RETTUNGSDIENST-Leserkonferenz: Fragen und Antworten
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RET TUNGSDIENST Abb. 1: Die Disku- tierenden während der RETTUNGS- DIENST-Online-Leser- konferenz RETTUNGSDIENST-Leserkonferenz: Fragen und Antworten Am 28. Januar 2021 wurde im Deutschen Bundestag die Reform des Notfallsanitätergesetzes (NotSanG) verabschiedet, der Bundesrat hat am 12. Februar 2021 zugestimmt. Mit der Veröffentlichung im Bun- desgesetzblatt am 3. März 2021 sind die Änderungen in Kraft getreten. Am 24. Februar 2021 war der neue Gesetzestext Thema einer längeren RETTUNGSDIENST-Online-Leserkonferenz. In der von RETTUNGSDIENST-Redaktionsmitglied Sebastian Jürgen moderierten Diskussion reichte die Zeit nicht aus, um die Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an die Experten (Tab. 1) beantworten zu lassen. Daher dokumentieren wir sie im Folgenden. Peter Lorenz, Notfallsanitäter: Neben dem ersten bildung verfassungsgemäß in der Verantwortung der Schritt in einer hoffentlich weiterhin folgenden Anpas- Länder und müssen über dort zu erlassende Landes- sung von Gesetzen und Paragrafen müsste auch in gesetze geregelt werden. Entsprechende Regelungen Punkto Fort- und Weiterbildung Fahrt aufgenommen über das Notfallsanitätergesetz, das der Bundesge- werden. Denn zum Kompetenzerhalt und dem Wort setzgebung obliegt, wären hier zunächst zu prüfen, „beherrschen“ gehört nun mal Training, Training, da es sich beim NotSanG um ein Ausbildungsgesetz Training – hochwertig, qualitativ zielgerichtet und handelt. Notwendig ist es, jetzt im Rahmen der Lan- oft. Konkret die Frage: Wird es eine (bundesweite?) desrettungsdienstgesetze entsprechend verbindliche gesetzliche Definition von Stunden und Zielen der Regelungen zu treffen. Fort- und Weiterbildungen geben (anknüpfend an (Not-)Ärztl. Vorgaben)? Dahmen: „Eine Änderung des BtMG ist notwendig, um Notfallsanitäterinnen Dahmen: Vonseiten der Bundesregierung ist nicht und Notfallsanitätern die Ausübung ihrer zu erkennen, dass es entsprechende Pläne für bun- Kompetenzen auch rechtlich zu ermöglichen.“ desweit harmonisierte Inhalte und Ausgestaltungen Autor: in der Fort- und Weiterbildung geben soll. Ich würde Stephan Heinrich, NFS, PAL, Dresden: Was wird Klaus von Frieling Postfach 1361 hier mehr Verbindlichkeit begrüßen, allerdings sind diese Gesetzesänderung für Auswirkungen in Bezug 26183 Edewecht Fragen der Berufsausübung und der Fort- und Weiter- auf das BtMG haben? frieling@skverlag.de 4 · 2021 I 44. Jahrgang I Rettungsdienst I 315 I 15a I
RET TUNGSDIENST Dahmen: In meinen Augen ist eine Änderung des rettungsdienstlichen Fort- und Weiterbildungen. Betäubungsmittelgesetzes notwendig, um Notfall Letztendlich müssen wir aber ehrlich sein und zuge- sanitäterinnen und Notfallsanitätern die Ausübung ben, dass wir aktuell (sowohl in der Berufsausbil- ihrer Kompetenzen auch rechtlich zu ermöglichen. dung als auch in der Fort- und Weiterbildung) häufig Darum würde ich mich sehr dafür stark machen. Wissen und Können vermitteln und auch akzeptabel Ich sehe aber leider nicht, dass es hierzu aufseiten messen können, allerdings noch nicht gut in der Lage der Bundesregierung zu weitergehenden Regelungen sind, berufliche Handlungskompetenz im Sinne des kommen soll. Beherrschens zu messen. Holger Matthies: Wie weisen Sie das Beherrschen Holger Matthies: Ich sehe den § 2a NotSanG als eine letztendlich nach? Aus meiner Sicht ist das gerade nun erstmals ausgesprochene „Befugnis“, Heilkunde nicht eindeutig und rechtssicher definiert. Genau das in dem dort definierten Rechtsrahmen auszuüben. Das ist aus meiner Sicht eine klare Aufgabe, die die Schule ergibt sich nun ja auch aus der Gesetzesbegründung. lösen kann und muss – zumindest für den Zeitpunkt Damit kommt der „Befähigung zu dieser Befugnis“ der Staatsprüfung. der Berufsausbildung an den Berufsfachschulen eine noch größere Bedeutung zu. Sehen Sie daher die Not- Heringshausen: Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, wendigkeit, dass die Bundesländer hier weitaus mehr denn der Aspekt des „Beherrschens von Maßnah- „Substanz“ für die Berufsausbildung bereitstellen? Es men“ beinhaltet mindestens umfängliches Diskussi- wäre meiner Ansicht nach dringend notwendig, hier onspotenzial. Einerseits durch die darin implizit ent- konkreter geeignete Rahmenlehrpläne auszufertigen haltene hohe Anforderung an Notfallsanitäterinnen und insbesondere auch die Aufsichtsbehörden zu und Notfallsanitäter und zum anderen durch die feh- „ertüchtigen“. Eine Schulaufsicht auf kommunaler lende eindeutige bildungswissenschaftliche Definition Ebene (vgl. NRW) sehe ich daher gerade aus o.g. des Begriffs „Beherrschen“. Die Frage, die sich für Gründen nun als obsolet an. die Praxis stellt, ist: Wann beherrsche ich nun eine Maßnahme, sodass mir die Anwendung zugestanden Heringshausen: „Die Frage nach Möglichkeiten wird? Die Formulierung, „dass Notfallsanitäterinnen der Definition und der Dokumentation ist und Notfallsanitäter die anzuwendenden Maßnahmen elementar für die Praxis im Hinblick auf den beherrschen, haben sie in aller Regel mit dem Beste- Nachweis des ‚Beherrschens‘.“ hen der staatlichen Prüfung nachgewiesen“, ist da eher wenig hilfreich und m.E. nicht rechtssicher. Die Heringshausen: Die Verantwortung und die Bedeu- abschließende staatliche Prüfung allein reicht dafür tung der Berufsfachschulen haben seit dem Jahr 2014 bei weitem nicht aus. Rettungsdienstliche Handlungs- stetig zugenommen. Die Schulen sind mit ihrem Bil- kompetenz entwickelt sich erst über die Dauer der dungsauftrag und ihrer Aufgabe im Hinblick auf die Berufstätigkeit und die regelmäßige nachgewiesene Professionalisierung des Berufsbildes in den letzten Praxiserfahrung und zusätzlich durch die jährlichen Jahren gewachsen. Die Qualität der Ausbildung legt das Fundament für die spätere Entwicklung der nach Tab. 1: Teilnehmer der RETTUNGSDIENST-Online-Leserkonferenz § 2a NotSanG notwendigen beruflichen Handlungs- Dr. Janosch Dahmen Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die kompetenz. Kompetenzorientierte Rahmenlehrpläne Grünen, Oberarzt in der Ärztlichen Leitung des setzen hier bereits während der Ausbildung den wich- Rettungsdienstes Berlin für die Berliner Feuerwehr tigen Impuls für den notwendigen kumulativen Kom- Prof. Dr. Gordon Professor für Gesundheitswissenschaften, Akkon- petenzerwerb. Es steht außer Frage, dass die dafür Heringshausen Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin, notwendigen Strukturen und Prozesse zu initiieren Notfallsanitäter und Praxisanleiter und zu schaffen sind. Die Länder und auch der Bund Dr. Ralph Kipke Leiter Aus- und Fortbildung Rettungsdienst Dresden sind hier eindeutig in der Pflicht. Marco K. König 1. Vorsitzender des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst (DBRD) und Notfallsanitäter Johannes Neumann: Wie ist der Begriff Beherrschen Dr. Florian Reifferscheid Vorsitzender der Bundesvereinigung der Arbeitsge- bei Notärzten geregelt? Wie wird er da definiert und meinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND) wann wird angenommen, wann etwas beherrscht wird? Bernd Spengler Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht Hendrik Sudowe Dipl.-Gesundheitslehrer, Notfallsanitäter und Heringshausen: Die Frage lässt sich nicht einfach RETTUNGSDIENST-Redaktionsmitglied und nicht in ein paar Sätzen beantworten. Medizin- Ralf Tries Direktor des Amtsgerichts Montabaur, Rettungsas- studierende qualifizieren sich bundesweit an Hoch- sistent sowie RETTUNGSDIENST-Redaktionsmitglied schulen im Rahmen eines Medizinstudiums für die I 16a I 4 · 2021 I 44. Jahrgang I Rettungsdienst I 316
RET TUNGSDIENST spätere Tätigkeit als Arzt oder Ärztin. Die ärztliche Handlungsfähigkeiten) und zudem adäquate Mög- Grundausbildung ist dabei nach Richtlinie 2005/36/ lichkeiten zur Kompetenzmessung. Daran mangelt es. EG des Europäischen Parlaments und des Rates geregelt. Die Studiengänge orientieren sich dabei an Benjamin Bastl: Nachdem die Modellklausel für eine hochschulinternen Lernzielkatalogen oder aber auch akademische Ausbildung im NotSanG verankert ist, modular aufgebauten Curricula. Der spätere Auf scheint mir dies die einzige Möglichkeit zu sein, das gabenbereich notärztlich tätiger Ärztinnen und Ärzte Beherrschen (oder wie auch immer man das nennen wird dazu ferner in den Landesrettungsdienstgeset- möchte) im jetzigen Sinne des § 2a sicherzustellen, zen beschrieben und angelegt. In der Regel benötigen da in vielerlei Hinsicht und teilweise zu Recht die sie dafür die Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“. Dauer und Struktur der Ausbildung diesbezüglich als Der Bundesverband der ÄLRD Deutschland e.V. ungeeignet angesehen werden. Wie sehen Sie diesen hat im Jahr 2018 zur „WBO Notfallmedizin“ eine Aspekt? Ergänzung herausgegeben, die Informationen zum Arbeitsplatz Notarzt/Notärztin im öffentlichen Ret- Heringshausen: Die Modellklausel im NotSanG tungsdienst als Beitrag zur Novellierung der WBO hinsichtlich der akademischen Ausbildungsmöglich- zur Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“ enthält. keit gibt dem Berufsbild Notfallsanitäterin/Notfall Hier finden Sie auch eine Einlassung zum Begriff sanitäter besonders über den Merkmalansatz eine „Beherrschen“. wichtige Orientierung, und sie ermöglicht somit sicher einen Professionalisierungsschub. Eine akademische Matthias Buley: Das Wort „Beherrschen“ ist nach Ausbildung im Rettungsdienst ist m.E. neben der dem NKLM aus dem Humanmedizinstudium der Berufsausbildung eine weitere Möglichkeit, sowohl höchste Grad der Expertise. Nach dem Vorschlag des eine zusätzliche Kompetenzsteigerung zu erzielen als BV ÄLRD Deutschland e.V. allerdings nur die dritte auch eine Steigerung von beruflicher Autonomie und Stufe. Die vierte wäre der Experte. Ich denke sehr beruflichen Einfluss zu erreichen. Die zunehmende wohl, dass das Beherrschen vieler der Maßnahmen nichtärztliche Akademisierung im Gesundheitswesen aus dem Pyramidenprozess erreichbar ist in der Aus- wird somit zu einem Baustein der beruflichen Ent- bildung und im Übrigen auch dokumentier- und nach- wicklung und des beruflichen Selbstverständnisses weisbar. Nicht ohne Grund definieren die Leitlinien in einem gestuften Bildungssystem. Ich begrüße dies aktuell diese Kompetenzstufen nach der Anzahl der ausdrücklich. Durchführung. Wie kann man den Grad des Beherr- schens definieren und dokumentieren? Kipke: „Nach meiner Erfahrung gibt es große Unterschiede bei den zu Heringshausen: Die Frage nach Möglichkeiten der Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern Definition und der Dokumentation ist elementar nachqualifizierten Rettungsassistentinnen für die Praxis im Hinblick auf den Nachweis des und Rettungsassistenten.“ „Beherrschens“. Dazu ist zu wissen, dass die für das „Beherrschen“ notwendige Kompetenzentwicklung Dirk Damuszis: Wie definieren Sie als Experte den immer nur im Kontext der Lebens- und Arbeitswelt Begriff „beherrschen“? stattfinden kann. In unserem Verständnis von Kom- petenzen schließen wir zwar Wissen, Fertigkeiten und Heringshausen: Bildungswissenschaftlich ist der Qualifikationen ein, aber wir sollten den Kompetenz- Begriff des „Beherrschens“ nicht eindeutig definiert. begriff nicht nur darauf reduzieren. Im Hinblick auf In Anlehnung an Erpenbeck verstehe ich darunter das rettungsdienstliche Beherrschen von Maßnahmen die Fähigkeit von Notfallsanitäterinnen und Notfall- bedeutet dies, dass wir von einer Handlungsfähigkeit sanitätern, ihr erworbenes Wissen und ihr Können sprechen, die in offenen, unsicheren und komple- so zu verbinden, dass rettungsdienstliche Aufgaben xen Notfallsituationen ein zielgerichtetes Handeln den Anforderungen gemäß selbstständig, eigenver- für Notfallsanitäter und Notfallsanitäterinnen erst antwortlich und situationsgerecht zu bewältigen ermöglicht. In diesem Zusammenhang sind unsere sind. Kompetente Notfallsanitäterinnen und Notfall bisherigen Bemühungen, in rettungsdienstlichen Fort- sanitäter zeichnen sich demzufolge dadurch aus, dass und Weiterbildungen Wissen und Kompetenz zu ver- sie auf der Grundlage von Wissen, Fertigkeiten und mitteln bzw. zu entwickeln, kritisch zu hinterfragen. Fähigkeiten auch in neuen, offenen, unüberschau- Zukünftige Fortbildungen benötigen einerseits die baren und dynamischen Notfallsituationen zu einem ganzheitliche Verknüpfung von Theorie und Praxis selbstorganisierten und zielgerichteten Handeln im (dies ist zwingend erforderlich für die Entwicklung Rettungsdienst in der Anwendung heilkundlicher von Wissen, Fertigkeiten und rettungsdienstlichen Maßnahmen befähigt sind. 4 · 2021 I 44. Jahrgang I Rettungsdienst I 317 I 17a I
RET TUNGSDIENST Helmar Berger: Wenn die Jahresfortbildung über- Valentin Slomka, Notfallsanitäter: Wie soll man dacht werden sollte, sollte man dann nicht über kon- mit ÄLRD umgehen, die den Pyramidenprozess nicht tinuierliches CRM für Notfallsanitäter nachdenken, anerkennen und viele Maßnahmen verbieten? Nach um die Maßnahmen handwerklich zu trainieren? Anwendung invasiver Maßnahmen melde ich diese über einen Rückmeldebogen. Im Anschluss werde ich Kipke: In den Jahresfortbildungen sind komplexe gerügt und befürchte dann, dass der ÄLRD meinen Fallsimulationen zu integrieren. Dabei ist das situa- Chef informiert (noch nicht passiert). tionsgerechte Anwenden heilkundlicher Maßnahmen und der Regeln des Crisis Resource Management Reifferscheid: Eine pauschale Beantwortung Ihrer wesentlicher Bestandteil. Frage ohne Kenntnis der lokalen Gegebenheiten ist m.E. nicht möglich. Unser Ziel muss es sein, den Michael Göschel: Wie sehen Sie den „Beherrschen- Pyramidenprozess als breit aufgestelltes, interprofes- Nachweis“ bei Qualifizierung über die Ergänzungs- sionelles Gremium jetzt erst recht mit neuem Leben prüfung? zu füllen und die einzelnen Maßnahmen und Prozesse einer ebenso konstruktiven wie kritischen Reevalu- Kipke: Nach meiner Erfahrung gibt es große Unter- ation zu unterziehen. Dabei sollte der Pyramiden schiede bei den zu Notfallsanitäterinnen und Notfall- prozess so transparent sein, dass seine Umsetzung sanitätern nachqualifizierten Rettungsassistentinnen für alle Beteiligten nachzuvollziehen und realistisch und Rettungsassistenten. Es ist die Aufgabe der Qua- ist. Daneben sollten Politik und Rettungsdienstträger litätssicherung, Defizite zu erkennen, und die Aufgabe die ÄLRD so befähigen, dass sie personell, materiell der Fortbildung, diese Defizite zu beheben. In den Zer- und rechtlich in der Lage sind, den Pyramidenprozess tifizierungen ist zu kontrollieren, ob das notwendige mitzugehen. Kompetenzlevel erreicht werden konnte ober ob wei- tere Fortbildungsmaßnahmen notwendig sind. Reifferscheid: „Mit Blick auf meine eigenen Erfahrungen halte ich es für ausgeschlossen, Thorsten Fischer: Wenn wir von Handlungskom- etwas langfristig zu beherrschen, petenz und regelmäßigen Trainings sprechen, sehe nur weil man dieses Können einmal ich die dringende Notwendigkeit einer Veränderung im Rahmen einer Prüfung bewiesen hat.“ von Aus- und Fortbildungspflichten. Die traditionelle 30-Stunden-Fortbildung kann meines Erachtens den Jochen Rühle: Erhöht die Regelung den Druck auf Lern- und Trainingsbedarf nicht decken. Erschwerend die Ärztlichen Leiter, eine ausreichende Zahl an kommt hinzu, dass Rettungssanitäter und Notfallsani- anwendungsfähigen Algorithmen zur Verfügung zu täter zwar zusammen „retten“, jedoch deutlich unter- stellen, um sich nicht dem Vorwurf des Organisations- schiedliche Kompetenzen besitzen. Wir benötigen eine verschuldens auszusetzen? Dies vor dem Hintergrund, ganzjährige und an das Kompetenzlevel angepasste dass der Patient nach dem Behandlungsvertragsrecht Möglichkeit zur Aus- und Fortbildung der unter- Anspruch hat auf eine Behandlung nach anerkannten schiedlichen Berufsgruppen und deutlich mehr als fachlichen Standards, der sich aus den Landesret- eine 30-stündige Fortbildung. Wie stehen Sie zu einer tungsdienstgesetzen in Verbindung mit dem erwart- Erweiterung von Fortbildungspflichten zur Sicherung baren Versorgungsniveau „Notfallsanitäter“ und der von Kompetenzen im RD? Neben der schulischen Ausbildungszieldefinition des NotSanG definiert. § 2a Ausbildung ist es meines Erachtens erforderlich, den wurde nicht mit dem Ziel geschaffen, das Prinzip der Stellenwert von „Ausbildern“ im RD in diesem Zuge Vorabdelegation zu beseitigen, sondern für den Fall, ebenfalls zu stärken. dass die Ärztlichen Leiter ihrer Planungsverpflichtung nicht nachkommen und NotSan nicht mit den – auch Kipke: In Sachsen wird eine 40-stündige Fortbil- aus rechtlichen Gründen – vorabdelegierten Algorith- dungspflicht für Notfallsanitäterinnen und Notfall- men ausstatten. sanitäter gesetzlich gefordert. Die Inhalte der Fort- bildung sollten ärztlich festgelegt werden und die Reifferscheid: Die initiale Fassung des § 2a und Durchführung der Fortbildungen praxisnah durch auch die am 12. Januar 2021 gemeinsam von BAND, erfahrene und qualifizierte Praxisanleiter erfolgen. BV-ÄLRD und DBRD formulierte ergänzende Stel- Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter mit der lungnahme dazu sah vor, dass das von Ihnen genannte Zusatzqualifikation „Praxisanleiterinnen“ bzw. Ziel, die Vorabdelegation im Rahmen von standardi- „Praxisanleiter“ und Verantwortung in der Aus- und sierten Vorgaben im Sinne des § 4 Absatz 2 Nummer Fortbildung müssen einer höheren Entgeltgruppe bzw. 2 Buchstabe c zu stärken, auch im Gesetz klarer arti- Besoldungsstufe zugeordnet werden. kuliert wird. Der entstandene Paragraf gibt Notfall- I 18a I 4 · 2021 I 44. Jahrgang I Rettungsdienst I 318
sanitäterinnen und Notfallsanitätern die Möglichkeit – und ein Stück weit sicher auch die Verpflichtung –, Maßnahmen im Rahmen ihrer Möglichkeiten eigen- verantwortlich durchzuführen. Ein Organisationsver- schulden sehe ich – als Nicht-Jurist – nicht. Vielmehr sollten sich ÄLRD und NotSan gemeinsam durch den neuen Paragrafen angespornt sehen, soweit dies sinnvoll und bedarfsgerecht möglich ist, möglichst viele Maßnahmen im Wege der Vorabdelegation zu beschreiben, zu trainieren und weiter zu begleiten, da auf diese Weise eine geregelte Fortbildung, Evaluation und Weiterentwicklung möglich werden und NotSan nur noch mit der situationsgerechten Anwendung und richtigen Durchführung, nicht aber mit der Allein verantwortung belastet würden. Robert Lindner: Was halten Sie von dem „Berliner Modell“, eine Generaldelegation in das Rettungs- dienstgesetz Berlin zu übernehmen und gleichzeitig die Erwartungshaltung gegenüber den Notfallsanitä- tern auch zum Ausüben und Anwenden zu steigern/ fordern? Ich finde das Einbringen in ein Landesret- tungsdienstgesetz sehr innovativ, und es ist ein neuer Weg. Reifferscheid: Genau wie Sie halte ich die Regelung der Rahmenbedingungen für die Vorabdelegation heilkundlicher Maßnahmen innerhalb der Rettungs- dienstgesetzgebung für einen guten und zukunfts- weisenden Weg. Wie im Rahmen der Leserkonferenz u.a. von Dr. Janosch Dahmen angesprochen, sollten die Länder die Rettungsdienstgesetze novellieren und durch derartige Regelungen auch für mehr Rechts sicherheit für die delegierenden ÄLRD sorgen. PD Dr. Max Skorning: Sollte „Beherrschen“ nicht bedeuten, dass man auf Basis seiner Kompetenzen im konkreten Einzelfall mehr Nutzen als Schaden für den Patienten bewirkt und eben niemand da ist, der mehr Nutzen und weniger Schaden bewirken könnte? Reifferscheid: Meines Erachtens sollte die aktuell entfachte Diskussion um den Begriff „Beherrschen“ viel stärker dazu genutzt werden, neben einem rea- listischen und praktikablen Kompetenzerwerb min- destens mit der gleichen Vehemenz einen effizienten Kompetenzerhalt zu erreichen – und zwar für alle im Rettungsdienst tätigen Berufsgruppen. Dies muss im Streitfall in gleicher Weise der gutachterlichen Bewer- tung standhalten wie der „fachliche Standard“ im Falle eines ärztlichen Behandlungsfehlers. Mit Blick auf meine eigenen Erfahrungen halte ich es für aus- geschlossen, etwas langfristig zu beherrschen, nur weil man dieses Können einmal im Rahmen einer Prüfung bewiesen hat. Der Blick sollte hier auf die- 4 · 2021 I 44. Jahrgang I Rettungsdienst I 319
RET TUNGSDIENST jenigen Maßnahmen gerichtet werden, die erlernbar Rechtssicherheit im Einsatz, wenn er nach bestem sind und regelmäßig in der Berufsausübung – ergänzt Wissen und Gewissen handelt, wie die Ärztin und Die gesamte durch zielgerichtete Trainings – angewendet werden. der Arzt – und genauso wenig wie diese einen Frei- RETTUNGSDIENST- Hier sind besonders die selten angewandten lebens- fahrtschein für alles. Online- rettenden, aber mit einem teils erheblichen Risiko- Leserkonferenz zum § 2a NotSanG potenzial für Notfallpatient und Helfer verbundenen Reifferscheid: Das der Situation des Notfallpatienten steht auf YouTube Maßnahmen zu nennen. Die vielzitierte endotracheale selbst, aber auch der jeweils umgebenden Versor- zum Abruf zur Ver Intubation ist auch für Notärztinnen und Notärzte gungssituation angemessene Handeln muss durch alle fügung: https:// keine Fertigkeit, deren Beherrschung allein durch die in der Notfallversorgung Tätigen nach bestem Wissen bit.ly/notsang- konferenz_yt Patientenversorgung im Rettungsdienst entsprechend und Gewissen erfolgen. Neu ist sicherlich, dass neben den Anforderungen der Leitlinien gesichert werden dem „Dürfen“ auch das „Verantwortenmüssen“ dazu kann. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, Not- gekommen ist und das „Beherrschen“ in diesem Kon- fallsanitäterinnen und Notfallsanitäter so auszubil- text individuell abgewogen werden sollte. den und zu trainieren, dass sie entsprechend Deiner Frage im Rahmen der ersten Minuten bis zur weiteren Christian Bachschmid: Der Übergang vom RettAss ärztlichen Versorgung lebensrettende invasive Maß- auf den NotSan läuft nun schon im 7. Jahr. Es dürfte nahmen so beherrschen können, dass der Nutzen den unstrittig sein, dass die heutigen NotSan-Azubis eine Schaden überwiegt. Gleichzeitig muss nach diesem profunde und umfangreiche Ausbildung erhalten. Der möglichst kurzen Intervall auch die anschließende Übergang der RettAss auf den NotSan mittels der ärztliche Versorgung auf einem Niveau erfolgen, das Ergänzungsprüfung wird je nach Bundesland/Schule diesem Anspruch gerecht wird. Der § 2a berechtigt sehr unterschiedlich gehandhabt, betrachtet man das nicht zur umfassenden alleinigen Versorgung, er soll Level der Prüfung sowohl praktisch als auch münd- lediglich das (Be-)Handeln in der ersten Phase erleich- lich. Teilweise gewinnt man den Eindruck, dass es tern und den NotSan die längst überfällige Wertschät- einem sehr einfach, vielleicht auch zu einfach gemacht zung entgegenbringen, diese Maßnahmen nicht mehr wird, das Ticket zum NotSan zu lösen. In der Pra- über den Notstand rechtfertigen zu müssen, sondern xis arbeiten viele RettAss anschließend zwar mit den rechtssicher als Teil ihres Berufs ausüben zu dürfen. „Etikett NotSan“, fahren aber ihren „alten Stiefel“. Gerade für lebensbedrohlich erkrankte oder verletzte Kann ein RettAss das geforderte Niveau des Beherr- bzw. von schweren Folgeschäden bedrohte Patienten schens der umfänglichen Maßnahmen überhaupt sollte auch künftig die qualitativ hochwertige Versor- qua seiner Ausbildung / der Ausbildungsnachweise gung schnellstmöglich durch eine Ärztin oder einen (?) rechtssicher leisten? Und was ist mit den „Alt- Arzt unterstützt und fortgesetzt werden können. RettAss“, die noch nie eine staatl. Prüfung abgelegt haben? Sudowe: „Der Schlüssel zum Erhalt der Handlungskompetenz ist eine fortdauernde Sudowe: Meines Erachtens muss das angestrebte Leis reflektierte Berufserfahrung kombiniert mit tungsniveau, das im NotSanG über das Ausbildungs- regelmäßiger Fort- und Weiterbildung.“ ziel beschrieben wird, für alle Berufsangehörigen gel- ten, sodass auch bezüglich des § 2a nicht zwischen Andreas Enzenroß: Was macht der NotSan, wenn er verschiedenen Ausbildungs-„Karrieren“ differenziert keinen ÄLRD als Vorgesetzten hat? werden kann. Glücklicherweise konnte ab 2014 die obligatorische Ergänzungsprüfung durchgesetzt wer- Reifferscheid: Meine Hoffnung wäre, dass es überall den, sodass die Überleitung für RettAss nicht ledig- ÄLRD oder zumindest entsprechend verantwortliche lich ein formaler Akt war, sondern eine seriöse und Ärztinnen oder Ärzte gibt. Sollte dem nicht so sein, von den jeweiligen Aufsichtsbehörden überwachte sollten die betroffenen NotSan die Maßnahmen in Leistungskontrolle vorausgesetzt hat. Wie in allen gleicher Weise wie die übrigen NotSan auch stets so anderen Berufen, die einem permanenten Wandel der anwenden, wie es die Lage erfordert und der Nutzen Anforderungen unterliegen, obliegt es auch allen Not- den Schaden überwiegen kann. fallsanitäterinnen und Notfallsanitätern, ihre Kom- petenzen ständig zu erhalten und anzupassen. Das PD Dr. Max Skorning: Muss der Begriff „Beherr- wird in zehn Jahren im Übrigen auch diejenigen Not- schen“ nicht im Streitfall vor Gericht genauso gut- fallsanitäterinnen und Notfallsanitäter betreffen, die achterlich geklärt werden wie beim Behandlungsfehler heute ausgebildet werden. Der Schlüssel zum Erhalt der „fachliche Standard“? Auch Ärztinnen und Ärzte der Handlungskompetenz ist eine fortdauernde reflek- müssen beherrschen, was sie tun. Ich sehe das des- tierte Berufserfahrung kombiniert mit regelmäßiger halb entspannt. Nun hat der NotSan genau dieselbe Fort- und Weiterbildung. I 20a I 4 · 2021 I 44. Jahrgang I Rettungsdienst I 320
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