Regionale Versorgungsgestaltung: keine Standardlösung für unterschiedliche Probleme - Wissenschaftliches ...
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A N A LY S E Regionale Versorgungsgestaltung: keine Standardlösung für unterschiedliche Probleme von Robert Paquet1 ABSTRACT Regionale Versorgungsgestaltung ist in aller Munde. Da- Regional care-planning is on everyone's lips. However, ma- bei sind jedoch viele Fragen offen: Was wird unter Region ny questions remain unanswered: What is meant by region? verstanden? Welche Probleme sollen in den Regionen bes- Which problems should better be solved in the regions (better ser gelöst werden als bisher oder andernorts? Wer sollen than before or better than elsewhere)? Who should be the die entscheidenden Akteure sein? Welche Konsequenzen key players? What are the consequences for the financing ergeben sich für das Finanzierungssystem? Am weitesten system? The concept on “health regions” by Bündnis 90/Die ausgearbeitet ist ein Konzept zu „Gesundheitsregionen“ Grünen is the most extensive so far. Close scrutiny reveals von Bündnis 90/Die Grünen. In der Auseinandersetzung which parts of it work and which do not. Selective contracts damit zeigt sich, was geht und was nicht. Selektivverträge are able to target regional supply tasks. Under certain frame- können regionale Versorgungsaufgaben gezielt ansteuern. work conditions, competitive solutions make sense. Bei bestimmten Rahmenbedingungen sind wettbewerbliche Lösungen sinnvoll. Schlüsselwörter: Gesundheitssystem, integrierte Versor- Keywords: health system, integrated health care, selective gung, Selektivverträge, Kommunen, Krankenkassen contracts, municipalities, health insurance companies 1 Einleitung in letzter Minute und wohl als Reaktion auf die Grünen noch der Satz eingebaut: „Wir stärken die Kommunen bei der Ein- Seit einigen Jahren wird immer mehr über eine dezentrale richtung und beim Betreiben der integrierten medizinischen beziehungsweise regionale Gestaltung der Gesundheitsver- Versorgungszentren.“ Außerdem wird den öffentlichen Kran- sorgung gesprochen. Das gilt für die Gesundheitsökonomie kenhäusern eine zentrale Rolle zur „Stärkung des Gemein- und Versorgungsforschung, aber auch zunehmend für die wohls“ zugewiesen (SPD 2021, 18). Bei der FDP sollen „Inte- Politik. Damit wird angeknüpft an eine lange Tradition der grierte Gesundheitszentren … dabei unterstützen, die regio- Beschäftigung mit kommunaler beziehungsweise regionaler nale Grundversorgung“ zu sichern (FDP 2021, 37). Die Linke Gesundheitspolitik, die bis in die 1980er-Jahre zurückreicht will die Krankenhäuser rekommunalisieren und „die Kom- (Schräder et al. 1986). Zudem ist durch die Corona-Pandemie munen dabei unterstützen, eigene Gesundheits- und Pflege- der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) wieder stärker ins einrichtungen zu betreiben und so die Versorgung zu sichern, Bewusstsein gerückt. Der „Pakt für den öffentlichen Gesund- gerade im ländlichen Raum“ (Die Linke 2021, 25–28). Zur Si- heitsdienst“ soll das Ansehen und die Aufgaben der 376 kom- cherung der medizinischen Versorgung auf dem Lande will munalen Gesundheitsämter aufwerten (BMG 2020). sogar die AfD den „Ausbau von Arztpraxen/Polikliniken/ MVZ mit angestellten Ärzten auch unter der Trägerschaft der Bei der CDU/CSU ist die Stärkung des ÖGD inzwischen Kommunen“ (AfD 2021, 48). Regierungsprogramm. Auch die SPD plant, den ÖGD zu stär- ken. In ihrem „Zukunftsprogramm“, das ein außerordentli- Mit der größten Kontinuität und Konsequenz propagieren cher Bundesparteitag am 9. Mai 2021 beschlossen hat, wurde allerdings die Grünen eine stärkere Rolle der Regionen bei 1 Dr. rer. pol. Robert Paquet, Duisburger Str. 7 · 10707 Berlin · Telefon 030 88680734 · E-Mail: rp@robert-paquet.de © GGW 2021 · Paquet: Regionale Versorgungsgestaltung: keine Standardlösung für unterschiedliche Probleme · Jg. 21, Heft 3 (Juli), 15–22 15
A N A LY S E der Gestaltung der Versorgung. Dem Wahlprogramm zufolge Angesichts der durch Corona bedingt erhöhten Aufmerk- sollen „Gesundheitsregionen mit enger Anbindung an die samkeit für den ÖGD wird oft auf die Landkreise und Kom- Kommunen gefördert werden. … Insbesondere die Einrich- munen als Region Bezug genommen. Bei einem Blick auf die tung von kommunalen Gesundheitszentren“ soll unterstützt bei Wikipedia sehr sorgfältig zusammengetragenen Rechts- werden (Bündnis 90/Die Grünen 2021, 63). Besonders ernst grundlagen für die Gesundheitsämter beziehungsweise ihre zu nehmen ist diese Zielsetzung, weil sich auch die Kanzler- Organisation in den einzelnen Ländern zeigt sich dafür aller- kandidatin Annalena Baerbock in ihrer ersten Rede nach dings keine Einheitlichkeit („Gesundheitsamt“, 2021). Träger der Nominierung explizit hinter das Konzept gestellt hat sind zwar meistens die Landkreise beziehungsweise kreisfrei- (Baerbock 2021). Zugrunde liegt dabei der Antrag der Bun- en Städte (Tabelle 1), wenn man die jedoch betrachtet, fällt destagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen „Gesundheits- vor allem ihre Heterogenität auf. Der größte Landkreis in regionen – Aufbruch für mehr Verlässlichkeit, Kooperation Deutschland, die Mecklenburgische Seenplatte, ist mit circa und regionale Verankerung in unserer Gesundheitsversor- 5.500 Quadratkilometern und einer Einwohnerzahl von rund gung“ von August 2020 (Deutscher Bundestag 2020). Hinter 250.000 doppelt so groß wie das Saarland mit der vierfachen diesem Antrag wiederum steht ein detaillierter Plan, der Bevölkerungszahl und selbst sechs Landkreisen. Die Millio- von einer Autorengruppe um Helmut Hildebrandt ausgear- nenstädte Berlin und Hamburg zählen jeweils als ein Kreis. beitet worden ist (Hildebrandt et al. 2020 a und b). Wegen Kreise wiederum sind Administrationseinheiten, die histo- seines exemplarischen Charakters kommen wir später auf risch aus den verschiedensten Gründen entstanden sind. Nur dieses Konzept zurück. bilden sie keine gesundheits- beziehungsweise versorgungs- bezogenen Regionen ab. In den Gesundheitsregionen soll alles das gelingen, was bisher stets versprochen wurde, aber selten eingelöst wer- Eine regionale Versorgungssteuerung kann somit nur den konnte: die Integration der Sektoren, der Abbau von dann erfolgreich sein, wenn sie sich auf Gebietseinheiten Über-, Unter- und Fehlversorgung, eine wirksame Präventi- bezieht, die tatsächlich ein Netzwerk der Inanspruchnahme on und die gleichberechtigte Zusammenarbeit der Gesund- (im ambulanten und stationären Bereich) abbilden bezie- heitsberufe – einschließlich des Versprechens, dass damit hungsweise abbilden sollten. Es ist jedoch unwahrscheinlich, Effizienzgewinne eingefahren werden können oder sich die dass sich dafür deutschlandweit ein einheitlicher Standard Regionalisierung mindestens kostenneutral gestalten lässt. definieren lässt. Dafür sind die jeweiligen Ausgangsbedin- Dabei bleiben viele Fragen offen, denn wenn man über die gungen und Problemstellungen zu unterschiedlich. Die be- Banalität hinauskommen will, dass jede Versorgung in vorzugte Größenordnung im Regionalmodell der Grünen Raum und Zeit stattfindet, das heißt immer auch einen ört- liegt dementsprechend bei 150.000 Einwohnern, was man- lichen Bezug hat, ist (vor allem) zu klären, was das spezifisch chen Landkreisen entspricht, gegebenenfalls aber auch Regionale der Probleme ist und wer die entscheidenden anders kombiniert werden müsste. Das BrAVo-Konzept der Institutionen beziehungsweise Akteure auf dieser Ebene Barmer mit seinem Benchmarking regionaler Arztnetz- sein sollen. Versorgung soll in einer ländlichen Region mit circa 80.000 Einwohnern erprobt werden (Landkreis Rhön-Grab- feld) (Augurzky et al. 2018). Das Projekt „Gesundes Kinzigtal“, das für viele Regionalisierungs-Ideen Pate steht, bezieht sich 2 Was wird eigentlich unter Region auf eine Region mit 71.000 Einwohnern (Gesundes Kinzigtal verstanden? 2021). Die Unterschiedlichkeit der regionalen Planungsaufga- ben zeigt sich auch an der gegensätzlichen Bevölkerungsent- Bei fast allen politischen Äußerungen zum Thema bleibt et- wicklung, die bei der Steuerung der Gesundheitsversorgung was changierend, was mit Region eigentlich gemeint ist. Klar berücksichtigt werden muss (Abbildung 1). ist das jedoch bei den Ländern, die in der immerwährenden Auseinandersetzung mit dem Bund zum Beispiel 2011 den § 90a SGB V („gemeinsames Landesgremium“) durchgesetzt haben. Die damit verbundenen Hoffnungen auf eine bessere 3 Regionale Probleme und Zielsetzungen Integration der Sektoren in der Versorgung oder eine bessere Abstimmung der Krankenhaus- und kassenärztlichen Be- Im Hinblick auf die Defizite der Versorgung werden üblicher- darfsplanung wurden jedoch bisher enttäuscht. Klar ist aber, weise drei typische Probleme genannt, die einen regionalen dass für die Länder – so unterschiedlich sie auch sind – ihre Bezug haben: Ebene die Region ist. Dann gibt es die über 120 sogenannten • In bestimmten ländlichen (und meistens dünn besiedelten) Planungsregionen, die aber nach Größe und Einwohnerzahl Regionen gibt es einen schon manifesten oder mindestens sehr heterogen sind und mit Gesundheitsversorgung wenig drohenden Mangel in der Grundversorgung. Lokale Haus- zu tun haben (Destatis 2020). arztsitze können nicht besetzt oder nachbesetzt werden. 16 © GGW 2021 · Paquet: Regionale Versorgungsgestaltung: keine Standardlösung für unterschiedliche Probleme · Jg. 21, Heft 3 (Juli), 15–22
A N A LY S E E TA B E L L E 1 Die Organisation der deutschen Gesundheitsämter Zuständige Behörden im Sinne des Land Träger der Gesundheitsämter Infektionsschutzgesetzes 35 Landkreise und 3 der 9 Stadtkreise als untere Baden-Württemberg Ortspolizeibehörden Gesundheitsbehörden 71 Landratsämter und 5 der 25 weiteren Kreisverwaltungsbehörden als untere Behörden Bayern 96 Kreisverwaltungsbehörden für Gesundheit, Veterinärwesen, Ernährung und Verbraucherschutz Berlin 12 Bezirksämter 12 Bezirksämter Brandenburg 14 Landkreise und 4 kreisfreie Städte 14 Landkreise und 4 kreisfreie Städte Ordnungsamt, Magistrat Bremerhaven, Bremen Gesundheitsämter Bremen und Bremerhaven Hafenamt Hamburg 7 Bezirksämter 7 Bezirksämter 19 Landkreise, 4 kreisfreie Städte und ein Hessen 21 Landkreise und 5 kreisfreie Städte Zweckverband Mecklenburg-Vorpommern 6 Landkreise und 2 kreisfreie Städte 6 Landkreise und 2 kreisfreie Städte 35 Landkreise, 7 kreisfreie Städte und ein 35 Landkreise, 8 kreisfreie Städte und ein Quelle: nach Wikipedia 2021: Schlagwort „Gesundheitsamt“ [25.5.2021]; Grafik: G+G Wissenschaft 2021 Niedersachsen Zweckverband Zweckverband 31 Kreise und 22 kreisfreie Städte als untere Städte und Gemeinden Nordrhein-Westfalen Gesundheitsbehörden (örtliche Ordnungsbehörden) 24 Kreisverwaltungen als untere Gesundheits- Rheinland-Pfalz 24 Kreisverwaltungen und 12 Stadtverwaltungen behörden 6 Gemeindeverbände als untere Gesundheits- Saarland Ortspolizeibehörden behörden Sachsen 10 Landkreise und 3 kreisfreie Städte 10 Landkreise und 3 kreisfreie Städte Sachsen-Anhalt 11 Landkreise und 3 kreisfreie Städte 11 Landkreise und 3 kreisfreie Städte 11 Kreise und 4 kreisfreie Städte Schleswig-Holstein 11 Kreise und 4 kreisfreie Städte (Fachdienst Gesundheit und andere) Thüringen 17 Landkreise und 6 kreisfreie Städte 17 Landkreise und 6 kreisfreie Städte Die Organisation der Gesundheitsämter ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. Die Träger sind oft Landkreise und kreisfreie Städte, die zuständigen Behörden jedoch zum Teil völlig andere Instanzen, etwa Ortspolizeibehörden. Fachärzte sind weit entfernt. Die örtlichen Krankenhäuser • In den Ballungszentren gibt es oft das Phänomen der sind meist klein, oft wenig leistungsfähig und haben eben- Überversorgung, gleichzeitig mit einer nicht bedarfsge- falls Probleme bei der Personalgewinnung. rechten Verteilung der ambulanten ärztlichen Angebote. © GGW 2021 · Paquet: Regionale Versorgungsgestaltung: keine Standardlösung für unterschiedliche Probleme · Jg. 21, Heft 3 (Juli), 15–22 17
A N A LY S E Oft wird eine Konzentration vor allem der Fachärzte in Betrieb von Arztpraxen in Eigenregie findet so gut wie den „besseren“ Stadtteilen beklagt, bei gleichzeitiger Un- nicht statt. Die Kommunen sind kaum in der Lage, selbst terversorgung der sozial schwächeren Teilgebiete. Meist medizinische Versorgungszentren zu gründen und zu be- konkurrieren in den Zentren mehrere Krankenhäuser mit treiben. Die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben müss- gleichen Leistungsangeboten, statt sich zu spezialisieren ten zielorientiert geändert werden. Für die fachärztliche und zu kooperieren beziehungsweise sich nach dem Leis- Versorgung bietet das Konzept der „Integrierten Versor- tungsbedarf im Stadtgebiet abzustimmen. gungszentren“ (Schmid et al. 2018) einen guten Ansatz. • Für die qualifizierte Versorgung chronisch Kranker stellen Dieser könnte angesichts des erfolgreichen Digitalisie- sich besondere Probleme: Wenn die Erkrankung oder ihre rungsschubs im Gesundheitswesen mit telemedizinischen jeweilige Ausprägung weniger häufig ist, muss die Ver- Versorgungselementen ergänzt werden. Sinnvoll wäre es, sorgung über die kleinräumigen Einheiten der Grundver- wenn in unterversorgten Regionen die Krankenkassen bei sorgung hinaus organisiert werden. Fachlich spezialisierte, kompensatorischen Versorgungsverträgen gemeinsam jedoch überregionale Netzwerke in Verbindung mit Zen- agieren würden. Für Versorgungswettbewerb ist hier das tren der Spitzenmedizin müssen hier entwickelt werden. Angebot zu knapp. Gleichzeitig müssen diese die Verzahnung mit der örtli- • In den Ballungszentren und großen Städten müssten die chen Grundversorgung der Patienten organisieren. KVen kleinräumiger in die Verantwortung für die Sicherstel- lung genommen werden. Unter dem Gesichtspunkt der Effi- Die Steuerung im deutschen Gesundheitswesen ist bekannt- zienz könnte hier der Wettbewerb der Kassen eine tragende lich fragmentiert; die einzelnen Institutionen, soweit sie über- Rolle spielen. In unterschiedlichen Netzwerken von Haus- haupt ernsthaft steuern wollen, handeln nicht abgestimmt und Fachärzten sollten (und könnten) qualitätsgesicherte (Richard 2020, 895 ff.). Hier setzen viele Überlegungen zur Kooperationsverbünde organisiert werden, und zwar mit Problemlösung an. So wünschenswert die Zielsetzung einer Managed-Care-Elementen, die auch die Versicherten oder integrierten Versorgung (IV) auch ist: Sie bleibt abstrakt und die Patienten durch die Einschreibung in Wahltarife in die ist wenig zielführend, wenn sie nicht für die unterschiedlichen Effizienzstrategie einbeziehen. Ohne ihre aktive Mitwirkung Situationen mit unterschiedlichen Instrumenten angegangen und Mitverantwortung sind grundlegende Verbesserungen wird. Einen versorgungspolitischen Passepartoutschlüssel bie- der Versorgung ohnehin nicht zu erwarten (Amelung et al. tet dafür auch die Regionalisierung nicht. 2020, 42 ff.). Dabei sollten auch die Krankenhäuser einbezo- gen werden, um deren Orientierung auf den spezifischen Entscheidend ist die Frage: Wer kann was in den jeweiligen (stationären) Leistungsbedarf zu stärken. Gebieten tun? So müsste die Krankenhausbedarfsplanung leis- • Für den Bedarf chronisch Kranker könnten ebenen- und re- tungsbezogen umgestaltet werden, wie es in Ansätzen bereits gionsübergreifende Versorgungsnetze gebildet werden. Sie in einigen Ländern umgesetzt wird (PD 2019). Außerdem haben zwar immer einen regionalen Anker. Oft braucht es brauchte die Steuerung wirksamere Instrumente; Ansätze mit aber die individuelle Unterstützung durch Kümmerer vor einer Weiterführung des Strukturfonds und mit einem Umbau Ort, beispielsweise social care nurses als koordinierende der Investitionsfinanzierung werden diskutiert. Die Kassen- Pflege- und Beratungskräfte (Schlingensiepen 2021; viele ärztlichen Vereinigungen (KVen) müssten mehr Verantwor- Beispiele im Sammelband Hahn und Kurscheid 2020). Es tung für eine regional bedarfsgerechte Planung der ambulan- gilt aber auch, darüber hinaus die spezielle und bisweilen ten Versorgung übernehmen, verbunden mit einer Schärfung überregionale Fachkompetenz zu nutzen, wie es etwa beim der Steuerungsinstrumente und dem ökonomischen Druck, sie Parkinson-Netzwerk Ostsachsen gelingt (PANOS 2021). tatsächlich anzuwenden. Die Krankenkassen sollten das Recht Dort wird die Betreuung in der Fläche mit der Therapie- zu Selektivverträgen, die die Zuständigkeit der Planungsins- beratung durch die Universitätsklinik Dresden kombiniert. tanzen an regionalen Punkten überschreiten können, stärker Erforderlich sind dazu unterschiedliche Verträge auf ver- nutzen. Mit der Neufassung von § 140a SGB V sind die Voraus- schiedenen (regionalen) Ebenen. Grundsätzlich dürfte die setzungen dafür deutlich verbessert worden. Nach Absatz 1 Einführung eines eigenständigen Anspruchs auf Case- Satz 3 wurde der regionale Bezug sogar explizit als Möglichkeit Management im SGB V in der nächsten Legislaturperiode eröffnet. auf der politischen Tagesordnung stehen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich traditionelle, aber nicht chancenlose Antworten für die drei genannten Hand- lungsfelder: 4 Wer sind die entscheidenden Akteure? • Die Versorgungsprobleme in den ländlichen Regionen müssen eigentlich im Rahmen des Sicherstellungsauf- Eine regionale Steuerung der Versorgung braucht Akteure, trages gelöst werden. Untätigkeit bleibt bei den KVen je- die über die örtlichen Verhältnisse informiert, regional prä- doch bisher ohne Konsequenzen. Der im Prinzip mögliche sent und handlungsfähig sind. Das ist angesichts der insti- 18 © GGW 2021 · Paquet: Regionale Versorgungsgestaltung: keine Standardlösung für unterschiedliche Probleme · Jg. 21, Heft 3 (Juli), 15–22
Bevölkerungsentwicklung Bevölkerungsentwicklung insgesamt insgesamt DK DK A N A LY S E ! ! Kiel Kiel Hamburg Hamburg Schwerin Schwerin E ! ! tungsgeschehen und zu den Kosten. Ihre Einwirkungsmög- ! ! ABBILDUNG 1 Bearbeitung: J.Hoymann, G.Lackmann, Datenbasis: BBSR-Bevölkerungsprognose 2040/ROP Geometrische Grundlage: Kreise (generalisiert), 31.12.2018 © GeoBasis-DE/BKG; Grafik: G+G Wissenschaft 2021 lichkeiten beschränken sich auf die Trägerschaft einzelner Bremen Bremen ! ! Krankenhäuser PL PL und (marginal) auf das Gründungsrecht für Entwicklung der Bevölkerung Deutschlands medizinische Versorgungszentren (MVZ) oder ärztliche Ei- BerlinBerlin nach Kreisen von 2017 bis 2040 Hannover Hannover geneinrichtungen, wie in §§ 95 Abs. 1a und 105 Abs. 5 SGB V ! ! NLBevölkerungsentwicklung insgesamt ! ! NL ! ! Potsdam geregelt. Dabei müssen Krankenhäuser unternehmerisch ge- Potsdam ! ! DK Magdeburg Magdeburg führt werden und eignen sich daher (ohne besondere Refi- nanzierung) nur wenig für gesundheitspolitische Initiativen. ! Düsseldorf Düsseldorf Kiel ! ! Die in Dresden den Kommunen zuständige Behörde wäre das Ge- Dresden ErfurtErfurt Hamburg ! ! Schwerin ! ! sundheitsamt. Die Corona-Pandemie hat überdeutlich ge- ! ! Bremen zeigt, dass der ÖGD personell und nach seiner Ausstattung in BE BE ! PL einem schlechten Zustand ist. Schon seinen eigentlichen Auf- Wiesbaden Wiesbaden Hannover ! Berlin CZ CZ gaben ist er bisher nur bedingt gewachsen. Für die Versor- NL ! ! ! ! ! Potsdam ! gungssteuerung ist er nicht qualifiziert. Im Vorschlag der MainzMainz ! LU LU Magdeburg Autorengruppe (Hildebrandt et al. 2020 a), der den Regio- nalansatz der Grünen unterstützt, wird daher auch relativ viel Saarbrücken Düsseldorf Saarbrücken ! ! ! Dresden Aufwand betrieben, für die Kommunen überhaupt eine dafür Erfurt geeignete Informationsbasis zu schaffen. Versorgungssteue- ! ! FR FR Stuttgart Stuttgart BE ! ! rung erfolgt im System der gesetzlichen Krankenversiche- ! Wiesbaden CZ rung (GKV) nach dem Vertragsprinzip. In diesem System München spielen die Kommunen jedoch bisher keine Rolle. ! Mainz LU München ! ! AT AT Saarbrücken ! Die Krankenkassen dagegen haben die entscheidenden FR Stuttgart CH CH ! Daten zum Versorgungsgeschehen und den gesetzlichen Auftrag zur vertraglichen Steuerung. Für die Kassen spricht München ! auch, dass hier Planungs- und Finanzverantwortung in einer AT 100 km 100 km Hand liegen. Aus der Perspektive einer populationsorien- CH © BBSR© Bonn BBSR 2020 Bonn 2020Gesundheitspolitik ergibt sich jedoch das Problem tierten Prognostizierte Prognostizierte Bevölkerungsentwicklung Bevölkerungsentwicklung der Kassenvielfalt. Nur Krankenkassen mit einem größeren Angaben im Zeitraum im 100 km in ZeitraumProzent 20172017 – 2040 – 2040 in % in % Marktanteil haben ein Motiv und das Potenzial, regionale © BBSR Bonn 2020 Selektivverträge zu schließen. In Ballungsräumen könnte Prognostiziertebis unter bis unter -21 -21 Bevölkerungsentwicklung -3 bis -3unter bis unter 3 3 im Zeitraum 2017 – 2040 in % aus dem Problem jedoch ein Vorteil werden: Bei einem gro- -21 bis -21unter bis unter -15 -15 3 bis3unter bis unter 9 9 ßen und vielfältigen Leistungsangebot könnten durchaus bis unter -21 -3 bis unter 3 -21 bis -15-15 -15unter bis bis unter unter -9 3 bis -9 unter 9 9 bis9unter bis unter 15 15 mehrere kassenspezifische Integrationsmodelle nebenein- -15 bis unter -9 ander im Wettbewerb stehen. In unterversorgten und länd- -9 bis-9unter -3 9 bis bis unter -3 unter 1515 und 15 und mehrmehr -9 bis unter -3 15 und mehr lichen Gebieten wäre indessen zu erwägen, ob die Kassen zu einem gemeinsamen Vertragshandeln verpflichtet werden Bearbeitung: Bearbeitung: J.Hoymann, Bearbeitung: G.Lackmann J.Hoymann, J.Hoymann, G.Lackmannsollten. Die jüngste Umgestaltung des § 140a SGB V lässt G.Lackmann Die Karte zeigt die prognostizierte Entwicklung der Datenbasis: Gesamtbevölkerung Datenbasis: BBSR-Bevölkerungsprognose Datenbasis: 2040/ROP BBSR-Bevölkerungsprognose BBSR-Bevölkerungsprognose 2040/ROP Deutschlands im Zeitraum 2017Geometrische bis 2040. Grundlage: Kreise (generalisiert), Regionale Geometrische Ebene Geometrische Grundlage:sind die Land- Grundlage: KreiseKreise alle2040/ROP (generalisiert), erforderlichen Vertragsoptionen zu. (generalisiert), 31.12.2018 © GeoBasis-DE/BKG 31.12.2018 kreise beziehungsweise die kreisfreien Städte 31.12.2018 © GeoBasis-DE/BKG © GeoBasis-DE/BKG Deutschlands. Die neue Vorliebe der Politik für eine regionale Steuerung ist teilweise nachvollziehbar. Grund ist eine gewisse Enttäu- schung über die Krankenkassen und eine tendenzielle Wett- tutionellen Vielfalt im deutschen Gesundheitswesen keine bewerbsmüdigkeit. Als neue Hoffnungsträger bieten sich kleine Herausforderung. Am ehesten infrage kommen die die Kommunen und Landkreise an. Im Denken unserer Ge- Kommunen, Gebietskörperschaften und die Krankenkas- sundheitspolitiker gibt es inzwischen eine große Sympathie sen. für die Gleichmäßigkeit der Versorgung und eine ebenso tiefe Skepsis gegenüber wettbewerblichen Unterschieden. Die Kommunen und Kreise sind zweifellos regional prä- Eine Gretchenfrage der Gesundheitspolitik lautet daher im- sent, und bestimmte Versorgungsprobleme werden auch an mer noch: Wie viel Unterschiedlichkeit hält das Gesund- die Amtsträger herangetragen, zum Beispiel an die Landräte. heitswesen beziehungsweise halten die Gesundheitspoliti- Bei den Kommunen und Kreisen gibt es jedoch kein systema- ker aus? Dabei müsste die Frage gerade umgekehrt gestellt tisches Wissen zur regionalen Versorgung, also zum Leis- werden: Sind die zu lösenden Probleme nicht so unterschied- © GGW 2021 · Paquet: Regionale Versorgungsgestaltung: keine Standardlösung für unterschiedliche Probleme · Jg. 21, Heft 3 (Juli), 15–22 19
A N A LY S E lich, dass man etwas anderes braucht als Standardlösungen? Regionale Gesundheitsbudgets in diesem Sinne sind bis- Dabei ist den Befürwortern regionaler Lösungen meist nicht her nur ein Gedankenexperiment (Benstetter et al. 2020; Stif- bewusst, dass sie die ungeliebten Unterschiede im Wettbe- tung Münch 2020). Als Rechengröße beziehungsweise Bench- werb der Kassen durch die Unterschiede ihrer regionalen mark können sie aber nützlich sein. Punktuelle Zwischen- Lösungen ersetzen wollen. Was bereitet dem Gerechtigkeits- schritte, etwa im Sinne von Pay-for-Performance-Modellen empfinden mehr Schmerzen? Das Fazit kann nur heißen, einzelner Kassen oder Kassenverbünde, könnten schon heute dass es in beiden Fällen Leitplanken für die Bandbreite der für bestimmte Indikationsbereiche und Netzwerke von Leis- erlaubten Variationen geben muss. Von einer Innovationskul- tungsanbietern angesteuert werden. Letzteres könnte auch tur wie in der Schweiz mit einem Wettbewerb vielfältiger ohne Managementgesellschaften, direkt mit Selektivverträ- Managed-Care-Tarifmodelle (einschließlich finanzieller An- gen der Kassen funktionieren (Augurzky et al. 2018). reize für die Versicherten) sind wir jedoch noch meilenweit entfernt (Amelung et al. 2020, 42 ff.). 6 Das Regionalmodell der Grünen 5 Finanzierung und regionale Budgets Das Modell der Gesundheitsregionen (Deutscher Bundestag 2020; Bündnis 90/Die Grünen 2021) zielt auf die Implementati- Die Idee der IV stellt die Trennung der sektoralen Vergü- on der IV und versucht, den Beteiligten neue Anstöße zum tungssysteme und ihrer jeweiligen Anreizlogik infrage. In der Handeln zu geben. Dabei findet eine intensive Auseinanderset- ambulanten ärztlichen Vergütung gibt es – vor allem für die zung mit vielen der oben genannten Aspekte statt, etwa zur hausärztliche Vergütung – bereits einen Trend zur Pauscha- Informationsbasis und Erfolgskontrolle der IV-Verträge oder lierung. In einer sektorenübergreifenden Perspektive müsste zu den Zielen und der Ausgestaltung einer verbesserten die Vergütung stationärer Leistungen miteinbezogen werden. Zusammenarbeit der Leistungserbringer (Hildebrandt et al. Für ein regionales Versichertenkollektiv könnte – zunächst 2020 a). Als regionaler Rahmen wird die Kreisebene vorge- rein rechnerisch – aus den individuellen Leistungsausgaben schlagen. Die Gebietskörperschaften sollen neben der Gesund- der Kassenmitglieder oder deren Zuweisungen aus dem Risi- heitsförderung die wesentlichen Vorgaben für die Versorgung kostrukturausgleich (RSA) ein Budget gebildet werden. Das machen. Die sollen über den Umweg realisiert werden, dass die ginge bereits über eine capitation hinaus und führte je nach Kommunen die Kassen zu entsprechenden Regionenverträgen Größe des Kollektivs zu einer erheblichen Risikonivellierung. verpflichten können. Im Kern soll eine gewinnorientierte Ma- In überwiegend staatlich organisierten Gesundheitssyste- nagementgesellschaft (MG) die Leistungserbringer so steuern, men, aus denen im Allgemeinen die (positiven) Regionalbei- dass durch rationalen Mitteleinsatz (zum Beispiel Arzneimit- spiele zitiert werden, und ohne vielfältige privatwirtschaftli- tel, Operationen) und eine bessere Koordination der Leistun- che Leistungserbringer sind regionale Budgets im Grundsatz gen Effizienzgewinne entstehen. An diesen soll die MG betei- einfach zu bestimmen und zur Steuerung einzusetzen. Auch ligt werden. Die Kassen sollen nach den Vorgaben der MG die dort bleibt aber das Problem, sie mit dem Ziel der Qualitäts- Selektivverträge mit den Leistungserbringern beziehungswei- verbesserung zu administrieren und Unterversorgung zu se deren Netzwerken schließen. So weit der Plan. vermeiden. Problematisch sind dabei vor allem vier Punkte: Im deutschen Gesundheitssystem kommt das zentrale Pro- 1. Es ist zweifelhaft, ob die Kommunen und Kreise sachge- blem hinzu, dass man zur Bewirtschaftung des Budgets ein rechte Vorgaben für IV-Verträge machen können. Dann Konsortium von Leistungserbringern brauchte, das die Ge- sollen sie den Abschluss solcher Verträge forcieren, in- samtverantwortung für die regionale Gesundheitsversorgung dem sich die Kassen öffentlich für deren Nichtzustande- des Kollektivs übernimmt (Augurzky et al. 2018, 64 ff.). Im kommen rechtfertigen müssen. Dabei ist bemerkenswert, Regionalvertragsmodell der Grünen wird dafür eine Ma- dass die Kassen die einzigen Institutionen sind, die unter nagementgesellschaft zwischengeschaltet, die für die Effizi- Druck gesetzt werden, obwohl sie – im Unterschied zu enz bei der Zusammenarbeit der Leistungserbringer sorgen allen anderen Beteiligten – im Grundsatz an IV-Verträgen soll und dementsprechend die Vergütung leistungs- und qua- interessiert sind. Die Widerstände kamen in der Vergan- litätsgerecht zuteilt (Hildebrandt et al. 2020 b). Das wäre im genheit doch meist von anderen: zum Beispiel von den deutschen Gesundheitssystem sehr voraussetzungsvoll – Aufsichten; die KVen haben immer wieder Ärzte an der nicht nur, weil mehrere Kassen zusammenwirken müssten, Teilnahme gehindert. Die größte Herausforderung ist oh- um die relevanten Marktanteile zu erreichen, sondern auch, nehin, die – ökonomisch weitgehend saturierten – Leis- weil sich die beteiligten Leistungserbringer (durchaus mit tungserbringer zur Beteiligung zu motivieren. Ein System, dem Risiko von Umsatzverlusten) dem veränderten Vertrags- das von Freiwilligkeit und besserer wissenschaftlicher regime unterwerfen müssten. Expertise leben soll, verträgt jedoch keine Pressionen 20 © GGW 2021 · Paquet: Regionale Versorgungsgestaltung: keine Standardlösung für unterschiedliche Probleme · Jg. 21, Heft 3 (Juli), 15–22
A N A LY S E (Rechtfertigungs- beziehungsweise Beitrittszwang), und tivverträge inzwischen deutlich verbessert. Die Politik schon gar nicht beim Einstieg. kann die Rahmenbedingungen (zum Beispiel für die Auf- 2. Gemäß dem Bundestagsantrag der Grünen soll über den sicht) und die Förderung dafür weiter verbessern. Eine RSA ein Anreizmechanismus für die Kassenbeteiligung Koppelung an den RSA wäre dabei kontraproduktiv. etabliert werden. Über zehn Jahre soll es für die Versicher- • Die Kommunen und Kreise sind als Initiatoren und Ver- ten der vertragsbeteiligten Kassen erhöhte Zuweisungen antwortliche für die regionale Versorgungssteuerung aus dem Gesundheitsfonds geben, denen für die folgenden nicht geeignet. Ihnen fehlt die erforderliche Informati- zehn Jahre entsprechende Abschläge gegenüberstehen. onsbasis und die Kompetenz für das Vertragsgeschäft. Diese sollen durch die vermuteten Effizienzgewinne (auch Planung und Finanzverantwortung sollten aber in einer nach Abzug der MG-Kosten und bestimmter Investitionen) Hand liegen. locker zu finanzieren sein. Bei der öffentlichen Anhörung • Integrationsverträge lassen sich nicht erzwingen. Eine zu dem Antrag im Bundestag warnten die Kassenvertreter bessere Kooperation kann nur auf Freiwilligkeit beruhen. allerdings nachdrücklich vor einer Funktionalisierung des Profitorientierte Managementgesellschaften erscheinen RSA als Anreizinstrument für die Regionalverträge. Der für diese Aufgabe als problematische Akteure. Gemein- RSA müsse transparent und versorgungsneutral bleiben. nützige Konstruktionen oder Gemeinschaftsunterneh- Incentives für solche Verträge könne man auch anders set- men von Kassen und Leistungserbringern stiften mehr zen. Außerdem seien dadurch – neben den umstrittenen Vertrauen. Regionalfaktoren im RSA – zusätzliche Selektionsanreize • Man wird Unterschiede in der Versorgung akzeptieren im Hinblick auf die Regionen zu befürchten (Deutscher müssen. Ohne Differenzierung wird es keinen Fortschritt Bundestag 2021: Knieps, 9, und Weller, 12 f.). geben. Dabei wird es je nach Ausgangslage Unterschiede 3. Kritisch zu sehen ist auch die vorgesehene Rolle der zwischen wettbewerblichen Modellen und Unterschiede Managementgesellschaften: Eine professionelle Koordi- zwischen Regionen geben. Beide dürfen jedoch den Rah- nierung im Versorgungsnetz ist sicher erforderlich und men der solidarischen Krankenversicherung nicht spren- muss auch honoriert werden. Ob für diese Aufgabe jedoch gen. privatwirtschaftliche Gesellschaften mit Gewinnabsich- • Wettbewerbliche Lösungen für unterversorgte und ländli- ten geeignet sind, wird infrage gestellt (Gruhl 2021). Die che Regionen sind wenig wahrscheinlich. Hier müssen die Kassen dagegen sind im Antrag zu wenig eingebunden Kassen (neben den KVen etc.) gegebenenfalls zu gemein- und auf die Rolle der Finanziers reduziert. Sie sollten samem und einheitlichem Handeln verpflichtet werden. und wollen aber inhaltlich mehr mitgestalten (Deutscher Bundestag 2021: Mohrmann, 7 und 10 f.). Leistungserbringer und Kassen sind ideenreich und koope- 4. Die Ausgangssituation und damit die Bedarfslage für IV- rationsbereit. Das haben die vielen (regionalen) Projektanträ- Verträge ist sehr stark von den jeweiligen örtlichen Ver- ge zum Innovationsfonds gezeigt. Die Selbstverwaltung ver- hältnissen abhängig. Das Konzept der Grünen sieht aber dient mehr Vertrauen, als die Politiker ihr zugestehen wollen. Standardverträge für die Beauftragung der MG durch Klar ist auch: Nicht alle Probleme lassen sich über veränderte die Kassen vor. „One size fits all“ werde nicht funktio- Vertragsformen lösen. So muss zum Beispiel der Anspruch nieren, so formulierte es Matthias Mohrmann von der auf ein effektives Case-Management (Stichwort: Kümmerer) AOK Rheinland/Hamburg in der Anhörung (Deutscher als Leistungsanspruch künftig stärker im Gesetz verankert Bundestag 2021, 7). werden. 7 Zusammenfassung und Fazit Regionalität ist en vogue, aber in vieler Hinsicht ein Gummi- Literatur begriff. Auch was mit regionaler Versorgungsgestaltung ge- meint ist, muss jeweils im Kontext näher betrachtet werden. AfD (2021): Leitantrag der Programmkommission zum 12. Bundes- Dabei ist im Ergebnis festzustellen: parteitag der AfD in Dresden, 10. bis 11. April 2021; www.afd.de/ • Die regionalen Problemlagen sind sehr unterschiedlich. bpt-12/ → Tagesordnung + Leitantrag Eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung lässt sich Amelung V et al. (2020): Nachmachen erlaubt: Innovative Ansätze nicht nach einem einheitlichen Schema oder einem Stan- aus dem Schweizer Gesundheitssystem. Gesundheits- und Sozialpo- dardvertrag erreichen. litik, Jg. 74, Heft 6, 42–48 • Die Veränderung der Versorgungsstrukturen im Sinne Augurzky B et al. (2018): Versorgung und Vergütung regional einer stärkeren Integration wird nur schrittweise voran- gedacht: Von der Volumen- zur Wertorientierung. Gesundheits- und kommen. Dabei sind die Möglichkeiten regionaler Selek- Sozialpolitik, Jg. 72, Heft 4–5, 64–71 © GGW 2021 · Paquet: Regionale Versorgungsgestaltung: keine Standardlösung für unterschiedliche Probleme · Jg. 21, Heft 3 (Juli), 15–22 21
A N A LY S E Baerbock A (2021): Verändern statt zu versprechen: Meine Kandi- Hildebrandt H et al. (2020 a): Integrierte Versorgung als nachhaltige datur für das Kanzler*innenamt; annalena-baerbock.de → Beitrag Regelversorgung auf regionaler Ebene – Teil 1. Welt der 19. April 2021 Krankenversicherung, Jg. 9, Heft 7–8, 164–172; optimedis.de Benstetter F et al. (2020): Potenziale prospektiver regionaler → Publikationen → Fachartikel → 2020 von uns Gesundheitsbudgets am Beispiel spanischer und amerikanischer Hildebrandt H et al. (2020 b): Integrierte Versorgung als nachhaltige Erfahrungen. In: Klauber J et al. (Hrsg.): Krankenhaus-Report 2020. Regelversorgung auf regionaler Ebene – Teil 2. Welt der Krankenver- Berlin: Springer, 69–90 sicherung, Jg. 9, Heft 9, 210–219; optimedis.de → Publikationen BMG (Bundesministerium für Gesundheit) (2020): Pakt für den → Fachartikel → 2020 von uns öffentlichen Gesundheitsdienst; bundesgesundheitsministerium. 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Von 2008 bis 2017 war er Redaktionsmitglied des Gesundheitspoli- tischen Informationsdienstes (gid), zuvor Geschäftsführer Politik und Öffentlichkeitsarbeit des BKK-Bundesverbandes, Vorstands- vorsitzender des BKK-Landesverbandes Niedersachsen sowie Referent für Gesundheitspolitik der SPD-Bundestagsfraktion. Von 1980 bis 1987 arbeitete er als wissenschaftlicher Projektleiter im Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES), Berlin. 22 © GGW 2021 · Paquet: Regionale Versorgungsgestaltung: keine Standardlösung für unterschiedliche Probleme · Jg. 21, Heft 3 (Juli), 15–22
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