VERÄNDERTES PENDELVERHALTEN DURCH MEHR HOMEOFFICE?

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                                            VERÄNDERTES PENDELVERHALTEN
                                            DURCH MEHR HOMEOFFICE?
                                            Mögliche Auswirkungen infolge der Corona-Pandemie

                                            HEIKO RÜGER (BiB); NICO STAWARZ (BiB); THOMAS SKORA (BiB);
                                            VINZENT JASZLOVSKY (BiB)

Mit dem Beginn der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 ist Homeoffice ins Zentrum der öffentli-
chen Aufmerksamkeit gerückt, da Arbeiten zu Hause als eine wichtige Strategie zur Begrenzung
der sozialen Kontakte angesehen wird (Kawashima et al. 2020). Dies hat zu einem sprunghaften
Anstieg der Zahl der Homeoffice-Nutzenden im Jahr 2020 geführt. So arbeiteten in der Phase
verstärkter Kontaktbeschränkungen im Frühjahr gut 35 % der Erwerbstätigen in Deutschland
vollständig oder teilweise im Homeoffice (Schröder et al. 2020). Dies ist fast eine Verdreifa-
chung im Vergleich zum Jahr 2019, in welchem knapp 13 % der Erwerbstätigen vollständig oder
teilweise im Homeoffice arbeiteten (Statistisches Bundesamt 2020a).

    Homeoffice scheint sich vielfach bewährt zu      nahme des Berufspendelns in Deutschland zu
haben – dies legen zumindest Umfragen un-            beobachten: So stieg im Zeitraum 1991 bis 2016
ter Unternehmen und Beschäftigten nahe (Hof-         der Anteil der Erwerbstätigen mit einer einfa-
mann et al. 2020; Kunze et al. 2020). Daher ist      chen Pendeldauer von mindestens 30 Minuten
davon auszugehen, dass die vermehrte Nutzung         von rund 20 % auf 27 % (Bundesinstitut für Be-
von Homeoffice während der Pandemie zu lang-         völkerungsforschung 2018).
fristigen Veränderungen in der Arbeitsorganisa-         Dieser Beitrag befasst sich mit den potenziel-
tion führt und Homeoffice auch zukünftig stär-       len längerfristigen Auswirkungen einer verstärk-
ker eingesetzt werden könnte. Studien schätzen       ten Nutzung von Homeoffice auf die Pendel-
das Potential zur Nutzung von Homeoffice in          mobilität. So stellt sich etwa die Frage, ob mehr
Deutschland auf bis zu 56 % (Alipour et al. 2020).   Homeoffice zur Verringerung des Pendlerver-
Demnach könnte derzeit mehr als jeder zweite         kehrs und des Verkehrsaufkommens führt, wie
Beschäftigte zumindest zeitweise im Homeoffice       häufig angenommen wird (z. B. Elldér 2020). Zu-
arbeiten. Allerdings sind die Voraussetzungen        nächst präsentieren wir eigene empirische Ana-
zur Nutzung von Homeoffice nicht gleicherma-         lysen zum Zusammenhang zwischen Homeof-
ßen gegeben und bei Beschäftigten mit kogniti-       fice und Pendeldistanz. Im Anschluss diskutieren
ven Tätigkeiten, höherer Bildung sowie höherem       wir unter Einbeziehung des internationalen For-
Einkommen stärker ausgeprägt (Schröder et al.        schungstandes die möglichen Auswirkungen ei-
2020).                                               ner Ausweitung von Homeoffice auf die Pendel-
    Die vermehrte Nutzung von Homeoffice wäh-        mobilität in Deutschland.
rend der Pandemie hat auch tiefgreifende Folgen
für die Pendlermobilität, für die sich zeitweise     Der Zusammenhang zwischen Homeoffice und
eine starke Abnahme beobachten ließ (Statisti-       Pendeldistanz in Deutschland
sches Bundesamt 2020b). In den Jahren vor der          Um den Zusammenhang von Homeoffice und
Pandemie war hingegen eine kontinuierliche Zu-       Pendeldistanz zu untersuchen, nutzen wir die

                                                                                                            3
                                                                       BEVÖLKERUNGSFORSCHUNG AKTUELL 1| 2021
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    ABB. 1: Durchschnittliche einfache Pendeldistanz, nach Häufigkeit der                in der Woche, ein oder mehre-
            Homeoffice-Nutzung                                                           re Tage pro Woche, täglich. Je-
                                                                                         doch wird nicht danach diffe-
    Durchschnittliche Distanzen in Kilometern                                            renziert, ob ein ganzer Tag im
    40                                                                                   Homeoffice gearbeitet wird
                                                                                         oder lediglich einige Stun-
    35                                                                                   den. Dies führt zu dem Prob-
                                                                                         lem, dass in die Kategorie „täg-
    30
                                                                                         lich“ überdurchschnittlich viele
                                                              28,3
    25                                  26,4                                             Personen fallen könnten, die
                                                                                         nur für einige Stunden zu Hau-
    20                                                                                   se arbeiten (z. B. Lehrer). Daher
              18,9                                                                       ist eine inhaltliche Interpretati-
    15                                                                                   on dieser Kategorie schwierig,
                                19
                                                                                         weshalb im Folgenden nicht
    10
                                                                                         näher auf sie eingegangen wird.
                                                                                         Die Messung der individuellen
     5
                                                                                         Pendeldistanz erfolgt über die
                                                          5

                                                                                       © BiB 2021
     0                                                                                   einfache Entfernung zwischen
               nie                 seltener als 1x        mindestens 1x                  dem Arbeitsort und der Woh-
                                     pro Woche              pro Woche                    nung, gemessen in Kilometern.
                                                                                         Die Stichprobe wurde auf Per-
     Datenquelle: SOEP v34, Erhebungsjahre 1997, 1999, 2002, 2009 und 2014 gepoolt,      sonen im Alter von 18 bis 65
     N = 40.694, ungewichtet, eigene Berechnungen                                        Jahren sowie auf jene begrenzt,
                                                                                         die einer abhängigen Beschäf-
                     Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP).       tigung nachgehen und sich nicht in Ausbildung
                     Das SOEP ist eine repräsentative Stichprobe pri-   befinden.
                     vater Haushalte in Deutschland, welche seit 1984      Abbildung 1 zeigt, dass Personen, die ange-
                     jährlich erhoben wird.                             ben, nie im Homeoffice zu arbeiten, mit rund
                        Für unsere Analysen verwenden wir die Ver-      19 km durchschnittlich kürzere Pendeldistan-
                     sion 34 der Daten (doi: 10.5684/soep.v34). Kon-    zen zurücklegen als jene, die seltener als einmal
                     kret untersuchen wir die Erhebungsjahre 1997,      pro Woche (26 km) oder mindestens einmal pro
                     1999, 2002, 2009 und 2014, in denen jeweils die    Woche (28 km) im Homeoffice arbeiten. Der Be-
                     Nutzung von Homeoffice erfasst wurde. Die Er-      fund höherer Pendeldistanzen für Personen, die
                     hebungsjahre werden zusammengefasst („ge-          gelegentlich im Homeoffice arbeiten, findet sich
                     poolt“) analysiert, wodurch die Robustheit der     auch in anderen Studien für Deutschland (No-
                     Schätzung erhöht werden soll.                      bis/Kuhnimhof 2018) sowie für die USA, Groß-
                        Hinsichtlich der Nutzung von Homeoffice         britannien und Finnland (Melo/de Abreu e Silva
                     sollten die Befragten angeben, ob es vorkommt,     2017).
                     dass sie ihre Beschäftigung zu Hause ausüben          Abbildung 2a bestätigt, dass im Homeoffice
                     und, falls ja, wie häufig: täglich, mehrmals die   arbeitende Personen signifikant längere Pendel-
                     Woche, alle 2 bis 4 Wochen oder seltener bzw.      distanzen aufweisen. Sie sind durchschnittlich
                     nur bei Bedarf. Wir haben die letzten beiden Ka-   um 7 bis 9 km erhöht gegenüber Personen, die
                     tegorien zusammengefasst, wodurch sich die fol-    nicht im Homeoffice arbeiten. Allerdings berück-
                     gende Abstufung ergibt: nie, weniger als ein Tag   sichtigen diese Befunde nicht, dass Personen mit

4
BEVÖLKERUNGSFORSCHUNG AKTUELL 1| 2021
ANALYSEN

ABB. 2a+b: Einfluss der Häufigkeit der Homeoffice-Nutzung auf die einfache Pendeldistanz, ohne und mit
           Kontrollvariablen

ABB. 2a: Modell ohne Kontrollvariablen                         ABB. 2b: Modell mit Kontrollvariablen

Differenz in Kilometern                                        Differenz in Kilometern
20                                                             20

15                                                             15

10                                                             10

  5                                                             5
      Referenz                                                      Referenz
  0                                                             0

 -5                                                            -5

-10                                                           -10
   nie           seltener als 1x   mindestens 1x                    nie           seltener als 1x   mindestens 1x
                   pro Woche        pro Woche                                       pro Woche        pro Woche

                                            © BiB 2021                                                      © BiB 2021

Daten: SOEP v34, Erhebungsjahre 1997, 1999, 2002, 2009 und 2014 gepoolt, N = 40.694, ungewichtet, eigene
Berechnungen.

Lesebeispiel: (Abb. 2a): Beschäftigte, die Homeoffice mindestens einmal pro Woche nutzen, haben durchschnitt-
lich einen um 9 km längeren Pendelweg als solche, die es nie nutzen (rote horizontale Linie). Das Vertrauensinter-
vall (vertikale Linie) umfasst in diesem konkreten Fall nur positive Werte − d. h. der Unterschied ist mindestens auf
dem 5-Prozent-Niveau signifikant.

Anmerkungen: OLS-Regressionen (Regressionskoeffizienten und 95 %-Vertrauensintervall); im Modell mit Kon-
trollvariablen (2b) werden zusätzlich Geschlecht, Alter, Staatsbürgerschaft, Wohnort, Bildung, Alter der Kinder,
Partnerschaftsstatus, Dauer der Firmenzugehörigkeit, Branche, tatsächliche Arbeitsstunden und das Erhebungs-
jahr berücksichtigt.

bestimmten Merkmalen wie etwa einer höhe-                sonen, die im Homeoffice arbeiten, eine durch-
ren Bildung gleichzeitig sowohl häufiger im Ho-          schnittlich um 2 bis 4 km längere Pendelstrecke
meoffice arbeiten als auch längere Pendeldistan-         auf. Eine zusätzlich durchgeführte getrennte Be-
zen haben. Dies kann die Schätzung verzerren.            trachtung der einzelnen Erhebungsjahre ergibt,
Wir haben daher ein zweites Modell berechnet,            dass der Zusammenhang zwischen der Häufig-
bei welchem sozio-demographische und arbeits-            keit der Nutzung von Homeoffice und der Pen-
bezogene Merkmale wie etwa Alter, Geschlecht,            deldistanz in den nahe zurückliegenden Erhe-
Bildung oder Arbeitsstunden berücksichtigt wer-          bungsjahren stärker positiv ausfällt. Insofern
den (siehe Abbildung 2b). In diesem Modell fällt         stellen die hier berichteten Ergebnisse – unter
der positive Zusammenhang zwischen Pendeldi-             Einbeziehung auch der weiter zurückliegenden
stanz und Homeoffice geringer aus, bleibt jedoch         Erhebungsjahre – eher eine konservative Schät-
statistisch bedeutsam. Demnach weisen Per-               zung dar.

                                                                                                                         5
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               Mehr, weniger oder gleich? – Welche Auswir-         gari et al. 2019; Saxena/Mokhtarian 1997). Aller-
               kungen könnte eine vermehrte Nutzung von            dings scheinen diese kürzeren Distanzen vor al-
               Homeoffice auf das Berufspendeln haben?             lem durch aktivere Formen der Mobilität (z. B.
                  Bereits seit langem – und verstärkt durch die    Fahrrad) überbrückt zu werden (Elldér 2020).
               COVID-19-Pandemie – ist für politische Ent-         Eine sich anschließende Frage ist, wie sich Ho-
               scheidungsträger weltweit von Interesse, ob sich    meoffice auf die zurückgelegten Wege des ge-
               Homeoffice als Instrument zur Reduzierung des       samten Haushalts auswirkt. So entfällt an Ho-
               gestiegenen Pendel- und Verkehrsaufkommens          meoffice-Tagen eines Haushaltsmitgliedes etwa
               eignet. Dieser Überlegung liegt die Annahme zu      die Möglichkeit, gemeinsame Pendelstrecken zu
               Grunde, dass an Tagen, an denen im Homeoffice       bündeln. Zudem könnten frei gewordene Fahr-
               gearbeitet wird, der Arbeitsweg entfällt und dies   zeugkapazitäten durch andere Haushaltsmitglie-
               das Verkehrsaufkommen verringert. Der Blick auf     der genutzt werden, was zusätzliche Fahrten ge-
               den internationalen Forschungsstand zeigt al-       neriert (Rebound-Effekte). Die Befundlage ist
               lerdings, dass sich der Zusammenhang zwischen       allerdings nicht eindeutig: Während einige Studi-
               Pendelmobilität und Homeoffice deutlich kom-        en eine Erhöhung der insgesamt von Haushalts-
               plexer gestaltet.                                   mitgliedern zurückgelegten Strecke finden, ge-
                  Zunächst verweisen die meisten Studien wie       hen andere eher von einer Reduktion derselben
               auch unsere Befunde darauf, dass Personen, die      aus (Kim 2016: 541f.). Insgesamt verdeutlichen
               im Homeoffice arbeiten, einen längeren Pendel-      diese Studien jedoch die Notwendigkeit der Be-
               weg haben als Personen, die nie zu Hause arbei-     trachtung des gesamten Haushalts für eine ad-
               ten. An kompletten Homeoffice-Tagen werden          äquate Abschätzung des Einflusses von Homeof-
               zwar Pendelwege „eingespart“; dem stehen je-        fice auf das Mobilitätsverhalten.
               doch die durchschnittlich längeren Pendelstre-
               cken gegenüber. Längsschnittstudien deuten zu-      Fazit
               dem darauf hin, dass Personen, die Homeoffice          Vor dem Hintergrund der erhöhten Nutzung
               nutzen, ihre Pendeldistanz in der Folge auswei-     von Homeoffice im Zuge der COVID-19-Pan-
               ten, indem sie den Wohn- oder Arbeitsort verla-     demie wurde die Frage diskutiert, inwiefern Ho-
               gern (de Vos et al. 2018). Aus dieser Perspekti-    meoffice als Instrument zur Verringerung des
               ve erscheint Homeoffice keine effektive Strategie   Pendlerverkehrs und des Verkehrsaufkommens
               zu sein, um den Pendelverkehr merklich zu redu-     geeignet ist. Es wurden empirische Befunde für
               zieren. Außerdem verringern sich die Verkehrs-      Deutschland präsentiert, die zeigen, dass Ho-
               reduktionseffekte, wenn nur für einige Stunden      meoffice-Nutzung mit längeren Distanzen zwi-
               am Tag im Homeoffice gearbeitet und zusätzlich      schen Wohn- und Arbeitsort einhergeht. Dieser
               zum Arbeitsplatz gependelt wird (Elldér 2020).      Befund könnte sich zum einen dadurch erklären,
               Allerdings könnte dies den Verkehr zu Stoßzeiten    dass Beschäftigte mit besonders langen Pendel-
               entlasten (Asgari/Jin 2018).                        strecken häufiger die Möglichkeit zum Homeof-
                  Ein weiterer Aspekt bezieht sich auf nicht ar-   fice nutzen (Kim 2016). Zum anderen könnte dies
               beitsbedingte Fahrten (z. B. zum Einkaufen). Die-   darauf hindeuten, dass die durch Homeoffice
               se könnten zusätzlich anfallen, wenn an Homeof-     eingesparten Pendeltage einen Anreiz zur Ver-
               fice-Tagen Kapazitäten hierfür frei werden oder     größerung der Pendeldistanzen bieten (de Vos
               falls diese Aktivitäten nicht mehr mit dem Weg      et al. 2018). Sollten zukünftig letztgenannte Ver-
               zur Arbeit verbunden werden können. Studien         haltensweisen dominieren, könnte dies den ak-
               zeigen, dass an Tagen, an denen zu Hause ge-        tuellen Trend der Abwanderung ins Umland von
               arbeitet wird, mehr nicht arbeitsbedingte Wege      Städten verstärken (Stawarz/Rosenbaum-Feld-
               rund um den Wohnort zurückgelegt werden (As-        brügge 2020).

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BEVÖLKERUNGSFORSCHUNG AKTUELL 1| 2021
ANALYSEN

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