SIZE ZERO Warum wir alle dünn sein wollen, warum manche Kinder das besonders ernst nehmen und was dagegen zu tun ist - KD Dr. med. Dagmar Pauli
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Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie SIZE ZERO Warum wir alle dünn sein wollen, warum manche Kinder das besonders ernst nehmen und was dagegen zu tun ist KD Dr. med. Dagmar Pauli 20.08.2019
Inhalt • Die essgestörte Gesellschaft • Das essgestörte Individuum • Was ist zu tun? Prävention Behandlung von Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen Seite 2 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Die gesellschaftliche Essstörung restriktives Essverhalten mit Tendenz zu Kontrollverlust verzerrte Körperwahrnehmung übertriebenes übertriebene Schlankheitsideal körperliche Betätigung Wandel der Schönheitsideale Seite 3 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Der Zweitgenerationen – Effekt Heutige Eltern sind bereits mit übertriebenen Schlankheitsidealen aufgewachsen. Schlankheitsbewusstsein, Angst vor Übergewicht und Diäten sind am Familientisch Thema. Die dazugehörigen Mythen sind tief im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert und werden immer früher an die Kinder weiter gegeben Seite 4 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Wir haben verlernt, normale Körperformen schön zu finden Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Time Trends • Schlankheitsstreben nimmt in jüngerer Generation zu • Körperbild bei jüngerer Generation schlechter • Erkrankungsalter für Beginn AN nimmt ab • Höhere Inzidenz von AN bei Mädchen unter 14 Jahren • Inzidenz für Essstörungen insgesamt stabil • Zunahme der atypischen Essstörungen im Erwachsenenalter Van Son et al., 2006 Favaro et al., 2009 Vanderlinden et. Al., 2009 Mikali et al., 2013 Steinhausen et al., 2015 Reas et al., 2018 Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Körpergefühl von Jugendlichen • 50% der Mädchen wollen schlanker sein • 33% der Mädchen wollen muskulöser sein • 36% der Mädchen machen Diät um abzunehmen • 75% der Jungen wollen muskulöser sein 38% der Jugendlichen fühlen sich ein bisschen und 16% stark belastet durch ihre Körperform Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (Schülerbefragung Stadt Zürich, 2017)
Warum sind gerade junge Frauen so anfällig für krankmachende Ideale? Seite 8 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Stigma Adipositas • Übergewichtige Kinder sind die unbeliebtesten Spielgefährten. • Dieser Effekt hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. • Übergewicht wird mit negativen Eigenschaften assoziiert. (dumm, faul, langsam…) • Übergewichtige leiden unter stark reduziertem Selbstwertgefühl. • Je mehr eine Person in der Kindheit wegen ihres Dickseins abgelehnt wurde, desto erfolgloser sind spätere Diätversuche. Latner 2003 Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Hübner 2016
Einfluss der Medien Essen ist… Diät, Kalorien, Fett, gute Fette, schlechte Fette, Nahrungsmittelpyramide, Kohlehydrate, Vitamine, …. Adipositas, Übergewicht, Essstörung…., Joggen, Sport, Work-out… …und sonst nichts? Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Mythen über Ernährung • Es gibt gesunde und ungesunde Lebensmittel • Kohlehydrate bzw. Fette machen dick • Man kann durch Bewegung schlank werden • Diäten reduzieren das Körpergewicht • Es gibt eine richtige Ernährungsweise • Menschen benötigen eine bestimmte Anzahl Kalorien, die man ausrechnen muss Seite 11 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Ein Grund, keine Diät zu machen: Leute, die viel ans Essen denken und häufig Diäten machen Seite 20.08.2019 Klinik fürsind Kinder- häufiger übergewichtig und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und haben mehr Essstörungen!
Ein Grund, keine Diät zu machen: Eine Diät im Jugendalter ist immer ein Risikofaktor Leute, die viel ans Essen denken und häufig Diäten machen Seite 20.08.2019 Klinik fürsind Kinder- häufiger übergewichtig und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie und haben mehr Essstörungen!
Warnhinweise auf Diätwerbungen „Diese Diät kann Essstörungen erzeugen“ „Diese Diät kann Übergewicht begünstigen“ Mindest-BMI für Models Jugendverträglichkeitsprüfung für Casting-Shows Jugendverträglichkeitsprüfung für Nahrungsmittelwerbung Ganzheitliche Präventionsansätze in Schulen Seite 14 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Essstörungen Entstehungsmodell Soziokulturelles Umfeld: Medien, Schlankheitsdruck, Ernährung • Genetische Prädisposition zu schnellem Prädispositionen Persönlichkeitszüge Gewichtsverlust • Perfektionistisch • Pränatale Hormone • individuell-persönliche Faktoren • ängstlich • weibliches Geschlecht • familiäre Faktoren • negative Grundstimmung • frühe Menstuation • soziokulturelle Faktoren Familie • biologische Faktoren • höhere soziale Schicht • Mutter mit Essstörung Adoleszenz • Diät • Hirnentwicklung Auslösende Faktoren • negative Bemerkungen von • „Stress“ Familienmitgliedern und Peers • Medienkonsum ↑ • Sexuelle Übergriffe Psychische Konflikte und Probleme • niedriges Selbstwertgefühl • affektive Instabilität Sekundäre körperliche bulimisch / anorektischer und psychische Veränderungen Lösungsversuch • Depression ↑ • Gewichtsverlust • Angst ↑ • Erbrechen • Zwanghaftigkeit↑ • Starvationsfolgen Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Essstörung und Familie – häufige klinische Beobachtungen Anorexie • erhöhte Konfliktvermeidung • enge Bindung an einen Elternteil bei gleichzeitig grösserer Distanz zum anderen • wenig Abgrenzung zwischen den Familienmitgliedern • grosse Harmoniebedürftigkeit • Überprotektivität vor allem von Seiten der Mutter Bulimie • konflikthafte Familienbeziehungen • instabile Beziehungsmuster • wenig gemeinsame Mahlzeiten Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Auffälligkeiten in der Familie sind oft nicht Ursache sondern vielmehr Folge der Essstörung Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Essstörungen betreffen den ganzen Körper Gehirn: Verkleinerung des Gehirnvolumens. Depressionen, Angststörungen, Grösse: wenig Labilität, Konzentrationsstörungen, gereizte Stimmung Wachstum Haare: Haarausfall, Flaumbehaarung am ganzen Körper Zähne: Karies Schilddrüse: Herz-Kreislaufsystem: niedriger Blutdruck (Ohnmacht möglich), Verlangsamter Unterfunktion Herzschlag, Abbau Herzmuskelmasse, Herzrhythmusstörungen Speiseröhre: Blut: zu wenig Blut (Anämie), Blutbild verändert (ständige Kontrolle beim Arzt nötig) Entzündung Muskeln: Abbau, zu wenig Kraft vorhanden, Schwächeanfälle, Erschöpfung Nieren: Versagen, Nierensteine Soziales Leben: Rückzug von Freunden, schulische Leistungen werden schlechter Magen, Darm: verlangsamte Magenentleerung, Magengeschwüre, Völlegefühl schon bei wenig Nahrung, Verstopfung Hormone: Menstruation bleibt aus, eingeschränkte Fruchtbarkeit, wenig Sexualhormone für weibliche Entwicklung Knochen: Wenig Knochenmaterial, kleine Knochendichte (Osteoporose), hohe Chance für Knochenbrüche Haut: trocken und schuppig Körpertemperatur erniedrigt: schnelles Frieren
Somatische Risiken bei schwerer Essstörung mittleres Risiko hohes Risiko Ernährungszustand BMI kg / m² < 15 < 13 BMI-Perzentilen 1.0 Purpura oder Petechien + Zirkulation Systolischer BD (mm Hg) < 90 < 80 Diastolischer BD (mm Hg) < 60 < 50 Posturaler BD-Abfall(mm Hg) > 10 > 20 Puls < 50 < 40 Sauerstoffsättigung % < 90 < 85 Zyanose der Extremitäten + Muskuloskelettal unfähig, aus der Hocke aufzustehen, ohne mit den + Armen zu balancieren unfähig, aus der Hocke aufzustehen, ohne die Arme + abzustützen Körpertemperatur º C < 35 < 34.5 Labor Abweichung von der Norm Kalium < 2.5 mmol/l Natrium < 130 mmol/l Phosphat < 0.5 mmol/l EKG QT-Verlängerung (v.a. bei Kalium – Mangel!) Seite 20 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Treasure et al., 2010
Somatische Risiken bei schwerer Essstörung mittleres Risiko hohes Risiko Ernährungszustand BMI kg / m² < 15 < 13 BMI-Perzentilen 1.0 Purpura oder Petechien + Zirkulation Systolischer BD (mm Hg) < 90 < 80 Diastolischer BD (mm Hg) < 60 < 50 Posturaler BD-Abfall(mm Hg) > 10 > 20 Puls < 50 < 40 Sauerstoffsättigung % < 90 < 85 Zyanose der Extremitäten + Muskuloskelettal unfähig, aus der Hocke aufzustehen, ohne mit den Armen + zu balancieren unfähig, aus der Hocke aufzustehen, ohne die Arme + abzustützen Körpertemperatur º C < 35 < 34.5 Labor Abweichung von der Norm Kalium < 2.5 mmol/l Natrium < 130 mmol/l Phosphat < 0.5 mmol/l EKG QT-Verlängerung (v.a. bei Kalium – Mangel!) Seite 21 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Motivationsstadien zu Behandlungsbeginn Anorexia nervosa, Jugendliche 12-18 J 45% 40% 35% 30% 25% 20% 3D-Säule 1 15% 10% 5% 0% prec cont prep action maint Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Pauli et al., 2017
Mit einer systemischen Intervention Zeit gewinnen für die Motivationsbehandlung Seite 23 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Evidenz für Psychotherapie bei Anorexia Nervosa N=12 RCTs 1060 adoleszente AN-Pat N=12 RCTs 1157 erwachsene AN-Pat Seite 24 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Zipfel et al, Lancet 2015
Evidenz für Psychotherapie bei Anorexia Nervosa N=12 RCTs 1060 adoleszente AN-Pat N=12 RCTs 1157 erwachsene AN-Pat Seite 25 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Zipfel et al, Lancet 2015
Familienbasierte Therapie Seite 26 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Therapiephasen bei Jugendlichen mit Essstörungen modifiziert nach Maudsley-Method 1997 1. Phase (ca. 3 Monate): Verantwortungsübernahme der Eltern für Ernährung Motivationsarbeit mit Jugendlichen in Einzeltherapie Gewichtsnormalisierung 2. Phase (ca. 3 Monate): Schrittweise Verantwortungsübernahme durch die Jugendlichen 3. Phase Behandlung von Themen der Adoleszenz und Familienthemen individuelle Anpassung der Phasen an die Gegebenheiten Seite (individuelle 20.08.2019 Einsicht, familiäre Ressourcen, Stadium der Krankheit, Ausmass der Symptomatik) Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Aufrechterhaltung der Essstörung Auslösende Bedingungen Essstörungs- Symptomatik Vorrang in der therapeutischen Arbeit der ersten Behandlungsphase Aufrechterhaltende Bedingungen Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Aufrechterhaltende Faktoren internal somatisch/neurobiologisch • Völlegefühl aufgrund verlangsamter Magendarmtätigkeit • Endorphinausschüttung bei Hungerzustand • Bewegungsdrang als somatische Folge des Hungerzustandes • Depression als Folge der Unterernährung verstärkt gleichzeitig die Essstörungssymptome (und umgekehrt) internal psychologisch • Stolz über das „Erreichte“ • Ausweichen von Lebensaufgaben • sekundärer Krankheitsgewinn external • positives Feedback über Gewichtsverlust • Teufelskreislauf in Familie mit Verweigerung • Aufmerksamkeit für Essstörungssymptomatik Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
„Essstörungs-Atmosphäre“ • erhebliche Beeinträchtigung des Alltagslebens durch Essstörung • Mahlzeiten werden zur massiven Belastung für alle • „detektivistische“ Strategien der Eltern/Erzieher betreffend Erbrechen, Abführmittel etc. • weniger erzieherische/elterliche Aufmerksamkeit und Fürsorge für andere Kinder/Geschwister • andauernde Diskussionen und „Essstörungs-Gespräche“ Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
The New Maudsley Method Collaborative Care • Psychoedukation für Carers: Facts • nützliche Kommunikationsstrategien • Reflexion über das eigene Verhalten der Eltern /Angehörigen • «See the bigger picture» Seite 31 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Körperbildstörung Body-Checking • Beobachtung: Wie oft wird gewogen? Wo steht die Waage? • Erkennen, Bewusstmachen und Unterbrechen von Body-Checking • Wo sind Spiegel im Haus? Sollten die Spiegel abgedeckt werden? • Wie schaut sie sich im Spiegel an? (detailfokussiert?) Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Ambivalenz Festhalten an der Essstörung – Wunsch nach Veränderung • Vor- und Nachteile der Essstörung kurz- und langfristig (4 Felder-Schema) • Brief an die Essstörung Ich will endlich • als meine Freundin gesund werden… Ich brauche keine Hilfe… Helft mir! • als meine Feindin Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Zukunftsperspektiven Kreismodell: Wie viel Energie fliesst in Freunde, Schule, Hobbies, Essstörung? Wie wünsche ich mir die Einteilung meiner Energie in Zukunft? Essstörung Schule Freunde Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Die Odysseus - Vereinbarung Die Patientin willigt in eine Behandlungsvereinbarung ein, bei der die Autonomie in Bezug auf das Essen eingeschränkt wird. Wenn das Essen auf dem Teller liegt, wehrt sie sich unter Umständen verzweifelt dagegen. Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Veränderung von Essstörungsdiagnosen im Laufe des Lebens Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Fairburn et al., 2003
Veränderung von Essstörungsdiagnosen im Laufe des Lebens Transdiagnostische Therapieansätze ab dem jungen Erwachsenenalter Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Fairburn et al., 2003
CBT-E (ältere Jugendliche / Erwachsene) Fairburn 2009 • Motivationsphase am Beginn der Behandlung (Gewichtszunahme nicht im Zentrum) • Selbstbestimmung der Betroffenen wird respektiert • Phase der Behandlung der Essstörungssymptomatik wird für einen Teil der Patienten ergänzt durch Vertiefungsmodule Traumabearbeitung Persönlichkeit Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
CBT-E (Kognitive Verhaltenstherapie für Essstörungen) Methodik • kaum kognitive Techniken • Motivationsarbeit für Verhaltensänderungen ist zentral Auswirkungen der Veränderungen Verhaltensänderung analysieren Verstärkung der Veränderung durch Abbau aufrechterhaltender Faktoren Seite 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
The New Maudsley Method MANTRA Gedankenstil, Werte, Beziehungen und Emotionen Seite 40 20.08.2019 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
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