Sammelrezension: Schule digital - Haymo Mitschian Repositorium für die Medienwissenschaft - media/rep

Die Seite wird erstellt Leonard Lang
 
WEITER LESEN
Repositorium für die Medienwissenschaft

   Haymo Mitschian
   Sammelrezension: Schule digital
   2020
   https://doi.org/10.25969/mediarep/14938

   Veröffentlichungsversion / published version
   Rezension / review

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation:
Mitschian, Haymo: Sammelrezension: Schule digital. In: MEDIENwissenschaft: Rezensionen | Reviews, Jg. 38 (2020),
Nr. 2-3, S. 313–316. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/14938.

Nutzungsbedingungen:                                       Terms of use:
Dieser Text wird unter einer Creative Commons -            This document is made available under a creative commons -
Namensnennung 3.0/ Lizenz zur Verfügung gestellt. Nähere   Attribution 3.0/ License. For more information see:
Auskünfte zu dieser Lizenz finden Sie hier:                http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/
http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/
Medien und Bildung                            313

Sammelrezension: Schule digital

Die Digitalisierung des Lernens und         sprechend, einen Blick in die nähere
Lehrens hat durch die Corona-Krise          und fernere Zukunft. Deshalb finden
enorm an Bedeutung und Zuspruch             sich hier ganz konkrete und detaillierte
gewonnen, weshalb die beiden Publi-         Angaben zur Organisation digitaler
kationen zu einem günstigen Zeitpunkt       Lernformen, etwa zur Finanzierung,
zur Verfügung stehen. Beide befassen        zum Datenschutz oder zum tech-
sich mit Fragen zur gegenwärtigen und       nischen Support, aber auch zum Teil
zukünftigen Nutzung digitaler Tech-         stark appellative, unmittelbar aus den
nik zur Unterstützung und Förderung         eigenen Erfahrungen abgeleitete Vor-
von Lehr-Lernvorgängen, der eine            schläge zur künftigen Gestaltung von
Band primär für Schulen (Steppuhn),         Schule und Lernen.
der andere für Hochschulen (Kergel/            Steppuhn zählt zu den Lehrenden,
Heidkamp-Kergel), beide aber auch mit       die sich neben der Didaktik tief in
unterschiedlichen Blickrichtungen und       die technologischen Grundlagen des
Herangehensweisen.                          digitalen Lehrens und Lernens einar-
   Detlef Steppuhn stellt sich am           beiten und deshalb auf beiden Gebie-
Anfang seines Buchs ausführlich             ten Kompetenzen aufweisen. So kann
selbst vor, wie er auch insgesamt aus       er detailliert über die technischen
einer sehr persönlichen Perspektive         Voraussetzungen, Optionen, aber auch
schreibt. Seine Ausführungen basieren       Stolperfallen berichten, die bei einer
auf einer fast 30jährigen Lehrerfahrung     grundlegenden Digitalisierung des
am Erich-Gutenberg-Berufskolleg in          Unterrichtens an einer Schule vorhan-
Köln auf dem Posten als „Leiter Neue        den sein können. Wegen der in einer
Technologien und Medien“ (S.XIX). In        Smart School zunehmenden Technolo-
seinem Buch verarbeitet er zum einen        gisierung des Unterrichts plädiert er
die Erfahrungen an dieser in Sachen         für die Einrichtung eines schulinter-
Digitalisierung vielfach preisgekrönten     nen Support-Teams, da „Einzelkämp-
Schule, zum anderen wirft er auch, dem      fer“ (S. 109) wie er die Anforderungen
Untertitel Die Schule von morgen ent-       der Zukunft nicht mehr bewältigen
314                       MEDIENwissenschaft 02-03/2020

werden können. Darüber hinaus for-        bei der Robotik aus, wonach in abseh-
dert er aber auch umfassende bauliche     barer Zeit Roboter Aufgaben bei der
Veränderungen an den Schulen, deut-       emotionalen Betreuung von Menschen,
lich mehr Flexibilität und Offenheit       auch von Lernenden, übernehmen und
auf Seiten von Behörden, Schulträgern     zum Beispiel im Fremdsprachenunter-
und Lehrenden und natürlich für ein       richt eingesetzt werden (S.56), wobei er
viel stärkeres finanzielles Engagement     dessen Weiterexistenz generell anzwei-
der verantwortlichen Stellen. Ohne        felt: „Simultanübersetzer wie bspw.
grundlegende Veränderungen der Rah-       [sic!] Skype werden das Erlernen einer
menbedingungen laufen seiner Ansicht      Fremdsprache obsolet machen“ (S.135).
nach alle didaktischen Maßnahmen ins      Gerade von der Wirklichkeit eingeholt
Leere.                                    wirken dagegen die Ausführungen zu
   Ganz konkret beschreibt er dagegen     school@home, bei denen er sich zu sehr
die Projekte, die in der Vergangen-       auf eine Variante verlegt: Überzeugend
heit an seiner Schule initiiert wurden,   verweist er auf die Vorteile der Koo-
und die er auch in hohem Maße für         peration mit „Giganten“ (z. B. S.91f.)
zukunftsrelevant hält. Grundlegend        der Computer- beziehungsweise Inter-
ist dabei das BYOD-Konzept (Bring         nettechnologie und die Nachteile der
Your Own Device), also die Nutzung        Abhängigkeit von kleineren Firmen,
der digitalen Geräte der Lernenden        die schnell vom Markt verschwinden
an Stelle von schulischen, mit entspre-   können. Kein Geheimnis macht er
chenden Einstellungsveränderungen         dabei aus der Kooperation seiner Schule
gegenüber Smartphones im Unterricht.      mit Microsoft und Produkten aus diesem
Als besonders zukunftsträchtig stuft      Haus, in erster Linie mit Office 365.
er die Robotik, virtual oder augmen-          Insgesamt trägt das Buch von
ted reality sowie eSports und gamifi ca-   Steppuhn einen Doppelcharakter.
tion ein. Da er dazu zunächst von den     Einerseits berichtet und beschreibt
Erfahrungen an seiner Schule berich-      er sehr fundiert die Erfahrungen mit
tet (S. 53-73), später dann beim ema     digitalem Lehren und Lernen an seiner
„Kompetenzerwerb durch Fortbil-           Schule, wobei durch die Besonderheiten
dungen“ (S.115-182) sowie im Kapitel      einer Berufsschule die Anforderungen
9 „Unterrichtsbeispiele“ immer wieder     an allgemeinbildende Schulen und
auf diese Bereiche zurückkommt und        die dort anzubietenden Standardfä-
sich für deren Ausweitung ausspricht,     cher gelegentlich etwas an den Rand
sorgt er für inhaltliche Wiederho-        geraten. Doch für alle, die die Digi-
lungen. Sein unverkennbares Engage-       talisierung einer Bildungseinrichtung
ment für diese Lehr-Lernformen führt      vorantreiben wollen oder müssen, liefert
ihn dabei gelegentlich schon sehr weit    er praxisorientiertes Fachwissen, das
in die Zukunft beziehungsweise zu nur     neben technischen auch organisato-
noch schwer nachvollziehbaren Argu-       rische und rechtliche Aspekte mit ein-
mentationsfolgen. Sehr optimistisch       schließt. Auf der anderen Seite scheint
fällt so seine Perspektivenbeschreibung   ihn seine Begeisterung für die neuen
Medien und Bildung                              315

Technologien gelegentlich schon zu        Ziel der Ausführungen ist es sogar, „die
weit in die Zukunft zu tragen, wobei      toretische Komplexität des E-Learning
ein Blick in die Vergangenheit mit        handlungspragmatisch für die Praxis“
ihren zahlreichen Ankündigungen von       (S.1) aufzuarbeiten.
dann doch ausgebliebenen Revolutionen        Bei ihrem Plädoyer für den Kon-
des Lernens als Korrektiv wirken könnte   nektivismus als „Lerntheorie für das
(vgl. hierzu: Papert, Seymour: Revo-      digitale Zeitalter“ (S.10ff.) stützen sie
lution des Lernens. Hannover: Heise-      sich hauptsächlich auf einen Artikel
Verlag, 1994). Auch eine Diskussion       von George Siemens, einer Lehrkraft
von an Schulen erreichbaren Lern-         am Red River College in Winnipeg,
zielen und Konkretisierungen zu den       welcher Urheber einer ELearning
neuro-didaktischen Konzepten (S.100;      website ist, die inzwischen nicht mehr
S.186), die er mehrfach erwähnt, aber     unter der angegebenen Adresse abruf-
welche nur schemenhaft erkennbar          bar ist. Dass der zitierte Artikel von
werden, wären hilfreich, um die Reali-    Siemens im Januar 2005 erschienen ist
sierungschancen der Vorschläge besser     und nicht wie angegeben 2004, stört
abschätzen zu können. Auch wäre ein       in einem Text mit wissenschaftlichen
Kapitel wünschenswert, in dem grund-      Ansprüchen durchaus, mehr noch
legend über die Aufgaben der Schulen      verwundert die Bedeutung, die die
in Gegenwart und näherer Zukunft          Autor_innen diesem achtseitigen Text
reflektiert würde. Denn in der Summe       eines college-instructors zuschreiben, den
dürfte Steppuhn mit seinen Forde-         sie wiederholt als maßgebliche Autori-
rungen die Kapazitäten und Möglich-       tät (S.59, S.65) heranziehen. Denn der
keiten hierzulande und in absehbarer      Konnektivismus ist wesentlich älter und
Zeit deutlich überfordern. Doch trotz     von anderen geprägt worden. Er bringt
einiger vermutlich recht kurzlebiger      Grundannahmen des Konstruktivis-
Detailangaben zur Technologie enthält     mus mit kybernetischen Lernformen
sein Buch vielfältige Informationen und   zusammen und geht auf die Entwick-
Denkanstöße, mit denen er einen Bei-      lung künstlicher Intelligenz und neu-
trag zur dringend notwendigen Digita-     ronaler Netze zurück (vgl. Mitschian,
lisierung von Schulen leistet.            Haymo: „Vom Behaviorismus zum
    Ähnlich wie Steppuhn stellen auch     Konstruktivismus. Das Problem der
Kergel/Heidkamp-Kergel eine unmit-        Übertragbarkeit lernpsychologischer
telbare Verbindung zwischen digitalen     und -philosophischer Erkenntnisse in
Lernmitteln und neueren Ansätzen der      die Fremdsprachendidaktik.“ In: Zeit-
Lerntheorie her. Während Ersterer auf     schrift für Interkulturellen Fremdspra-
neuro-didaktische Lernformen refe-        chenunterricht 4[3], 2000, S.1-29, hier
riert, sieht das Autorenpaar im Kon-      S.12f).
nektivismus beziehungsweise einem            Generell gilt für die Ausführungen
„Sozio-Konstruktivismus“ (S.6) die        von Kergel/Heidkamp-Kergel zu lern-
angemessene Grundlage für das digi-       theoretischen und didaktischen Grund-
tale Lehren und Lernen. Explizites        lagen, dass sie dabei sehr eklektizistisch
316                         MEDIENwissenschaft 02-03/2020

vorgehen – etwa mit knappen Verwei-         erklärt und es bleibt bei sehr allgemein
sen auf Humboldt (S.18), Freinet (S.18),    gehaltenen Beschreibungen einiger
Bandura (S.19) oder Baudrillard (S.38f.)    Projekte. Symptomatisch für die Unver-
– und zu fragwürdigen Feststellungen        bundenheit und Unverbindlichkeit der
kommen, wie etwa: „Grundsätzlich            Ausführungen dürfte die Wiederholung
lässt sich Didaktik als Methode defi-        einer Tabelle von Seite 39 auf Seite 87
nieren“ (S.12) oder später: „Mobile         zur „Konvergenz zwischen Lernen und
Learning ist kein E-Learning mehr“          Technologie“ sein, die nur wenig aussa-
(S.86). Vieles von dem, was sie in einer    gekräftige Termini aufl istet.
„E-Didaktik […] Kriterien-Checkliste“          Verknüpfungen von neuen Lehr-
(S.15-27) anführen, gilt genauso für        Lerntechnologien mit gleichzeitig
das bisherige papiergestützte Lernen.       neuen lerntheoretischen Ansätzen
Fraglich ist zudem die Bezugnahme           haben sich seit der Verbindung des
auf medienpädagogische Konzepte aus         Programmierten Lernens mit dem
den 90er Jahren, die Kompetenzen im         Behaviorismus immer wieder als
Umgang mit Massenmedien einfor-             nachteilig für beide Seiten erwiesen.
dern, die in keinem primären Zusam-         Die Optionen des digital-vernetzten
menhang mit Lernmedien stehen und           Lehrens und Lernens mit dem Kon-
deshalb genauso wenig gerechtfertigt        struktivismus zu kombinieren, von
sind, wie die ausführliche Beschreibung     Luhmann bereits 1988 als letzte
des Memex-Projekts von Vannevar             Mode der Erkenntnistheorie bezeich-
Bush (S.50-53) aus den 1940er Jahren.       net (Erkenntnis als Konstruktion. Bern:
    Nur etwas konkreter wird es in den      Benteli Verlag, 1988), trägt wiede-
beiden hochschuldidaktischen Praxis-        rum das Potenzial in sich, beiden zu
kapiteln 6 und 7, obgleich auch hier        schaden. Der Erkenntnisgewinn, der
ein eklektizistisches Vorgehen vor-         aus dem schmalen Band von Kergel/
herrscht. Dass die „kleine Geschichte       Heidkamp-Kergel zu ziehen ist, wird
des E-Learning“ (S.57-60) ebenso wie        zudem durch den geringen Grad an
die nachfolgende „kleine Auswahl“           Systematik und wissenschaftlicher
(S.61-87) an E-didaktischen Ansätzen        Gründlichkeit gemindert, weshalb
keine systematisch-strukturierten Ein-      nur wenige Leser_innen einen Nutzen
blicke in die digitale Lehr-Lernpraxis      aus der Beschäftigung damit werden
liefert, lassen bereits die Überschriften   ziehen können.
erkennen. Aber auch inhaltlich wird
nur wenig fundiert informiert oder                    Haymo Mitschian (Göttingen)
Sie können auch lesen