Unabhängigkeits-Bewegungen in der EU? - Sabine Riedel

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Unabhängigkeits-Bewegungen in der EU? - Sabine Riedel
KULTUR
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                                                                             POLITIK HORIZONTE
                                                                             &
                                                                             www.culture-politics.international

Sabine Riedel

Unabhängigkeits-Bewegungen in der EU?
Wie der Separatismus das Friedenskonzept Europa in Beschlag nimmt und gefährdet

Separatistische Bewegungen gibt es weltweit, häufig aufgrund von Macht- und Ressourcenkonflik-
ten. Wenn dieses Phänomen nun auch die Europäische Union betrifft, sollten bei allen Politikern die
Alarmglocken schrillen. Denn die EU ist ein Friedensprojekt, das auf einer immer enger werdenden
Zusammenarbeit ihrer Mitglieder beruht. Regionalparteien, die derzeit nach Unabhängigkeit streben,
sorgen jedoch für Streit. Denn die zentrale Frage ist nicht, ob die Regionen ein Recht auf Sezession
haben, sondern ob die EU-Mitglieder diese als Staaten anerkennen werden. Da eine territoriale Ab-
spaltung gegen den Willen des betreffenden Nationalstaats die verfassungsrechtliche Ordnung ver-
letzt, dürfte der Kreis an Unterstützern klein bleiben. Deshalb fordern die separatistischen Parteien
Mehrheitsentscheidungen in den Organen der supranationalen Ebene. Auf diesem Weg wollen sie
ein weiteres Problem lösen, nämlich den Verbleib ihrer Regionen in der EU als vollwertiges Mitglied.
Das pro-europäische Image, das viele separatistische Parteien pflegen, ist daher ein strategisches
Kalkül zur Verwirklichung ihrer Vision eines „Europa aller Völker“ Darunter verstehen sie jedoch
ethnisch-kulturelle Einheiten und nicht die Staatsvölker der EU. Diese Neu-Definition des Nations-
begriffs gefährdet jedoch die Stabilität der Mitgliedsstaaten und somit die Europäischen Integration.

Als Unabhängigkeits-Bewegungen verstehen                          wichtige Grundlage des Völkerrechts. Danach
sich gesellschaftliche Kräfte, die eine regionale                 gibt es kein Recht auf Sezession, wie von Unab-
Einheit von einem bestimmten Staatsterritorium                    hängigkeits-Bewegungen häufig behauptet. Viel-
abspalten wollen. In der Wissenschaft spricht                     mehr entscheiden die 193 Mitgliedstaaten der
man von Separatismus, der unterschiedliche                        Vereinten Nationen (UN) innerhalb des internati-
Ziele haben kann. Häufig rechtfertigt er die Grün-                onalen Rechtsrahmens, ob sie ein neues Völker-
dung eines neuen Staates. Er kann die anvisierte                  rechtssubjekt anerkennen oder nicht. Dabei ver-
Abspaltung aber auch als Übergangsphase hin                       halten sie sich in der Regel eher zurückhaltend
zu einer Vereinigung mit einem Nachbarstaat ver-                  aus Sorge, sie könnten bald selbst davon betrof-
stehen. Beide Male geht es um die Veränderung                     fen sein. Die souveränen Staaten haben daher
von Staatsgrenzen und Staatsangehörigkeiten,                      wenig Interesse, separatistische Bewegung als
im ersten Fall zudem um die Bildung einer neuen                   legitime Repräsentanten eines neuen Staates zu
souveränen Regierungsmacht. Somit stellen Un-                     akzeptieren. Das hindert sie selbstverständlich
abhängigkeits-Bewegungen alle drei Elemente in                    nicht daran, sie dennoch jenseits der medialen
Frage, die unsere heutige Staatlichkeit bestim-                   Aufmerksamkeit zu unterstützten.
men. Diese sind „Land, Volk und Herrscher“ bzw.                      Der Separatismus ist auf Engste mit der Grün-
Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt (Je-                    dung unserer modernen Staatenwelt verbunden.
linek 1914, S. 144).                                              Denn die meisten der heutigen europäischen
                                                                  Staaten sind im 19. und 20. Jahrhundert durch die
Separatismus und Nationalstaat                                    Auflösung von imperialen Großmächten entstan-
Zwar kritisieren einige Wissenschaftler die Drei-                 den. So sind die Habsburgermonarchie, das Rus-
Elementen-Lehre von Georg Jellinek, u.a. weil sie                 sische und das Osmanische Reich untergegan-
subjektive Faktoren vernachlässige, wie etwa das                  gen, weil ihre Herrscher demokratischen Entwick-
nationale Identitätsbewusstsein. Dennoch ist sie                  lungen ablehnten und damit verbundene Staats-
gerade wegen ihrer Einfachheit bis heute eine                     reformen verhinderten. Militärische Niederlagen

30. Januar 2019
Prof. Dr. Sabine Riedel, Professorin für Politikwissenschaft, Universität Magdeburg,
Wissenschaftlerin der Stiftung Wissenschaft und Politik, sabine.riedel@swp-berlin.org
Unabhängigkeits-Bewegungen in der EU? - Sabine Riedel
Sabine Riedel: Separatistische Bewegungen in der EU?

Führten zu deren Zerfall in selbstständige Einzel-     Sie behaupteten, dass eine Bevölkerungsgruppe
staaten, deren Nationen nun den Monarchen als          allein durch ihre kulturelle Besonderheit eine Na-
Träger der Souveränität ablösten. Doch das mo-         tion bilde. Aufgrund dieser ethnischen Differenz
derne Nations-Konzept, das sich Anfang des 20.         zum Rest der Bevölkerung hätte sie ein Recht auf
Jahrhunderts weltweit Bahn brach, wird bis heute       Selbstbestimmung. Allerdings steht die heutige
unterschiedlich interpretiert: Das eine Modell         internationale Staatenordnung diesem kulturellen
speist sich aus politischen Werten, die ideenge-       Deutungsmuster des Nationsbegriffs entgegen,
schichtlich auf die Französische Revolution und        der Europa in zwei große Weltkriege verstrickt
noch weiter zurückgehen. Danach legitimiert sich       hatte. Sie wurde im Jahre 1919 zusammen mit
die Staatsmacht über eine Willensnation, die ent-      dem Völkerbund gegründet und basiert auf dem
scheidend an der Ausgestaltung der Verfassung          modernen Konzept der Willensnation als Träger
und nachgeordneter Gesetze beteiligt ist.              der staatlichen Souveränität. Bereits Georg Jelli-
    Das zweite Nationsmodell drängt diese willent-     nek erkannte die völkerrechtliche Bedeutung der
liche Zustimmung der Staatsbürger zu ihrer Na-         Nation im Sinne eines Staatsvolks und grenzt sie
tion in den Hintergrund. In den Vordergrund treten     wie folgt von dem Begriff der Gesellschaft ab:
stattdessen kollektive Identitäten, die sich an ers-
ter Stelle kulturellen Werten verpflichtet fühlen        „Das Staatsvolk [d.h. die Nation] fällt mit dem
wie z.B. Kulturtraditionen, Religionszugehörigkei-       Herrschaftsbereich des [National-]Staates zu-
ten oder Muttersprachen. Sie werden zum ent-             sammen, die Gesellschaft nicht. Ein großer
scheidenden Kriterium zur Feststellung der Nati-         Teil der gesellschaftlichen Interessen er-
onszugehörigkeit. Diese kulturellen Faktoren ha-         streckt sich weit über die Grenzen eines je-
ben scheinbar den Vorteil, objektiv messbar zu           den Einzelstaates hinaus, und damit wird
sein, etwa durch Volkszählungen. Diese These             auch jedes Volk in seiner Gesamtheit zu einer
geht aber davon aus, dass die Staatbürger durch          großen Gesellschaftsgruppe, seine Interes-
ihre jeweilige ethnische Herkunft ihr Leben lang         sen zu partikularen Interessen.“ (Jelinek
dieselbe kulturelle Identität haben. Abgesehen           1914, S. 98, Ergänzungen: S.R.)
davon, dass diese Annahme lebensfern ist, igno-
riert sie doch die Tatsache, dass Menschen im          Danach lassen sich separatistische Bewegungen
Laufe ihres Lebens verschiedene kulturelle Ori-        als transnational agierende Kräfte bezeichnen,
entierungen annehmen, ablegen, verändern oder          die von einem [National-]Staat die Abtretung ei-
sogar mischen. Die kulturelle Identität ist daher      nes Teils seines Staatsterritoriums verlangen und
wie die politische Willensbildung ein ganz und gar     damit die Interessen einer bestimmten Gesell-
subjektiver Faktor.                                    schaftsgruppe vertreten. Diese Partikularinteres-
    Doch im Unterschied zum Modell der Willens-        sen sind nur durchsetzbar, indem bestehende
nation, das es dem Bürger selbst überlässt, wel-       Verfassungen, Gesetze und internationale Ver-
chen kulturellen Neigungen er nachgeht, und den        träge in Frage gestellt werden.
kulturellen Pluralismus schützt, tendiert das Mo-         Dass der Separatismus und die ihm verwandte
dell einer Kulturnation dazu, die Bürger auf eine      Ideologie des Nationalismus stets auch einen in-
bestimmte kulturelle Identität zu verpflichten, um     ternationalen Aktionsradius haben, zeigen die Er-
hieraus seine Ansprüche als Angehöriger einer          fahrungen des 20. Jahrhunderts. Denn das Kon-
bestimmten Nation abzuleiten. Es bleibt daher ei-      zept der politischen Willensnation, das mit den
nem obrigkeitsstaatlichen Denken verhaftet, das        Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg in
im Zeitalter der Großreiche und Imperien vor-          internationales Recht gegossen wurde, erlitt
herrschte. Damals war der Bürger noch ein Un-          schon bald einen ernsthaften und nachhaltigen
tertan und nicht der Souverän von heute. Er war        Rückschlag. Der deutsche Nationalsozialismus
für die Monarchen nur Objekt und Projektionsflä-       unterstützte ab den 1930er Jahren separatisti-
che für Gebietsansprüche, kein politisches Sub-        sche Bewegungen in jenen europäischen Natio-
jekt wie in heutigen Demokratien.                      nalstaaten, die mit den Friedensverträgen von
                                                       1919/20 unzufrieden waren und Grenzrevisionen
Separatismus und Nationalismus                         zugunsten ethnischer Minderheiten forderten.
Alle separatistischen Bewegungen der letzten           Dies nutzte das Deutsche Reich, um den europä-
150 Jahre verfolgten das ethnische Modell einer        ischen Kontinent zu unterwerfen und politisch neu
Nation im Sinne von Kultur-, Sprach- oder Religi-      zu ordnen. Separatistische Kollaborateure gab es
onsgemeinschaft. Denn nur mit dieser nationalis-       nicht nur im Osten, z.B. in der Tschechoslowakei,
tischen Ideologie konnten sie ihre Forderungen         Jugoslawien oder Rumänien, sondern auch in
nach einer territorialen Abspaltung legitimieren.      Westeuropa, in den Beneluxstaaten, Frankreich

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Sabine Riedel: Separatistische Bewegungen in der EU?

oder im Vereinigten Königreich. Viele der heuti-        tei (FNP, Niederlande) oder der Galicische Natio-
gen Sezessionskonflikte gehen auf diese Zeit zu-        nalistische Block (BNG, Spanien). Dennoch be-
rück oder wurden dadurch maßgeblich geprägt.            kennen sich viele EFA-Mitglieder ausdrücklich
                                                        zum Nationalismus wie die Neu-Flämische Alli-
Separatismus und Europäische Union                      anz (N-VA, Belgien) und spezifizieren ihn als „de-
Nationalismus und Separatismus stehen sich bis          mokratisch“ und „humanitär“ (N-VA, Statuten, Zu-
heute sehr nahe, wie Programme führender se-            griff 7.1.2019). Mit diesen positiv besetzten Attri-
paratistischer Parteien in Europa belegen. Einige       buten beschreiben sie ihren Regio-Nationalismus
von ihnen gründeten im Jahre 1981 das Netzwerk          als „Völker-Nationalismus“ [eng. Peoples‘ natio-
der Europäischen Freien Allianz (European Free          nalism]. Er unterscheide sich von nationalisti-
Alliance, EFA), das sich im Jahre 2004 als Partei       schen Ideologien bereits existierender Staaten,
konstituiert hat und vom Europäischen Parlament         den sie als „Staatsnationalismus“ kennzeichnen,
als solche anerkannt wurde. Damit ist die EFA           durch einen inklusiven Ansatz, der auf die Über-
auch auf supranationaler Ebene sichtbar vertre-         windung von Staatsgrenzen orientiert sei:
ten und kann auf die Europapolitik in ihrem Sinne
beeinflussen. Sie fokussiert ihre Aktivitäten auf          „Während der Staatsnationalismus nach innen
die „kulturelle und linguistische Diversität als auch      gerichtet ist und auf Ausgrenzung basiert, ist
auf Nationalismus, Regionalismus, Autonomie                die Vision der Europäischen Freien Allianz
und Unabhängigkeit“ (EFA, What's EFA and His-              vom Völker-Nationalismus das Gegenteil. Es
tory, Übersetzung: S.R.). Zwar führen nur einige           geht um Inklusion, Respekt für die Vielfalt und
Mitgliedsorganisationen der EFA die Begriffe               den Brückenbau zwischen den Völkern und
„national“ oder sogar „nationalistisch“ im Namen           nicht um die Festigung der Grenzen zwischen
wie die Schottische Nationalpartei (SNP, Verei-            ihnen.“ (EFA, Manifesto 2019, S. 22, Überset-
nigtes Königreich), die Friesische Nationale Par-          zung: S.R.)

Abbildung 1:
Der Separatismus gründet seine neuen „Nationen“ und Nationalstaaten auf kulturelle Differenz

 Quelle: Eigene Zusammenstellung [S.R.]

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Sabine Riedel: Separatistische Bewegungen in der EU?

    Tatsächlich geht es den Mitgliedsorganisatio-          Etwa 34 separatistische Parteien gehören der
nen der EFA um den Abbau bestehender Staats-           Europäischen Freien Allianz (EFA) an, die schon
grenzen, jedoch mit dem Ziel, neue Grenzen zu          seit Jahren eine gemeinsame Fraktion mit den
errichten, zugunsten der Staatswerdung ihrer Re-       Europäischen Grünen (Greens/EFA) bildet (vgl.
gionen. Im Manifest für die Wahlen zum Europäi-        Abbildung 2). Nach den Wahlen zum Europäi-
schen Parlament im Mai 2019 schlagen sie eine          schen Parlament im Jahre 2014 gehörten ihr an-
„innere Erweiterung“ der Europäischen Union            fangs 11 Abgeordnete an, wobei bis heute fünf
vor, damit Schottland und Katalonien ihre staatli-     Organisationen eine aktive Rolle spielen. Dies
che Unabhängigkeit innerhalb der Europäischen          sind die beiden Parteien aus Großbritannien, die
Union erreichen. (EFA, Manifesto 2019, S. 10,          Schottische Nationalpartei (SNP) und die Partei
Übersetzung: S.R.). Denn sie stehen vor dem            für Wales (PC, Plaid Cymru) mit zwei bzw. einem
Problem, dass nach aktueller Rechtslage eine           Abgeordneten. Zwei weitere Parteien kommen
Abspaltung von ihrem Nationalstaat auch zum            aus Spanien, die Republikanische Linke Katalo-
Verlust der EU-Mitgliedschaft führen würde (vgl.       niens (ECR) und der Galicische Nationalistische
Abbildung 1). Eine Reform des EU-Rechts solle          Block (BNG), ebenfalls mit zwei bzw. einem Ab-
nun dafür sorgen, dass die staatenlosen „Natio-        geordneten. Schließlich arbeiten in der Fraktion
nen“ von der EU durch einen neuen politischen          Greens/EFA auch die beiden Europa-Abgeordne-
Mechanismus „aufgefangen“ werden.                      ten von Lettlands Russische Union (LKS) mit, die
    An dieser Stelle wird jedoch deutlich, warum       sich als Vertreter der russischsprachen Minder-
so viele separatistische Parteien einen „pro-euro-     heit der gesamten EU verstehen und in der EFA
päischen“ Kurs eingeschlagen haben. Sie sehen          nur mit einem Beobachterstatus haben.
in den supranationalen Institutionen der EU wie            Die bislang einflussreichste Mitgliedsorganisa-
dem Europäischen Rat, dem Parlament und der            tion der EFA, d.h. die vier Europa-Abgeordneten
Kommission einen wichtigen Bündnispartner ge-          der belgischen Neue-Flämische Allianz (N-VA)
gen ihren jeweiligen Nationalstaat. Denn wie ein-      haben mittlerweile die Fraktion der Greens/EFA
gangs dargestellt, ist die eigentliche Hürde auf       verlassen. Dies geht offenbar auf Meinungsunter-
dem Weg in die Unabhängigkeit ihre internatio-         schiede in der Katalonien-Frage zurück, die sich
nale Anerkennung. Hier stehen die Separatisten         im Herbst 2017 zugespitzt hatte. Heute gehört die
innerhalb der EU vor dem Dilemma, dass sich die        N-VA zur drittgrößten Fraktion der Europäischen
Mitgliedstaaten vertraglich zu einer loyalen Zu-       Konservativen und Reformer (ECR), in der die
sammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung           Regierungsparteien aus dem Vereinigten König-
verpflichtet haben (Lissabon-Vertrag, 2009, Art.       reich und Polen den Ton angeben. Die überwie-
4). Nimmt eine EU-Region Kurs in Richtung Ei-          gende Mehrheit der Regionalparteien der EFA
genstaatlichkeit, muss sie mit der Solidarität zwi-    sind jedoch nicht im Europäischen Parlament ver-
schen den EU-Mitgliedern rechnen, die gegen            treten. Hierzu gehören z.B. die deutsche Bayer-
ihre Interessen gerichtet ist und ihre Chance auf      partei, die norditalienische Südtiroler Freiheit, die
eine diplomatische Anerkennung verringert.             polnische Bewegung für die Autonomie Schlesi-
    Nur ein neuer Rechtsrahmen auf supranatio-         ens (RAŚ) und die französisch-elsässische Partei
naler Ebene könnte diesen Zusammenhalt zwi-            Unser Land.
schen den Mitgliedstaaten aufweichen. Dies wäre            Neben den Grünen/EFA und dem ECR haben
z.B. eine Mehrheitsentscheidung im Europäi-            auch die Fraktionen der Sozialdemokraten und
schen Rat der EU-Staats- und Regierungschefs           Sozialisten separatistische Parteien in ihren Rei-
zugunsten von Sonderregelungen bzw. Sonder-            hen. Die vier Abgeordneten der irisch-nationalis-
statuten für Regionen, die nach Unabhängigkeit         tischen Sinn Féin sind in der Fraktion der Verein-
streben. Die separatistischen Bewegungen ha-           ten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke
ben bereits entsprechende Strategien entwickelt.       (GUE/NGL) vertreten. Die Backstop-Regelung im
Über ihre Präsenz in Brüssel, durch diplomati-         Brexit-Vertrag geht auf ihren Vorschlag zurück,
sche Vertretungen wie auch durch gewählte Ab-          Nordirland nach dem EU-Austritt des Vereinigten
geordnete im Europäischen Parlament, betreiben         Königreichs durch den Binnenmarkt der EU „auf-
sie Lobby-Arbeit (Riedel 2018b, S. 320). Hinter ih-    zufangen“. Sie betrachten diesen Sonderstatus
rem sympathisch wirkenden „pro-europäischen“           als Übergangsphase hin zu einer Vereinigung mit
Image steckt jedoch ein rationales Kalkül: Die Kri-    der Republik Irland. Die nordirische Social De-
tik an ihrem Nationalstaat verbinden sie mit einer     mocratic and Labour Party (SDLP) ist mit ihrem
Stärkung der supranationalen Entscheidungs-            „progressiven Nationalismus“, der ebenfalls eine
ebene der EU in der Hoffnung, dass dort ihre Un-       Vereinigung mit Irland anstrebt, Mitglied der So-
abhängigkeitsforderungen Gehör finden.                 zialdemokratischen Partei Europas (SPE).

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Sabine Riedel: Separatistische Bewegungen in der EU?

    Doch auch die Fraktion Konservativer und li-       Separatismus und Populismus
beraler Parteien geben Separatisten im Europäi-        Abbildung 2 macht deutlich, dass sich der Sepa-
schen Parlament eine politische Heimat. Die Bas-       ratismus mit allen politischen Weltanschauungen
kische Nationalpartei (EAJ/ PNV), ebenfalls auf        verbinden kann. Deshalb ist für deren Parteien
Unabhängigkeitskurs, trat der Europäischen De-         ein eigenständiges Profil notwendig geworden.
mokratischen Partei (EDP) bei, die in der Fraktion     Um sich von der Konkurrenz abzuheben, betonen
Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa        die Mitgliedsorganisationen der EFA ihre „pro-eu-
(ALDE) organisiert ist. Die Demokratische Union        ropäische“ Ausrichtung:
Kataloniens (UDC), die ab 2012 die staatliche Un-
abhängigkeit ihrer Region anstrebte, arbeitete auf       „Die EFA möchte ein konsequent soziales Eu-
europäischer Ebene zusammen mit der Europäi-             ropa aufbauen, ein einladendes Europa, ein
schen Volkspartei (EVP) und bildete auf der regi-        Europa, das für jeden seiner Bürger Wohl-
onalen Ebene das Parteienbündnis Konvergenz              stand bedeutet und seine eigene Pluralität res-
und Union (CiU). Ihr Nachfolger war als Katalani-        pektiert. Euroskeptizismus und / oder Anti-EU-
sche Europäische Demokratische Partei (PDe-              Populismus bringen keine Lösungen.“ (EFA,
CAT) in der liberalen ALDE vertreten, bis zu ih-         Manifesto 2019, S. 8, Übersetzung: S.R.)
rem Ausschluss Ende 2018. Schließlich gehören
die Lega Nord (Italien) und der Vlaams Belang
(Belgien) zur Fraktion Europa der Nationen und         Damit etikettieren sie ihre politischen Kontrahen-
der Freiheit (ENF), zusammen mit der Freiheitli-       ten, die ihre Vision von Europa nicht teilen, als
chen Partei Österreichs (FPÖ) und der Nationa-         „Skeptiker“, als „Anti-Europäer und sogar als „Po-
len Sammlungsbewegung Frankreichs.                     pulisten“. Dabei trägt ihr Manifest für die Wahlen

Abbildung 2:

Vertreter separatistischer Parteien in Fraktionen des Europäischen Parlaments (2014-2019)

 Quelle: Eigene Zusammenstellung [S.R.]

                                                                         5       FORSCHUNGSHORIZONTE
                                                                                      POLITIK & KULTUR
                                                                                                 1 / 2019
Sabine Riedel: Separatistische Bewegungen in der EU?

zum Europäischen Parlament 2019 ausgerech-              Separatismus und Demokratie
net im Titel den Begriff „Volk“, lat. populus: „Buil-   Indem der Separatismus alle drei konstitutiven
ding a Europe of all peoples“, d.h. „Aufbau eines       Elemente eines bestehenden Staates in Frage
Europas aller Völker“. Somit strebt das Netzwerk        stellt, nämlich Staatsvolk, Staatsterritorium sowie
separatistischer Parteien nach einer Europäisie-        Staatsmacht, rüttelt er auch an dessen politi-
rung, die aus der EU nicht weniger, sondern mehr        schen System. Selbst Demokratien sagt er den
Staaten machen möchte. Es soll also kein ge-            Kampf an, obwohl diese Staatsform weitreichen-
meinsamer europäischer Staat im Sinne der Drei-         de Partizipationsrechte anbietet. So haben viele
Elementen-Lehre entstehen, der über ein Staats-         EU-Mitgliedstaten in den 1980er Jahren einen
gebiet, ein Staatsvolk und eine Staatsgewalt ver-       Dezentralisierungsprozess durchgemacht, der
fügt. Denn die Konstituierung eines europäischen        die Selbstverwaltungsrechte der Kommunen und
Staatsvolks im politischen Sinne, das als Souve-        Regionen gestärkt hat. Noch vor der EU-Oster-
rän die Staatsgewalt innehat und über ein Staats-       weiterung war im Jahre 1994 der Ausschuss der
territorium verfügt, widerspricht ihrem Modell ei-      Regionen (AdR) gegründet worden, um nach
nes „Europa aller Völker“ nach dem ethnisch-kul-        dem Prinzip der Subsidiarität diesen dezentralen
turellen Verständnis von Volk.                          Verwaltungsstrukturen auch auf supranationaler
    Damit steht das EFA-Netzwerk nicht in Oppo-         Ebene mehr Kompetenzen zu geben.
sition zu jenen Parteien, die ihrer Auffassung              Von dieser Demokratisierung profitieren sämt-
nach einen „Staatsnationalismus“ vertreten und          liche Regionalparteien, weil sie seither über Son-
populistisch argumentieren. Denn sie teilen den-        derregelungen und Minderheitenquoten stärker in
selben ethnisch-kulturellen bzw. „völkischen“ Na-       den regionalen und nationalen Parlamenten so-
tionsbegriff. Vielmehr sind ihre eigentlichen Kon-      wie im Europäischen Parlament vertreten sind.
trahenten jene Parteien, die am Konzept der poli-       Diejenigen Organisationen, die sich heute auf ei-
tischen Willensnation festhalten, welches auf der       nen Unabhängigkeitskurs eingestellt haben, nut-
Einheit von Staatsterritorium, Staatsvolk und           zen jedoch diese Fortschritte der Regionalisie-
Staatsterritorium basiert und damit auf völker-         rung, um sie letztlich für ihre separatistischen
rechtlich akzeptierten Grundsätzen. Damit lehnen        Ziele zu missbrauchen. So schüren Separatisten
die Separatisten der EFA nicht nur eine Staats-         eine stete Unzufriedenheit mit der regionalen
werdung Europas ab, sondern auch das Konzept            Selbstverwaltung und fordern alternativlos die
der „Europa der Vaterländer“ und damit die bei-         staatliche Unabhängigkeit. Sie lehnen einen wei-
den richtungsweisenden Visionen der Europäi-            teren Ausbau ihrer Autonomiestatute (z.B. für Ka-
schen Integration. Was ist dann ihrem Europaver-        talonien, das Baskenland, Schottland, Nordirland,
ständnis nach „pro-europäisch“? Es liegt die Ver-       Trentino-Südtirol) ebenso ab wie Staatsreformen
mutung nahe, dass die EFA dieses Image popu-            zugunsten föderaler Systeme, z.B. nach dem
listisch verwendet und somit auf den Politikstil ih-    Vorbild Belgiens, Österreichs oder Deutschlands
rer vermeintlichen Gegner zurückgreift.                 (Riedel 2016).
    Trotz ihres nebulösen Europakonzepts eines              Mit diesen überzogenen Forderungen scha-
„Europa aller Völker“ üben separatistische Par-         den Separatisten jedoch anderen europäischen
teien Einfluss auf fast alle Fraktionen des Euro-       Regionen, die ihrem Staat loyal gegenüberstehen
päischen Parlaments aus. Beispiel hierfür ist nicht     und der Zentralregierung lediglich mehr Kompe-
nur die Zusammenarbeit zwischen den Grünen              tenzen abverlangen. Denn die Forderung nach
und der EFA in einer gemeinsamen Parlaments-            Eigenstaatlichkeit geht ausgerechnet von jenen
fraktion. Ähnlich wie Bündnis 90/Die Grünen po-         Regionen aus, die bereits über einen hohen Stan-
sitioniert sich Die Linke gegen den „Rechtspopu-        dard an Autonomierechten verfügen. Andere Mit-
lismus in Europa“ mit „linken Gegenstrategien“          gliedstaaten der EU könnten das als eine War-
(Rosa Luxemburg Stiftung, Mai 2015), hat aber           nung verstehen, ihre regionale Selbstverwaltung
im Europäischen Parlament Parteien in ihren Rei-        weiter auszubauen. Dies bremst auf absehbarer
hen, die sich selbst als nationalistisch bezeich-       Zeit den Prozess der Regionalisierung als einen
nen. Gemeint ist Sinn Féin, deren Europa-Abge-          wichtigen Aspekt der Europäischen Integration.
ordnete Martina Anderson ihr Programm in dem            Womöglich kommt sie ganz zum Erliegen, sollten
Satz zusammenfasst: „Der irische Nationalismus          sich die aktuellen Sezessionskonflikte in Katalo-
ist progressiv, vorwärtsschauend und inklusiv“          nien und Nordirland gewaltsam zuspitzen.
(Sinn Féin, 5.6.2018). Unter „inklusiv“ versteht sie        Durch ihre parlamentarische Präsenz ist es
eine expansionistische Außenpolitik der Republik        den Regionalparteien gelungen, sich als Verfech-
Irland, die Nordirland als Teil des Vereinigten Kö-     ter demokratischer Werte zu profilieren. Dabei
nigreichs für sich beansprucht.                         kommt ihnen das Verdienst zu, Volksbefragun-

                                                                           6       FORSCHUNGSHORIZONTE
                                                                                        POLITIK & KULTUR
                                                                                                   1 / 2019
Sabine Riedel: Separatistische Bewegungen in der EU?

gen als Instrumente der direkten Demokratie wie-       Separatismus und der Streit ums Geld
derzubeleben. Doch müssen solche Referenden            In den bisherigen Diskursen über die Motive se-
demokratische Standards beachten und die ver-          paratistischer Bewegungen blieb bislang ein
fassungsmäßige Ordnung respektieren. In dieser         zentrales Thema ausgespart, nämlich das Thema
Hinsicht gab es z.B. bei der Volksabstimmung           Finanzen. Dabei werden viele innerstaatliche
über die Unabhängigkeit Schottlands (19.9.2914)        Konflikte durch eine Umverteilung finanzieller
einige Defizite zu verzeichnen. So hatte der briti-    Ressourcen gelöst oder zumindest eine Zeit lang
sche Premierminister mit der Regionalregierung         beruhigt. Ein Beispiel hierfür ist das Verhalten des
eine entsprechende Übereinkunft geschlossen            Baskenlandes. Es genießt innerhalb Spaniens
(15.10.2012), ohne das Parlament zu konsultie-         die meisten Autonomierechte, u.a. die Steuerho-
ren oder daran zu beteiligen. Dadurch wurden           heit. Als die spanische Zentralregierung im
mehr als 90 Prozent der britischen Bevölkerung         Herbst 2017 das katalanische Autonomiestatut
von einer Entscheidung ausgeschlossen, die das         vorrübergehend aufhob, solidarisierten sich die
Schicksal des ganzen Landes berührte, wie es           baskischen Abgeordneten im spanischen Parla-
die damalige Better-Together-Campaign belegte.         ment mit den katalanischen Separatisten. Doch
   Eigentlich hatten beide Seiten, so auch die         dauerte ihre Unterstützung nur so lange, bis
schottische Regionalregierung, zugesichert, das        ihnen Madrid bei den Haushaltsverhandlungen
Ergebnis der Volksbefragung zu akzeptieren. Es         fiskalische Zugeständnisse gemacht hatte.
dauerte aber keine zwei Jahre, bis Edinburgh ein           Auf diesem Wege könnten auch die Katalanen
zweites Referendum forderte (BBC, 24.6.2016).          zufrieden gestellt werden. Doch macht dieser Se-
Nicht zuletzt wegen diesen Erfahrungen lehnen          zessionskonflikt eine viel tiefergehendes Phäno-
andere Regierungen solche Referenden ab. Da-           men sichtbar: Die separatistischen Bewegungen
bei kann sich z.B. die spanische Regierung auf         stützen sich nicht nur auf eine ethnisch-kulturelle
die Verfassung stützen, wonach über eine regio-        Differenz, nach denen sie ihre neuen Staatsgren-
nale Abspaltung Kataloniens alle Spanier ab-           zen ausrichten wollen. Sie kombinieren ihre nati-
stimmten müssten. Über diese und andere ge-            onalistische Ideologie aus dem 19. Jahrhundert
setzlichen Rahmenbedingungen begann sich die           mit modernen Wirtschaftstheorien. Dabei spielt
katalanische Regionalregierung seit 2012 hin-          ihnen der Strukturwandel heutiger Volkswirt-
wegzusetzen. Sie verabschiedete seitdem ei-            schaften zugunsten des Dienstleistungssektors
gene Rechtsakte, um staatliche Parallelstruktu-        und der Finanzindustrie in die Hände. Wie die
ren aufzubauen und damit der Unabhängigkeit            Beispiele der asiatischen oder baltischen „Tiger-
Kataloniens den Weg zu ebnen (Riedel 2018).            staaten“ zeigen, können kleinere Länder ökono-
   Dazu gehörte die Durchführung eines Unab-           misch erfolgreich sein. Dies erklärt, warum For-
hängigkeitsreferendums am 1.10.2017, das je-           derungen nach Unabhängigkeit heute ausnahms-
doch vom spanischen Verfassungsgericht unter-          los aus wirtschaftlich potenten EU-Regionen
sagt wurde. Im Gegensatz zum ersten Versuch            kommen. Sie wollen ihren Reichtum nicht mehr
drei Jahre zuvor (10.11.2014) schritten diesmal        mit anderen Regionen ihres Nationalstaats teilen.
die spanischen Sicherheitskräfte ein. Nach einer           Dabei mag eine Reihe von Vorwürfe zutreffen,
gewaltsamen Zuspitzung erschien die katalani-          so etwa mangelnde Haushaltsdisziplin oder die
sche Unabhängigkeitsbewegung als Opfer zent-           Anfälligkeit für Korruption. Doch wäre eine staat-
ralstaatlicher Willkür. Diese Bilder ließen verges-    liche Sezession nicht die Lösung des Konflikts
sen, dass die Regionalregierung die spanische          sondern der Beginn eines wirtschaftlichen Nie-
wie auch die katalanische Rechtslage missachtet        dergangs aller Beteiligten. Schließlich sind die
hatte. Das Gesetz zur Durchführung des Referen-        nationalen Wirtschafträume über Jahrhunderte
dums wurde im Eilverfahren und ohne Beteiligung        zusammengewachsen. Im Falle einer Sezession
der parlamentarischen Opposition verabschiedet.        ist deshalb der Streit ums Geld vorprogrammiert.
Schließlich unterschrieben die Separatisten eine       Im Herbst 2017 hatte bereits der katalanische Fi-
Unabhängigkeitserklärung (10.10.2017) auf der          nanzminister damit gedroht, Katalonien werde
Basis von nur 42,3 Prozent Ja-Stimmen und da-          sich aus der Tilgung der gemeinsamen Staats-
mit ohne ein mehrheitliches Votum. Diese Ereig-        schulden zurückziehen, wenn Madrid eine Aner-
nisse verdeutlicht den Charakter des Separatis-        kennung verweigere. Um seine Verhandlungspo-
mus: Da er prinzipiell alle drei konstitutiven Ele-    sition zu stärken, versicherte sich Barcelona be-
mente des Staats in Frage stellt, Staatsterrito-       reits der Unterstützung ausländische Investoren.
rium, Staatsvolk und Staatsgewalt, missachtet er       Katalonien ist nämlich seit der spanischen Fi-
selbst demokratische Verfahrensregeln, um an           nanzkrise im Jahre 2012 von Krediten des Zent-
sein Ziel zu kommen.                                   ralstaats abhängig. Dieser musste sich wiederum

                                                                          7       FORSCHUNGSHORIZONTE
                                                                                       POLITIK & KULTUR
                                                                                                  1 / 2019
Sabine Riedel: Separatistische Bewegungen in der EU?

bei der Europäischen Zentralbank (EZB) ver-                  Jahrhundert wiederbelebt wird, der Europa in
schulden, um seine wirtschaftlich potenten Regi-             zwei Weltkriege verwickelt hat. Eine politische
onen Katalonien oder Valencia vor einem Finanz-              Auseinandersetzung mit dem Separatismus, der
kollaps zu bewahren. Somit sind alle Spanier für             nach kulturellem Mustern bestehende Willensna-
ihr Land hohe Risiken eingegangen.                           tionen auseinander dividiert und ihre Staatsgren-
    Weil Spanien dem Euroraum angehört, wer-                 zen existentiell in Frage stellt, wird für die EU und
den die Folgekosten einer Sezession letztlich alle           Europa insgesamt zu einer Überlebensfrage.
europäischen Bürger tragen müssen. Dies lenkt                    Denn wirft man einen Blick auf die Sezessions-
wiederum Wasser auf die Mühlen anderer sepa-                 konflikte weltweit, werden zwei Herausforderun-
ratistischer Bewegungen. Die Freiheitlichen im               gen deutlich: Sollte die Strategie der jetzigen ka-
italienischen Südtirol sehen die wachsende Ge-               talanischen Regionalregierung aufgehen, ihren
fahr einer Verschuldung Roms, die einen Austritt             Kampf um Unabhängigkeit zu internationalisie-
aus dem Euroraum nach sich ziehen könnte.                    ren, könnten sich andere Staaten durch eine ge-
Umso deutlicher fordern sie mehr finanzpolitische            schickte Anerkennungspolitik in die inneren An-
Selbstverantwortung für ihre Region. Denn sollte             gelegenheiten der EU einmischen. Darüber hin-
Italien den Euro als Währung aufgeben müssen,                aus wird das von Separatisten vorgeschlagene
wollen die Südtiroler lieber im Euroraum bleiben,            Konzept einer inneren EU-Erweiterung das Kon-
was der Forderung nach Eigenstaatlichkeit Auf-               fliktpotential innerhalb der Mitgliedstaaten erhö-
rieb gibt. Auch beim Brexit spielen Währungsfra-             hen. Dies könnte zur Folge haben, dass das Kal-
gen im Hintergrund eine Rolle. Die nordirischen,             kül nicht aufgehen wird, Regionen in der EU zu
schottischen und walisischen Separatisten hegen              halten oder zurückzuholen, die ihre Unabhängig-
nämlich die Hoffnung, dass sie im Zuge der Ver-              keit tatsächlich ausgerufen haben. Deren Schick-
handlungen das Vereinigte Königreichs verlas-                sal könnte das von „failed states“ werden und die
sen können. Damit werden sie zu potenziellen                 gesamte EU mit in den Abgrund reißen. Es sei
Mitgliedern des Euroraums.                                   hier abschließend an die Folgen des ökonomi-
                                                             schen Zusammenbruchs der Sowjetunion und
Separatismus: Eine Konfliktstrategie                         Jugoslawiens vor rund 30 Jahre erinnert.
Am Beispiel Nordirlands wird deutlich, dass der
Separatismus den Frieden in Europa aufs Spiel                Quellen und weitere Literatur (mit links):
setzt. So haben sich die Konfliktparteien mit dem            EFA, European Free Alliance, Building a Europe
Belfast-Abkommen (10.4.1998) auf eine Autono-                   of all Peoples. 2019 Manifesto European
mie Nordirlands im Vereinigten Königreich geei-                 Elections, Brüssel.
nigt. Das Brexit-Referendum (23.6.2016) sehen                Jahrbuch, Europäisches Zentrum für Föderalis-
die irischen Nationalisten jedoch als Chance auf                mus-Forschung Tübingen (EZFF, Hg.), Jahr-
eine Vereinigung ihrer Insel. Sinn Féin boykottiert             buch des Föderalismus 2018. Föderalismus,
seit Ende 2016 die Bildung einer Regionalregie-                 Subsidiarität und Regionen in Europa, 2018
rung, um für Nordirland einen Sonderstatus inner-            Jellinek, Georg Jelinek: Allgemeine Staatslehre,
halb der EU zu erwirken. Die irische Regierung                  Berlin 1914.
hat diesen Plan übernommen, obwohl er einen                  Riedel (2018b), Sabine, Katalonien: die europäi-
Sezessionskonflikt heraufbeschwört, der bereits                 sche Dimension eines Regionalkonflikts, in:
eine von Gewalt gezeichnete Geschichte hat.                     Jahrbuch des Föderalismus 2018, 2018, S.
Selbst der EU-Verhandlungsführer Michel Bar-                    309-321.
nier besteht auf dem Backstop, dem zufolge                   Riedel, Sabine, Streit um nationale Identitäten.
Nordirland vom EU-Binnenmarkt „aufgefangen“                     Der Separatismus zielt auf eine „kulturelle“
wird, sollte es keine vertragliche Einigung über                Neuordnung Europas, Zeitschrift für Politik-
die zukünftigen Grenzkontrollen geben. Damit                    wissenschaft, in; Zeitschrift für Politikwissen-
verlangt er stellvertretend für die gesamte EU                  schaft, Vol. 28/2018, Forum, 12.07.2018.
nichts weniger von London als den Verzicht auf               Riedel, Sabine, Föderalismus statt Separatis-
einen Teil seiner Souveränitätsrechte.                          mus. Politische Instrumente zur Lösung von
    Wie bereits oben ausgeführt, hat das Beispiel               Sezessionskonflikten in Europa, SWP-Stu-
Nordirland aus Sicht der Separatisten Modellcha-                dien 2016/S 05.
rakter. Denn dahinter steht das Konzept einer                Riedel, Katalonien ist nur der Anfang. Steigen-
staatlichen Neuordnung Europas entlang kultu-                   des Konfliktpotential von Unabhängigkeitsbe-
reller Diversitäten. Doch ist dies keineswegs in-               wegungen in der Europäischen Union, in:
novativ wie gern behauptet. Es ist rückwärtsge-                 Forschungshorizonte Politik & Kultur 8/2017.
wandt, weil damit ein Nationsbegriff aus dem 19.

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