Regierung im Kosovo zerbrochen: Misstrauensvotum in Zeiten von Corona
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März 2020 Auslandsbüro Kosovo Regierung im Kosovo zerbrochen: Misstrauensvotum in Zeiten von Corona Regierungskoalition der ungleichen Partner Vetëvendosje (VV) und Demokratische Liga des Kosovo (LDK) durch Misstrauensvotum zu Fall gebracht – Handlungsfähigkeit der Exekutive in Gefahr Norbert Beckmann-Dierkes, Granit J. Tërnava, Florian C. Feyerabend Über den von der konservativen LDK initiierten und von 42 Abgeordneten unterzeichneten Misstrauensantrag gegen die eigene Regierung wurde am Abend des 25. März 2020 nach einer 12- stündigen Marathonsitzung abgestimmt. 82 Abgeordnete stimmten gegen die von Ministerpräsident Albin Kurti (VV) angeführte Regierung, 32 Parlamentarier sprachen ihm das Vertrauen aus, einer enthielt sich. Die Koalition der ungleichen Partner, der linksnationalistischen VV und der Mitte-Rechts-Partei LDK, ist damit nach nur 52 Tagen zerbrochen. Inmitten der Corona-Krise steht im Kosovo die Handlungsfähigkeit der Exekutive zur Disposition. Nur wenige Stunden nach der Abstimmung wurde Kurtis Gegenspieler Avdullah Hoti (LDK) von der Position des ersten stellvertretenden Premierministers enthoben. Unversöhnliche Positionen in der aus Serbien sowie Bosnien und Herzegowina, wie Plenardebatte von den Vereinigten Staaten und auch Deutschland sowie weiteren internationalen In seiner Rede in der Plenarsitzung stellte der Partnern gefordert, ohne Auferlegung Vorsitzende der LDK-Fraktion, Arben Gashi, den sogenannter reziproker Maßnahnahmen zeitnah Misstrauensantrag vor und wies darauf hin, dass aufzuheben. Diese stelle den eigentlichen die Gründe, die dazu führten, mit der Weigerung Dissens mit der VV dar. Der Tropfen, der das Fass Kurtis zu tun hatten, die 100%-Zölle auf Produkte zum Überlaufen brachte und somit als
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht Kosovo März 2020 2 unmittelbarer Auslöser für den Die Entscheidung, die eigene Regierung durch Misstrauensantrag angeführt wurde, war die einen Misstrauensantrag nach nur 52 Tagen zu Entlassung des Innenministers Agim Veliu (LDK) stürzen, war innerhalb der der EVP-Partnerpartei ohne vorherige Konsultation mit der LDK und LDK nicht unumstritten. Ob das Elektorat die somit in grober Verletzung des Geistes des Entscheidung goutieren wird, ist fraglich. Bei den Koalitionsvertrags, so Gashi weiter. Wahlen vom 6. Oktober 2019 hatte die LDK noch die meisten Mandate hinzugewinnen können und Premierminister Kurti, der einen Koalitionsbruch sich als zweitstärkste politische Kraft im Land durch sein Verhalten provozierte hatte, behauptet. Spitzenkandidatin in einem sehr argumentierte hingegen, dass der Antrag, die von personenorientierten Wahlkampf war damals ihm geführte Regierung zu stürzen, nichts mit Vjosa Osmani. Diese ist mittlerweile Parlaments- den Zöllen oder der Entlassung von Veliu zu tun präsidentin und hatte sich vehement gegen den habe, sondern dass es bereits eine geheime Misstrauensantrag ausgesprochen. Gemeinsam Verständigung zwischen dem serbischen mit zwei weiteren Abgeordneten der LDK hatte Präsidenten Aleksandar Vučić und dem sie letztendlich gegen den Misstrauensantrag kosovarischen Staatsoberhaupt Hashim Thaçi zur gestimmt. Die überwältigende Mehrheit der Lösung der Beziehungen zwischen Belgrad und Mandatsträger der LDK folgte jedoch der Partei- Pristina gebe. Da er, Kurti, dieser Übereinkunft im und Fraktionsführung. Wege stand, musste er politisch beseitigt werden, sodass die Vereinbarung nicht gefährdet wird. In ihrer Ansprache an das Plenum machte Obwohl er nicht namentlich erwähnte, wer ihn Osmani ihre Ablehnung eines Sturzes der entfernen wollte, so spielte Kurti doch Regierung deutlich. Ihrer Ansicht nach würde unmissverständlich auf Präsident Thaçi an. Er eine neue Mehrparteienregierung der LDK mit betonte auch den möglichen amerikanischen den Wahlverlieren die Interessen und Stimmen Einfluss in Person von Botschafter Richard Grenell, der Bürger nicht vertreten, da die Bürger für der den Sturz der Regierung zu diesem Zeitpunkt Veränderung gestimmt hätten. Der Sturz der beeinflusst haben könnte. In Bezug auf die Regierung VV-LDK sei rein „vom Ego zur Macht“ umstrittenen Zölle bestätigte er den Beschluss getrieben. Für ihre Minderheitsposition innerhalb seiner Regierung, diese ab dem 1. April zu der LDK-Fraktion erhielt Osmani breite beenden und durch eine Unterstützung in den sozialen Netzwerken. In der Gegenseitigkeitsmaßnahme gegenüber Serbien Bevölkerung genießt sie weiterhin ein hohes sowie Bosnien und Herzegowina zu ersetzen. Ansehen. Die Debatte zwischen den Abgeordneten über Unklarheit über die weitere den Antrag war lang und von schweren Entwicklung Vorwürfen zwischen den Parteien geprägt. In der Debatte wurde erneut deutlich, dass die Es bleibt unklar, wie sich die Situation von nun an Möglichkeit, unter diesen Umständen gemeinsam entwickeln wird. Die Unklarheiten in der zu regieren, angesichts der Spannungen, aber Verfassung eröffnen Interpretationsspielraum. auch des Misstrauens zwischen den Parteien Eines scheint klar: Aufgrund der sich dynamisch unmöglich ist. Seit der Ankündigung des entwickelnden Corona-Krise wird es keine Misstrauensvotums war die Debatte in den vorgezogenen Neuwahlen geben, zumindest vergangenen Tagen auch in den sozialen Medien nicht unmittelbar. Die LDK ist deklarativ an einer von Polemik und großer Polarisierung geprägt. Allparteien-Regierung interessiert (d.h. Klar scheint, dass die Mehrheit der Bevölkerung einschließlich VV), aber dies erscheint wenig den Schritt ablehnte, insbesondere angesichts realistisch. Das wahrscheinlichste Szenario für der Umstände, unter denen dieser eine neue Regierung bleibt eine Koalition Misstrauensantrag gestellt wurde. zwischen LDK, AAK, NISMA und den ethnische Minderheitsvertretern (10 Abgeordnete der Unstimmigkeiten innerhalb der LDK Serbischen Liste sowie 10 weitere Abgeordnete kleinerer Minderheiten), die eine fragmentierte
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht Kosovo März 2020 3 absolute Mehrheit von mehr als 61 Stimmen zuständige stellvertretende Vorsitzende der schaffen würde. Das wahrscheinlichste Szenario CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Johann scheint daher zu sein, dass Präsident Thaçi Wadephul folgerichtig: zunächst erneut Kurti das Mandat zur Regierungsbildung erteilen wird. Nach einem „Kosovo braucht in dieser schwierigen Zeit dringend bereits absehbaren Scheitern würde das Mandat eine handlungs- und entscheidungsfähige Regierung. an einen Kandidaten weitergeben, der nachweist, Alle, die in Kosovo Verantwortung tragen – dass er über die nötige Unterstützung von Parlament, Regierung und Staatspräsident – sind Abgeordneten verfügt, um die Regierung zu aufgefordert, zur Stabilität des Regierungshandelns bilden. Zweitstärkste Fraktion im Parlament ist beizutragen. Die Regierung muss durch die LDK. Denkbar, dass deren Spitzenkandidat konsequentes Handeln das in der letzten Zeit von 2017 demnächst neue Ministerpräsident des verloren gegangene Vertrauen der Bevölkerung Kosovo wird: Avdullah Hoti. zurückgewinnen.“ Unklarheiten und Unsicherheiten bestehen auch Ob es gelingen wird, rasch eine neue, hinsichtlich des Dialogs mit Serbien und einer handlungsfähige Regierung zu bilden, darf möglichen Einigung in der Statusfrage. Es bleibt zumindest mit einem Fragezeichen versehen abzuwarten, wie die LDK reagieren wird, sollte werden. Die Koalitionsverhandlungen zwischen sich herausstellen, dass die Behauptung Kurtis, VV und LDK nach der Wahl vom 6. Oktober 2019 dass zwischen den Präsidenten Vučić und Thaçi dauerten vier Monate. Aufgrund der Corona- eine Vereinbarung besteht, die zudem auch einen Krise könnte es jetzt aber deutlich schneller Gebietsaustausch umfasst, richtig sind. Klar ist, gehen. Aber nicht nur die Corona-Krise erfordert dass ein Gebietsaustausch keine Unterstützung eine handlungsfähige Exekutive, auch wichtige in der Bevölkerung des Kosovo findet. Und auch Reformvorhaben müssen in Angriff genommen auf europäischer Ebene und in der werden. Deshalb betonte einer der Kosovo- Nachbarschaft stößt eine solcher Lösungsansatz Berichterstatter der CDU/CSU- auf Ablehnung. Bundestagsfraktion und Transatlantik- Koordinator der Bundesregierung, Peter Beyer: Unmissverständliche Reaktionen „Priorität dabei muss die entschiedene Bekämpfung Während der US-amerikanische Botschafter der Korruption und der Organisierten Kriminalität Philip Kosnett via Twitter die Einbringung des sein, um endlich die Wirtschaft im Land anzukurbeln Misstrauensantrags im Parlament begrüßte, und die soziale Lage zu verbessern. Dazu muss auch hatte Deutschland im Vorfeld der Abstimmung die Fortsetzung der rechtlichen Aufarbeitung von unmissverständlich klar kommuniziert, dass man Kriegsverbrechen gehören, ohne diese kein innerer einen Koalitionsbruch und eine möglicherweise Frieden und keine Vertrauensgrundlage geschaffen handlungsunfähige Exekutive angesichts der werden können. Dies umfasst insbesondere auch die notwendigen Reformvorhaben und der Corona- verantwortlichen Institutionen zur Verfolgung von Krise ablehne. So demarchierte der deutsche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Botschafter in Pristina gemeinsam mit seiner Kriegsverbrechen. Wir erwarten, dass umgehend französischen Kollegin an den zu dem Zeitpunkt und ohne Bedingungen die unter der Regierung noch stellvertretenden Ministerpräsidenten Hoti, Haradinaj erhobenen Zölle für Serbien und Bosnien- um den Sorgen von Berlin und Paris Ausdruck zu Herzegowina vollständig aufgehoben werden.“ verleihen und auf einen Verbleib der LDK in der Regierung zu drängen – jedoch vergeblich. Bei dem Thema Aufhebung der Zölle besteht Einigkeit zwischen den Positionen der Vereinigten Auch die EVP und die CDU/CSU- Staaten, der EU und Deutschland. Dass eine Bundestagsfraktion hatten die Entwicklungen im nachhaltige, umfassende Lösung des Konflikts Kosovo mit Sorge beobachtet. Nach dem zwischen Belgrad und Pristina jedoch am besten Scheitern der Regierung infolge des erfolgreichen durch einen EU-geführten Dialog erreicht werden Misstrauensvotums erklärte der für Außenpolitik kann und nicht durch Abkommen über einen
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht Kosovo März 2020 4 Landtausch, betonte Bundesminister a. D. ihrer politischen Strategien werden sich beide Christian Schmidt: Länder weiterhin ihren Weg in Richtung Europäische Union verbauen. Nur die EU bietet diesen Ländern „Mit Serbien muss wieder ein substanzieller Dialog eine seriöse und verantwortungsbewusste aufgenommen werden, so wie wir auch von Belgrad Zukunftsperspektive an und hat gezeigt, dass sie das umgehende Ende seiner Aktivitäten gegen die auch tatkräftig dazu bereit ist.“ Anerkennung des Kosovo durch die internationale Gemeinschaft verlangen. Ohne eine solche Änderung Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Florian C. Feyerabend Referent Westbalkan/Südosteuropa Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit www.kas.de florian.feyerabend@kas.de Foto: AgronBeqiri / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0 Der Text dieses Werkes ist lizenziert unter den Bedingungen von „Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international”, CC BY-SA 4.0 (abrufbar unter: https://creativecom mons.org/licenses/ by-sa/4.0/legalcode.de) www.kas.de/kosovo
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