgfalt, Einsatzfreude und Arbeitseinstellung. Für einen Vertriebsmitarbeiter könnte beispielsweise angegeben werden, wie viele Neu- kunden er geworben hat. Welche Kriterien und Begabungen wichtig sind, kann nicht ein- heitlich gesagt werden, sondern richtet sich nach dem Interesse der Branche für den kon- kreten Beruf. Bei einem Buchhalter wird kaum Interesse an seinem Einfallsreichtum beste- hen, wohl aber bei einem Webdesigner. Was die Branche erwartet, ergibt sich aus dem, was üblich ist, nach Zeugnisbrauch. Den Begriff prägt das Bundesarbeitsgericht seit 2008. Wenn ein bestimmtes Kriterium in der jeweiligen Branche als besonders wichtig erachtet wird, dann muss sich zu diesem eine Bewertung im Zeugnis finden. Fehlt die Bewertung eines solchen Kriteriums bzw. ist dieses überhaupt nicht erwähnt, kann der Leser es so verstehen, als werde genau dadurch eine schlechte Bewertung signalisiert (vgl. oben zur wohlwollenden Beurteilung). Die Bewertung selbst soll objektiv formuliert sein. In der Praxis wird man eher auf übertrie- ben positive Bewertungen bedacht sein müssen, um eine gute Bewertung zu signalisieren, also etwa „in besonderem Maße“, „vollumfänglich“, „jederzeit“ etc. Beansprucht werden können solche Übertreibungen aber nicht.
Heußel: Recht Berufspraxis, Arbeitsrecht Seite 22 Arbeitszeugnis – Gestaltung Die Gesamtbewertung in Gestalt eines Schulnotensystems „Die ihm/ihr übertragenen Aufgaben führte er/sie aus …“ sehr gut stets zu unserer vollsten Zufriedenheit gut stets zu unserer vollen Zufriedenheit befriedigend zu unserer vollen Zufriedenheit / stets zu unserer Zufriedenheit ausreichend zu unserer Zufriedenheit mangelhaft im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit ungenügend mit großem Fleiß und Interesse Diese Kodierung ist eindeutig und muss von jedem Leser und jedem Verfasser eines Zeugnisses beherrscht werden. Arbeitszeugnis – Gestaltung Schlussformel Herrn Stanislawskis Ausscheiden bedauern wir außerordentlich, weil wir mit ihm einen wert- vollen Mitarbeiter verlieren. Wir danken ihm für seine Tätigkeit in unserem Unternehmen und wünschen ihm für seine berufliche und private Zukunft alles Gute. laut Bundesarbeitsgericht kein Anspruch auf Schlussformel Schlussformeln sind weit verbreitet. Ihr Fehlen würde sofort auffallen. Gleichwohl kann laut Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Schlussformel, die ebenso freundlich ist wie die Bewertung, nicht beansprucht werden. Grund: Sie wäre dann nur die Wiederholung der Bewertung. Der Arbeitnehmer hat lediglich Anspruch auf ein Zeugnis ohne Schlussformel. Wenn ihr Fehlen den Eindruck einer negativen Bewer- tung erzeugt, ist das hinzunehmen. Wie groß die reale Bedeutung von Zeugnissen in der Praxis ist, steht dahin. Der größte Teil der Zeugnisse endet ohnehin auf gut oder sehr gut. Ein potenzieller neuer Arbeit- geber, bei dem der Arbeitnehmer sein Zeugnis bei der Bewerbung einreicht, kann nicht erkennen, inwieweit der frühere Arbeitgeber die jeweiligen Codes überhaupt be- herrschte oder möglicherweise unabsichtlich ein negatives oder positives Signal ge- setzt hat. Ebenso wenig ist zu erkennen, ob die Formulierungen freiwillig geliefert wur- den oder hart erkämpft wurden oder ob sogar ein Entwurf des Arbeitnehmers zu Grunde lag.
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