Rotlicht-gesteuerter viraler Gentransfer mit Einzelzellaufl ösung

Die Seite wird erstellt Max Stephan
 
WEITER LESEN
Rotlicht-gesteuerter viraler Gentransfer mit Einzelzellaufl ösung
620     W I S S EN S CH AFT · S PECIA L : G ENOME E DI T ING

Extrazelluläre Optogenetik

Rotlicht-gesteuerter viraler
Gentransfer mit Einzelzellauflösung
                                                                                                  zur gentherapeutischen Anwendung im
MAXIMILIAN HÖRNER, WILFRIED WEBER                                                                 Menschen [6]. Mit OptoAAV ist es möglich,
FAKULTÄT FÜR BIOLOGIE, BIOSS, EXZELLENZCLUSTER CIBSS – CENTRE FOR                                 selektiv einzelne Zellen durch die Beleuch-
INTEGRATIVE BIOLOGICAL SIGNALLING STUDIES, UNIVERSITÄT FREIBURG                                   tung mit zellverträglichem rotem Licht
                                                                                                  niedriger Intensität zu transduzieren.
Available methods for efficient gene transfer into user-selected or
even single cells suffer from high invasiveness or the need for compli-                           Aufbau des OptoAAV-Systems
cated equipment. Here, we present a technology for the light-guided                               Die OptoAAV-Technologie besteht aus einem
                                                                                                  modifizierten AAV-Vektor (OptoAAV) und
transduction of native cell lines and primary cells by adeno-associated
                                                                                                  einem Adapterprotein, das für die lichtab-
viral (AAV) vectors. We demonstrate the spatially resolved transduc-                              hängige Rekrutierung des OptoAAVs an die
tion of different cells with different genes within one culture and the                           Zielzelle verantwortlich ist (Abb. 1). Bei dem
selective transduction of single cells by local illumination.                                     viralen Vektor haben wir dessen natürlichen
                                                                                                  Tropismus für Heparansulfat-Proteoglykan,
DOI: 10.1007/s12268-021-1643-z
© Die Autoren 2021                                                                                das auf der Oberfläche von Zellen vorkommt,
                                                                                                  durch zwei Punktmutationen in den viralen
                                                                                                  Kapsidproteinen entfernt. Damit kann der
ó Fortschritte in der Einzelzellsequenzie-       durch kostengünstigere und einfacher zu          virale Vektor selbst nicht bzw. nur noch sehr
rung sowie in multimodalen Einzelzell-           handhabende Techniken zur Einzelzellana-         ineffizient an Zellen binden. Zudem haben
Omics-Ansätzen ermöglichen ein neues,            lyse. Im Gegensatz zu dieser Entwicklung         wir an das virale Kapsidprotein VP2 eine
faszinierendes Verständnis der Heterogeni-       hinken Technologien zur genetischen Mani-        gekürzte Version des Phytochrom-Interakti-
tät von Zellen in multizellulären Organismen     pulation von Einzelzellen hinterher. Ein opti-   onsfaktor 6 (PIF6) fusioniert. Das Adapter-
[1]. Das Wissen über Prozesse auf Einzelzell-    males System hierfür würde folgende Eigen-       protein besteht aus einem DARPin, das an
ebene wächst kontinuierlich, katalysiert         schaften aufweisen: (i) die Kontrolle über       ein ausgewähltes Protein auf der Zelloberflä-
                                                 den Gentransfer sollte außerhalb der Zelle       che bindet, und einer gekürzten Version von
                                                 liegen, um Nebenwirkungen auf andere Zel-        Phytochrom B (PhyB). DARPins (designed
                                                 len zu vermeiden, (ii) die Technik sollte so     ankyrin repeat protein) sind kleine künstli-
                                                 wenig wie möglich invasiv sein und (iii)         che Proteine, die wie Antikörper spezifisch
                                                 mehrfach anwendbar sein, um innerhalb            an ausgewählte Antigene binden und mit
                                                 einer Kultur verschiedene Gene in verschie-      hoher Ausbeute im Bakterium Escherichia
                                                 dene Zellen einbringen zu können. (iv)           coli produziert werden können [7]. In dem
                                                 Zudem sollte der Gentransfer mit einer Stan-     OptoAAV-System haben wir uns die Eigen-
                                                 dardlaborausrüstung durchführbar sein und        schaft der Proteine PhyB und PIF6 aus der
                                                 (v) einen hohen Durchsatz erlauben. (vi)         Pflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmal-
                                                 Schlussendlich sollte der Gentransfer sowohl     wand) zunutze gemacht, dass diese unter
                                                 in unmodifizierten Zelllinien als auch Pri-       Beleuchtung mit rotem Licht (Wellenlänge
                                                 märzellen möglich sein. Etablierte Verfahren     ca. 660 nm) innerhalb von Sekunden inter-
                                                 zum gezielten Gentransfer, wie z. B. die Ein-    agieren. Dadurch kommt es durch das Adap-
                                                 zelzellinjektion oder die lichtinduzierte Per-   terprotein zur Rekrutierung des OptoAAVs
  ˚ Abb. 1: OptoAAV-Funktionsweise. Die          meabilisierung der Zell- oder Endosomen-         an die Oberfläche der Zelle und damit zu
  Rotlicht (660 nm)-induzierte Interaktion von   membran, sind entweder langwierig, benöti-       deren Transduktion. Ein weiterer Vorteil
  Phytochrom B (PhyB) und PIF6 führt zur
                                                 gen komplizierte Geräte oder sind mit einer      dieses natürlichen pflanzlichen Rotlicht-
  Rekrutierung des modifizierten Adeno-asso-
  ziierten viralen Vektors (OptoAAV) an die      hohen Toxizität für die Zielzelle verbunden      rezeptorsystems ist, dass die Interaktion
  Zelloberfläche und damit zur Transduktion.      [2–4]. Mit der hier vorgestellten OptoAAV-       beider Proteine durch die Beleuchtung mit
  Der DARPin ist ein antikörperähnliches syn-    Technologie überwinden wir diese Ein-            dunkelrotem Licht (Wellenlänge ca. 740 nm)
  thetisches Protein, das gegen ein zelluläres   schränkungen [5]. Dieses System basiert auf      innerhalb von Sekunden gestoppt werden
  Oberflächenprotein gerichtet ist und modu-
                                                 Adeno-assoziierten viralen (AAV) Vektoren,       kann. Somit kann die Transduktion von mit
  lar ausgetauscht werden kann. Angepasst
  aus [5].                                       einem Standardwerkzeug für den Gentrans-         dunkelrotem Licht beleuchteten Zellen ver-
                                                 fer in Zellkultur und Tiermodellen bis hin       hindert werden.

                                                                                                    BIOspektrum | 06.21 | 27. Jahrgang
Rotlicht-gesteuerter viraler Gentransfer mit Einzelzellaufl ösung
621

Örtlich und zeitlich kontrollierte
Transduktion
Da die Transduktion von Zellen durch das
OptoAAV-System präzise örtlich und zeitlich
kontrolliert werden kann, ermöglicht es die
Technologie, verschiedene Gene in verschie-
dene Zellen einer Kultur ortsaufgelöst einzu-
bringen. Um dies zu zeigen, haben wir eine
Kultur der humanen Epidermoid-Karzinom-
Zelllinie A-431 für zehn Minuten mit einem
Adapterprotein, das spezifisch an den EGF-
Rezeptor auf A-431-Zellen bindet, unter
Beleuchtung mit 740-nm-Licht inkubiert
(Abb. 2). Nach einem Waschschritt zum Ent-
fernen des ungebunden Adapterproteins
                                                  ˚ Abb. 2: Örtlich aufgelöste Transduktion einer Zellkultur mit zwei Transgenen. Eine Kultur von
haben wir einen OptoAAV, der ein Gen für
                                                  A-431-Zellen wurde nacheinander mit PhyB-DARPinEGFR und OptoAAVGFP inkubiert und lokal durch
das grüne Fluoreszenzprotein GFP trägt, zu        Fotomaske 1 mit 660-nm-Licht beleuchtet. Anschließend wurde die Prozedur mit Fotomaske 2
den Zellen gegeben und die Kultur ortsaufge-      und OptoAAVmScarlet wiederholt und nach zwei Tagen die Transduktion mittels Fluoreszenzmikros-
löst mithilfe einer Fotomaske für neun            kopie analysiert. Maßstabsleiste: 1 mm. Angepasst aus [5].
Sekunden mit 660-nm-Licht niedriger Inten-
sität (0,3 mW cm-2) beleuchtet. Nach einer
Inkubation von zwei Stunden im Dunkeln
haben wir die Kultur gewaschen und das
eben beschriebene Prozedere mit einer zwei-
ten Fotomaske und einem OptoAAV, der für
das rote Fluoreszenzprotein mScarlet codiert,
wiederholt. Die anschließende Analyse der
Expression der beiden Fluoreszenzproteine
mittels Fluoreszenzmikroskopie nach zwei
Tagen hat gezeigt, dass wir erfolgreich orts-
aufgelöst unterschiedliche Zellen in der-
selben Kultur mit verschiedenen Genen
transduzieren konnten.

Gentransfer in einzelne Zellen
Die lokale Beleuchtung von Zellen mithilfe
von Fotomasken erlaubt nur eine relativ
geringe örtliche Auflösung in der Größenord-
nung von mehreren 100 Mikrometern,
sodass nur Zellverbände und keine Einzel-
zellen einer Kultur damit spezifisch beleuch-
tet werden können. Die örtliche Auflösung
kann jedoch durch die Nutzung eines her-
kömmlichen Konfokalmikroskops einfach
bis in den Mikrometer-Bereich erhöht wer-
                                                  ˚ Abb. 3: Transduktion einer ausgewählten Einzelzelle. Eine A-431-Zellkultur mit ein Prozent
den. Um eine beleuchtete Zelle nach zwei          CFSE-gefärbten Zellen (zur Wiedererkennung der Zellen bei der Analyse) wurde nacheinander mit
Tagen wieder identifizieren zu können,            PhyB-DARPinEGFR und OptoAAVmScarlet inkubiert und anschließend eine CFSE-positive Zelle mit
haben wir ein Prozent der Zellen einer            dem 633-nm-Laser eines Konfokalmikroskops beleuchtet (rote Markierung). Die Analyse der
A-431-Zellkultur mit dem Fluoreszenzfarb-         Transduktion erfolgte nach zwei Tagen mittels Fluoreszenzmikroskopie. Maßstab: 100 μm. Ange-
stoff CFSE markiert und auf einem Deckglas        passt aus [5].
mit einem beschrifteten Rastergitter ausge-
sät (Abb. 3). Nach sequenzieller Zugabe des
Adapterproteins und OptoAAVmScarlet unter       proteins mScarlet hin untersucht. Hierbei          Zusammenfassung und Ausblick
740-nm-Beleuchtung haben wir eine ausge-        konnten wir in 60 Prozent aller Experimente        Die OptoAAV-Technologie ermöglicht eine
wählte CFSE-positive Zelle für 120 Milli-       eine Transduktion der beleuchteten Zelle           hochspezifische Transduktion von Zielzellen.
sekunden mit dem 633-nm-Laser des Mikro-        beobachten, während von allen nicht                Die Spezifizität wird über zwei Mechanismen
skops beleuchtet und die Kultur nach zwei       beleuchteten Zellen nur ein Prozent eine           sichergestellt; einerseits wird ein spezifi-
Tagen auf die Expression des Fluoreszenz-       mScarlet-Fluoreszenz aufwiesen.                    sches Adapterprotein verwendet, um mögli-

BIOspektrum | 06.21 | 27. Jahrgang
Rotlicht-gesteuerter viraler Gentransfer mit Einzelzellaufl ösung
622    W I S S EN S CH AFT · S PECIA L : G ENOME E DI T ING

che Zielzellen zu markieren, andererseits       Literatur                                                                        ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und
                                                                                                                                 angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel
wird die Transduktion über die lichtge-         [1] Schier AF (2020) Single-cell biology: beyond the sum of                      enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der
                                                its parts. Nat Methods 17: 17–20                                                 genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende
steuerte Aktivierung des Fotorezeptors PhyB     [2] Bono N, Ponti F, Mantovani D et al. (2020) Non-viral in                      nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der
                                                                                                                                 genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht
auf der Zielzelle vermittelt. Diese Technolo-   vitro gene delivery: it is now time to set the bar!                              nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten
                                                Pharmaceutics 12: 183                                                            Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen
gie komplementiert die Fortschritte in der      [3] Stevenson DJ, Gunn-Moore FJ, Campbell P et al. (2010)                        Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der
                                                                                                                                 Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
Einzelzellanalyse und ermöglicht, durch das     Single cell optical transfection. J R Soc Interface 7: 863–871
                                                [4] Jerjes W, Theodossiou TA, Hirschberg H et al. (2020)
gezielte Einbringen von genetischer Informa-    Photochemical internalization for intracellular drug delivery.                   Korrespondenzadressen:
tion, synthetisch eine Heterogenität herbei-    From basic mechanisms to clinical research. J Clin Med 9:                        Dr. Maximilian Hörner
                                                528                                                                              Universität Freiburg
zuführen. Dies stellt eine aussagekräftige      [5] Hörner M, Jerez-Longres C, Hudek A et al. (2021)
                                                Spatiotemporally confined red light-controlled gene delivery                      Fakultät für Biologie
Methode dar, um Hypothesen zu testen oder
                                                at single-cell resolution using adeno-associated viral vectors.                  Schänzlestraße 18
vorhergehende Analysen über einen synthe-       Sci Adv 7: eabf0797                                                              D-79104 Freiburg im Breisgau
tischen Ansatz zu bestätigen. Darüber hinaus    [6] Wagner HJ, Weber W, Fussenegger M (2021) Synthetic                           maximilian.hoerner@biologie.uni-freiburg.de
                                                biology: emerging concepts to design and advance adeno-as-
bietet OptoAAV im Bereich des Tissue Engi-      sociated viral vectors for gene therapy. Adv Sci 8: 2004018                      www.bioss.uni-freiburg.de/de/dr_maximilian_
neerings neue Möglichkeiten zur orts- und       [7] Plückthun A (2015) Designed ankyrin repeat proteins                          hoerner
                                                (DARPins): binding proteins for research, diagnostics, and
zeitaufgelösten Kontrolle des Wachstums         therapy. Annu Rev Pharmacol Toxicol 55: 489–511                                  Prof. Dr. Wilfried Weber
und der Differenzierung von Zellen durch das    [8] BioTechScope (2021) An optical remote control for gene                       Universität Freiburg
                                                transfer. https://biotechscope.com/optical-remote-control-                       Fakultät für Biologie
gezielte Einführen von entsprechenden           gene-transfer/
                                                                                                                                 Schänzlestraße 18
Expressionskassetten. Ebenso ist die Weiter-                                                                                     D-79104 Freiburg im Breisgau
entwicklung von OptoAAV für therapeuti-         Funding note: Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL.
                                                Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung        wilfried.weber@biologie.uni-freiburg.de
sche Anwendungen vielversprechend. So           4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung,
                                                Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format
                                                                                                                                 www.cibss.uni-freiburg.de/about/cibss-
wurde z. B. vorgeschlagen, über diese Tech-     erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle              investigators/person/prof-dr-wilfried-weber
nologie bei blinden Menschen gezielt lichtab-
hängige Ionenkanäle in Retinazellen einzu-          AUTOREN
fügen, um wieder eine Lichtwahrnehmung                                       Maximilian Hörner
zu ermöglichen [8]. Dank des modularen                                       2005–2011 Studium der Molekularen Biotechnologie (B.Sc. und M.Sc.) an der Uni-
Aufbaus ist eine Anpassung der OptoAAV-                                      versität Heidelberg mit Forschungsaufenthalt 2019 an der Harvard Medical School in
                                                                             Boston, MA, USA. 2011–2017 Promotion im Bereich Synthetischer Biologie in der
Technologie für diese und andere Anwendun-                                   Arbeitsgruppe von Prof. Dr. W. Weber, Universität Freiburg. Seit 2018 Nachwuchs-
gen in der grundlagenorientierten sowie der                                  gruppenleiter an der Fakultät für Biologie der Universität Freiburg.
angewandten Forschung zielgerichtet und
effizient möglich.

Danksagung                                                                   Wilfried Weber
                                                                             2000 Diplom in Biotechnologie. 2000–2005 Promotion und Postdoc, Institut für Bio-
Die Entwicklung von OptoAAV wurde durch                                      technologie, ETH Zürich, Schweiz. 2006–2009 Gruppenleiter, Institut für Chemie- und
die Deutsche Forschungsgemeinschaft im                                       Bioingenieurswesen sowie Department für Biosysteme, ETH Zürich, Habilitation in Bio-
Rahmen der Exzellenzinitiative (BIOSS,                                       technologie. Seit 2009 Professor (W3) für Synthetische Biologie, Universität Freiburg,
                                                                             seit 2019 Mitglied Sprecherteam Exzellenzcluster CIBSS.
EXC-294) sowie der Exzellenzstrategie
(CIBSS, EXC-2189, Projekt-ID 390939984)
gefördert.                           ó

                                                                                                                                    BIOspektrum | 06.21 | 27. Jahrgang
Sie können auch lesen