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Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 1 von 97 Russlands neue Weltordnung Reihe: Stationenlernen im Fach der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer (insbesondere Politik und Geschichte) Autor: Dr. Götz Kaufmann (goetz.kaufmann@schule.berlin.de) Zuarbeit: Maria Braun (Station 5 – Wahlpflicht 2, Station 11) Kurzvorstellung: Dieses fertig ausgearbeitete Stationenlernen für den direkten Einsatz im Unterricht behandelt die sich durch den Angriff Russlands bildende, neue Weltordnung. Es werden die zentralen Aspekte der Politik Russlands seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion beleuchtet und ein besonderes Augenmerk auf das politische System unter Wladimir Putin gelegt. Die Die Entwicklung der russischen Beziehungen zum Westen (Europäischen Union, USA, NATO) werden in Pflicht-, Wahlpflicht- und Wahlstationen behandelt. Das Material ist so angelegt, dass es sich für Sekundarstufe I und II eignet. Es enthält allerdings auch Materialien, die in der Grundschule Anwendung finden können, allerdings angepasst werden müssten. Der Vorzug des Stationenlernens bei diesem hochkomplexen Thema ist, dass die Lerngruppe sich die Inhalte selbständig erarbeiten und das individuelle Lerntempo jeweils anpassen kann. Dies gewährleistet die Binnendifferenzierung ohne gesonderte Aufgabenstellung. Es ermöglicht auch den Lehrkräften der verschiedenen Schulzweige, hier das für die spezifische Lerngruppe (und das zur Verfügung stehende Zeitdeputat) notwendige Scaffolding umzusetzen. Die Aufgabenstellungen wurden mit den Operatoren aus dem Fach Politik erstellt. Hier sollte eine schnelle Anpassung an die anderen Fächer wie Geschichte, Ethik oder Geografie aber keine Probleme bereiten. Am Ende der Stationsarbeit findet nicht verwendetes Material, das genutzt werden kann, um eine weitere Station zum Thema ‚Presse(freiheit)‘ selbst zu entwickeln. Die Lerngruppe erhält für die Durchführung einen ‚Stationenpass‘, wodurch sie mittels gezielten Abhakens erledigter Stationen immer einen Überblick über das Gelernte haben. Inhaltsübersicht: • Hinweise zu Didaktik und Wissenschaftspropädeutik • Informationen für Schülerinnen* • Stationspass • 12 Stationen mit Quellen (Texten, Videos, Bildern) und Aufgabenstellungen • Ausführliche Lösungsvorschläge • Stationenmaterial zum Thema „Russland und die Presse(freiheit)
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 2 von 97 Inhaltsverzeichnis Didaktisch-methodische Hinweise zum Einsatz dieses Materials 4 Überblick: Einsatzmöglichkeiten und Kompetenzen ................... 4 Laufzettel zum Stationenlernen „Das neue Russland“ ............... 6 Stationspass zum Stationenlernen „Russlands neue Weltordnung“ 7 Station 1 | Das politische System Russlands ............................... 8 Gelenkte oder simulierte Demokratie ........................................... 8 Das ‚System Putin‘ ....................................................................... 9 Station 2 | Russland nach 1991 .................................................. 12 Die deutsche Wiedervereinigung und die NATO-Osterweiterung 14 Das Ende von Chaos & Niedergang - Amtsantritt Putins 2000.... 14 Russlands neuer wirtschaftlicher und militärischer Autarkismus 15 Station 3 | Russlands Beziehungen zum Westen ......................... 18 Die 43. Münchner Sicherheitskonferenz 2007 ............................. 19 Wirtschaftsautarkismus................................................................. 20 Station 4 | Eigen- und Fremdwahrnehmung: nur eine Regionalmacht? 22 Station 5 | (Gas)Interessen im Konflikt...................................... 25 Wahlpflicht 1: Nord Stream 2 & Die US Sanktionen................... 25 Station 5 | (Gas)Interessen im Konflikt...................................... 28 Wahlpflicht 2: Russisches Erdgas für Europa .............................. 28 Station 6 | Russland und die NATO ........................................... 31 Station 7 | Von der Rückkehr an Kaukasus und Krim ............... 36 Russische Deutung des arabischen Frühlings ............................... 36 Die Krimkrise und ihre Folgen ..................................................... 37 Russlands Rückkehr in den Kaukasus .......................................... 41 Krieg um Bergkarabach ................................................................ 42 Station 8 | Der Libyenkonflikt ................................................... 44 Bürgerkrieg in Libyen................................................................... 45 Station 9 | Russland im syrischen Bürgerkrieg .......................... 47 Waffen für Assad .......................................................................... 48 Ausstieg der USA aus der Syrien-Diplomatie .............................. 50 Station 10 | Russland in Afrika ................................................. 52 Russischer Neokolonialismus am Beispiel der CAR.................... 52 Der erste Russland-Afrika-Gipfel in Sotschi ................................ 53 Station 11 | Angriff auf die Ukraine .......................................... 56 Eine Chronologie der Ereignisse rund um den Ukraine-Konflikt 56 Station 12 | Droht eine Renaissance des Kalten Kriegs? ............. 61
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 3 von 97 Stationenlernen „Russlands neue Weltordnung“ – Lösungsvorschläge 64 Station 1 ........................................................................................ 64 Station 2 ........................................................................................ 66 Station 3 ........................................................................................ 69 Station 4 ........................................................................................ 71 Station 5 ........................................................................................ 72 Wahlpflicht 1 ................................................................................ 72 Station 5 ........................................................................................ 74 Wahlpflicht 2 ................................................................................ 74 Station 6 ........................................................................................ 77 Station 7 ........................................................................................ 78 Station 8 ........................................................................................ 81 Station 9 ........................................................................................ 83 Station 10 ...................................................................................... 85 Station 11 ...................................................................................... 87 Eine Chronologie der Ereignisse rund um den Ukraine-Konflikt 87 Station 12 ...................................................................................... 90 Quellen für Lehrkräfte ............................................................. 94 Weitere Stationsoption | Russland und die Presse(freiheit) ........ 97
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 4 von 97 Didaktisch-methodische Hinweise zum Einsatz dieses Materials Zielsetzung der Erstellung war es, Lehrkräften so schnell wie möglich eine umfangreiche Materialsammlung im Angesicht der sich so plötzlich verändernden Weltordnung zur Verfügung zu stellen. Es sollten möglichst für alle gesellschaftswissenschaftlichen Fächer und alle Schulzweige Materialien mit Lösungen vorhanden sein. Die vorliegende Stationenarbeit ist inhaltlich umfangreich. Sie umfasst 12 Stationen mit umfangreichem Text-, Video- (mittels QR-Codes), Karten-, Karikatur- und Bildmaterial sowie Lösungsvorschlägen zu den gestellten Aufgaben. Nur fünf der 12 Stationen sind Pflichtstationen. Bei sämtlichen Stationen sind einige Aufgaben, meist die zeitaufwändigen, die im AFB 3 – Bereich angesiedelt sind, als ‚(Option)‘ gekennzeichnet. Diese können entweder für später Klassenarbeiten / Klausuren verwendet oder weggelassen werden. Der wissenschaftspropädeutische Ansatz des Gesamtmaterials ist für einen Leistungskurs der Sek. II angelegt. Viele Aufgaben eignen sich allerdings auch sehr gut für die Sek. I. Grundsätzlich ist die Verwendung so gedacht, dass Aufgaben und Materialien aus dem Aufgabenportfolio herausgelöscht werden, die Stationsarbeit also didaktisch reduziert und für die Bedürfnisse Ihrer Lerngruppe angepasst wird. Je jünger die Lerngruppe desto größer der Aufwand für die Lehrkraft. Für die Grundschule sind vermutlich nur die Bilder, Karikaturen und Karten zur direkten Anwendung geeignet. ÜBERBLICK: EINSATZMÖGLICHKEITEN UND KOMPETENZEN Klassenstufe: Sekundarstufe I oder II, ggf. Grundschule Fach: gesellschaftswissenschaftliche Fächer (insbesondere: Politik & Geschichte) Aufbau der Unterrichtseinheit Einstiegsphase: Einführendes Unterrichtsgespräch Erarbeitungsphase: 12 Stationen zum Thema „Russlands neue Weltordnung“ Abschlussphase: Lösungsbogen, Reflexionsphase Dauer der Unterrichtseinheit: 5-7 Stunden (für die Pflichtmodule) Erworbene Kompetenzen durch die Pflichtmodule: Die Lerngruppe… • kennt wesentliche Aspekte von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Russlands. • kann wichtigsten historischen Entwicklungen in Russland seit Zerfall der UDSSR benennen.
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 5 von 97 • kann den Wandel von Russlands internationaler Bedeutung seit 1991 beschreiben. • kann das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen (NATO, USA, EU) in seinem Wandel beurteilen. • weiß, welche Interessen Russland global verfolgt und welche Gründe die Regierung dafür nennt. • kann eine informierte Diskussion anhand aktueller Nachrichten zum Thema des Angriffs Russlands auf die Ukraine vom 24.02.2022 führen.
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 6 von 97 Laufzettel zum Stationenlernen „Das neue Russland“ Es gibt Pflichtstationen, Wahlstationen und eine Wahlpflichtstation zusammen. • Pflichtstationen müssen erledigt werden, von den zwei Wahlpflichtstationen muss eine erledigt werden. • Die Wahlstationen sind freiwillig und als zusätzliche Aufgaben für besonders gute Schülerinnen* und Schüler* gedacht. Sie können diese im Unterricht bearbeiten, wenn Sie mit den Pflichtstationen fertig sind. • Die Wahlpflichtstation (Station 5) ist nur eine Wahlstation, muss also nicht bearbeitet werden. Die Wahlpflicht besteht, wenn der/die Schüler*in sich für die Station entschieden hat. Dann hat sie die Wahl zwischen einem einfacheren, textbasierten Zugang (1) und einem komplexeren, videobasierten Zugang (2). Nur eine der beiden Wahlpflichtstationen muss erledigt werden. Beide zu lösen wäre redundant. Da die Materialien aufeinander aufbauen, • muss entweder mit Station 1 oder 2 begonnen werden. • Danach setzt man das Stationenlernen entweder mit Station 2 (wenn mit Station 1 begonnen wurde) oder Station 1 (wenn mit Station 2 begonnen wurde) fort. Diese Wahlfreiheit ist im Stationspass mit einem Sternchen hinter der Zahl gekennzeichnet. • Danach folgt auf jeden Fall Station 3. Die weitere Reihenfolge der Bearbeitung ist frei wählbar. Einzige Ausnahme: • Station 12 ist die letzte Station, die ihr im Stationenlernen bearbeitet! Welches die Wahl- und welches die Pflichtstationen sind, steht in dem Stationenpass. Bei den gekennzeichneten Stationen Vorgehen bei der Stationsarbeit: 1. Ist eine Station bearbeitet, wird die Lösung der Lehrkraft vorgelegt, die euch den Lösungsbogen der bearbeiteten Station aushändigt. 2. Das eigene Ergebnis wird mit dem Lösungsbogen verglichen. Das bedeutet, dass man die eigenen Angaben überprüft, ggf. ergänzt. Anschließend hakt man die Station im Stationspass ab. 3. Dann gibt man den Lösungsbogen der Lehrkraft zurück und heftet die Ergebnisse mit der Aufgabenstellung in der eigenen Mappe ab! 4. Dann kann man beginnen, die nächste Station zu bearbeiten. Sollten bei der Korrektur Fragen auftauchen, notieren Sie diese auf dem Lösungsbogen. Die Pflichtstationen 1 und 2 sollten in einer Schulstunde erledigt werden können. Nicht erledigte Stationen sind die Hausaufgabe zur nächsten Unterrichtsstunde.
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 7 von 97 Stationenpass zum Stationenlernen „Russlands neue Weltordnung“ Name: ________________________________________ Station Priorität Name der Station erledigt korrigiert Fragen Das politische 1* Pflicht System Russlands 2* Pflicht Russland nach 1991 Russlands 3 Pflicht Beziehungen zum Westen Russland in der 4 Wahl Eigen- und Fremdwahrnehmung (Gas)Interessen im 5 Wahlpflicht+ Konflikt Russisches Gas für 1+ Europa Nordstream 2 & US 2+ Sanktionen Russland und die 6 Pflicht NATO Von der Rückkehr 7 Wahl an den Kaukasus und die Krim 8 Wahl Der Libyenkonflikt Russland im 9 Wahl Syrienkonflikt 10 Wahl Russland in Afrika Angriff auf die 11 Pflicht Ukraine Renaissance des Kalten Krieges? 12 Wahl Auswirkungen auf Europa Dee
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 8 von 97 Station 1 | Das politische System Russlands Margareta Mommsen (26.03.2018): Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE, Bundeszentrale für politische Bildung, https://www.bpb.de/themen/europa/russland/47933/einleitung/, aufgerufen am 06.03.2022 „Das politische System Russlands gewann in den neunziger Jahren unter der Präsidentschaft Boris Jelzins ein erstes, noch unklares Profil: Experten des Systemvergleichs nannten es eine "defekte Demokratie". Tatsächlich umfasste das Regime Elemente der Demokratie ebenso wie des Autoritarismus und der Anarchie. Es verwandelte sich unter den Präsidentschaften von Vladimir Putin (2000 - 2008; 2012 - 2018 und weiter bis 2024) in eine streng "gelenkte Demokratie". Wie dieser von einem russischen Publizisten geprägte Begriff nahelegt, wurden die Verfassungsprinzipien gebeugt und die demokratischen Institutionen und Verfahrensweisen manipuliert. Im Ergebnis entstand ein autoritäres System mit der Besonderheit förmlich fortbestehender demokratischer Einrichtungen. Diese gaukeln demokratische Verhältnisse lediglich vor. Nicht zufällig sprechen kritische Beobachter von einer ‚simulierten Demokratie‘. Eine weitere Besonderheit des Systems ist eine dualistische Machtstruktur. Das heißt, dass neben der äußeren Erscheinungsform einer autoritären Präsidialherrschaft die Geschicke des Staates durch schwer durchschaubare informelle politische Netzwerke gestaltet und gelenkt werden. Herrschaftstypologisch verkörpert das Regime einen Zwitter aus Autokratie und Oligarchie. Von 2008 - 2012 regierte eine politische Doppelspitze, das so genannte ‚Tandem‘ zwischen Dmitrij Medwedjew als Präsident und Vladimir Putin als Ministerpräsident. In der Realität gab Putin seine Vormachtstellung jedoch nicht ab. Medwedjew blieb nur der Juniorpartner im ‚Tandem‘. Im Mai 2012 wechselten sie ihre Ämter. Während Putin wieder die Präsidentschaft übernahm, trat Medwedjew das Amt des Ministerpräsidenten an. Wesentliche Merkmale wie die Kontrolle über Medien und Parteien blieben während des Duumvirats (Zwei-Personen-Herrschaft – Anm. G.K.) erhalten. Seit 2012 verstärkte sich der Charakter des Regimes als Propagandastaat. Ungeachtet der zunehmenden Nutzung des Internets ist das staatliche Fernsehen weiterhin das wichtigste Herrschaftsinstrument. Es stellt sicher, dass eine gesellschaftliche Mehrheit das Regime unterstützt.“ GELENKTE ODER SIMULIERTE DEMOKRATIE Die genannten Merkmale Demokratie, Autoritarismus und Anarchie finden sich bis heute im russischen, politischen System. ‚Anarchie‘ wird hier durch den genannten ‚Zwitter‘ repräsentiert, der oligarchischen Strukturen viel Einfluss gewährt (vgl. Station 2). ‚Demokratie
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 9 von 97 findet sich in der nach außen hin demokratischen Struktur und [den] Institutionen, die den drei Gewalten zugeordnet sind. Der im heutigen Russland prädominante ‚Autoritarismus‘ wird deutlich, wenn man die Befugnisse des Staatsoberhauptes betrachtet. Wie in Demokratien üblich, sind der Exekutive neben Polizei und Militär auch Staatsoberhaupt und Regierung zugeordnet. Das Staatsoberhaupt ist der/die Präsident*in und über dieses wird in direkter Wahl entschieden. Die Amtszeit beträgt (seit 2013) sechs Jahre. Das Staatsoberhaupt bestimmt die Innen- und Außenpolitik, ist Oberbefehlshaber der Armee, kann Gesetze in das Parlament, die Staatsduma, einbringen und das Parlament auflösen. Mithilfe von Erlässen, sog. Ukas, kann das Staatsoberhaupt auch ohne das Parlament regieren. Zur Regierung gehört auch der Ministerpräsident. Dieser ist offiziell der Regierungschef. Hier besitzt die/der Präsidentin*en das Vorschlagsrecht. Die Duma bestätigt in seiner parlamentarischen Funktion den Vorschlag. Wird der Vorschlag auch nach drei Abstimmungen abgelehnt oder spricht die Duma der Regierung ein Misstrauensvotum aus, hat der Präsident die Möglichkeit, das Parlament per Erlass aufzulösen und vorzeitige Neuwahlen anzuordnen. Die Legislative wird durch die Föderationsversammlung repräsentiert, die aus zwei Kammern besteht: dem Oberhaus, genannt Föderationsrat, und dem Unterhaus, der Staatsduma. Bei den Wahlen für die Duma gilt ein Mischsystem aus Verhältnis- und Mehrheitswahl. Das Parlament wird für eine Legislatur von fünf Jahren gewählt. Es beschließt Gesetze, die von der Föderationsversammlung gebilligt und von dem Präsidenten unterschrieben werden müssen. Die Judikative in Russland hat an ihrer Spitze das Verfassungsgericht und einen Oberste Gerichtshof. Das Staatsoberhaupt schlägt alle Richter vor und der Föderationsrat muss den Vorschlag bestätigen. Das Verfassungsgericht wacht über die Verfassungskonformität von Gesetzen, der Obere Gerichtshof steht allen ordentlichen Gerichtsbarkeiten vor. Zur Judikative zählt auch die Staatsanwaltschaft, die vollständige Unabhängigkeit besitzt. Geleitet wird die Staatsanwaltschaft von der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation. Der Generalstaatsanwalt wird vom Präsidenten vorgeschlagen und vom Föderationsrat bestätigt. Es ist also keineswegs so, dass Putin unangefochten regieren kann, er braucht den Rückhalt in der Bevölkerung (‚demokratische Legitimation‘), der Oligarchen (‚Anarchie‘) und der politischen Eliten, damit er den Autoritarismus für seine politischen Ziele nutzen kann. DAS ‚SYSTEM PUTIN‘ Für das Verständnis des politischen Systems in Russland ist ein Verständnis der Rolle Putins unerlässlich. Der Sender ARTE hat am 12.02.2022 eine Dokumentation mit dem Titel „Der
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 10 von 97 russische Bär erwacht“ veröffentlich, in der er Putin als der „erfahrenste Politiker in der Welt“ bezeichnet und konstatiert, dass „sein größter Trumpf (…) die Zeit“ sei (hier und im Folgenden immer durch die Zeitangabe im YouTube-Video, siehe QR-Code zitiert; 1:50 Minute). Nach den wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen in der Folge des Auseinanderbrechens der Sowjetunion (UdSSR) unter dem schwer alkoholkranken Boris Jelzin sind Stabilität und QR-Code: ARTE (12.02.2022): Der russische Bär erwacht Kontinuität das Primat der Stunde seit seinem Amtsantritt 2000 gewesen. Russland zusammenzuhalten und den weiteren Zerfall aufzuhalten sind notwendige Schritte. Für den nationalen Zusammenhalt wird die Außenpolitik zentrales, strategisches Element (2:20 Minute). Hubert Védrine, französischer Außenminister 1997-2002, sagt über Putin, eine der wichtigsten Aussagen sei es gewesen, dass „Wer die Sowjetunion nicht vermisst, hat kein Herz, wer sie zurückhaben will, hat keinen Verstand“ (2:49 Minuten). In diesem Zitat zeigt sich ein wichtiger Teil der Herrschaftssicherung in der Russischen Föderation: Sowjetnostalgie (vgl. Station 2) verbunden mit autoritärem Interessenausgleich der kleptokratischen Oligarchen. Die außenpolitischen Unternehmungen hinsichtlich der Positionierung gegen die NATO (vgl. Station 6), russische, militärische Schlagkraft (vgl. Station 2) kombiniert mit Soft Power in Afrika (vgl. Station 10), die Sicherung ehem. sowjetischer Einflusssphären in Anrainerstaaten (vgl. Station 7), die erfolgreiche Verteidigung russischer, imperialistischer Interessen in Libyen (vgl. Station 8) und die Demütigung Amerikas auf internationaler Bühne in Syrien (vgl. Station 9) geben dem ‚System Putin‘ innenpolitisch Legitimation, bedienen Sie doch den verletzten Stolz großer Teile der russischen Bevölkerung, nämlich eben jener, die nicht zur Mittelschicht in Moskau und Sankt Petersburg gehören und für die der Westen und Europa weit weg ist. Öffentlichkeitswirksam reist Wladimir Putin im Dezember 2020 nach Damaskus (Syrien), um den Sieg über die Rebellen, und natürlich die USA, und Weihnachten zu feiern. (27:07 Minuten) Wenige Monate später jährt sich der Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg über Nazi-Deutschland am 09.05.2021, in der seit 1945 auf dem Roten Platz in Moskau der Frieden mit einer Militärparade gefeiert wird. Die traditionelle Rede des russischen Staatsoberhauptes beschließt Putin mit einer Bekräftigung des wiedererlangten Selbstverständnisses: „Russland hält sich strikt an das Völkerrecht, und dabei werden wir nationale Interessen entschlossen verteidigen und die Sicherheit unseres Volkes gewährleisten.
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 11 von 97 Eine Garantie dafür sind unsere tapferen Streitkräfte, Nachfahren siegreicher Soldaten. Ruhm für das siegreiche Volk! Glückwunsch zum Feiertag. Alles Gute zum Tag des großen Sieges! Hurra!“ (52:00 Minuten) Aufgaben: 1. Nennen Sie die im Text gemachten Gründe für die Aussage: „Der im heutigen Russland prädominante ‚Autoritarismus‘ wird deutlich, wenn man die Befugnisse des Staatsoberhauptes betrachtet.“ 2. Erklären Sie, warum man das russische politische System auch als eine gelenkte oder simulierte Demokratie bezeichnen kann. 3. (Option) Nehmen Sie begründet Stellung zu der abschließenden Aussage in der ARTE Dokumentation, die besagte: „Putin feiert auf dem Roten Platz nicht den Frieden, sondern den Sieg.“ (51:35 Minuten)
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 12 von 97 Station 2 | Russland nach 1991 Heiko Pleines (10.10.201): Nach dem Ende der Sowjetunion, Bundeszentrale für politische Bildung, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/192802/nach-dem-ende-der- sowjetunion/, aufgerufen am 06.03.2022 Am 07.12.1991 wurde das Ende der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) an dem letzten Präsidenten Michael Gorbatschow vorbei von den Ministerpräsidenten Russlands (Boris Jelzin), der Ukraine (Leonid Krawtschuk) und Weißrusslands (Stanislaw Schuschkewitsch) in einer Staatsdatscha in Wiskuli, nahe der polnischen Grenze besiegelt. Ihre offizielle Auflösung erfolgte am 31.12.1991 mit dem Rücktritt Gorbatschows und der Machtübergabe an seinen Nachfolger als erster Präsident Russlands Boris Jelzin. „Zum Jahresbeginn 1992 entstanden auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion 15 neue unabhängige Staaten. Auch wenn sich immerhin elf (und ab 1993 zwölf) von ihnen in der GUS [Gemeinschaft Unabhängiger Staaten – Anm. G.K.] zusammenschlossen, nahmen sie in den folgenden Jahren sehr unterschiedliche Entwicklungswege. (…) Anfang der 1990er-Jahre herrschte noch die Erwartung, dass in den ehemals sozialistischen Staaten dem Ende der ineffizienten Planwirtschaft ein schnelles Wirtschaftswunder folgen würde. Tatsächlich aber stürzten sie in eine der tiefsten Wirtschaftskrisen, die je außerhalb von Kriegszeiten verzeichnet wurde. Eine offensichtliche Ursache für diese Krise war das Auseinanderbrechen der Wirtschaftsverbindungen zwischen den nun unabhängigen und damit durch Zollgrenzen getrennten Staaten. Vor allem aber fehlten staatliche Behörden, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben in der Wirtschaft (und auch in anderen Bereichen) durchsetzen konnten. Am schnellsten erholten sich ökonomisch die Staaten, die politisch stabil blieben, wie die baltischen Länder, und solche, die reich an Rohstoffen waren wie Aserbaidschan, Kasachstan und Russland. Trotzdem dauerte es in den meisten postsowjetischen Staaten deutlich mehr als ein Jahrzehnt, bis ihr Bruttoinlandsprodukt wieder den Stand aus Sowjetzeiten erreichte. Im Zuge der Wirtschaftskrise brach das sowjetische System sozialer Sicherung zusammen. Staatliche Sozialleistungen, einschließlich der Renten, sanken unter das Existenzminimum. Das Gesundheits- und das Bildungssystem waren nur noch begrenzt funktionsfähig, häufig nur gegen Bestechungsgelder. Während die Armut rasant stieg, sank die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich. Als Beispiel für die schwerwiegenden Folgen der ökonomischen Krise in den 1990er-Jahren können Zahlen für Russland dienen: Dort brach im Laufe jenes Jahrzehnts das
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 13 von 97 Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (gemessen in Kaufkraftparität, also nicht zum Wechselkurs, sondern in der tatsächlichen Kaufkraft, bezogen auf einen Warenkorb) um etwa ein Drittel ein. Erst 2006 erreichte es wieder den Wert von 1990. Der monatliche Durchschnittslohn lag 1999 bei umgerechnet 62 Euro. Nach Angaben der russischen Statistik lebten 1999 knapp 30 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, nach Berechnungen der Weltbank sogar über 40 Prozent. Die durchschnittliche Lebenserwartung der russischen Bevölkerung sank im Laufe der 1990er-Jahre von 68 auf 65 Jahre. (…) Umfragen zeigen, dass Sowjetnostalgie mit ihren verschiedenen Aspekten in allen 15 postsowjetischen Staaten verbreitet, wenn auch nicht mehrheitsfähig ist. Eine Umfrage des Pew Research Centers 20 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion ergab, dass in Russland 26 Prozent (…) der Bevölkerung glaubten, dass einfache Bürger von den Veränderungen seit 1991 profitiert hätten. Als Gewinner wurden stattdessen mit überwältigender Mehrheit Politiker und Unternehmer gesehen. In Russland erklärte genau die Hälfte der Befragten, dass "es ein großes Unglück sei, dass die Sowjetunion nicht mehr existiere." Die über 65-Jährigen stimmten dem zu zwei Dritteln zu, während die Zustimmung bei den unter 30-Jährigen nur noch ein Drittel betrug.“ In einer Dokumentation des Senders ARTE wird dieser Zerfall wie auch die Nostalgie als „schweres Erbe der Sowjetunion“ bezeichnet, verbunden mit der Erkenntnis, dass Russland Ende des 20. Jahrhunderts keine Rolle mehr spielt (hier und im Folgenden immer durch die Zeitangabe im YouTube-Video, siehe QR-Code zitiert; 0:25 Minute). Prägend für die Sowjetnostalgie der QR-Code: ARTE (12.02.2022): russischen Bevölkerung in der Pew Studie 2011 sind allerdings Der russische Bär erwacht auch die Ereignisse, die mit dem ökonomischen und politischen Verfall einhergingen. Russland, die ehemalige Supermacht, die sich immer noch als gleichwertige Großmacht sah, wurde in den Worten Alexander Orlov, russischer Botschafter in Frankreich 2008-2017, nur noch als „zweitrangiges Land“ behandelt, „um das man sich nicht mehr sorgen müsse“ (3:53 Minuten). Seitens russischer Eliten wurde dies als „Arroganz und Hybris des Westens“ wahrgenommen. In dieses „Erniedrigungsgefühl im Kreml“, wie der Chefredakteur der unabhängigen, russischen Zeitung ‚Novaya Gazeta‘ und Friedensnobelpreisträger 2021 Dimitri Muratov es nannte, mischte sich auch die Erfahrung der Zurücksetzung, als das mündlich Gorbatschow für die Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands gegebene
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 14 von 97 Versprechen, keine Osterweiterung der NATO durchzuführen (4:24 Minute), de facto einfach kassiert wurde. DIE DEUTSCHE WIEDERVEREINIGUNG UND DIE NATO- OSTERWEITERUNG Die NATO schreibt dazu selbst, dass „kein solches Versprechen gegeben [wurde], und es wurde nie irgendein Beweis zur Untermauerung der Behauptungen Russlands vorgelegt. Wenn eine solches Versprechen von der NATO selbst gegeben worden wäre, so hätte dies als formeller, schriftlicher Beschluss aller NATO-Bündnispartner erfolgen müssen. Außerdem wurde eine Erweiterung der NATO erst Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung in Betracht gezogen. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Versprechen Russland zufolge gegeben wurden, stand dieses Thema noch gar nicht zur Debatte.“ (NATO, April 2014: https://www.nato.int/nato_static/assets/pdf/pdf_2014_04/20140523_140411- fact_sheet_Russia-ger.pdf, aufgerufen am 06.03.2022) Es ist natürlich richtig, dass es keinen schriftlich bindenden Vertrag gab. Wahr ist aber auch, dass handschriftliche Notizen unter Verschluss gehalten (und wie von der NATO, s.o., geleugnet) wurden, die jetzt allerdings aufgrund kritischer Presserecherche herausgegeben werden mussten und zeigen, dass es diese Zusage gab (vgl. Wiegrefe, 18.02.2022: Neuer Aktenfund stützt russische Version, https://www.spiegel.de/ausland/nato-osterweiterung- aktenfund-stuetzt-russische-version-a-1613d467-bd72-4f02-8e16-2cd6d3285295, aufgerufen am 06.03.2022). Wahr ist auch, dass Deutschland für den Plan der Wiedervereinigung „[v]olle Unterstützung (…) zu diesem Zeitpunkt ausschließlich von der US-Regierung unter Präsident George Bush“ bekommt, die „es freilich nicht umsonst [gibt]. Mit Washingtons Einsatz können [der seinerzeitige Bundeskanzler] Kohl und [Außenminister] Genscher nur rechnen, wenn sie eine Prämisse akzeptieren und selbst verteidigen: Das neue, vereinte Deutschland müsse Nato- Mitglied sein - eine immense Hypothek für die anstehenden Verhandlungen mit dem Kreml.“ (Werner, 01.03.2022: Wurde die Sowjetunion über den Tisch gezogen? NATO-Osterweiterung, https://www.mdr.de/geschichte/zwei-plus-vier-verhandlungen-deutsche-einheit-putin-nato- osterweiterung-100.html, aufgerufen am 07.03.2022) DAS ENDE VON CHAOS & NIEDERGANG - AMTSANTRITT PUTINS 2000 Die Jahre von Chaos und Niedergang, die mit der Präsidentschaft Jelzins verbunden werden, finden mit dem Amtsantritt von Präsident Wladimir Putin, der Russland kontinuierlich in Richtung einer autoritären Konsolidierung entwickelt, im Jahr 2000 ihr Ende.
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 15 von 97 Nichtsdestotrotz versucht Putin bis 2007 die Annäherung an den Westen (ARTE, 12.02.2022, 5:08 Minuten), bis zu seiner denkwürdigen Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, wo er den Westen warnt (vgl. Station 3). Während dieser Zeit tobte bereits der zweite Tschetschenienkrieg (1999-2009), dennoch wird die Warnung nicht ernst genommen. Ein für das Selbstverständnis der russischen Eliten prägendes Ereignis war dann die öffentliche Demütigung Putins durch Obama 2014, in der dieser Russland als „Regionalmacht“ bezeichnete, dessen Aggression „Schwäche nicht Stärke“ sei (vgl. Station 4). RUSSLANDS NEUER WIRTSCHAFTLICHER UND MILITÄRISCHER AUTARKISMUS Es ist sicherlich kein Zufall, dass Russland seit dieser Zeit Maßnahmen zur Autarkie, d.h. wirtschaftliche Unabhängigkeit, ergriffen hat. Unter dem Titel „Super-Regionalmacht Russland“ berichtet https://www.schule-studium.de/Sozialkunde/Supermacht-Russland- Hintergrund-Infos-News.html (aufgerufen am 28.02.2022) aus einem Hintergrundbericht der Tagesschau am 08.08.2019 Folgendes: „Russland setzt vermehrt auf Gold als Anlage, denn Russlands Präsident Putin will sich langfristig vom Dollar abkoppeln. Wegen des anhaltenden Handelsstreits zwischen den USA und China und den damit verbunden Risiken für den Welthandel wächst der Goldpreis kräftig.“ Neben dieser Strategie der wirtschaftlichen Abkoppelung stellt sich die Frage, wie der russische Imperialismus seine militärischen Engagements finanziert? Russlands Militärbudget entspricht 2021 nicht einmal 10% der Ausgaben der USA (vgl. Station 6). Wie die o.g. ARTE-Dokumentation berichtet, werden viele Interventionen Russlands, bspw. in Libyen (vgl. Station 8) oder Syrien (vgl. Station 9) nicht durch die reguläre Armee, sondern durch eine offiziell unabhängige Söldnergruppe namens ‚Gruppe Wagner‘ durchgeführt, hinter der der russische Oligarch Yevgeny [Viktorovich] Prigozhin (21:59 Minuten), der durch Belieferung der russischen Armee mit Nahrung zum Milliardär wurde und den Spitznamen ‚Putins Koch‘ haben soll, steht (22:28 Minuten). Das Finanzierungsmodell ist ein gutes Beispiel für das politische System eines „Zwitter aus Autokratie und Oligarchie“ (Mommsen, 26.02.2018; vgl. Station 2): Prigozhin finanziert zwar Interventionen, die dadurch den russischen Militärhaushalt nicht belasten, profitiert aber auch direkt von zwischenstaatlichen Kooperationen, die der Kreml mit anderen Ländern schließt.
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 16 von 97 In der Zentralafrikanischen Republik (Central African Republic, CAR) schützt die ‚Wagner-Gruppe‘ russische Staatsinteressen, aber gleichzeitig auch das Privateigentum Prigozhins (39:22 Minuten). So steht ein Mitarbeiter1 Prigozhin, mit dem Namen KHODOTOV, in den Dokumenten (siehe Quelle in der Box), die Schürfrechte an Minen gewähren. Das Geschäftsmodell beinhaltet, dass Prigozhin Förderlizenzen in der Zentralafrikanischen Republik erhält, die allerdings auch im von Rebellen besetzten Gebiet liegen (39:39 Minuten). Aufgabe der ‚Gruppe Wagner‘ ist es, den Zugang zu den Minen zu sichern (39:43 Minuten). Quelle: Arte (2022): Der russische Bär erwacht; 39:19 Minute Darüber hinaus verdingt sich die ‚Gruppe Wagner‘ im syrischen Bürgerkrieg (vgl. Station 9) auf Seiten Bashar al-Assads als Elite- Söldner (22:33 Minuten), also auf der Seite, auf der die russische Regierung im Konflikt steht. Der Sold wird aus dem Verkauf von syrischem Öl finanziert. Aufgaben: 1. Nennen Sie die Herausforderungen, denen sich Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gegenübersah. 2. Skizzieren Sie die Situation der russischen Bevölkerung in den 1990ern und erklären Sie davon ausgehend, warum Putin ein beliebter Präsident ist. 3. Ordnen Sie Putins Antwort auf die Frage eines Journalisten mit Blick auf den Text ein: “Es wird kein Zurück mehr geben. Niemand wird Russland mehr übergehen 1 “The CAR Ministry of Finance has published contracts with the company Lobaye Invest for the development of diamonds and gold. The director of the company is Yevgeny Khodotov, whom the media called a native of the power structures of St. Petersburg and associated with Yevgeny Prigozhin]” https://en.wikipedia.org/wiki/Yevgeny_Prigozhin#cite_note-93
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 17 von 97 können. Im Gegensatz zu Ihnen (dem Westen – Anm. G.K.), sind wir tatsächlich Unschuldslämmer! Sie haben versichert, die NATO würde sich nicht nach Osten ausdehnen. Doch sie haben ihre Versprechen nicht gehalten. Sie sind doch kluge Leute. Wieso halten Sie uns für Idioten? Weshalb glauben Sie, dass wir grundlegende Dinge nicht analysieren und beleuchten können?“ (50:24 Minuten) 4. (Option) Problematisieren Sie die im Text genannte ‚Zwitter aus Autokratie und Oligarchie‘, indem Sie anhand des folgenden Zitats die Verflechtung zwischen Staat und ‚Wagner-Gruppe‘ deutlich machen. Von Journalisten auf der Pressekonferenz der Russischen Föderation 2018 nach der ‚Wagner-Gruppe‘ gefragt, sagte Putin: „Erstmal zu Wagner und den Köchen. Meine Köche sind Mitglieder des Föderalen Sicherheitsdienstes. Sie gehören alle dem Militär an, sie haben unterschiedliche Ränge. Sonst habe ich keine Köche. Das wäre also ein für alle Mal geklärt. Und wenn diese Wagner-Gruppe gegen etwas verstößt, sollte die Generalstaatsanwaltschaft das rechtlich bewerten. Nun zur Präsenz der Wagner- Gruppe irgendwo im Ausland. Wenn sie, und das sage ich zum wiederholten Mal, nicht gegen russische Gesetze verstößt, darf sie weltweit ihre Geschäftsinteressen durchsetzen.“ (23:58 Minuten)
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 18 von 97 Station 3 | Russlands Beziehungen zum Westen Die Beziehung zwischen Russland und dem ‚Westen‘ ist eng verknüpft mit dem Kalten Krieg und der Angst der westlichen Welt vor dem Bolschewismus und Marxismus. Es ist die kulturelle Beziehungsebene zwischen den beiden Ländern. Für die ersten 20 Jahre des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland, der später die ehemalige Deutsche Demokratische Republik (DDR) beitrat, nämlich vom 15. September 1949 bis 21. Oktober 1969 stellte die CDU die Bundeskanzler. Dabei gewann sie die Mehrheit der ersten fünf deutschen Bundestage auch durch die Angst, die viele in der Bevölkerung, die noch bis 1945 die Nazis unterstützt hatten, vor Russland und der Idee eines totalitären Kommunismus hatten. Die Erfahrungen mit der Unterdrückung in der Sowjetischen Besatzungszone und später der DDR (1949 – 1990) haben auch dort in den konservativen Bevölkerungsteilen zu Ressentiments geführt, wenngleich deutlich schwächer als im Westen, was man auch an den Wahlplakat der CDU 1953 stabil höheren Wahlanteilen für eher Russland- (Alle_Wege_des_Marxismus_führen_nach_Moskau / commons.wikimedia.org) freundlichere Parteien wie Die Linke und Alternative für Deutschland sehen kann. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 war die Zeit durch eine neue Offenheit geprägt, da Russland nun auch medial und politisch als Freund und Partner antizipiert wurde. Russland war in den Anfangsjahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von wirtschaftlichem und politischem Chaos völlig eingenommen (vgl. Station 2), so dass es keine aktive Rolle für die westliche Welt spielte. Auch nach dem Ende der Präsidentschaft Boris Jelzins und dem Machtantritt Wladimir Putins zum neuen Millennium versuchte die russische Führung die QR-Code: ARTE (12.02.2022): Annäherung an den Westen, wie die ARTE-Dokumentation ‚Der Der russische Bär erwacht Russische Bär erwacht‘ berichtet (5:08 Minuten), bis 2007.
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 19 von 97 DIE 43. MÜNCHNER SICHERHEITSKONFERENZ 2007 Auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz am 14.02.2007 prangerte Putin, für die westliche Welt völlig überraschend, das Machtstreben der USA an (5:24 Minuten). In der russischen Wahrnehmung wird dieses Datum und diese Rede2 als Wendepunkt betrachtet, und die mangelnde Würdigung des Gesagten durch den Westen als der Kardinalsfehler, weshalb der Westen Schuld, oder zumindest gravierende Mitschuld, an den Ereignissen bis heute trage. Alexandre Orlov, der russische Botschafter in Frankreich von 2008 bis 2017 nimmt im Interview wie folgt dazu Stellung: „2007 sprach Wladimir Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine Warnung an den Westen aus, insbesondere an die Vereinigten Staaten von Amerika, die aber meiner Meinung nach damals nicht gehört wurde. Die Leute dachten vielleicht, er sei schlecht gelaunt und maßen dieser Aussage, die auch 14 Jahre später noch von grundlegender Bedeutung ist, wenn man die Gedankengänge von Wladimir Putin verstehen will, keinerlei Bedeutung bei.“ (51:11 Minuten) Putin fragt in der Rede: „Wie sieht eine unipolare Welt aus?“ und gibt darauf selbst die Antwort: „Es gibt nur ein Machtzentrum“ (5:51 Minuten) Das Problem, das er in dieser monopolaren Welt ausmacht, ist, dass sie gekennzeichnet ist von „einer grundsätzlichen Missachtung der Grundprinzipien des Völkerrechts.“ (6:14 Minuten) Das Völkerrecht sieht als Ideal die Länder und Regierungen der Welt als Gleiche unter Gleichen. In dem System, was die russische Regierung in der Welt 2007 sieht, gibt es nur noch ein allgemeingültiges US Rechtssystem, es ist eine unipolare, eine monopolare Welt. Diese Welt zwingt ihr System anderen Nationen wirtschaftlich, politisch und humanitär auf (6:34 Minuten). Rhetorisch fragt Putin: „Wer möchte das schon? Wem würde das gefallen?“ (6:40 Minute) Die Reaktionen auf seine Rede in den westlichen Medien und in der Politik, insbesondere in den USA, ist negativ. Dennoch markiert diese Rede einen Wendepunkt in Russlands Beziehungen zum Westen: Die Rückkehr Russlands auf die internationale Bühne als autonome, blockfreie Macht auf Augenhöhe (6:50 Minuten). 2 Die vollständige Rede Putins ist in deutscher, englischer und russischer Sprache hier nachlesbar: http://www.ag- friedensforschung.de/themen/Sicherheitskonferenz/2007-putin-dt.html, aufgerufen 06.03.2022. Zitierungen im Text folgen allerdings den Übersetzungen der ARTE-Dokumentation aus dem russischen Original.
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 20 von 97 WIRTSCHAFTSAUTARKISMUS Bereits wenige Jahre später scheint die russische Regierung erste Maßnahmen, unbeachtet vom medialen Fokus der westlichen Welt, ergriffen zu haben. Schrittweise beginnt sie mit dem von Verkauf von Auslandsdevisen und dem Ankauf von Gold, die als Goldreserven eingelagert werden. Wie die private Lehrmaterialwebsite mit Verweis auf einen Hintergrundbericht unter dem Titel „Super-Regionalmacht Russland“ der Tagesschau vom 08.08.2019 berichtet (https://www.schule-studium.de/Sozialkunde/Supermacht-Russland-Hintergrund-Infos- News.html, aufgerufen am 28.02.2022), ist die Goldanlage insbesondere im Fall eines Wirtschaftsstreites eine sichere Anlage, denn „jede durch den amerikanisch-chinesischen Handelsstreit ausgelöste Verunsicherung an den Weltfinanzmärkten führt zu steigenden Gold- preisen, denn das Edelmetall gilt bei Anlegern rund um den Globus als sicherer Hafen in Krisenzeiten.“ Liest man die Wirtschaftsstrategie aus dem Hintergrundbericht der Tagesschau auch mit Blick auf die als öffentliche Demütigung Russlands bzw. Putins empfundene Degradierung zur ‚Regionalmacht‘ durch Obama (vgl. Station 2 und Station 6), kommt man nicht umhin, diese Strategie als Vorbereitung dessen zu sehen, was man heute beobachten kann: „Seit Monaten kauft die russische Zentralbank 4 bis 5 Tonnen Gold jede Woche. Die Goldreserven Russlands betragen mittlerweile mehr als 2000 Tonnen. Seit Beginn des Jahres ist Putins Goldschatz um 100 Tonnen gewachsen. Das gesamte Gold, das russische Minen derzeit fördern, wird mittlerweile von der russischen Zentralbank aufgekauft. So kaufte die Zentralbank Russlands im vergangenen Jahr 2018 insgesamt 274 der 314 Tonnen Gold, die in Russland geschürft wurden. Putins riskante Spekulationen scheinen aufzugehen, denn der Goldpreis ist binnen Jahresfrist um 20 Prozent gestiegen ist und hat inzwischen ein Sechsjahreshoch erreicht. Inzwischen befinden sich in den russischen Zentralbank-Tresoren Gold im Wert von mehr als 100 Milliarden US-Dollar. Bereits im vergangenen Jahr war die russische Zentralbank der weltgrößte Käufer des kostbaren Edelmetalls. Gemäß den Nachforschungen des World Gold Council hat Russland im (…) Jahr 2018 insgesamt 274,3 Tonnen Gold erworben und in seinen Zentral-Tresoren eingebunkert. Gekauft wurde das Gold mit den Dollars, die man aus dem Verkauf der US-Staatsanleihen erlöst hatte. 2010 verfügte die russische Zentralbank noch über US-Staatsanleihen im Wert von fast 180 Milliarden Dollar. Mittlerweile sind es nur noch 12,8 Milliarden Dollar. Putins Motiv hinter dem massenhaften Goldeinkauf ist ein politisches, denn er strebt eine ‚Entdollarisierung‘ an.
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 21 von 97 Importe und Exporte nach und von Russland sollen künftig in Landeswährungen abgewickelt werden. Dadurch möchte er die amerikanische Dollardominanz schwächen.“ Es ist davon auszugehen, dass diese Strategie auch bis 2022 beibehalten wurde, um möglichen Sanktionen des Westens vorzubeugen. Die Tagesschau berichtet am 28.02.2022, dass die russische Zentralbank nach eigenen Angaben „im Inland über Bestände von mehr als 2000 Tonnen Gold“ verfügt (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/sanktionen- russland-krieg-ukraine-101.html, aufgerufen am 06.03.2022). Aufgaben: 1. Benennen Sie die Argumente des Textes, die die Beziehungen zwischen ‚dem Westen‘ und Russland kennzeichnen. a. Ordnen Sie die Argumente den Oberbegriffen ‚Kulturelle Beziehung‘, ‚Politische Beziehung‘ und ‚Wirtschaftliche Beziehung‘ zu. 2. (Option) Analysieren Sie die Beziehung zwischen Russland und dem Westen mit Blick auf das folgende Zitat Lawrows im Pressegespräch zur aktuellen Situation in der Ukraine am 03.03.2022: „Ich bin sicher, dass sich die Aufregung legen wird, dass unsere westlichen Partner auch wieder zur Ruhe kommen.“ QR-Code: Pressegespräch mit dem (6:22) russischem Außenminister Lawrow zur aktuellen Situation in der Ukraine; Phoenix (03.03.2022)
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 22 von 97 Station 4 | Eigen- und Fremdwahrnehmung: nur eine Regionalmacht? Meister, Stefan (2020): Russland als dominante Regionalmacht, https://www.bpb.de/themen/kriege-konflikte/innerstaatliche-konflikte/233506/russland-als- dominante-regionalmacht/, 27.02.2022 „Der russische Präsident Wladimir Putin hat in seiner Rede zur Lage der Nation 2005 den Zerfall der Sowjetunion 1991 als "die größte geopolitische Katastrophe" des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Das war sowohl Ausdruck des Bedauerns angesichts der Desintegration des sowjetischen Macht- und Wirtschaftsraumes als auch eine Erinnerung daran, dass mit dem Ende der Sowjetunion plötzlich Millionen von Russen außerhalb der Russischen Föderation lebten. Rückblickend markierte die Rede den Beginn eines einschneidenden politischen Kurswechsels der russischen Führung. Anlass war der Einflussverlust Russlands im Kontext der ‚Rosenrevolution‘ in Georgien (2003), der ‚Orangenen Revolution‘ in der Ukraine (2004) und der ‚Tulpenrevolution‘ in Kirgisien (2005), die aus russischer Sicht maßgeblich von den USA initiiert wurden. Die russische Führung sah sich in ihrem traditionellen Einflussgebiet unter Druck. Dies erklärt die Warnung an den Westen, Moskau werde keine weitere Beschneidung seines geostrategischen Vorfelds zulassen, wie Putin in seiner Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2007 mit Verweis auf die zweite NATO-Osterweiterung betonte. Bis heute hat Russland Sicherheits-, Wirtschafts- und Statusinteressen in diesen Staaten. Dort leben aktuell mehr als 15 Millionen Russen (1991: 25 Mio.). Der ehemals integrierte Wirtschaftsraum der Sowjetunion hat zwar für Russland an Bedeutung verloren, da Lieferketten unterbrochen wurden, viele Staaten ihre Infrastruktur in Richtung China oder der Europäischen Union (EU) ausrichten, und immer mehr Länder ihre Abhängigkeit von russischem Öl und Gas reduzieren. Jedoch bleiben einige Staaten wichtige Absatzmärkte für russische Produkte, vor allem bei Rüstung, Maschinenbau, Rohstoffen und Lebensmitteln. Deshalb war die 2014 maßgeblich von Russland initiierte Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) von Anfang an auch ein geopolitisches Projekt – mit dem Ziel, der weiteren wirtschaftlichen Verflechtung dieser Staaten mit der EU und China entgegenzuwirken. Russland fehlt die ökonomische Kraft und Attraktivität, um die Länder der Region dauerhaft an sich zu binden. Deshalb ist die Führung in Moskau zunehmend bereit, ihren Hegemonieanspruch militärisch aufrecht zu erhalten. Russland bleibt der wichtigste sicherheitspolitische Akteur in der Region, mit hoher militärischer Präsenz und schneller
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 23 von 97 militärischer Einsatzfähigkeit. Die Schwierigkeiten der russischen Armee, im Krieg gegen Georgien 2008 die Oberhand zu gewinnen, haben zu umfassenden Reformen des Militärs geführt. Das Ziel war, gegenüber allen postsowjetischen Staaten die militärische Dominanz zurückzuerlangen. Als regionale Sicherheitsorganisation wurde 2002 die Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS) gegründet.“ Nach den turbulenten 1990er Jahren sieht sich Russland wieder als Großmacht, zumindest ist dies auch etwas, das viele in der Bevölkerung teilen, für die Moskau, die USA und die internationale Politik weit weg ist. Allerdings ist das russische Gefühl, eine Großmacht zu sein, auch Ergebnis des als Erniedrigung empfundenen Niedergangs nach dem Ende der Sowjetunion. So berichtet Alexander Orlov, russischer Obama verspottet Russland als ‚Regionalmacht‘ https://youtu.be/TgrECWPbOak, 27.02.2022 Botschafter in Frankreich von 2008-2017 im Interview mit ARTE darüber, wie der Umgang insbesondere der USA mit der ehemaligen Supermacht in den 1990ern gewesen sein soll: „Im Außenministerium erhielt ich Mitteilungen der amerikanischen Botschaft, in denen stand, was ich zu diesem oder jenem Thema zu sagen oder zu tun habe.“ (ARTE 2022, 3:34 Minute) QR-Code: ARTE (12.02.2022): Der russische Bär erwacht Dennoch, bis 2007 versucht Putin noch die Annäherung an den Westen (5:08 Minuten), bis zur Münchner Sicherheitskonferenz 2007, als er die Machstellung der verbliebenen Supermacht USA kritisiert (5:24 Minuten, vgl. Station 3 ‚Die 43. Münchner Sicherheitskonferenz 2007). Nicht nur wurde Russlands Kritik bei der Sicherheitskonferenz 2007 nicht gehört (vgl. Station 3), bei der Pressekonferenz des in Den Haag nach der Annexion der Krim stattfindenden Nuclear Security Summit 2014 bezeichnete US-Präsident Barack Obama Russland vor internationalen Öffentlichkeit als „Regionalmacht, die einige ihrer Nachbarn bedroht“ und fügte hinzu, das Verhalten sei nicht auf „Stärke, sondern auf Schwäche“ zurückzuführen. Wie die Süddeutsche Zeitung weiter berichtet (Kolb 2014: Was hinter Obamas Seitenhieben steckt, https://www.sueddeutsche.de/politik/us-praesident-ueber-putin-was-hinter-obamas- seitenhieben-steckt-1.1922005, 27.02.2022) zeige „[d]ie völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim […], dass Russland ‚weniger und nicht mehr Einfluss‘ habe als früher. Und dann setzte Obama noch einen drauf: Amerika selbst habe ‚erheblichen Einfluss‘
Russlands neue Weltordnung und der Angriffskrieg auf die Ukraine Seite 24 von 97 auf seine Nachbarn, aber das Land pflege nicht dort einzumarschieren, um starke und kooperative Beziehungen zu pflegen.“ Letzteres ist mit Blick auf die Geschichte der USA in Südamerika auch faktisch falsch, wenn man sich die Geschichte der Einmischung in Chile beim faschistischen Putsch Pinochets 1973 oder die versuchte Invasion auf Cuba in der ‚Schweinebucht‘ 1961 vergegenwärtigt. Die Beschreibung Russlands als "Regionalmacht" ist, wenn man die Vergangenheit als zweite Supermacht in der Welt berücksichtigt, beleidigend, zumindest aber herablassend. Zwar ist‚ wie die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik im selben Artikel zitiert wird, ein Staat eine Regionalmacht, „wenn er zum einen über eine den Nachbarstaaten überlegene Ressourcenausstattung verfügt (materielle Faktoren) und zum anderen den außenpolitischen Anspruch erhebt, eine Führungs- oder Vormachtrolle in einer Region zu spielen (ideelle Faktoren)", aber andererseits verfügt Russland über das zweitgrößte Arsenal an Nuklearwaffen weltweit und ist immer noch Veto-Macht im UN-Sicherheitsrat. Es heißt, Obama habe diese Aussage getroffen, um innenpolitisch beim politischen Konkurrenten, der republikanischen Partei, als ‚stark‘ wahrgenommen zu werden. Was Obama innenpolitisch genutzt haben mag, hat zweifelsohne Putin in dieser Situation innenpolitisch als schwach und gedemütigt dastehen lassen. Aufgaben: 1. Nennen Sie die Gründe, warum Russland eine Regionalmacht ist. 2. Stellen Sie diesen Gründen die im Artikel genannten Argumente gegenüber, warum Russland keine Regionalmacht ist. 3. Beziehen Sie Position in dieser Frage und begründen, warum für Sie Russland (k)eine Regionalmacht ist.
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