Sammelrezension: Reihe "German Film Classics" - Jörn Glasenapp - media/rep
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Repositorium für die Medienwissenschaft Jörn Glasenapp Sammelrezension: Reihe „German Film Classics” 2021 https://doi.org/10.25969/mediarep/15818 Veröffentlichungsversion / published version Rezension / review Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Glasenapp, Jörn: Sammelrezension: Reihe „German Film Classics”. In: MEDIENwissenschaft: Rezensionen | Reviews, Jg. 38 (2021), Nr. 1, S. 87–90. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/15818. Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer Creative Commons - This document is made available under a creative commons - Namensnennung 3.0/ Lizenz zur Verfügung gestellt. Nähere Attribution 3.0/ License. For more information see: Auskünfte zu dieser Lizenz finden Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/ http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/
Fotografie und Film 87 Sammelrezension: Reihe “German Film Classics” Lutz Koepnick: Fitzcarraldo Rochester, NY: Camden House 2019 (German Film Classics), 91 S., ISBN 9781640140353, USD 19,95 Christian Rogowski: Wings of Desire Rochester, NY: Camden House 2019 (German Film Classics), 96 S., ISBN 9781640140370, USD 19,95 Brad Prager: Phoenix Rochester, NY: Camden House 2019 (German Film Classics), 87 S., ISBN 9781640140387, USD 19,95 Bei Camden House wurde eine sehr hinziehende Produktion kursieren. In begrüßenswerte Filmbuchreihe aus Umlauf gebracht wurden sie schon früh der Taufe gehoben: „German Film unter anderem durch Zeitungsartikel Classics” betitelt und konzeptuell an und Interviews, vor allem aber durch der bestens etablierten BFI-Classics- Les Blanks Burden of Dreams (1982), Reihe orientiert, versammelt sie knapp eine Dokumentation über den Ent- 90 Textseiten lange (bzw. kurze) Mono- stehungsprozess von Fitzcarraldo, in grafien zu wichtigen deutschen Filmen. der dessen kommentierungsfreudiger Bislang sind drei Bände erschienen: Regisseur ausgiebig zu Wort kommt. Lutz Koepnick widmet sich Werner Hierbei verleiht dieser nicht zuletzt Herzogs Fitzcarraldo (1982), Christian seinem tief romantischen Kunstver- Rogowski Wim Wenders' Der Himmel ständnis Ausdruck, was den Opern- über Berlin (1987) und Brad Prager begeisterten dicht an die Seite seines Christian Petzolds Phoenix (2014). opernbegeisterten Titelhelden rückt. Ohne Abstriche lässt sich sagen: Das In der Tat: Wer denkt nicht sofort an Buch-Trio überzeugt sehr, das heißt, die Parallelen zwischen Brian Sweeney die „German Film Classics” hätten Fitzgerald, genannt Fitzcarraldo, der schwerlich besser starten können. eine Schneise durch den Dschungel Völlig zu Recht profiliert Lutz schlagen und Tausende von Bäumen Koepnick Fitzcarraldo als einen Film, fällen lässt und hierbei Hunderte von der den Zuschauer_innen insofern Menschen in Gefahr bringt, um ein einige Schwierigkeiten bereitet, als so Dampfschiff über einen Berg zu zie- ausgesprochen zahlreiche Geschich- hen, und dem auf Tricktechnik fast ten, wahre und falsche, über seine vollständig verzichtenden Regisseur, durchweg heikle, sich über viele Jahre der Selbiges tut? Und, um Klaus Kinski
88 MEDIENwissenschaft 01/2021 ins Spiel zu bringen, der als Hauptdar- Zweifel erhabenes, vielmehr erstaun- steller zunächst gar nicht vorgesehen lich unausgewogenes Werk handelt, ist war: Wer denkt nicht angesichts des bekannt und wird auch von Christian rasenden megalomanen Helden an den Rogowski betont. Freilich teilt er nicht rasenden megalomanen Kinski, der zu nur die übliche Kritik am – zumal der jeder Zeit in Fitzcarraldo sowohl die Mitarbeit Handkes geschuldeten – Titelrolle als auch sich selbst spielt. Verbalpathos des Films, sondern er „No sequence seems to pass without rügt darüber hinaus unter anderem die him seeking to engage the camera in implizite Heteronormativität des Fina- a double entendre, to speak with two les (vgl. S.67) sowie die Tatsache, dass voices at once: to diegetic as much as speziell durch die in den Bildfluss ein- non-diegetic audiences” (S.65f ), so geschobenen Dokumentaraufnahmen Koepnick, der im Verlauf seiner feinsin- der Bombenkriegsverwüstungen und nigen Untersuchung zahlreiche Begriffe -toten der – von Wenders selbstredend und Konzepte ins Spiel bringt – ange- keineswegs intendierte – ungute Ein- fangen beim Erhabenen und Nietzsches druck entstehen könnte, die Deutschen Übermensch über Wagners Gesamt- seien die Hauptopfer des Zweiten Welt- kunstwerk und Hegels Weltgeist bis krieges gewesen (vgl. S.75). Nichtsdes- zum Anthropozän – um der Vielschich- toweniger weiß Rogowski Wenders' tigkeit und Aktualität von Herzogs Film aber natürlich sehr zu schätzen zum Mythos gewordenen Film gerecht und, was an dieser Stelle wichtiger ist: zu werden. Dass dieser unbedingt auch Er weiß sehr genau zu benennen, was als das zweifelhafte Produkt einer kom- diesen so originell, herausfordernd und promisslosen Ausbeutung der indi- wagemutig macht. Der Himmel über genen Kompars_innen und natürlichen Berlin, so führt Rogowski diesbezüg- Ressourcen betrachtet zu werden hat, lich aus, „represents a daring effort to wurde bereits vielfach betont, wobei answer existential questions in a world Koepnick keinen Grund sieht, diesen suspicious of spiritual answers, an ambi- Vorwurf fallenzulassen (vgl. S.64f). tious exercise in the cinematic sublime Der Zeitraum 1982 bis 1987 darf als in an age of increasing image overload, a der vielleicht produktivste und letzt- testament to a sustained effort aimed at lich erfolgreichste in Wenders' langer overcoming cynicism and indifference. Karriere gelten. Schließlich entstanden It is a fi lm that celebrates the possibil- nicht weniger als drei seiner Meister- ity of self-fashioning and new begin- werke in diesem Jahrfünft: Der Stand nings. It is a fi lm that seeks to make der Dinge (1982), Paris, Texas (1984) us abandon our mindless busy-ness, to sowie das in Zusammenarbeit mit become attentive to the world around Peter Handke entstandene Filmgedicht us, to overcome confl ict, to reconnect und -märchen Der Himmel über Berlin, with one another, and rediscover a Wenders' wohl berühmtester Film. sense of joy in life. And it is a fi lm that Dass es sich bei diesem um ein in qua- invites and teaches its audience to care, litativer Hinsicht keineswegs über jeden about one another and about the world.
Fotografie und Film 89 What could be wrong with that?” (S. folgt: Phoenix, der mit seiner von Nina 6-7). Im Anschluss daran macht sich Hoss gespielten Protagonistin eine Rogowski an die Arbeit diese Worte gespenstische, ins Nachkriegsdeutsch- zu bestätigen, und ohne an dieser Stelle land heimkehrende und dieses damit ins Detail gehen zu können, sei gesagt: zugleich heimsuchende Existenz ins Es gelingt ihm eindrucksvoll. Ja, ich Zentrum rückt, ist seinerseits ein heim- möchte behaupten: Rogowskis Buch gesuchter Film. Oder mit Prager for- gehört zum Besten, was über Wenders' muliert: Phoenix ist „a kind of séance“ „transcendental 'buddy movie'“ (S.42) (S.6) beziehungsweise Totengespräch, geschrieben wurde. in dem speziell von den Nazis verfolgte Christian Petzolds Phoenix ist eine deutsch- respektive österreichisch- im Gewand eines Film Noir daher- jüdische Filmemacher, Schauspieler, kommende Filmnovelle, die die in Musiker und Philosophen (darunter vielfacher Hinsicht ‚unerhörte‘ Rück- Robert und Curt Siodmak, Kurt Weill, kehr einer Auschwitz-Überlebenden Peter Lorre, Hannah Arendt und Jean ins Berlin des Jahrs 1945 verhandelt. Amery) angerufen und beschworen Keine Frage: Mit Brad Prager fand der werden. Dies in Rechnung gestellt, ist Film einen geradezu idealen Interpre- es nur konsequent, dass Petzold seinen ten. Schließlich ist Prager als Ken- Film Fritz Bauer gewidmet hat, einem ner des Petzold'schen Schaffens und Juden, der der Ermordung durch die der Berliner Schule einerseits sowie Nazis durch Emigration entging, 1949 (filmischer) Repräsentationen des nach Deutschland zurückkehrte und Holocausts andererseits durch zahl- schließlich als treibende Kraft bei den reiche wichtige Publikationen bestens Auschwitz-Prozessen der 1960er Jahre ausgewiesen. Bekanntermaßen wurde fungierte. Prager zieht die folgende Par- Petzolds Film seinerzeit von der Kritik allele zu Nelly, Petzolds Heldin: „[H]is nicht übermäßig begeistert aufgenom- [Bauers, J.G.] very existence as a retur- men – wohl auch deswegen, weil man ned Jew, much like Nelly, the 'ragged dem Regisseur eine derart entschie- camp internee,' was nothing other than dene Abkehr von dem, was man als den a distressing reminder of a wound” ‚Markenkern' der Berliner Schule (allem (S.11). Dass man sich in Nachkriegs- voran die Analyse deutscher Gegen- deutschland an diese Wunde nicht wart) ansah, nur ungern durchgehen hat erinnern lassen wollen, dass man lassen wollte. Dass es sich bei Phoenix nicht sehen wollte, was so offenkundig aber um einen sehr guten Film handelt, war – nämlich die eigene Schuld(-ver- möglicherweise gar um einen der besten strickung) –, zeige, so Prager, Petzolds Petzolds, belegt, und zwar eindrucks- Film unmissverständlich, und zwar vor voll, Pragers glasklar argumentierendes allem anhand der ‚unerhörten‘, seiner- und glänzend geschriebenes Buch. Die zeit von manchem Kritiker vorschnell Grundthese desselben, die durch eine als unglaubhaft gerügten Blindheit des stupend kenntnisreiche Kontextualisie- Protagonisten Johnny, der seine zu ihm rungsleistung bestätigt wird, lautet wie zurückgekehrte Exfrau partout nicht als
90 MEDIENwissenschaft 01/2021 diese erkennen will. Dergestalt stürzt Kinos einen festen Platz haben, wuss- er sie in eine Identitätskrise, die sie am ten wir bereits. Dafür, dass Phoenix ein Ende dadurch überwindet, dass sie die solcher ebenso zusteht, liefert Pragers in zuvor auch von ihr selbst abgelehnte jeder Hinsicht vorzügliches Buch her- Identität als jüdische Holocaust-Über- vorragende Argumente. lebende als die ihrige anerkennt. Dass Fitzcarraldo und Der Himmel über Berlin im Kanon des bundesrepublikanischen Jörn Glasenapp (Bamberg)
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