S2OKTOBER 2021 - DEUTSCHE DIABETES GESELLSCHAFT
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Vorsicht: Bildbreite 134 mm ► Diabetologie Diabetologie und Stoffwechsel und Stoffwechsel Supplement S2 Heft S2 • Oktober 2021 • 16. Jahrgang • Seite S91 – S434 PRAXISEMPFEHLUNGEN DDG Oktober 2021 Seite S91–S434 16. Jahrgang Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft Herausgegeben von M. Kellerer im Auftrag der DDG This journal is listed in Science Citation Index, EMBASE and SCOPUS CLINICAL PRACTICE RECOMMENDATIONS Offizielles Organ der Deutschen Diabetes Gesellschaft ▪ Aktualisierte Version 2021
DDG-Praxisempfehlung Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge Kurzfassung der S3-Leitlinie (AWMF-Registernummer: 057-008) Autoren Ute Schäfer-Graf1, Katharina Laubner2, Sandra Hummel3, Ulrich Gembruch4, Tanja Groten5, Franz Kainer6, Melita Grieshop7, Dagmar Bancher-Todesca8, Mila Cervar-Zivakovic9, Irene Hösli10, Matthias Kaltheuner11, Reinhold Gellner12, Alexandra Kautzky-Willer13, Christoph Bührer14 Institute Bibliografie 1 Berliner Diabeteszentrum für Schwangere, Klinik für Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S215–S225 Gynäkologie und Geburtshilfe, St. Joseph Krankenhaus, DOI 10.1055/a-1581-6175 Berlin ISSN 1861-9002 2 Klinik für Innere Medizin II, Abteilung Endokrinologie und © 2020. Thieme. All rights reserved. Diabetologie, Universitätsklinikum Freiburg Georg Thieme Verlag KG, Rüdigerstraße 14, 3 Institut für Diabetesforschung, Deutsches 70469 Stuttgart, Germany Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), Zitierweise für diesen Artikel Diabetologie 2020; Helmholtz Zentrum München 15 (Suppl 1): S215–S225. DOI:10.1055/a-1193-3867 4 Frauenklinik, Abteilung für Geburtshilfe und Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version und ersetzt den Pränatalmedizin, Universitätsklinikum Bonn folgenden Artikel: Schäfer-Graf U, Laubner K, Hummel S, et al. 5 Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Jena Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und 6 Abteilung für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Klinik Nachsorge. Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S196–S206 Hallerwiese, Nürnberg Korrespondenzadresse 7 Evangelische Hochschule, Berlin AG Sprecherin Gynäkologie und Geburtshilfe 8 Privatklinik Döbling, Wien 9 Klinische Abteilung für Geburtshilfe, Universitätsklinik für Prof. Dr. Ute Schäfer-Graf Frauenheilkunde und Geburtshilfe, LKH-Universitätsklinikum Berliner Diabeteszentrum für Schwangere Graz Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe St. Joseph 10 Frauenklinik, Geburtshilfe und Schwangerschaftsmedizin, Krankenhaus Universitätsspital Basel, Basel, Schweiz Wüsthoffstraße 15, 12101 Berlin, Deutschland 11 Gemeinschaftspraxis Dres. Kaltheuner/v. Boxberg, ute.schaefer-graf@sjk.de Leverkusen 12 Medizinische Klinik B für Gastroenterologie und AG Sprecher Innere Medizin und Diabetologie Hepatologie, Universitätsklinikum Münster 13 Gender Medicine Unit, Klinische Abteilung für Prof. Dr. Michael Hummel Endokrinologie und Stoffwechsel, Universitätsklinik für Diabetologische SPP Rosenheim & Forschergruppe Diabetes, Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien TU München 14 Klinik für Neonatologie, Charité – Universitätsmedizin Max-Josef-Platz 21, 83022 Rosenheim, Deutschland Berlin Michael.Hummel@lrz.uni-muenchen.de Aktualisierungshinweis Vorbemerkung Die DDG-Praxisempfehlungen werden regelmäßig zur zweiten Jahreshälfte aktualisiert. Bitte stellen Sie sicher, dass Sie jeweils Diese Praxisleitlinie zum Gestationsdiabetes ist eine handlungsori- die neueste Version lesen und zitieren. entierte Kurzfassung der im Internet einsehbaren evidenzbasier- ten S3-Leitlinie (https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/ 057-008p_S3_Gestationsdiabetes-mellitus-GDM-Diagnostik- Therapie-Nachsorge_2020-01.pdf), herausgegeben von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Arbeitsge- Schäfer-Graf U et al. Gestationsdiabetes mellitus (GDM),… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S215–S225 | © 2020. Thieme. All rights reserved. S215
DDG-Praxisempfehlung meinschaft Geburtshilfe und Pränatalmedizin (AGG). Sie ersetzt Folgen für Mutter und Kind die Empfehlungen von DDG und DGGG zur Diagnostik und Thera- pie des Gestationsdiabetes aus dem Jahr 2011 und wurde erstver- Akute Folgen für die Mutter öffentlicht in 03/2018 (geplante Überarbeitung: 03/2019). Primä- Es bestehen erhöhte Risiken für Harnwegs- und vaginale Infektio- res Ziel der Leitlinie ist die Verbesserung und Vereinheitlichung nen mit dadurch gesteigerter Frühgeburtenrate, für schwanger- von Prävention, Screening, Diagnostik, Therapie und Nachsorge schaftsinduzierte Hypertonie, Präeklampsien, Entbindung durch bei Gestationsdiabetes durch evidenzbasierte Empfehlungen für Sectio, Schulterdystokien, höhergradige Geburtsverletzungen, den ambulanten und stationären Bereich. transfusionspflichtige postpartale Blutungen und Depressionen. Präkonzeptionelle Adipositas (BMI > 30 kg/m²) per se führt unab- hängig von GDM häufiger zur Sectio und zu makrosomen Kindern. Definition Gestationsdiabetes mellitus (GDM, ICD-10: O24.4G) ist definiert Langzeitfolgen für die Mutter als eine Glukosetoleranzstörung, die erstmals in der Schwanger- Diabetesrisiko im späteren Leben schaft mit einem 75-g-oralen-Glukosetoleranztest (oGTT) unter standardisierten Bedingungen und qualitätsgesicherter Glukose- Nach einem GDM entwickeln 35–60 % der Frauen innerhalb von messung aus venösem Plasma diagnostiziert wird. Die Diagnose 10 Jahren einen Diabetes (Risiko 7- bis 8-fach im Vergleich zu ist bereits mit einem erhöhten Glukosewert möglich. Die Defini- glukosetoleranten Schwangeren). Bereits im ersten Jahr nach der tion des manifesten Diabetes entspricht der außerhalb einer Schwangerschaft weisen rund 20 % der europäischen Frauen Schwangerschaft; er gehört nicht in die Kategorie des GDM, son- verschiedene Formen des gestörten Glukosestoffwechsels auf. dern wird als „Diabetes diagnostiziert in der Schwangerschaft“ Das Risiko für die Konversion in einen manifesten Diabetes ist bezeichnet. erhöht bei präkonzeptionell adipösen Frauen, Asiatinnen, GDM- Diagnose < 24 SSW, Insulintherapie, 1-h-Belastungswert im Schwangerschafts-oGTT ≥ 200 mg/dl (11,1 mmol/l), HbA 1c Pathophysiologie ≥ 5,7 % bei GDM-Diagnose. Die Inzidenz eines Typ-1-Diabetes liegt bei Risikogruppen 5–10 Jahre nach GDM bei 2,3–10 %. Die Pathophysiologie des GDM entspricht zu einem großen Teil der des Typ-2-Diabetes. GDM stellt eine Variante des Prä-Typ-2- Kardiovaskuläres Risikoprofil Diabetes dar und kann heute als eine chronische Funktionsstö- Frauen nach GDM haben ein höheres Risiko für die Entwicklung ei- rung beschrieben werden, die durch eine zunehmende Insulinre- nes metabolischen Syndroms. Das geht einher mit einem höheren sistenz mit abfallender β-Zell-Kompensation gekennzeichnet ist. Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (koronare Herzkrankheit Ungünstige Ergebnisse von Schwangerschaften bei Frauen mit mit Myokardinfarkt, koronarem Bypass, Koronarangioplastie/ GDM können durch rechtzeitige Diagnostik und intensive Behand- Stentversorgung, Schlaganfall, pAVK) bereits in jungen Jahren. lung abgemildert oder verhindert werden. Wiederholungsrisiko für GDM Epidemiologie Frauen kaukasischer Herkunft: Wiederholungsrisiko 35–50 % für GDM in weiteren Schwangerschaften. Risikofaktoren: Adipositas In Deutschland lag die GDM-Prävalenz in der Perinatalstatistik im (BMI > 30 kg/m²), Zahl der Schwangerschaften, GDM-Diagnose Jahr 2017 bei 5,97 % (40 450 Fälle). Sie war damit im Vergleich zu vor 24 SSW in früheren Schwangerschaften, Insulintherapie, 2016 um 14,6 % ansteigend. Abstand von < 24 Monaten zwischen den Schwangerschaften, Gewichtszunahme von mehr als 3 kg zwischen den Schwanger- schaften, erhöhte Nüchtern-Blutglukose 2 Monate post partum. Prävention Bei Ethnizität mit hohem Diabetesrisiko (Asien, Lateinamerika) Zur Prävention des GDM existieren zahlreiche Studien zu Lebens- erhöht sich das Nachfolgerisiko auf 50–84 %. stilveränderungen (Ernährungsumstellung, Steigerung der kör- perlichen Aktivität, Einnahme von Supplementen wie z. B. Myoi- Akute Folgen für das Kind nositol, Vitamin D, Probiotika, Fischöl) ohne eindeutige Das erhöhte intrauterine Glukoseangebot führt zu erhöhter feta- Ergebnisse. Frauen mit Übergewicht und Adipositas sollte jedoch ler Insulinsekretion (fetaler Hyperinsulinismus), Deposition von bereits bei Schwangerschaftsplanung eine Gewichtsreduktion Glykogen im Herzmuskel, Bildung von weißem Fettgewebe sowie durch gesunden Lebensstil empfohlen werden. Dieser sollte reduzierter fetaler Surfactantbildung. Infolge eines erhöhten in- während der Schwangerschaft beibehalten werden. trauterinen Erythopoetinspiegels steigt der fetale Hämatokrit. Bei der Geburt zeigt sich in unterschiedlichem Ausmaß eine diabetische Fetopathie mit Hypoglykämien, Atemstörungen, Po- lyglobulie, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie und Hyperbiliru- binämie. S216 Schäfer-Graf U et al. Gestationsdiabetes mellitus (GDM),… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S215–S225 | © 2020. Thieme. All rights reserved.
Nüchtern-BZ HbA1c ≥ 92 mh/dl < 5,9 % 5,9 – < 6,5 % ≥ 6,5 % ≥ 5,1 mmol/l < 41 mmol/mol 41 – < 48 mmol/mol ≥ 48 mmol/mol oGTT Nüchtern-BZ Nüchtern-BZ Beurteilung nach Zweitmessung IADPSG < 92 mg/dl 92 – 125 mg/dl ≥ 126 mg/dl 5,1 mmol/l 5,1 – 6,9 mmol/l ≥ 7,0 mmol/dl oB Früher GDM Diabetes Diabetes Ernährungsberatung Nü-BZ Bestimmung Weitmaschige Bei oB: BZ-Selbstkontrolle GDM-Screening 24 – 28 SSW ▶ Abb. 1 Diabetesscreening in der Frühschwangerschaft bei Risiko für DM (HbA1c) oder GDM (HbA1c). Quelle: Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge. Leitlinie der DDG und DGGG-AGG. (S3-Level, AWMF-Registernummer: 057-008, März 2018). [rerif] Langzeitfolgen für das Kind ▶ Tab. 1 Unabhängige Risikofaktoren für die Entstehung von Während unklar ist, ob ein GDM als solcher für ein Kind mit meta- GDM im Laufe der Schwangerschaft. bolischen Langzeitfolgen verbunden ist, erhöhen insbesondere mit GDM assoziierte Faktoren (mütterliche, aber auch väterliche OR 95 %-KI Adipositas, familiäre Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten) das langfristige Risiko für eine kindliche Adipositas und die Ent- Schwangerschaften mit Z. n. GDM wicklung einer gestörten Glukosetoleranz. Interventionen wäh- Z. n. GDM 50,4 42,1–60,3 rend der Schwangerschaft zum Absenken erhöhter Glukosewerte Gewicht (> 69 kg) 1,02 1,01–1,03 allein reichen nicht aus, um eine spätere Adipositas des Kindes zu Schwangerschaften ohne Z. n. GDM verhindern. Postnatale Maßnahmen im Sinne einer Lebensstilop- timierung (Stillen, Art der Säuglings- und Kleinkindnahrung, Kein GDM in vorhergehender 0,45 0,4–0,5 Bewegungsfrühförderung) müssen folgen. Schwangerschaft Alter (im Vergleich zu 35 J.) 1,08 1,07–1,09 Gewicht (> 69 kg) 1,03 1,03–1,04 Screening und Diagnostik Größe (> 1,64 m) 0,94 0,93–0,95 Verwandte 1. Grades mit Diabetes 2,5 2,2–2,8 Screening bei Erstvorstellung in der Schwangerschaft Verwandte 2. Grades mit Diabetes 1,7 1,4–2,1 bei Risiko für Diabetes Ovulationsinduktion 1,6 1,1–2,3 Bei Erstvorstellung in der Frühschwangerschaft (vor 24 SSW) sol- Herkunft östlicher asiatischer Raum 2,9 2,2–3,8 len Schwangere mit erhöhtem Risiko (▶ Tab. 1) auf das Vorliegen einer Glukosetoleranzstörung bzw. eines präexistenten (bisher Herkunft südlicher asiatischer Raum 2,3 1,8–2,8 unerkannten) Diabetes mellitus (Typ 1 oder 2) untersucht wer- Z-score des Geburtsgewichts früherer 1,25 1,1–1,3 den. Bei diabetesspezifischen Symptomen (Polyurie, Polydipsie, Kinder ausgeprägter Glukosurie im Spontanurin) sollte ebenfalls auf einen präkonzeptionell unbekannten Diabetes mellitus unter- sucht werden. Dazu wird auf die gemeinsam jährlich aktualisier- ▪ Messen der Nüchternglukose. Bei Blutglukosewerten im venö- ten Empfehlungen zur Diagnostik eines Diabetes mellitus der sen Plasma ≤ 92 mg/dl (5,1 mmol/l) sind ein Diabetes mellitus Kommission Labordiagnostik in der Diabetologie der Deutschen und ein Gestationsdiabetes (GDM) ausgeschlossen. Bei einem Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Blutglukosewert im venösen Plasma ≥ 92 mg/dl (5,1 mmol/l) Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) verwiesen erfolgt eine Zweitmessung. Diese muss an einem anderen Tag (siehe Homepage der DDG: https://www.deutsche-diabetes-ge- erfolgen. Die Blutglukosemessungen müssen Laborstandard sellschaft.de/home.html). erfüllen. Das Ergebnis der Zweitmessung entscheidet, Mes- Zwei Verfahren sind möglich (▶ Abb. 1): sungen müssen über dem Grenzwert liegen, sonst kann die Schäfer-Graf U et al. Gestationsdiabetes mellitus (GDM),… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S215–S225 | © 2020. Thieme. All rights reserved. S217
DDG-Praxisempfehlung Bei allen Schwangeren 75-g-oGTT 24+0 – 27+6 SSW Grenzwerte Orientierend Nü-BZ ≥ 92/180/153 mg/dl mit Handmessgerät: (5,1; 10,0; 8,5 mmol/l) bei Nü-BZ ≥ 126 kein oGTT Alle Werte ≥ 1 pathologischer Nüchtern ≥ 126 mg/dl (6,9 mmol/l) normal Wert und/oder 2 Stunden ≥ 200 mg/dl (11,1 mmol/l) Ausschluss GDM Diabetes in GDM SS diagnostiziert HbA1c bestimmen Betreuung wie Typ-1 oder -2 ▶ Abb. 2 Evidenzbasiertes Screening- und Diagnostikprozedere. Quelle: Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge. Leitlinie der DDG und DGGG-AGG. (S3-Level, AWMF-Registernummer: 057-008, März 2018). [rerif] Diagnose nicht gestellt werden. Bei Blutglukosewerten von Laut HAPO-Studie lag bei 33 % der Frauen mit GDM ausschließ- 92–125 mg/dl (5,1–6,9 mmol/l) besteht nach IAPDSG und lich eine Erhöhung des Nüchternwerts vor, diese werden durch WHO ein GDM in der Frühschwangerschaft. Eine Ernährungs- den 50-g-GCT nicht erfasst. Da der Nüchternwert jedoch die beratung sowie Blutzuckerselbstkontrollen werden empfohlen. engste Korrelation zu einem ungünstigen Schwangerschaftsout- Bei Plasmaglukosewerten ≥ 126 mg/dL (7,0 mmol/l) besteht come hat, wird empfohlen, im Falle eines negativen 50-g-GCT Diabetes mellitus (wahrscheinlich ein „präkonzeptioneller“). zwischen 24 + 0 SSW und 27 + 6 SSW ergänzend die Nüchternblut- ▪ Messen des HbA1c-Werts. Bei einem HbA1c-Wert ≤ 5,9 % ist ein glukose zu bestimmen. Dies ist nicht Bestandteil der Mutter- Diabetes mellitus, aber kein früher GDM ausgeschlossen, daher schaftsrichtlinien. ist eine zusätzliche Nüchternblutzuckerbestimmung nötig. GDM-Screeningverfahren wie Uringlukose, Nüchternglukose, Bei HbA1c-Werten von 5,9–6,4 % wird ein oGTT zur weiteren Gelegenheitsglukose oder HbA1c werden in dieser Leitlinie nicht Abklärung mit Beurteilung nach IADPSG und WHO empfohlen. empfohlen, in der Schweiz ist ein Screening per Nüchternglukose Bei Werten ≥ 6,5 % ist ein Diabetes nachgewiesen. etabliert (siehe ▶ Abb. 2). Bei negativem Test in der Frühschwangerschaft erfolgt im Zeit- Diagnostik des GDM mittels 75g-oGTT raum 24 + 0–27 + 6 SSW ein reguläres GDM-Screening lt. Mutter- Der 75-g-oGTT wird unter Standardbedingungen morgens nüch- schaftsrichtlinien, bevorzugt durch einen 75-g-oGTT (▶ Abb. 1). tern durchgeführt. Ist das vorgesehene Zeitfenster (24 + 0 SSW und 27 + 6 SSW) überschritten, kann der Test nach Maßgabe der Screening auf GDM im Zeitraum 24 + 0 bis 27 + 6 SSW Betreuer auch noch später durchgeführt werden. Bei Hinweiszei- Nach der vorliegenden Evidenz sollte bei allen Schwangeren zum chen für einen GDM (Polyhydramnion, Makrosomie mit AU > KU Screening auf GDM ein 75-g-oGTT zwischen der 24 + 0 und der oder massive Glukosurie) besteht auch im III. Trimenon bei nega- 27 + 6 SSW vorzugsweise als einzeitiges Verfahren durchgeführt tivem Ausfall eines Screenings in der 24–28 SSW die Indikation zur werden (▶ Abb. 2). erneuten Testung auf GDM, dann direkt mit einem diagnostischen Nach den deutschen Mutterschaftsrichtlinien soll primär ein 75-g-oGTT. Screening auf GDM durch einen 50-g-GCT (Glucose Challenge Zu den Standardbedingungen zählen: Test, GCT) durchgeführt werden (▶ Abb. 3). Der 50-g-GCT wird ▪ Keine akute Erkrankung/Fieber/Hyperemesis/ärztlich verord- unabhängig von Tageszeit und Nahrungsaufnahme im nicht nüch- nete Bettruhe. ternen Zustand durchgeführt. Es werden 50 g Glukose in 200 ml ▪ Keine Einnahme oder parenterale Applikation kontrainsulinärer Wasser getrunken. Ein Blutglukosewert im venösen Plasma Medikation am Morgen vor dem Test (z. B. Cortisol, L-Thyroxin, ≥ 135 mg/dl (7,5 mmol/l) nach einer Stunde gilt als positives β-Mimetika, Progesteron). Nach Induktion der fetalen Lungen- Screening und erfordert einen anschließenden diagnostischen reife mit Betamethason wegen drohender Frühgeburt müssen 75-g-oGTT. Bei einem Blutglukosewert im venösen Plasma mindesten 5 Tage nach der letzten Injektion vergangen und ≥ 200 mg/dl (11,2 mmol/l) wird die Diagnose eines GDM gestellt die Schwangere muss zumindest teilmobilisiert sein, bevor der und der 75-g-oGTT entfällt. oGTT angesetzt wird. S218 Schäfer-Graf U et al. Gestationsdiabetes mellitus (GDM),… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S215–S225 | © 2020. Thieme. All rights reserved.
24/0 – 27 + 6 50-g-Suchtest < 135 mg/dl > 135 < 200 mg/dl ≥ 200 mg/dl (7,5 mmol/l) (7,5 – 11,1 mmol/l) 11,1 mmol/l GDM oder Diabetes 75-g-oGTT Kein oGTT ≥ 92/180/153 mg/dl (5,1; 10,0; 8,5 mmol/l) HbA1c/Nüchtern Alle Werte ≥ 1 pathologischer Nüchtern ≥ 126 mg/dl (7,0 mmol/l) normal Wert (Bestätigung Nü-BZ nötig) und/oder 2 Stunden ≥ 200 mg/dl (11,1 mmol/l) Ausschluss GDM Manifester Diabetes GDM HbA1c bestimmen Differenzierung Typ-1 oder -2-Diabetes GCK-MODY ▶ Abb. 3 Screening auf Gestationsdiabetes im 3. Trimenon nach den deutschen Mutterschaftsrichtlinien. Quelle: Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge. Leitlinie der DDG und DGGG-AGG. (S3-Level, AWMF-Registernummer: 057–008, März 2018). [rerif] ▪ Keine Voroperation am oberen Magen-Darm-Trakt (z. B. bari- atrische Chirurgie mit ablativ-malabsorptiven Verfahren) – ▶ Tab. 2 Grenzwerte im venösen Plasma nach IADPSG-Konsensus- Empfehlungen. Alternative: Blutglukose-Einzelmessungen, besonders nüchtern. ▪ Keine außergewöhnliche körperliche Belastung vor dem Test. Zeitpunkt Grenzwerte (mmol/l) ▪ Normale, individuelle Ess- und Trinkgewohnheiten mit der 24 + 0–27 + 6 SSW IADPSG venöses üblichen Menge an Kohlenhydraten in den letzten 3 Tagen vor Plasma (mg/dl) dem Test (die Schwangere darf sich nicht durch Ernährungs- umstellung, insbesondere Weglassen von Kohlenhydraten, auf Nüchtern 92 5,1 den Test vorbereiten). Nach 1 Stunde 180 10,0 ▪ Am Vorabend vor dem Test ab 22:00 Uhr Einhalten einer Nach 2 Stunden 153 8,5 Nüchternperiode von mindestens 8 Stunden. ▪ Testbeginn am folgenden Morgen nicht vor 6:00 Uhr und nicht nach 9:00 Uhr (tageszeitliche Abhängigkeit der Glukosetole- ranz). Grenzwerte zur Bewertung der Testergebnisse ▪ Während des Tests soll die Schwangere nahe dem Testlabor des 75-g-oGTT sitzen und sich nicht unnötig bewegen. Als diagnostische Grenzwerte werden entsprechend den Mutter- ▪ Vor und während des Tests darf nicht geraucht werden. schaftsrichtlinien einheitlich die IADPSG-Kriterien verwendet. Bei Erreichen oder Überschreiten von mindestens einem der Unmittelbar vor Testbeginn wird die venöse Nüchtern-Plasmaglu- drei Grenzwerte im venösen Plasma wird ein GDM diagnostiziert kose gemessen. Danach trinkt die Schwangere 75 g wasserfreie (siehe 2). Glukose gelöst in 300 ml Wasser oder ein vergleichbares Oligo- Ein Blutglukosewert nüchtern ≥ 126 mg/dl (7,0 mmol/l) gilt zu saccharid-Gemisch schluckweise innerhalb von 3–5 min. Weitere diesem Zeitpunkt als V. a. einen manifesten Diabetes mellitus. Glukosemessungen:ein und zwei Stunden nach Ende des Trinkens Eine Bestätigung durch eine Nüchtern-Blutglukose-Zweitmessung der Glukoselösung. Bei stärkerer Schwangerschaftsübelkeit oder an einem anderen Tag und HbA1c ist angezeigt. Die Diagnose ei- -erbrechen muss der Test um einige Tage verschoben werden. nes manifesten Diabetes mellitus wird durch die Blutglukose- Zweitmessung bestätigt oder ausgeschlossen, beide Werte müs- sen ≥ 126 mg/dl liegen. Eine Fortführung des 75-g-oGTT darf bei Bestätigung eines manifesten Diabetes mellitus durch 2-malige Blutglukosewerte nüchtern ≥ 126 mg/dl nicht erfolgen. Schäfer-Graf U et al. Gestationsdiabetes mellitus (GDM),… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S215–S225 | © 2020. Thieme. All rights reserved. S219
DDG-Praxisempfehlung Ein Wert zwei Stunden nach Belastung ≥ 200 mg/dl (11,1 mmol/l) gesprofile für 2 Wochen unter normalen Ernährungsbedingungen erlaubt ebenfalls die Diagnose eines Diabetes mellitus. Danach ist empfohlen, zum Beispiel in der 12, 24 und 32 SSW, und bei einem eine zusätzliche HbA1c-Messung sinnvoll. Die weitere Betreuung Überschreiten der Zielwerte eine entsprechende diabetologische erfolgt dann wie bei einem präkonzeptionell bereits bekannten Betreuung. Für dieses Vorgehen gibt es bisher keine Studien. Typ-1- oder Typ-2-Diabetes. Wird der oGTT auf die Dauer von einer Stunde beschränkt (Messung nüchtern und nach 1 Stunde), dann werden laut HAPO Therapie 2,1 % aller Schwangeren mit GDM nicht erfasst (▶ Tab. 2). Ärztliches Erstgespräch nach GDM-Diagnose Blutproben und Anforderungen an die Messqualität Ausführliches Gespräch in angstabbauender Atmosphäre. Die Zur GDM-Diagnostik werden Blutglukosewerte ausschließlich in Schwangere wird erstmals mit dem Begriff „Diabetes“ konfron- venösem Plasma direkt oder in venösem Vollblut gemessen und tiert. Auf die Bedürfnisse von Migrantinnen oder Analphabetinnen mit einem Faktor von 1,11 (+ 11 %) in venöse Plasmawerte umge- abgestimmt ist durch Hinzuziehen von geeigneten Dolmetschern rechnet bzw. wird ein plasmakalibriertes Messsystem eingesetzt. und Begleitern sicherzustellen, dass die geplanten Maßnahmen Handmessgeräte zur kapillären Blutglukosemessung sind abzu- verstanden werden und umsetzbar sind. Ist die Schwangere als lehnen. Eine Umrechnung von kapillär gemessenen Werten in ve- nicht einwilligungsfähig einzustufen, sollen Aufklärung und nöse Werte ist unzulässig. Blutglukosemessungen zur Diagnostik Behandlung verschoben werden. des GDM müssen die Anforderungen an die Messqualität nach der Zu den Elementen des strukturierten ärztlichen Erstgesprächs Richtlinie der Bundesärztekammer (RiLiBÄK) erfüllen. Zur Erstdi- gehören: agnostik eines manifesten Diabetes in der Schwangerschaft oder ▪ Bedeutung der Diagnose für das Kind und die Mutter; eines Gestationsdiabetes sollen bei Anwendung von Unit-Use- ▪ Zeitrahmen der einzuleitenden Maßnahmen und die Struktur Reagenzien und dazugehörigen Messsystemen diese – wie auch der Betreuung; alle anderen Glukosemesssysteme – nach Herstellerempfehlun- ▪ Hinweis auf die meist ambulante Therapieführung; gen für die ärztliche Anwendung zur Diagnostik ausdrücklich vor- ▪ Sinn der Blutglukoseselbstkontrolle; gesehen sein. Bei Anwendung im Bereich des niedergelassenen ▪ Notwendigkeit einer eventuellen Ernährungsmodifikation und Arztes soll zusätzlich eine externe Qualitätssicherung nach Ziel der Gewichtsentwicklung nach den Empfehlungen des RiLiBÄK-Regeln durchgeführt werden. Institute of Medicine; Für detaillierte Angaben zur Präanalytik, Methodik und Bewer- ▪ Vorteile regelmäßiger Bewegung (Erhöhen der Insulinsensiti- tung bei der Bestimmung von Plasmaglukose und HbA1c wird auf vität); die Praxisempfehlung „Definition, Klassifikation und Diagnostik ▪ Gründe für den evtl. Einsatz einer Pharmakotherapie mit des Diabetes mellitus“ der DDG verwiesen [1]. Insulin oder Metformin als Off-Label-Use; ▪ offener Gesprächsabschluss mit Fragen nach Sorgen und Blutglukosemessung: Fehler, Störfaktoren Ängsten. Venöse Vollblut- oder Plasmamessungen können fehlerhaft sein, insbesondere infolge unterschiedlichen präanalytischen Vorge- Körperliche Aktivität hens. Hauptproblem ist die unzureichende präanalytische Glyko- Regelmäßige körperliche Bewegung, Fitnessprogramme oder lysehemmung bei Probenversand. Aus praktischen Erwägungen Sport mindern besonders bei präkonzeptionell adipösen Frauen soll die sofortige, patientennahe Glukosemessung aus der venö- das Risiko für einen GDM und verbessern die Belastbarkeit wäh- sen Vollblutprobe mit einer nach RiliBÄK qualitätsgesicherten rend Schwangerschaft und Geburt. Des Weiteren wird das Risiko Messmethodik mit einem zur Diagnostik zugelassenen Point-of- für LGA und Sectio gesenkt sowie die Notwendigkeit einer Insulin- Care-Messsystem erfolgen (mit dem Faktor 1,11 (+ 11 %) in Plas- behandlung bzw. der tägliche Insulindosendarf reduziert. Sport maäquivalente umrechnen oder ein entsprechend plasmakali- kann während der Schwangerschaft fortgesetzt werden, eine briertes Gerät verwenden; Entnahmegefäß muss Gerinnungs- individuelle Beratung durch den Frauenarzt ist erforderlich, Kon- hemmer enthalten). Bei Versand von venösen Vollblutproben soll traindikationen sind zu beachten. Auch während der Schwanger- das Entnahmegefäß neben einem Gerinnungshemmer und NaF schaft kann mit Ausdauer- oder Krafttraining auf leichtem bis zusätzlich den sofort wirksamen Glykolysehemmer Citrat/Citrat- mittlerem Niveau neu begonnen werden. Als einfachste Art der puffer enthalten. Für die Befüllung der Gefäße sind die Hersteller- körperlichen Bewegung ohne Hilfsmittel soll zügiges Spazierenge- angaben zu beachten, um valide Messergebnisse zu erzielen. hen von mindestens 30 min Dauer mindestens 3 × wöchentlich durchgeführt werden oder täglich mit einem elastischen Band Diagnostik des GDM nach Batriatrischer OP geübt werden. Die/das körperliche Aktivität/Training soll bereits Nach operativen Verfahren, die die Resorption beeinflussen, ist präkonzeptionell bzw. bereits im I. Trimenon begonnen werden. eine GDM-Diagnostik über einen oralen Glukosetoleranztest nicht Günstig sind kurze Bewegungseinheiten in der ersten postpran- möglich (Dumping-Phänomen). Es wird daher zur Abklärung einer dialen Stunde nach Hauptmahlzeiten. behandlungsbedürftigen Hyperglykämie ein Monitoring von Nüchtern- und 1 Stunde postprandialen Blutzuckerwerten (2-Stunden-Werte sind nicht aussagefähig) durch Blutzuckerta- S220 Schäfer-Graf U et al. Gestationsdiabetes mellitus (GDM),… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S215–S225 | © 2020. Thieme. All rights reserved.
▶ Tab. 3 Empfohlener Bereich der Gewichtszunahme während der Schwangerschaft. Präkonzeptioneller BMI (kg/m²/WHO) Gewichtszunahme gesamt in der Gewichtszunahme/Woche II. und Schwangerschaft (kg) III. Trimenon1 (kg) 18,5 12,5–18 0,5–0,6 18,5–24,9 11,5–16 0,4–0,5 25,0–29,9 7–11,5 0,2–0,3 ≥ 30 5–9 0,2–0,3 1 Dabei wird von einer Gewichtszunahme von 0,5–2 kg im I. Trimenon ausgegangen. Ernährungsberatung Empfohlene Gewichtszunahme Erste therapeutische Maßnahme ist eine individuelle Ernährungs- Die Gewichtszunahme orientiert sich ebenfalls am präkonzeptio- evaluation und -beratung. Diese sollte auf einer Vermittlung der nellen BMI. Eine Gewichtszunahme innerhalb der IOM-Grenzen Prinzipien einer ausgewogenen, gesunden Ernährung für Schwan- ist anzustreben. Eine Gewichtsabnahme von 1–2 kg in den ersten gere basieren. Dazu hat das Netzwerk „Gesund ins Leben“ eine Wochen nach Ernährungsumstellung kann vorkommen und ist entsprechende Vorlage entwickelt (Bundeszentrum für Ernährung unbedenklich. Durch kontrollierte Gewichtszunahme verbessert [BZfE] der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung [BLE], sich der Glukosemetabolismus/steigt die Insulinsensitivität. Ein www.gesund-ins-leben.de/inhalt/handlungsempfehlungen- erhöhter präkonzeptioneller BMI mit Überschreiten der angege- 29 378.html). Berücksichtigt werden Essgewohnheiten, Tages- benen Gewichtsgrenzen erhöht die Rate an Schwangerschafts- rhythmus, Körpergewicht und soziokulturell-religiöser Status, um komplikationen (Präeklampsie, Sectio, SGA- und LGA-Kinder). Ein folgende Therapieziele zu erreichen: Unterschreiten erhöht die Rate an fetalen Wachstumsretardierun- ▪ normnahe, schwangerschaftsspezifische Blutglukosezielwerte gen. Bei adipösen Frauen ist eine Unterschreitung (0–5 kg ohne Ketose und Hypoglykämien, Gesamtzunahme) unbedenklich. Die Schwangeren sollten ▪ die für die Schwangerschaft empfohlene Gewichtszunahme wöchentlich ihr Gewicht ohne Kleidung morgens nüchtern selbst der Mutter, zu Hause kontrollieren und dokumentieren (▶ Tab. 3). ▪ ein normales Wachstum des Fetus. Blutglukosekontrolle Die Kost soll dem Nährstoffbedarf in der Schwangerschaft ange- Blutglukoseeinzelmessungen passt und kalorisch ausreichend sein. Empfohlene Nährstoffver- teilung: Messhäufigkeit am Beginn: Für 1–2 Wochen 4-Punkte-Profil – ▪ Kohlenhydrate: 40–50 % morgens nüchtern und 1 oder 2 Stunden nach Beginn der Haupt- ▪ Protein: 20 % mahlzeiten. Sind alle Werte innerhalb der ersten 2 Wochen im ▪ Fett: 30–35 % Zielbereich, wird nachfolgend auf eine einzige tägliche Messung im Rotationsverfahren oder ein 4-Punkte-Profil 2 ×/Woche redu- Begrenzung der KH auf 40–45 % Tagesenergiekalorien senkt post- ziert. Zusätzliche gezielte Messungen nach Maßgabe des Betreu- prandiale Blutglukosewerte. Der KH-Anteil soll jedoch 40 % bzw. ers sind möglich. Insulintherapie: tägliche Messungen mit 4-Punk- 175 g/Tag nicht unterschreiten. Kohlenhydrate mit hohem Bal- te-Profil bzw. nur tägliche Kontrolle des Wertes, der durch laststoffanteil und niedrigem glykämischem Index sollen bevor- Insulintherapie optimiert werden soll. Häufigkeit und Zeitpunkt zugt werden. Es wird empfohlen, die KH auf 3 nicht zu große der Selbstkontrollen werden dem Aufwand und dem Verlauf der Hauptmahlzeiten und 2–3 kleinere Zwischenmahlzeiten (ein- Therapie und gemäß den gemessenen Ergebnissen fortlaufend schließlich einer Spätmahlzeit) über den Tag zu verteilen, u. U. im Einzelfall angepasst. Im Vordergrund stehen eine möglichst kann so eine Insulintherapie vermieden werden. Eine Evidenz da- geringe Belastung der Schwangeren und eine Beschränkung der für aus RCTs gibt es nicht. Die Kohlenhydratmenge sollte zum Selbstkontrollen auf das entscheidungsrelevante Minimum. Die Frühstück niedriger sein als zum Mittag- und Abendessen (höchs- Blutglukoseselbstmessung der Schwangeren (Kontrolle der ter Blutglukoseanstieg). Eine kohlenhydrathaltige Spätmahlzeit Selbstkontrolle) soll wie die Richtigkeit des Blutglukosehandmess- mit 1 KE verhindert eine überschießende Ketonkörperbildung systems (Kontrolle des Kontrollsystems) regelmäßig überprüft während der Nacht. Auf eine ausreichende Vitamin- und Mineral- werden. Schwangere mit GDM erhalten geeignete Tagebücher stoffzufuhr (Folsäure, Vitamin-B-Komplex, Kalzium, Vitamin D, zur Dokumentation; ihnen wird die richtige Dokumentation Magnesium, Eisen, Jod) soll geachtet werden. Energiefreie Süß- gezeigt. stoffe (z. B. Aspartam) können in der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der akzeptablen täglichen Dosierungen verwen- det werden. Schäfer-Graf U et al. Gestationsdiabetes mellitus (GDM),… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S215–S225 | © 2020. Thieme. All rights reserved. S221
DDG-Praxisempfehlung kann. Blutzuckerwerte nüchtern ≥ 110 mg/dl (6,1 mmol/l) können ▶ Tab. 4 Blutglukose-Einstellungsziele auf der Basis plasmakali- in der Schwangerschaft kaum diätetisch beeinflusst werden. Bei brierter Selbstmessgeräte. wiederholten Glukosewerten nüchtern ≥ 110 mg/dl (6,1 mmol/l) sollte daher die sofortige Insulintherapie erwogen werden. Etwa Zeit Plasma-Äquivalent 20–30 % der Schwangeren mit GDM benötigen Insulin. Die Indika- mg/dl mmol/l tion zur Insulintherapie wird fortlaufend neu überprüft. Eine Insulintherapie ist indiziert, wenn innerhalb einer Woche ≥ 50 % Nüchtern, präprandial 65–95 3,6–5,3 der Selbstmessungen aus den 4-Punkt-Profilen oberhalb der Ziel- werte liegen. Dies gilt auch, wenn nur isoliert 50 % der Messungen 1 h postprandial < 140 < 7,8 der Nüchternglukose überschritten sind (Beginn mit Basalinsulin) 2 h postprandial < 120 < 6,7 oder die postprandialen Werte nach einer Mahlzeit, was häufiger das Frühstück betrifft (kurzwirksames Insulin). Vor Beginn einer Insulintherapie soll nochmals die richtige Umsetzung der Ernäh- Continuous Glucose Monitoring System (CGMS) rungstherapie geprüft werden. Die Indikation soll sorgfältig und CGMS ist kein Bestandteil der Routineversorgung von Schwange- streng geprüft werden, da eine Insulintherapie neben der Belas- ren mit GDM und führt nicht zur Verbesserung des Ausgangs der tung der Schwangeren, maßgebliche geburtsmedizinische Schwangerschaft. Auswirkungen wie eine Einleitung am Termin nach sich zieht. Die Insulineinstellung kann in der Regel ambulant beginnen. HbA1c Im Rahmen des Frühscreenings (≤ 24. SSW) wird der HbA1c-Wert Insulintherapie unter Berücksichtigung des fetalen zur Diagnose einer präexistenten Glukosestoffwechselstörung/ei- Wachstums im Ultraschall nes manifesten Diabetes mellitus herangezogen (siehe Kapitel Die Auswirkungen mütterlicher Hyperglykämie auf den Fetus sind Screening bei Erstvorstellung in der Schwangerschaft). Nach gesi- individuell verschieden und je nach Wachstumsmuster mit unter- cherter GDM-Diagnose erfolgt die Bestimmung des HbA1c-Werts schiedlichen Risiken assoziiert. Bei der Indikationsstellung zur nur bei Verdacht auf einen Diabetes mellitus (Typ 1 oder 2). Zur Insulintherapie soll daher das Wachstum des fetalen Abdominal- Überwachung und Therapiekontrolle der Einstellung des Gestati- umfangs (AU) berücksichtigt werden, indem vor Beginn der onsdiabetes hat der HbA1c keine Bedeutung. In Einzelfällen kann Therapie zeitnah ein entscheidungsrelevanter Ultraschallbefund er jedoch als zusätzlicher Parameter hilfreich sein, z. B. bei Non- erhoben wird (modifiziertes Zielwertkonzept). Eine Modifikation Compliance für BZ-Selbstkontrolle oder bei fraglicher Qualität der der Blutglukosezielwerte in Abhängigkeit vom Wachstumsmuster Messungen. des Feten soll sowohl eine Über- als auch eine Untertherapie ver- meiden helfen. Bei asymmetrischer Makrosomie mit einem feta- Blutglukosezielwerte len AU ≥ 75. Perzentile, v. a. bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren für eine fetale Makrosomie (BMI > 30 kg/m²), vorhergehender Die Blutglukose-Einstellungsziele auf der Basis plasmakalibrierter Geburt eines LGA-Neugeborenen, Nüchtern-BZ > 110 mg/dl im Selbstmessgeräte zeigt ▶ Tab. 4. Für die postprandiale Messung Tagesprofil bei Therapiebeginn, sollte eher großzügig mit der nach ein oder zwei Stunden gibt es keine Präferenzen, die 1-Stun- Insulintherapie begonnen werden und es sollten etwas niedrigere den-Werte korrelieren jedoch eher mit dem fetalen Wachstum Blutzuckerzielwerte angestrebt werden. Auch im Verlauf der und sind im Alltag praktikabler. Ein einmal festgelegtes Vorgehen Schwangerschaft sollten die fetalen Wachstumsparameter im wird beibehalten. Zu beachten ist die anfangs eingeschränkte Er- Ultraschall bei der Interpretation der gemessenen Blutglukose- fahrung der Schwangeren mit der Blutglukosemessung. Blutglu- selbstkontrollwerte und den Therapiekonsequenzen mitberück- koseselbstmessungen der Schwangeren sollen möglichst nicht sichtigt werden. Bei normosomer Entwicklung des Fetus im allein das Kriterium zur Therapiesteuerung darstellen. Die Richtig- Bereich der < 75. Perzentile des AU sind geringfügige Überschrei- keit der selbst vorgenommenen Blutglukosemessungen der tungen der Zielwerte tolerierbar und die Insulinindikation sollte Schwangeren muss im Behandlungsprozess regelmäßig überprüft eher streng gestellt werden. werden. Die Blutglukosezielwerte sind orientierende Angaben; aus vereinzeltem Überschreiten dieser Ziele können keine nach- teiligen Auswirkungen auf die Kinder abgeleitet werden. Besondere therapeutische Fragestellungen Isoliert erhöhte Nüchternglukosewerte Insulintherapie Der Nüchternglukosewert scheint auf neonatale Komplikationen, Allgemeine Indikation zur Insulintherapie LGA und Präeklampsie einen starken Einfluss zu haben. Es sollte nach Ausschöpfung von Bewegungs- und Ernährungstherapie Können die Stoffwechselziele nach Ausschöpfen der Lebensstil- auch bei isoliert erhöhten Nüchternglukosewerten eine Insulin- maßnahmen (Ernährungstherapie, körperliche Aktivität) nicht er- einstellung erfolgen, wenn > 50 % der Nüchternglukosewerte reicht werden, besteht die Indikation zur Insulintherapie. Diese über dem geltenden Grenzwert von 95 mg/dl (5,3 mmol/l) liegen. wird allgemein innerhalb von 2 Wochen gestellt werden, wobei dies aber auch in Abhängigkeit von der Höhe der Blutzuckerwerte sofort oder erst im Verlauf der Schwangerschaft notwendig sein S222 Schäfer-Graf U et al. Gestationsdiabetes mellitus (GDM),… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S215–S225 | © 2020. Thieme. All rights reserved.
Späte Diagnose des GDM – Insulintherapie in Terminnähe harnstoff-Präparate sollen während der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden. Alpha-Glukosidasehemmer, Glitazone, Glini- Ein Therapiebeginn mit Insulin kann auch in Terminnähe noch de, DPP-4-Hemmer und GLP-1-Analoga sollen mangels Zulassung, sinnvoll sein, um eine neonatale Hypoglykämie zu vermeiden. fehlender Erfahrung und unzureichender Studien nicht bei Schwangeren mit GDM verordnet werden. Demaskierung einer Glukokinase-Genmutation (GCK-MODY) In ca. 2 % aller Fälle einer Glukosetoleranzstörung in der Schwan- gerschaft wird eine Glukokinase-Genmutation (GCK-MODY, Geburtsmedizinische Betreuung MODY 2) mit autosomal dominantem Erbgang demaskiert. Bei persistierend erhöhten Nüchternblutglukosewerten der Mutter Fetale Überwachung von 99–144 mg/dl (5,5–8,8 mmol/l), einem nur geringen Blutglu- koseanstieg im oGTT < 83 mg/dl (< 4,6 mmol/l), einem normalen Die fetale Überwachung ist von zusätzlichen Risikofaktoren und oder nur geringgradig erhöhten HbA1c-Wert und einer positiven dem Schweregrad der mütterlichen Hyperglykämie abhängig. Familienanamnese mit einem „milden“ Typ-2-Diabetes über 3 Ge- nerationen soll an einen MODY-2-Diabetes gedacht werden. Die Sonografie begründete Verdachtsdiagnose eines GCK-MODY wird durch eine I. Trimenon Genanalyse gesichert (Aufklärung und schriftliches Einverständnis Bei GDM mit einer Diagnose vor 14 SSW mit zusätzlichen Risiko- nach Gendiagnostik-Gesetz erforderlich). Schwangere mit einem faktoren (erhöhte Blutglukose- und HbA1c-Werte, anamnestisch Nüchternblutglukosewert > 99 mg/dl (5,5 mmol/l) in Kombination Herzfehlbildungen, Adipositas) oder früher durchgemachten mit einem präkonzeptionellen BMI < 25 kg/m² sollen getestet wer- GDM soll auf eine frühe detaillierte sonografische Organdiagnos- den. tik und Echokardiografie zum Ausschluss schwerer Fehlbildungen Nur Feten Schwangerer mit GCK-Mutation, die nicht Träger der des Feten in der 11 + 0–13 + 6 SSW hingewiesen werden. Anforde- GCK-Mutation sind, haben ein erhöhtes Risiko für Makrosomie rungen der DEGUM-Stufe II. und nachfolgende Komplikationen einer erhöhten maternalen Glukose während der Schwangerschaft. Eine Insulintherapie sollte II. Trimenon nur bei Feten von Schwangeren mit GCK-Mutation initiiert wer- den, wenn ein überproportionales Wachstum (AU ≥ 75. Perzen- Bei GDM mit einer Diagnose vor 24 SSW und zusätzlichen Risiko- tile) im Ultraschall festgestellt wurde. faktoren (erhöhte Blutglukose- und HbA1c-Werte, anamnestisch Herzfehlbildungen, Adipositas) soll in der 19–22 SSW eine diffe- Durchführung der Insulintherapie renzierte weiterführende Organdiagnostik mit Echokardiografie des Feten erfolgen. Die Insulinindikation soll erstmals innerhalb von 1–2 Wochen nach Beginn der Basistherapie (Ernährung, Bewegung) unter III. Trimenon Berücksichtigung der Blutglukose-Selbstkontrollen, Blutglukose- Laborkontrollen und biometrischer Daten von Mutter und Fetus Eine Biometrie wird in 2- bis 3-wöchigen Abständen (AU-Perzenti- und danach kontinuierlich im Behandlungsprozess nach Maßgabe len), bei auffälligem Wachstumsverhalten (Makrosomie, IUGR) in der Betreuer überprüft werden. Die Insulineinstellung soll erfol- entsprechend kürzerem Intervall durchgeführt. Vor Entbindung: gen nach dem Prinzip der ICT, es kann aber auch nur Basal- oder Erhebung eines Schätzgewichts und Beurteilung des Verhältnisses kurzwirksames Insulin nötig sein. Können kurzwirksame Human- von Abdomen und Kopf empfehlenswert (fetale Makrosomie ist insuline bei ausreichender Dosierung die postprandialen Blutglu- Risikofaktor für Schulterdystokie). In die Befunderhebung kann kosewerte nicht zielgerecht absenken, sollte der Wechsel auf die Ausprägung des subkutanen fetalen Fettgewebes einbezogen Insulin aspart oder lispro erwogen werden. Sowohl kurz- als auch werden. langwirksame Insulinanaloga können auch primär eingesetzt wer- den. Die Insulineinstellung sollte in der Regel ambulant begonnen Dopplersonografie werden und in der Betreuung von diabetischen Schwangeren Es gelten die bei allen Schwangerschaften üblichen Indikationen. erfahrenen Diabetologen und Perinatalmedizinern mit entspre- Dopplersonografische Untersuchungen sind wegen der GDM- chenden Schwerpunkten vorbehalten bleiben. Diagnose allein nicht indiziert. Orale Antidiabetika und GLP-1-Analoga Kardiotokografie (CTG) Bei Schwangeren mit GDM und Verdacht auf ausgeprägte Insulin- ▪ Bei Ernährungstherapie: Wöchentliche CTG-Kontrollen ab der resistenz (Insulinbedarf > 1,5 IE/kg KG) sowie nach individueller In- 36 SSW mit auf die individuelle Situation angepasster Fre- dikationsstellung kann die Gabe von Metformin nach therapeuti- quenz. scher Aufklärung über den Off-Label-Use erwogen werden. Es ▪ Bei Insulintherapie: Wie bei einer Schwangeren mit präkon- müssen zuvor internistische Kontraindikationen abgeklärt und zeptionell bekanntem Typ-1-Diabetes, entsprechend der Leit- vor der ersten Metformingabe Laborparameter bestimmt werden, linie zur Betreuung diabetischer Schwangerer (AWMF-Leitlinie z. B. Serum-Kreatinin und Kreatinin-Clearance. Eine Metformin-Ta- 057/023), die CTG-Kontrollen ab der 32 SSW mit auf die indi- gesdosis von 2,0 g sollte nicht überschritten werden. Sulfonyl- viduelle Situation angepasster Frequenz empfiehlt. Schäfer-Graf U et al. Gestationsdiabetes mellitus (GDM),… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S215–S225 | © 2020. Thieme. All rights reserved. S223
DDG-Praxisempfehlung Antepartale Überwachung der Mutter Ungenauigkeit der Schätzung, die mit steigendem Geburtsge- wicht zunimmt, das Risiko der Sectio und die Konsequenzen ▪ Präeklampsie-Risiko erhöht: Eine intensive Therapie des für plazentare Nidationsstörungen in der folgenden Schwan- GDM reduziert das Risiko signifikant. gerschaft aufmerksam gemacht werden ▪ Risiko für intrauterinen Fruchttod (IUFT) erhöht: bei Nichtbe- handlung oder schlechter Blutglukoseeinstellung Schwangere nach bariatrischen Operationen Frühgeburt (Induktion der fetalen Lungenreife, Schwangere nach bariatrischen Operationen gelten als Risiko- Tokolyse) schwangere und müssen engmaschig geburtshilflich überwacht werden. Es muss auf eine ausreichende Substitution entspre- Betamethason zur Induktion der fetalen Lungenreife (vor 34 + chend dem erhöhten Bedarf geachtet werden. 0 SSW): Blutglukosewerte steigen, daher strenge Indikation. Die Insulindosis individuell anpassen bzw. eine Insulinbehandlung ab einem Blutglukosewert ≥ 200 mg/dl (11,1 mmol/l) oder hypergly- kämischen Symptomen einleiten. Postpartale Betreuung Tokolyse vorzugsweise mit einem Oxytocin- oder Calciumanta- gonisten und nicht mit einem Betasympathomimetikum durch- Glukosekontrolle der Mutter unter der Geburt führen (Anstieg der mütterlichen Blutglukose, verstärkt durch die und im Wochenbett gleichzeitige Bettruhe). Wird die Geburt eingeleitet, sind kurzwirksame Insuline zur besse- ren Steuerbarkeit einzusetzen. Geburtsplanung Blutglukoseziel unter der Geburt im kapillären Plasma: zwi- schen 90 und 140 mg/dl (4,4–7,2 mmol/l). Geburt – Wahl der Geburtsklinik ▪ Ernährungstherapie (gut eingestellt): routinemäßige mütterli- Schwangere mit GDM sind Risikoschwangere. che Blutglukosekontrolle unter der Geburt nicht erforderlich. ▪ GDM mit Ernährungstherapie: Die Entbindung in einer Ge- ▪ Insulintherapie: Zweistündliche Messung der Blutglukosewerte burtsklinik mit diabetologischer Erfahrung und angeschlosse- bei GDM-Insulin, die Zeitintervalle bei Bedarf individuell an- ner Neonatologie sollte angeraten werden. passen, bei GDM wird selten unter der Geburt Insulin benötigt. ▪ GDM mit Insulintherapie: Die Entbindung muss richtlinienkon- Die Insulintherapie wird postpartal beendet. Weitere Kontrolle form in einer Geburtsklinik mit angeschlossener Neonatologie durch ein 4-Punkte-Tagesprofil am 2. Tag post partum, bei (Perinatalzentrum Level 1 oder 2) erfolgen, um eine optimale wiederholt hohen Werten betreuenden Diabetologen infor- Primärversorgung des Kindes zu gewährleisten. mieren. Es gelten die Grenzwerte wie bei nicht schwangeren Frauen. Insulin ist postpartal indiziert bei Blutglukosewerten Geburtszeitpunkt, Einleitungsindikation ≥ 200 mg/dl (11,1 mmol/l) oder hyperglykämischen Sympto- Eine Einleitung < 39 + 0SSW erhöht die neonatale Morbidität und men. Verlegungsrate und soll vermieden werden. Eine Einleitung in der 39 + 0–39 + 6 SSW kann erwogen werden, ist jedoch mit einer Nachsorge der Mutter 50 %igen Erhöhung der Einleitungsrate verbunden und verringert Nach der Schwangerschaft bildet sich die Glukosetoleranzstörung nicht die neonatale Morbidität. Eine vorzeitige (vor 38 + 0 SSW) in ca. 13–40 % der Fälle nicht zurück. Es besteht für Frauen nach Einleitung wegen schlechter BZ-Einstellung soll – aufgrund der GDM ein 7- bis 8-fach erhöhtes Diabetesrisiko. Das Risiko ist mit Frühgeburtlichkeit assoziierten Morbidität – nicht angestrebt besonders erhöht bei präkonzeptioneller Adipositas, positiver werden. Eine pränatale Optimierung der Blutzuckereinstellung ist Familienanamnese für Diabetes mellitus, Insulinbedarf bei GDM, anzustreben. Es gibt Hinweise, dass sich die fetale Morbidität bei höherem Alter, Asiatinnen und Schwarzafrikanerinnen. insulinpflichtigem GDM durch Einleitung in der 40 SSW verringern lässt; sie soll deshalb angeboten werden. Bei GDM und ultrasono- Postpartaler 75-g-oGTT grafischem fetalem Schätzgewicht > 95. Perzentile sollten mögli- Postpartal normale Blutglukosewerte: 6–12 Wochen nach der Ge- che Vorteile der Einleitung ab der 37–0 SSW gegen die Auswirkun- burt 75-g-oGTT unabhängig vom Stillen. Es gelten Normalwerte gen eines früheren Gestationsalters bei Geburt abgewogen für den oGTT außerhalb der Schwangerschaft mit Blutglukose- werden. messungen nüchtern und 2 Stunden im venösen Plasma nach Belastung nach Richtlinien der WHO: Sectio-Entbindung ▪ Normal: Nüchtern < 100 mg/dl (5,6 mmol/l), 2 h nach Belas- ▪ Bei einem geschätzten Geburtsgewicht von ≥ 4500 g steigt das tung < 140 mg/dl (7,8 mmol/l); Schulterdystokie-Risiko signifikant: Primäre Sectio sollte emp- ▪ Diabetes mellitus: Nüchtern ≥ 126 mg/dl (7,0 mmol/l) und fohlen werden. oder 2 h nach Belastung ≥ 200 mg/dl (11,1 mmol/l); ▪ Schätzgewicht 4000–4499g: Differenzierte Aufklärung der ▪ Abnorme Nüchternglukose (IFG): 100–125 mg/dl Schwangeren über individuell erhöhtes Schulterdystokie-Risiko (5,6–6,9 mmol/l); nach fetaler Biometrie, insbesondere bei ausgeprägter Kopf- ▪ Gestörte Glukosetoleranz nach 2 h (IGT): 140–199 mg/l Abdomen-Differenz. Die Schwangere sollte jedoch auf die (7,8–11,05 mmol/l). S224 Schäfer-Graf U et al. Gestationsdiabetes mellitus (GDM),… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S215–S225 | © 2020. Thieme. All rights reserved.
Die primäre Bestimmung des HbA1c-Werts 6–12 Wochen postpar- Stillen tal wird nicht zur Diagnostik empfohlen, auch eine Nüchternglu- kose allein ist nicht ausreichend. Bei Vorliegen einer gestörten Mütter nach GDM stillen ihre Kinder seltener und kürzer als Frauen Glukosetoleranz oder bei Vorliegen anderer Risiken wie z. B. prä- ohne Diabetes, insbesondere bei Übergewicht und Adipositas, bei konzeptionelle Adipositas oder Insulintherapie des GDM sollten mit Insulin behandeltem GDM und geringerem Bildungsniveau. die Frauen intensiv über Lebensstilmaßnahmen zur Reduktion Mütter mit GDM stillen erfolgreicher, wenn sie bereits vor Geburt des Risikos der Konversion in einen manifesten Diabetes beraten eine Stillberatung erhalten und postnatal zusätzlich zur ärztlichen werden. eine nichtärztliche medizinische Betreuung wahrgenommen haben. Weitere postpartale Kontrollen Stillen und Auswirkungen auf die mütterliche Das erhöhte Risiko für Frauen mit GDM, bereits in den nächsten Gesundheit 10 Jahren post partum einen Diabetes zu entwickeln, erfordert eine kontinuierliche Nachsorge mit Kontrollen des Glukosestoff- Stillen hat kurzfristige positive Effekte auf den mütterlichen Meta- wechsels. Es gelten die Empfehlungen zur Diabetesdiagnostik der bolismus (Verbesserung der Glukosehomöostase, Insulinsensitivi- Nationalen Versorgungs-Leitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes [2], tät und der Fettstoffwechselparameter), darüber hinaus scheint in der Regel mit einer Nüchternglukose und einem HbA 1c, ggf. Stillen das Risiko für Typ-2-Diabetes und metabolisches Syndrom oGTT alle 2 Jahre. Bei postprandialer Diagnose IGT/IFT-Kontrolle bei Müttern mit GDM bis zu 15 Jahre nach der Entbindung deut- durch oGTT jährlich. Bei der Planung einer Schwangerschaft sollte lich zu verringern eine Diabetesdiagnostik mindestens mit einem HbA1c und einer Nüchternglukose erfolgen. Frühzeitige Hyperglykämie-Diagnostik Stillen und Auswirkungen auf die kindliche bereits im 1. Trimenon (Erstvorstellung) gemäß vorliegender Gesundheit Leitlinie in jeder weiteren Schwangerschaft. Bei V. a. Entwicklung Kein oder kürzeres Stillen (< 3 Monate) ist mit späterem Überge- eines Typ-1-Diabetes (Frauen mit einem BMI < 30 kg/m² und Insu- wicht der Kinder assoziiert, v. a. bei Kindern von adipösen Gesta- lintherapie des GDM): Autoantikörper-Screening (z. B. Anti-GAD, tionsdiabetikerinnen. Anti-IA2, Anti-ICA und Anti-ZnT8). Frauen mit GDM sollen deshalb nachdrücklich zum Stillen ihrer Kinder ermutigt werden. V. a. adipöse Schwangere mit GDM sol- Peripartale Depression len für das Stillen besonders motiviert und unterstützt werden. Im Vergleich zu glukosetoleranten Schwangeren liegt die Rate an Empfehlung: Alle Schwangeren mit GDM sollen bereits vor der postpartalen Depressionen bei Frauen mit GDM, besonders aus Entbindung durch eine Stillberatung auf die Vorteile des Stillens sozial schwachem Milieu, bis zu doppelt so hoch. Als Suchinstru- für Mutter und Kind hingewiesen werden und es sollen Strategien ment für das Vorliegen einer Depression postpartal eignet sich für einen erfolgreichen Stillstart aufgezeigt werden. Ausschließli- der Befindlichkeitsbogen (Edinburgh Postnatal Depression Scale, ches Stillen für mindestens 4–6 Monate. Auch nach Einführung EPDS) in deutscher Sprache. Danach weisen alle EPDS-Summen- von Beikost – frühestens mit Beginn des 5. Monats, spätestens scores von mindestens 10 auf eine depressive Verstimmung hin. mit Beginn des 7. Monats – sollten Säuglinge möglichst lange wei- Dieser Verdacht sollte fachspezifisch weiter abgeklärt werden, ter gestillt werden. um eine Therapie rechtzeitig einzuleiten. Als geeigneter Zeit- punkt für den Einsatz des Befindlichkeitsbogens bietet sich dem Interessenkonflikt oGTT-Zeitrahmen 6–12 Wochen nach der Schwangerschaft an. Eine Übersicht über die Interessenkonflikte findet sich unter: Diabetesprävention https://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/057_D_ Diabetes_Ges/057-008i_S3_Gestationsdiabetes-mellitus-GDM- Es besteht für Frauen nach GDM ein 7- bis 8-fach erhöhtes Diabe- Diagnostik-Therapie-Nachsorge_2018-03.pdf tesrisiko. Als vorrangige Maßnahme wird die Lebensstilmodifika- tion angesehen. Frauen mit einer Glukosetoleranzstörung nach Literatur GDM profitieren von Lebensstiländerungen zur Prävention von diabetesbedingten und makroangiopathischen Komplikationen. [1] Praxisempfehlung „Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes Sie werden beraten und angeleitet zur Einhaltung einer bedarfs- mellitus“ der DDG. Diabetologie und Stoffwechsel 2017; 12 (Suppl. 2): angepassten Ernährung, zur Gewichtsnormalisierung, ggf. zum S94–S100. doi:10.1055/s-0043-115953 Nichtrauchertraining und zu regelmäßiger körperlicher Aktivität. [2] Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsge- Dadurch kann eine Diabetesmanifestation in 3 Jahren um 50 % meinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Hrsg. Nationale Versorgungs-Leitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes. und in 10 Jahren um 35 % reduziert werden. Außerdem sollen 1. Auflage 2013: 29–32 Frauen mit noch nicht abgeschlossener Familienplanung auf die Risiken bei ungeplanter Schwangerschaft bei Diabetes hingewie- sen werden. Schäfer-Graf U et al. Gestationsdiabetes mellitus (GDM),… Diabetologie 2021; 16 (Suppl 2): S215–S225 | © 2020. Thieme. All rights reserved. S225
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