Roll ohne Risiko? Aktuelle Erkenntnisse und Debatten zu E-Scootern
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DGUV Forum 4/2021 Agenda Roll ohne Risiko? Aktuelle Erkenntnisse und Debatten zu E-Scootern Key Facts Autorinnen • E-Scooter sind seit Mitte 2019 in Deutschland zugelassen, seit Anfang 2020 Paula Boks werden Unfälle mit ihnen in einer eigenen Kategorie erfasst Tanja Hohenstein • Bisher gibt es nur wenige Daten zur Nutzung von E-Scootern, auch im betrieb- lichen Kontext sind weitere Erkenntnisse notwendig • Um die Nutzungsregeln für E-Scooter bekannter zu machen, hat der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) mit Unterstützung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und der DGUV die Kampagne „Roll ohne Risiko!“ gestartet Im betrieblichen Unfallgeschehen treten E-Scooter bisher nicht auffällig in Erscheinung. Durch die wachsende Anzahl an E-Scootern wird das Thema jedoch voraussichtlich auch im betriebli- chen Kontext an Bedeutung gewinnen. Im Folgenden werden einige Aspekte der Benutzung von E-Scootern angesprochen, bei denen auch in Betrieben bereits jetzt Präventionsarbeit geleistet werden kann. S eit dem 15. Juni 2019 sind – basie- nicht weiter aufgeschlüsselte Verkehrs- tersuchen. Auch die Unfallforschung der rend auf der Elektrokleinstfahr- teilnehmende.[2] Versicherer führt eine Studie zu E-Scoo- zeuge-Verordnung (eKFV) – soge- tern durch. nannte E-Scooter (elektrische Tretroller) Die Einordnung dieser Unfallzahlen fällt auf Deutschlands Straßen zugelassen.[1] Sie angesichts der mangelnden Vergleichs- Kampagne „Roll ohne Risiko!“ müssen eine Lenkstange haben und mit möglichkeiten schwer. Der mitunter auf- klärt über Regeln auf Beleuchtung und Klingel ausgerüstet sein. gestellte Vergleich mit absoluten Zahlen Die Elektrotretroller sind Kraftfahrzeuge der Fahrradunfälle erscheint weniger hilf- Da es sich bei E-Scootern in Deutschland und eine entsprechende Kfz-Haftpflicht- reich, gibt es doch um ein Vielfaches mehr um ein neues Verkehrsmittel handelt, des- versicherung muss mit einer Versiche- Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutsch- sen Einführung durch Verkehrssicherheits- rungsplakette am Fahrzeug nachgewie- land, die zudem längere Strecken zurückle- arbeit begleitet werden muss, hat das Bun- sen werden. gen. Anbieten würde sich ein Vergleich der desministerium für Verkehr und digitale Unfallzahlen pro Personenkilometer, diese Infrastruktur (BMVI) mit Unterstützung Eigene Unfallkategorie seit Kennzahl wird jedoch nicht zentral erfasst. der DGUV den Deutschen Verkehrssi- Januar 2020 cherheitsrat (DVR) gebeten, eine wirksa- Inwieweit vom Unfallgeschehen auch Ar- me Aufklärungskampagne zu konzipieren. Seit Anfang 2020 werden Unfälle mit beitswege betroffen sind, kann momentan Im Jahr 2020 wurde die Kampagne „Roll B eteiligung von E-Scootern von der Po- nicht eingeschätzt werden. Dies wäre aber ohne R isiko!“ gestartet, die auch 2021 fort- lizei in einer eigenen Kategorie erfasst. eine hochinteressante Fragestellung für die geführt wird. Der Schwerpunkt liegt auf Im gesamten Jahr 2020 wurden 2.155 gesetzlichen Unfallversicherungsträger. der Aufklärung über die geltenden Regeln. solcher Unfälle mit Personenschaden – Um den Einblick in das Unfallgeschehen U(P) – registriert. Dabei wurden fünf deutlich zu erweitern, wurde ein Konsorti- Umfrage unter aktiven Personen getötet, 386 schwer und 1.907 um um die Verkehrsunfallforschung an der Nutzerinnen und Nutzern leicht verletzt. Knapp 82 Prozent dieser Technischen Universität Dresden GmbH Verunglückten waren E -Scooter Fahre- von der Bundesanstalt für Straßenwesen Um die Kampagneninhalte gezielt auf rinnen oder Fahrer. Bei 18 Prozent der (BASt) damit beauftragt, die Verkehrsteil- die Bedarfe und die Unfallrisiken auszu- Verunfallten handelte es sich um andere, nahme mit Elektrokleinstfahrzeugen zu un- richten, führte das Meinungsforschungs 27
DGUV Forum 4/2021 Agenda momentan nicht abgeschätzt werden. Da Teil der Befragten die geltenden Regeln aber die Anbieter in größeren Städten den laut eKFV und Straßenverkehrs-Ord- Seit Anfang 2020 Geschäftsradius Ende 2020/Anfang 2021 nung (StVO) für die Nutzung von E-Scoo- ausdehnten, kann angenommen werden, tern nicht kannte. Insbesondere folgende werden Unfälle mit dass nunmehr E-Scooter verstärkt für tägli- Wissenslücken fielen dabei auf: Mehr als Beteiligung von che Wege genutzt werden – und damit auch für Wege, die vonseiten der gesetzlichen die Hälfte der Befragten (51 Prozent) war sich nicht bewusst, dass beim Fahren von E-Scootern von der Unfallversicherungsträger versichert sind. E-Scootern dieselben Promillegrenzen gel- ten wie bei der Nutzung anderer Kraftfahr- Polizei in einer eige- Verbreitete Unkenntnis der zeuge. Ein Fünftel dieser Personen war der geltenden Promillegrenzen Ansicht, dass die Promillegrenzen bei der nen Kategorie er- Nutzung von E-Scootern und Fahrrädern fasst. Im gesamten Ein zentrales Ergebnis der Umfrage war, dass ein – je nach Regel erheblicher – identisch sind. Auch die Einordnung des E-Scooters als Kraftfahrzeug – im Gegen- Jahr 2020 wurden 2.155 solcher Unfäl- Quelle: Paula Boks/DVR le mit Personenscha- den registriert. Dabei wurden fünf Perso- nen getötet, 386 schwer und 1.907 leicht verletzt.“ institut Forsa (über das Online-Panel forsa. Abbildung 1: E-Scooter des Anbieters Voi mit Lenkerschild der Kampagne „Roll ohne omninet) im August 2020 im Auftrag des Risiko!“ DVR eine repräsentative Umfrage unter 1.003 Personen ab 14 Jahren durch, die be- Quelle: Paula Boks/DVR reits mindestens einmal E-Scooter gefahren waren. Sie wurden über ihr Verhalten und ihre Erfahrungen bei der Nutzung befragt. Die Kampagne „Roll ohne Risiko!“ richtet sich hauptsächlich an Personen, die Leih- angebote nutzen, da dies auf die Mehrheit der befragten E-Scooter-Fahrerinnen und -Fahrer (69 Prozent) zutraf. Durch die star- ke Präsenz der E-Scooter als Sharingange- bot in Städten liegt es auch nahe, dass im Fahren Ungeübte diese nutzen und auf- grund mangelnder Erfahrung ein erhöhtes Unfallrisiko haben. Inwieweit diese Sha- ringangebote – unter anderem bedingt durch die SARS-CoV-2-Pandemie – auch für dienstliche Wege oder Wege zur oder von Abbildung 2: E-Scooter des Anbieters Bird mit Stickern der Kampagne „Roll ohne der Arbeit wahrgenommen werden, kann Risiko!“ 28
DGUV Forum 4/2021 Agenda Mehr als die Hälfte der Befragten (51 Prozent) war sich nicht bewusst, dass beim Fahren von E-Scootern dieselben Promille- grenzen gelten wie bei der Nutzung anderer Kraftfahrzeuge.“ satz zum Fahrrad – scheint vielen nicht zu war das Sicherheitsgefühl bezüglich der Weitere Inhalte der Kampagne bekannt zu sein. Befragt nach den Regeln, Teilnahme am Straßenverkehr bei den Be- „Roll ohne Risiko!“ auf welchen Wegen E-Scooter fahren dür- fragten deutlich niedriger ausgeprägt: Weit fen, gab zwar eine deutliche Mehrheit über die Hälfte der Befragten (61 Prozent) Auf Basis der Umfrageerkenntnisse klärt (72 Prozent) richtigerweise an, dass das gab an, sich weniger oder überhaupt nicht die Kampagne nun über die geltenden Re- Befahren von Gehwegen so gut wie nie sicher im Straßenverkehr zu fühlen. 71 Pro- geln auf und weist auf die Gefahren und erlaubt ist. Bei immerhin mehr als einem zent der Befragten hielten es für sehr oder Konsequenzen von Regelverstößen hin. Der Viertel war dies jedoch nicht der Fall: 18 eher wahrscheinlich mit anderen motori- Gedanke dahinter: Wer die Regeln für die Prozent hielten das Befahren von Gehwe- sierten Fahrzeugen – wie einem Pkw – in Nutzung von E-Scootern kennt, schützt gen generell für erlaubt oder wussten es einen Unfall zu geraten. Fast ebenso viele sich selbst und andere. So wurden Len- nicht (10 Prozent). (68 Prozent) sagten dies über die Gruppe kerschilder und Sticker direkt an den Fahr- der Fußgängerinnen und Fußgänger. Auch zeugen der vier größten Sharinganbieter Häufigster Regelverstoß: das einen Unfall mit dem Radverkehr hielten angebracht; verschiedenen Materialien Befahren von Gehwegen noch 62 Prozent für sehr oder eher wahr- weisen online und offline auf die Regeln scheinlich. hin. Weitere Details zur Kampagne und zu Außerdem wurden die Teilnehmenden nach begangenen Regelverstößen gefragt Quelle: DVR (siehe Schaubild 1). Dabei fiel besonders ins Auge, dass über die Hälfte der Befrag- ten (57 Prozent) angab, bereits einmal oder mehrmals Gehwege oder Fußgängerzonen befahren zu haben. Da das Verbot hier ei- ner deutlichen Mehrheit der Befragten be- kannt war, kann nur spekuliert werden, warum dieser Regelverstoß derart häufig begangen wird. Möglicherweise hängt dies auch mit dem geringen Sicherheitsgefühl beim Fahren von E-Scootern im Straßen- verkehr zusammen. Mehrheit fühlt sich im Straßen- verkehr nicht sicher Die große Mehrheit der Befragten gab an, sich beim Fahren mit dem E-Scooter bezo- gen auf die Bedienung des E-Scooters eher sicher (53 Prozent) oder sogar sehr sicher (30 Prozent) zu fühlen. Im Vergleich hier- Schaubild 1: Infografik zu Regelverstößen bei der Nutzung von E-Scootern 29
DGUV Forum 4/2021 Agenda E-Scooter müssen nicht mit Blinkern ausgestattet sein. Diese würden jedoch zu mehr Sicherheit beim Abbiegevorgang bei- tragen, da sie ein Handzeichen ersetzen und beide Hände am Lenker bleiben könnten.“ den Umfrageergebnissen finden sich auf die Verkehrssicherheit hat und ob sie ihre diese Fahrzeuge nutzen. Der Abschluss- der Webseite der Kampagne „Roll ohne Ziele erreicht. Das Konsortium um die bericht wird für Anfang 2023 erwartet. Risiko!“. Verkehrsunfallforschung an der Techni- Auf Basis dieser Evaluation soll das BMVI schen Universität Dresden GmbH wurde laut eKFV gegebenenfalls bis zum 1. Sep- Zukunft der eKFV und damit beauftragt, die Verkehrsteilnahme tember 2023 einen Änderungsvorschlag Änderungsvorschläge mit E-Scootern zu untersuchen. In diesem vorlegen. Rahmen wird neben Unfallanalysen und Gemäß § 15 Abs. 4 der eKFV muss das Verkehrsbeobachtungen auch der deut- Doch bereits jetzt stehen einige Ände- BMVI wissenschaftlich überprüfen, wel- sche E-Scooter-Markt charakterisiert so- rungsvorschläge an der eKFV im Raum. che Auswirkungen diese Verordnung auf wie Merkmale der Personen erfasst, die Diese betreffen die Fragen, wie einerseits Quelle: DVR Was sind die Regeln? Darf ich E-Scooter fahren, Beim Fahren von E-Scootern gelten dieselben Alkoholgrenzwerte wie beim Auto- wenn ich Alkohol getrunken fahren: habe? Ab 0,5 Promille ohne Auffälligkeit drohen aufgrund der Ordnungswidrigkeit min- destens ein Bußgeld von 500 Euro, ein Monat Fahrverbot und zwei Punkte im Fahr- eignungsregister. Ab 0,3 Promille mit einer Auffälligkeit handelt es sich um eine Straftat. Also: Nie- mals alkoholisiert einen E-Scooter nutzen! Darf ich auf dem Gehweg Nein, das Befahren von (reinen) Gehwegen und Fußgängerzonen ist untersagt – fahren? außer ein explizites Schild erlaubt dies. Wo soll ich sonst fahren? Es sind zwingend vorhandene Radwege (benutzungspflichtige und nicht benut- zungspflichtige) zu nutzen, falls nicht vorhanden, die Fahrbahn. Darf man zu zweit auf einem Nein, E-Scooter sind nur für eine Person zugelassen. E-Scooter fahren? Wo darf ich meinen E-Scooter Grundsätzlich gilt: Abgestellte E-Scooter dürfen niemanden behindern oder Wege abstellen? versperren. Am Straßenrand oder auf Gehwegen müssen sie so abgestellt werden, dass niemand behindert oder gefährdet wird. Gibt es eine Helmpflicht? Nein, es gibt keine Helmpflicht. Aber: Helme sollten immer genutzt werden, da bei einem Sturz Kopfverletzungen sehr wahrscheinlich sind. Schaubild 2: Übersicht der Regeln für die Nutzung von E-Scootern 30
DGUV Forum 4/2021 Agenda Um ein Stolpern über umgefallene E-Scooter zu verhindern, sind von den Kommunen einzurichtende Abstellflächen mit Bügeln zum Anlehnen für Fahrräder und E-Scooter jenseits des Gehwegs eine Möglichkeit.“ die Verkehrsteilnahme für die Nutzenden 14 Jahren gefahren werden, was im Rah- mit E-Scootern erwartet. Dabei wäre inter- von E-Scootern sicherer gemacht und wie men der Schüler-Unfallversicherung sehr essant, wenn auch auf Studien der innerbe- andererseits die Gefährdung anderer Ver- kritisch gesehen werden muss. Gerade hin- trieblichen Nutzung sowie der Nutzung auf kehrsteilnehmender – laut bisherigen Er- sichtlich des Mindestalters ist es sinnvoll, Dienst- und Arbeitswegen zurückgegriffen kenntnissen immerhin 18 Prozent der Un- zum Beispiel auch im Rahmen des Schul- werden könnte. Auch die Auswirkungen fallbeteiligten mit E-Scootern – minimiert unterrichts über die Regeln und auch die der kontinuierlichen Weiterentwicklung werden kann. Die folgenden Aspekte stel- möglichen Schwierigkeiten bei der Nut- der Fahrzeuge durch die Hersteller und len nur eine kleine Auswahl mit Blick auf zung von E-Scootern hinzuweisen. Die Anbieter könnten zum Beispiel bei Ver- die Rechtslage und den Handlungsspiel- oben genannten Empfehlungen wurden kehrsbeobachtungen bereits berücksich- raum der Kommunen dar. Daneben werden in einem Arbeitskreis des 58. Deutschen tigt werden. Aus den Ergebnissen ließe sich auch Grundsatzfragen wie die Aufteilung Verkehrsgerichtstags im Januar 2020 ver- ableiten, welche Maßnahmen den größten des Verkehrsraums sowie die Gestaltung abschiedet. Beitrag dazu leisten können, die Nutzung sicherer Infrastruktur berührt. von und die Begegnung mit E-Scootern für Was das rechtswidrige Befahren von Geh- alle Verkehrsteilnehmenden sicherer zu Vorschläge: Blinkerpflicht und wegen angeht: Eine Anhebung des Buß- machen. ← Prüfbescheinigung gelds auf das Niveau des Bußgeldkatalogs Fahrrad könnte eine abschreckende Wir- Laut der eKFV müssen E-Scooter nicht mit kung entfalten, wenn die Verkehrsüber- Blinkern ausgestattet sein. Diese würden wachung entsprechend verstärkt wird. jedoch zu mehr Sicherheit beim Abbiege- Sogar ein höheres Niveau ist denkbar, da vorgang beitragen, da sie ein Handzeichen E-Scooter leise Kraftfahrzeuge sind. Um ersetzen und beide Hände am Lenker blei- ein Stolpern über umgefallene E-Scooter Fußnoten ben könnten. Mindestens ein Anbieter von zu verhindern, sind von den Kommunen [1] Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung vom Sharing-E-Scootern verfügt bereits über ein einzurichtende Abstellflächen mit Bügeln 06.06.2019 (BGBl. I S. 756), https://www. Fahrzeugmodell mit Blinkern. Des Weiteren zum Anlehnen für Fahrräder und E-Scoo- gesetze-im-internet.de/ekfv/BJNR075610019. würde die Einführung einer Prüfbeschei- ter abseits des Gehwegs eine Möglichkeit. html (abgerufen am 12.02.2021) [2] Statistisches Bundesamt, Verkehrsun- nigung, ähnlich der Mofaprüfbescheini- fälle Dezember 2020, Fachserie 8 Reihe 7, gung, sicherstellen, dass auch Personen Ausblick S. 51, https://www.destatis.de/DE/Themen/ ohne Führerschein sich vor der Nutzung Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/ Publikationen/Downloads-Verkehrsunfaelle/ von Elektrokleinstfahrzeugen mit den Ver- Mit Spannung werden nun verschiedene verkehrsunfaelle-monat-2080700201124. kehrsregeln befassen müssen. Schließlich Forschungsergebnisse mit genaueren Er- pdf?__blob=publicationFile (abgerufen am dürfen E-Scooter bereits ab einem Alter von kenntnissen zu den Ursachen für Unfälle 26.03.2021) 31
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