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Leserbrief Replik auf den „Letter to Editor: Series of articles by T. Bertsch and G. Erbacher culminating in Lipoedema – myths and facts, Part 5: European Best Practice of Lipoedema – Summary of the European Lipoedema Forum Consensus“ Erneut ein Leserbrief aus den USA und er- Johansson sowie Hakan Brorson angehö- the past but we caution against adopting neut einer, der von einer US-amerikani- ren, hat darüber hinaus auch alle 5 Teile new hypotheses that have not themselves schen Patientenselbsthilfegruppe getra- der Artikelserie „Lipödem – Mythen und been scientifically validated, and treating gen wird, diesmal DER ANDEREN in Fakten“ [6–10] inklusive des in Teil 5 ent- them as established or proven. We prefer to unserer letzten Replik [1] bereits erwähn- haltenen European Consensus auf der offi- acknowledge comorbidities with lipedema ten Selbsthilfegruppe: „Lipedema Simpli- ziellen Homepage der SFL verlinkt [11]. addressing them in the present without as- fied“ [2] bzw. dem damit aufs Engste Neben den beschriebenen Gemeinsam- cribing causal relations.“ verwobene „The Lipedema Project“ [3]. Es keiten – über die wir uns freuen – kritisie- Die beiden im European Consensus on lohnt sich, einen Blick auf diese sehr an- ren die Leserbriefautoren im Wesentlichen Lipedema genannten wesentlichen Ko- sprechend gestaltete Website zu werfen, 4 Punkte der Artikelserie bzw. des Europe- morbiditäten des Lipödem-Syndroms sind um eine Ahnung davon zu haben, welches an Consensus, die sich teilweise mit der Adipositas sowie Erkrankungen aus dem merkantile, aber auch professionelle Kritik des Leserbriefes von Karen Herbst psychischen Spektrum, wie z. B. Depres- Know-how hinter dieser – so die Autoren and friends decken. Wiederholungen in sionen oder Essstörungen. Zur Adipositas des Leserbriefs – „Non-Profit“- Organisa- dieser Replik mit der Replik auf den schreibt der Consensus im „Diagnostic Ap- tion steckt. Die Mitgliederzahl dieser Herbst-Leserbrief [1] lassen sich daher proach“: „Overweight/obesity is an aggra- Organisation wird mit 21 500 beziffert, nicht vermeiden. Generell spiegelt auch vating factor of Lipoedema … Conclusion: nachprüfbar war dies für uns nicht, eine dieser Leserbrief die US-amerikanische Obesity/weight gain must me focused entsprechende Referenz wurde nicht ge- Sichtweise des Lipödems wider, die man on“ [10]. Mit diesem Statement wurde kei- nannt. auf diese 4 Statements herunterbrechen ne Kausalität hergestellt, allerdings auf die Eine der 5 Leserbriefverfasserinnen, kann: – von Lipödem-Akteurinnen gerne igno- Catherine Seo, Gründerin und Director 1. Adipositas und psychische Störungen rierte – Adipositas als bedeutsamen und von „Lipedema Simplified“, ist auch der Patientin mit Lipödem werden aggravierenden Faktor hingewiesen. Die Gründerin und Co-Director von „The Lipe- (wenn überhaupt) eher als Komorbidi- internationale Datenlage ist hier sehr kon- dema Project“ – gemeinsam mit dem täten betrachtet, nicht als hochrele- sistent. Weit mehr als 80 % der Patien- Liposuktions-Arzt Mark Smith [3]. Die an- vante Lipödem-aggravierende Begleit- tinnen mit der Diagnose Lipödem sind deren Mitverfasserinnen sind auch Akteu- erkrankungen. adipös, ca. 50 % der Patientinnen sind rinnen dieses „Lipedema Projects“, die 2. Als dicker empfundene Beine (im Le- sogar morbid adipös, haben also einen sich zumindest im Leserbrief alle „Presi- serbrief „Dysmorphia“ genannt) wer- BMI > 40 kg/m² [12–17]. Hier die Adiposi- dent“ oder „Director“ nennen. Auf der den – ganz unabhängig von einer Be- tas als entscheidenden Einflussfaktor auf Website von „The Lipedema Project“ fun- schwerdesymptomatik – als Lipödem das Lipödem zu missachten ist vergleich- giert lediglich Leslyn Keith, eine Physiothe- diagnostiziert. Eine Differenzierung in bar mit dem Vorgehen, das eigene Haus rapeutin und Keto-Coach, als President. Lipohypertrophie (die beschwerdefreie brennen zu lassen und stattdessen die Die erstgenannte Verfasserin, Brenda überproportionale Fettgewebsvermeh- Garage zu löschen Gold, wird dort als „Emotional Freedom rung der Beine) und Lipödem wird von Zur psychischen Situation der Lipödem- Coach“, Raeann Sparks als „Keto Coach & der US-amerikanischen Selbsthilfeor- Patientin schreibt der Consensus: Mobility Consultant“ aufgeführt [4]. Ing- ganisation abgelehnt. „Psychological issues are an additional Marie Bohmelin, die sich im Leserbrief 3. Das Lipödem inkludiert eine lymphati- aspect of Lipoedema. Impact of psycholo- ebenfalls „President“ nennt, ist die Leiterin sche Dysfunktion; daher müssen ent- gical distress is underestimated. Psycholo- einer – lokalen – schwedischen SH-Gruppe stauende Maßnahmen wie manuelle gical vulnerability contributes to the und nicht – wie suggeriert – der nationa- Lymphdrainagen zur Therapie einge- amount of pain perception … Conclusion: len schwedischen Patientenvertretung setzt werden. Psychological assessment is a must“ [10]. [5]. IngMarie Bohmelin steht mit ihrer 4. Bariatrische Chirurgie ist keine emp- Auch hier wurde keine Kausalität pos- Haltung ohnehin in scharfem Kontrast zur fehlenswerte Therapieoption – auch tuliert – allerdings auf den profunden Zu- offiziellen nationalen Swedish Lymphede- dann nicht, wenn die Patientin mit sammenhang zwischen psychischer Belas- ma Association (Svensk Förening för Lym- Lipödem schwer adipös ist und einen tung (oft auch manifester psychischer fologi, SFL), die den Erstautor dieser Replik BMI > 40 kg/m² aufweist. Störung) und der Diagnose Lipödem hin- im November 2019 nach Stockholm ein- gewiesen. In einer Untersuchung der geladen hatte, um über die Mythen und Zu 1. Autoren dieser Replik im Europäischen Fakten des Lipödems zu referieren. Der Die US-amerikanische Patientinnenvertre- Zentrum für Lymphologie an 150 Patien- Vorstand der SFL, dem u. a. auch die welt- tung schreibt: „We agree with setting aside tinnen mit der gesicherten Diagnose Lip- weit renommierten Lymphologen Karin unsubstantiated claims and assertions from ödem-Syndrom präsentierten 80 % der e14 Bertsch T et al. Replik auf den… Phlebologie 2021; 50: 14–20 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
Frauen psychische Störungsbilder (meist Depression, Essstörung oder posttrauma- tische Belastungsstörung) oder eine schwere psychische Beeinträchtigung, wie z. B. Burn-out oder chronische Stressbelas- tung. Diese Störungsbilder bzw. schweren psychischen Beeinträchtigungen bestan- den jedoch bereits vor der Entwicklung Lipödem-assoziierter Schmerzen im Weichteilgewebe [18]. Damit kann – for- mallogisch – die Erkrankung Lipödem-Syn- drom nicht Ursache dieser psychischen Belastung sein, was häufig behauptet wird. Darüber hinaus ist auch der Einfluss psychischer Belastungen und Krankheiten auf die Schmerzentstehung sowie auf die Schmerzwahrnehmung breit untersucht und sehr konsistent [19–25]. In unserer Untersuchung an Patientinnen mit Lip- ▶ Abb. 2 Patientin mit morbider Adipo- ödem waren Depression und Essstörungen sitas III°, Adipositas-assoziierten Bein- im Vergleich zur Prävalenz dieser psy- lymphödemen sowie einem Lipödem- ▶ Abb. 1 Patientin mit Lipödem-Syndrom chischen Störungsbilder in der Allgemein- Syndrom. Quelle: Dr. Tobias Bertsch, Föl- und ausgeprägter disproportionaler Fett- diklinik Hinterzarten. bevölkerung [18] vor allem im 12-Mo- gewebsvermehrung der Beine. Quelle: nats-Zeitraum vor der Entstehung der Dr. Tobias Bertsch, Földiklinik Hinterzarten. Lipödem-assoziierten Schmerzsymptoma- anatomically normal that has real, verifiable tik stark erhöht. Auch hier gilt wieder das musculoskeletal consequences in everyday Bild des brennenden Hauses: Psychische dieser Fragen durch das Expertengremium unmittelbar: life and in rehabilitation.“ Erkrankungen und Belastungen müssen Wir bestreiten nicht, dass es Patientin- bei der Betrachtung des Lipödems berück- „Patients with lipoedema suffer to va- rying degrees from: nen gibt, für die diese Beschreibung zu- sichtigt und ins Behandlungskonzept inte- trifft, Patientinnen mit ausgeprägter dis- griert werden. ▪ pain/other symptoms in the soft tissues of the legs or arms proportionaler Fettgewebsvermehrung Manche Patientinnen mit der Diagnose der Beine. ▶ Abb. 1 zeigt eine Patientin, Lipödem mögen noch weitere Komorbidi- ▪ greater psychological vulnerability, which may in turn potentiate the pain bei der der Terminus „Dysmorphia“ durch- täten aufweisen (wie z. B. Bluthochdruck, aus Anwendung finden kann. Allerdings Diabetes mellitus oder ein Lymphödem). ▪ a lack of self-acceptance, mainly be- cause of today’s ideal of beauty sehen wir im Europäischen Zentrum für Diese haben allerdings keinen vergleichbar Lymphologie diese Patientinnen nur sehr relevanten Einfluss auf die Erkrankung ▪ overweight or obesity with numerous attempts at dieting selten – sicherlich weniger als 5-mal, bei Lipödem-Syndrom wie Adipositas und psy- ca. 3500 Patientinnen, die uns jährlich chische Störungen. ▪ a lack of physical exercise and fitness, especially in obese patients“ [10]. ambulant und stationär mit der Diagnose Lipödem zugewiesen werden. Deutlich Zu 2. Von dieser – auch durchaus in Umfragen häufiger sehen wir Frauen mit der Zuwei- Den zweiten Kritikpunkt beginnt die US- an zahlreichen Frauen mit Lipödem bestä- sungsdiagnose Lipödem wie in ▶ Abb. 2, amerikanische Selbsthilfegruppe mit dem tigten – Leidenskonstellation ausgehend für die der Begriff „Dysmorphia“ auch zu- Satz: „Second, we are concerned that in a entwickelte die europäische Experten- treffen könnte, die allerdings 2 weitere field where there is so much uncertainty, the gruppe dann das dargestellte Therapie- lymphologisch relevante und – vorrangig Forum members were forced to admit that konzept. – behandlungsbedürftige Krankheiten „Serious scientific data on the patient’s per- Ausführlich widmet sich der Leserbrief aufweisen: eine morbide Adipositas (mit spective do not exist.“ This is even more wor- dem Begriff „Dysmorphia“, ein Terminus, einem BMI von 58 kg/m²) und Adipositas- rying in that „crucial questions“ the Forum der in diesem Abschnitt 10-mal aufgeführt assoziierte Beinlymphödeme. members articulated were: „What do our pa- wird und damit zeigt, welche Bedeutung Die mit Abstand größte Patientinnen- tients with lipoedema really SUFFER from?“ dieses Symptom für die US-amerikanische gruppe unter den uns von hausärztlichen and „What is the therapeutic goal from the Selbsthilfegruppe hat. Aus deren Sicht und phlebologischen Kollegen zugewiese- patient’s point of view?““ stellt die „Dysmorphia“ das einzige und al- nen Frauen mit der Diagnose Lipödem zei- Offensichtlich wurde hier von den Le- leinstehende Kriterium zur Diagnosestel- gen die ▶ Abb. 3, 4; Patientinnen, bei de- serbriefautoren übersehen, dass unsere lung des Lipödems dar. „Dysmorphia is not nen aus unserer Sicht eher die Erkrankung „crucial questions“ rein rhetorischer Natur a cosmetic issue, but a divergence from the Adipositas als eine (auch additiv) beste- waren, erfolgte doch die Beantwortung Bertsch T et al. Replik auf den… Phlebologie 2021; 50: 14–20 | © 2021. Thieme. All rights reserved. e15
Leserbrief ▶ Abb. 3 Patientin mit Adipositas und ▶ Abb. 4 Patientin mit morbider Adipo- Lipödem-Syndrom. Quelle: Dr. Tobias sitas III° und Lipödem-Syndrom. Quelle: Bertsch, Földiklinik Hinterzarten. Dr. Tobias Bertsch, Földiklinik Hinterzarten. hende Disproportion der Beine ins Auge wort schuldig, welche Kriterien für das Symptom „Dysmorphia“ herangezogen ▶ Abb. 5 47-jährige Frau mit – aus medi- springt. zinischer Sicht – gesunden Beinen. Quelle: Dass das von den Leserbriefschreiberin- werden sollen, wer letztlich darüber ent- Dr. Tobias Bertsch, Földiklinik Hinterzarten. nen geforderte Konzept der „Dysmorphia“ scheidet, ab wann ein Bein wirklich „dys- aber auch durchaus kritisch zu hinterfra- morph“ ist. Die Medien durch das von ih- gen ist, zeigen die – täglich – uns mit der nen propagierte Schönheitsideal? Die Diagnose Lipödem zugeführten Frauen in Patientin selbst? Der absaugende Arzt? ▶ Abb. 5, 6, die einen hohen Leidensdruck Bei Letzterem vermischen sich sicher mer- aufgrund der subjektiv wahrgenommenen kantile Interessen mit medizinischen – was Disproportionalität der Beine aufweisen der Medizin selten guttut. Soll die Patien- (oder um im Jargon der Leserbriefschrei- tin entscheiden? Nur äußerst wenige Frau- ber zu bleiben: an „Dysmorphia“ leiden) en, die der Erstautor dieser Replik in seiner und eine Befürwortung zur Liposuktion er- lymphologischen Ambulanz sieht, zeigen bitten. – aus subjektiver Sicht des Untersuchers – Nebenbei bemerkt: Beide Patientinnen eine dysmorphe Beinkonfiguration. Aller- in den ▶ Abb. 5, 6 äußerten weder im Rah- dings empfinden nahezu alle der überwie- men der Anamnese noch bei der klini- senen Frauen die Konfiguration ihrer Beine schen Untersuchung eine Schmerzsymp- als disproportional bzw. „dysmorph“. Im tomatik, sodass wir weder die für die Übrigen teilen auch die häufig mitanwe- Diagnose Lipödem notwendige Dispropor- senden Partner der Frauen (die der unter- tionalität noch das ebenso erforderliche suchende Erstautor regelmäßig mitbe- Kriterium „Beschwerden“ klinisch nach- fragt) nicht deren kritischen Blick auf die vollziehen konnten. Auch diese im Europä- Beine ihrer Partnerinnen. ischen Consensus definierten Diagnosekri- Während des lymphologischen Welt- terien werden von den US-amerikanischen kongresses (des ILF) 2018 in Rotterdam Akteurinnen nicht akzeptiert: „we cannot begann der Erstautor dieser Replik seinen ▶ Abb. 6 22-jährige Frau mit – aus medi- agree with the division of associated dysmor- Vortrag zum Thema „Mythen und Fakten zinischer Sicht – gesunden Beinen. Quelle: phia into two diagnostic categories: lipede- des Lipödems“ mit der Frage ins Publikum: Dr. Tobias Bertsch, Földiklinik Hinterzarten. ma and lipohypertrophy.“ „Who of you are happy with your legs?“ Im Noch einmal zurück zum Dysmorphia- Publikum saßen etwas 500 Zuhörer, in der Konzept der US-Amerikanerinnen: Die Au- Mehrheit Zuhörerinnen – wohlgemerkt torinnen des Leserbriefes bleiben die Ant- keine Patientinnen, sondern Therapeutin- e16 Bertsch T et al. Replik auf den… Phlebologie 2021; 50: 14–20 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
nen, Ärztinnen, Wissenschaftlerinnen. eine Lymphabflussschwäche haben [28]. So präsentieren in der Arbeit von Lohr- Fünf Hände gingen in die Höhe, das ent- Die Autoren der Studien fanden erhöhtes mann et al. 8 der 13 untersuchten Patien- sprach in etwa auch der Gegenprobe. Sodium im Gewebe der untersuchten Pa- tinnen die nicht korrekte Diagnose „Lipo- Dies macht eines deutlich: Wir haben es tientinnen und stellten fest: „Skin sodium lymphödem“, die aber darauf hinweist, beim Thema „Frauenbeine“ sicher nicht accumulation is an ermerging hallmark of dass auch Patientinnen mit Lymphödem – regelmäßig mit einem medizinischen, inflammatory diseases and cardiovascular und damit schon klinisch nachweisbarer sondern häufig auch mit einem gesell- risk factor“ [26]. Dieser Befund stützt un- Lymphabflussschwäche – in die Studie auf- schaftlichen Phänomen zu tun. sere in mehreren Publikationen dargelegte genommen wurden [30]. Darüber hinaus Wir stimmen den Schreiberinnen des Auffassung, dass dem Lipödem eine „low wurden keine Angaben zum BMI der Pa- Leserbriefes zu, dass Frauen mit Lipödem grade inflammation“ des Fettgewebes tientinnen gemacht, sodass der Einfluss Expertinnen ihrer eigenen Lebens- und Lei- zugrunde liegt [7, 10, 17]. der Adipositas auf das Lymphödem unklar denswirklichkeit sind – genauso übrigens Von den Ergebnissen dieser Untersu- bleibt. In der zweiten aufgeführten Arbeit wie Frauen mit Depressionen, Brustkrebs, chung aber darauf zu schließen, dass das (Forner-Cordero I. et al) bekennen die Lymphödemen oder Polyarthrose (ohne, Lipödem eine lymphatische Dysfunktion Autoren selbst, dass „because of a lack of dass wir uns hiermit auf eine „Was ist die und daraus folgend ein Ödem inkludiert; a test of diagnostic certainty of lipedema schlimmere Krankheit“– Diskussion einlas- ein Ödem, welches mit MLD entstaut wer- we may have included patients with lym- sen wollen). Allerdings – und das unter- den muss, ist ein gewagter pathophysiolo- phedema instead of lipedema and would scheidet die „Lipödem-Patientinnen- gischer Kunstgriff, der durch nichts belegt justify the lymphoscintigraphic findings“ Bewegung“ von den genannten und allen ist. [31]. Die bei Forner-Cordero untersuchten anderen Erkrankungen – entscheiden Auch der in Lipödem-Foren gerade pro- Frauen waren bis 80 Jahre alt. Es ist gut be- dort Ärzte und wissenschaftlich fundierte pagierte PF4-Biomarker wurde im ersten legt, dass mit zunehmendem Alter auch Fakten über Krankheitskonzepte und The- US-amerikanischen Leserbrief bereits er- bei gesunden Menschen die lymphatische rapie und nicht Sichtweisen oder Wünsche wähnt. Damit soll, so die Autoren um Stan- Funktion nachlässt. Entscheidend hierbei von Patientinnen; Patientinnen, die (sicher ley Rockson von der Stanford University, sind der altersbedingte Verlust der Glyko- auch aufgrund ärztlicher Fehlinformatio- gezeigt werden, „that in lipedema, lym- kalyx sowie die vermehrte Produktion von nen!) glauben, dass manuelle Lymphdrai- phatic disfunction plays a role“ [27]. proinflammatorischen Zytokinen, die die nagen und Liposuktion für das Lipödem In einem Webinar, das von Lipedema Permeabilität der Lymphgefäße erhöhen zwingend notwendige Therapieoptionen Simplified (bzw. vom Lipedema Project) [32]. Auch bei der dritten von den Leser- darstellen. organisiert wurde, interviewt Catherine briefverfassern angegebenen Arbeit [33] Seo, eine der Leserbriefverfasserinnen, beträgt das Durchschnittsalter der Frauen Zu 3. Stanley Rockson zu diesem Thema. 54,8 Jahre, der durchschnittliche BMI liegt Die Leserbriefautoren schreiben: „Third, Rockson zeigt hier eine von ihm als Lip- bei 35,9, auch hier werden wieder Patien- contrary to the view of this series, evidence ödem diagnostizierte Patientin, die erhöhte tinnen mit der nicht korrekten Diagnose of an edema component in lipedema conti- PF4-Werte aufweist. Tatsächlich leidet die „Lipolymphödem“ untersucht – alles Krite- nues to mount. Several imaging studies von ihm dargestellte Patientin vorrangig an rien, die die Aussagekraft erheblich ein- have shown damaged lymphatics in a signi- einem ausgeprägten LYMPHÖDEM – ver- schränken. Überhaupt liest sich die Arbeit ficant proportion of women with lipedema mutlich Adipositas-assoziiert, mit deutli- der Kollegen der Plastischen Chirurgie des independent of severity of their condition.“ cher Stauungsdermatose. Wir glauben ger- Keck Medical Centers aus Los Angeles, die Hervorgehoben werden hier die Studie ne, dass bei DIESER Patientengruppe eine ihren Patientinnen mit Lipödem gerne von Crescenzi et al. [26] sowie der gerade lymphatische Dysfunktion vorliegt. Die gleich 2 Operationen anbieten, wie eine von Stanley Rockson et al. propagierte Bio- richtige Diagnosestellung, konkret die Werbeschrift: „A combination of lympho- marker PF4 [27]. Differenzierung der Krankheit Lymphödem venous anastomosis and debulking sur- In der Studie von Crescenzi wurden von der Krankheit Lipödem, ist aber unab- gery, for expample, has been performed 10 Frauen mit der Diagnose Lipödem mit- dingbare Voraussetzung, um zu validen at our institution can offer improvement tels spezialisierten MRT-Messungen unter- und seriösen Studienergebnissen zu kom- in physiologic drainage of excess lympha- sucht. Eingeschlossen wurden hierbei men. Interessierte an diesem kurzen Video- tic fluid and removal of excess adipose auch Frauen mit einem sog. „Lipolymph- clip von Rockson dürfen gerne den Erst- tissue, respectively“ [33]. Wie bereits an ödem“ (eine Diagnose, die ohnehin nicht autor dieser Replik um Zusendung bitten. anderer Stelle vermerkt, gilt auch hier: korrekt ist [6, 17, 28], die aber verdeut- Alternativ kann auch das gesamte Webinar „Money makes the world go round“ [1]. licht, dass die untersuchten Frauen additiv von Catherine Seo angeschaut werden [29] Noch einmal zum US-amerikanischen zum Lipödem auch an einem Lymphödem Darüber hinaus zeigen auch die ande- Lipödem-Weltbild und der angeblichen „evi- litten). Darüber hinaus wurden schwer adi- ren von den Leserbriefautoren in diesem dence of an edema component in lipedema“. pöse Patientinnen mit einem maximalen Kontext aufgeführten Studien die bereits Ödeme sind bekanntlich definiert als BMI von 48,9 kg/m 2 eingeschlossen (in in unseren anderen Arbeiten genannten „abnorme Flüssigkeitsansammlung“ im der Kontrollgruppe lag dieser nur bei Schwächen [7, 17] und sind daher in kei- Gewebe [34]. Bisher konnten allerdings 38,6!), die per se schon aufgrund ihrer Adi- ner Weise geeignet, die gemachten Be- weder klinische Untersuchungen noch positas ein deutlich erhöhtes Risiko für hauptungen zu untermauern. Bildgebungen jemals ein relevantes Ödem Bertsch T et al. Replik auf den… Phlebologie 2021; 50: 14–20 | © 2021. Thieme. All rights reserved. e17
Leserbrief bei Patientinnen mit Lipödem-Syndrom (und vor allem auch Ernährungsverhalten) Darüber hinaus ist die Datenlage zum nachweisen [7]. Eine multizentrische Stu- nur den allerwenigsten Menschen mit der Langzeiterfolg der bariatrischen Chirurgie die mit hochauflösendem Ultraschall bei Krankheit Adipositas gelingt. Die Studien- bei morbider Adipositas sehr konsistent Patientinnen mit der Diagnose Lipödem lage zur konservativen Therapie der Adipo- und überzeugend [49–57]. Eine aktuelle fand keinen Nachweis für Flüssigkeit im sitas ist, man kann es nicht anders be- Untersuchung des Universitätsklinikums Weichteilgewebe der Beine [35]. In einer zeichnen, desaströs. Freiburg gemeinsam mit dem Europäischen 2020 erschienenen Studie, in der Patien- So nehmen je nach Studie zwischen 80 Zentrum für Lymphologie in Hinterzarten tinnen mit Lipödem-Syndrom mittels und 99 % aller Patienten, die auf konserva- zum Effekt der bariatrischen Operation bei MR-Lymphografie untersucht wurden, tive Weise Gewicht abnehmen, dieses schwer adipösen Patientinnen mit Lip- konkludieren die Autoren: „The fat tissue Gewicht im Langzeitverlauf wieder zu ödem-Syndrom zeigt den guten Erfolg die- was homogenous, without any signs of [39–46]. Gerade bei Frauen führen Ge- ser Therapieoption und bestätigt UNSERE edema in pure lipedema patients“ [36]. wichtsreduktionsversuche, die im Jugend- seit 2008 bestehenden äußerst positiven Auch in histologischen Untersuchungen alter begonnen wurden, zu einer oft jahr- Erfahrungen mit diesem Patientengut auch wurde niemals die Präsenz eines Ödems zehntelang andauernden Diätspirale mit wissenschaftlich [58]. beschrieben [7]. Reich-Schupke, Altmeyer stetigem Gewichtsanstieg [47]. Die jetzt hier debattierten Differenzen und Stücker schrieben bereits 2012 in ei- Beim Lipödem ist der Rat zur konserva- dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, nem bemerkenswerten Artikel: „Der Be- tiven Gewichtsreduktion besonders tü- dass es durchaus auch Gemeinsamkeiten griff „Lipödem“ ist eigentlich irreführend, ckisch. Studien der Universität Hohenheim in den Auffassungen der US-amerikani- da es sich nicht um ein Ödem, also um haben ergeben, dass Frauen (im Gegen- schen Lipödem-Akteurinnen und den eine Flüssigkeitseinlagerung im Gewebe satz zu Männern) nach einer Gewichtsab- unseren gibt. handelt“ [37]. Dies wurde auch von den nahme überproportional im Bereich der Beide Autorengruppen sind sich einig Autoren der niederländischen Lipödem- unteren Körperhälfte ihr Gewicht wieder darüber, dass die im Europäischen Consen- Leitlinie bestätigt, in der sie den Terminus zunehmen [48] – und wie oben dargelegt, sus beschriebenen inflammatorischen Pro- Lipödem als unglücklich („unfortunate nimmt die weitaus große Mehrheit der zesse die pathophysiologische Grundlage term“) beschreiben, da er Flüssigkeit im Diätteilnehmer ihr abgenommenes Ge- des Lipödems darstellen, und dass psy- Gewebe suggeriert, wo keine Flüssigkeit wicht wieder zu. Mit anderen Worten: chische Belastungen sich negativ auf zu finden ist [38]. Das European Lipoede- Jede Empfehlung an die Lipödem-Patien- diesen inflammatorischen Verlauf auswir- ma Forum – eine hochrangig besetzte in- tin, Gewicht abzunehmen, erhöht das Risi- ken können. Beide Autorengruppen sind ternationale Expertengruppe aus 7 euro- ko einer weiteren Fettgewebszunahme im darüber hinaus der Auffassung, dass ein päischen Ländern – resümierte in einem Bereich der Beine – und damit auch das Lipödem nichts mit Schuld oder Versagen vielbeachteten Consensuspapier: „There is Risiko einer Zunahme der Beschwerden. der Patientin zu tun hat, wenngleich wir no scientific evidence that Lipoedema is an Dennoch empfehlen die Schreiber des dies offener und direkter ansprechen. „oedema problem‘“ (Hervorhebung im Leserbriefes „metabolische Therapien Dies erlaubt, die komplexe Beschwerde- Original) [10]. Dieser European Consensus (gemeint ist hier die Keto-Diät), „even problematik (z. B. auch die Adipositas wird inzwischen von Key Opinion Leaders for patients with lipoedema and a BMI oder bestehende psychische Störungen) aus 10 europäischen Ländern unterstützt of > 40 kg/m2.“ Studien, die diesen Ansatz zielbewusst zu fokussieren. [17]. Last but not least: Prof. Hugo im Langzeitverlauf unterstützen, werden Frauen mit Lipödem-Syndrom sind Ex- Partsch, einer der renommiertesten Phle- nicht genannt. pertinnen ihrer eigenen Lebens- und Lei- bologen weltweit, stellt in seinem Vorwort Stattdessen wird, wie bereits im Leser- denswirklichkeit – auch dem stimmen wir in dem inzwischen auch international pub- brief von Karen Herbst and friends, die ba- zu. Unser Bestreben liegt allerdings auch lizierten International Consensus Docu- riatrische Operation äußerst kritisch beur- darin, Patientinnen – in dem bestehenden ment fest: „…lipoedema neither include teilt. Chaos der Miss- und Desinformation zu oedema nor is there any evidence for lym- „We disagree that, ‘It has been shown diesem Krankheitsbild – nicht allein zu phatic insufficiency. For this reason, de- that bariatric surgery is the most effective lassen, sondern sie auf dem Boden wissen- congestive lymphatic therapy is an inade- treatment for losing weight’.“ Begründet schaftsbasierter Erkenntnisse in dieser quate treatment for patients with pure wird diese ablehnende Haltung zur Adipo- Lebens- und Leidenswirklichkeit unterstüt- lipoedema“ [17]. sitas-Chirurgie mit: „This is not our experi- zend zu begleiten. ence.“ Es fällt auf, dass die Leserbriefschrei- Zu 4. berinnen in diesem Abschnitt auffällig Einigkeit besteht erfreulicher darin, dass viele Formulierungen wie „in our experi- Interessenkonflikt temporär durchgeführte Diäten unbe- ence“, „we believe“, „patients often say“ dingt vermieden werden sollen. „Indeed, benutzen. Dafür, dass zu Beginn des Leser- Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein dietary intervention must constitute a life- briefes wissenschaftliches Vorgehen ange- Interessenkonflikt besteht. long change.“ Dieser Sichtweise stimmen mahnt wurde, erscheinen uns diese Glau- wir grundsätzlich zu, allerdings zeigt die bensbekenntnisse der Verfasserinnen gelebte Wirklichkeit, dass diese lebenslan- bemerkenswert. ge Umstellung auf gesunde Ernährung e18 Bertsch T et al. Replik auf den… Phlebologie 2021; 50: 14–20 | © 2021. Thieme. All rights reserved.
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