Ronald Stenvert Enkhuizen: Morphologie einer schrumpfenden vormodernen Stadt

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Ronald Stenvert Enkhuizen: Morphologie einer schrumpfenden vormodernen Stadt
Ronald Stenvert
Enkhuizen: Morphologie einer schrumpfenden
vormodernen Stadt

Die enorme Entwicklung Amsterdams ab            Noord-Holland, auf dem Ostzipfel der
dem Ende des 16. Jahrhunderts ging zu Las-      westfriesischen Halbinsel durch die Ver-
ten des Wachstums anderer holländischer         schmelzung von zwei vor-städtischen
Städte, die in dieser Zeit ebenfalls versuch-   (präurbanen) Siedlungen. Entlang der heu-
ten, ambitionierte Erweiterungspläne zu         tigen Westerstraat erstreckte sich das Dorf
realisieren. Die wachsende Dominanz Ams-        Gommerkarpel (Ersterwähung 1204). Als
terdams verhinderte, in Kombination mit         das mehr nach Südosten gelegene Dorf Eng-
dem im Allgemeinen schrumpfenden Wohl-          husen (gegründet um 1100) durch die Zui-
stand, die Vollendung solcher Erweiterun-       derzee verschlungen worden war, erfolgte
gen. Die darauf folgende Schwächung der         der Wiederaufbau an der heutigen Breed-
ökonomischen Basis Hollands führte              straat. Diese Straße bildete zusammen mit
schliesslich zu einem tiefgreifenden Nieder-    dem späteren Visserdijk an der Nordseite
gang. Nirgendwo war dieser so prägnant          und dem späteren Dijk an der Südseite den
wie in Enkhuizen, denn von den fast 22.000      1326 vollendeten Westfriesischen Omring-
Einwohnern, die es 1620 gab, waren 1850         dijk. Zusammen erhielten beide Siedlungen
nur noch 5.000 übrig.                           vom Grafen Wilhelm V. von Holland im
   Diese auffallende Entwicklung ist in his-    Jahr 1355 Stadtrechte.3 Kurz danach be-
torischen Studien nicht unbemerkt geblie-       gann man mit einer ersten Umwallung, und,
ben,1 während die städtebaulichen und bau-      innerhalb des Deiches parallel zur Breed-
historischen Folgen des Niedergangs nur         straat, mit dem Ausgraben des Zuiderhafens
wenig Aufmerksamkeit gefunden haben.2 In        (1361–1362). 1422 wurde an der Nahtstel-
diesem Aufsatz wird nun die „Bauhistorie        le zwischen Zuiderhafen und Westerstraat
des Negativen“ untersucht, nämlich dasje-       die St. Pancraskirche gestiftet. Weiter west-
nige, was verschwunden ist. Zentrale Be-        lich an der gleichen Straße steht seit 1470
deutung hat dabei eine Analyse des Urkatas-     als zweite Pfarrkirche die St.-Gommarus-
ters von 1832 mittels eines für dieses For-     kirche. Wachsender Wohlstand führte im
schungsprojekt hergestellten Baublockatlas      15. Jahrhundert zum Bau von fünf Klös-
von Enkhuizen. Ein Vergleich der älteren        tern. Für die wachsende Flotte von He-
Karten und Darstellungen mit den noch           ringsschiffen wurden außerhalb des Dijks
vorhandenen Bauten führt zu einem nuan-         ein neuer Hafen (Oude Haven), an der
cierten Bild des Verschwundenen.                Nordseite der Fischerhafen (Visserhaven,
                                                1562) und am Ostrand der Oosterhafen
                                                (1567) angelegt. Zwischen 1489 und 1546
Anfänge                                         ist die gesamte Bebauung einschließlich der
                                                bis dahin entstandenen Häfen mit einem
Enkhuizen, die Stadt der Heringsfischerei,      Verteidigungsgürtel versehen worden, mit
entstand im Norden der späteren Provinz         dem Zuidertor oder ‘Dromedaris’ (1540,
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1 Karte von Luytgen Jansz Waeghenaer von 1577; Westen ist oben. Die vertikale Linie deutet die Tren-
nung zwischen den Pfarrein von St. Pancras (unten) und St. Gommarus (oben) an. P. J. de Vries: De plat-
tegronden van Enkhuizen: Van ganzenveer tot cd-rom. Enkhuizen 2004

erhöht 1649–1658) an der Südseite. Der                Stadt aus den Händen von Wilhelm von
mittelalterliche Umfang Enkhuizens ist auf            Oranien das „Paalkistrecht“, d. h. das
dem 1577 von Waeghenaer veröffentlich-                Recht, für den Unterhalt der Baken inklusi-
ten Stadtplan gut zu erkennen (Abb. 1).4              ve der Abgrenzung der Schiffahrtstrecken
Das in Nord-Süd-Richtung gelegene Vene-               auf der Zuiderzee, Schiffe zu besteuern.
die (zugeschüttet 1896) bildete die Tren-             Auch eine Blockade des Hafens von Ams-
nung zwischen den Pfarrgemeinden von St.              terdam, das in den Jahren 1572 bis 1578
Pancras (Ost) und St. Gommarus (West).                noch zur südlichen, spanischen Seite gehör-
                                                      te, war für Enkhuizen von Vorteil. Die Enk-
                                                      huizener Stadtregierung achtete es darum
Großes Wachstum und Erweiterung                       „hoognoodigh“, die Stadt zu erweitern.
                                                      Am 15. September 1590 wurde die Ausfüh-
Kurz nach dem Beginn der Reformation in               rung eines Entwurfes des bekannten Fes-
den Niederlanden entschied sich Enkhui-               tungsbaumeisters     Adriaan     Anthonisz
zen in den eskalierenden Konflikten 1572              (1540–1620) beschlossen.5
für die nördliche, aufständische Partei. Als             Gewählt wurde ein großzügig angelegter
Belohnung für diese Wahl empfing die                  neuer Verteidigungsgürtel mit sieben Bas-
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2 Oude Gracht, Blick nach Norden auf die vermutlich noch aus dem 17. Jahrhundert stammende Bogen-
brücke der Westerstraat, Aufnahme 2010. Foto Ronald Stenvert

tionen im Stil des Alt-Niederländischen           1649) abgeschlossen wurde. Die Grenze
Systems. Dieser Gürtel folgt einem Kreis-         zur alten Stadt wird durch die Oude Gracht
segment, dessen Radius auf einen Mittel-          markiert (Abb. 2). Dieser Graben wurde
punkt auf dem Dromedaris ausgerichtet zu          nach Norden bis an die neue Festungsgren-
sein scheint. An der Nordseite ist das Kreis-     ze verlängert, um mittels eines Wassertors
segment wegen des dort gelegenen Wassers          (der Oudegouwsboom) eine Verbindung
der Oude Gouw etwas abgeflacht. Der Ra-           mit dem Oude Gouw zu realisieren. Mehr
dius von 275 Ruten an der Nordseite               als hundert Ruten westlich der Oude
wächst an der Nordwestseite bis zu 305 Ru-        Gracht wurde parallel dazu der Burgwal
ten, um dann an der Westseite wieder auf          und quer auf die Oude Gracht ausgerichtet
275 Ruten zu schrumpfen.6 Die Erweite-            und fast parallel zur Nieuwe Westerstraat
rung bewirkte, dass das Stadtgebiet fast ver-     der Noorder Boerenvaart gegraben. Bei
dreifacht wurde.                                  dem zweiten Wassertor (der Boerenboom)
   Nachdem erst die Verteidigungswerke            fließt dieser Graben an der Westseite unter-
projektiert worden waren, fing man im Mai         halb der Festungsanlagen weiter. Parallel zu
1593 mit der Anlage von Gassen, Straßen           diesem Graben, jedoch vierzig Ruten nörd-
und Brücken an.7 Bestimmend für die Er-           lich davon, wurde ein sekundärer Graben
weiterung der Stadt war die Westerstraat,         angelegt. Ebenfalls quer auf die Oude
die als Nieuwe Westerstraat fortgesetzt und       Gracht ausgerichtet, jedoch 25 Ruten süd-
am Ende vom Westerpoort (1599, erneuert           lich der Nieuwe Westerstraat, legte man pa-
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3 Rathaus von Enkhuizen, gebaut 1686–1693 in klassizistischem Stil nach einem Entwurf des Amsterda-
mer Architekten Steven Vennecool (1657–1719), Aufnahme 2010. Foto Ronald Stenvert

rallel den Zuider Boerenvaart an. Vierhun-         che Details des Plans nicht völlig rekonstru-
dert Fuß weiter nach Süden grub man den            iert werden. Den Kern des Stadterweite-
Oude Buyshaven und daran anschließend              rungsgebiets bildet jedoch zweifelsfrei ein
den Nieuwe Haven etwa parallel zum Ou-             Gebiet von etwa hundert Quadratruten mit
de Haven.                                          der Nieuwe Westerstraat in der Mitte. An-
   Da der Entwurf der Stadterweiterung             ders als in Amsterdam scheint es hier nicht
nicht erhalten geblieben ist, können man-          zu einer Ausgabe völlig regelmäßiger Par-
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4 Karte von Joan Bleau aus dem Jahr 1649 mit 3193 Häusern. P. J. de Vries: De plattegronden van Enk-
huizen: Van ganzenveer tot cd-rom. Enkhuizen 2004

zellen gekommen zu sein. Dies hat wahr-             Unerfülltes Streben
scheinlich vor allem damit zu tun, dass an
der Nieuwe Westerstraat – wie an anderen            Der letzte Teil der großen Erweiterung war
Stellen auch – schon prä-urbane Bebauung            der 1618–1621 zwischen Nieuwe Haven
vorhanden war, die nicht beseitigt wurde.           und den Salzscheunen am Zuiderzeedijk
Nichtsdestotrotz scheint eine Parzellen-            angelegte St. Pietershaven, Auch waren die
breite von zwanzig Fuß und eine Tiefe von           Sedimentationen am Ostrand innerhalb der
sieben Ruten ein übliches Parzellenformat           Stadt gelegen . Mit dem Bau des Ostindien-
gewesen zu sein.                                    hauses (1630) und des Westindienhauses
   Das neu geschaffene Stadtgebiet ist in-          (1639) erreichte die Entwicklung Enkhui-
nerhalb des Verteidigungsgürtels mit seinen         zens ihren Höhepunkt. Die Einwohnerzahl
extensiven Funktionen (wie Mühlen und               war von etwa 4.500 in 1553 und knapp
Seilerbahnen) in drei Zonen zu unterteilen:         7.800 in 1561 auf knapp 22.000 in 1622
ein ländlicher Bereich im Norden, ein               gewachsen. 1632 hatte sich diese Zahl mit
Wohnbereich zwischen den beiden Boeren-             19.000 Einwohnern in etwa stabilisiert.8
vaarten und ein Gebiet mit den Häfen süd-             Mit der Pestepidemie von 1636 setzte
lich davon.                                         der Rückgang ein. Während des Ersten
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5 Karte von Geeraerdt Brandt aus dem Jahr 1666 mit 3380 Häusern. P. J. de Vries: De plattegronden van
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Englischen Krieges (1650–1652) waren die               Die Stadt zur Zeit ihres Höhepunktes in
Heringsschiffe langfristig gezwungen, im            der Mitte des 17. Jahrhunderts ist in drei
Hafen zu bleiben, und der Krieg von 1672            Stadtpläne dargestellt.9 Die Karte von Joan
versetzte der Heringsfischerei einen neuen          Blaeu (1598–1673) von 1649 (Abb. 4) wird
Schlag, den die Stadt nicht mehr überwin-           im allgemeinen als ziemlich verlässlich an-
den konnte. Danach blieb die Ostindien-             gesehen, vor allem, da vermutlich der Enk-
fahrt als wichtigste ökonomische Einnah-            huizener Senator Cornelis Bien die Grund-
mequelle übrig. Dass die sich verändernden          lage gezeichnet hat.10 Die Karte von Johan-
ökonomischen Verhältnisse den städtischen           nes Janssonius (1588–1664) von 1657 geht
Behörden nur langsam klar wurden, geht              zum größten Teil auf die Karte von Blaeu zu-
aus der Tatsache hervor, dass sie noch              rück. Auch die Karte von Geeraerdt Brandt
1686, inspiriert durch das Amsterdamer              (1626–1689) (Abb. 5) von 1666 ist zuver-
Beispiel, mit dem Bau eines imposanten              lässig.11
neuen Rathauses begannen. Als dieses 1693              Im 18. Jahrhundert nahm der Verfall
vollendet wurde, war der ökonomische                deutliche Formen an. 1730 waren die Häu-
Wohlstand völlig vorbei (Abb. 3).                   seranzahl auf 2.605 und die Einwohnerzahl
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auf 10.400 gesunken. Trotz dieses Rück-            den. Dem Leerstand von Häusern folgte der
gangs von 40 % innerhalb eines Jahrhun-            Abriss, der von der Stadt aktiv gefördert
derts war der Tiefpunkt noch nicht erreicht.       wurde. Dabei war es, um die entstehenden
1796 zählte man nur noch 6.800 Einwoh-             Löcher in den Straßenreihen zu vertuschen,
ner und 2.105 Häuser, von denen mehr als           vorgeschrieben, an der Stelle des abgerisse-
dreihundert unbewohnt waren. 1830                  nen Hauses eine Mauer oder einen Zaun
wohnten nur noch 5.388 Menschen in Enk-            von neun Fuß Höhe zu errichten. In der Zeit
huizen, und der absolute Tiefpunkt war im          von 1730 bis 1850 bildeten Abbruchunter-
Jahr 1840 mit 4.988 Einwohnern und                 nehmen und Bauschutthandlungen eine
1.026 Häusern erreicht.12 Die allgemeine           nicht unwichtige Wirtschaftsbranche.13 Ein
Malaise wurde durch die Brandzerstörung            nie völlig bebauter Teil der Stadterweite-
des Ostindienhauses 1816 und der Lateini-          rung war mit ‘Aanleggen ter vermaak’, also
schen Schule 1821 verstärkt; das Männer-           als Unterhaltungseinrichtungen, für das
und Frauenhaus wurde 1809, das Westin-             Großbürgertum gestaltet worden. In der
dienhaus 1828 abgerissen. Zwischen 1825            zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ent-
und 1830 sind Teile der Häfen, darunter der        standen in diesem Stadtbereich, auch „Boe-
St. Pietershaven, im Rahmen einer Arbeits-         renhoek“ (= Bauernwinkel) genannt, mehr
beschaffungsmaßnahme zugeschüttet wor-             als dreißig staatliche Bauernhöfe.

6 Katasterkarte aus dem Jahr 1832 mit den sechs Stadtbereichen und 95 Baublöcken. Zeichnung Ronald
Stenvert
Ronald Stenvert Enkhuizen: Morphologie einer schrumpfenden vormodernen Stadt
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   In den bebauten Bereichen der Stadt            Das Urkataster
führte der Verfall zu einem Kahlschlag, der
jedoch nicht überall gleich ausgefallen sein      1812 wurden die Vorschriften des französi-
dürfte. Die große Frage ist, wo genau dieser      schen Kaiserreiches in Bezug auf das Katas-
Rückgang von 3.385 Häusern in 1632 auf            ter auch auf die Niederlande ausgedehnt.14
nur noch 1.693 im Jahre 1832 erfolgte,            Zwischen 1812 und dem Inkrafttreten des
und welche Spuren das Verschwinden von            Katasters 1832 wurde fast das ganze Land
mehr als tausend Häusern im heutigen              auf einheitliche Weise kartiert. Der Ge-
Stadtgefüge hinterlassen hat.                     meinde Enkhuizen wurden sechs Sektionen
   Um auf diese Frage eine Antwort zu ge-         zugeteilt, von denen die Sektionen D, E
ben, ist die Stadt in sechs Bereiche aufge-       und F innerhalb der Umwallung lagen. In
teilt, die auf historische Verwaltungseinhei-     die Urschriften sind die einzelnen Parzellen
ten Bezug nehmen: Pancras (die St.-Pancras        und Gebäude eingetragen worden. Die da-
Pfarrgemeinde), Gommarus (St.-Gomma-              zu gehörenden administrativen Angaben
rus Pfarrgemeinde), beide in der Altstadt;        wurden in der so genannten Oorspronke-
Aanleg (oder Boerenhoek); Uitleg (das Ge-         lijke Aanwijzende Tabel (OAT) notiert; ge-
biet um der Nieuwe Westerstraat); der Ha-         fragt waren Nutzungsart der Parzelle, Art
ven (der neue Hafenbereich) und der Rand          des Eigentums, Bebauungsklasse, Eigentü-
(Befestigungsgebiet und Aufschüttungen            mer und berufliche Angaben zum Eigentü-
am Ostrand) (Abb. 6).                             mer.

7 Karte von Baublock F03 in den Jahren 1832 und 2010, zusammen mit den Ausschnitten aus den drei
Stadtpläne des 17. Jahrhunderts. Zeichnung Ronald Stenvert
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   Die Urschriften der drei Sektionen sind        Mitte enden sollen“).17 So startet Sektion
für dieses Forschungsprojekt in eine digita-      D, der Westerbereich, im Westen mit der
le Karte umgesetzt worden.15 Dabei ist die        Mühle auf der Bastion Hollandia und endet
ursprüngliche Methode der Nummerie-               mit dem Ketenpoort (Tor) im Südwesten.
rung der Parzellen als Ausgangpunkt ge-           Auch im Detail wird diese pragmatische
nommen worden, damit die ganze Innen-             Systematik angewendet, und das Ergebnis
stadt in eine geschlossene Anzahl von Bau-        ist eine getreue Wiedergabe der topogra-
blöcken unterteilt werden konnte.16 Es            phischen Lage. Bei der Nummerierung zo-
stellte sich heraus, dass die ursprüngliche       gen die damaligen Landvermesser kleine
Nummerierung sowohl im Ganzen als auch            Gassen und Gräben innerhalb des Bau-
im Detail im Uhrzeigersinn erfolgt war. Die       blocks (Abb. 7). Das Ergebnis ist eine ziem-
Instruktion von 1812 bestimmte hierzu:            lich regelmäßige Aufteilung der Stadt in
„Iedere sectie heeft eene onafgebroken            Baublöcke mit einer Durchschnittsgröße
reeks nommers, welke over het algemeen            von einem Hektar: Die Baublöcke am Rand
van het noorden naar het oosten, en van           sind allerdings wesentlich größer und es
het zuiden naar het westen moet worden            bildeten sich einige kleine Blöcke (F38,
getrokken, en in het middenpunt eindigen“         F20, E10) sowie ein großer Block um die
(„Jede Sektion hat eine ununtergebrochene         Gommaruskirche (E26). Die totale Anzahl
Reihe von Nummern, die im Allgemeinen             von Baublöcken in der Innenstadt beträgt
von Norden nach Osten und von Süden               damit 95 (Tabelle 1).
nach Westen zugeteilt werden und in der

Baublöcke            D          E          F          Total     Fläche in ha.      %

Rand                  3          5          1          9          29,4               19
Aanleg                4          3          0          7          10,0                7
Uitleg               11          0          0         11           7,9                5
Haven                 8          0          7         15          21,1               14
Gommarus              1          9          6         16          11,5                7
Pancras               0         12         25         37          16,1               10

Wälle                                                              4,7                3
Wasserflächen                                                     26,2               17
Wege/Straßen                                                      27,5               18

Total                27         29         39         95        154,4              100

Tabelle 1: Aufteilung der Baublöcke in Sektionen D, E und F, mit Angabe der Oberfläche
und Prozente.

Die hier entwickelte Methode, die von der           In Enkhuizen besteht jeder Baublock aus
Nummerierung des Katasters ausgeht, lässt         durchschnittlich 23 Parzellen. Auf diesen
sich auf die Analyse der Baublöcke in ande-       Parzellen sind, wo vorhanden, die Bauten
ren Städten übertragen, was zu gut mit ei-        eingetragen. Es finden sich im Schnitt 18
nander vergleichbaren Ergebnissen führt.18        Bauten pro Block. Wenn mehrere Bauten,
Ronald Stenvert Enkhuizen: Morphologie einer schrumpfenden vormodernen Stadt
224                                                                 Jahrbuch für Hausforschung 61

wie zum Beispiel Haus und Scheune, auf ei-        Bebauungsvergleich
ner Parzelle stehen, sind diese zusammen
gruppiert und zählen als eine Einheit. So-        Der Grundriss von 1832 stimmt gänzlich
wohl die in Parzellen aufgeteilten Kaianla-       mit dem auf den Karten von Blaeu (1649),
gen entlang der Grachten und Häfen als            Janssonius (1657) und Brandt (1666) über-
auch die insgesamt 47 in den Grachten lie-        ein. Hierdurch kann mit den 95 definier-
genden Bootshäuser bleiben für die weitere        ten Baublöcken einfach berechnet werden,
Auswertung außer Betracht19, so beträgt           wie viele Bauten jeweils auf den alten Kar-
die Gesamtzahl an steuerpflichtigen Häu-          ten eingezeichnet sind. Diese kartographi-
sern in Enkhuizen im Jahre 1832 1.693.            sche Analyse ergibt bei Blaeu 3.193 Bau-
   Die Gesamtauswertung mündet in einer           ten, bei Janssonius 3.498 und bei Brandt
Karte mit 17 Kategorien von unbebauten            3.380. Aus den Schriftquellen war eine An-
Parzellen und 11 Kategorien von bebauten          zahl von 3.385 für das Jahr 1632 be-
Parzellen (Abb. 8).20 Das Ergebnis ist eine       kannt.21 Diese Anzahl stimmt fast haarge-
maßgetreue Karte „Anno 1832“ im Maß-              nau mit der Karte von Brandt überein,
stab 1:1250, die die Basis für den Vergleich      während die Differenz auf denKarten von
mit den drei erwähnten Karten des 17.             Blaeu 6% weniger und von Janssonius 3%
Jahrhunderts bildet.                              mehr beträgt. Damit ein noch besserer Ver-

8 Katasterkarte von 1832, mit Hervorhebung der bebauten und unbebauten Parzellen. Zeichnung Ro-
nald Stenvert
Stenvert · Enkhuizen: Morphologie einer schrumpfenden vormodernen Stadt                         225

gleich zwischen den Situationen des 17.             3.149 Häuser, was 7 % weniger ist als die
und des 19. Jahrhunderts möglich wird, ist          schriftlich überlieferte Zahl von 3.385,
eine weitere Präzisierung notwendig (Abb.           aber fast mit der Anzahl an Häusern über-
9). In diesem Prozess soll die Neigung der          einstimmt, die bei Blaeu dargestellt sind.
Zeichner des 17. Jahrhunderts, schema-                 Aus dieser detaillierten Analyse wird er-
tisch vorzugehen, so weit wie möglich eli-          sichtlich, dass sowohl die Karten von Jans-
miniert werden.22 Für jeden der 95 Bau-             sonius (die völlig auf die von Blaeu zurück-
blöcke ist die Oberfläche von 1832 als Aus-         gehen, jedoch verdichtet worden sind) als
gangspunkt genommen, da – anders als die            auch die Karte von Brandt ein insgesamt zu
Bebauung – sich deren Umriss bzw. Fläche            optimistisches Bild darstellen. Schwieriger
nicht wesentlich verändert hat. Durch den           ist die Differenz von mehr als 200 Häuser
Vergleich der Blöcke mit den Karten aus             zu der 1632 erwähnten Anzahl zu erklären;
dem 17. Jahrhundert kann pro Baublock               wahrscheinlich hat dies mit zusätzlichen in-
bestimmt werden, wie viele Bauten darauf            nerhäusigen Trennungen von Häusern
jeweils maximal gestanden haben können.             nicht in baulicher, sondern nur in besitz-
Die entsprechenden Blöcke auf den Karten            bzw. steuerrechtlicher Hinsicht zu tun. Die
des 17. Jahrhunderts sind in kleinen Aus-           Anzahl an Häuser, die bei Blaeu dargestellt
schnitten zu den Abbildungen der Blöcke             sind, stimmt, realistisch gesehen, dort am
hinzugefügt worden (siehe Abb. 7). Auf              ehesten überein, wo auch auf den Zeichen-
diese Weise ist für ganz Enkhuizen der ma-          blättern in den Blöcken genügend Raum
ximale Bebauungsgrad der Zeit um 1650               zur kartographischen Darstellung vorhan-
bestimmt worden. Dies sind insgesamt                den war.

9 Grafik der Blöcke in Sektion F mit der Anzahl von Häusern gemäß den Karten des 17. Jahrhunderts.
Zeichnung Ronald Stenvert
226                                                             Jahrbuch für Hausforschung 61

   Die 95 Baublöcke zusammen nehmen            nicht auch die Baublöcke für ein bestimm-
insgesamt 96,0 Hektar ein. Ergänzt man         tes Maß an Dynamik sorgten.
die Flächen der Wege, inklusiveder Häfen          Baublockuntersuchungen gehören zu
und Grachten, und der Kais, d.h.weitere        der Tradition der Stadtmorphologie, einer
58,4 Hektar (fast 40 %) so ergibt sich eine    Disziplin, die die materielle Dimension des
Gesamtfläche des städtischen Gebiets von       städtischen Gefüges in seiner Entwicklung
154,4 Hektar, wobei sich die Fläche der        studiert.27 In den wichtigsten frühen Publi-
Stadt Enkhuizen zwischen 1632 und 1832         kationen zu diesem Thema liegt der
kaum verändert hat. Dies ergibt eine Brut-     Schwerpunkt vor allem auf Stadtvierteln
to-Bebauungsdichte von 20 Häusern pro          und ihrem möglichen Funktionswandel.28
Hektar im Jahr 1632, die bis 1832 auf elf      Später wurde der Baublock selbst stärker
herabgesunken war.23 Für die Netto-Be-         thematisiert. Hierbei ergaben sich aus den
bauungsdichte auf den Blöcken, d. h. exklu-    verschiedenen Ansätzen terminologische
siv der Straßen, Wasserflächen und Kais, er-   Diskrepanzen: in bestimmten Studien ist
gibt sich eine Dichte von 33 im Jahr 1632      die Rede von ‘division’ oder ‘urban block’,
bzw. 18 im Jahr 1832. Setzt man dazu die       in anderen von ‘îlot’ oder ‘Insel’. Die letzte-
Einwohnerzahl in Relation, die sich in die-    ren Begriffe entstammen der französischen
sen zwei Jahrhunderten halbierte, so ging      Tradition, der die morphologische Unter-
die Belegungsdichte statistisch von 6,0 Per-   suchungen vor allem als Schlüssel zum städ-
sonen im Jahr 1632 auf 3,2 Personen pro        tebaulichen Entwurf dienen.29 In diesem
Haus im Jahr 1832 zurück.                      Beitrag steht jedoch die historische Analyse
                                               im Mittelpunkt, die in den Niederlanden
                                               nur eine kurze Tradition hat.30
Baublöcke                                         Wenn in der Literatur die Rede von ei-
                                               nem ’Baublock‘ ist, dann wird darunter üb-
Bevor die Baublöcke im Detail behandelt        licherweise der geplante Baublock verstan-
werden, sind einige allgemeine theoreti-       den, der ab dem 17. Jahrhundert üblich
sche Bemerkungen über Baublockuntersu-         wurde, und seinen Ursprung in den soge-
chungen erforderlich. Ohne all zu tief die     nannten ’Keurblokken‘ der dritten Stadter-
Theorien der historischen Städtebau-Un-        weiterung Amsterdams ab 1612 hat (Abb.
tersuchungen zu behandeln, kann festge-        10).31 Die dafür charakteristische, viersei-
stellt werden, dass der Baublock als Bezug-    tig geschlossene Blockrandbebauung, die
seinheit der Forschung einen relativ neuen     sich bisweilen schon im16. Jahrhundert
Schwerpunkt darstellt. Traditionell be-        findet,32 erweist sich bei näherer Betrach-
schäftigte sich in den Niederlanden die For-   tung der Stadtgrundrisse jedoch eher als
schung vor allem mit der Stadt als Ganzem      Ausnahme denn als Regel. Der Karte von
und mit ihren Erweiterungen.24 Hierbei         Blaeu nach zu urteilen, kommen von den
standen das städtische Straßenmuster mit       95 Baublöcken in Enkhuizen nur 15 in Be-
Deichen, Dämmen, Plätzen und Kirchen im        tracht, von denen 1832 noch fünf übrig wa-
Vordergrund. Dies führte zu einer typologi-    ren. Viele Blöcke besitzen faktisch nur an
schen Aufgliederung in ’Deichstädte‘,          zwei oder gar nur einer Seite geschlossene
’Dammstädte‘ usw.,25 oder zu anderen           Blockwände, während in den Blöcken an
Gruppierungen.26 Es stellt sich jedoch bei     der Peripherie ohnehin eine lockere Grup-
der Erforschung des städtischen Gefüges        pierung oder lose Bebauung vorherrscht.
die wichtige Frage, ob wirklich das Stra-      Außerdem kommen hakenförmige und U-
ßenmuster immer maßgeblich ist, oder ob        förmige Baublöcke vor, sowie Blöcke, die
Stenvert · Enkhuizen: Morphologie einer schrumpfenden vormodernen Stadt                          227

10 ‘Keurblok’ E2-12 in Amsterdam zwischen Herengracht und Keizersgracht. Es handelt sich um einen
geschlossenen Baublock, mit Gartenhäusern in der Mitte, die mit ihren Rückseiten aneinander stehen. An
den Grachten sind die Gebäudeklassen höher als in anderen Straßen. Zeichnung Ronald Stenvert

an einer Seite mit Wohnhäusern und an der           bestandes der Stadt. Diese Erosion oder
Rückseite mit Speicherbauten und Wagen-             ’Entdichtung‘ vollzog sich nicht überall
scheunen bebaut waren. Die morphologi-              gleich. Auffallend ist, dass im Stadtteil Aan-
sche Klassifikation der Blockformen und             leg sogar eine leichte Steigerung der Häu-
deren Bebauung mit unterschiedlichen                serzahl zu verzeichnen ist. Bei den mittelal-
Wohnhaustypen ist noch ein relativ unbear-          terlichen Stadtteilen Pancras und Gomma-
beitetes Forschungsgebiet.                          rus ist die Erosion mit 40 % am geringsten,
                                                    im Uitleg verschwand die Hälfte der Häu-
                                                    ser, beim Rand beträgt der Rückgang mehr
Mehr als tausend verschwundene Häu-                 als 60% und im Haven wurden zwei Drittel
ser                                                 der Häuser abgerissen.
                                                       Auch in den Baublöcken selbst (Abb. 11)
Oben ist theoretisch berechnet worden,              ist dieses Muster gut ablesbar. Im Stadtteil
dass es um 1650 maximal 3.149 Häuser in             Aanleg hat sich die Anzahl von Häusern in
Enkhuizen gegeben haben kann, und es hat            den Blöcken D04 und E29 verdoppelt. Im
sich gezeigt, dass davon 1832 noch 1.693            mittelalterlichen Bereich bleibt die Bebau-
übrig waren. Diese Abnahme um 46 % be-              ung entlang der Westerstraat – im Übrigen
deutet eine knappe Halbierung des Haus-             bis heute – fast gleich, wie in den Blöcken
228                                                                   Jahrbuch für Hausforschung 61

11 Katasterkarte von 1832 mit Baublockaufgliederung und Darstellung des Erosionsgrades: Je dunkler
die Farbe, desto stärker ist der Baubestand seit dem 17. Jahrhundert ausgedünnt. Zeichnung Ronald
Stenvert

E24 und E25 zu sehen ist. Der Stadtteil Uit-        D15 fehlt. Der Rentnerin Petronella Kui-
leg weist ein gemischtes Bild auf, was aller-       per, die noch fünf Häuser in der Nachbar-
dings auch eine Folge der in dieser Analyse         schaft besaß, musste um 1820 eine Geneh-
angewandten Methodik zu sein scheint. Es            migung für den Abriss erteilt werden.
ist wahrscheinlich, dass die Stadtbehörden             Der Rückgang am Rande der Stadt war
versucht haben, die Bebauung entlang der            am stärksten in den an die Häfen grenzen-
(Nieuwe) Westerstraat so weit wie möglich           den Bereichen, wie den Blöcken E03 und
zu halten, indem Abrisse vor allem an den           F28 im Osten. Eine bemerkenswerte Aus-
Seitenstraßen genehmigt wurden. In die-             nahme bildet das heute ganz freistehende
sem Bereich sind die ehemals geschlosse-            Speichergebäude des Kleinkrämers Jacob
nen Blochrandbebauungen auf einseitige              Moll (1768–1847) in Block F33 (Abb. 12).
Bänder oder hakenförmige Blöcke redu-               Dieser Getreidehändler besaß ebenfalls das
ziert (D16). Trotzdem konnte man den Ab-            Haus Westerstraat 85, das später noch be-
riss auch an vermutlich unerwünschten               handelt wird.
Stellen nicht immer verhindern. So ent-                Die größte Erosion ist am Hafen festzu-
stand mitten im Block D11 ein Loch, und             stellen, wo durch das Wegfallen ökonomi-
auch die nordwestliche Ecke des Blockes             scher Aktivitäten ganze Blöcke, wie D22-
Stenvert · Enkhuizen: Morphologie einer schrumpfenden vormodernen Stadt                            229

                                                    D26, in Wiesen verwandelt wurden. Im Be-
                                                    reich zwischen Oude Haven und Nieuwe
                                                    Haven (heute Buitenhaven) war der Abriss-
                                                    hammer etwas milder. Die Blöcke F35 und
                                                    F36 zeigen Spuren willkürlicher Erosion.
                                                    Die Reduktion eines fast geschlossenen be-
                                                    bauten Blocks zu einem ’schlechten Gebiss‘
                                                    kommt in wenig extremem Ausmaß jedoch
                                                    auch in den beiden mittelalterlichen Berei-
                                                    chen vor. Prominent sind die beiden ’lee-
                                                    ren‘ Ecken des Blocks F24. Die nordöstli-
                                                    che Ecke ist, wie seit dem 18. Jahrhundert
                                                    vorgeschrieben, bis heute mit einem Holz-
                                                    zaun abgeschlossen (Abb. 13). Das gilt
                                                    nicht für die Ecke gegenüber des Rathau-
                                                    ses, die Anfang 19. Jahrhunderts dem öf-
                                                    fentlichen Raum zugeschlagen worden ist.
                                                    Die Parzelle war bereits 1832 Eigentum der
12 Speicher Paktuinen 12 des Kleinkrämers Jacob     Stadt; der Bewohner des angrenzenden
Moll, der als einziges Gebäude des ganzen Blo-      Hauses Breedstraat 50 erhielt um 1870 die
ckes F33 alle Abrisswut überstanden hat. Foto Ro-   Genehmigung, in der Seitenmauer des
nald Stenvert                                       Hauses Fenster einzubrechen (Abb. 14).

13 Unbebaute Parzelle neben Breedstraat 34 auf der Ecke zur Westerstraat, abgegrenzt durch einen
Holzzaun. Foto Ronald Stenvert
230                                                               Jahrbuch für Hausforschung 61

                                                  Enkhuizen um 1830

                                                  1832 hatte Enkhuizen den Tiefpunkt noch
                                                  nicht erreicht. Die Anzahl von 1.693 Häu-
                                                  sern sollte noch weiter schrumpfen, bis auf
                                                  1.026 im Jahr 1840. Dies zeigt auch die
                                                  Fortschreibung der Urschriften von 1832.
                                                  In diesen Plänen sind deutliche Spuren von
                                                  ausradierten Bauten erkennbar.33 Dies be-
                                                  trifft insgesamt 130 Bauten. Wie lange man
                                                  für die Herstellung der Karten gebraucht
                                                  hat ist unklar, aber schätzungsweise sind in
                                                  der Zeit etwa zwanzig Bauten pro Jahr ab-
                                                  gerissen worden. Im allgemeinen war der
                                                  Abriss ziemlich gleich über die das Stadtge-
                                                  biet verteilt, obwohl vor allem im Hafenge-
                                                  biet Häuser verschwanden und auch die
                                                  Blöcke D17 und F15 schwer getroffen sind.
                                                     Die Situation von 1832 ist nur eine Mo-
                                                  mentaufnahme, bietet jedoch eine gute
                                                  Möglichkeit, die soziale Struktur der Stadt
14 Unbebaute Parzelle neben Breedstraat 50, die   zu dieser Zeit darzustellen. Die Kombinati-
in das Eigentum der Stadt gekommen ist, wonach    on der Urschriften mit dem administrativen
der Bewohner Fenster in die Seitenmauer einbre-   OAT (Oorspronkelijke Aanwijzende Tabel)
chen durfte. Foto Ronald Stenvert
                                                  bietet Informationen über den Status der
                                                  Eigentümer und die Qualität ihrer Häuser.
                                                  Im OAT werden nicht nur die Parzellen
   In der Zusammenschau entsteht der Ein-         versteuert, sondern auch die einzelnen da-
druck, dass nach Einsetzen der Rezession          rauf stehenden Bauten.34 Die Bauten wur-
vor allem die bescheidene Bebauung ent-           den nach Größe und Umfang klassifiziert,
lang der Gassen rasch verschwunden war            gemäß eines ‘tableau van classificatie’, das
und ebenso die Häuser an der Peripherie           je nach Stadt unterschiedlich war. In Enk-
der mittelalterlichen Stadt, wie im Block         huizen wurden die Häuser in 23 Klassen
E11 an der Vissersdijk (Abb. 15). Im einsti-      mit Abgaben von 6 bis 240 Gulden aufge-
gen Stadterweiterungsgebiet wurde ver-            teilt. Zum Vergleich waren in Amsterdam
sucht, die Randbebauung der (Nieuwe)              45 Klassen mit Beträgen zwischen 9 und
Westerstraat so gut wie möglich zu erhal-         3000 Gulden gebildet worden. In Enkhui-
ten. Jedoch selbst an prominenter Stelle ge-      zen sind den höchsten Klassen nur wenige
lang es also nicht, eine geschlossene Bebau-      Häuser zugeweisen, und ebenso gab es nur
ung der Baublöcke aufrecht zu erhalten. In        eine kleine Anzahl von wirklich schlechten
anderen Bereichen wurde das städtische            Häusern (Abb. 16). Zwecks besserer Über-
Gefüge vor allem durch planlose Vernach-          sichtlichkeit ist hier für die weitere Be-
lässigung perforiert, mit der Folge angeb-        trachtung die Anzahl der 23 Klassen auf
lich willkürlicher Abrisse.                       sechs Kategorien reduziert, wie in der Stu-
                                                  die von De Saint Moulin (Tabelle 2),35 und
                                                  auf einer Karte dargestellt (Abb. 17). Die
Stenvert · Enkhuizen: Morphologie einer schrumpfenden vormodernen Stadt                         231

       15 Karte von Baublock E11 in den Jahren 1832 und 2010. Auffallend sind die größeren leeren
       Gebiete, die nach 1832 durch den Abriss mehrerer Häuser entstanden. Auch die leeren Parzellen
       fallen auf. Erst im 20. Jahrhundert entstand an der Nordseite entlang des Wilhelminaplantsoen
       Villenbebauung. Zeichnung Ronald Stenvert

       16 Grafik der Aufgliederung der Wohnhäuser in Steuerklassen. Zeichnung Ronald Stenvert
232                                                                   Jahrbuch für Hausforschung 61

17 Zentraler Teil der Katasterkarte von 1832 mit damals bestehenden Wohnhäuser, aufgegliedert in
sechs Steuerkategorien. Zeichnung Ronald Stenvert

höheren Kategorien (Klassen 1 bis 11) mit           de Haus Westerstraat 80–86 (Abb. 18), das
den größeren Bauten befinden sich vor al-           Eigentum der Erben von Hugo Adriaan van
lem an der Westerstraat, die niedrigere Ka-         Bleiswijk (1740–1821) war, der mit Marga-
tegorien (Klassen 18 bis 23) mit kleineren          retha Maria van Loosen (1731–1768) ver-
Häusern im Norden von Pancras.                      heiratet gewesen war. Sein Enkel, ebenfalls
   Die Häuser der höchsten Klassen (Klas-           ein Hugo Adriaan, folgte 1836 Cornelis
sen 1 bis 11) wurden von der Enkhuizer Eli-         van der Willige (1759–1836) als Bürger-
te bewohnt. Die höchsten acht Klassen um-           meister der Stadt. Van der Willige selbst be-
fassen nur 31 Bauten, die alle Besitz der           saß das Haus Westerstraat 40 (Klasse 3).
Notablen waren, darunter ein Richter, ein           Die einflussreiche Familie Snouck van Loo-
Notar, Ärzte und Pfarrer. Auch Kaufleute            sen besaß die Häuser Dijk 34–36 (Klasse 2)
gehörten zu dieser Gruppe, wie Weinkau-             und Kade 18 (Klasse 3, später abgerissen).
fer Jan de Koning (1800–1872), der das                Damit die Aufgliederung verständlich
schöne Haus (Nieuwe) Westerstraat 201               wird, sind die angegebenen Berufe in sechs
besaß (Klasse 4). Auch Gastwirte, ein Inter-        soziale Gruppen aufgegliedert worden, wie
natsleiter und ein Krämer gehörten zur              das auch bei anderen Studien geschah.36
höchsten Kategorie. Ganz oben stand das             Die höchste Gruppe ist die der freien und
große, aus dem 18. Jahrhundert stammen-             akademischen Berufe. Die zweite Gruppe
Stenvert · Enkhuizen: Morphologie einer schrumpfenden vormodernen Stadt                           233

wird von den höchsten Angestellten und
Rentner gebildet,37 die dritte Gruppe von
dem höheren Mittelstand, einschließlich
Beamten und Holzhändlern; darunter folgt
der niedrigere Mittelstand mit Zimmerleu-
ten, Schiffern und Gastwirten. Die beiden
letzten Gruppen werden von geschulten
Arbeitern, wie Fischern und Seilern, und
von ungeschulten Arbeitern, wie Tagelöh-
nern und Schleppern, gebildet.

                                                  18 Das große Wohnhaus Westerstraat 80–86 der
                                                  Familie Van Bleiswijk; als einziges Haus in Klasse 1
                                                  versteuert für jährlich 240 Gulden. Foto Ronald
                                                  Stenvert

Gr. Klasse            A        B         C         D           E          F          Tot.    %.
                      1-8      9-11      12-14     15-17       18-20      21-23

1      Freie Berufe     6        11         6         2          3                    28        2
2      Höchtste        10        23        17        40         78         36        204       18
       Angestellte
3      Höhere           5        10         7         8         10           1         41       4
       Mittelstand
4      Niedrigere       8        31        80      204         236         57        616       54
       Mittelstand
5      Geschulte                  1         8        49        133         37        228       20
       Arbeiter
6      Ungeschulte                          1         7          8           2         18       2
       Arbeiter

Tot.                   29        76      119       310         468        133       1135     100

Tabelle 2: Aufgliederung der unterschiedlichen sozialen Gruppen in Enkhuizen in Bezug
zu den Kategorien (A-F) und Klassen (1-23), 1832.

Wenn wir uns auf die Wohnhäuser be-               fizierter Häuser 1.135. Die Kategorien der
schränken, und den Besitz der kirchlichen         Klassen sind den Berufsgruppen gegen-
und weltlichen Institutionen außer Be-            übergestellt (Tabelle 2). Deutlich ist der zu
tracht lassen, beträgt die Gesamtzahl klassi-     erwartende Trend sichtbar, dass die Grup-
234                                                                    Jahrbuch für Hausforschung 61

pen der Höhergestellten in den besseren             größten Besitz hatte der Zimmermann
und größeren Häusern wohnen. Der                    Meindert Hart Kz. mit 56 Bauten. Sein Be-
Hauptanteil eines Drittels des Ganzen wird          sitz war faktisch noch größer, wenn man
von dem niedrigeren Mittelstand gebildet,           weiß, dass er mit Doortje Ossekooper ver-
mit Wohnungen in den Kategorien D und               heiratet war.39 Zusammen besaß das Ehe-
E. In den beiden niedrigsten Kategorien             paar nicht weniger als 6 % aller privaten
wohnen auch die meisten der geschulten              Bauten in Enkhuizen. Meindert war, wie
Arbeiter. Auffallend für die Gruppe 2 ist die       gesagt, Zimmerer, und damit vermutlich ei-
große Anzahl von Häusern in der Kategorie           ne der Personen, die ihren Wohlstand dem
E und F, wobei es sich um Rentner oder              Abriss von Häusern und dem Handel mit
Personen ohne Beruf handelt, und die, um            Baumaterialverdankten. Auch die Zimmer-
ihre Rente zu steigern, ein zusätzliches            leute Pieter Karsten und Jan Kroonstuiver
Haus vermieten. Ein Drittel dieser Häuser           besaßen mit bzw. 17 und 14 Bauten über-
gehörte Doortje Ossekooper, die insgesamt           durchschnittlich viele Immobilien, wie
45 Häuser in der Stadt besaß.                       auch die Maurer Ruurd Bijl (18), Hendrik
   Falls auch Speicherbauten, Kutschhäu-            Poen (8), Willem Poen (7) und David Wol-
ser, Gewerbebauten usw. mit in Betracht             vendijk (7). Die 22 Maurer und 24 Zim-
gezogen werden, erhöht sich die Gesamt-             merleute stellten also 6% der insgesamt
zahl an Bauten auf 1.607.38 Diese gehörten          778 Eigentümer (Abb. 19) und besaßen zu-
insgesamt 778 Eigentümern. Von diesen               sammen 199 Bauten, d. h. ein Achtel des
besaßen 60 % hiervon nur ein, meistens das          gesamten Baubestandes privater Eigentü-
von ihnen selbst bewohnte Gebäude. 20 %             mer in Enkhuizen!
besaßen zwei und 7 % drei Bauten. Den

19 Grafik der häufigsten Berufe Enkhuizer Hausbesitzer im Jahr 1832 in Bezug zu ihrem jeweiligen Häu-
serbesitz. Jeder Zimmerer besaß im Durchschnitt über fünf, jeder Maurer mehr als drei und jeder Kauf-
mann mehr als zwei Häuser. Zeichnung Ronald Stenvert
Stenvert · Enkhuizen: Morphologie einer schrumpfenden vormodernen Stadt                        235

Bauforschung des Verschwundenen                     heblich erschwert. Der Gebrauch der Stadt
                                                    als Steinbruch – in diesem Fall vor allem als
Nach 1870 kam die Erosion zum Stillstand,           „Backsteinbruch“ – sorgte dafür, dass auch
und langsam kam es zu ersten Neubauten.             Häuser, die erst im 19. Jahrhundert gebaut
Der Bau eines Bahnhofs bildete 1885 den             worden sind, oft Seitenmauern aus wieder-
Wendepunkt. Für die Anlage der Eisenbahn            verwendetem, erheblich älterem Material
wurde der südliche Teil der Häfen tiefgrei-         aufweisen.
fend umstrukturiert. Auch der Snouck van               Hinzu kommen zahlreiche Umnutzun-
Loosenpark, ein Wohnungsbaukomplex,                 gen während der Jahrhunderte des Nieder-
wurde 1895–1897 in der Nähe auf einem               gangs und der Stagnation. So ist das aus
zugeschütteten Hafen errichtet. Trotz die-          dem 17. Jahrhundert stammende Haus
ser aufblühenden Prosperität ist der lange          (Nieuwe) Westerstraat 250 im Laufe des
Zeitabschnitt der Erosion bis heute in Enk-         19. Jahrhunderts in eine Remise umgewan-
huizen erkennbar, denn, wie erwähnt, wei-           delt worden (Abb. 20). Außerdem war es
sen noch immer manche Baublöcke unbe-               keine Seltenheit, dass Wohnhäuser nicht
baute Parzellen auf (siehe Abb. 13).                gänzlich abgerissen, sondern nur um ein
   Eine weitere Folge der Erosion betrifft          oder mehrere Geschosse reduziert wurden.
unmittelbar Bau- und Hausforschung.                 Dies ist der Fall bei Westerstraat 83–83a
Durch den einst blühenden Handel mit Ab-            (Abb. 21). Sowohl das zweigeschossige
rissmaterialen wird die bauhistorische Stra-        Haus Nr. 83 als auch das eingeschossige
tigraphie der noch vorhandenen Bauten er-           Haus Nr. 83a waren 1832 im Besitz des

                                                    21 Das Wohnhaus Westerstraat 83A, zusammen
                                                    mit dem benachbarten höheren Haus 83 im Jahr
20 Haus in der (Nieuwe) Westerstraat 250, letztes   1832 im Besitz des Kleinkrämers Jacob Moll. Von
Viertel des 17. Jahrhunderts als Wohnhaus gebaut    diesem Haus wird vermutet, dass es im 18. Jahr-
und im Laufe des 19. Jahrhunderts zum Wagen-        hundert um ein Geschoss niedriger geworden ist.
haus umgebaut. Foto Ronald Stenvert                 Foto Ronald Stenvert
236                                                                   Jahrbuch für Hausforschung 61

22 Karte des Baublocks D10 in den Jahren 1832 und 2010. Die Bebauung des Blockes ist an der (Nieu-
we) Westerstraat zu Randbebauung reduziert, mit auf der Ecke – ausnahmsweise für Enkhuizen – fünf
aneinander gegliederten Häusern (mit ihren Urkatasternummern). Zeichnung Ronald Stenvert

schon erwähnten Jacob Moll, der in der be-         fortsetzenden Rückgangs der Bebauung die
nachbaren Leliesteeg sein Laden hatte. Es          Folge, dass heute nur noch wenige Parzel-
besteht die Vermutung, dass das Eckhaus            len in Enkhuizen dieselbe Nummer wie bei
(heute Nr. 83a) erst im Laufe des 18. oder         der Aufnahme des Urkatasters tragen. Auf
des frühen 19. Jahrhunderts durch Ab-              den mehr als 50 der 95 Baublöcke mit ihren
bruch eines oberen Geschosses die heutige          knapp 1200 Parzellen, für welche die Nu-
geringe Höhe erhalten hat. Dies gilt auch          merierungen von 1832 und von 2010 ver-
für die Häuser Westerstraat 28 und Waag-           glichen worden sind, waren es nur 109 Par-
straat 7.                                          zellen, die ihre Urnummer behalten haben.
                                                   Hieraus ist zu schließen, dass nur 9% der
                                                   Bebauung von 1832 noch auf der damali-
Schlussbemerkung                                   gen Parzelle steht. In allen anderen Fällen
                                                   ist entweder die Größe oder die Nutzung
Als letzter Aspekt ist erwähnenswert, dass         der Parzellen geändert, und wurde die Par-
nur eine Parzelle, die von der Größe her un-       zelle selbst neu nummeriert. Pro Baublock
verändert blieb, unter ihrer ursprünglichen        handelt es sich also oft um nur eine oder ei-
Katasternummer weiter geführt wurde.               nige wenige Parzellen. Eine Ausnahme bil-
Dies hat angesichts des sich auch nach 1832        det der Block D10 (Abb. 22) wo noch eine
Stenvert · Enkhuizen: Morphologie einer schrumpfenden vormodernen Stadt                  237

23 Die Eckbebauung des Blo-
ckes D10 mit fünf aneinander
gereihten Wohnhäusern aus
dem 17. und 18. Jahrhundert,
Aufnahme 2010. Foto Ronald
Stenvert

Gruppe von fünf Häusern, (Nieuwe) Wes-            cken stehen 90, 48, 40 und 55 Häuser. Von
terstraat 190–198, die Situation von 1832         diesen 233 Häusern haben noch 136 ihre
zeigt (Abb. 23).40                                Urkatasternummer des Jahres 1832. Diese
   Nicht nur Enkhuizen, sondern auch alle         60 % stehen im großen Kontrast zu den ma-
andere holländischen Städte hatten nach           geren 9 % in Enkhuizen. Weitere Untersu-
der französischen Zeit um 1800 unter öko-         chungen sollen zeigen, ob dies auch für die
nomischem Rückgang zu leiden. Sogar               übrigen Baublöcke Amsterdams gilt. Jeden-
Amsterdam blieb nicht völlig verschont.41         falls unterstützt die Tatsache die Hypothe-
Die Größe der Metropole und des ange-             se, dass, obwohl ganz Holland unter den
sammelten Kapitals bot der Stadt jedoch           Niedergang zu leiden hatte, Amsterdam
mehr „substantielle“ Schwungkraft. Die            besser im Stande war, die städtebaulichen
Zahl an Häusern, die dem Verfall ausge-           Konsequenzen aufzufangen als Enkhuizen.
setzt waren, blieb prozentual deutlich hin-          Die hier gezeigte Forschungsmethodik
ter der in Enkhuizen zurück. Nähere syste-        auf Basis des Katasters von 1832 bietet Er-
matische Katasteruntersuchungen für Ams-          kenntnisse über die räumliche Entwicklung
terdam fehlen bislang; eine kleine Stichpro-      Enkhuizens und erklärt die bauhistorische
be von vier Blöcken offenbart jedenfalls ei-      Erosion der Stadt, die auch im Stadtgefüge
ne bemerkenswerte Tatsache: Außer dem             von Heute noch an diversen Stellen sicht-
schon erwähnten Block (E2-12) (siehe Abb.         bar ist.
10) sind dabei auch ein zweiter Block aus            Nur selten wird in den Niederlanden das
dem 17. Jahrhundert (E2-09),42 ein Block          Urkataster auf diese Weise rückwärtig in
im mittelalterlichen Teil der Oude Zijde bei      die Zeit projeziert. Das Urkataster wird
der Waage auf dem Nieuwmarkt (Block               hier vor allem nach ’Vorne‘ benutzt, mit
G1-73) und ein Block auf dem Waalseiland          dem Ziel, Aussagen über die mögliche Exis-
von 1644 (Block G2-48) betrachtet wor-            tenz älterer historischer Häuser – mit wo-
den.43 In allen vier den Fällen handelt es        möglich später erneuerten Fassaden – zu
sich, wie fast überall in Amsterdam, um           gewinnen. Das Urkataster bildet damit die
noch heute fast lückenlos geschlossene            Grundlage für die Zusammenstellung von
Baublöcke. Nur Block G2-48 hat eine leere         bauhistorischen und kulturhistorischen
Parzelle auf einer der Ecken. Auf den Blö-        ’Waardekaarten‘, wie sie für die Innenstadt
238                                                                Jahrbuch für Hausforschung 61

von Amsterdam44 erarbeitet ist, und inzwi-       hectare in 1632 to 11 houses per hectare in
schen auch für Leiden45, ’s-Hertogenbosch,       1832. With about 19,000 inhabitants in
Utrecht und andere Städte besteht oder           1632 and just 5,388 in 1832, the housing
vorbereitet wird.                                capacity fell from 6.0 to 3.2 persons per
                                                 house in the same period.
                                                    The decline in housing was not evenly
Summary                                          spaced (ill. 16). It was most severe in the
                                                 outskirts and harbour regions (60 % and
Enkhuizen, a town in the north of the pro-       66 % respectively). In terms of urban deve-
vince of Holland, experienced an ambitio-        lopment the number of houses was halved
us period of expansion in the late sixteenth     and, on the whole, only the houses in the
century, but economic decline from the           main street remained. The two late-medie-
mid-seventeenth century onwards had a            val parts of the town were the least affected
profound impact on the built environment,        (40 % decline), while rural development in-
probably more than anywhere else in Hol-         creased slightly.
land. From an estimated 3,149 houses in             The 1832 survey is also a good source on
1632, only about half where still standing       the quality of the buildings themselves and,
in 1832. To gain an understanding of this        due to the record of owners’ professions,
shrinkage and its special distribution across    also on social structure and its spatial distri-
the town, the 1832 land registry survey          bution (ill. 22). It is worth noting that there
(Kadaster) was used as a basis for this study.   were many carpenters and stonemasons in
The town was divided into 95 building            the city, and these were the driving force
blocks, on basis of the system used in the       behind the demolition of the buildings and
survey. These blocks were then subdivided        the trade in the resulting building materi-
into six districts: two late-medieval paris-     als. There were 46 of them, owning one
hes (Pancras and Gommarus), two develop-         eighth of all the remaining houses and they
ments, one predominantly urban (Uitleg)          clearly encouraged the process of shrinka-
and another predominantly rural (Aanleg),        ge, because the number of houses would
the harbour district (Haven) and the outs-       decline further to 1,046 in 1850 before any
kirts (Rand) (ill. 10). Subsequently, the        recovery would take place.
1832 survey was compared to three seven-            The substantial decline in the number of
teenth-century maps (Blaeu 1649, Jansso-         houses is still noticeable in present-day
nius 1657 and Brandt 1666) from the pe-          Enkhuizen, as seen in the ‘dented’ blocks
riod when Enkhuizen was at its most pros-        still standing, some of which have missing
perous. It turned out that there was not         corners. To make virtue of necessity, in at
much difference in the total number of           least one case additional windows were in-
building blocks nor in their area, only the      serted into the former dividing wall (ill.
number of houses differed. To eliminate          19). In other instances, houses were con-
deviation in the particular representation       verted to coach houses (ill. 26) or were lo-
of these three maps, they were, by way of        wered by one floor (ill. 29).
‘hatches’ (‘luikjes’) (ill. 11), compared to        Compared to Amsterdam, which also
the 1832 situation in order to establish the     suffered from decline in the late eighteenth
optimal capacity of houses for each block        and early nineteenth centuries, the impact
around the year 1650. In total this added        on Enkhuizen was far greater. In Amster-
up to 3,149 houses. The average housing          dam the substance of the blocks remained
density per hectare fell from 20 houses per      intact (ill. 15), whereas the degree of erosi-
Stenvert · Enkhuizen: Morphologie einer schrumpfenden vormodernen Stadt                              239

on in Enkhuizen was such that most blocks              case of Enkhuizen has shown that the land
became seriously dented, were reduced to               registry survey of 1832 is a very valuable
just a ribbon along the main street, or dis-           source for research that goes beyond its
appeared entirely, in one case with the ex-            mere use as a starting point for the assess-
ception of just one warehouse (ill. 17). The           ment of historical values in inner cities.

Anmerkungen

 1 Richtje J. de Vries: Enkhuizen 1650–1850:           13 R. J. de Vries 1987, wie Anm. 1, S. 86; D. Brou-
   Bloei en achteruitgang van een Zuiderzeestad.          wer: Enkhuizen: Aanteekeningen uit het verle-
   Amsterdam 1987 und R. Willemsen: Enkhuizen             den, Enkhuizen 1949 (Band 3), S. 89.
   tijdens de Republiek: Een economisch-histo-         14 G. A. M. van Synghel (Red.): Bronnen betref-
   risch onderzoek naar stad en samenleving van           fend de registratie van onroerend goed in de ne-
   de 16e tot de 19e eeuw. Hilversum 1988.                gentiende en twintigste eeuw. Den Haag 1997.
 2 Dieser Beitrag ist Herma M. van den Berg            15 Die Anzahl an Häuser, die um 1832 und bis
   (1918–2005) gewidmet, als Autorin von Herma            1850 verloren gingen sind nicht in die Analyse
   M. van den Berg: De Nederlandse Monumen-               einbezogen worden.
   ten van Geschiedenis en Kunst: De provincie         16 Diese Methodik wurde zum ersten Mal auf die
   Noordholland: Westfriesland, Tessel en Wierin-         Katasterkarte von Zaltbommel sectie A (Maß-
   gen. ’s-Gravenhage 1955.                               stab 1:1250) angewendet, wobei deutlich wur-
 3 Ronald Stenvert e. a.: Monumenten in Neder-            de, dass der dortige Landvermesser selbst die
   land: Noord-Holland. Zeist/ Zwolle 2006, S.            insgesamt 30 Baublöcke mit Buchstaben verse-
   287–302.                                               hen hatte. Dieses Hilfsmittel gab es in Enkhui-
 4 P. J. de Vries: De plattegronden van Enkhuizen:        zen leider nicht.
   Van ganzeveer tot cd-rom. Enkhuizen 2004, S.        17 Methodique verzameling der wetten, decreten,
   15. Die Karte stellt die Bebauung etwas präziser       reglementen, instructiën en decisiën, betrekke-
   dar als die bekannte Karte von Jacob van De-           lijk het cadaster van het Fransche rijk. Amster-
   venter von um 1560.                                    dam 1812 (Französisch-Niederländisch, 2
 5 Noortje de Roy van Zuydewijn: Adriaan Antho-           Bde.), Art. 202.
   nisz: de man van de praktijk. In: J. Sneep/ H. A.   18 Zum Vergleich: Deventer hat 60 Blocke, Zalt-
   Treu/ M. Tydeman (Red.): Vesting: Vier eeuwen          bommel 30, Vianen 21 und Steenwijk 16. In
   vestingbouw in Nederland. ’s-Gravenhage                Amsterdam sind es hunderte; schon die mittel-
   1982, S. 18–23. Übrigens erwähnt De Roy van            alterliche Innenstadt allein hat schon 165 Blö-
   Zuydewijn Enkhuizen nicht.                             cke. Auf diese Weise sind Vergleiche möglich,
 6 In Enkhuizen misst die Rute 3,91 m, bestehend          ohne für jede Stadt sehr weitgehende Archivre-
   aus 12 Fuß von 32,6 cm.                                cherchen unternehmen zu müssen.
 7 R. Willemsen 1988, wie Anm. 1, S. 30.               19 Diese über das Wasser gebauten Bootshäuser
 8 R. Willemsen 1988, wie Anm. 1, S. 99–100;              waren übrigens steuerpflichtig.
   R. J. de Vries 1987, wie Anm. 1, S. 84. Von der     20 J. A. Mol/ P. Ekamper: De kadastrale kapstok:
   im Steuerregister erwähnten Gesamtzahl von             HISGIS Fryslân als model voor een Nederlands
   3615 wurden nur 3383 besteuert.                        basissysteem. In: Onno Boonstra/ Anton Schu-
 9 Die Karte von Marcus Zueri Boxhoorn aus dem            urman (Red.): Tijd en ruimte: Nieuwe toepas-
   Jahr 1632 ist nicht behandelt, da sie zu wenig         singen van GIS in de alfawetenschappen. Ut-
   detailliert ist.                                       recht 2009, S. 198–209, 223–224. Siehe auch
10 P. J. de Vries 2004, wie Anm. 4, S. 23.                www.hisgis.nl. Bei der Analyse ist so weit mög-
11 P. J. de Vries 2004, wie Anm. 4, S. 26.                lich auf die Systematik des HISGIS Fryslân Be-
12 R. Willemsen 1988, wie Anm. 1; die heutige             zug genommen. Für die Bebauung waren je-
   Gemeinde Enkhuizen hatte Anfang 2010                   doch die sechs Kategorien, mit denen bei HIS-
   18.186 Einwohner.                                      GIS operiert wird, nicht ausreichend.
240                                                                       Jahrbuch für Hausforschung 61

21 Siehe Anm. 8.                                           woord ieder betimmerd eigendom, wordt in
22 So zeichnet Brandt im Block E18 unrealistisch           twee gedeelten begroot, te weten: de op-
   viele kleine Häuser hinter den größeren Exem-           pervlakte, op den voet van de beste bouwlan-
   plare an der Straße.                                    den, en het geen boven den grond staat, volgens
23 Als Vergleich: Für ein modernes Neubauvierel            de huurs-waarde, na aftrek van de taxatie der
   wird mit 25–35 Häuser pro Hektar gerechnet.             oppervlakte’, Methodique Verzameling, art.
24 Ed. Taverne/ Irmin Visser (Red.): Stedebouw:            391.
   De geschiedenis van de stad in de Nederlanden      35   Léon de Saint Moulin: La construction et la
   van 1500 tot heden. Nijmegen 1993.                      propriété des maisons expressions des structu-
25 J. G. Wegner: Stedelijke nederzettingen in Ne-          res sociales: Seraing depuis le début du XIXe
   derland tot de Franse tijd. Delft 1971.                 siècle. Brussel 1969, S. 62–65.
26 Reinout Rutte: Landschap vol steden: Over het      36   Siehe für die angewandte Methodik O. W. A.
   ontstaan van de Nederlandse steden en hun               Boonstra: De waardij van eene vroege oplei-
   plattegronden van de elfde tot de vijftiende ee-        ding: Een onderzoek naar de implicaties van het
   uw, OverHolland 2. Amsterdam 2005, S.                   alfabetisme op het leven van inwoners van
   72–90.                                                  Eindhoven en omliggende gemeenten,
27 Elwin A. Koster: Stadsmorfologie: Een proeve            1800–1920. Wageningen 1993, S. 92–97. Er
   van vormgericht onderzoek ten behoeve van               schließt damit an J. J. M. van Tulder: De bero-
   stedenbouwhistorisch onderzoek. Groningen               epsmobiliteit in Nederland van 1919 tot 1954.
   2001.                                                   Leiden 1962, an.
28 Saverio Muratori: Studie per una operante sto-     37   Zu den Rentnern ist auch die Gruppe mit der
   ria urbana di Venezia. Roma 1959 und M. R. G.           Bezeichnung ’ohne Beruf‘ gezählt.
   Conzen: Alnwick Northumberland: A study in         38   Es sei wiederholt: gemeindlicher und kirchli-
   town-plan analysis. London 1960.                        cher Besitz bleiben hier außer Betracht.
29 J. Castex/ J. Ch. Depaule/ Ph. Panerai: Formes     39   Meindert war vor 1806 mit Jonasje Bakewel
   urbanes: De l'îlot à la barre. Paris 1980. Jan          verheiratet, und Doortje gar schon zwei mal
   Heeling/ Han Meyer/ John Westrik: Het ont-              verheiratet gewesen, zuvor mit Hedde de
   werp van de stadsplattegrond. Amsterdam                 Ringh.
   2002, S. 74–80, wo von der Dimensionierung         40   Die Baulücke an der rechten Seite entstand, als
   von Inseln die Rede ist.                                die benachbarten vier Häuser, vordem umge-
30 A. van Drunen: Bouwblokinventarisaties ter be-          baut zum „Café het Park“, nach einem Brand
   scherming van het stedebouwkundige monu-                um 1918 abgerissen wurden.
   ment: Een analyse van de historische structuur     41   Herman Diederiks: Een stad in verval: Amster-
   van ’s-Hertogenbosch. In: Bulletin KNOB 94              dam omstreeks 1800, demografisch, econo-
   (1995) 2, S. 58–70 und A. van Drunen: ’s-Her-           misch, ruimtelijk. Amsterdam 1982.
   togenbosch: Van straet tot stroom. Zwolle/         42   Vgl. Jaap Evert Abrahamse 2010, wie Anm. 31,
   Zeist 2006, betrifft vor allem eine Sammlung            S. 80–81. Bei der Ausgabe um 1620 handelte es
   bauhistorischer Fakten über die Baublöcke in            sich um 47 Parzellen. 1832 waren 48 Bauten
   der Innenstadt. S. Komossa/ M. Risselada: Atlas         vorhanden und 2010 nur noch 40.
   van het Hollandse bouwblok. Bussum 2003 be-        43   Für Amsterdam wurde die gleiche, jedoch ver-
   zieht sich vor allem auf den Entwurf.                   einfachte Methode für die Bestimmung der Blö-
31 Jaap Evert Abrahamse: De grote uitleg van               cke benutzt. Nur die Innenstadt weist aber
   Amsterdam: Stadsontwikkeling in de zeven-               schon 19 Sektionen, von D bis H numeriert,
   tiende eeuw. Bussum 2010, S. 219. Siehe auch            auf, die wiederum ab und zu in vier Teile aufge-
   den Beitrag von Jaap Evert Abrahamse in die-            gliedert sind, was die Andeutung E2 und G2 zu
   sem Band.                                               einer Blocknummer erklärt.
32 J. G. Wegner 1971, wie Anm. 25, S. 42–43.          44   Ronald Glaudemans: Een bouwhistorische
33 Diese ausradierten Parzellen werden in der              waardenkaart voor de stadskern van Amster-
   OAT nur als unbebaut und nicht auch als bebaut          dam. Amsterdam 2008.
   versteuert.                                        45   Y. M. J. Lammers-Keijsers (Red.): Ongekend
34 ‘Ieder huis, gebouw, fabrijk en trafijk, met een        Leiden: Het verleden in kaart. Leiden 2009.
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